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Kommentare: 9 | Lesungen: 3198 | Bewertung: 7.56 | Kategorie: Sonstiges | veröffentlicht: 11.08.2009

African Love-Story

von


Dies ist die Geschichte von Thato, einer jungen Frau aus dem südafrikanischen Lesotho, dem Königreich in den Bergen, einem der ärmsten Länder dieser Erde. Eine Enklave innerhalb der Republik Südafrika, ein unwirtliches Bergland, das in Zeiten der Apartheid ein Spielball der Weltmächte gewesen ist - China, die Sowjetunion und die USA überschütteten das kleine Land mit ihrer Fürsorge, die Bevölkerung hat davon nichts mitbekommen.


Als Thato begann, mir ihre Geschichte zu erzählen, war Lesotho ein Land der Frauen und der Kinder. Die Männer arbeiteten in Südafrika, Wanderarbeiter in den Diamantminen um Johannesburg, billige Arbeitskräfte für zwei, drei, weißen Südafrikanern gehörende Konzerne. Eine mörderische Drecksarbeit, die selbst den Zulu und Xhosa als den in Südafrika dominierenden ethnischen Gruppen zu schmutzig war, eine Arbeit für die Sotho, Abschaum aus den Bergen, der Bevölkerung Lesothos.


König Moshoeshoe I. floh mit seinem Stamm nach blutigen Kriegen mit den Zulu zu Beginn des 19. Jahrhunderts ins Hochland. Die Buren kamen, unterwarfen die Zulu, die Briten bekriegten die Buren, und Lesotho war mittendrin, ein Spielball der Macht und der sich bekämpfenden Parteien.


Bis heute hat sich an dieser Zerrissenheit nichts geändert, dabei ist Lesotho seit 1966 offiziell unabhängig, gilt seither als parlamentarische Monarchie. Die Bevölkerung aber ist arm geblieben und sogar noch ärmer geworden. Mit dem Ende der Apartheid verloren die Wanderarbeiter ihre Jobs in den Minen, heute hat Lesotho weltweit die höchste Arbeitslosenquote, ja, und auch die dritthöchste AIDS-Rate weltweit. Ein sterbendes Land.


„Kingdom in the sky“, wie Lesotho aufgrund seiner geographischen Lage genannt wird, „Königreich im Himmel“ ... Wie wahr.

Thatos Erzählung ist eine Geschichte der Liebe und der Hoffnung. Ihrer Liebe zu Christian, dem Entwicklungshelfer aus Deutschland. Einer Liebe für zwei Wochen, ein Signal der Hoffnung, die Thato bis heute nicht aufgegeben hat.


Nicht ganz zehn Jahre ist es her, dass mir Thato die so erregende und doch so schmerzliche, größte Liebe ihres Lebens geschildert hat.


Gemeinsam mit ihr habe ich sie aufgeschrieben. Wie oft musste ich sie dabei trösten, sie in meine Arme schließen, diese kleine, mutige Frau mit ihren wachen, verträumten und doch so energischen, warmen Augen. Und diesem kleinen, kugeligen Bäuchlein, auf das sie so stolz war.


Beim Lesen der Aufzeichnungen haben wir beide geweint, Tränen der Freude, Tränen tiefer Trauer und Enttäuschung.


Dass ich Thatos Erzählung aus der Ich-Perspektive widergebe, war ihr ausdrücklicher Wunsch. „Ich habe nie ein Tagebuch geführt, Andrea“, sagte sie mit ihrem offenherzigen, treuen Blick, „aber besser hätte ich selbst meine Gefühle und meine Erlebnisse nicht schildern können.“ Und dann, nach einer kurzen Pause, in der sie meine Hände fasste und mit ihrem Daumen zärtlich über meine Handrücken rieb: „Bitte! Bitte, schenk' mir mein Tagebuch, es ist ein Teil meines Lebens.“


Ich zögerte nicht eine Sekunde, sah auch nicht den geringsten Anlass, ihr diese Bitte zu verwehren. Es war ihre Geschichte, sie gehörte ihr, ihr alleine.

