Casting für einen neuen TATORT
von Jason King
Casting
Langsam brach die Dämmerung über die Hauptstadt herein. Ein herrlicher Herbsttag würde sich in Kürze verabschieden. Ein Tag, wie ihn eigentlich jeder mochte. Sonnig, trocken und nicht zu warm.
Nur, dass hier von Großstadt nichts zu merken war. Die Abendsonne spiegelte sich auf den leichten Wogen des Großen Müggelsees, der direkt vor ihren Füßen lag. Leise plätscherten die Wellen an den nahe gelegenen Holzsteg. Und leise raschelte das bunte Laub über ihr.
Ansonsten war nur das leise Flüstern der anderen Gäste auf der Terrasse des noblen Hotels zu vernehmen.
Ungeduldig rutschte Sandra auf ihrem Stuhl hin und her. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass Herr König nun schon über eine Stunde überfällig war. Wenn sie was nicht mochte, dann war das Unpünktlichkeit.
Aber er könnte nun mal ihr Auftraggeber werden und so durfte sie noch nicht einmal sauer sein. Dabei kochte sie innerlich schon vor Wut.
Da! Ein seriös gekleideter Herr mit einem kleinen Aktenkoffer kam in den Garten. Ist das Herr König? Aber er setzte sich an den Nachbartisch. Hatte sie ihn nicht auch vorhin schon gesehen? Er war ihr doch schon aufgefallen als er vorher am Empfang mit dem Kellner was aushandelte und sie dabei sehr auffällig musterte.
Jetzt war es aber genug! Von dem wunderschönen Sommerabend wollte sie noch was haben. Sollte sie nicht doch einfach den seriös gekleideten Herren am Nachbartisch ansprechen? Dazu musste sie aber all ihren Mut zusammen nehmen.
Ein tiefer Seufzer ließ sie zum Angriff blasen: „Entschuldigen Sie. Sind Sie Herr König?“
Erfreut sprang er auf: „Ja! Und Sie sind Frau Silbermann?“
Wortlos betrachtete er die junge Frau von oben bis unten. Sie war nicht gerade auffallend hübsch, trotzdem jedoch schon ein kleiner Blickfang. Ihre rötlich glänzenden Haare fielen wie ein kupferner Wasserfall auf ihre Schultern. Ein dezent aufgetragener Lidschatten betonte ihre wunderschönen Augen nahezu perfekt. Dazu das niedliche Stupsnäschen, geziert von einigen Sommersprossen und dieses Lächeln, das ihre vollen Lippen umspielte.
Genauso aufregend war ihre Figur. Ihr wohl proportionierter Oberkörper wurde lediglich von einer weißen Bluse verhüllt. Der kurze schwarze Lederrock gab den Blick auf traumhaft schöne Beine frei, die in durch den seidenen Glanz der hautfarbenen Strumpfhosen unwahrscheinlich betont wurden und in hochhackigen Sandaletten endeten. Einfach göttlich.
„Nehmen Sie doch Platz.“ bot er ihr den Platz an seinem Tisch an.
Schon stand der Kellner neben den beiden und übergab die Speisekarte. Und nachdem sich beide für eine Flasche Dornfelder, einen großen Salatteller und die 37 entschieden haben kam Herr König sofort zum Punkt.
„Sie wollen also einer der weiblichen Hauptrollen im neuen Tatort übernehmen?“
Sandra nickte mit strahlenden Augen. Sah sie doch endlich eine neue Chance zum Durchbruch. Diese ewigen kleinen Nebenrollen in Soap- Serien, die nur am Nachmittag liefen, hatte sie schon lange satt. Und brachten auch nicht das große Geld. Mit ihren 30 Jahren musste sie einfach mehr erreichen.
Und dieser Herr König war durchaus sympathisch, er hatte irgendwie so eine vertrauensvolle Art. Sein Körper war athletisch, seine kurzen Haare waren modisch gestylt, seine Hände gepflegt.
„Nun. Dieser Tatort wird nicht so sein, wie die bisherigen. Wir müssen neue Wege gehen. Umfangreiche Recherchen in einschlägigen Foren im Internet haben ergeben, dass die Leute in allen Altergruppen bedeutend mehr Fesselungen im Fernsehen sehen wollen.“
„Ja, ja. Sie schrieben so etwas in Ihrer Anzeige.“ Bestätigte Sandra eifrig.
„Nicht bloß solch kurze Szenen. Ich meine: Richtig ausführlich. Langzeitfesselungen, Fesselungen in verschiednen Positionen, Spread Eagle, Hogtie und natürlich auch Erotik. “
Gespannt hörte Sandra zu. Sie kannte Fesselungen bisher nur von einigen heimlichen Selbstfesselungen. Und fand schon das irgendwie prickelnd.
