Almrausch. Ein Heimatfilm.
von tyami takez
Anstelle eines Vorspanns:
Diese Geschichte widme ich einem lieben alten Kollegen, der auch in diesem Board zu finden ist und der mich vor Jahren auf den depressiven und zynischen Charakter meiner Geschichten verwies, und meiner Mutter, die mich für die Berge begeistert hat. Vielleicht war ja beides nicht ganz umsonst.
Orgasmen wird es keine regnen. Wem der Sinn nach einer deftigeren Hüttenjausn steht, der sei diesbezüglich auf die kürzlich hier erschienene Geschichte „Tiroler Bergsilvester“ meines geschätzten Landsmannes Helios53 verwiesen. Anders, aber doch in manchem ähnlich.
Und damit Vorhang auf.
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Es gibt gute Tage, es gibt schlechte Tage. Und dann gibt es solche, an denen fährt das Leben mit dir Achterbahn.
Ich saß am Steuer meines alten Mazda und wartete auf dem hässlichsten Parkplatz der Welt, direkt hinter dem Studentenwohnheim, in das jetzt, nach den Sommerferien, wieder die ersten Gäste einzogen. Auf wen ich wartete, wusste ich nicht genau, sie hieß Gitte und war Rainers Kusine oder so ähnlich, aber das war in dem Fall scheißegal, weil es wartete ja nicht Rainer, sondern ich. Denn er hatte Besseres zu tun. Und mit jeder Minute, die verstrich, wurde das Bessere besser, und meine Blödheit noch mehr greifbar. Wieder mal verarscht worden. Ach.
Das Erste, das ich von ihr im Rückspiegel sah, war ein hellroter Wollpulli, offensichtlich selbstgestrickt. Nicht Pink oder Rosa, sondern in der Farbe von blühendem Almrausch, und so riesig, als müsste er eine gesamte Karawane beherbergen. Gitte hingegen war klein und sehr kompakt gebaut, ein Barockengelchen mit pechschwarzer Pumucklfrisur. Auch ihr Gesicht erinnerte ein wenig an die Comicvorlage, mit den markanten Vorderzähnen und der etwas zu runden Nase. Und sie gehörte zu der Sorte Frauen, die dreckige Jeans aus tiefster Gewohnheit und nicht aus stilistischen Erwägungen trug.
Mich wunderte, dass Rainer solche Menschen überhaupt wahrnahm, selbst wenn sie zur engeren Verwandtschaft gehörten. Rainer, der in der Firma nur sein eigenes parfümiertes Klopapier benutzte und vor Verlegenheit fast starb, wenn er in der Kantine mit Menschen zusammentraf, die nicht aussahen, als wären sie eben aus einem Modejournal desertiert. Etwas stimmte da nicht. Ich stieg aus, in der Hoffnung, mich geirrt zu haben, aber wer guckt sich schon mit einem Rucksack am Buckel planlos Autos an? Die konnte nur zu uns gehören.
„Du musst Hans sein.“ Es klang halb nach Frage, halb nach Befehl. Vor allem aber klang es nach Verzweiflung pur. „Tut mir leid, ich renn schon das achte Mal um den Block und such einen roten Mercedes.“
„Mazda. Mir kannst du keinen Stern klauen“, erklärte ich geduldig. Frauen und Autos, na ja.
„Rainer hat Mercedes gesagt“, widersprach sie so heftig, dass ich zusammenzuckte. „Das da ist ein Mazda MX-3, wahrscheinlich die Version mit DOHC-Motor. Zwei meiner Brüder sind Mechaniker, aber Rainer kennt sich halt hinten und vorn nicht aus.“
Ich vermied es peinlichst, den Zulassungsschein zu ihrem Fachwissen zu befragen, ein Mann hat seinen Stolz. Immerhin gab es für Rainer auch gute Gründe, uns hier absichtlich Verstecken spielen zu lassen, trotzdem passte die Beschreibung zu ihm. Die Kleine bekam einen Sympathiepunkt gutgeschrieben, auch deshalb, weil nichts an ihre Verwandtschaft erinnerte.
„Und du nimmst mich wirklich mit?“ Ihre Stimme hatte diesen leicht devoten, aber rotzfrechen Unterton, der Mädchen vom Lande so eigen ist, und ich brauchte nicht viel Fantasie, um zu ahnen, dass sie nach Kuhstall roch.
