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Kommentare: 4 | Lesungen: 1660 | Bewertung: 8.67 | Kategorie: SciFi, Fantasy, History | veröffentlicht: 26.11.2015

04 Miriam - Master of puppets

von

Am Sonntagabend kam Miriam, beschwingt und bis über beide Ohren verliebt, in ihrer Unterkunft an. Sie war das ganze Wochenende bei Sven gewesen. Die beiden hatten die Zeit mit Schlafen, Essen und intimer Zärtlichkeit verbracht. Ihnen war in Anbetracht des hormonellen Rausches einer frischen Liebe auch gar nichts Wichtigeres in den Sinn gekommen.


Nachdem Miriam gestanden hatte, dass sie die Königin einer außerirdischen Lebensform war, und Sven dieses Geständnis zwar falsch aber sehr entspannt aufgenommen hatte, war es für den Rest des Wochenendes kein Thema mehr.

Zwar bestand Sven weiterhin auf die Benutzung von Kondomen, aber er akzeptierte Miriams Fetisch für Sperma nicht nur, er unterstützte ihn sogar. Kurz vor den Höhepunkten, richtete er es so ein, dass sie den Saft direkt aus der Quelle beziehen konnte.


Als er dann im Laufe des Sonntagmorgens der Meinung war, nicht noch einmal Sex haben zu können, weil ihm alle Muskeln wehtaten, streichelte ihn Miriam zu einem langsamen aber ergiebigen Höhepunkt. Mit glasigen Augen beobachtete Sven, wie sie ihm das Sperma vom Bauch leckte und sich dann verliebt an ihn kuschelte.

Aber auch das schönste verliebt-verfickte Wochenende ging einmal zu Ende. Und so tanzte Miriam die Stufen zu ihrer Unterkunft empor, schwelgte in den Erinnerungen und vermisste Sven schon jetzt. Ihre Kleidung, ihr ganzer Körper roch nach ihm. Als sie die Tür öffnete und den langen Flur betrat, nahm Miriam eine dicke blonde Haarsträhne und hielt sie vor ihre Nase, um den Duft einzusaugen.


‚Du hast reichlich Beute gemacht!’, sagte V’nyx der IV., als er Miriams überschwängliche Stimmung registrierte und aus seiner Sichtweise interpretierte.


Miriam lächelte nachsichtig, da diese kleine, dumme Pflanze nicht den leisesten Hauch davon hatte, was Verliebtsein bedeutete.

Trotzdem, oder gerade deswegen, kniete sich Miriam vor den Pflanzkübel. Ihre Spermavorräte waren gut gefüllt, und sie sonderte über ihre Speicheldrüsen ganz bewusst die Substanzen aus dem Sperma ab, die V’nyx der IV. benötigte.


Mir gespitzten Lippen bot sie sich der Pflanze an, und der Blütenstempel kam ihr entgegen, um die Nährstoffe entgegenzunehmen.


Die Blätter schmiegten sich an ihr Gesicht, und Miriam spürte, dass der Cerebrat sie wieder in die Anderswelt ziehen wollte. Sie zog den Kopf sachte aber unnachgiebig zurück und schüttelte dann den Kopf.


»Heute nicht, heute träume ich nur von Sven.«

V’nyx der IV. wollte noch etwas sagen, aber sie strich liebevoll über die Spitzen der Blütenblätter und schlug vor: »Halte doch einfach mal die Klappe. Du hast alles, was du brauchst und deine Königin hat nun Wichtigeres zu tun, hm?«


Der Cerebrat schwieg tatsächlich. Miriam stand auf, schälte sich aus ihren Klamotten, schnickte die High Heels von den Füßen und verwandelte sich in die Blaue Königin.


Anschließend stellte sie eine Packung tiefgefrorene Himbeeren in die Mikrowelle, und während sich die Früchte erwärmten, zerdrückte sie ein Kilo Vanilleeis mit einer Gabel in einer großen Glasschüssel.


Als die Himbeeren heiß waren, kippte sie diese über das Eis, verrührte es kurz und nahm das Abendessen mit auf ihr Ledersofa.

