Auf dem Weg zum Ich
von Hassels
Zu meiner Person, - ich heiße Senay (ausgesprochen Schenei) und bin siebenundzwanzig Jahre alt. Als in Deutschland geborene Türkin mit der Erziehung durch vom tiefsten Anatolien geprägten Eltern, deren muslimischer Glaube durch den Imam der Moschee noch konservativer wurde, hatte ich es ab dem Besuch der Grundschule nur mit Vorurteilen und Abneigung mir gegenüber zu tun. Hier möchte ich nun meinen Weg zum eigenen Ich beschreiben, mit Rückblicken und Einblicken. Vor einem Jahr hätte ich nicht zu Träumen gewagt einmal wirklich glücklich zu sein.
Es war vor etwas mehr als einem Jahr, da hielt ich die Trümmer meines Lebens in Händen. Mit meinem Lebensgefährten Angelo hatte ich ungefähr ein halbes Jahr zusammengelebt als ich mich von ihm trennte. Seine unkontrollierten Ausbrüche konnte ich nicht mehr ertragen. Meist war er trotz seiner dominanten Art, das hatte mich zu ihm hingezogen, sehr lieb zu mir. Aber immer wieder hatte er diese Ausbrüche in denen er unberechenbar wurde. Das erinnerte mich dann immer wieder an mein Elternhaus aus dem ich gleichermaßen verstoßen und geflüchtet war.
Seit einer Woche ging ich in die Tagesklinik zur Bekämpfung meiner Angstzustände, erste Sitzungen hatten mir zumindest schon ein wenig neues Selbstwertgefühl gegeben, aber ich fühlte das Damoklesschwert über mir. In Händen hielt ich die Abmahnung des Vermieters, in all dem Chaos hatte ich mich noch nicht beim Arbeitsamt gemeldet und folglich war ich finanziell auf der letzten Rille. Die Miete für die letzten beiden Monate hatte ich nicht überweisen können da ich sonst nichts zu Essen gehabt hätte. Die Frist von zwei Wochen zur Begleichung der Mietrückstände war schon fast verstrichen als ich mich in meiner Verzweiflung an Angelo wandte.
Mit seinem Sonntagsgesicht kam er vorbei, anschließend nahm er sich der Sache an. Er rief den Vermieter an und sprach ihm auf den AB. Dann gab er mir auf schnellstmöglich zur Arge zu gehen da die mir für jeden nicht gemeldete Arbeitslosentag die mir zustehenden Leistungen kürzen. Binnen weniger als zwei Stunden war ich Angelos Charme wieder erlegen und wir landeten im Bett. Doch am frühen Morgen des nächsten Tages hatte er wieder so einen Ausbruch, ich bat ihn zu gehen – diesmal ohne Wiederkehr.
Als ich gegen Mittag von der Tagesklinik heim kam, es war ein mordsmäßiger Krach im Haus zu hören, fand ich einen Post-It Zettel an meiner Wohnungstür vor. Der Vermieter hatte darauf vermerkt dass er heute bis sechzehn Uhr im Hause wäre, oben auf der zweiten Etage. Mit Angst im Bauch schlich ich mich dann um halb drei des Nachmittags nach Oben. Kurz nach meinem zaghaften Klopfen öffnete er, es war mir fast schleierhaft wie er das bei dem von ihm verursachten Baulärm hören konnte, mir die Tür und musterte mich von Oben bis Unten.
„Guten Tag Frau Öztürk. Ich hoffe ihnen und Herrn Bontelli ist die Situation bewusst in der sie sich befinden. Eine preiswertere Wohnung werden sie hier in der Stadt nur schwerlich finden. Und was haben sie mir zu sagen?“, seine Stimme klang warmherzig und doch bestimmt.
„Entschuldigung Herr Kürschner! Herr Bontelli und ich, - wir haben uns getrennt.“, nun war es raus.
„In dem ganzen Chaos habe ich mich nur noch auf die Tagesklinik konzentriert. Ich leide unter Angststörung. Ich hoffe sie geben mir Gelegenheit alles noch gerade zu Biegen?“, es war mehr eine Frage als das eine Antwort gewesen wäre.
In Erwartung eines mich überkommenden Gewitters schloss ich meine Augen, ich stand ja sowieso schon mit schlotternden Knien da. Ich spürte nur noch wie ich an die Hand genommen wurde und hörte wie die Wohnungstüre geschlossen wurde. Als ich vorsichtig die Augen öffnete stand ich inmitten einer Baustelle.
„Es ist gut dass sie sich in ärztliche Obhut begeben haben. Damit ist nicht zu Spaßen. Im Herbst als sie zusammen den Mietvertrag unterschrieben haben war mir schon die Dominanz von Herrn Bontelli aufgefallen. Da sie das offensichtlich brauchen habe ich auch nichts dazu gesagt. Aber ihr ganzes Verhalten zeigt es deutlich. Über die Lautstärke und Türenschlagen hatten sich ja schon einige Nachbarn beschwert. Und jetzt haben sie diese unkontrollierten Ausbrüche nicht mehr ausgehalten!“, ungläubig schaute ich Herrn Kürschner an.