„Eigentlich warte ich seit einer Dreiviertelstunde drauf.“ Ich versuchte, nicht zu grummelig zu klingen, aber Verstellung ist nicht meine Stärke.
„Tut mir echt leid“, sie senkte den Blick und gab sich Mühe, schuldbewusst auszusehen. „Wie kann ich es wieder gut machen?“
„Indem du einsteigst.“
Die Fahrt in die Berge war anfangs sehr nett. Den Autoradio brauchte ich nicht, ich hatte Gitte. Bis wir von der Autobahn abfuhren, kannte ich so ungefähr jede Facette ihres Lebens, dazu das der gesamten Familie und des halben Kaffs, aus dem sie stammte. Sie war vor kurzem zweiundzwanzig geworden und studierte Biologie, aber es fehlte an Zeit und Lust und Geld, also grundelte sie durchs Leben und schlug sich von Nebenjob zu Nebenjob. Kam mir bekannt vor. Rainer hatte versprochen, sich um sie zu kümmern, und irgendwas stank dabei ganz gewaltig. Er kümmerte sich nur um Menschen, um sie zum Erreichen seiner Ziele zu benutzen. Natürlich hatte sie mir unabsichtlich ein gewaltiges Delay verpasst, aber das allein erschien mir zu wenig. Immerhin, so nahm ich an, würde sie sich in den nächsten Tagen an seinen Hals hängen. Aber wieso sollte er genau das wollen?
„Du bist völlig anders, wie Rainer erzählt hat“, stellte sie plötzlich fest.
„Danke.“
„Und ihr fahrt wirklich gemeinsam auf eine einsame Berghütte? Nur mit seiner Chefin?“ Beinahe landeten wir im Gegenverkehr.
„Mit unserer Chefin!“ Ich brüllte fast, und dann schwiegen wir beide peinlich berührt. Was hätte ich ihr auch erzählen sollen? Mädel, wir sind beide scharf auf sie. Na ja, doch ein wenig, obwohl mir die Vorstellung nicht immer behagte. Vor allem ging es um den Endkampf zwischen Rainer und mir. Wir hassten einander, seit sich unsere Wege getroffen hatten, weil wir uns gegenseitig die Arbeit klauten. Und damit auch Christa klauten.
Obwohl sie nur ein paar Jahre älter war als Gitte, besaß ihr Wort in der kleinen Agentur, für die wir beide als Werbegrafiker arbeiteten, bereits viel Gewicht. Sie kümmerte sich um die Projektplanung und um uns Freelancer, hatte für jede Frage eine einfache, brauchbare Lösung und war der netteste, aber zugleich härteste Schleifer, den man sich vorstellen konnte. Meine Unpünktlichkeit, meine Zerstreutheit und meine Behäbigkeit nervten sie, und ich war oft froh, nach einem Tag mit ihr eine Auszeit zu bekommen. Trotzdem mochten wir uns gut leiden.
Auch meine Entwürfe gefielen ihr, nur leider sah das bei Rainer ähnlich aus. Mal fuhr sie mit ihm zu einer Besprechung, mal mit mir, und selbstverständlich verdrehte sie uns dabei ständig den Kopf. Das Flirten gehörte einfach zu Christas täglicher Lebensroutine. Nach einer Firmenparty, bei der wir uns fast geprügelt hatten, beschlossen Rainer und ich ausnahmsweise gemeinsam, endlich reinen Tisch zu machen. Ein Duell, wie es sich nur richtige Männer ausdenken konnten, nach fünf Bieren, notgeil wie Stallkarnickel und am Ende ihrer psychischen Belastungsgrenze.
Deswegen fuhr ich nun mit einem halben Tag Verspätung und Anhängsel Richtung Innergebirg.
„Schwarzach“, murmelte Gitte, um nur endlich wieder den Mund zu öffnen. „Dann sind wir fast schon da, oder?“
„Hm.“ Ja, wir hatten mehr als die halbe Strecke hinter uns. In Ordnung, zwei Drittel. Trotzdem war es ein schöner Schock gewesen, als mich das Handy morgens um halb neun aus dem Schlaf riss.
„Hallo, hier Christa. Wir sind schon in Schwarzach beim Kunden, und Rainer meinte, wir könnten dann ja gleich ...“ Den Rest verschluckte das Blut, das durch meine Ohren rauschte. Aber ja, Gitte, wie schön, und um sechzehn Uhr abholen, aber gern. Wieder mal war die Falle zugeschnappt.