Während sie die Schüssel mit einem großen Löffel leerte, sortierte sie ihre Mobiltelefone und SIM-Karten. Alles, was älter als eine Woche war, flog in einen Karton. Dann montierte sie ein fabrikneues Gerät und legte eine jungfräuliche SIM-Karte ein.


Während das Gerät zum Leben erwachte, kratzte sie mit dem Löffel die letzten Reste in der Schüssel zusammen und leckte den Löffel genüsslich ab.


Das neue Mobiltelefon war betriebsbereit, und Sven kannte die neue Nummer für den Fall, dass er sie erreichen wollte.

Glücklich und satt ging sie auf leisen Sohlen in ihr Schlafzimmer, kippte eine frische Flasche Babyöl in den Latexkokon und zog den engen Schlauch über ihren Körper, bis nur noch ihr Kopf herausschaute. Als sie wie eine Latexmumie auf dem Bett lag und das Öl gleichmäßig zwischen ihrem Körper und dem Kokon verteilt war, schob sie eine Hand zwischen ihre Beine und ließ die andere entspannt auf ihrem Bauch ruhen.


Mit heißen Gedanken an Sven rieb ihr Zeigefinger über ihren geschwollenen Kitzler, bis sie leise stöhnte. Mit geschlossenen Augen träumte sie davon, dass Sven sie mit seiner unbefangenen Fröhlichkeit in ihrer wahren Gestalt akzeptieren würde.


Nach einem kleinen aber feinen Höhepunkt, der in keinem Verhältnis zu den Emotionen des zurückliegenden Wochenendes stand, schlief sie ein.

*

Sie träumte, in den pastellfarbenen Tönen eines normalen Traums an einem Flussufer entlang zu spazieren.


Erst als sie in das ruhig dahin ziehende Gewässer blickte, bemerkte sie, dass nicht Miriam, sondern die Blaue Königin diesen Spaziergang in der freien Natur unternahm.


Als sie den Blick von der Wasserfläche abwandte, sah sie das Tal mit den bunten Blüten aus der Anderswelt hinter sich. Jetzt waren die Bilder gestochen scharf und in satten Farben gezeichnet. Sie war unbewusst in die Anderswelt abgeglitten.

In Gestalt der Blauen Königin schritt sie durch das Tal, das ihr V`nyx der IV. gezeigt hatte. Sie näherte sich dem dunklen Wald, der an dieses Tal grenzte, und versuchte, durch die aufragenden Äste ins Innere des Waldes zu blicken. Sie fürchtete sich, als sie die ungewohnt stacheligen Sträucher zur Seite schob und den ersten Fuß in die Dunkelheit setzte. Viel lieber wäre sie zurück zu den farbigen Blüten ins Tal gerannt, wo sie sich intuitiv wohlfühlte.


Ein zischelndes Geräusch schreckte sie auf. Sie wollte fliehen und sah ihre zitternde Hand mit den blauen Fingernägeln.


»Das kann doch nicht sein, dass ich als Königin in der Anderswelt Angst habe!«, sagte Miriam und ballte ihre Hand zur Faust. Die Nägel wurden länger und liefen spitz zu. Miriam kniff die Augen entschlossen zusammen und ging den nächsten Schritt in die Dunkelheit.

Rascheln, und das Tapsen von Schritten, kam aus unterschiedlichen Richtungen und ließen ihre Augen rastlos durch die Dunkelheit huschen.


»Zeigt euch, wenn ihr einen Verstand besitzt!«, rief sie in den Wald.


Die Geräusche von umherirrenden Geschöpfen nahmen zu, Miriam glaubte, einzelne Bewegungen in der Finsternis ausmachen zu können.


»Zeigt euch! Ich bin die Blaue Königin!«, befahl sie, ohne zu wissen, ob diese Tatsache von Gewicht war. Sie schaute hinter sich: Es waren nur wenige Schritte zurück zum Licht.

Als sie wieder in den dunklen Wald blickte, erschrak sie, im Anbetracht der Vielzahl an Wesen, die sich als dunkelgraue Silhouetten von der Schwärze des Waldes abhoben. Überwiegend männliche Kreaturen, aber auch Frauen, näherten sich ihrem Standort. Schulter an Schulter drängten sie sich aneinander, in sicherem Abstand zu Miriam.