Bis gestern. Bis zu diesem Brief aus Lesotho. Thatos Brief, der mich bis ins Mark erschütterte:


„Liebe Andrea, hier ist Thato. Du weißt sicher noch, wer ich bin. Mbeki ist gestern neun Jahre alt geworden, und ich kann die Fragen nach seinem Vater kaum noch ertragen. Hast du Christian mittlerweile gefunden? Bitte melde dich doch noch einmal, es ist schon so lange her. Ich arbeite seit zwei Jahren in einem Waisenhaus für Kinder von AIDS-Opfern. Wir sind so dankbar, dass wir von euch aus Deutschland das Geld dafür bekommen. Ich kann aber Mbeki nicht weiter belügen! Er ist doch so anders als die anderen Kinder hier. Er ist Christian so ähnlich, von Jahr zu Jahr mehr. Ich weiß nicht mehr weiter. Seit Christians Abreise habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er wollte doch hierhin kommen, mit mir leben. Ich kann Mbeki auch weiter alleine groß ziehen, aber er fragt immer öfter nach seinem Vater. Der hat sich nie mehr gemeldet. Andrea, ich brauche deine Hilfe, ihn zu finden, all meine Versuche waren so vergeblich. Alle Briefe kommen zurück, manche erst nach Monaten. Bitte, hilf mir! Deine Thato.“

Ich kam mir so schäbig vor.


So feige.


Mein Herz raste, während sich die Bilder der Vergangenheit wie Blitze in mein wirres Hirn bohrten, der Brief aus meinen Fingern glitt, ich mich an der Lehne der Couch abstützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.


Scheiße! Scheiße! Scheiße!


Der Brief, mein Versprechen.


Lesotho, so weit weg, und jetzt so nah, dass mich das Pendel der Erinnerung traf, wie ein Schlag mit dem Schmiedehammer.


Thatos Tagebuch?


Immer noch in meinem Nachttisch, die Urschrift, meine Handschrift, Thatos Leben in meiner Schublade. Zwischen Unterwäsche, Nylons und – na, ja, meinem kleinen, goldenen Freudenspender. Den Dildo hätte ich in diesem Moment gegen die Wand schleudern mögen, als ich die immer wieder in meinem Privatesten vergrabene, gelbe Kladde aus der Schublade fingerte und las:


„African Love-Story.“


Den Titel hatte ich nur für mich hinzugefügt, damals, ohne Thatos Wissen.


Ihr aktueller Brief war weit weg, als ich mich rücklings auf mein Bett legte und zur zweiten Seite blätterte, der authentischen:

1. Februar. Heute sollen die neuen Gäste aus Deutschland kommen. Zwei Männer unserer Partnerorganisation, ein Geologe und ein Landwirtschafts-Experte. Sie werden sicherlich sehr enttäuscht sein.


Den Garten, den Holger vor vier Jahren mit unseren Frauen in Mohales Hoek angelegt hat, gibt es nicht mehr. Das letzte Jahr war sehr hart, es hat nicht mehr geregnet. Und dann kam dieser Winter. Ein einziger, furchtbarer Regentag hat genügt, um all diese fremden Früchte wegzuspülen: Bohnen, Tomaten, Möhren, Kartoffeln, Zwiebeln – das kannten unsere Frauen nicht. Bei uns gibt es seit jeher nur Mais, Kohl und Pfirsiche, aber auch die sind weg. Alles wurde weg gespült. Der Garten ist eine Wüste, seit diesem Regentag herrscht Dürre, die Erde ist weg.


Khouri, mein Chef, konnte die Frauen nicht überzeugen, den Garten wieder anzulegen. Sie warten auf ihre Männer, die mineworker, doch von denen hören die meisten oft über Monate nichts. Sie schicken nicht mal Geld.


Neulich gab es ein großes Meeting in Mohales Hoek, eine Dorfversammlung. Einige Frauen wollten den Garten wieder aufbauen, so, wie es ihnen der Leburo gezeigt hat. Leburo, das sind bei uns die Weißen, es ist eher ein Schimpfwort für die Südafrikaner. Khouri hat die Frauen unterstützt, doch gegen den Dorfältesten, den Morena, hat selbst ein so gebildeter Mann wie er keine Chance. ,Wir müssen unsere Tradition bewahren, die große Geschichte unseres Volkes', hat der Dorfälteste gesagt, und mit „Khotso, Pula, Nala“ – Frieden, Regen und Wohlstand – jede weitere Diskussion im Keim erstickt. Sein Wort gilt. Es ist ihm egal, ob die Frauen und ihre Kinder hungern, er selbst beansprucht das Wenige, was noch da ist. Ich hasse diese alten, verbohrten Männer, sie werden eines Tages unser Untergang sein ...