„Das ist nicht jedermanns Sache und will natürlich vorher richtig geprobt sein.“ Sprach er mit tiefer und beruhigender Stimme weiter.
„Um was geht es denn in dem neuen Tatort?“ wollte Sandra wissen.
„Nun. Die 25-jährige Tochter eines reichen Geschäftsmannes und ihre Freundin wird entführt. Sie werden beide in ein Zimmer eines leer stehenden Hotels verschleppt, gefesselt und geknebelt. Beide können sich befreien. Doch die Tochter wird auf der Flucht ertappt und zurück gebracht. In dem neuen Versteck wird sie längere Zeit festgehalten, weil die Eltern wegen der Finanzkrise die hohe Lösegeldsumme nicht so schnell aufbringen können. Dabei verliebt sie sich in ihren Entführer.“
Zufrieden beobachtete er, dass Sandra nervös auf ihrer Unterlippe kaute. Ein sicheres Zeichen für ihn, dass er sie in bereits in seinen Bann gezogen hatte. Dabei starrte er auch auf ihre schlanken Füße. Verspielt ließ sie ihre Sandaletten auf ihrem großen Zeh wippen. Dabei fiel ihm ein hauchdünnes Fußkettchen an ihrer linken Fessel auf. Hatte er nicht mal gelesen, dass das die Bereitschaft signalisiert, sich an jemand binden zu wollen?
„Nun, das Thema gab es doch bestimmt schon hundertmal im Fernsehen.“ Bemerkte sie schon fasst ein wenig enttäuscht.
„Schon. Aber wie gesagt: Im Mittelpunkt soll das gefesselte Opfer, ihre Empfindungen und Gefühle stehen und natürlich auch ein wenig Erotik, Frau Silbermann.“
Irgendwie erwartungsvoll sah ihn Sandra an. Herr König nahm sein Glas und prostete ihr zu.
“Trauen Sie sich eine solche Rolle zu?“ Fuhr er fort, nachdem sie die Gläser zurück auf den Tisch gestellt hatten.
Ihr viel sagender Blick, ihr Lächeln und ihr „Kann gut möglich sein.“ verrieten ihm, dass er sie bereits überrumpelt hatte und die Weichen für einen fesselnden Abend endgültig gestellt sind.
“Ich würde aber erst ganz gern das Drehbuch mit nach Hause nehmen und lesen.“ Sagte sie in sein Stimmungshoch hinein.
“Klar doch.“ Stammelte Herr König. „Beim richtigen Casting müssen Sie natürlich den Text können.“
Seine Enttäuschung war ihm mehr als anzusehen. Mit zittrigen Händen holte er einen dicken A4 Ordner aus seinem kleinen Aktenkoffer und schob ihn zu Sandra herüber. Aber er wollte nicht locker lassen. Hatte er doch den Fisch schon an der Angel.
„Heute würden aber mir erst einmal ein paar einfache Textproben reichen. Nur, um mir ein Bild über Ihr Schauspielerisches Talent machen zu können.“
“Hmm.“ Sandra schlug unschlüssig die Beine übereinander.
“Sie können ja mal kurz darin blättern. Ich gehe mir nur mal schnell Zigaretten holen.“
entschuldigte sich Herr König und verschwand in Richtung Toiletten.
Neugierig griff Sandra nach dem Drehbuch und überflog die Seiten. Mittendrin fängt sie an, zu lesen:
SZENE 5
Am nächsten Morgen verlässt Nicole zeitig das Haus. Sie trägt einen schwarzen Mantel, darunter einen schwarzen Lederminirock, hochhackige Pumps und glänzende hautfarbene Strumpfhosen.
SCHNITT
Er beobachtet sie noch lange wie sie die Straße herunterging und ihr offener Mantel im Wind weht.
VERSCHIEDEN PERSPEKTIVEN
SCHNITT
Dann verschafft er sich mit dem Schlüssel Einlass ins Haus.
Der Vormittag vergeht. Er schaut sich ein wenig in ihrer Wohnung um
SCHNITT
ZWEIMAL DIE UHR
9 UHR
13 UHR
Plötzlich geht die Haustür auf. Zwei weibliche Stimmen sind zu hören.
SCHNITT
Nicole: “Komm herein! Es dauert nicht lange!“
Blitzschnell springt er auf, holt sich zwei Handschellen aus einer Sporttasche, schließt die Schlafzimmertür und versteckt sich hinter der Wohnzimmertür.
SCHNITT
Beide kommen herein.
Marlene trägt einen roten Mantel, einen schwarzen Minirock, hochhackige Pumps und schwarze blickdichte Strumpfhosen. Beide gehen in die Küche, ohne sich die Mäntel auszuziehen. Und unterhalten sich.
Nicole: “Hast du das über die schwarze Kapuze in der Zeitung gelesen?“
Marlene: “Nein“
Nicole “Hier lies mal!“ und reicht ihr die Tageszeitung.