»Warum lässt Du uns alleine?«, fragte eines der Wesen klagend. Miriam kannte weder die Stimme noch das Gesicht. Alle ihre ehemaligen Drohnen waren tot. Sie schüttelte den Kopf entschuldigend.


»Ich kenne dich nicht.«


»Führe uns«, flehte dieses eine Wesen stellvertretend für die Gruppe und streckte den Arm nach ihr aus.

Boshaftes Grollen und Splittern von trockenem Holz zerstörten die angespannte Stille. Hinter der sprechenden Kreatur schnellten Tentakel hervor, wie ein Schwarm schwarz-roter Schlangen. Diese Tentakel umschlangen Arme und Beine der Kreatur und zogen sie vom Waldrand zurück in die Finsternis, bis Miriam sie nicht mehr sehen konnte.


Erschrocken ging Miriam einen Schritt zurück und versteckte sich hinter einem toten, aber dicht gewachsenen Strauch, während weitere Tentakel aus den tief hängenden Wolken hinab schnellten und weitere Wesen vom Waldrand weg zerrten.

Diese Tentakel schienen nicht von einem gemeinsamen Ursprung auszugehen. Sie kamen wie schlangenartige Arme von oben aus dem Nebel, wo sie gerade benötigt wurden. Die anderen Wesen stoben panisch auseinander, verschwanden in dunklen Schatten und hinter toten Bäumen.


Eine der dunklen Kreaturen war ganz in der Nähe von Miriam in Deckung gegangen. Miriam schlich ein paar Schritte zu ihr und legte ihre Hand beruhigend auf die Schulter des gesichtslosen Wesens.


»Was ist das?«, fragte Miriam.


»Er hält uns in diesem Wald gefangen«, sagte die dunkle Gestalt mit hektischen Kopfbewegungen.


»Wer ist er?«, fragte Miriam so ruhig, wie es ihr trotz ihrer Anspannung möglich war.

Die Gestalt, deren Gesicht nicht erkennbar war, da es unabhängig vom Lichteinfall immer im Schatten lag, rang um eine Antwort.


Bevor ein Wort über die Lippen des Wesens kam, schoss eine gewaltige Blüte durch die tief hängenden Wolken hinab und eilte lautlos über die Baumwipfel. Weit geöffnet, wie eine riesige Hand, schwebte die Blüte direkt auf Miriam zu. Schwarze, fleischige Blütenblätter mit tiefroten Sprenkeln – das waren Tanjas Farben!


Die Farben der Roten Königin, deren unheilvolle Brut Miriam in den letzten Jahren auf allen Kontinenten gejagt hatte und von der es eigentlich keine Überlebenden mehr geben sollte.

Im Anbetracht der ausgeprägt zackigen Blattkonturen musste dieser Cerebrat gewaltige Ausmaße besitzen. Nur alte oder sehr mächtige Cerebrate leisteten sich solch eine martialische Angriffsblüte.


Diese Ausprägung hatte Miriam noch nicht in der realen Welt gesehen. Die meisten Cerebrate waren noch jung und klein, wenn die Menschen darauf aufmerksam wurden, die Andersartigkeit erkannten und das Fremde nach anfänglicher Neugier bekämpften.

Miriam erstarrte im Anbetracht dieses Monsters und starrte die Blüte mit weit aufgerissenen Augen an, als sie sich über ihr absenkten. Bevor die gezackte Blüte mit den messerscharfen Blattkanten zuschnappte, wurde Miriam rabiat weggestoßen. Die dunkle Kreatur hatte ihr einen beherzten Stoß versetzt und Miriams Platz eingenommen. Während Miriam noch um Halt ringend nach hinten taumelte, sah sie, dass die Kreatur von der Blüte komplett umschlossen wurde.

*

Miriam erwachte schreiend. Sie hatte es trotz der engen Umschließung des Kokons geschafft, ihren Oberkörper aufzurichten und blickte mit geöffneten, bernsteinfarbenen Katzenaugen geradeaus.


‚Was ist?’, fragte V’nyx der IV.


»In dem dunklen Wald gibt es noch einen Cerebrat, einen gewaltigen roten Cerebrat«, sagte Miriam mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Geist gesehen.


‚Dann sind wir doch nicht alleine auf dieser Welt’, sagte V’nyx der IV.

