Clara I - Ein anständiges Mädchen
von EviAngel
Dieses hier ist die Niederschrift meiner Erlebnisse, wie ich zu der glücklichen Frau wurde, die ich jetzt bin. Seit früher Jugend führe ich Tagebuch, das nahm ich als Leitfaden für diese Lebensbeichte.
Hier das erste Teilstück.
***
Roland sah ich erst am nächsten Morgen wieder. Trotz der Dusche wirkte er übernächtigt und verschlafen. Beim Frühstück fragte ich ihn:
„Wann bist du denn nach Hause gekommen? Wie spät war es denn?“
„Nach halbeins“, meinte er wortkarg.
„Aber so lang ging doch die Konferenz nicht oder?“
„Nein, natürlich nicht. Ich war noch mit Kollegen einen trinken. Mussten wir, nach der sinnlosen Zeitvergeudung. Sechzehn Führungskräfte für fünf Stunden in dem Konferenzraum eingesperrt und nur über Nichtigkeiten diskutiert. Es ist um aus der Haut zu fahren. Jetzt wollen sie eine Beratungsfirma bemühen, damit niemand aus der Chefetage die Verantwortung für Entscheidungen tragen muss. Die stehen mir echt bis hier!“
Er hatte mein Mitleid, ohja. Roland war ein lebhafter Mensch der Leerlauf hasste. Zuhause döste er für sich selbst schon mal ganz gerne vor sich hin oder schaute stundenlang fern, aber auf der Arbeit drückte er immer aufs Tempo, da musste etwas passieren, da trieb er die Leute an. Als Abteilungsleiter trug er Verantwortung und wurde ihr wohl auch gerecht.
An dem Abend kam er erst um halbacht nach Hause, er sah geschafft aus und stieg erst einmal unter die Dusche.
Wir sind jetzt seit vier Jahren verheiratet, er und ich. Als wir uns kennenlernten, war ich gerade zwanzig, ein halbes Jahr später waren wir verheiratet. Unsere Ehe war gut, besser jedenfalls als die der meiste Arbeitskolleginnen.
Roland ist der Mann und gibt den Ton an. Er sagt, was wir für ein Auto fahren, er sagt, wohin es in den Urlaub geht und solche großen Dinge eben, da hat ganz normal der Mann das Sagen. Er hört natürlich auf meine Wünsche und folgt ihnen meistens, schließlich möchte er Ruhe und Frieden zuhause haben und respektiert mich, aber er bestimmt die Richtung. Das steht ihm als Mann auch zu. Und natürlich sagt er, wann es Sex gibt. Er hat mehr Drang, für einen Mann ist Sex einfach wichtiger als für eine Frau, er findet auch Erfüllung beim Sex, wir Frauen nicht, jedenfalls nicht in dem Maße wie Männer.
Obwohl er im Bett uneingeschränkt das Sagen hat, hat er es gern, wenn ich ab und zu mal die Initiative ergreife, beispielsweise sonntags morgens, wenn uns kein Wecker zum Aufstehen mahnt, dann traue ich mich ab und zu und verführe ihn. Ich kuschle mich an, bis ich seine Härte herausgekuschelt habe. Ich freue mich über seine Erregung, darüber, dass er immer heißer wird, bis es regelrecht zu flimmern beginnt. Sie kommt von ihm zu mir, diese Erregung, sie macht mich heiß und bereit.
Ich reize ihn dann weiter, bis er die Beherrschung verliert, sich nicht mehr bremsen kann, Initiative übernimmt und sich auf mich legt und wir Sex machen.
Jetzt, nach den harten Tagen auf seiner Arbeit, brauchte mein Liebster wohl einmal einige Streicheleinheiten um ihn zu verwöhnen und daran zu erinnern, dass hier zuhause eine liebende Frau auf ihn wartete.
So richtig handgreiflich zu werden, so wirklich die Initiative bei einem Mann zu übernehmen, macht man als wohlerzogenes Mädchen nicht, deswegen habe ich mich das bisher noch nie getraut. Jetzt fand ich es an der Zeit, überwand mich und schlüpfte zu ihm in die Duschkabine. Er schaute überrascht, seine Haltung gab mir das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Ich stellte mich nah an ihn in den warmen Regen aus der Dusche. Er erwiderte nur halbherzig meine Küsse, ich wäre am liebsten wieder aus der Kabine heraus gestiegen. Mein Herz klopfte, denn ich musste etwas aus eigener Initiative tun, von dem ich nicht wusste, wie es ihm gefiel und ob er es überhaupt zulassen würde.
Ich ging auf die Knie nieder und betrachtete seinen Penis von Nahem. Er war sehr rot, er hing, nicht ganz schlaff, nicht so klein, wie er aussieht, wenn er kalt duscht.
In der Hand hatte ich ihn schon oft, jetzt im Hellen und direkt vor meinen Augen, das war anders als sonst. Ein Penis fühlt sich an wie ein Penis, wie ein leerer Schlauch, wenn er schlaff ist, und wie ein Knochen, wenn er hart ist. Roland war nicht mein erster Mann, aber er war der erste, mit dem es mir Spaß machte, wenn er mit mir schlief. Ich hielt das für Liebe, was sollte ich auch sonst denken, was könnte es anderes sein?