Die Kladde mit Thatos Aufzeichnungen glitt aus meinen Händen. Wie Recht sie doch damals schon hatte! Ich las weiter, Thato schrieb im Folgenden aus der Erinnerung:

Khouri hatte es mir überlassen, die beiden Neuen aus Deutschland vom Flughafen in Maseru abzuholen. Ja, Flughafen. Irgendwie musste ich immer lachen beim Anblick dieser riesigen Flugfelder und der mickrigen Propellermaschinen, die darauf landeten. China, so hieß es, hätte unserem Volk dieses Tor zur Welt gestiftet – zu welcher Welt?


Einer Welt, von der wir nichts hatten. Ja, zwei-, dreimal am Tag kamen die Leburos aus Südafrika, nur zum Vergnügen, Glücksspiel und Huren. Alles, was bei ihnen verboten war. Früher war es ein Hilton, später umbenannt in Lesotho Sun, ein Luxus-Hotel, in dem Frauen unseres Landes nur zugelassen waren, wenn sie sich prostituieren wollten. Mindestens sechs von zehn Mädchen aus meiner Klasse gingen regelmäßig ins Sun, ich fand das einfach nur widerlich. Sie prahlten und protzten mit dem Geld der Leburos, mein Gott, wir waren doch noch Kinder mit 13, 14 Jahren. Elisabeth, meine beste Freundin, gehörte auch dazu, mit 15 hat sie sich umgebracht, im Sun, in der Badewanne eines dieser Schweine. Mit seinem Jagdmesser hat sie sich die Pulsadern aufgeschnitten, während der Kerl schnarchend in seinem Bett lag. Ihre Leiche verschwand, ihr wurde nicht einmal ein Grab gegönnt. Sie war ja nur eine Nutte, Abschaum.


Unsere deutsche Partnerorganisation hatte jedenfalls darauf bestanden, angesichts der zunehmenden Unruhen in der Hauptstadt, dass Christian und sein Kollege Marcel erst einmal im Lesotho Sun untergebracht werden sollten. Das gefiel mir gar nicht, und zu dem Slogan der Deutschen – Hilfe zur Selbsthilfe – passte es auch nicht. Warum sollten sie nicht bei uns wohnen? Wir sind sehr gastfreundlich, auch wenn wir wenig haben.


Ich fühlte reichlich Groll in meinem Bauch, als die Fokker-Friendship aus Johannesburg in Maseru landete. Die Maschine mit den neuen Herren aus Europa. Dabei wusste ich bereits vorab, dass Christian, der Landwirtschaftsexperte, nur zwei Wochen bleiben würde, dann sollte Holger zurückkommen. Männer, immer nur Männer. Die saßen stundenlang mit den Morenas zusammen, großes Palaver, viel Geld ... Die Frauen wurden zur Feldarbeit gezwungen, dicke Frauen, Kinder auf den Rücken gebunden, die Spitzhacke schwingend – was für ein schönes Fotomotiv für unsere deutschen Geldgeber. Und dann noch der Molilietsane, unser traditioneller Trillergesang – wunderbar exotisch ...

Beim Lesen dieser Zeilen erinnerte ich mich, dass ich bereits damals Thato in ihrem eifernden Redefluss unterbrochen hatte, weil ich nicht so recht begriff, worauf sie hinaus wollte. Sicher, sie wollte eine Frau als Entwicklungshelferin, eine Frau, die sich der Situation annehmen würde, als Europäerin vielleicht etwas zum Positiven bewirken könnte, aber das war ja meine Aufgabe, dafür war ich da. Wer konnte denn ahnen, dass ich nach sechs Wochen wieder abreisen musste, weil mir diese starrköpfigen Morenas die Zusammenarbeit verweigerten?


Ich überlas einige Absätze, zwei, drei Seiten. In diesem Moment waren sie mir nicht wichtig, obwohl sie mir im Nachhinein vielleicht den einen oder anderen Hinweis gegeben hätten, warum ich als Frau damals an den Dorfvorstehern gescheitert war. Feige davongeschlichen mit dem Versprechen, jemand zu finden, den ich nicht einmal kannte. Den Kollegen einer anderen Hilfsorganisation. Meine Güte, es gibt doch so viele davon. Ich las weiter:

Ich hatte keine Illusionen, als die beiden aus dem Flugzeug stiegen. Zwei arrogante Besserwisser, hatte ich vermutet, ich steckte voller Vorurteile. Überhebliche Schlipsträger, die als Erstes nach dem Boy rufen, der ihr Gepäck ins Hotel transportiert. Aber das, so hatte mir Khouri aufgetragen, sollte meine Aufgabe sein. Der Boy war ich, und das machte mich wütend.