„Du bist bös auf mich, oder?“ Gitte hielt den Kopf gesenkt, nicht schüchtern, eher wie ein Kampfstier in der Arena, der merkt, dass es langsam richtig zur Sache geht.
„Ich bin sauer auf Rainer.“ Die Kleine war nett und konnte nichts dafür, dass sie als Verschubmasse missbraucht wurde. Trotzdem fühlte ich mich, als hüpfte ich im Kartoffelsack und mit verbundenen Augen durch ein Minenfeld. Ich hing an dem Job und wollte nicht wieder Regale einräumen wie damals, bevor ich von meiner Arbeit leben konnte. Und dann war da eben Christa, die jetzt mit Rainer am Seeufer hockte, die Abendstimmung genoss und seine gezuckerten Lügen fraß. Es passte wieder mal alles perfekt.
Gitte trug den Kopf immer noch sehr tief, als wir den Taleingang passierten. Sie schwieg so auffallend, dass nunmehr ich begann, ihr ein wenig die Gegend zu erklären, um nur die Stille nicht mehr hören zu müssen. Immerhin war mir der Ort, an dem die Entscheidung fallen sollte, gut vertraut. Ich hatte ihn ja ausnahmsweise vorschlagen dürfen, damals in dem kleinen Nachtcafé, in dem wir unseren großartigen Plan für diesen dämlichen Entscheidungskampf ausheckten. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass Rainer Christa dazu überredete, ich wollte es einfach nicht erwarten. Und nun lag er bereits um mehrere Kopflängen vorne.
Die Berge empfingen mich stoisch in der untergehenden Sonne, ihr vertrauter Anblick gab mir Ruhe. Genau die galt es jetzt zu bewahren. Noch hatte er nicht gewonnen. Hoffentlich.
Es dunkelte bereits, als wir uns an den Aufstieg machten. Das Gespräch war wieder mühsam in Gang gekommen, und Gitte fühlte sich nicht wohl beim Anblick der Zweitausender ringsum. Sie stammte aus dem Flachland, und obwohl sie tapfer das Tempo hielt, krochen wir viel zu langsam den steinigen Weg entlang, der uns zum Beginn unserer Tour führte. In Gedanken raste ich schon auf die Hütte zu, die in den nächsten beiden Tagen unser Zuhause sein sollte, achthundert Meter über uns, aber im richtigen Leben trennte uns noch ein Zweistundenmarsch. Ach, drei Stunden Schneckengang, wenn nichts passierte. Und dann nur noch am See entlang und ...
„Ist es noch weit?“ Sie keuchte schon bedenklich, und ich rief zur Sicherheit meine Kenntnisse in Ersthilfe ab und hoffte, dass sich niemand daran erinnern konnte, uns gemeinsam gesehen zu haben. Ihre Chancen, wenn sie jetzt umkippte, lagen knapp über Null.
„In ein paar Minuten sind wir beim Einstieg.“ Ich hatte nicht gewusst, dass meine Stimme zu solcher Resignation fähig war und deutete nur stumm auf den dicht bewaldeten Felshang, der vor uns in den Himmel ragte. Dass wir da oben knapp die Hälfte des Weges geschafft hatten, behielt ich vorerst lieber für mich.
Wie erwartet dauerte es lange, so lange, dass meine Füße vom Stehen bald mehr schmerzten als vom Laufen. Ich hatte mich in Gedanken bereits auf ein gemütliches Notbiwak im Wald eingerichtet, als wir endlich die halb verfallene Bank erreichten, die das Ende des Steilstücks markierte.
„Ab jetzt wird es etwas flacher.“ Keine Angst, die Axt ist frisch geschliffen, sagt der Henker. Gittes Gesichtszüge entgleisten im Dutzend.
„Ich bin fix und foxi“, schnaufte sie. „Und noch immer viel zu fett.“ Der Pulli war längst am Rucksack gelandet, ihr dünnes Hemd konnte die Berechtigung ihrer Selbstvorwürfe nur spärlich kaschieren und war von diversen Problemzonen zum Bersten gespannt. In der Wahl zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit entschied ich mich mannhaft für den dritten Weg.
„Rasten wir mal. Ich hab dich wohl doch zu sehr gehetzt.“
Als wir weitergingen, sahen wir kaum noch bis zur übernächsten Baumreihe. Gitte hatte ihre gute Laune völlig eingebüßt und wirkte wie jemand, der nach Hause vor die Glotze gehörte. Sie stolperte ihrem hängenden Kopf hinterher, und es dauerte nicht lange, bis sie auf dem Bauch lag. Kein wilder Sturz, sie hatte einfach eine Wurzel übersehen und sprang auch gleich wieder auf, aber dennoch bestand ab dem zweiten Schritt kein Zweifel daran, dass sie jämmerlich hinkte. Ich blieb so abrupt stehen, dass sie fast gegen meinen Rucksack taumelte.
