All diese Jahre
von Nucleus
Adaption des Countrysongs
„All these years“
von Sawyer Brown.
‚Ich werde José umbringen.’ Nachdem ich den ganzen Vormittag damit verbracht hatte, die Druckmaschine wieder in Gang zu bringen, damit die Samstagsausgabe der Morgenpost pünktlich erscheinen konnte, lud mich mein Chef zum Essen beim Mexikaner ein. Eigentlich wollte ich nur ein Brötchen essen, da Maike abends für mich kochte.
‚Aber nein, mein knurrender Magen ließ sich zu schnell überzeugen. Oh, wie ich das bereute.’
Irgendetwas musste in Josés Küche mit dem Chili schiefgelaufen sein. Jetzt lag mir das Essen wie ein Stein im Magen. Die Krämpfe waren kaum noch auszuhalten. Schweißtropfen standen mir auf der Stirn, als ich zum Telefon griff.
„Jens, komm’ rauf, schreib du den Bericht. Ich muss nach Hause, mir ist nicht gut.“
„Carsten, du arbeitest zu viel und außerdem lebst du ungesund. Kennen dich deine Leute zu Hause überhaupt noch?“ Jens schob mich mit einem
„ ... Und fahr vorsichtig, is Scheißwetter draußen“, aus der Tür.
Jetzt war mir nicht nur kotzübel, sondern mit meiner Stimmung ging es auch noch bergab. Jens’ Bemerkung traf einen wunden Punkt. Seit dem Betriebsfest vor einem Jahr, bei dem ich mich hemmungslos unter den Tisch gesoffen hatte, konnte sich jedermann ein Bild vom Zustand meines Familienglücks machen. Es war mir ziemlich peinlich, von der eigenen Frau ins Auto gezerrt zu werden. Aber das war nicht das Einzige. Ich bekam nicht nur am nächsten Tag die Leviten gelesen, sondern es herrschte für Wochen eine betäubende Einsilbigkeit im Haus, wenn überhaupt ein Wort gesprochen wurde. Gut, dass ich meine Arbeit hatte.
‚Ob Maike schon zu Hause war?’
Ihr Auto war in Reparatur, aber es fuhren regelmäßig Busse über Land. Einkaufen wollte sie und dann zu ihrem VHS-Kochkurs, wie jeden Freitag. Normalerweise wäre ich erst um Sieben zu Hause, aber heute, dank Josés Kochkünsten, schon zwei Stunden früher. Ein Kamillentee und mit einer Wärmflasche auf dem Bauch würde ich es auf der Couch aushalten, bis Maike aus der Stadt zurück kam. Ruhe tat bestimmt gut. Vielleicht ging es mir danach besser.
Unsere Kinder waren in einem Alter, in dem sie mehr Zeit bei ihren Freunden verbrachten, als zu Hause. Maike hatte große Mühe die entstandenen Löcher im Tagesablauf zu stopfen. Zwar gab es in den Sommermonaten Arbeit und Abwechslung durch unsere Ferienwohnung im umgebauten Stallgebäude des Hofes, aber in dieser Jahreszeit verirrten sich kaum Touristen in unsere Gegend. Maike beschwerte sich oft darüber, dass sie nicht mehr ausgelastet sei. Die Langeweile würde sie auffressen. Diese Langeweile spürte ich gelegentlich.
Schließlich fand sie im Katalog der Volkshochschule einen Kochkurs für asiatische Küche. Da sie auch mit ihrem Laptop gut umgehen konnte, druckte sie die Ergebnisse ihrer Kochkünste auf fantasievolle Speisekarten, die sie dann für mich an den Kühlschrank heftete.
Heute würde ich sie enttäuschen müssen, denn mein rebellierender Magen zeigte sich jedem Versuch von Nahrungsaufnahme gegenüber feindlich.
---------------------------------------------
She likes adventure with security
And more than one man can provide
---------------------------------------------
Nach der endlosen Geraden, vorbei an den monströsen Windparks, tauchte endlich der Ortsrand unseres Dorfes auf. Alte Bauernhäuser duckten sich hinter dem Deich und die schwere Brise fegte über die Dächer. Die blattleeren Äste der Trauerweiden, die die Einfahrt unseres Hofes säumten, peitschten das Dach des Hauptgebäudes. Eigentlich wollte ich sie schon lange gefällt haben und durch Hecken ersetzen, aber die örtliche Naturschutzbehörde bestand auf die Rechte der alten Bäume.
‚Vielleicht schneide ich ich sie vor der nächsten Vegetationsperiode einfach gut zurück, dann machen sie nicht mehr so viel Dreck. Wenn sie dadurch eingehen würden, wäre mir das auch recht.’
Als ich in die Einfahrt bog, bemerkte ich einen silbergrauer BMW vor meiner Garage.
