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Kommentare: 11 | Lesungen: 3047 | Bewertung: 8.57 | Kategorie: Soft Stories | veröffentlicht: 22.04.2012

Almrausch. Ein Heimatfilm.

von

Anstelle eines Vorspanns:


Diese Geschichte widme ich einem lieben alten Kollegen, der auch in diesem Board zu finden ist und der mich vor Jahren auf den depressiven und zynischen Charakter meiner Geschichten verwies, und meiner Mutter, die mich für die Berge begeistert hat. Vielleicht war ja beides nicht ganz umsonst.


Orgasmen wird es keine regnen. Wem der Sinn nach einer deftigeren Hüttenjausn steht, der sei diesbezüglich auf die kürzlich hier erschienene Geschichte „Tiroler Bergsilvester“ meines geschätzten Landsmannes Helios53 verwiesen. Anders, aber doch in manchem ähnlich.

Und damit Vorhang auf.

[/// \]

Es gibt gute Tage, es gibt schlechte Tage. Und dann gibt es solche, an denen fährt das Leben mit dir Achterbahn.

Ich saß am Steuer meines alten Mazda und wartete auf dem hässlichsten Parkplatz der Welt, direkt hinter dem Studentenwohnheim, in das jetzt, nach den Sommerferien, wieder die ersten Gäste einzogen. Auf wen ich wartete, wusste ich nicht genau, sie hieß Gitte und war Rainers Kusine oder so ähnlich, aber das war in dem Fall scheißegal, weil es wartete ja nicht Rainer, sondern ich. Denn er hatte Besseres zu tun. Und mit jeder Minute, die verstrich, wurde das Bessere besser, und meine Blödheit noch mehr greifbar. Wieder mal verarscht worden. Ach.

Das Erste, das ich von ihr im Rückspiegel sah, war ein hellroter Wollpulli, offensichtlich selbstgestrickt. Nicht Pink oder Rosa, sondern in der Farbe von blühendem Almrausch, und so riesig, als müsste er eine gesamte Karawane beherbergen. Gitte hingegen war klein und sehr kompakt gebaut, ein Barockengelchen mit pechschwarzer Pumucklfrisur. Auch ihr Gesicht erinnerte ein wenig an die Comicvorlage, mit den markanten Vorderzähnen und der etwas zu runden Nase. Und sie gehörte zu der Sorte Frauen, die dreckige Jeans aus tiefster Gewohnheit und nicht aus stilistischen Erwägungen trug.


Mich wunderte, dass Rainer solche Menschen überhaupt wahrnahm, selbst wenn sie zur engeren Verwandtschaft gehörten. Rainer, der in der Firma nur sein eigenes parfümiertes Klopapier benutzte und vor Verlegenheit fast starb, wenn er in der Kantine mit Menschen zusammentraf, die nicht aussahen, als wären sie eben aus einem Modejournal desertiert. Etwas stimmte da nicht. Ich stieg aus, in der Hoffnung, mich geirrt zu haben, aber wer guckt sich schon mit einem Rucksack am Buckel planlos Autos an? Die konnte nur zu uns gehören.

„Du musst Hans sein.“ Es klang halb nach Frage, halb nach Befehl. Vor allem aber klang es nach Verzweiflung pur. „Tut mir leid, ich renn schon das achte Mal um den Block und such einen roten Mercedes.“


„Mazda. Mir kannst du keinen Stern klauen“, erklärte ich geduldig. Frauen und Autos, na ja.


„Rainer hat Mercedes gesagt“, widersprach sie so heftig, dass ich zusammenzuckte. „Das da ist ein Mazda MX-3, wahrscheinlich die Version mit DOHC-Motor. Zwei meiner Brüder sind Mechaniker, aber Rainer kennt sich halt hinten und vorn nicht aus.“


Ich vermied es peinlichst, den Zulassungsschein zu ihrem Fachwissen zu befragen, ein Mann hat seinen Stolz. Immerhin gab es für Rainer auch gute Gründe, uns hier absichtlich Verstecken spielen zu lassen, trotzdem passte die Beschreibung zu ihm. Die Kleine bekam einen Sympathiepunkt gutgeschrieben, auch deshalb, weil nichts an ihre Verwandtschaft erinnerte.


„Und du nimmst mich wirklich mit?“ Ihre Stimme hatte diesen leicht devoten, aber rotzfrechen Unterton, der Mädchen vom Lande so eigen ist, und ich brauchte nicht viel Fantasie, um zu ahnen, dass sie nach Kuhstall roch.


„Eigentlich warte ich seit einer Dreiviertelstunde drauf.“ Ich versuchte, nicht zu grummelig zu klingen, aber Verstellung ist nicht meine Stärke.


„Tut mir echt leid“, sie senkte den Blick und gab sich Mühe, schuldbewusst auszusehen. „Wie kann ich es wieder gut machen?“


„Indem du einsteigst.“

Die Fahrt in die Berge war anfangs sehr nett. Den Autoradio brauchte ich nicht, ich hatte Gitte. Bis wir von der Autobahn abfuhren, kannte ich so ungefähr jede Facette ihres Lebens, dazu das der gesamten Familie und des halben Kaffs, aus dem sie stammte. Sie war vor kurzem zweiundzwanzig geworden und studierte Biologie, aber es fehlte an Zeit und Lust und Geld, also grundelte sie durchs Leben und schlug sich von Nebenjob zu Nebenjob. Kam mir bekannt vor. Rainer hatte versprochen, sich um sie zu kümmern, und irgendwas stank dabei ganz gewaltig. Er kümmerte sich nur um Menschen, um sie zum Erreichen seiner Ziele zu benutzen. Natürlich hatte sie mir unabsichtlich ein gewaltiges Delay verpasst, aber das allein erschien mir zu wenig. Immerhin, so nahm ich an, würde sie sich in den nächsten Tagen an seinen Hals hängen. Aber wieso sollte er genau das wollen?

„Du bist völlig anders, wie Rainer erzählt hat“, stellte sie plötzlich fest.


„Danke.“


„Und ihr fahrt wirklich gemeinsam auf eine einsame Berghütte? Nur mit seiner Chefin?“ Beinahe landeten wir im Gegenverkehr.


„Mit unserer Chefin!“ Ich brüllte fast, und dann schwiegen wir beide peinlich berührt. Was hätte ich ihr auch erzählen sollen? Mädel, wir sind beide scharf auf sie. Na ja, doch ein wenig, obwohl mir die Vorstellung nicht immer behagte. Vor allem ging es um den Endkampf zwischen Rainer und mir. Wir hassten einander, seit sich unsere Wege getroffen hatten, weil wir uns gegenseitig die Arbeit klauten. Und damit auch Christa klauten.


Obwohl sie nur ein paar Jahre älter war als Gitte, besaß ihr Wort in der kleinen Agentur, für die wir beide als Werbegrafiker arbeiteten, bereits viel Gewicht. Sie kümmerte sich um die Projektplanung und um uns Freelancer, hatte für jede Frage eine einfache, brauchbare Lösung und war der netteste, aber zugleich härteste Schleifer, den man sich vorstellen konnte. Meine Unpünktlichkeit, meine Zerstreutheit und meine Behäbigkeit nervten sie, und ich war oft froh, nach einem Tag mit ihr eine Auszeit zu bekommen. Trotzdem mochten wir uns gut leiden.

Auch meine Entwürfe gefielen ihr, nur leider sah das bei Rainer ähnlich aus. Mal fuhr sie mit ihm zu einer Besprechung, mal mit mir, und selbstverständlich verdrehte sie uns dabei ständig den Kopf. Das Flirten gehörte einfach zu Christas täglicher Lebensroutine. Nach einer Firmenparty, bei der wir uns fast geprügelt hatten, beschlossen Rainer und ich ausnahmsweise gemeinsam, endlich reinen Tisch zu machen. Ein Duell, wie es sich nur richtige Männer ausdenken konnten, nach fünf Bieren, notgeil wie Stallkarnickel und am Ende ihrer psychischen Belastungsgrenze.


Deswegen fuhr ich nun mit einem halben Tag Verspätung und Anhängsel Richtung Innergebirg.

„Schwarzach“, murmelte Gitte, um nur endlich wieder den Mund zu öffnen. „Dann sind wir fast schon da, oder?“


„Hm.“ Ja, wir hatten mehr als die halbe Strecke hinter uns. In Ordnung, zwei Drittel. Trotzdem war es ein schöner Schock gewesen, als mich das Handy morgens um halb neun aus dem Schlaf riss.


„Hallo, hier Christa. Wir sind schon in Schwarzach beim Kunden, und Rainer meinte, wir könnten dann ja gleich ...“ Den Rest verschluckte das Blut, das durch meine Ohren rauschte. Aber ja, Gitte, wie schön, und um sechzehn Uhr abholen, aber gern. Wieder mal war die Falle zugeschnappt.