„Scheiße“, murmelte sie kleinlaut und balancierte auf dem gesunden Fuß.
Ich besah mir ihren Knöchel, so gut das ging. Wir besaßen eine einzige Taschenlampe ohne Ersatzbatterien, weil ich mal wieder alles verpennt hatte, und noch lag ein schönes Stück Weges vor uns. Als der Erfahrenere musste ich eine schnelle Entscheidung treffen, sonst wurde es langsam eng. Bestimmt hatte Gitte Schmerzen, doch sie konnte den Fuß belasten, und ihr verbissenes Nicken erleichterte mir den Entschluss. So viel Auswahl gab es ja nicht.
„Gib mir deinen Rucksack“, knurrte ich. „Und sag, sobald du eine Pause brauchst. Meinetwegen sollen es zwanzig werden.“
Damit schleppten wir uns weiter. Ich zog oder schob sie über die steileren Stellen, so gut es ging, und oft mussten wir halten, während meine Taschenlampe wie ein Suchscheinwerfer nach der nächsten Markierung tastete. Mit den beiden Rucksäcken am Leib schwitzte ich wie ein Schwein, aber zugleich fror ich und verfluchte mich in Gedanken für meine Dummheit, ich verfluchte Rainer und Christa und Gitte und jeden, der mir einfiel. Selbst Gott verfluchte ich, aber nicht so direkt, weil wir ihn noch bitter benötigten. Als sich der Wald nach Ewigkeiten lichtete, bat ich alle demütig um Verzeihung, mit Ausnahme von Rainer und mir.
Kurz darauf standen wir am Ufer des Sees. Es war immer ein eigentümliches Gefühl, nach dem Aufstieg hinüber zur Hütte zu sehen, aber diesmal empfand ich ehrliche Dankbarkeit. Auch dafür, dass drüben ein schwaches Licht brannte und jemand wartete, selbst wenn er Rainer hieß und das größte Arschloch der Welt war. Gitte hatte nach und nach wieder Tritt gefasst und den gesamten Weg ohne weitere Rast absolviert, und ich kramte dafür ein paar meiner galantesten Komplimente aus dem Hirnkasten. Leider gehört Charme nicht zu meinen herausragenden Charaktermerkmalen, und sie war zu erschöpft für jegliche Antwort. Dennoch teilte sie meine Gefühle, wie ein Blick in ihre Augen bestätigte.
„Na endlich“, empfing mich eine zum Wahnsinn vertraute Stimme, und damit erschien Rainer in der Tür. Er trug einen himmelblauen Trainingsanzug, der aussah, als wäre er eben von der Maßschneiderei geliefert worden. Mit dem blonden, sorgfältig nach hinten gekämmten Haar, das seinen hohen Stirnansatz betonte, wirkte er wie ein gestrenger Turnlehrer, der die Ankunft seiner beiden hoffnungslosesten Schüler registrierte. Es fehlte nur die Trillerpfeife um den Hals. Das hochmütige Gesicht lud mich wie ständig dazu ein, meine Faust darin zu platzieren, aber ich unterließ es aus taktischen Gründen.
Rainers nörgelnden Tonfall kannte ich allerdings aus den Momenten, wenn etwas nicht nach seinen Ideen lief. Hinter ihm lugte Christa hervor, schelmisch grinsend wie stets, aber ordentlich frisiert und bekleidet. Einige Horrorszenarien in meinem Kopf zerrannen spurlos ins Nichts.
„Er wollte den Begrüßungssekt schon allein saufen“, informierte uns Christa. „Hoffentlich habt ihr Hunger, Durst und gute Laune mitgebracht, sonst könnt ihr gleich wieder gehen.“ Ihre dunklen Augen erzählten mir, dass noch alles im Fluss war, so sah keine Frau aus, die sich gerade unsterblich verliebt hatte. Sie sauste an uns vorbei, sprang barfuß über die steile Holztreppe, rannte hinunter zum Steg.