Um so mehr war ich überrascht von diesen beiden blonden Jünglingen, die da mit wackeligen Beinen von der Gangway stolperten und sich unsicher, ja fast ängstlich nach allen Seiten umschauten. Ich entschloss mich, doch etwas freundlicher zu sein, trat an das Fenster der Empfangshalle und winkte ihnen zu. Oh, nein. Christian sah mich, schaute aber erst einmal nach hinten, begriff nicht, dass ich ihn meinte. Zaghaft erwiderte er schließlich meinen Gruß, und ich konnte selbst aus der Ferne sehen, wie das Blut in seinen Kopf schoss. Wie süß! Wie wollte so ein schüchterner Junge mit unseren Morenas zurecht kommen?


Marcel war eher klein und hager, Christian schlank und groß. Sein Hemd hatte er fast bis zum Bauch aufgeknöpft, seine haarlose Brust glänzte, und auch auf seiner Stirn standen dicke Schweíßperlen. Ich weiß nicht mehr, warum mich Christians Erscheinungsbild so sehr faszinierte, er war mir gleich auf den ersten Blick sympathisch.


Als er mich dann mit „Khotso, Me“ begrüßte, musste ich schmunzeln. Eigentlich hätte ich „E, Ntate“ antworten müssen, das ist unsere traditionelle Begrüßungsformel: Friede, Mutter – Ja, Herr ...


Oh, wie sehr ihn mein Grinsen doch verunsicherte. Und seine Hand, die er mir zum Gruß reichte, triefte vor Nässe, meine aber auch. Aber es war mir nicht unangenehm, im Gegenteil.


„Schön, dass du unsere Landessprache kennst“, lachte ich, „aber wir können uns in Englisch unterhalten. Ich bin übrigens Thato Massite, Extension Field Officer. Ich bringe euch jetzt erst einmal ins Hotel, und am späten Nachmittag hole ich euch zur ersten Lagebesprechung ab.“


Christians Antwort überraschte mich auf sehr angenehme Weise: „Warum müssen wir eigentlich im Hotel wohnen? Das behagt mir gar nicht.“


Noch ehe ich antworten konnte, fiel ihm Marcel ins Wort: „Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, dass die Dienstwohnung derzeit renoviert wird, und du bist ja eh nur zwei Wochen hier."


Von einer Renovierung wusste nicht einmal ich etwas, warum hatte mir Khouri nichts gesagt? Das war nicht in Ordnung, ich würde ihn gleich zur Rede stellen.


Während Marcel und Christian ihr Gepäck auf der Ladefläche unseres Land-Cruisers verstauten, machte ich die beiden Gäste mit den elementaren Sicherheitsregeln vertraut. Dazu gehörte das grundsätzliche Verriegeln der Tür während der Fahrt und auch die Vorschrift, alle Fenster geschlossen zu halten, zumindest in der Stadt. Die Zahl der Überfälle auf offener Straße war einfach zu groß.


Dass ich es dann war, die uns alle – zumindest aus Marcels und Christians Sicht – in Gefahr brachte, wusste ich in dem Moment noch nicht. Doch die vier mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten, die auf dem Kings-Highway eine der seltenen Verkehrskontrollen durchführten, hätten mir sehr unangenehm werden können, denn ich hatte keinerlei Papiere dabei. Und auch kein Geld, um uns vor stundenlangen Verhören zu bewahren.


Also dachte ich nicht weiter nach, schrie: „Runter mit den Köpfen!“ und gab Vollgas. Der Blick in den Rückspiegel verriet mir, dass wir diesmal Glück gehabt hatten ...


Marcel hatte sich als Erster wieder gefasst: „Bist du eigentlich voll bescheuert?!“


Christian sagte gar nichts, trotz der Hitze war er leichenblass. Meine Erklärung, dass die Polizisten, je nach Laune, auch geschossen hätten, konnte die beiden Deutschen nicht beruhigen. Sie hatten nicht geschossen, und damit war der Fall erledigt. „Ach“, grinste ich, „bei uns gehen die Uhren etwas anders als bei euch in Europa ...“

Oh, Thato! Ich legte die Kladde erneut ab, erinnerte mich daran, wie ich diese wunderbare Frau erlebt hatte. Selbstbewusst und auch ein Stück weit verrückt. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, musste es gleich durchgesetzt werden, auf Biegen und Brechen. Wenn ihr die Argumente ausgingen, setzte sie ihren Charme ein. Und wer konnte diesem entwaffnenden Lächeln widerstehen ... Sie hatte sich verliebt, schon auf dem Airport.

Christian war immer noch ganz blass um die Nase.