Von unseren sonntäglichen Vergnügungen wusste ich, dass er schnell hart wird, wenn ich ihn reize. Das dauerte heute etwas länger. Mir war klar, dass er nach einem anstrengenden Tag in der Firma etwas länger brauchen würde, bis er in Form kam. Mir stand aber der Sinn nach etwas ganz anderem, denn ich wollte mal seinen Penis mit dem Mund reizen. Blasen nennt man das in der Fachsprache. Ich wusste, dass man an dem Penis lutscht und nicht hinein bläst. Dazu musste ich mich überwinden, denn vor dem Geschmack grauste es mir. Er nutzte den Penis ja auch zum Urinieren und das war nun Weißgott nicht sauber.
Dann war der Geschmack ganz anders als gedacht. Er schmeckte irgendwie nach Frau, unrein, oder nicht sauber, er schmeckte so, wie eine ungewaschene Frau riecht.
Der Eindruck entstand nur ganz kurz, er verschwand und machte einem sehr erotischen Gefühl Platz. Mich machte es heiß, denn das war etwas, was man als anständige Frau nicht machte, einen Penis in den Mund nehmen, man wagte es nicht einmal. Von meiner Erziehung her wusste ich, dass es bereits ziemlich verwegen war, sich im Hellen oder gar außerhalb des Schlafzimmers zu lieben.
Ganz zu Beginn unserer Bekanntschaft hatte mich Roland auf dem Sofa geliebt. Das empfand ich damals als aufregend und ziemlich verderbt. Das jetzt, den Mann zu überfallen und ihn mit dem Mund zu reizen, das war etwas, was ich mich sehr lange nicht getraut hatte. Ich wusste auch nicht, ob ihm das gefiel, er sagte jedenfalls nichts.
Nach einiger Zeit stellte sich bei mir die Gewissheit ein, dass er es nicht mochte, denn sein Penis blieb schlaff. Ich wollte sehen, ob ich ihn mit dem Mund befriedigen könnte und hatte gehofft, rechtzeitig dem heraus spritzenden Sperma ausweichen zu können. Jetzt bekam ich ihn nicht einmal hart. Das war wohl ein Fehlschlag, damit hatte ich nicht gerechnet. Es war und ist nicht meine Art, schnell aufzugeben, aber diese Lustlosigkeit die von ihm zu mir herüber kam, die gesellte sich unangenehm zu meinen Selbstzweifeln und ließ mich nach einiger Zeit meine Bemühungen einstellen.
Ich richtete mich auf, ich wollte ihn nicht ansehen, weil ich mich wie blamiert fühlte. Er nahm meinen Kopf in beide Hände und küsste mich.
Er sagte:
„Tut mir leid, Schatz, nach einem solchen Tag geht gar nichts mehr. Aber gute Idee!“
Das sagte er, um mich zu trösten.
Wahrscheinlicher war aber, dass ich wohl nicht gut genug war.
Ich trat aus der Duschkabine heraus und trocknete mich ab, band ein Badetuch um, ein kleines Handtuch um die nassen Haare und verließ das Bad.
Mir war zum heulen zumute. Alles was ich anfasste gelang mir, im Beruf und im Haushalt, nur im Bett war ich schlecht. Ich konnte mich noch so sehr bemühen, was ich auch versuchte, es ging einfach alles daneben.
Ich zog das Nachthemd über und legte mich ins Bett. Als er kam, tat ich, als wenn ich schliefe.
Am nächsten Morgen war ich nicht mehr deprimiert, ich dachte mir, dass man neue Techniken erst üben muss, bevor man sie beherrscht. Das war bei einem neuen Handy so, das war bei einem neuen Tanz so, das wird beim Sex nicht anders sein, so dachte ich und tröstete mich damit.
Wobei mir der fremde Geschmack an seinem Penis wieder einfiel. Auch dass der Penis gerötet war, das fiel mir wieder ein, als wir in der Mittwoch-Konferenz saßen und der Kollege von der Finanzabteilung seinen Halbjahresbericht in einer dermaßen langweiligen Art vortrug, dass nicht nur mir die Augenlider zuzufallen drohten.
Wenn wir, Roland und ich, miteinander geschlafen hatten und danach ins Badezimmer gingen, dann war sein Penis ebenfalls gerötet. Aber nur ganz leicht, nicht so tief rot wie gestern. Dann der fremde Geschmack. Wo kam der her?
Als ich wieder in meiner Abteilung saß, die Aufgaben verteilt und einen Streit geschlichtet hatte, kam ich zum Nachdenken. Es kam mir der Gedanke, dass mein Roland, mein mir angetrauter Mann, einer, dem ich treu sein musste und der mir seine Treue versprochen hatte, dass der unter Umständen jemand anderen beschlafen haben könnte. Das war aber doch mein Roland, oder? Natürlich kann man einen Menschen nicht besitzen, logisch, aber man musste sich doch treu sein, oder?
Dann brachte ich meine Erfahrung mit ihm zu Beginn unserer Beziehung mit dem jetzigen Geschehen in Verbindung. Damals war er noch mit einer gewissen Regina verbandelt, hatte aber schon was mit mir angefangen. Mit der hat er erst später Schluss gemacht, erst als wir zusammen ziehen wollten. Damals habe ich mir dabei nichts gedacht, ich war verliebt und dachte nur in rosaroten Farben von ihm. Was war denn, wenn er es mit der Treue nicht so ernst nahm wie ich es mir vorstellte?
Heute würde er später nach Hause kommen, es stand noch ein Briefing bei der Geschäftsleitung an, so seine Begründung. Das wollte ich mir anschauen.
Ich lieh mir den Micra von Sabine und stellte mich auf den Parkplatz seiner Firma auf einen Platz, von dem aus ich den Haupteingang beobachten konnte.
Ich war mir sicher, dass mein Verdacht nicht zutraf, zumindest hoffte ich das inständig. Um Sicherheit zu erlangen ohne ihn zu verletzen, führte ich dieses Versteckspiel auf.