„Du bist bös auf mich, oder?“ Gitte hielt den Kopf gesenkt, nicht schüchtern, eher wie ein Kampfstier in der Arena, der merkt, dass es langsam richtig zur Sache geht.


„Ich bin sauer auf Rainer.“ Die Kleine war nett und konnte nichts dafür, dass sie als Verschubmasse missbraucht wurde. Trotzdem fühlte ich mich, als hüpfte ich im Kartoffelsack und mit verbundenen Augen durch ein Minenfeld. Ich hing an dem Job und wollte nicht wieder Regale einräumen wie damals, bevor ich von meiner Arbeit leben konnte. Und dann war da eben Christa, die jetzt mit Rainer am Seeufer hockte, die Abendstimmung genoss und seine gezuckerten Lügen fraß. Es passte wieder mal alles perfekt.

Gitte trug den Kopf immer noch sehr tief, als wir den Taleingang passierten. Sie schwieg so auffallend, dass nunmehr ich begann, ihr ein wenig die Gegend zu erklären, um nur die Stille nicht mehr hören zu müssen. Immerhin war mir der Ort, an dem die Entscheidung fallen sollte, gut vertraut. Ich hatte ihn ja ausnahmsweise vorschlagen dürfen, damals in dem kleinen Nachtcafé, in dem wir unseren großartigen Plan für diesen dämlichen Entscheidungskampf ausheckten. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass Rainer Christa dazu überredete, ich wollte es einfach nicht erwarten. Und nun lag er bereits um mehrere Kopflängen vorne.


Die Berge empfingen mich stoisch in der untergehenden Sonne, ihr vertrauter Anblick gab mir Ruhe. Genau die galt es jetzt zu bewahren. Noch hatte er nicht gewonnen. Hoffentlich.

Es dunkelte bereits, als wir uns an den Aufstieg machten. Das Gespräch war wieder mühsam in Gang gekommen, und Gitte fühlte sich nicht wohl beim Anblick der Zweitausender ringsum. Sie stammte aus dem Flachland, und obwohl sie tapfer das Tempo hielt, krochen wir viel zu langsam den steinigen Weg entlang, der uns zum Beginn unserer Tour führte. In Gedanken raste ich schon auf die Hütte zu, die in den nächsten beiden Tagen unser Zuhause sein sollte, achthundert Meter über uns, aber im richtigen Leben trennte uns noch ein Zweistundenmarsch. Ach, drei Stunden Schneckengang, wenn nichts passierte. Und dann nur noch am See entlang und ...

„Ist es noch weit?“ Sie keuchte schon bedenklich, und ich rief zur Sicherheit meine Kenntnisse in Ersthilfe ab und hoffte, dass sich niemand daran erinnern konnte, uns gemeinsam gesehen zu haben. Ihre Chancen, wenn sie jetzt umkippte, lagen knapp über Null.


„In ein paar Minuten sind wir beim Einstieg.“ Ich hatte nicht gewusst, dass meine Stimme zu solcher Resignation fähig war und deutete nur stumm auf den dicht bewaldeten Felshang, der vor uns in den Himmel ragte. Dass wir da oben knapp die Hälfte des Weges geschafft hatten, behielt ich vorerst lieber für mich.


Wie erwartet dauerte es lange, so lange, dass meine Füße vom Stehen bald mehr schmerzten als vom Laufen. Ich hatte mich in Gedanken bereits auf ein gemütliches Notbiwak im Wald eingerichtet, als wir endlich die halb verfallene Bank erreichten, die das Ende des Steilstücks markierte.


„Ab jetzt wird es etwas flacher.“ Keine Angst, die Axt ist frisch geschliffen, sagt der Henker. Gittes Gesichtszüge entgleisten im Dutzend.


„Ich bin fix und foxi“, schnaufte sie. „Und noch immer viel zu fett.“ Der Pulli war längst am Rucksack gelandet, ihr dünnes Hemd konnte die Berechtigung ihrer Selbstvorwürfe nur spärlich kaschieren und war von diversen Problemzonen zum Bersten gespannt. In der Wahl zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit entschied ich mich mannhaft für den dritten Weg.


„Rasten wir mal. Ich hab dich wohl doch zu sehr gehetzt.“

Als wir weitergingen, sahen wir kaum noch bis zur übernächsten Baumreihe. Gitte hatte ihre gute Laune völlig eingebüßt und wirkte wie jemand, der nach Hause vor die Glotze gehörte. Sie stolperte ihrem hängenden Kopf hinterher, und es dauerte nicht lange, bis sie auf dem Bauch lag. Kein wilder Sturz, sie hatte einfach eine Wurzel übersehen und sprang auch gleich wieder auf, aber dennoch bestand ab dem zweiten Schritt kein Zweifel daran, dass sie jämmerlich hinkte. Ich blieb so abrupt stehen, dass sie fast gegen meinen Rucksack taumelte.


„Scheiße“, murmelte sie kleinlaut und balancierte auf dem gesunden Fuß.


Ich besah mir ihren Knöchel, so gut das ging. Wir besaßen eine einzige Taschenlampe ohne Ersatzbatterien, weil ich mal wieder alles verpennt hatte, und noch lag ein schönes Stück Weges vor uns. Als der Erfahrenere musste ich eine schnelle Entscheidung treffen, sonst wurde es langsam eng. Bestimmt hatte Gitte Schmerzen, doch sie konnte den Fuß belasten, und ihr verbissenes Nicken erleichterte mir den Entschluss. So viel Auswahl gab es ja nicht.

„Gib mir deinen Rucksack“, knurrte ich. „Und sag, sobald du eine Pause brauchst. Meinetwegen sollen es zwanzig werden.“


Damit schleppten wir uns weiter. Ich zog oder schob sie über die steileren Stellen, so gut es ging, und oft mussten wir halten, während meine Taschenlampe wie ein Suchscheinwerfer nach der nächsten Markierung tastete. Mit den beiden Rucksäcken am Leib schwitzte ich wie ein Schwein, aber zugleich fror ich und verfluchte mich in Gedanken für meine Dummheit, ich verfluchte Rainer und Christa und Gitte und jeden, der mir einfiel. Selbst Gott verfluchte ich, aber nicht so direkt, weil wir ihn noch bitter benötigten. Als sich der Wald nach Ewigkeiten lichtete, bat ich alle demütig um Verzeihung, mit Ausnahme von Rainer und mir.

Kurz darauf standen wir am Ufer des Sees. Es war immer ein eigentümliches Gefühl, nach dem Aufstieg hinüber zur Hütte zu sehen, aber diesmal empfand ich ehrliche Dankbarkeit. Auch dafür, dass drüben ein schwaches Licht brannte und jemand wartete, selbst wenn er Rainer hieß und das größte Arschloch der Welt war. Gitte hatte nach und nach wieder Tritt gefasst und den gesamten Weg ohne weitere Rast absolviert, und ich kramte dafür ein paar meiner galantesten Komplimente aus dem Hirnkasten. Leider gehört Charme nicht zu meinen herausragenden Charaktermerkmalen, und sie war zu erschöpft für jegliche Antwort. Dennoch teilte sie meine Gefühle, wie ein Blick in ihre Augen bestätigte.

„Na endlich“, empfing mich eine zum Wahnsinn vertraute Stimme, und damit erschien Rainer in der Tür. Er trug einen himmelblauen Trainingsanzug, der aussah, als wäre er eben von der Maßschneiderei geliefert worden. Mit dem blonden, sorgfältig nach hinten gekämmten Haar, das seinen hohen Stirnansatz betonte, wirkte er wie ein gestrenger Turnlehrer, der die Ankunft seiner beiden hoffnungslosesten Schüler registrierte. Es fehlte nur die Trillerpfeife um den Hals. Das hochmütige Gesicht lud mich wie ständig dazu ein, meine Faust darin zu platzieren, aber ich unterließ es aus taktischen Gründen.


Rainers nörgelnden Tonfall kannte ich allerdings aus den Momenten, wenn etwas nicht nach seinen Ideen lief. Hinter ihm lugte Christa hervor, schelmisch grinsend wie stets, aber ordentlich frisiert und bekleidet. Einige Horrorszenarien in meinem Kopf zerrannen spurlos ins Nichts.


„Er wollte den Begrüßungssekt schon allein saufen“, informierte uns Christa. „Hoffentlich habt ihr Hunger, Durst und gute Laune mitgebracht, sonst könnt ihr gleich wieder gehen.“ Ihre dunklen Augen erzählten mir, dass noch alles im Fluss war, so sah keine Frau aus, die sich gerade unsterblich verliebt hatte. Sie sauste an uns vorbei, sprang barfuß über die steile Holztreppe, rannte hinunter zum Steg.