‚Oh, vielleicht doch ein Gast, der die „rauhe Zeit“ bei uns an der Küste schätzte. Aber warum hatte mir Maike nichts gesagt?’
Ich fuhr auf den Gästeparkplatz hinter dem Haus. Der Weg durch den Hintereingang war sowieso der kürzeste zu einer komfortablen Toilette. Mein Magen brachte sich zunehmend in Erinnerung.
Der Regen ließ nach. Als ich die Hintertür öffnete, roch ich schon das Abendessen.
Sie war also doch schon zu Hause.
Der Duft von exotischen Gerüchen verursachte bei mir diesmal kein Wohlbefinden und ich beschleunigte meinen Schritt zur Toilette. Als ich an der Küche vorbeikam, stand ihr Laptop zugeklappt auf dem Tisch und am Kühlschrank hing die Speisekarte für heute Abend. Von ihr war weder etwas zu hören noch zu sehen. Auch aus dem Kellergeschoss, wo wir einen Fitnessraum eingerichtet hatten, tönte keine Musik herauf. Sie nutzte ihn immer, wenn sie mit ihrer Hausarbeit fertig war. Deshalb sah man ihr die dreiundvierzig Jahre nicht an. Sie konnte leicht mit jeder zehn Jahre jüngeren Frau mithalten. Auch die Geburten unsere Kinder hatten keine sichtbaren Spuren an ihrem Körper hinterlassen.
Bevor wir uns kennenlernten, war sie als Leichtathletin sehr aktiv und wäre fast in den Olympiakader gekommen, hätte sie sich in der Vorbereitung nicht so schwer verletzt. Sie kam darüber hinweg und konzentrierte sich auf ihr Studium. Sie studierte für ein Lehramt und wollte anschließend als Sonderpädagogin arbeiten. Ich glaube, ihre Entscheidung wurde durch ihren Bruder beeinflusst, der geistig behindert war und dem damals nicht die Möglichkeiten der Rehabilitation offen standen, wie sie heute zur Verfügung stehen.
Ich dachte nicht weiter darüber nach, wo sie sein konnte, als ich den Türgriff zur Toilette niederdrückte. Sie erledigte ihre Tagesroutine und diese fand ohne mich statt. Das war für mich kein Grund zur Besorgnis. Ich schätzte die Selbständigkeit meiner Frau. So, wie das Wasser existierte, oder die Luft, die wir einatmeten. Selbstverständlichkeiten, die niemand in Frage stellte.
- Und gleichzeitig war es nicht so. -
Geräusche drangen aus dem Obergeschoss. So intensiv, dass sie mich in meinem Vorhaben stoppten. Vertraute Töne, wie das Knacken der Dielen, das Ticken der Standuhr, oder das Gluckern in den Rohren der Heizung. Nach einer gewissen Zeit kannte man sie alle. Sie gehörten zum Leben, waren Bestandteil der Atmosphäre, die uns umgab und zu unserem Wohlbefinden beitrug.
Lustvolles Stöhnen einer Frau, ab und zu unterbrochen von einem Grunzbariton.
‚Das fremde Auto vor meiner Garage!’, jetzt ergab es einen Sinn. Kein Späturlauber. Kein Einbrecher, der so doof gewesen wäre, sein Auto so auffällig abzustellen. Ein Einbrecher war es, aber in einem anderen Sinne. Er brach in mein Leben ein.
Die Tür stand einen Spalt breit offen und ich konnte in der Dunkelheit nur Schatten ausmachen, die sich unter der Decke bewegten. Ich glaube, sie ahnte, dass ich da war, noch bevor ich den Lichtschalter betätigen konnte. Ich registrierte eine rhytmische Bewegung über ihr. Das sanfte Stöhnen veränderte sich, klang einen Moment lang wie ein Klagelaut.
„Carsten ...“, ein Aufschrei kam aus ihrem Mund. Dem Mund, den ich mehr als tausend Mal geküsst hatte. Im grellen Licht der Beleuchtung, feuerrot von den Küssen des fremden Mannes. Des Mannes, der sich in geschmeidigen Bewegungen über meiner Frau auf und ab bewegte. Ich war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Mein Magen, meine Därme brachten sich schmerzhaft mit einer Umdrehung in Erinnerung.
------------------------------------------------------------
She said, „You’re not the man you used to be ...“
He said, “Neither is this guy …”
------------------------------------------------------------
Nein, ich war nicht mehr der Mann, der ich einmal war. Jetzt wusste ich, warum mich am Morgen ein schlechtes Gefühl befallen hatte.