Die reguläre Arbeitszeit in seiner Firma ging bis viertel vor Fünf, danach dann Meeting und Briefing, so hatte er es mir mitgeteilt. Zu meiner Überraschung trat zwei Minuten nach dem regulären Feierabend mein holder Gatte aus dem Haupteingang, rechts eine kleine Blonde im Arm und links eine große Brünette. Mir verschlug es den Atem, mein Herz klopfte, ein kaltes Loch entstand in meinem Magen. Er machte eine Bemerkung, beide ‚Damen‘ lachten.
Sie erreichten unseren BMW, das Auto, das es unbedingt sein musste, dessen Leasingraten von meinem Konto abgebucht wurden. Er stieg mit den beiden Frauen in diesen verrückt großen SUV, den er sich so dringend gewünscht hatte, den wir in der Größe überhaupt nicht brauchten, und fuhr los. Mit einigem Abstand folgte ich ihnen bis zu einem Apartmenthaus in der südlichen Vorstadt, eine gute Wohngegend. Sie betraten das Haus, ich hielt Ausguck, ob ich erkennen konnte, wohin sie gingen. Ich wollte schon ergebnislos davon fahren, da sah ich die Brünette auf einen Balkon treten und eine Tischdecke ausschütteln.
Das kalte Loch befand sich noch in meinem Magen, es erhitzte sich jedoch bei dem Gedanken daran, was die drei dort oben wohl treiben mochten. Es erwärmte sich mehr und mehr, bis es im Magen brannte, bis die Wut mich überrannte. Ich schaute mir das Klingelbrett an, zählte die Etagen und las den Namen, der dort an der Stelle stand, an der ich die Wohnung der Brünetten vermutete. Michalski, den Namen merkte ich mir.
In meiner Position muss man seine Emotionen unter Kontrolle haben. Bisher war das in meiner Ehe nicht notwendig, denn meinem Mann konnte ich vertrauen und konnte ihm so entgegentreten, wie ich mich fühlte, ganz offen und frei. Beherrschung brauchte ich nur fürs Berufsleben und ganz selten mal bei gesellschaftliche Gelegenheiten, aber nie in den eigenen vier Wänden und niemals meinem angetrauten Lebenspartner gegenüber. Zumindest war ich bisher davon ausgegangen.
Mein Gatte hatte durch seine Untreue einen Ausnahmezustand heraufbeschworen. Er zwang mich damit, meine Emotionen auch zuhause zu lenken und zu unterdrücken, in meinen eigenen vier Wänden. Die Wut darüber verwandelte sich in sehr starke Ablehnung. Zu Hass war ich nicht imstande, es war immerhin mein Mann, auf den er sich richten würde, das vertrug sich nicht mit dem Gedanken, mit ihm das Bett zu teilen. Denn das würde ich, mindestens noch eine Nacht. Ich musste mir Gewissheit verschaffen, ich musste wirklich zweifelsfrei überzeugt sein, dass er mich betrog, dann konnte ich alles rauslassen, was sich angesammelt hatte.
Am nächsten Morgen rief ich in seiner Firma an, ich fragte die Telefonistin nach Abteilungsleiter Roland Mertens, ich selbst meldete mich mit Koppers, meinem Mädchennamen.
„Abteilungsleiter Roland Mertens?“, fragte die Telefonistin und gluckste amüsiert. „Ich verbinde Sie mit dem Verkauf.“
Ich legte auf. Über unsere Zentrale ließ ich mich mit Frau Michalski verbinden, man verband mich mit der stellvertretenden Abteilungsleiterin Claudia Michalski.
Wiederum meldete ich mich mit Koppers, weil ich keine Pferde scheu machen wollte. Ich tat so, als sei ich als Headhunter unterwegs und an ihr als Arbeitskraft interessiert. Wir suchten tatsächlich eine Frau als Führungspersönlichkeit für eine unserer Abteilungen. So gab ich an, ich hätte von ihr gehört und würde mich gern zu einem ersten Sondierungsgespräch auf neutralem Boden treffen wollen. Als Treffpunkt schlug ich das Café Konkret am Bermuda3eck vor, sie war einverstanden.
Wir trafen uns in ihrer Mittagspause, es war die große Brünette. Sie sah nicht besonders gut aus, die dominanten langen Schneidezähne passten gut zu dem langen Gesicht, es wirkte eher wie ein Pferdegesicht als das einer Frau. Die berechnend schauenden Augen standen unverhältnismäßig weit auseinander, die Haare hingen lang und glatt ohne irgendeine Frisur hinunter.
Nachdem wir uns ausgiebig gemustert hatten, bestellten wir, und als die Serviererin weg war, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus. Ohne zu zaudern beichtete ich ihr, dass ich Mertens hieß und sie privat sprechen wollte. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, dass sie mit meinem Mann schlief.
Wider Erwarten war sie nicht verlegen, im Gegenteil, sie fand es amüsant. Ihre Haltung mir gegenüber änderte sich in Sekundenbruchteilen. Nun war sie nicht mehr devot und angespannt, jetzt war sie überheblich und schaute mich verächtlich an.
Sie bleckte die Pferdezähne, lachte und sagte:
„Ich schlafe nicht mit ihm, er schläft mit mir, mehr schlecht als recht. Er meint immer, er müsste sich beweisen, er denkt, er wäre der Beste und der Größte, dabei ist er der schlechteste Liebhaber, der mir je untergekommen ist. Rosa und ich machen ihn immer erst fertig, dann widmen wir uns einander. Eigentlich treibe ich es mit Rosa und sie mit mir, der Roland ist eine Vorspeise und Fassade, damit sie sich nicht zu sehr die Mäuler über unsere Neigung zerreißen.