„Schuhe ausziehen“, befahl Rainer. Ich verbiss mir die Bemerkung, dass ich die Hausregeln besser kannte als er und wärmte mich lieber an seiner schlechten Laune. Er versuchte es noch einmal, diesmal mit der Anweisung, die Rucksäcke ordentlich zur Seite zu stellen, aber ich ignorierte ihn und tat, als müsste ich mich dringend um Gittes lebensbedrohende Verletzung kümmern. Er gab den Zugang zur schmalen Rauchküche sofort frei.


Während ich mir im hellen Schein der Öllampe den Knöchel besah, als wäre ich Paracelsus persönlich, räumte Rainer die zahllosen Kartenstapel vom Tisch. Das Spiel sah aus wie Tarock für Weltraumingenieure, und seine Hastigkeit bestätigte meine Vermutung, dass er fernab der Siegerstraße wandelte. Er war ein extrem schlechter Verlierer, und Spiele, bei denen man die Karten nicht zinken konnte, interessierten ihn nicht. Noch weniger als die angebliche Kusine, für die er nur einen kurzen, giftigen Seitenblick abzweigte.

Mit Christas Rückkehr entspannte sich die Situation ein wenig, und Gitte wurde wieder richtig lebendig. Unwesentlich trugen wohl die Flaschen dazu bei, die Christa aus dem See gefischt hatte, vor allem lag es aber an Christa selbst. Rainer und ich waren abgemeldet, während sich die beiden Frauen, gemeinsam in eine Wolldecke gehüllt, prächtig unterhielten, miteinander tuschelten und lachten und uns spüren ließen, welch unglaubliche Gimpel wir waren. Rainer klinkte sich sofort aus und hockte auf seinem Stuhl wie das Denkmal für die beleidigte Leberwurst, Schmollmündchen, Düsterblick und zerfurchte Denkerstirn inklusive, nur ab und zu nippte er mit verhaltenem Zorn an seinem Begrüßungssekt, der ihm nicht recht schmecken wollte. Ich nahm nach wenigen Anläufen zur Kenntnis, dass ich über die Rolle des Zaungastes sowieso nicht hinauskam, und beschäftigte mich mit Essen und Trinken. Der Rest konnte warten.

Mit der Sattheit kam die Müdigkeit, und die hellen, plappernden Stimmen verstärkten ihre Wirkung. Alles gut, nichts passiert. Christa schenkte mir ab und zu einen prüfenden Blick, der mich innerlich aufrüttelte. Ich setzte mich wieder aufrecht hin und tat, als lauschte ich ihren Weisheiten über Kochrezepte und Männer.


„Mal wieder was Verrücktes tun“, ließ sich Christa vernehmen, laut genug, um ihre Worte an alle zu richten. Sie sah über ihre Schulter hinweg zum Fenster, hinaus auf den See. Schlagartig war ich wach. Ich wusste, was folgte, noch ehe sie den Mund geöffnet hatte. „Die Damen haben beschlossen, jetzt Nacktschwimmen zu gehen.“


„Nachtschwimmen“, verbesserte Gitte entrüstet, und Christa, schon leicht angeheitert, schenkte ihr ein Grinsen Marke Jetzt wird es dreckig, Schwester.


„Nackt Nachtschwimmen gehen“, säuselte sie. „Ihr dürft aber mitgehen.“


„Ausnahmsweise“, schob Gitte nach. Sie hatte das Saufen mit Sicherheit auf Dorffesten gelernt, wo man es mit dem Vertragen nicht so genau nimmt. Schon gar nicht bei Mädels, die sowieso keiner in seinem Bett braucht, weil sie nicht zum Angeben taugen. Als ich sie ansah, drehte sie störrisch den Kopf zur Seite und fiel fast von der Bank, weil Christa sie samt Decke mit in die Höhe zog.


„Dann mal los.“ Ich folgte den beiden mit angemessenem Abstand, und ehe ich über die Schwelle ins Freie trat, hörte ich, wie sich Rainer erhob.

Christa war die Erste, die sich auszog. Es war noch kühler geworden, kaum über fünf Grad, und sternklar. Ich fror sogar in meiner Strickjacke, aber Christa kannte keinen Pardon. Ihre Haut war nicht makellos, aber gründlich gebräunt, was ihre sportliche Figur noch betonte. Sie posierte nicht, aber sie zögerte keine Sekunde, ehe der Bra zwei feste Halbkugeln freigab, und verdeckte auch nicht, dass der Slip ihr scharf getrimmtes Schamhaar nicht länger verbergen durfte. Sie stand einfach nur da und lachte uns Weicheier aus. Gitte war erst bei der Unterwäsche angelangt und genehmigte sich einen kleinen Zwischenstopp. Ihr kurzer Blick auf Christa hob mit Sicherheit nicht das Selbstvertrauen.


„Komm“, Christa klopfte ihr auf den Arm. „Vergiss das Mädchen.“ Damit drehte sie uns den Rücken zu, und selbst jetzt grinste vom linken Schulterblatt her ein kleines Sonnengesicht. Trotzig riss sich Gitte die letzten Textilien vom Leibe, ohne mich anzusehen. Sie trug eine Jungenunterhose, und mir fiel ein, dass die beiden Nächstälteren ihrer sechs Geschwister männlich waren. Ihr Leben bestand wohl auch nicht nur aus Sonnenschein mit Zuckerguss. Ihr schneeweißer Hintern schwabbelte ein wenig, als sie Christa hastig folgte, aber der Großteil ihrer Kurven sah besser aus als erwartet. Ich bemerkte, dass ich hinter ihr her starrte.


Irgendwo im Dunkel lauerte Rainer, gekränkt über die Unmöglichkeit der Situation. Rainer tat so etwas nie, unter keinen Umständen. Sich zum Clown zu machen, noch dazu vor Frauen. Es lag nur an mir, was sich daraus entwickelte. Als ich den Gedanken durchgespielt hatte, hielt ich die Wäsche in der Hand. Mein gutes Stück war erbärmlich klein vor Kälte, und es würde im See bestimmt nicht wachsen.


„Lasst ihr auch Mädchen mitspielen?“, ich watete ins eiskalte Nass und spürte, wie sich die Haut zusammenzog. Christa prustete los. Was sie belustigte, wollte ich lieber nicht wissen.


„Bestimmt nicht“, ein halber Schwall Wasser empfing mich. „Ihr heult ja doch gleich.“


Ich musterte Gitte. Sie fror noch mehr als ich, stand da wie ein Golfball auf kurzen Beinen und bedauerte sichtlich, dass sie nur zwei Arme besaß, um ihre Blößen zu bedecken.


„Lustig, nicht?“, raunte ich ihr zu, doch sie schaute so jämmerlich zurück, dass sich mein Gewissen regte. Ich hob bedauernd die Schultern, ehe ich auf Christa zusteuerte.


„Wusste gar nicht, dass du so ein wilder Hund bist, Frau Chefin.“


„Danke gleichfalls.“ Sie stand breitbeinig im Wasser, das ihr jetzt schon bis unter ihren knackigen Apfelpo reichte. Auch sie trug eine Gänsehaut und ging in kleinen Schritten, aber das Ziel lag zweifellos weiter draußen. Viel weiter draußen, so gut kannte ich Christa. Ihr Blick ruhte drüben auf dem Felsen, der etwa dreißig Meter entfernt steil ins Wasser abfiel. Es galt als Mutprobe, dorthin zu schwimmen, noch viel mehr nachts. Jeder, der hier im Wasser stand und hinüber sah, wusste das, auch wenn es ihm niemand erzählte. Nichts für Leute mit schwacher Konstitution und schwachem Herzen, eher für diejenigen, die gewohnt sind, der Welt täglich im Vorbeigehen in den Arsch zu treten. Menschen wie Christa eben. Und ich. Oder?


„Ich geh wieder raus“, murmelte Gitte kläglich, aber meine Gedanken hatten sich längst in Christas verhakt. Sie drehte mir noch immer den Rücken zu und beugte sich ein wenig vornüber, um mir ein paar tiefere Einblicke in ihre Schatzkammer zu gewähren. Meine Hormone beendeten auf der Stelle ihren Kältestreik, selbst die Blutzufuhr in völlig vernachlässigte Regionen kam wieder in Gang, nur das Hirn hatte die Steuerung über die Augen verloren. Dann hatte sich Christa vom Grund abgestoßen und nahm Kurs auf den Steinbrocken, mit schnellen, kontrollierten Bewegungen, die bewiesen, dass sie ihre Badezeit gewöhnlich nicht in Whirlpools vertrödelte.