SCHNITT:
Zeitung
“Die schwarze Kapuze schlug erneut zu und fesselte wehrloses Opfer“
“Junge Frau sprang aus panischer Angst aus dem Fenster“
SCHNITT/ GESICHT IN TOTALE
Marlene liest vor:
“Wieder fesselte die schwarze Kapuze eine allein stehende Frau“
SCHNITT
Mit einem wahren Panthersprung, lautlos und geschmeidig springt er Marlene an und umklammerte ihren Hals von hinten mit seinen Unterarm.
Er: “Los! Mach keine Zicken!“ und wirft Nicole die Handschellen zu, die sie aus Reflex auffängt.
Er: “Los, zieh Dir den Mantel aus und lege dir die Handschellen an.“
Nach einigem Zögern zieht Marlene den Mantel aus und legt zitternd den ersten Bügel um ihr linkes Handgelenk. Als sie den zweiten Bügel um ihr rechtes Handgelenk einrasten will brüllte er sie an. „Auf den Rücken!“
Widerwillig legt sie ihre Arme auf den Rücken und lässt den zweiten Bügen einrasten.
Er: “Setz Dich dahin“ befiehlt er ihr und zeigt auf den Stuhl.
Er: “Und keine Zicken“
Dann zerrt er Marlene, die er noch immer im Schwitzkasten hat ins andere Zimmer.
SCHNITT
“Na? Spannend?“ Sandra wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Lächelnd wirft Herr König eine Schachtel Zigaretten auf den Tisch.
“Ja ja.“ Stotterte sie mit zittriger Stimme.
“Wir werden gleich nach dem Essen ins Studio nach Adlershof fahren und mit dem ersten Casting beginnen. Das ist nicht weit von hier.“ Meinte Herr König ganz selbstverständlich.
In ihrem Bauch begann es zu kribbeln. Sandra war klar, dass Sie keine andere Wahl hatte. Und die Aussichten auf eine große Karriere war ja auch gegeben. Da konnte man sich vielleicht schon einmal fesseln lassen.
***
Auf der Fahrt durch Köpenick schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf. Würde dieser durchaus sympathische Herr König das Casting allein mit ihr durchführen? Oder saß da eine Jury aus § Mann. Vielleicht sogar mit Dieter B., der sie dann auch noch mit niederen Sprüchen kritisieren würde? War es nicht gefährlich, sich von einem Fremden fesseln zu lassen? Auch der Tatort am letzten Sonntag mit Axel Prahl fiel ihr ein.
Da wurde doch das Opfer auch stundenlang gefesselt gehalten. Und dann…
Nein! So weit wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie konnte und wollte jetzt nicht zurück. Sie wollte ein Star werden. Und da musste man jede Chance nutzen.
Im Studio in Adlershof angekommen, kam Sandra aus dem Staunen nicht heraus. Ein komplett eingerichtetes Fernsehstudio, so richtig mit hunderten Scheinwerfern, Kameras und Stativen. Viel größer und komfortabler als das ihrer bisherigen Nachmittagsserien. Die Wände waren sogar mit einer Schalldämmung verkleidet. Hinten in der Ecke hingen Seile in allen Längen, Baumwollseile, Hanfseile, sogar dicke Taue waren dabei. Die Ecke ähnelte fast einem Dominastudio. Wenn nicht nur die Scheinwerfer so blenden würden…
Mitten im Studio war so etwas wie ein Hotelzimmer aufgebaut. Alle Kameras waren auf das breite Doppelbett mit Metallstreben gerichtet. Daneben, vor einem imposanten Gaskamin stand eine gemütliche Couchgarnitur. Alles war sehr gemütlich in dunkelroten Tönen gehalten.
Alles Menschenleer. Nur sie und Herr König waren in diesem riesigen Studio.
“Fühlen Sie sich wie zu Hause.“ meinte Herr König versöhnlich.
Sandra bemerkte nicht, dass Herr König dabei die Studiotür leise verriegelte.
“Wir können zu erst ein paar einfache Sprechproben machen.“ Kam Herr König schnell zum Punkt. „ Schauen Sie hier in die Kamera und lesen Sie das vor, was auf dem Teleprompter steht.“
“Kamera ab!“
Sandra las: „Was wollen Sie von mir? Wie lange wollen sie mich hier noch gefangen halten?“
Herr König unterbrach sie sofort: „Nein! So geht das nicht. Das ist doch nur abgelesen! Das muss emotionaler klingen. Sie müssen sich vorstellen, Sie sind entführt und gefesselt. Sie haben Angst! Also noch einmal!“
Sandra las noch einmal: „Was wollen Sie von mir? Wie lange wollen sie mich hier noch gefangen halten?“
Wieder wurde sie unterbr
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