Ganz im Ernst, ich wollte Sie immer schon mal sprechen und Sie fragen, wie Sie es mit so einer Niete aushalten?“
Sie fragte ernsthaft und erwartete eine Antwort.
„Niete? Wieso Niete? Sie sprechen über Roland Mertens, den Abteilungsleiter Mertens!“, da meinte ich noch, sie zurecht weisen zu müssen, obwohl sich bei mir schon die Bitterkeit im Mund breit machte, die sich bei Enttäuschungen einstellt.
„Abteilungsleiter?“, fragte sie ungläubig und lachte. „Roland Abteilungsleiter? Sie machen Witze oder? Er ist Verkäufer, und nicht gerade ein guter Verkäufer. Lassen Sie mich raten, das Auto bezahlen Sie oder? Er könnte sich so einen Schlitten nicht leisten, bei seinem Gehalt!“
Sie lachte mich aus, ich bekam einen roten Kopf. Mein Roland kein Abteilungsleiter, die Führungskräfteseminare, die Konferenzen, alles erfunden und erlogen um mich mit diesem Pferdegesicht betrügen zu können. Für mich stürzte eine Welt ein. Wäre eingestürzt, wenn ich es in der Nacht nicht bereits ganz dunkel geahnt hätte.
„War er nicht letztens auf einem Seminar für Führungskräfte?“, fragte ich sie trotz ihres hämischen Gelächters. Ich musste einfach Gewissheit haben. „Letzten Monat, vom Zehnten bis zum Sechzehnten?“
Sie sah mich mitleidig an, so, wie man eine Betrogene anschaut.
„Vom Zehnten bis zum Sechzehnten letzten Monats war Messe in Augsburg, da war er als Verkäufer und ich als die Leiterin des Verkaufs. Führungskraft, Mertens und Führungskraft!“
Sie lachte wieder, mein Kopf wurde roter und roter. Mein Mann hatte mich sogar mit der Ortschaft belogen, er hatte behauptet, das Führungsseminar hätte in Nürnberg stattgefunden. Und mit diesem Pferdegesicht, mit dem hatte er mich betrogen. Wut ist nicht das, was ich als erstes empfand, nein. Enttäuschung, ja, aber auch etwas, was ich so nicht kannte, ich empfand Rachegelüste. Der unbändige Wunsch keimte in mir, es ihm heimzahlen zu wollen. Wobei keinesfalls ein Betrug für meine Vergeltung infrage kam, so wie er ihn begangen hatte. Nein, die Retourkutsche müsste sehr viel kürzer und schmerzhafter sein, aber moralisch vertretbar.
Um Rolands Beruf hatte ich mich nie geschert, ich glaubte ihm einfach was er erzählte. Jetzt leuchtete mir ein, warum die Nebenkosten der Wohnung und alle Leasingraten und Kredite von meinem Konto abgebucht wurden. Logisch, er verdiente nicht genug. Ich dachte, er spart, so war es auch verabredet. Aber nein, er musste mit seinem geringen Einkommen haushalten, um sich die teuren Anzüge und Schuhe leisten und mich ab und zu zum Essen ausführen zu können.
In mir keimte die Wut, die Blamage war kaum noch zu ertragen. Die Michalski schaute mitleidig zu, wie ich mich wand und zu fangen versuchte.
Bis ich mich besann, mich straffte, das Private abschloss und mich dem Geschäftlichen zuwandte.
„OK, das Private hätten wir, nun zum wichtigen Teil. In meiner Firma suchen wir eine weibliche Führungskraft, eine, die zur Abteilungsleiterin heran gezogen werden soll. Haben Sie Interesse?“
Sie schaute mich spöttisch an, so, als wenn sie mich nicht für voll nehmen würde.
„Wieso? Warum fragen Sie?“
Schon um ihr das spöttische Lächeln aus dem Gesicht zu nehmen musste ich es sagen, es zwang mich etwas dazu. In erzwungener Ruhe und mit aller Distanz die ich aufbringen konnte eröffnete ich ihr:
„Ich leite die Personalabteilung des Unternehmens. Alle Personalangelegenheiten gehen über meinen Schreibtisch.“
Sie lächelte ungläubig, beobachtete mich scharf um abzuschätzen, ob ich die Wahrheit sagte. In erstaunlicher Geschwindigkeit realisierte sie, dass ich nicht übertrieben hatte, riss sich zusammen, straffte ihre Haltung und bekam rote Wangen.
„Was?“, fragte sie verwirrt, „Wie?“
Den Triumph ließ ich mir nicht anmerken, sondern schob ihr die offizielle Visitenkarte zu, Clara Mertens, Vorstand Personal. Ihre unverhohlene Überraschung und ihr rascher Haltungswechsel von überheblich hin zu unterwürfig versöhnte mich, ich hatte meine Genugtuung, jetzt konnte ich sachlich werden. Schon um mich selbst zu festigen erklärte ich:
„Wir suchen für unsere Kundenbetreuung eine Führungskraft, eine weibliche Führungskraft. Was haben Sie für eine Ausbildung?“
Sie gab mir sehr ernsthaft Auskunft, sie schien die Chance nutzen zu wollen. Sehr sachlich und distanziert eröffnete ich ihr, welche Aufgaben sie bei uns erfüllen müsste und welches Gehalt auf sie wartete. All das entsprach haargenau den Tatsachen. Sie versprach, die benötigten Unterlagen zusammen zu stellen und sie mir ins Büro zu bringen.