Ich hatte mich keinen Illusionen hingegeben und stellte dennoch wenig erfreut fest, wie rasch mir die Kälte den Atem raubte. Etwa ab der Hälfte kämpfte ich gegen Panikattacken, der Rest der Strecke wurde mir schlichtweg geschenkt. Dafür knallte ich mit dem Kopf beinahe in den Stein.


Mühsam zog ich mich auf den Felsen und landete mit dem Gesicht direkt zwischen Christas weit gespreizten Schenkeln. Sie lag auf dem Bauch wie ein gestrandeter Wal und schenkte dem Umstand, dass ich einen sehr tiefen Einblick in den Sinn des Männerlebens bekam, keine Beachtung. Allerdings beschäftigte ich mich selbst vor allem damit, kleine Eiskristalle aus meinen Lungen zu pumpen. Und dennoch hätte ich was dafür gegeben, die Zeit anzuhalten.

Irgendwann drehte sich Christa zur Seite und half mir hoch, und wir klammerten uns aneinander, um nicht sofort wieder abzurutschen. Zu mehr fehlte beiden die Kraft.


„Hab dich unterschätzt“, keuchte sie mir ins Ohr. „Doch kein Schlappschwanz.“


„Manchmal“, röchelte ich. „Wenn es sich lohnt.“


„Mal sehn.“ Sie schwieg, um ein wenig zu Atem zu kommen, doch mir schwante, dass jetzt keine Liebeserklärung folgte. „Dein Komplize hat sich verplappert, also hör gut zu.“ Ich nickte, soweit ich in ihrer Umklammerung dazu fähig war, denn sie drückte meinen Kopf gegen ihre Brüste. „Ich hab nichts gegen eure schwachsinnige Wette, aber ich bin kein Pokal.“


„Wette.“ Mir wurde ein wenig wärmer bei dem Gedanken, dass es aufgeflogen war. Zugleich fiel mir ein, dass Rainer ihr natürlich seine Version der Geschichte gebeichtet hatte. Der Versuch, meinen Schenkel aus ihrer Beinschere zu befreien, scheiterte im Ansatz.


„Bleib liegen und hör zu, hab ich gesagt.“ Sie zwickte mir ärgerlich in die Seite, fest genug, um ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen, und ließ die Hand gleich dort liegen. „Ich such mir meine Männer gern selber aus, klaro?“


„Klaro.“ Die beiden Halbkugeln vor meinen Augen luden mich ein, meinen Mund auf sie zu pressen, um dann langsam weiter zu wandern, hinunter über den schmalen Grat ihres Bauches auf den kleinen bewaldeten Hügel, und weiter zu der versteckten Höhle, deren wunderbares Bild mir immer noch vor Augen flimmerte. Ich zweifelte an Christas Einverständnis, dennoch traf mich ihr nächster Satz wie eine Ohrfeige.


„Also gut. Ich bin eine moderne Frau. Heute Nacht kriegt Rainer eine Chance, mir den Hengst zu machen, morgen du. Das habe ich so beschlossen, also friss oder stirb. Klaro?“


Diesmal benötigte ich länger für die Antwort. Ade, ihr schönen Täler, ade, ihr lichten Höhn, wir werden uns im Leben, niemals mehr wiedersehn. Mein Magen verkrampfte sich. „Klaro.“


„Und du passt inzwischen auf Gitte auf. Sie fürchtet sich allein, das sehe ich.“


„Nur aufpassen? Sonst nichts?“ Christa schmiegte sich noch näher an mich, soweit das überhaupt ging, und ihre Berührungen bekamen einen hoffnungslos frivolen Charakter. Längst war sie wieder im Stande zu grinsen, und sie nützte es, um mir zu zeigen, wer von uns beiden die Hosen anhatte. Rein metaphorisch natürlich. Dass inzwischen etwas Hartes gegen ihre Leiste drückte, blieb unkommentiert, was nicht heißen soll, dass sie dem Umstand keine Beachtung schenkte. Ein prüfender Zeigefinger schob sich langsam über meinen Schaft, um mir unvermittelt in den Nabel zu bohren.


„Was ihr sonst treibt, ist eure Sache. Ich will nur nicht, dass sie wegen eurer blöden Männerallüren zu Schaden kommt. Klaro? Fein. Und jetzt lass uns abhauen, bevor wir erfrieren.“

Es tat weh, als sie mich endlich losließ. Natürlich waren wir beide blau und steif vor Kälte und brauchten eine Weile, bis wir sicher auf den Beinen standen, aber ich hatte mich eben weit mehr verliebt, als mir lieb war. Und so, wie Christa mich behandelte, kam dieses Gefühl vielleicht nicht nur von meiner Seite.


„Ich seh schlecht in der Nacht“, sie zwinkerte mir zu. „Wäre nett, wenn du mir ein wenig hilfst.“


Sie wartete die Antwort erst gar nicht ab, verschmähte meinen ritterlich angebotenen Arm und legte die Hand gleich um meine Hüfte. Die meinige bekam statt der Schulter einen Platz auf ihrer Brust. Wie ein verliebtes Paar tänzelten wir die schmale, rutschige Böschung entlang, während ich mich bemühte, dem Terrain vor mir mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem neben mir. Christa war mir dabei, vorsichtig ausgedrückt, keine große Hilfe und gab mir einen ausgeprägten Vorgeschmack auf die kommende Nacht. Ihre rosigen Nippel standen steif vom Körper ab, bestimmt nicht nur von der Kälte, und rieben bei jeder sich bietenden Gelegenheit über meine Handfläche. Sie atmete ruhig, aber tief, und hielt die Augen halb geschlossen, während ich inständig hoffte, auf dem kurzen Rückweg in ein riesiges Zeitloch zu fallen. Ich verdrängte den Gedanken, dass ich diese wunderbare Frau nun gleich Rainer überlassen musste, aber die Verlässlichkeit, mit der das Bild zurückkam, hätte jedem Bumerang zur Ehre gereicht. Meine Chance kam erst morgen, bis dahin musste ich ihr vertrauen. Blind vertrauen. Sie teilte das Bett ja nur mit dem verlogensten Schleimer der Welt und war, wie sie mich fühlen ließ, in äußerst aufgekratzter Stimmung. Was konnte da schon groß passieren?

Gitte erwartete uns am Ende des Pfades, und Christa gab mich unvermittelt frei und sprang ihr erstaunlich sicher entgegen. Wortlos drückte uns Gitte die Kleider in die Hand und starrte hinaus auf die dunkle Fläche, bis wir uns fertig angekleidet hatten. Ihre Miene war noch kälter als das Wasser, erst als Christa sie an sich zog, entspannte sie sich ein wenig.


„Rainer ist schon ins Bett“, ließ sie uns wissen. „Er meinte, er muss das erst einmal verdauen.“


Christa quittierte die Neuigkeit mit einem vielsagenden Lächeln. „Dann werde ich ihm gleich dabei helfen.“ Ehe ich wusste, wie mir geschah, spürte ich ihre Lippen auf meiner Wange. „Bis morgen, Hans. Ich verlass mich auf dich, klaro?“ Ich stammelte etwas Zusammenhangloses rund um das Wort „Schlaf“, während Gitte ihr Küsschen auf den Mund erhielt. „Dann macht es gut, ihr Turteltäubchen.“ Leichtfüßig sprang Christa die Stufen hinauf, und jeder ihrer Schritte riss einen weiteren Streifen aus meinem völlig zerfetzten Nervenkostüm.

Wir gingen in die Küche. Mein Magen brauchte eine Stärkung, der Geist verlangte nach Alkohol. Viel Alkohol. Gitte folgte schweigend und freudlos und verkroch sich in den hintersten Winkel der Sitzecke. Mein ohnehin angeknackstes Selbstvertrauen sackte noch ein wenig tiefer.


„Entschuldige, was da gerade abläuft“, murmelte ich, ohne zu wissen, warum ausgerechnet ich um Verzeihung bat. Längst war ich nicht mehr Jäger wider Willen, sondern eine Zwischenjause, und fand es viel angemessener, dass mich jemand in den Arm nahm und tröstete. Leider leistete der von mir bevorzugte Jemand gerade meinem persönlichen Dämon Verdauungshilfe.


Gitte starrte durch mich hindurch. Ich fragte mich, womit ich sie so tödlich beleidigt hatte. Gut, ich hatte sie bisher nicht sehr freundlich angefasst, aber ich hatte mich um sie gekümmert. Ich kümmerte mich immer noch, obwohl inzwischen … Nein. Das nicht. Keine Bilder. Sie sah mich plötzlich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen.