„Schuhe ausziehen“, befahl Rainer. Ich verbiss mir die Bemerkung, dass ich die Hausregeln besser kannte als er und wärmte mich lieber an seiner schlechten Laune. Er versuchte es noch einmal, diesmal mit der Anweisung, die Rucksäcke ordentlich zur Seite zu stellen, aber ich ignorierte ihn und tat, als müsste ich mich dringend um Gittes lebensbedrohende Verletzung kümmern. Er gab den Zugang zur schmalen Rauchküche sofort frei.
Während ich mir im hellen Schein der Öllampe den Knöchel besah, als wäre ich Paracelsus persönlich, räumte Rainer die zahllosen Kartenstapel vom Tisch. Das Spiel sah aus wie Tarock für Weltraumingenieure, und seine Hastigkeit bestätigte meine Vermutung, dass er fernab der Siegerstraße wandelte. Er war ein extrem schlechter Verlierer, und Spiele, bei denen man die Karten nicht zinken konnte, interessierten ihn nicht. Noch weniger als die angebliche Kusine, für die er nur einen kurzen, giftigen Seitenblick abzweigte.
Mit Christas Rückkehr entspannte sich die Situation ein wenig, und Gitte wurde wieder richtig lebendig. Unwesentlich trugen wohl die Flaschen dazu bei, die Christa aus dem See gefischt hatte, vor allem lag es aber an Christa selbst. Rainer und ich waren abgemeldet, während sich die beiden Frauen, gemeinsam in eine Wolldecke gehüllt, prächtig unterhielten, miteinander tuschelten und lachten und uns spüren ließen, welch unglaubliche Gimpel wir waren. Rainer klinkte sich sofort aus und hockte auf seinem Stuhl wie das Denkmal für die beleidigte Leberwurst, Schmollmündchen, Düsterblick und zerfurchte Denkerstirn inklusive, nur ab und zu nippte er mit verhaltenem Zorn an seinem Begrüßungssekt, der ihm nicht recht schmecken wollte. Ich nahm nach wenigen Anläufen zur Kenntnis, dass ich über die Rolle des Zaungastes sowieso nicht hinauskam, und beschäftigte mich mit Essen und Trinken. Der Rest konnte warten.
Mit der Sattheit kam die Müdigkeit, und die hellen, plappernden Stimmen verstärkten ihre Wirkung. Alles gut, nichts passiert. Christa schenkte mir ab und zu einen prüfenden Blick, der mich innerlich aufrüttelte. Ich setzte mich wieder aufrecht hin und tat, als lauschte ich ihren Weisheiten über Kochrezepte und Männer.
„Mal wieder was Verrücktes tun“, ließ sich Christa vernehmen, laut genug, um ihre Worte an alle zu richten. Sie sah über ihre Schulter hinweg zum Fenster, hinaus auf den See. Schlagartig war ich wach. Ich wusste, was folgte, noch ehe sie den Mund geöffnet hatte. „Die Damen haben beschlossen, jetzt Nacktschwimmen zu gehen.“
„Nachtschwimmen“, verbesserte Gitte entrüstet, und Christa, schon leicht angeheitert, schenkte ihr ein Grinsen Marke Jetzt wird es dreckig, Schwester.
„Nackt Nachtschwimmen gehen“, säuselte sie. „Ihr dürft aber mitgehen.“
„Ausnahmsweise“, schob Gitte nach. Sie hatte das Saufen mit Sicherheit auf Dorffesten gelernt, wo man es mit dem Vertragen nicht so genau nimmt. Schon gar nicht bei Mädels, die sowieso keiner in seinem Bett braucht, weil sie nicht zum Angeben taugen. Als ich sie ansah, drehte sie störrisch den Kopf zur Seite und fiel fast von der Bank, weil Christa sie samt Decke mit in die Höhe zog.
„Dann mal los.“ Ich folgte den beiden mit angemessenem Abstand, und ehe ich über die Schwelle ins Freie trat, hörte ich, wie sich Rainer erhob.
Christa war die Erste, die sich auszog. Es war noch kühler geworden, kaum über fünf Grad, und sternklar. Ich fror sogar in meiner Strickjacke, aber Christa kannte keinen Pardon. Ihre Haut war nicht makellos, aber gründlich gebräunt, was ihre sportliche Figur noch betonte. Sie posierte nicht, aber sie zögerte keine Sekunde, ehe der Bra zwei feste Halbkugeln freigab, und verdeckte auch nicht, dass der Slip ihr scharf getrimmtes Schamhaar nicht länger verbergen durfte. Sie stand einfach nur da und lachte uns Weicheier aus. Gitte war erst bei der Unterwäsche angelangt und genehmigte sich einen kleinen Zwischenstopp. Ihr kurzer Blick auf Christa hob mit Sicherheit nicht das Selbstvertrauen.