„He“, lachte ich ihn an, „Männer haben doch keine Angst, oder etwa doch?“


Er schien immer noch nicht in der Lage, ein Wort über die Lippen zu bringen, stammelte aber dann so etwas wie: „Du bist echt wahnsinnig!“


Hörte ich da etwa eine Spur von Anerkennung in seiner Stimme. Oh, ja, auch er grinste mich schelmisch an, atmete einmal tief durch, und dann – hey – lag plötzlich seine rechte Hand auf meinem Knie. Mmh. Diese Hitze schien meine Jeans zu verbrennen, aber es waren so wohlige Wellen, die mir wie elektrische Impulse unter die Haut gingen. Erschrocken über seine unbewusste Annäherung wollte er die Hand zurückziehen, doch ich hielt sie zurück: „Lass' nur, das ist schön.“


Marcel, der hinten saß, bekam von alledem nichts mit, er schaute immer nur nach hinten, offenbar in Sorge, dass uns die Polizisten vielleicht doch noch verfolgen würden.


Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Ich kannte Christian nicht mal eine Stunde, und doch spürte ich so ein wohliges, warmes Kribbeln in meinem Bauch. Ein Gefühl, das ihr Europäer, glaube ich, Schmetterlinge nennt.


Ganz behutsam begann ich, mit meinem Daumen über seinen Handrücken zu streicheln. Er schaute mich mit großen Augen an, aber das war kein Staunen, nein, das war ein tiefer, durchdringender Blick, der die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern brachte. Und nicht nur die. Die Hitze seiner Hand brachte auch meinen Schritt in Wallung, die Nässe, die ich spürte, war alles andere als Schweiß.


Ich wollte ihn haben, am liebsten sofort. Was war nur los mit mir? Gier, weil ich seit zwei Jahren keinen Mann mehr gehabt hatte? Nein, es war mehr. Ich hatte mich bis über beide Ohren verliebt. In Christian. Ja, es war Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte ihn gefunden, ich wollte ihn.


Aber er? Wenn er mich nicht wollte? Wenn er nur mit meiner Liebe spielte? Berechnend war, wie all diese Leburos, die zu Hause Frau und Kinder sitzen haben und einfach mal eine Schwarze vögeln wollen. Wir sind ja auch so exotisch. Ich musste an Elisabeth denken, meine Freundin.



Ich würde einen Weg finden, Christian von diesem Hotel fern zu halten. Ich wollte nicht, dass er dort absteigt. Er könnte doch bei mir wohnen, schließlich hatte ich eine eigene Wohnung, na, ja, klein, nur ein einziger Raum. Selbst wenn Christian auf meinen Vorschlag eingehen würde, was sollte dann Marcel dazu sagen?


„He, Thato, alles in Ordnung mit dir?“, riss mich Christian aus meinen Gedanken.


„W.w..waas?“


„Du wirkst so nachdenklich.“ - Wow, seine Stimme klang so anders als vorhin, sie war voller Zärtlichkeit. Und er machte auch keinerlei Anstalten, seine Hand zurückzuziehen.


Erst, als sich Marcel zu uns wandte: „Puh, wir werden nicht verfolgt. Du bist völlig verrückt, Thato, mach' so was bloß nie wieder!“


„War doch halb so wild“, erwiderte Christian, „Thato weiß, was sie tut. Schließlich ist sie hier zu Hause.“


Ich musste schmunzeln, aber Marcel konnte sich noch nicht beruhigen: „Spinnst du eigentlich, die hätten uns um ein Haar erschossen!“


„Nein“, mischte ich mich ein, „die hätten nicht wirklich geschossen. Ich wollte euch bloß ein bisschen Angst machen. Ihr seid doch hier bei den Wilden, oder?“


„Blödsinn!“, knurrte Marcel, „wir haben keine rassistischen Ressentiments. Meinst du, wir würden sonst als Entwicklungshelfer arbeiten?“


Da hatte er sicherlich Recht. Aber ich mag es mitunter, mit vermeintlichen Ressentiments zu kokettieren, und ich setzte noch eins drauf: „Habt ihr uns denn keine Bananen mitgebracht?“


Christian gab mir einen leichten Knuff mit dem Ellenbogen in die Rippen, und dann mussten wir alle drei laut lachen.