Miriam hätte die orangefarbene Blüte ihres Cerebraten wahrscheinlich im Affekt mit bloßen Händen zerquetscht, wenn sie nicht in dem engen Kokon gesteckt hätte.


»Warum hast du mir das nicht gesagt!«, schrie Miriam. Sie hatte nicht lange über die Frage nachgedacht und sie musste einfach schreien, ganz egal was - irgendwie musste sie den Schock verarbeiten. Hastig schlängelte sie ihren sattschwarzen Latexkörper aus dem Kokon. Sie empfand die enge Umschließung nicht mehr wie eine liebevolle Umarmung, sondern wie eine bedrohliche Einschränkung ihrer Bewegungsfähigkeit. Sie war im Alarmzustand und musste sich frei bewegen können.

Unbeeindruckt von der aufgebrachten Königin erklärte V’nyx der IV. gelassen: ‚Ich wollte dir vorhin sagen, dass ich den dunklen Wald nicht alleine betreten kann. Ich kann nicht einmal von außen hineinschauen. Das geht offenbar nur, wenn du dabei bist.’


»Warum?«, fragte Miriam barsch. Sie hatte sich mittlerweile aus dem Kokon befreit und tapste mit nackten Füßen über den Boden. Dabei hinterließ sie schmatzende Fußabdrücke aus Babyöl.


‚Ich weiß es nicht!’, antwortete V’nyx der IV.‚ vielleicht liegt es daran, dass der dunkle Wald nicht wirklich Teil der Anderswelt ist. Warum weißt du das nicht? Ach ja, du warst ja all die Jahre mit Blindheit geschlagen.’

»Jetzt wird er auch noch zynisch«, raunte Miriam und fuhr sich durch ihre öligen Haare. Sie hätte noch ein paar Stunden in dem Kokon schlafen müssen, um das ganze Babyöl zu absorbieren, jetzt war es mitten in der Nacht, und sie glänzte wie eine rabenschwarze Speckschwarte. Eigentlich sah das sehr verlockend aus und fühlte sich auch sehr angenehm an, aber Miriam war absolut nicht nach amourösen Spielen zumute.


‚Nimm mich mit in die Anderswelt, dann können wir mit dem roten Cerebrat reden und unsere Strategien abstimmen’, schlug V’nyx der IV. vor.


»NEIN!«, schrie Miriam und zertrümmerte einen großen Tontopf direkt neben dem Kübel, in dem V’nyx der IV. keimte.

In Miriam flammte Misstrauen gegenüber V’nyx dem IV. auf. Vielleicht wusste er mehr, als er zugab, und verheimlichte es absichtlich vor ihr. Sie war kurz davor, den nächsten Tontopf hoch über den Kopf zu heben und auf der kleinen Pflanze zu zertrümmern.


Doch Miriam zügelte ihr Temperament. Vielleicht war V’nyx der IV. ein hinterhältiger Verräter, aber vorerst war er zu klein und zu schwach, um ihr gefährlich zu werden. Und wenn sie das Spiel geschickt spielte, könnte sie ihm eventuell auf die Schliche kommen oder ihn davon überzeugen, dass Allianzen mit der roten Brut traditionell nicht infrage kamen.

Sie verließ den Raum wortlos und legte sich auf ihre Ledercouch, um nachzudenken. Es war in dieser visionären Welt nicht einfach, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem zu unterscheiden. Genauso gut konnte man etwas sehen, das nie existiert hatte. Aber Miriam war sich sehr sicher, dass diese Kreaturen weder eine Fiktion noch eine Erinnerung aus der Vergangenheit waren. Immerhin kommunizierten sie mit ihr.


Wenn diese Wesen also in der Gegenwart existierten, dann mussten sie irgendwo auf diesem Planeten leben. Und dann war der Rote Cerebrat auch keine Fiktion - dann gab es ihn auch.

Es war jedoch ungewöhnlich, dass der rote Cerebrat in der Anderswelt in seiner pflanzlichen Gestalt in Erscheinung trat. Soweit es Miriam wusste, wählten Cerebrate tierartige Wesen in dieser Welt, denn Pflanzen hatten eine gänzlich andere Bedeutung.