Für eine ähnliche Analyse hatte die Psychologin fast zwei Wochen an täglichen Sitzungen benötigt.
„Ja da kommt wohl vieles zusammen, angefangen bei meiner Familie.“, schloss ich ab. Ich verwies darauf direkt am nächsten Tag einen Termin bei der Arge zu haben.
„Dann hoffe ich mal darauf dass sie mir Morgen mit positiven Nachrichten zurück kommen.“, wurde ich von Herrn Kürschner freundlich an der Wohnungstür verabschiedet.
Am Abend nahm ich die mir verordnete Medikation, zwei halbe Psychopharmaka und eine Schlaftablette, und promt verschlief ich meinen morgendlichen Termin. Mit schlechtem Gewissen rief ich bei der Dame bei der Arge an und die, unhöflich ist noch eine nette Formulierung, kanzelte mich sofort ab. Erst als ich zu Wort kam und etwas von meinem Attest erzählte wurde die Dame freundlicher und bot mir einen Termin außer der Reihe um neun Uhr des nächsten Tages an. Zu meinem Vermieter schlich ich die Treppe hoch, doch vor der der Tür machte ich mir vor Angst in die Hose und schnell schlich ich wieder nach unten. Schnell wechselte ich die Wäsche und lauschte dem was da kommen würde.
Kurz nach sechzehn Uhr hörte ich schwere Schritte im Treppenhaus. Es wurde jedoch weder geklingelt noch an die Tür geklopft. Mit einer gewissen vorübergehenden Erleichterung konnte ich durch das heruntergelassene Rollo meines Wohnzimmerfensters zur Straßenseite sehen, dass mein Vermieter für heute seiner Wege ging. Doch mein Gewissen holte mich schnell wieder ein ein. Also schrieb ich ihm eine SMS in der Hoffnung dass er diese erst später lesen würde.
„Hallo Herr Vermieter. Senay hier aus dem Haus Nr.7 . Ich habe meinen Termin heute verschlafen und mich nicht getraut ihnen das zu sagen. Ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen und hoffe darauf dass sie mir die Gelegenheit geben die Sache beim Amt morgen zu erledigen. Ich bitte noch tausendmal um Entschuldigung!“, danach stellte ich mir zwei Wecker und schlief noch vor siebzehn Uhr ein.
Den nächsten Tag gegen elf Uhr kam ich halbwegs zufrieden von der Arge zurück. Nur ein paar Unterlagen und eine Bescheinigung vom Vermieter müsste ich noch beibringen. Als ich die Wohnungstür aufschloss fand ich einen handgeschriebenen längeren Letter meines Vermieters. Er hatte sich meine SMS zu Nutze gemacht und sprach mich im gesamten Text mit du an. Das fühlte sich einerseits sehr wohlig an, andererseits überschritt es ja eigentlich die Persönlichkeitsrechte. Aber mit meiner SMS hatte ich ihm ja dazu Tür und Tor geöffnet. Ich ging also zum Rapport nach oben.
„Hallo Frau Öztürk. Wie ist es gelaufen? Ich wollte ihnen nur ein wenig die Angst nehmen, deshalb habe ich sie nach der SMS in dem Brief geduzt. Aber wie ich dort schon geschrieben habe, helfen kann ich ihnen nur wenn sie mit mir Reden.“, und wieder hatte mich seine sonore und warmherzige Stimme gefangen.
Freudig wie ein kleines Kind wedelte ich mit den Unterlagen von der Arge und erklärte was noch fehlte. Er versprach mir die Bescheinigung noch am nächsten Morgen in meinen Briefkasten zu werfen.
Einige Tage später bekam ich von der Arge den Bescheid zur Kostenübernahme. Von nun an konnte ich mich voll auf die Tagesklinik konzentrieren, aber so richtige Fortschritte konnte ich nicht wirklich wahrnehmen. Vielleicht war ich auch zu sehr gefangen in mir selbst.
Drei Wochen später waren meine Therapiestunden erst mal beendet. Leider wurde mir attestiert noch nicht wieder arbeitsfähig zu sein. Mit etwas Frust im Bauch, die Scheuklappen nichts rechts und links sehend hatte ich gerade die Straße zwischen Karstadt und Kaufhof überquert, da hörte ich eine mir bekannte Stimme hinter meinem Rücken. Es war mein Vermieter der mich nur kurz ansah und dann zu einem Kaffee einlud. Ohne weitere Worte folgte ich ihm in die Kantine des Kaufhauses. Auf Nachfrage bestellte ich einen Cappuccino und verschwand dann in der Toilette. Wenn er es eben vielleicht noch nicht gesehen hatte, sollte er nicht mitbekommen dass ich vorhin ein paar Tränen vergossen hatte. Als ich die Toilette verließ sah ich ihn schon an einem Tisch am Fenster. Zum ersten mal hatte ich ihn während der paar Meter nun eingehend in Augenschein genommen. Er war groß und breitschultrig, hatte auch einige Pfunde zu viel auf den Rippen, und sein gelichteter Scheitel wirkte wie eine Tonsur. Also wirklich kein Typ in den man sich verlieben könnte. Ich legte die Gedanken ad acta und während ich mich hinsetzen wollte war er aufgesprungen und schob den Stuhl für mich zurück und dann zum sitzen vor. Dann ging er wieder um den Tisch und setzte sich selbst.