„Komm“, Christa klopfte ihr auf den Arm. „Vergiss das Mädchen.“ Damit drehte sie uns den Rücken zu, und selbst jetzt grinste vom linken Schulterblatt her ein kleines Sonnengesicht. Trotzig riss sich Gitte die letzten Textilien vom Leibe, ohne mich anzusehen. Sie trug eine Jungenunterhose, und mir fiel ein, dass die beiden Nächstälteren ihrer sechs Geschwister männlich waren. Ihr Leben bestand wohl auch nicht nur aus Sonnenschein mit Zuckerguss. Ihr schneeweißer Hintern schwabbelte ein wenig, als sie Christa hastig folgte, aber der Großteil ihrer Kurven sah besser aus als erwartet. Ich bemerkte, dass ich hinter ihr her starrte.
Irgendwo im Dunkel lauerte Rainer, gekränkt über die Unmöglichkeit der Situation. Rainer tat so etwas nie, unter keinen Umständen. Sich zum Clown zu machen, noch dazu vor Frauen. Es lag nur an mir, was sich daraus entwickelte. Als ich den Gedanken durchgespielt hatte, hielt ich die Wäsche in der Hand. Mein gutes Stück war erbärmlich klein vor Kälte, und es würde im See bestimmt nicht wachsen.
„Lasst ihr auch Mädchen mitspielen?“, ich watete ins eiskalte Nass und spürte, wie sich die Haut zusammenzog. Christa prustete los. Was sie belustigte, wollte ich lieber nicht wissen.
„Bestimmt nicht“, ein halber Schwall Wasser empfing mich. „Ihr heult ja doch gleich.“
Ich musterte Gitte. Sie fror noch mehr als ich, stand da wie ein Golfball auf kurzen Beinen und bedauerte sichtlich, dass sie nur zwei Arme besaß, um ihre Blößen zu bedecken.
„Lustig, nicht?“, raunte ich ihr zu, doch sie schaute so jämmerlich zurück, dass sich mein Gewissen regte. Ich hob bedauernd die Schultern, ehe ich auf Christa zusteuerte.
„Wusste gar nicht, dass du so ein wilder Hund bist, Frau Chefin.“
„Danke gleichfalls.“ Sie stand breitbeinig im Wasser, das ihr jetzt schon bis unter ihren knackigen Apfelpo reichte. Auch sie trug eine Gänsehaut und ging in kleinen Schritten, aber das Ziel lag zweifellos weiter draußen. Viel weiter draußen, so gut kannte ich Christa. Ihr Blick ruhte drüben auf dem Felsen, der etwa dreißig Meter entfernt steil ins Wasser abfiel. Es galt als Mutprobe, dorthin zu schwimmen, noch viel mehr nachts. Jeder, der hier im Wasser stand und hinüber sah, wusste das, auch wenn es ihm niemand erzählte. Nichts für Leute mit schwacher Konstitution und schwachem Herzen, eher für diejenigen, die gewohnt sind, der Welt täglich im Vorbeigehen in den Arsch zu treten. Menschen wie Christa eben. Und ich. Oder?
„Ich geh wieder raus“, murmelte Gitte kläglich, aber meine Gedanken hatten sich längst in Christas verhakt. Sie drehte mir noch immer den Rücken zu und beugte sich ein wenig vornüber, um mir ein paar tiefere Einblicke in ihre Schatzkammer zu gewähren. Meine Hormone beendeten auf der Stelle ihren Kältestreik, selbst die Blutzufuhr in völlig vernachlässigte Regionen kam wieder in Gang, nur das Hirn hatte die Steuerung über die Augen verloren. Dann hatte sich Christa vom Grund abgestoßen und nahm Kurs auf den Steinbrocken, mit schnellen, kontrollierten Bewegungen, die bewiesen, dass sie ihre Badezeit gewöhnlich nicht in Whirlpools vertrödelte.
Ich hatte mich keinen Illusionen hingegeben und stellte dennoch wenig erfreut fest, wie rasch mir die Kälte den Atem raubte. Etwa ab der Hälfte kämpfte ich gegen Panikattacken, der Rest der Strecke wurde mir schlichtweg geschenkt. Dafür knallte ich mit dem Kopf beinahe in den Stein.