In der Anderswelt symbolisierten Pflanzen gespeichertes Wissen, ähnlich wie Bücherregale. Durch unterschiedliche Interaktionen mit den Pflanzen konnte man ihr individuelles Wissen erlernen. Ein Wald war in der Anderswelt eigentlich nichts anderes, als eine Bibliothek - was sollte man dann von einem toten Wald halten?

Cerebrate waren nicht für das Speichern von Wissen zuständig. Ihnen oblag es, Informationen zu verknüpfen, weiterzuleiten und das Kollektiv zu koordinieren. Sie waren die wichtigsten Helfer einer Königin, um Ordnung in das Chaos zu bringen.


Demnach war es höchst ungewöhnlich, dass sich der rote Cerebrat in der Anderswelt so zeigte, wie er wahrscheinlich in der realen Welt aussah.


Diese kleine Ungereimtheit könnte bedeuten, dass V’nyx der IV. mit dem roten Cerebrat einfach nicht kompatibel war. In diesem Fall hätte V’nyx der IV. die Wahrheit gesagt.

Allerdings waren das schon einzelne Details eines viel größeren Problems, denn die entscheidende Frage war: Wo auf dieser Erde konnte ein Cerebrat so groß werden und so viele Drohnen um sich scharen, ohne entdeckt zu werden?


Entweder war es ein sehr entlegener Teil der Erde oder diese seltsame Gemeinschaft stand unter dem Schutz eines Staates oder einer Organisation, die sehr viel Platz hatte. Und selbst dann würde eine solche Masse an Wesen auffallen - das konnte man nicht auf Dauer verheimlichen.


Und was war das überhaupt für eine Gemeinschaft, die aus verängstigten Drohnen und einem monströsen Cerebrat bestand, der, wie ein Monster, mit tausend Armen über allem schwebte und seine Untergebenen ohne Vorwarnung züchtigte?


»Nur die Liebe einer Königin kann eine gerechte Ordnung schaffen und dem Kollektiv ein Ziel geben«, murmelte Miriam gedankenverloren.

`Bist du da von alleine drauf gekommen?`, fragte V`nyx der IV. mit leichtem Spott.


»Das geht dich gar nichts an«, sagte Miriam und fühlte sich ertappt.


Abgesehen von dem grundsätzlichen Argwohn, den sie gegenüber allen Cerebraten hegte, nagte jetzt auch noch ein konkretes Misstrauen an ihrem schwachen Band zu V’nyx dem IV., denn wenn der kleine Schössling mit dem roten Cerebrat gemeinsame Sache machte, müsste sie Vorkehrungen treffen, um dem Verrat entgegentreten zu können. Selbst wenn V’nyx der IV. die Wahrheit sagte, musste sie davon ausgehen, dass es auf dieser Welt doch noch einen Überlebenden der roten Brut gab, und das alleine war schon gefährlich genug.


Miriam entschloss sich, in naher Zukunft ein paar alte Freundschaften aufleben lassen, bevor es zu spät war.

*

Nachdem Miriam eine Stunde lang mit Handtüchern und Putzlappen ihre Ölspuren vom Fußboden entfernt hatte, rubbelte sie über die Sitzfläche ihres Sofas und erkannte, dass sie alles nur noch schlimmer machte. Eigentlich war der speckige Glanz auf dem schwarzen Leder gar nicht so schlecht, und es roch auch angenehm nach Babyöl.


Diese stupide Hausarbeit, die so gar nicht zu ihrer erhabenen Erscheinung als Blaue Königin passte, half ihr, die erste Aufregung zu überwinden.


Schließlich gelang es ihr dann doch, den Rest der Nacht zu schlafen.

*

Am nächsten Tag Frühstückte sie zur Mittagszeit und begann ihre alten Kontakte im Geiste durzugehen. Miriam musste feststellen, dass ein Großteil der Jungs, mit denen sie in den letzten Jahren zusammengearbeitet hatte, nicht erreichbar war. Das war nicht ungewöhnlich, denn es handelte sich nicht um die Art von Menschen, die ein wohlgeordnetes Leben mit Familie, Hund und Reihenhaus führten.


»Greg, der ist komplett ausgestiegen«, murmelte sie schließlich und blätterte in ihrem alten Notizbuch. Sie fand seine letzte ihr bekannte Adresse.