Wenn ich sie engagierte, dann wäre mein Roland doppelt blamiert. Denn dann wüsste er, dass ich von seiner Hochstapelei wüsste, dann wüsste er, dass ich von seinem Verhältnis wusste.
Aber das würde er heute Abend bereits erfahren. Einerseits hatte ich Angst vor der Begegnung mit ihm, andererseits freute ich mich darauf, ihm den Betrug unter die Nase reiben zu können.
Ich behielt die professionelle Distanz bei, als ich die Michalski bat, ihn heute gleich nach Hause zu schicken. Sie sah mir an, was ich vor hatte zu tun, sie lachte darüber voller Schadenfreude. Einen solchen Menschen würde ich nicht zu uns in die Firma holen, ganz bestimmt nicht, zumindest nicht auf Dauer. Die würde genau so auf die Nase fallen, wie mein Roland. Eine Probezeit von sechs Monaten war für eine solche Position üblich, kündbar jederzeit ohne Angabe von Gründen.
Die kleine Blonde war übrigens die Telefonistin Rosa, die, mit der ich bereits telefoniert hatte. Die war ebenfalls mit in Augsburg gewesen.
Dann fragte sie mich etwas, von dem ich dachte, ich hätte mich verhört:
„Kann ich dabei sein?“
Es dauerte eine kurze Zeit, bis ich die Frage mit dem in Zusammenhang gebracht hatte, was wir vorher besprochen hatten. Denn das was es bedeutete, konnte ich nicht glauben.
„Wobei?“
„Sie sagen es ihm doch heute Abend oder? Sie schmeißen ihn raus, stimmts?“
Sie griente so schadenfroh, dass mir ganz anders wurde. Ich wollte ihn hinaus werfen, das ja, jedoch wollte ich das selbst und allein vollziehen, denn dann hätte ich die Möglichkeit, es jederzeit abbrechen oder verschieben zu können. Wäre sie dabei, dann bekäme der Vorgang eine Dynamik, die ich nicht mehr kontrollieren könnte. Allerdings wäre das für den Schuft eine ganz besondere Blamage. Nach einigem Nachdenken erklärte ich mich dazu bereit, sie dabei zu haben, während ich es ihm eröffnete. Denn das wäre eine Retourkutsche, wie ich sie mir nicht besser hätte ausdenken können. Kurz, äußerst blamabel und sehr schmerzhaft.
An der Vorstellung, was er für ein Gesicht machen werden würde, ergötzte ich mich so sehr, dass ich es auf der Arbeit kaum aushalten konnte. Als Mitglied des Vorstandes sah ich mich gezwungen, stets mit gutem Beispiel voran zu gehen. Am liebsten wäre ich bereits unmittelbar nach der Mittagspause in den Feierabend gegangen.
Auch mir standen die Möglichkeiten der Gleitzeit zur Verfügung, die nutzte ich voll aus und verließ die Firma frühestmöglich. All seine Sachen packte ich in die großen Sporttaschen und in seinen riesigen Rollkoffer, den wir für Fernreisen benutzen wollten, jedoch noch nie benutzt hatten. Ich stellte alles im Schlafzimmer bereit.
Die Michalski traf auf die Minute pünktlich ein, Rolands Schlüssel drehte sich zehn Minuten später in der Tür. In seiner bekannt selbstsicheren Art betrat er die Wohnung, rief: „Ich bin da!“ und ging ins Bad. Er könnte dort seine fehlenden Rasierutensilien vermissen und seine Aftershave-Sammlung, denn die lag in einer der Sporttaschen zum Abtransport bereit.
Mir klopfte das Herz bis zum Hals hinauf, als er mir am Küchentisch Gesellschaft leistete. Er wollte sich einen Kaffee nehmen, jedoch die Kanne war leer.
„Bekomme ich keinen Kaffee?“, fragte er vorwurfsvoll. Für gewöhnlich sprang ich auf eine solche Anklage hin sofort auf und bereitete neuen Kaffee. Dieses Mal blieb ich sitzen, mit klopfendem Herzen, und fragte:
„Heute keine Konferenz?“
„Nee“, antwortete er ohne zu zögern, „wurde kurzfristig abgesagt, so haben wir mal einen Abend ganz für uns.“
Er schaute mich mit gerunzelter Stirn an, er sah wohl eine Veränderung an mir.
„Schatz, du siehst so anders aus, warst du beim Friseur?“
„Nein, nicht beim Friseur, ich bin mir über etwas klar geworden.“
„Achja?“, meinte er. Er wappnete sich sichtlich, er spürte wohl, dass etwas Unangenehmes auf ihn zuzukommen drohte. Er machte sich bereit für eine Ausrede, um das zu erkennen, kannte ich ihn gut genug. Und er wurde aggressiv.
„Über was bist du dir klar geworden, Schätzchen?“, fragte er mit gespannter Erwartung.
Er setzte sich nicht, sondern stellte sich neben mir auf. Es war seine übliche Vorgehensweise, um mich in meine Schranken zu weisen. Normalerweise kuschte ich vor einer solchen Geste, schließlich war er der Mann. Heute blieb ich stark und bot ihm die Stirn.