Mühsam zog ich mich auf den Felsen und landete mit dem Gesicht direkt zwischen Christas weit gespreizten Schenkeln. Sie lag auf dem Bauch wie ein gestrandeter Wal und schenkte dem Umstand, dass ich einen sehr tiefen Einblick in den Sinn des Männerlebens bekam, keine Beachtung. Allerdings beschäftigte ich mich selbst vor allem damit, kleine Eiskristalle aus meinen Lungen zu pumpen. Und dennoch hätte ich was dafür gegeben, die Zeit anzuhalten.
Irgendwann drehte sich Christa zur Seite und half mir hoch, und wir klammerten uns aneinander, um nicht sofort wieder abzurutschen. Zu mehr fehlte beiden die Kraft.
„Hab dich unterschätzt“, keuchte sie mir ins Ohr. „Doch kein Schlappschwanz.“
„Manchmal“, röchelte ich. „Wenn es sich lohnt.“
„Mal sehn.“ Sie schwieg, um ein wenig zu Atem zu kommen, doch mir schwante, dass jetzt keine Liebeserklärung folgte. „Dein Komplize hat sich verplappert, also hör gut zu.“ Ich nickte, soweit ich in ihrer Umklammerung dazu fähig war, denn sie drückte meinen Kopf gegen ihre Brüste. „Ich hab nichts gegen eure schwachsinnige Wette, aber ich bin kein Pokal.“
„Wette.“ Mir wurde ein wenig wärmer bei dem Gedanken, dass es aufgeflogen war. Zugleich fiel mir ein, dass Rainer ihr natürlich seine Version der Geschichte gebeichtet hatte. Der Versuch, meinen Schenkel aus ihrer Beinschere zu befreien, scheiterte im Ansatz.
„Bleib liegen und hör zu, hab ich gesagt.“ Sie zwickte mir ärgerlich in die Seite, fest genug, um ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen, und ließ die Hand gleich dort liegen. „Ich such mir meine Männer gern selber aus, klaro?“
„Klaro.“ Die beiden Halbkugeln vor meinen Augen luden mich ein, meinen Mund auf sie zu pressen, um dann langsam weiter zu wandern, hinunter über den schmalen Grat ihres Bauches auf den kleinen bewaldeten Hügel, und weiter zu der versteckten Höhle, deren wunderbares Bild mir immer noch vor Augen flimmerte. Ich zweifelte an Christas Einverständnis, dennoch traf mich ihr nächster Satz wie eine Ohrfeige.
„Also gut. Ich bin eine moderne Frau. Heute Nacht kriegt Rainer eine Chance, mir den Hengst zu machen, morgen du. Das habe ich so beschlossen, also friss oder stirb. Klaro?“
Diesmal benötigte ich länger für die Antwort. Ade, ihr schönen Täler, ade, ihr lichten Höhn, wir werden uns im Leben, niemals mehr wiedersehn. Mein Magen verkrampfte sich. „Klaro.“
„Und du passt inzwischen auf Gitte auf. Sie fürchtet sich allein, das sehe ich.“
„Nur aufpassen? Sonst nichts?“ Christa schmiegte sich noch näher an mich, soweit das überhaupt ging, und ihre Berührungen bekamen einen hoffnungslos frivolen Charakter. Längst war sie wieder im Stande zu grinsen, und sie nützte es, um mir zu zeigen, wer von uns beiden die Hosen anhatte. Rein metaphorisch natürlich. Dass inzwischen etwas Hartes gegen ihre Leiste drückte, blieb unkommentiert, was nicht heißen soll, dass sie dem Umstand keine Beachtung schenkte. Ein prüfender Zeigefinger schob sich langsam über meinen Schaft, um mir unvermittelt in den Nabel zu bohren.
„Was ihr sonst treibt, ist eure Sache. Ich will nur nicht, dass sie wegen eurer blöden Männerallüren zu Schaden kommt. Klaro? Fein. Und jetzt lass uns abhauen, bevor wir erfrieren.“
Es tat weh, als sie mich endlich losließ. Natürlich waren wir beide blau und steif vor Kälte und brauchten eine Weile, bis wir sicher auf den Beinen standen, aber ich hatte mich eben weit mehr verliebt, als mir lieb war. Und so, wie Christa mich behandelte, kam dieses Gefühl vielleicht nicht nur von meiner Seite.