Mich überkam ein beklemmendes Gefühl, als ich den Wagen durch das große Portal in den Hof des Lesotho Sun steuerte. Unseren dreckigen, verbeulten Landcruiser zwischen all den auf Hochglanz polierten Nobelkarossen mit den gelben, südafrikanischen Kennzeichen. Hier konnte ich Christian doch nicht abliefern, und auch er schaute eher konsterniert, fasste sogar meine Hand, als wir das Foyer betraten. Bah, diese Blicke des Personals, die mich förmlich entkleideten, zumindest hatte ich dieses Gefühl. Elisabeth war mir so nahe in diesem Moment. Ich schüttelte Christians Hand ab, wäre am liebsten gleich wieder geflohen – mit ihm ...


Dass mir das Schicksal aber so wunderbar in die Karten spielen würde, das hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Durch einen glücklichen Zufall war keine Reservierung für die beiden eingegangen! Dem Leburo an der Rezeption war das höchst peinlich, mir nicht. Das Hotel sei ausgebucht, bestenfalls sei noch ein kleines Einzelzimmer frei, das binnen weniger Minuten hergerichtet werden könne. Marcel und Christian waren wie verdattert, ich aber übte mich in gekünstelter Empörung – das kann doch nicht sein, das ist doch unglaublich und so weiter - doch der Leburo beachtete mich nicht einmal.


„Und jetzt?“, war Marcel ratlos.


Ich wusste Rat. „Einer von euch“, erklärte ich scheinheilig, „kann bei mir wohnen. Ich habe zwar nur eine kleine Wohnung, aber sie ist für zwei Personen groß genug ...“


Spürte ich da einen Anflug von Freude in Christians Gesicht? - Ja!


„Bleib' du hier im Hotel“, sagte er zu Marcel, „ich brauche diesen Luxus nicht. Wenn ich ehrlich sein soll, fühle ich mich hier auch gar nicht so wohl.“


Von allen anderen unbemerkt fasste ich seine Hand, drückte sie ganz fest, spürte seinen zärtlichen Gegendruck.


„Wir holen dich am späten Nachmittag ab“, zwitscherte ich Marcel zu, dessen Gepäck bereits aufs Zimmer getragen wurde. Er konnte gar nichts mehr erwidern, folgte seinem Boy.


„Wow, das war knapp“, seufzte Christian erleichtert, als wir wieder im Wagen saßen und ich den Riegel der Wegfahrsperre löste.


„Was war knapp?“


„Nun, ich meine, ich finde ...“


„Was gibt’s da zu stottern?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, fasste ich seinen Kopf und drückte ihm einen sanften, flüchtigen Kuss auf den Mund, erschrak aber selbst über mein dreistes Vorpreschen. „Entschuldige!“


„Du musst dich nicht entschuldigen“, entgegnete Christian, „aber es ist, ich meine, kann es denn sein ...?“


„He, was ist mit deinem Englisch los“, grinste ich ihn an, „was hat dir die Sprache verschlagen?“


„Du!!“ - Dabei wandte er sich mir zu, schaute mir tief in die Augen. „Thato“, sagte er mit bebender Stimme, „kann es sein, ich meine, na, dass ich mich in dich verliebt habe?“ Er schluckte tief, ich konnte förmlich den Kloß sehen, der sich durch seinen Hals zwängte.


Ich aber blieb ruhig, verbarg mein vor Freude hüpfendes Herz und wechselte, ohne auf seine Worte einzugehen, rasch das Thema: „Christian, ich möchte dass du fährst, du musst dich ja schließlich an den Linksverkehr gewöhnen.“


Der Ärmste war völlig irritiert. Wir Frauen können so gemein sein. Ich wollte ihn noch ein bisschen zappeln lassen. Er sah so süß aus, wie er mit stierem Blick hinter dem Steuer saß, Schweißperlen auf seiner Stirn. Es war ja nicht nur der Linksverkehr, auf den er sich konzentrieren musste. In Maseru gibt es keine Verkehrsregeln, ich weiß bis heute nicht, warum wir überhaupt Ampeln haben. Christian schwitzte wie ein Schwein. Er fluchte, zeterte, schimpfte, pöbelte.


Ich machte mir keine Sorgen. „Christian“, sagte ich mit ruhiger Stimme, „hier gilt das Recht des Stärkeren. Du musst dich nur darauf einlassen.“


„Du hast vielleicht Nerven“, keuchte er, „das ist die Hölle!“


Dass er bis in die Haarspitzen unter Spannung stand, stellte ich daran fest, wie erschrocken er zuckte, als ich meine Hand zärtlich über sein Bein streichen ließ.


„Christian, weißt du was?“


„Was denn, verdammt noch mal?!“ Er war wirklich genervt.