„Ich bin mir klar geworden, dass es in Nürnberg kein Seminar für Führungskräfte gab, sondern stattdessen zum gleichen Zeitpunkt eine Verkaufsausstellung in Augsburg.“
„Ach Schatz, wie kommst du denn darauf?“
Er war erleichtert, denn um einer solchen Behauptung von meiner Seite zu begegnen, besaß er genügend Überzeugungskraft. Er wollte fortfahren, ich unterbrach den Beginn seiner Ausrede und ergänzte:
„Und ich bin mir darüber klar geworden, dass ich mit einem Mann, der vorgibt auf einer Konferenz zu sein, stattdessen jedoch zu seiner Geliebten geht, nichts mehr zu tun haben möchte.“
Er stutzte, um sich eine passende Ausrede auszudenken brauchte er etwas Zeit, die Aggressivität verschwand. Er hob an:
„Schatz, das kann ich erklären ...“
In dem Moment trat die Michalski mit triumphalem Gesicht in die Küche. Meinem lieben Göttergatten fielen beinahe die Augen aus dem Kopf.
„Ja, ich äh …, ja wie, äh …!“, seine Augen rannten von mir zu ihr und von ihr zu mir. Sie griente schadenfroh und trat zu uns an den Tisch.
„Du ziehst heute aus!“, eröffnete ich ihm. „Deine Sachen liegen verpackt im Schlafzimmer.“
Ich stand auf und holte mir seinen Schlüsselbund von der Kommode unter der Garderobe, knipste den Auto- und den Wohnungsschlüssel von seinem Bund und steckte sie ein.
„Schatz, das kann doch nicht ….“ Er rannte hinter mir her.
„Schatz, das kannst du doch nicht ...“
Der Anblick der Michalski hatte ihn eingeschüchtert, er trat gänzlich anders auf als sonst.
Ich öffnete die Wohnungstür und bedeutete ihm, er möge gehen.
Es dauerte zehn Minuten, bis ich ihn mit Michalskis Hilfe und seiner gesamten Habe aus der Wohnung entfernt hatte. Als er weg war, lud mich die Michalski ein, ein Gläschen Schampus auf den Erfolg zu trinken, die Einladung lehnte ich ab. Mir zitterten die Knie, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Der Einschnitt in mein Leben war unumkehrbar, er löste tiefe Trauer bei mir aus.
Bereits am nächsten Tag reichte ich die Scheidung ein. Da es einen Ehevertrag gab, dauerte die Trennung nur einen Monat, dann war dieses Kapitel abgeschlossen. Ich hieß nicht mehr Mertens, sondern mit meinem Mädchennamen Koppers.
Die Trauer jedoch hielt auch nach der Scheidung an. Erst verkroch ich mich, ging nicht mehr aus, stürzte mich in die Arbeit und abends blieb ich zuhause.
Immer wenn ich an ihn dachte, packte mich die Wut. Für den Typen hatte ich vier Jahre geopfert, das musste ein Ende haben! Hinzu kam, dass ich nicht mehr die ausgeglichene Personalchefin war, wie man es von mir gewohnt war, sondern ich wurde zickig. Ich merkte das, als ein Disput mit einer Kollegin zu meinen Ungunsten ausging, weil ich nicht mehr wie gewohnt diplomatisch-sachlich argumentierte, sondern diese gänzlich ungewohnte Zickigkeit die Oberhand gewann. Wie es meine Art ist, suchte ich die Ursache für diese Niederlage und fand sie in meinem unausgeglichenen Charakter begründet.
Den Entschluss zu fassen, mich erneut ins Leben zu stürzen und ihn tatsächlich umzusetzen dauerte länger als eine Woche. Ein schöner Tag im Juni lockte mich hinaus, der Stadtpark war mein Ziel. Die Sonne schien, die Enten quakten auf dem Teich, Rentner fütterten sie mit Brotstückchen. Friede kehrte ein, die Sonne wärmte mein Gesicht, die Leute im Park waren fröhlich und guter Dinge. Nach einer halben Stunde waren meine Lebensgeister so weit geweckt, dass ich bereit war, etwas zu erleben. Mit der Bahn fuhr ich ins Bermuda3eck, mit dem dicken Auto in der Innenstadt zu parken erschien mir zu mühsam. Meine Absicht war, etwas zu essen und mich unter Menschen zu mischen.
Der Abend verlief sehr angenehm, ich aß etwas, ging in ein Bistro und gönnte mir einen erfrischenden Drink. Flirts anzunehmen war ich noch nicht bereit, die auffordernden Blicke der interessierten Männer erwiderte ich nicht.
Am nächsten Freitag machte ich mich wieder dort hin auf den Weg. Dieses Mal war ich bereit, bereit zur Kontaktaufnahme. Nicht mehr. Ich kleidete mich entsprechend, das rote Kleid war für meine Verhältnisse schon ziemlich sexy, die halbhohen Pumps fand ich fast schon verrucht. Die Vorfreude und die Spannung auf das was kommen konnte, ließ mein Herz klopfen, als ich aus der Bahn stieg.
Nachdem ich etwas gegessen hatte, wagte ich mich allein in eine Gaststätte. Erst als ich den Raum betreten hatte, fiel mir auf, dass es mehr eine Kneipe mit lauter Musik war, als ein gepflegtes Bistro. Es war schwierig für mich, allein als Frau ein solches Lokal mit der Absicht zu betreten, mich ansprechen zu lassen. Mich an den Tresen zu setzen fiel mir nicht ein, das macht man als einzelne, wohlerzogene Frau nicht, so setzte ich mich an einen Tisch am Fenster.
Mir war die Musik zu laut, aber ich hatte nun einmal dieses Lokal gewählt und damit kam ich jetzt auch zurecht. Um aufzustehen und das Lokal zu wechseln fehlte mir der Mut.