„Wenn ich Christa vorher gekannt hätte, wäre ich daheim geblieben. Oder dich,“ sie setzte sich auf. „Es ist alles so … so anders.“


Ich nickte, mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Ob sie sich ihm ebenso an den Hals warf wie mir? Erinnerungen kehrten zurück, Momentaufnahmen. Hatte sie gestöhnt, als sie sich an meinen Schenkel presste? Klar, sie schnaufte dabei, aber das musste ich nicht meiner unwiderstehlichen Erotik zuschreiben. Höchstens ein bisschen. Aber wahrscheinlich hatte sie sich ihrerseits nur einen Spaß daraus gemacht, meine Lust noch weiter zu entfachen, als Rache für unseren schwachsinnigen Plan. Und wollte sie Rainers Eifersucht nur wecken, um ihn zur Höchstleistung anzuspornen? Wer sollte daraus schlau werden? Einzig seine Behauptung, sie wären so gut wie ein Paar, hatte sich wenig überraschend als feiste Lügen erwiesen. Und doch glaubte ein Teil von mir daran, und auf dem Rest loderten noch immer ihre Berührungen wie ein langsam verlöschendes Lagerfeuer.


„Sie ist eine großartige Frau“, ließ sich Gitte vernehmen. Teil eines Selbstgesprächs, unabsichtlich entschlüpft. Sie drehte den Kopf weg, ehe mein Blick sie erreichte.


„Ja.“ Sich kümmern, fiel mir ein. Gitte war kein verschrecktes Kind, und ich hatte sie nicht hierher verschleppt. Na gut, ich hatte sie hierher verschleppt, aber nur, weil es jeder von mir verlangt hatte, einschließlich ihr selbst. „Entschuldige, dass ich ein Arsch bin.“


Sie musterte mich lange, mit verkniffenen Lippen und leicht geröteten Augen, wie mir vorkam. „Du bist kein Arsch. Und hör endlich auf mit entschuldigen, sonst fang ich auch damit an.“


„Gut.“ Brav schluckte ich den nächsten Satz hinunter und probierte den übernächsten. „Geht es dir besser, wenn ich dir erzähle, dass es mir gerade ziemlich Scheiße geht?“


Gittes Kopf knallte beinahe auf die Tischplatte, aber sie hielt im letzten Moment inne. „Nein“, sagte sie ärgerlich. „Nein, das macht überhaupt nichts besser.“

„Ein Stockbett.“ Selbst in der Dunkelheit blieb ihre Entrüstung mit freiem Auge sichtbar.


„Ja.“ Ich tat, als wäre die Wahl des Kinderzimmers eine völlig normale, unserer Lage angemessene Entscheidung. „Oben oder unten?“


„Irgendwas ist bei dir kräftig verdreht. Aber echt.“


„Möglich. Ich kann doch nicht mit Rainers Kusine ...“ Ihr Wutschrei ließ mich verstummen.


„Und ich kann nichts für meine Familie. Außerdem ist er ist mein Onkel. Himmelarsch.“ Ich hörte sie einige Male schlucken, aber ihr Zorn ließ sich nicht hinunter würgen. „Oben.“


Ich ohrfeigte mich in Gedanken noch für meinen letzten Satz. „Geht das mit dem Fuß?“


„Meine Sache“, fauchte sie. „Keine Angst, du musst Rainers fette Nichte nie mehr anfassen.“ Erstaunlich flink kletterte sie die schmale Holzleiter hinauf, ehe ich ihr vorschlagen konnte, vielleicht doch getrennte Zimmer zu beziehen, und ignorierte meinen halbherzigen Versuch, ihr eine gute Nacht zu wünschen.


Das Bett war kleiner und schmäler als in meiner Erinnerung, was vielleicht damit zusammenhing, dass ich inzwischen erwachsen war. Es passte als Abschluss des Tages, und ein wenig passte es auch zu meiner befohlenen Selbstkasteiung. Immerhin hörte ich nirgends im Haus das charakteristische Quietschen alter Holzbetten, kein wohliges Grunzen, keine schrillen Lustschreie. Nicht einmal leises Stöhnen, nur Stille. Was immer auch Christa und Rainer taten, es geschah in völliger Lautlosigkeit, meine Fantasie konnte das freilich nicht einschläfern.

Leises Knarren riss mich aus dem Dahindösen. Es brauchte einige Zeit, bis ich erkannte, woher das Geräusch kam, dafür erwachte ich dann um so schneller. Sie war nicht sehr taktvoll, unter uns unfreiwilligen Spannern gesagt. Immerhin keuchte sie in die Matratze, aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Eigentlich klang es eher nach Fiepen oder Jaulen, verbunden mit einem gelegentlichen Schlag ihres Beckens, der mir deutete, dass sie auf dem Bauch lag und es sich wirklich besorgte. Ab und an war ein unterdrückter Schnarchlaut zu hören, dann wieder kurzes Schluchzen. Ich hüstelte eine Warnung, und die Geräusche erstarben.


Glaubte ich. Einen Augenblick später verdoppelte Gitte die Anstrengungen. Nicht viel lauter als zuvor, aber laut genug, um mir zu zeigen, dass ich für sie nicht mehr existierte. Ich hielt die Klappe, teils aus schlechtem Gewissen, teils aus Neugierde, wie weit das kleine Biest das Spielchen trieb. Rein zur Sicherheit fischte ich eine Socke vom Fuß, während über mir der Soundtrack eines Hardcorepornos lief. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ein braves Landei wie Gitte dabei tatsächlich zum Orgasmus kam, aber das Bild, wie sie sich da oben fingerte, nur um mir eins auszuwischen, reichte für eine herrlich ungemütliche Nacht. Die Erinnerung an Christa hatte sie längst ausgelöscht.

Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase. Ich hatte Seltsames geträumt, von bösen Rittern und tapferen Drachen, die mit einer Art Tennisschläger aufeinander eindroschen, und andere, nicht ganz so schöne Dinge. Es war sehr kühl im Kämmerchen, denn irgendwer hatte vor längerer Zeit zartfühlend die Fenster aufgerissen und sich dann in die warme Küche geflüchtet. Allmählich gelang es mir, Traum und Wirklichkeit zu entwirren, und ich bedauerte, in die falsche Welt geboren zu sein. Erst als mir Christas Versprechen einfiel, wagte ich, die Sicherheit des Bettes zu verlassen. Ich fühlte mich, als hätte ich in einem Einmachglas geschlafen.

Noch ehe ich die Küche erreichte, wurde mir klar, dass ich wieder mal alles verpennt hatte. Christa schob mich freundlich, aber bestimmt aus dem Raum, wobei sie irgendetwas von Frauenmacht am Herd faselte. Gitte nahm meine kurze Anwesenheit nicht zur Kenntnis und zeigte mir nicht nur ihren Rücken, sondern auch, dass ihr an Versöhnung nicht gelegen war. Schlagartig kam mein schlechtes Gewissen zurück, aber ehe ich Worte dafür fand, stand ich vor der Tür. Draußen wartete bereits Rainer, und er wartete offensichtlich auf mich.


„Ich wünsche dir einen wunderschönen guten Morgen, Hans.“ Die doppelte Extraportion Zucker in seiner Stimme flößte mir Angst ein. Wenn Rainer nett wurde, dann ging es ihm entweder gut oder er feilte an einer Intrige. Fast immer Letzteres. Ich erwiderte den Gruß ohne unnötige Verzierungen, aber das bremste Rainers Überschwang keinen Augenblick. Überhaupt gab er sich größte Mühe, zu zeigen, dass er einen neuen Rainer in sich entdeckt hatte, einen viel umgänglicheren Rainer, einen netten Rainer. Ich hätte kotzen können, aber mein Magen war leer.


„Das ist ein herrlicher Tag heute, findest du nicht? Nicht eine klitzekleine Wolke ist zu sehen.“ Mein Blick folgte seinem zum Himmel, und tatsächlich deckten sich seine Behauptungen mit der Realität. Die Sonne bedeckte mit ihren Strahlen bereits einen Großteil des Sees, immerhin ging es längst auf Mittag zu. Nur Rainers Freundlichkeit, so schlecht er sie spielte, behagte mir nicht. Vor allem bezweifelte ich, dass sie vom prächtigen Bergwetter kam.


„Ich wollte ohnedies etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen. Wie du dir vielleicht denken kannst, handelt es sich um meine Nichte. Ähem. Um Brigitte.“ Damit war die Katze aus dem Sack. Umständlich begann er über seine familiären Verpflichtungen zu dozieren, die ihm offenbar über Nacht erschienen waren, und darüber, dass er sich über unsere gegenseitige Zuneigung freute. Zumindest deutete er die Geräuschkulisse der letzten Nacht in diese Richtung.