„Na dann erzählen sie mal Frau Öztürk, wie es ihnen nun geht. Sie wirkten eben so niedergeschlagen und geweint hatten sie auch!“, er war wieder geradeheraus – kein Blatt vor den Mund nehmend.
Aber diese Herzlichkeit in seiner Stimme hatte etwas magisches. Warum auch immer, in der Nähe dieses älteren Mannes fühlte ich mich sicher, fast schon ein wenig geborgen.
„Also die Sitzungen sind jetzt erst mal beendet. Aber wirklich was gebracht hat es auf Dauer nicht. Aber darf ich sie auch mal etwas persönliches fragen?“, hatte ich all meinen Mut zusammen genommen und war froh als er nickte.
„Sie haben mich von Anfang an richtig zugeordnet ohne wirklich etwas von mir zu wissen. Wie ist das möglich?“
Ihn überkam ein leichtes Schmunzeln, dann hob er die Stimme und sprach in einem mir unter die Haut gehenden jovialen Ton:
„Ach Mädchen, du bist so jung und unerfahren. Dabei bist du auch immer an die falschen geraten. Nur das was du suchst wirst du so nicht finden. Ein guter DOM findet seine SUB immer selbst, nie umgekehrt.“
Eine Weile saßen wir danach schweigend da, ich dachte über seine Worte nach. Wirklich etwas anfangen konnte ich damit nicht, daher fragte ich nach.
„Was ist ein DOM und eine SUB? Ich kenne das nicht!“, gab ich ganz ehrlich zu.
Das er mich eben das erste mal in einem Gespräch geduzt hatte empfand ich sogar als angenehm.
„Also ganz vereinfacht dargestellt, der DOM ist der dominante Part in einer Sadomaso Beziehung und die SUB hat sich dem bedingungslos unterzuordnen. Allerdings wird vorher ein gemeinsamer Plan entwickelt da nichts gegen den Willen der SUB geschehen darf. Soll heißen, sie muss sich vorher klar darüber sein was sie denn gerne möchte. Die Variationen und die Art der Gestaltung liegen dabei ausschließlich in Händen des DOM`s.“, schloss er seine kurze Einführung ab.
Ich hatte dabei direkt eine Vorstellung, aber meine Neugier war noch nicht gestillt. „Und wie würde mich so ein DOM finden?“, sah ich ihn fragend an.
„Gibt es da besondere Orte wo ich präsent sein muss?“
Wieder hatte er dieses schelmische, ja magische Grinsen im Gesicht. Nun leuchteten seine Augen wie ich es noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Tief sah er mir in meine Augen und zog mich nun vollends in seinen Bann.
„Nun gut. Ich würde sagen der DOM hat seine SUB gefunden. Es gibt da nur ein Problem. Ich habe vor zwölf Jahren eigentlich damit aufgehört als meine Tochter fünf Jahre alt wurde. Wenn du es wirklich möchtest Senay, dann werde ich dein Meister. Aber kein 24/7 sondern nur zu ausgewählten Zeiten. Außerdem möchte ich dass du dich selbst kennenlernst bevor du den dazugehörigen Sklavenvertrag unterschreibst. Besorge dir für Freitag ein neutrales Massageöl, Babyöl würde allerdings auch reichen. Dann werde ich deine Sinne bearbeiten. Du solltest Bett oder Couch mit einer Plastikplane überziehen damit es keine Flecken gibt. Den Rest erkläre ich dir am Freitag.“
Vieles hatte ich ja erwartet, dass mein Vermieter ein DOM wäre hätte ich im Leben nicht geglaubt. Das musste erst mal sacken. Ob ich seine dabei immer präsentere Stimmlage richtig gedeutet hatte, ich wusste es nicht. Aber ich wollte ihm mein Vertrauen demonstrieren.
„Ich werde sie mein Meister am Freitag erwarten und alles vorbereiten. Für heute bedanke ich mich für das Gespräch und wünsche ihnen noch einen schönen Tag Herr Kürschner.“, worauf ich ihm die Hand reichte und dann verschwand.
Am Abend telefonierte ich noch mit einer Bekannten bei der ich mal die Akquise für ihren Massagesalon gemacht hatte. Der alte transportable Massagetisch wäre noch in ihrem Keller. Den würde sie mir schenken bevor er total verstaubt. Am nächsten Tag holte ich den Tisch ab und hatte dann noch ein nettes Pläuschchen. Dorothee gab mir auch noch ein Fläsc
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