Drei Männer betraten das Lokal, fröhlich und ausgelassen, sie feierten irgend etwas. Sie nahmen am Tresen Platz und bestellten lautstark. Die Thekenbedienung kannte sie offensichtlich. Die bleiche junge Frau brachte mir meinen Kaffee-Crema. Sie war nicht ganz bei der Sache, weil sie auf das hörte, worüber sich die drei Männer am Tresen unterhielten. Meine Aufforderung, die Rechnung zu bringen, schien sie nicht zu hören. Laut hinter ihr her zu rufen fiel mir nicht ein.
Der Kaffee war ziemlich gut, das musste man ihr lassen. Sehr aromatisch, nicht zu stark und mit eine festen Crema.
Einer der drei Männer ging an meinem Tisch vorbei, wohl um die Toilette aufzusuchen. Er schaute herüber. Ich hielt ihn für einen Lastwagenfahrer, das karierte Hemd stand weit offen, die dunklen Haare auf seiner Brust quollen heraus. Was ich sofort bemerkte war das trapezförmige seines Oberkörpers, breite Schultern, schmale Taille, elastischer Gang. Trotz der unförmigen Worker-Jeans war sein kleines, strammes Hinterteil leicht auszumachen. Was nicht zu meiner Vermutung passte, war das Fehlen des Bierbauches. In meiner Vorstellung trugen alle LKW-Fahrer, überhaupt alle Männer der arbeitenden Klasse, einen mehr oder weniger ausgeprägten Bierbauch mit sich herum. Der hier nicht.
Nach einiger Zeit kam er aus der Toilettenanlage wieder heraus, unsere Blicke begegneten sich. Ein attraktiver Mann, kein Zweifel. Was sofort auffiel, war die gepflegte Frisur und der äußerst akkurat gestutzte Dreitagebart. Einer unserer Lagerarbeiter lief ebenfalls herum, als käme er jeden Tag geradewegs vom Friseur. Mich verwunderte das so lange, bis ich heraus fand, dass seine Frau Friseurin war. Die Vermutung, dass das bei diesem Exemplar ebenfalls so war, lag nahe.
Die hellen Augen standen im erotisch wirkenden Gegensatz zu den dunklen Haaren. All das erkennt eine erfahrene Frau in Sekundenbruchteilen. Unser Augenkontakt dauerte nur einen Augenblick, ich empfand ihn jedoch als sehr intensiv. Als wohlerzogene Frau senkte ich den Blick sofort auf meinen Kaffee, er änderte seine Richtung und näherte sich meinem Tisch. Demostartiv schaute ich aus dem Fenster, um ihm zu bedeuten, dass ich nicht interessiert sei. Erst als er neben meinem Tisch stand, wendete ich mich ihm zu. Ich sah ihn an und bemühte mich um einen abweisenden Gesichtsausdruck. Ein Mann macht mich nicht zu seiner willenlosen Beute, nur weil er mit seinen breiten Schultern, der schmalen Taille und einem kleinen, festen Po angibt.
„Hallo!“, sagte er. Eine sonore, kraftvolle Stimme. Der Mann entsprach aus der Nähe betrachtet nicht meiner Vorstellung von einem Fernfahrer.
„Waren wir zu laut, als wir herein gekommen sind? Wir haben etwas zu feiern, mein Kollege ist frisch geschieden und kann ab jetzt nur noch einmal im Monat Bier trinken gehen, ansonsten bleibt ihm nur der Fernseher als Kamerad. Haben Sie Lust, sich uns anzuschließen? Ich lade Sie ein.“
Er trug sein Anliegen gekonnt und souverän vor. Sah ich tatsächlich so aus, als wenn ich mich von dem erstbesten Mann so einwickeln lasse?
Ich lehnte ab.
„Danke fürs Angebot, nein. Bitte schicken Sie mir die Bedienung mit der Rechnung her“, erwiderte ich.
„Darf ich bitte Ihre Rechnung übernehmen? Nochmal Entschuldigung für den Lärm, ich hoffe wir haben Sie nicht erschreckt?“
Ich gab keine Antwort, stand auf und verließ das Lokal. Er schaute mir nach.
Mein Herz klopfte, ich hatte mich noch nie so sehr als Beute gefühlt, wie in den letzten drei Minuten. Wahrscheinlich war ich nicht bereit dazu, Beute zu sein. Vermutlich war ich mit der Trauer um meine gescheiterte Ehe so sehr beschäftigt, dass ich nicht bereit war für leichtes Geplauder und Flirts.
Frustriert ging ich nach Hause. Ich war wohl noch nicht so weit.
Der nächste Tag war ein Samstag. Das Wetter war herrlich, der Frust von gestern verflogen. Die Lehre aus dem Ereignis gestern hatte ich noch in der Nacht gezogen, ich würde nicht abends ausgehen, sondern mittags, und am späten Nachmittag würde ich wieder gehen. Insgesamt tat mir die Atmosphäre gut, die in der Kneipenzeile am Bermuda3eck herrschte, ich schöpfte Kraft aus dem Gewusel und dem Betrieb der feiernden und ausgelassenen Menschen. Nur ansprechen würde ich mich nicht lassen, ich würde zumindest nicht darauf hinarbeiten.
Aus dem Grunde kleidete ich mich schlicht in ein dunkles Kostüm. Als ich in der Sonne saß, einen Kaffee vor mir, und vor mich hin sinnierte, wurde es mir unter der Kostümjacke zu warm. Jetzt nach Hause zu fahren um mich umzuziehen kam mir unsinnig vor. Ich ging die Korthumstraße hinauf, schaute mich in einigen Geschäften um und erwarb ein Sonnentop, das mir sehr gut gefiel. Es war sexy, das bleibt bei dem Kleidungsstück nicht aus. Aber musste ich mich verstecken? Ganz gewiss nicht. Am Nachmittag würde ich nach Hause fahren, bis dahin würde schon nichts passieren.