Zugleich streute er über sein Verhältnis zu Christa, die er zärtlich Chrissy nannte, ein paar vertrauliche Details ein, die mich auf eine harte Probe stellten. Natürlich fanden sich hier genug Plätze, seine Leiche zu verstecken, aber es gab zu viele Mitwisser. Außerdem änderte es nichts mehr. Betäubt wie ein Ochse vor dem Schlachter stand ich da und ließ ihn plappern. Selbst sein eindringlicher Appell, mich gegenüber Gitte nach dieser Liebesnacht wie ein wahrer Kavalier zu verhalten, blieb unbeantwortet. Was sollte ich schon sagen? Nur die Plumpheit seiner Falle erstaunte mich und machte mir zugleich klar, wie wenig Wert er auf Sicherheit legte. Er hatte sein wichtigstes Schäfchen im Trockenen.


Er quatschte immer noch, als Gitte den Kopf aus der Tür streckte. Es gelang ihr ausgezeichnet, zwischen uns hindurch zu sehen. „Essen ist fertig.“


„Danke“, ich nutzte die Chance, dass Rainer endlich die Stiege freigab. Ich rannte nicht, aber ich drehte mich nicht um, auch nicht, als Gitte meinen Namen rief. Es gab keinen Grund mehr, mich mit den anderen an einen Tisch zu setzen.

An der Stelle, an der wir gestern unseren erfolgreichen Aufstieg zelebriert hatten, hielt ich. Die Hütte sah winzig aus, und das verschaffte mir für einen kurzen Moment Befriedigung. Ich hockte mich auf einen Stein, ließ die Beine ins Wasser baumeln und versank in düsteren Zukunftsplänen. Am besten war es wohl, die Stadt zu wechseln, um nicht länger an diese Schmach erinnert zu werden. Regale gab es überall, sogar Agenturen, die halbwegs talentierte Grafiker beschäftigten. Ja, die Idee begann mir zu gefallen, vor allem, weil sie keine Restspuren von Rainer enthielt, auch keine von Christa, die mir nun alles andere wie begehrenswert erschien. Sollten sie doch glücklich werden miteinander, was scherte mich das? Nur wenn ich hinüber zum Felsen sah, schmeckte ich Bitternis. Ob sie jetzt zu dritt in der Küche hockten und über mich lachten?


Ein ältliches Wiener Ehepaar, das den weiteren Verlauf des Wanderweges nicht kannte, schreckte mich aus meinen trostlosen Gedanken, ein jüngeres deutsches Pärchen, das den Weg auch nicht kannte, und ein Einheimischer, der nicht nur genau wusste, wohin er wollte, sondern auch ein paar unglaublich derbe Sprüche auf Lager hatte. Dann hatte ich genug von diesen Begegnungen. Langsam wanderte ich durch das sumpfige Gras auf der gegenüber des Pfades liegenden Seite zum Felsen, immer darauf bedacht, nur ja nicht hinüber zur Hütte zu sehen. Kurz bevor ich mein Ziel erreichte, drehte ich um und ging den ganzen langen Weg rund um den See zurück. Dann war ich bereit zum Abstieg.

Die Tür war abgesperrt. Mir blieb nichts als zu warten, um meinen Rucksack zu holen, aber das löste keine neuen Gefühle aus. Ich setzte mich auf die unterste Stufe und wartete.


Das Räuspern klang verlegen, so, als hätte der Sprecher das erste Wort vergessen. Gitte stand ein Stück hinter mir und starrte knapp an mir vorbei.


„Hallo“, murmelte sie und suchte nach einem Sitzplatz, sorgsam bemüht, die Distanz nicht zu verringern. „Redest du mit mir überhaupt noch?“


„Ja“, befand ich nach reiflicher Überlegung. „Wo ist der Hüttenschlüssel?“


Sie starrte ein tiefes Loch vor meine Füße. „Unter der Treppe. Aber Christa sagte, ich soll dich zur Not anketten, wenn du abhauen willst.“ Sie lächelte gequält, hatte sichtlich erwartet, dass der Scherz in die Hose ging. „Ich … verzeih, dass ich so ein dummes Riesentrottelweib war. Heute Nacht, mein ich.“


„Hm.“ Auch gut, dachte ich, im Grunde war es ja verdient. „Hat es wenigstens Spaß gemacht?“


Ihre Augen wurden noch etwas größer und ihre Wangen sehr viel röter, als sie mich ansah. „Anfangs ja“, gestand sie. „Aber dann war es peinlich.“ Ich nickte, ohne eine Miene zu verziehen. Zu einfach brauchte ich es ihr dann auch nicht zu machen.


„Sie sind kurz weg“, fuhr sie fort. „Große Aussprache. Aber du sollst war...“


„Wohin?“, fauchte ich, und Gitte deutete erschrocken auf den Pfad, der vom See weg ins Hochgebirge führte. Natürlich konnten die beiden überall hingegangen sein, aber ich verwettete im Geiste einen Kopf und einen Arm, dass ich ihren Aufenthaltsort kannte. Wenn die Sache schon so lief, dann konnte sie auch ein Ende mit Schrecken haben. Im Geiste sortierte ich noch einmal alle Beleidigungen, die ich ihnen gleich in die Fresse pfeffern wollte. Ich war es ja gewohnt, hier den Hampelmann zu geben, aber jetzt langte es dann doch. Gitte folgte mit großem Abstand.

Die Jagdhütte lag kaum zehn Minuten oberhalb des Sees, und von hier aus verzweigten sich mehrere Wege auf die Gipfel im Umkreis. So versteckt, wie sie zwischen den Büschen lag, gab es kaum einen besseren Platz für geheime Aussprachen und andere Liebesschwüre. Die beiden hatten es nicht sonderlich auf Tarnung angelegt, Rainers Trainingsjacke leuchtete schon von weitem durch die niedrigen Latschenkiefern. Doch je näher ich kam, desto sinnloser erschien mir die Konfrontation. Ich nahm nicht an, dass sie mich entdeckt hatten. An Rainers großspurigen Gesten war zu erkennen, dass er ihr schon vom neuen Eigenheim vorschwärmte, oder wonach ihnen sonst der Sinn stand. Alles, was ich jetzt tat, war lächerlich, aber es erschien einfacher, meine Lächerlichkeit alleine auszuleben. Also zweigte ich ab, hinauf auf den Bergkopf, der direkt über dem See thronte. Es war kein langer Marsch, vielleicht eine halbe Stunde, aber es tat gut, mir die Wut und die Enttäuschung aus den Beinen zu laufen. Nur selten blickte ich zurück.

Oben am Gipfel setzte ich mich ins niedrige Gras. Ringsum stand der Almrausch in Blüte, leuchtend rot, dazwischen, wie zufällige Farbtupfer, blauer Enzian. Darüber leuchtete nur noch ein wolkenloser Himmel, ringsum grüßten, schon halb im Schatten, steinige oder verschneite Hänge. Und tief unten, der See, dem ich noch ein kurzes Lebewohl sagen wollte. Die wilde Romantik bezauberte mich nicht mehr, aber sie störte auch nicht, ich hatte mit allem abgeschlossen. Lästig fand ich nur den kleinen Punkt, der langsam, aber unaufhörlich den Weg herauf kroch. Es lag nicht am Farbton, der passte sich seiner Umgebung ausgezeichnet an. Es lag daran, dass der Pullover nicht alleine kam.

„Hans, bitte! Er hat mich ja genauso verarscht. Hör mir bitte endlich zu.“


Gitte warf den Pulli zur Seite, knöpfte das Hemd bis zum Nabel auf und ließ sich erschöpft ins Gras fallen, schwitzend aus jeder Pore. Mit glasigen Augen starrte sie in den Himmel, während ich sie schweigend betrachtete. Ihre großen, halb entblößten Brüste hoben und senkten sich im Takt, erst rasend schnell, dann immer langsamer. Natürlich wusste sie, wohin ich gaffte, und bestimmt erriet sie, dass ich dabei auch an die vergangene Nacht dachte. Nach einiger Zeit setzte sie sich auf und rutschte näher, kaum auf Armlänge entfernt. Ihr dünner, verwaschener Büstenhalter betonte mehr, als er verbarg, und stammte wohl aus einer Zeit, als ihre Busen noch nicht so entwickelt war.


„Ich höre“, bemerkte ich, als ihr Atem endlich zur Ruhe kam. Sie zögerte, wie ein Kartenspieler, der sich scheut, seinen letzten Trumpf auf den Tisch zu knallen, weil sich der auch als Arschkarte entpuppen könnte. Sie setzte an, brach ab. Zweimal. Dreimal.