Miriam grübelte bis in den Nachmittag, ob sie Greg einfach so besuchen sollte. Wenn er noch da wohnte wo sie es vermutete, waren es ungefähr zwei Stunden Fahrzeit.


Greg war kein einfacher Geselle, aber Männer seines Schlags waren nie einfach. Entweder war man schon kaputt, wenn man sich den Aufnahmebedingungen einer Elitetruppe unterwarf, oder der Job machte einen kaputt.


Über Miriams Gesicht huschte ein Lächeln, als sie sich an eines von Gregs Komplimenten erinnerte. Er hatte ihr damals gesagt, dass sie eine von ihnen wäre, weil sie mindestens genau so kaputt sei.

Damals hatten sie einen roten Cerebrat in der Wildnis von Südafrika zerstört. Aber der dort vorherrschende Volksstamm hatte mitbekommen, dass Miriam nicht die weiße Frau war, die sie vorgab zu sein.


Obwohl Miriam diesen Menschen geholfen hatte, begannen sie eine gnadenlose Jagd auf die Blaue Königin. Dabei geriet auch Greg unter Beschuss. Er hätte sich mit erhobenen Händen ergeben können, aber er kämpfte für die Blaue Königin. Er riskierte sein Leben, bis sie den Sammelpunkt gemeinsam erreichten und von einem Hubschrauber aus dem Gebiet gebracht wurden.

Mit der Gewissheit, Greg jetzt gleich zu besuchen, sprang Miriam vom Sofa auf und eilte in ihr Schlafzimmer. Auf dem Weg dahin nahm sie ihre menschliche Erscheinung an.


‚Gehst du wieder weg?‘, fragte V’nyx der IV., als sich Miriam in ihre Motorradklamotten zwängte.


»Ja«, antwortete Miriam spitz und zog den Reißverschluss zu.


‚Ich habe Hunger!‘, sagte V’nyx der IV. anklagend.


»Schon wieder?«, fragte Miriam genervt.


‚Warum hast du keine Drohnen, das würde einiges erleichtern?‘


Miriam ging vor der Blüte in die Hocke und schaute sie böse an.


»Keine Drohnen! Du kennst die Regeln: Wir verhalten uns absolut defensiv!«

Eine kleine Wurzel schlang sich um Miriams Handgelenk, als suchte sie verzweifelt Halt in dieser, für sie unbekannten, Welt. Miriams Gesichtszüge blieben hart. Die Wurzel zog sich schüchtern zurück.


»Ich gebe dir noch eine Ration, aber damit musst du ein paar Tage auskommen«, sagte Miriam und holte ein Fläschchen aus dem stickstoffgekühlten Behälter, schob es in das Auftaugerät und wartete mit wippender Fußspitze.


Als das Gerät piepste, nahm Miriam das Fläschchen kippte den Inhalt in ihren Mund und eilte zu V’nyx dem IV.


Gierig schob sich der Blütenstempel zwischen ihre sanften Lippen und sog das Sperma auf.


Die Blütenblätter waren bereits so groß, dass sie Miriams Gesicht gänzlich bedeckten. Sie schmiegten sich an die Gesichtskonturen und vermittelten angenehme Signale als Zeichen des Danks.

Miriam erkannte, dass V’nyx der IV. sie wieder in die Anderswelt führen wollte, und zog den Kopf erschrocken zurück.


»Nein, ich habe heute keine Zeit«, sagte sie knapp.


‚Wann willst du mir den roten Cerebrat endlich vorstellen’


»Am liebsten niemals!«


‚Du hast Angst vor deiner eigenen Art‘, stellte V’nyx der IV. resigniert fest.


»Ich werde dich nicht mit einem roten Cerebrat bekannt machen. Außerdem habe ich heute keine Zeit und bin auch nicht scharf darauf, diesen seltsamen Wesen in dem dunklen Wald erneut zu begegnen. Ich bin jahrelang ohne die Anderswelt ausgekommen, warum sollte ich mich jetzt davon abhängig machen?«

‚Du bist keine Königin, solange du dich nicht wie eine verhältst!‘


Miriam zog eine Augenbraue hoch und lächelte kühl.