Zehn Kilo schwerer, auf dem Kopf deutlich weniger Haare, dafür umso grauer. Meine Hände schwielig von der Arbeit. Der Mann, den sie damals geheiratet hatte, war jung, sportlich und liebte das Abenteuer. Diesen Mann hatte Maike den anderen Frauen vor der Nase weggeschnappt.
Jetzt stand ich hier in der Tür, dachte daran, wie oft ich mit den Kollegen ein Bier nach der Arbeit trank und keinem Streit aus dem Weg ging. Der gleiche Mann ließ Maike im letzten Jahr vor dem heiligen Abend allein zu Hause, verbrachte die Nacht in einem Hotel, um über Möglichkeiten einer Trennung nachzudenken. Der gleiche Mann kam mit schlechtem Gewissen nach Hause zurück, um nicht zu verpassen, wie die Kinder die Geschenke auspackten.
Nein, ich war nicht mehr der Mann, der ich einmal war und dieser schicke Jüngling mit dem erbärmlichen Zipfel zwischen den Beinen könnte es niemals sein. Davon war ich überzeugt.
Seine feindlichen Blicke schienen mich durchbohren zu wollen, als er sich das Hemd in die feine Anzughose steckte und seine Krawatte band. Ich würde nie so sein, wie er, der Mann, der in seine teuren Lederschuhe schlüpfte. Ich hatte nicht diese weichen Hände, nicht diesen Lebensstil. Ich wollte ihn auch nicht haben.
Was sah sie in ihm?
Ich beobachtete ihn sehr genau aus dem Türrahmen heraus, als er mir sein Gesicht zuwandte. Er konnte meinem Blick nicht standhalten, schaute schnell auf den Boden.
„Ich rufe dich an“, murmelte er in Maikes Richtung.
„Nein, das wirst du nicht“, ich versperrte ihm den Weg durch den Türrahmen, stützte mich mit beiden Händen ab.
„Was du jetzt tun wirst, bestimme ich. Und ich bestimme, dass du jetzt aus dem Haus gehst. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich einfach gehen lasse. Hau ab, solange du es kannst, wage dich nicht, meine Frau noch einmal anzufassen. Und solltest du ...“
Ich zog tief Luft ein, schluckte den Kloß in meiner Kehle, meine schwieligen Hände ballten sich zu harten Fäusten ...
„Wenn ich dich hier noch einmal sehe, höre, oder dich auch nur rieche, dass du dich in der Nähe meines Hauses, meiner Familie ...“
Ich ließ die Drohung unvollendet im Raum stehen und beobachte seine Augen, wie sie die Lücke zwischen Türrahmen und mir anvisierten.
Meine Arme sanken herunter, ich ging einen Schritt zurück, wies ihm den Weg Ich lud ihn ein, den Raum zu verlassen und unterdrückte mein Bedürfnis, ihn die Treppe hinunter zu stoßen. Hätte ich mit meinen Kollegen vorher ein Bier getrunken, vielleicht ...
Nein, er war es nicht wert, eine Anzeige wegen Körperverletzung zu riskieren. Ohne zurück zu schauen, glitt er an mir vorbei. Kein Wort, keine Geste der Entschuldigung.
Erst als ich die Haustür schlagen hörte, wendete ich mi
Um weiterlesen zu können, musst Du Dich einloggen. | ||
Passwort vergessen? |
Anmeldung und Nutzung sind kostenlos. Um die angezeigte Geschichte weiterlesen zu können, ist kein Altersnachweis notwendig, da es sich um eine erotische Geschichte handelt (nicht pornografisch!). Die Anmeldung dauert keine zwei Minuten.
Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 18
Nucleus
War ein Versuch, Tyami. Inhaltlich lassen sich amerikanische Geschichten nicht so einfach in's Deutsche übertragen. Die gesellschaftlichen Umstände setzen sich leider etwas anders zusammen, als die europäischen. Insofern habe ich dadurch etwas gewonnen: Erkenntnis.
Danke dir für deine Einwände.«
Kommentare: 8
BritUClaus
Kommentare: 28
Sam Bronx
Kommentare: 5
Kommentare: 31
Kommentare: 22
Kommentare: 106
tyami takez
Schöne, einfühlsame Alltagsgeschichte, und trotzdem fällt mir uneingeschränkter Applaus schwer. Stilistisch gut, wenn auch nicht fehlerfrei, dramaturgisch - ach, ich weiß nicht.
Vielleicht liegt es am allzu klischeehaften "Bösewicht" oder daran, dass man schon bei José ahnt, wohin die Reise geht, vielleicht auch an den nicht immer zeitgerechten biografischen Einsprengseln, dass die Geschichte nie richtig Fahrt aufnimmt. Alles klingt ein wenig wie ein Sturm im Wasserglas, was in dem Fall - Form und Inhalt - aber freilich auch deiner Intention entsprechen könnte.«
Kommentare: 79