Ein Verdacht durchzuckte mich, eher eine Gewissheit, die schon da war, ehe sie zum Verdacht wurde. Ich kannte Rainer zu gut, um zu vermuten, dass er davor zurückschreckte. Im Gegenteil, es entsprach seiner Logik, und ich fragte mich nur, warum ich nicht sofort daran gedacht hatte, gestern auf dem Parkplatz. Ich hatte das Gefühl, eben das letzte Teilchen ins Zehntausenderpuzzle zu drücken und wehrte mich nur kurz dagegen, die Frage auszusprechen.


„Wie viel, Gitte? Wie viel zahlt er dir, um mich ins Bett zu zerren?“


In ihrem Blick lag grenzenloses Erstaunen, ja, Entsetzen, aber sie senkte nicht den Kopf. Eine Träne lief über ihre Wange, und bald kamen sie in Scharen, wie japanische Touristen zur Sommerzeit. Rings um uns versank eine Welt in Stille. Ich wünschte fast, mich geirrt zu haben und nun die peinlichste Entschuldigung meines Lebens stammeln zu müssen.


„Fünfhundert“, es war, als hallte ihr Echo von allen Hängen wider, obwohl sie kaum flüsterte. „Ich versuch es dir … Aber du … Und jetzt ...“

Einen Augenblick später hing ein hemmungslos schluchzendes Bündel um meinen Hals, und die wenigen Worte, die ich verstand, genügten, um den Rest zu kapieren. Ich hielt Gitte krampfhaft fest und ließ sie erst einmal in Ruhe heulen, während mein gequältes Gehirn meine eigene Rolle kritisch hinterfragte. Eigentlich hatte ich die letzten Tage nichts anderes getan wie immer, nämlich ständig in Rainers Fallen zu stolpern, aber völlig schuldlos fühlte ich mich bei aller Ungeschicklichkeit nicht. Nun galt es, der heimischen Tradition zu folgen und erst einmal alle im Zweifel freizusprechen. Und am besten mit Gitte anzufangen, nicht nur mit dem Freispruch. Ich nahm an, dass Christa die Sache mit dem Kümmern doch anders gemeint hatte, und dass ihr die kurze Zeit auf dem Felsen für ihr Urteil gereicht hatte. Mir eigentlich auch, bei Tageslicht betrachtet. Eine schöne, aber viel zu anstrengende Illusion.

Dafür tanzten immer mehr Fantasien der letzten Nacht in meinem Kopf. Ich drückte Gitte an mich, etwas fester nun. Fordernder. Sie zog die Nase hoch und verbarg ihr Gesicht an meiner Brust.


„Schade, dass er jetzt nicht zahlen muss“, raunte ich in ihr Ohr, das sich in mein Gesicht bohrte. Es war ein ausgesprochen hübsches Ohr und lud zum Knabbern ein. Gitte wurde mucksmäuschenstill, gab sich hin und atmete erst wieder durch, als ich von ihr abließ.


„Bitte“, wisperte sie. „Mach weiter.“


Behutsam drehte ich ihren Kopf, bis sich unsere Nasen begegneten, und dann schmeckte ich Tränen und Rotz, doch zugleich unendliche Leidenschaft. Wir kippten seitwärts, ineinander verschlungen, und wälzten uns im blühenden Almrausch. Es gab kein Zurück mehr.

Ich weiß nicht mehr genau, wie uns der Abstieg gelang, wahrscheinlich sind wir geflogen. Dunkel kann ich mich daran erinnern, hinter einem jungen Ding her zu hecheln wie ein ans Motorrad geketteter Hund. Die Hütte lag immer noch versperrt und menschenleer in der hellen, warmen Nachmittagssonne, und ehe ich mit zittrigen Fingern den Schlüssel drehte, hatte sich Gitte nicht nur ihrer Schuhe entledigt. Bis wir bei unserem Kämmerchen ankamen, war sie splitternackt und zerrte ungeduldig an den letzten Fetzen, die an meinem Körper hingen.


Wir vögelten einmal quer durchs gesamte Kamasutra in dem engen, niedrigen Stockbett, und dann noch einmal im Rückwärtsgang, wobei wir vermutlich ein paar neue Variationen erfanden. Gittes pummeliger Körper verwandelte sich in einen Vulkan, der ein paar Jahrtausende auf seinen großen Auftritt gewartet hatte und nun alles verschlang, das in seine Reichweite geriet. Manche Spiele kannte sie nicht, doch das schien ihre Begeisterung nur weiter zu steigern, bis ich mich fragen musste, wo wohl meine Grenzen der Fantasie lagen. Ab und zu legten wir eine Verschnaufpause ein, aus Mitleid mit mir. Aber sie dauerten nur kurz, dann wälzten wir uns erneut in unseren Säften, so lange, bis mich endgültig die Kräfte verließen. Gitte versuchte es noch ein Stück weit ohne mein Zutun und nahm schließlich enttäuscht zur Kenntnis, dass man tote Gäule nicht reiten konnte und auch der stärkste Mann einmal leer wurde.


„Na schön.“ Sie legte sich auf mich und begann sich an den kümmerlichen Resten meiner Männlichkeit zu reiben, in der verzweifelten Hoffnung auf ein allerletztes Comeback. Dann drückte sie mir ohne Vorwarnung einen Schmatz auf den Mund. „Wir können ja was trinken, Schatz.“


„Gute Idee“, lallte ich, und mein glasiger Blick wanderte hinauf zu unserem Bergkopf, auf dem sich die letzten Sonnenstrahlen zum Rückzug sammelten. Nach und nach kam mir ins Bewusstsein zurück, dass wir nicht die einzigen Lebewesen auf der Welt waren. Wahrscheinlich befanden sich außer uns sogar noch Menschen in dieser Hütte.

Christa hatte bekanntlich ein großes Sortiment an Grinsegesichtern zu bieten, aber das, mit dem sie uns in der Küche empfing, gehörte zu den Exklusivmodellen für ganz besondere Anlässe.


Freilich ließ unser Aussehen keinen Zweifel am Vorgefallenen, selbst wenn sie bisher auf ihren Ohren gesessen hatten.


„Dem Himmel sei gedankt, ihr lebt noch“, sie deutete mit einladender Geste auf den festlich gedeckten Tisch. „Rainer hat beschlossen, seinen Aufenthalt mangels Erfolgs abzubrechen.“ Ich starrte auf Rainer, der in voller Montur auf seinem Stuhl hockte und den Kopf abwandte. Christa ihrerseits tat, als wäre er nicht mehr anwesend. Nur Gitte, halbnackt und aufgeheizt, sprang ihm fast auf die Füße, schnippte ihm unter das Gesicht und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, kaum dass sie ihn gesehen hatte. Er verdrehte den Kopf noch weiter, um ihren Geruch nicht ertragen zu müssen, aber es half nicht.


Christas Nicken gehörte zu der Sorte, mit der sie für gewöhnlich die erfolgreiche Erledigung ihrer Aufträge bedachte. „Zahlen und gehen“, befahl sie ohne einen Anflug von Freundlichkeit. „Wir treffen uns bei meinem Wagen.“


„Fette verlogene Badehure.“ Rainer nestelte einen Geldschein aus der Jacke und hielt ihn Gitte mit spitzen Fingern entgegen. „Das wirst du noch bereuen.“


Unwillig schnappte sie nach dem lila Papierfetzen. „Ich bin jung und brauche das Geld.“ Sie schenkte Rainer einen verruchten Nuttenblick, dem selbst Marlene Dietrich Beifall geklatscht hätte. „Schließlich kann mein neuer Lover nicht dauernd für mich zahlen. Danke, Onkel Rainer.“

„Machen wir es kurz.“ Christa saß vor uns wie eine Brautmutter, während wir die liebevoll angerichtete Jause fast samt dem Holzbrett verschlangen. „Ich muss heute noch einen Mitarbeiter rauswerfen.“ Sie sah hinüber zum See, wo niemand mehr lief, dann streichelte sie Gittes nackten Arm. „Danke für dein Vertrauen, Kleines. Ich bin dir was schuldig.“


„Hans“, ihre Stimme wechselte in den alten Kasernenton. „Mittwoch um Zwölf im Büro, wir fahren nach Schwarzach. Der Chef von der Tourismus ist auch so ein komischer Kauz wie du, ihr werdet euch sicher besser verstehen. Unterlagen schick ich dir heute noch per Mail, schau sie wenigstens kurz an, klaro?“


„Klaro“, bestätigte ich. „Ausgeschlafen, pünktlich, penibel vorbereitet.“ Es war nicht immer so, aber diesmal standen die Sterne gut, dass es eine Zeit lang so blieb. Meine Motivation schien endlos, vielleicht noch ein Stück größer.