„Christian, ich liebe dich.“


„W.w..waas?“


„Ich ... liebe ... dich!“


Das war vielleicht nicht gerade der passende Moment, doch mit Christians Reaktion konnte selbst ich nicht rechnen. Wie ein Irrer rammte er seinen Fuß auf die Bremse, und es ist nur unseren im Chaos erprobten Autofahrern zu verdanken, dass es zu keinem Unfall kam. Das Hupen und Fluchen störte ihn nicht. „Sag' das noch mal.“


„Was meinst du?“ - Ich konnte ein richtiges Biest sein. Er hatte meine Worte doch genau verstanden.


„Was du eben gesagt hast ...“ Etwas Flehentliches lag in seinem Blick.


„Ich hab' nichts gesagt, warum fährst du nicht weiter?“


„Du scheinheiliges ...“


„Scheinheiliges Was?“ Ich hätte dieses Spiel noch stundenlang weiter treiben können. Warum nahm er mich nicht endlich in den Arm? Hatte er Hemmungen wegen seines Schweißes? Ich weiß, dass ihr Europäer da etwas anders tickt, aber es war doch seiner, und ihn liebte ich, ihn wollte ich haben ...


Endlich!


„Thato“, erklärte er feierlich, „ich liebe dich auch.“


„Ist das wahr?“


„Ja, ich liebe dich.“


„Warum küsst du mich dann nicht?“


„Weil, weil ...“ - Dass er jetzt seine Achsel zur Nase führte, das hatte ich fast schon erwartet.


„Weil du stinkst!“, beendete ich seinen Satz, „und ich stinke auch. Wenn dich das so stört, dann ...“


„Nichts dann, meine Liebste“, säuselte er.


Endlich überwand er seine Scheu, fasste meinen Kopf, streichelte zärtlich über meine Schläfen, rieb mit seinen Daumen über meine Wangenknochen, schlang seine Hände um meinen Hals ... Ich wusste nicht, wie mir geschah, noch nie hatte mich ein Mann so zärtlich berührt, so sanft. Ich schloss die Augen, fühlte seine Lippen auf meinen Lidern, mein Gott, ich war elektrisiert bis in die Zehenspitzen, wollte seinen Mund, seine Lippen, seine Zunge, seinen Geschmack. Er war so zurückhaltend, so behutsam und doch gleichzeitig so fordernd. Ich hätte wahnsinnig werden können vor Erregung, unser erster Kuss, er zelebrierte ihn wie ein Fest. Ja, es war ein Fest, wie unsere Münder miteinander verschmolzen, unsere Zungen miteinander spielten, so zärtlich, so vertraut ...

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Kommentare


andreashava
(AutorIn)
dabei seit: Feb '09
Kommentare: 94
andreashava
schrieb am 17.08.2009:
»Erst einmal danke ich euch allen für die tollen Kommentare. Ich hatte im Vorfeld große Zweifel, die Geschichte überhaupt bei sevac einzustellen, weil es eben keine Sex-Geschichte ist. Es war ein Experiment, dass ich nach den ersten Tagen schon als gescheitert betrachtet habe, obwohl mir persönlich die Story sehr am Herzen liegt.
Dass die "Pointe" für einige auf der Hand liegt, anderen aber ganz und gar nicht verständlich ist, hat mich aber letztlich dazu veranlasst, an einer Fortsetzung zu arbeiten, die ich in den nächsten Wochen fertigstellen werde. Dass es kein "platter Erklärungsversuch" wird, darf jede(r) erwarten, der oder die meine Geschichten in den letzten Monaten so ein bisschen mitverfolgt hat.
Dass eine Geschichte ohne explizite Sex-Szene auch auf einem Sex-Board ihre Freunde findet, macht mir Mut. Auf Lit, wo ich vor einiger Zeit alle meine Geschichten gelöscht habe, hätte ich die "African Love-Story" nie im Leben präsentiert.
Dir gegenüber, Heinz Adlerswald, habe ich sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich dir vor geraumer Zeit Lit empfohlen habe. Mittlerweile, denke ich, hast du auch das erfasst, was ich selbst leider auch erst sehr spät erkannt habe. Dass ich mit dem Frauenbild, das du in vielen deiner Geschichten vermittelst, auf Konfrontationskurs stehe, das weißt du ja. Umso mehr hat mich dein Kommentar zu ausgerechnet dieser Story gefreut. Letztlich dürfen wir alle nicht vergessen, dass wir allesamt HobbyautorInnen sind, die ihre Freude an erotischen Geschichten mit anderen teilen möchten. Und, manchmal auch eine Botschaft haben, die ein bisschen tiefer geht als die rein erotische Komponente. Ein derartiges Experiment war meine für Einhandleser völlig ungeeignete "African Love-Story".
Eure Kommentare jedenfalls haben mich überzeugt, dieses Experiment fortzusetzen.
Noch einmal vielen, vielen Dank dafür.
LG Andrea«