»Ich habe vor Jahren geschworen, dass ich mich niemals von Gemüse beherrschen lasse, und das wird so bleiben!«


‚Wo gehst du hin?‘, fragte V`nyx der IV.


»Zu Greg.«


‚Wer ist das?‘


»Ein alter Freund«, sagte Miriam pampig, dann griff sie ihren Motorradhelm und eilte in die Maschinenhalle, wo ihr Motorrad stand.

***

Miriam fuhr nachmittags aus dem Gedränge der Stadt und erreichte einen heruntergekommenen Bauernhof, als die Sonne bereits tief am Himmel stand.


Das halb verfallenen Bauernhaus sah unbewohnt aus, die Fenster waren seit Jahren nicht mehr geputzt worden, aber in der Scheune spielte ein Radio.


Sie stellte ihr Motorrad hinter einen Busch, hängte den Helm an den Lenker und näherte sich dem halb geöffneten Scheunentor.

»Greg«, rief Miriam, als sie den ersten Schritt in die Scheune trat. Das Radio verstummte. Sie sah einige Motorräder und unzählige Einzelteile von Motorrädern. Eine landwirtschaftliche Nutzung konnte sie in dieser Scheune nicht mehr erkennen. Im hinteren Bereich war eine Hängematte zwischen zwei Balken gespannt. Jemand lag in der Hängematte - zumindest ragten auf der einen Seite schwere Soldatenstiefel heraus und am anderen Ende war das Schild einer Baseballkappe zu sehen.


»Greg«, sagte Miriam erneut und ging langsam auf die Hängematte zu.

Als sie direkt vor der Hängematte stand, sah sie Greg und er sah sie. Im gleichen Augenblick griff er eine leere Bierdose und warf sie Miriam an den Kopf.


»Scheiße!«, fluchte Greg und fuhr mit geballten Fäusten aus der Hängematte, hielt aber eine Armeslänge Abstand von Miriam.


Miriam fuhr sich über die Schläfe - der Schreck war größer als der Schmerz und sie war nicht verletzt.


»Ich mache das immer, wenn ich was sehe, das nicht sein soll - meistens verschwindet es dann wieder«, erklärte Greg und richtete sich selbstbewusst auf.


»Danke dafür«, fügte er mit zynischem Unterton hinzu und schlug sich an die Stirn.

»Was ist mit dir«, fragte Miriam.


»Ich bin ein Wrack!«


»Du siehst blendend aus«, sagte Miriam und musste etwas aufblicken, denn in den Motorradstiefeln war sie einen Kopf kleiner als Greg.


»Ich bin ein Wrack - im Kopf!«, sagte Greg und tippte sich an die Stirn, dann zeigte er auf Miriam.


»Du siehst auch blendend aus in deinen knallengen Lederklamotten - die ganze Scheiße der letzten Jahre ist an dir wohl abgeprallt, wie heißes Fett von einer Teflonpfanne, hä?«


»Nein, aber ich heule deswegen nicht rum!«


»Am liebsten würde ich dir eine reinhauen, einfach so«, sagte Greg mit angespannten Kiefermuskeln.

Miriam kannte Greg. Sie wusste, dass er es ernst meinte, und trotzdem hatte sie keine Angst vor

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Kommentare


emilymortimer
dabei seit: Aug '04
Kommentare: 9
schrieb am 26.11.2015:
»Großartige Fortsetzung. Mach weiter so!

Lass uns bitte nicht wieder solange auf den nächsten Teil warten ;-)«

longwire
dabei seit: Feb '05
Kommentare: 11
schrieb am 27.11.2015:
»Ganz tolle Geschichte, und noch taufrisch! Es scheint ja noch weiter zu gehen, ich freue mich schon darauf!«

Rie
dabei seit: Jun '12
Kommentare: 32
schrieb am 28.11.2015:
»Super es geht weiter da wird ja immer spannender und immer mehr Geheimnisse tauchen auf wieder ein sehr gelungenes Kapitel freue mich riesig auf die weiteren. ;)«

Blol
dabei seit: Dez '15
Kommentare: 26
schrieb am 13.12.2015:
»Diese Reihen sind die besten Geschichten, die ich bis jetzt gelesen habe.
Mich würde wirklich mal interessieren, woher du diese Inspirationen kriegst. ;)«



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