Wir gaben Christa Geleit bis zum Ende des Sees. An Rainer erinnerte schon längst nichts mehr, doch die weit fortgeschrittene Dämmerung mahnte zur Eile. Christa drückte uns beide an sich, und ich spürte dabei nichts weiter als Freundschaft.


„Weißt du“, sie schenkte mir einen wohlwollenden Blick, „ein wenig ist es doch schade, dass du so gar nicht in mein Beuteschema passt. Aber ich glaube, wir werden es beide überleben. Ach, und gebt bitte unsere Bettwäsche auch mit dem Hüttenschlüssel ab.“ Sie lachte. „Obwohl sie sauberer sein sollte als eure.“

Wir wanderten zurück zur Hütte, Hand in Hand, obwohl Gittes Gangart an einen Gummiball erinnerte. Gelegentlich sprang sie auf mich zu und forderte einen Kuss, um mich wieder ein paar Meter weiterzuzerren wie ein totes Reh. Als wir den Steg erreichten, blieb sie stehen und ließ mich los. Sie war nackt, ehe ich den Gedanken zu Ende gebracht hatte, und ging mit festen Schritten in den See, bis ihr das Wasser zur Hüfte reichte. Ich brauchte ein wenig länger, aber sie hielt ihre Ungeduld im Zaum, bis ich dicht hinter ihr stand.


„Die Kälte hat euch ziemlich spitz gemacht gestern“, bemerkte sie, während meine Hand auf ihrem Hintern zur Landung ansetzte. Das eisige Wasser verstärkte nur den Kontrast zu Gittes Lavaglut. „Du hattest da eine nette Idee, die mir nicht mehr aus dem Kopf will. Ich bin sehr neugierig, musst du wissen.“


„Das ist mir schon aufgefallen, kleine Hexe.“


Sie rieb sich an mir, um zu beweisen, dass nicht nur meine Finger zu ihrem Hinterteil passten, und das angesprochene Körperteil reagierte begeistert, ohne meine Erlaubnis abzuwarten. Gitte bückte sich, bis ihre schweren Brüste auf dem Wasser tanzten, lachte und sagte:


„Dann auf zu neuen Abenteuern.“

Und die Achterbahn kam sanft zum Stillstand.

[/IIII\]

Anstelle eines Abspanns:


Eine Fortsetzung der Wanderung ist nicht vorgesehen. Somit Danke und ein herzliches Berg Heil an alle, die bis hierher durchgehalten haben.


Zur Erzählperspektive möchte ich nur anmerken, dass ich da verschiedene Varianten im Kopf hatte. Aber sie funktioniert aus dieser einfach am besten, finde ich.

Kommentare


tyami takez
(AutorIn)
dabei seit: Dez '03
Kommentare: 106
tyami takez
schrieb am 29.04.2012:
»Herzlichen Dank für die überwiegend motivierenden Kommentare. Man schreibt ja doch immer ein wenig in der Hoffnung, nicht der einzige begeisterte Leser seiner Geschichte zu sein. :)

@lacky1: Soweit mir bekannt ist, sollte das hier der einzige Platz sein, aber ich bin traditionell sauschlecht informiert. Andererseits leb ich derzeit noch, also könnte sich die Sammlung erweitern.«

ottavio
dabei seit: Jun '02
Kommentare: 4
schrieb am 23.04.2012:
»Einfach toll geschrieben: großes Kompliment!«

willy_erl
dabei seit: Okt '02
Kommentare: 21
schrieb am 23.04.2012:
»Tolle Geschichte - ich hoffe, Dir fällt noch mehr ein.«

mondstern70
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 441
Mondstern
schrieb am 24.04.2012:
»Für Heimatfilme fühle ich mich eigentlich noch zu jung ... ;-)
Ja, hat mir gefallen, was m. M. an der gelungenen Erzählperspektive liegt. Außerdem bin ich ein Fan des "Ich-Erzählers" und intelligenten Charakteren.
LG Mondstern«

helios53
dabei seit: Aug '11
Kommentare: 404
Helios53
schrieb am 25.04.2012:
»Hollereidullijööö!

Groß und mächtig,
schicksalsträchtig,
um seinen Gipfel jagen
Nebelschwaden.

A Donnern schickt er oft ins Tal
und dann schauderts alle auf amal.
Wann er donnert, Gott behüt,
der Berg, der kennt ka Einseg'n nit.
Bergkopf, Bergkopf, Schicksalsberg,
du bist so groß und i nur a Zwerg.

Vül hat's schon pockt,
am Berg aufi g'lockt,
g'folgt sans ihm tapfer,
oba da Berg, der wüll sei Opfer.

Tja, so war das - damals - aber heute ist es sehr gemildert. Das Opfer ist gering, ein verstauchter Knöchel heilt im Handauflegen.
Die angedeuteten Ähnlichkeiten habe ich erkannt und darüber hinaus auch, dass die auf "Kälte macht spitz, sozusagen frostgeil" reduzierte, wissenschaftlich aber noch nicht ausreichend erforschte Lebensweisheit öfter literarischen Niederschlag findet, als ich erst dachte.
Ein wenig habe ich mir gewünsch, dass Hans der Turbomieze Christa deutlich einen Korb gibt und es sich nicht einfach durch Interesselosigkeit ihrerseits erledigt. Und das, obwohl sie durchaus sympathisch rüberkommt.

Die weiblichen "Rituale" hast du wunderbar entlarvt und durch den Kakao gezogen, sowas mag ich sehr. Aber kein Mitleid mit den Männern. Wir sind selber schuld - und das nicht ungern.

PS: Vielen Dank für deine P.R. Der Bergsilvester hat heute die 4000-Klick-Grenze durchstoßen.«

Auden_James
dabei seit: Aug '10
Kommentare: 87
Auden James
schrieb am 27.04.2012:
»Weil ich es nicht treffender sagen könnte, zitiere ich aus gegebenem Anlass Mark Twain:

"Substitute 'damn' every time you're inclined to write 'very'; your editor will delete it and the writing will be just as it should be."

Entweder solltest du also den Lektor wechseln oder beim nächsten Mal (zur Abwechslung?) selber richtig überarbeiten.

Und es heißt übrigens "das Autoradio", nicht "der Autoradio". Aber das mit der Überarbeitung sagte ich ja bereits.

In diesem Sinne wünsche ich frohes Schaffen!

-AJ

PS: Hat Serenity, als er den Text einlas, eine Nachtschicht hinter sich gehabt?

PPS: Und weniger Verklemmung wäre beim nächsten Mal auch nicht schlecht, dann nämlich blieben dem Leser so schamvolle wie kompliziert konstruierte und unfreiwillig komische Vermeidungsformulierungen erspart, wie z.B.: "Sie rieb sich an mir, um zu beweisen, dass nicht nur meine Finger zu ihrem Hinterteil passten, und das angesprochene Körperteil reagierte begeistert, ohne meine Erlaubnis abzuwarten." Ich meine, wir sind hier doch alle erwachsen, nicht wahr? Oder darf man im katholischen Ö. selbst im 21. Jhdt. zum Du-weißt-schon-was-ich-meine immer noch nicht Du-weißt-schon-was-ich-meine sagen? Und im Ernst: Das ist nicht mehr albern, sondern peinlich bis jämmerlich oder einfach gottserbärmlich.«

lacky1
dabei seit: Aug '02
Kommentare: 4
schrieb am 28.04.2012:
»Wo gibt es mehr deiner Geschichten?«

EviAngel
dabei seit: Feb '05
Kommentare: 127
EviAngel
schrieb am 30.04.2012:
»Die Loser-Mentalität des Protagonisten und die leichte, heiter-ironische Erzählweise helfen dem Leser über einige handwerkliche Mängel hinweg.
Nett zu lesen und zu empfehlen.«

tomy27
dabei seit: Jan '04
Kommentare: 115
schrieb am 30.06.2019:
»Gelungen! In der Geschichte geht es um eine Männerfeindschaft und natürlich auch um Sex. Ich finde den Icherzähler gut gelungen und auch die Erzählperspektive richtig gewählt. Zur Sprache: Da möchte ich mich der Anmerkung in einem anderen Kommentar nicht anschließen. Natürlich hätte man einiges direkter benennen können, aber gerade das umständliche macht einen Teil des Reizes der Geschichte aus.«

xxgarp
dabei seit: Aug '01
Kommentare: 111
schrieb am 19.10.2020:
»Sehr sehr schön geschrieben - auch wenn es zur Wichsvorlage nicht taugt«

sworp
dabei seit: Jul '04
Kommentare: 8
schrieb am 05.11.2020:
»Sehr ansprechend und schön geschrieben ich hätte gut und gerne weiterlesen können.«


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