aweiawa
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 214
aweiawa
schrieb am 11.08.2009:
»Thato ist eine vom Leben wirklich nicht verwöhnte Frau. Auf einem vom Glück nicht gerade heimgesuchten Kontinent. In einem Land der Tränen und des Leids. Dass auch dort, mitten im Elend die Liebe gedeiht, Menschen zueinender finden können, die unterschiedlicher kaum sein können, zeigst du uns eindringlich. Mit Sympathie für deine Protagonisten und der Portion Humor, die eine solche Geschichte auszeichnen muss, damit sie nicht im Chaos versinkt. Danke für diese Story, die uns in ein fernes und fremdes Land entführt. Und das Ende deiner Story ... ist einfach nur meisterhaft.
LG
Elmar«

mondstern70
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 441
Mondstern
schrieb am 13.08.2009:
»Hi Andrea,
wieder eine ganz tolle Geschichte, die du da geschaffen hast. Die Schluss-Pointe hat was :-)
Sehr realistisch kam die Szene mit der Zwangsprostitution rüber, ein Thema wo ich echt ko... könnte.
Sauber recherchiert, gibt es einen guten Einblick in ein Land, wo frau nicht wirklich aufwachsen will ...
Aber auch sehr viel Gefühl, die deinem Titel alle ehre macht. Weiter so! :-)

Wertungen im Bereich "Sonstiges" sind leider mit den drei Auswahlpunkten etwas ungünstig. Wenn "Erotik" nicht den beiden anderen Kriterien angepasst wird, haut's das vote in den Keller.
Ich möchte dich weiter ermutigen hier Geschichten einzustellen, die nicht unbedingt dem Sevac-Mainstream entsprechen. Sie werden auch gelesen - gern gelesen :-)
LG Mondstern

«

ottii
dabei seit: Nov '00
Kommentare: 4
schrieb am 17.08.2009:
»hi andreashava

von mir gibt 1000 punkte für diese sensible, realistische geschichte.
auch wenn ich jetzt probleme mit dem schluss habe, (ich hab nicht geschnallt, welche botschaft überbracht werden muß) bin ich begeistert von der story.
vielleicht klärt mich noch irgendjemand darüber auf.
mein vorschreiber schreibt von "pointe" - also ich find die nicht - *g

weiter so, und möglichst bald

otti«

Adlerswald
dabei seit: Feb '01
Kommentare: 166
Adlerswald
schrieb am 17.08.2009:
»Sehr sensibele und einfühlsame Geschichte, wie sie nur eine Frau schreiben kann. Ich kam dabei ins Träumen und das will viel heißen. Danke liebe Andrea ! «

kara0815
dabei seit: Dez '03
Kommentare: 7
Kara0815
schrieb am 18.08.2009:
»Das war mal was völlig anderes. Ich bin mir nicht sicher, ob das hier die richtige Plattoform ist, aber daß mehr als 800 Leute zumindest die Geschichte angeklickt haben gibt Dir mehr als Recht.

Der Schreibstil und die Storyline sind außergewöhnlich gut; daß die Erotik hier etwas kurz kommt liegt in der Natur der Sache..

Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzung!

Du gehörst jedenfalls zu meinen Faves hier!

Danke für die Geschichte!«

Leichtgewicht
dabei seit: Mär '10
Kommentare: 279
Leichtgewicht
schrieb am 08.12.2010:
»Schwierig zu beurteilen wie bei allen Geschichten unter Sonstiges.
Inhalt und Stil sind klasse. Stellenweise manchmal vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen. Aber sonst habe ich nichts zu meckern. Außer vielleicht der mir unbegreiflich niedrigen Bewertung von etwas über 7.«

torven137
dabei seit: Dez '10
Kommentare: 53
Crazy Diamond
schrieb am 20.01.2011:
»Berührend.«

Pitoe
dabei seit: Feb '05
Kommentare: 211
schrieb am 01.03.2012:
»Diese African Love Story einfach sensationell. Ich habe Teil 2 vor Teil 1 gelesen.
Wow. Wow. Allergrößten Respekt für die Autorin. Ja so geht es, Geschichten zu schreiben.«



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