„Ich seh schlecht in der Nacht“, sie zwinkerte mir zu. „Wäre nett, wenn du mir ein wenig hilfst.“
Sie wartete die Antwort erst gar nicht ab, verschmähte meinen ritterlich angebotenen Arm und legte die Hand gleich um meine Hüfte. Die meinige bekam statt der Schulter einen Platz auf ihrer Brust. Wie ein verliebtes Paar tänzelten wir die schmale, rutschige Böschung entlang, während ich mich bemühte, dem Terrain vor mir mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem neben mir. Christa war mir dabei, vorsichtig ausgedrückt, keine große Hilfe und gab mir einen ausgeprägten Vorgeschmack auf die kommende Nacht. Ihre rosigen Nippel standen steif vom Körper ab, bestimmt nicht nur von der Kälte, und rieben bei jeder sich bietenden Gelegenheit über meine Handfläche
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tyami takez
@lacky1: Soweit mir bekannt ist, sollte das hier der einzige Platz sein, aber ich bin traditionell sauschlecht informiert. Andererseits leb ich derzeit noch, also könnte sich die Sammlung erweitern.«
Kommentare: 4
Kommentare: 21
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Mondstern
Ja, hat mir gefallen, was m. M. an der gelungenen Erzählperspektive liegt. Außerdem bin ich ein Fan des "Ich-Erzählers" und intelligenten Charakteren.
LG Mondstern«
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Helios53
Groß und mächtig,
schicksalsträchtig,
um seinen Gipfel jagen
Nebelschwaden.
A Donnern schickt er oft ins Tal
und dann schauderts alle auf amal.
Wann er donnert, Gott behüt,
der Berg, der kennt ka Einseg'n nit.
Bergkopf, Bergkopf, Schicksalsberg,
du bist so groß und i nur a Zwerg.
Vül hat's schon pockt,
am Berg aufi g'lockt,
g'folgt sans ihm tapfer,
oba da Berg, der wüll sei Opfer.
Tja, so war das - damals - aber heute ist es sehr gemildert. Das Opfer ist gering, ein verstauchter Knöchel heilt im Handauflegen.
Die angedeuteten Ähnlichkeiten habe ich erkannt und darüber hinaus auch, dass die auf "Kälte macht spitz, sozusagen frostgeil" reduzierte, wissenschaftlich aber noch nicht ausreichend erforschte Lebensweisheit öfter literarischen Niederschlag findet, als ich erst dachte.
Ein wenig habe ich mir gewünsch, dass Hans der Turbomieze Christa deutlich einen Korb gibt und es sich nicht einfach durch Interesselosigkeit ihrerseits erledigt. Und das, obwohl sie durchaus sympathisch rüberkommt.
Die weiblichen "Rituale" hast du wunderbar entlarvt und durch den Kakao gezogen, sowas mag ich sehr. Aber kein Mitleid mit den Männern. Wir sind selber schuld - und das nicht ungern.
PS: Vielen Dank für deine P.R. Der Bergsilvester hat heute die 4000-Klick-Grenze durchstoßen.«
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Auden James
"Substitute 'damn' every time you're inclined to write 'very'; your editor will delete it and the writing will be just as it should be."
Entweder solltest du also den Lektor wechseln oder beim nächsten Mal (zur Abwechslung?) selber richtig überarbeiten.
Und es heißt übrigens "das Autoradio", nicht "der Autoradio". Aber das mit der Überarbeitung sagte ich ja bereits.
In diesem Sinne wünsche ich frohes Schaffen!
-AJ
PS: Hat Serenity, als er den Text einlas, eine Nachtschicht hinter sich gehabt?
PPS: Und weniger Verklemmung wäre beim nächsten Mal auch nicht schlecht, dann nämlich blieben dem Leser so schamvolle wie kompliziert konstruierte und unfreiwillig komische Vermeidungsformulierungen erspart, wie z.B.: "Sie rieb sich an mir, um zu beweisen, dass nicht nur meine Finger zu ihrem Hinterteil passten, und das angesprochene Körperteil reagierte begeistert, ohne meine Erlaubnis abzuwarten." Ich meine, wir sind hier doch alle erwachsen, nicht wahr? Oder darf man im katholischen Ö. selbst im 21. Jhdt. zum Du-weißt-schon-was-ich-meine immer noch nicht Du-weißt-schon-was-ich-meine sagen? Und im Ernst: Das ist nicht mehr albern, sondern peinlich bis jämmerlich oder einfach gottserbärmlich.«
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EviAngel
Nett zu lesen und zu empfehlen.«
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