Die Kostümjacke verstaute ich in der Tragetasche der Boutique und zeigte der Welt mein neu erworbenes Kleidungsstück. Es umschmeichelte meine Figur und hob meine Vorzüge hervor, ohne aufdringlich zu sein. Die Blicke, die man mir zuwarf taten mir gut, ich fühlte mich wohl darin.
Ich saß noch nicht lange hinter meinem Cappuccino, als sich die Sonne verdunkelte, weil sich jemand neben mich stellte. Als ich aufblickte sah ich in die hellen Augen dieses Fernfahrers. Naklar, auch LKW-Fahrer haben am Wochenende frei und der hier hatte nichts Besseres zu tun, als im Bermuda3eck nach Beute zu jagen.
„Das ist aber ein Zufall!“, meinte er und schickte sich an, an meinem Tisch Platz zu nehmen. Mein ablehnender Gesichtsausdruck war anscheinend nicht ablehnend genug. Er nahm Platz und stellte sich dabei mit einer eleganten Verbeugung vor:
„Jochen Brenner, meine Freunde nennen mich Joschi“, meinte er. Er trug wieder ein kariertes Hemd, dieses war deutlich zugeknöpfter als das von gestern Abend. Die Workerjeans war die gleiche wie gestern. Nun saß er da und schaute mich aus seinen hellen Augen forschend an.
„Sie sehen toll aus“, meinte er. Seine Blicke waren nicht aufdringlich, auch zog er mich nicht mit den Augen aus, er betrachtete mich nur. Natürlich schmeichelte mir was er sagte und wie er es sagte. Ich bewahrte Contenance, noch einmal würde er mich durch seine direkte Art nicht verunsichern.
„Ich danke Ihnen“, erwiderte ich kühl. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Oh!“, meinte er dickfellig. „Wir sind doch schon alte Bekannte, lassen Sie uns ‚Du‘ sagen. Ich bin der Joschi.“
Er reichte mir die Hand über den Tisch. Jetzt hatte er mich doch wieder überrumpelt. Ich fasste meine Tasche fester und stellte sie mir auf den Schoß. Bezahlt hatte ich schon, ich konnte jederzeit aufstehen und gehen.
Andererseits war ich zu meinem Vergnügen hier. Wollte ich mich von einem LKW-Fahrer verscheuchen lassen? Ich musste wohl deutlicher werden.
„Ich würde ganz gern ungestört ein wenig in der Sonne sitzen“, wehrte ich mich, etwas heftiger als es hätte sein müssen.
Er lächelte. Er sprang nicht ertappt auf und verschwand, er schaute mich an und lächelte. Seine Zähne waren sehr hell, in starkem Kontrast zu dem sonnengebräunten Gesicht. In den Augenwinkeln bildeten sich kleine Lachfältchen. Er sah gut aus, doch, keine Frage. Seine selbstsichere Art verunsicherte mich.
„Nun seien Sie nicht so streng“, sagte er mit samtweicher Stimme. „Ich tue Ihnen nichts. Sie sind so attraktiv, Sie müssen es gewohnt sein, angesprochen zu werden.“
Was soll man dazu sagen? Ich sah ihn an.
„Kompliment!“ sagte er mit leichtem Spott in der Stimme. „Sie können wirklich sehr giftig gucken, das ist mir gestern schon aufgefallen. Aber, ganz im Ernst, auch eine so unnahbare Schönheit wie Sie braucht ab und zu Gesellschaft. Ich verspreche Ihnen, ich bleibe auf dieser Seite des Tisches und komme Ihnen nicht zu nahe. Deal?“
Er ließ sich nicht abweisen. Einerseits fand ich das bedrängend, andererseits war Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit etwas, was ich bei Männern schätzte.
„Nun lächeln Sie, sieht ganz bezaubernd aus, Ihr Lächeln.“
Er bestellte bei der Bedienung einen Kaffee Crema, schaute ihr nach und mich dann wieder an.
„Ich tippe darauf, dass Sie Rechtsanwältin sind, oder leitende Bankangestellte. Stimmts? Was von beiden?“
„Wie kommen Sie darauf, dass ich eine leitende Position bekleide?“
Er sah mich bewundernd an.
„Ihre Stimme! Was für eine reizende, wunderschön warme Stimme. Die passt zu Ihnen, toll, wirklich toll.“
Mir war mittlerweile klar, dass er kein Fernfahrer war. So drückte sich kein Mann aus der Arbeiterklasse aus. War er deswegen attraktiver für mich? Ganz sicher nicht. Es widerstrebte mir nach wie vor, mich von einem Wildfremden ansprechen zu lassen. Dabei gestand ich mir ein, dass ich genau aus dem Grund her gekommen war.
„Ich hatte noch keine Gelegenheit, etwas zu essen. Darf ich Sie einladen, mir dabei Gesellschaft zu leisten?“
Also, das war doch …! Er störte sich nicht an meinem empörten Blick, sondern fuhr erklärend fort:
„Es gibt da hinten ums Eck einen ganz hervorragenden Italiener und in dieser Richtung eine Tapas-Bar vom Feinsten. Oder Sie begleiten mich an den Kemnader See, dort kenne ich ein vorzügliches Restaurant.“
Er sah mich ein paar Sekunden lang an.
„Was wählen Sie?“
Er war dominant, aber nicht be
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Chapeau!«
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