Clara VIII - Das Leben mit der Furie Lust
von EviAngel
Der nächste Morgen sah eine nachdenkliche Clara, zufrieden, unsicher, im Zweifel, nicht im Reinen mit sich, trotzdem selbstbewusst, in neuem, sexy Outfit.
Zufrieden oder besser gesagt befriedigt, sexuell befriedigt. Kein Wunder nach dem Exzess gestern. Unsicher deswegen, weil ich den Boden unter den Füßen verloren hatte und erst einen Weg finden musste, für das Erlebte eine Kategorie zu finden. Keines der mir bekannten Verhaltensmuster beschrieb das, was ich gestern erlebt hatte. War das Erlebnis mit dem schwarzhaarigen Brutalo-Weibchen am letzten Freitag etwas, was ich am liebsten mit Abscheu in den hintersten Winkel meiner Erinnerung verbannen wollte, so war das gestern Erlebte etwas, was eine völlig neue Denkweise erforderte.
Mit zwei mir fremden Männern hatte ich Sex. Die waren mir nicht sympathisch und nicht unsympathisch. Was sie und mich verband, war ihre Eigenschaft als Anhängsel, als Vasallen mit denen sich mein einzig möglicher Sexualpartner umgab. Dieser Sex mit ganz gewöhnlichen Männern hatte bei mir zu höchster Erfüllung geführt, in beiden Fällen. Auch der zweite, der mich in völlig passivem Zustand antraf, auch der erfüllte mich mit dem unendlich heißen Gefühl. Bisher war mir klar gewesen, dass ich das nur bei meinem idealen Sexpartner empfinden könnte, bei dem, den mir das Schicksal als Traumprinz zugewiesen hatte. Allein deswegen kamen wir so gut miteinander zum Höhepunkt, weil Seelenverwandtschaft und Gedankenübertragung Voraussetzungen waren für diese Art der körperlichen Erfüllung.
Das war aber nach den gestrigen Erfahrungen nicht notwendig. Es reichte aus, wenn ein Mann auf mich einging, sich um meine Gefühle bemühte und ich mich auf ihn einließ. Für die Erfüllung war keine besondere Anatomie notwendig, keine intellektuelle Gemeinschaft und kein Gleichschritt der Gefühle. Es reichte vollkommen aus, wenn sich der Mann auf die notwendigen Techniken verstand.
Mich verwirrte das.
Was war jetzt mit der Liebe? War die für erfüllenden Sex nicht notwendig? Männern reichte es aus, wenn sie ihr Erbgut möglichst großflächig verteilten, das war klar, das war so durch die Evolution vorgegeben. Dass wir Frauen jedoch ebenfalls zufrieden gestellt waren, wenn wir das Erbgut des stärksten oder des dominantesten Männchens für die Zeugung unseres Embryos bekamen, das war für mich neu. Dass es nicht einmal der dominanteste Mann sein musste, zumindest nicht für mich, das machte mich verlegen, ich war geneigt, das auszuklammern.
Liebe spielte bei der Fortpflanzung offensichtlich keine Rolle.
Der Schritt vom Neandertaler bis zu uns war kleiner als gedacht. Das war erschütternd. Wie vertrug sich diese Neandertaler-Mentalität mit dem Bild, das eine Dame von der Welt hatte? Wie vertrug sie sich mit meiner Erziehung und den Werten, die mir mit deren Hilfe übermittelt worden waren? War all das aufgesetzter Pomp, der aus einem einfachen Menschen einen angeblich wichtigen Menschen machte? War all das Getue mit der überlieferten Moral und ‚guten‘ Sitten nur Heuchelei? Waren alle Menschen nur heiß auf erfüllenden Sex und der ganze gesellschaftliche Aufwand, das Schicki-Micki-Getue nur alberne Fassade? Nichtssagend und unbedeutend?
Waren Anstand und Sitte nur starre Verhaltensregeln, die keinerlei tieferen Sinn erfüllten? Waren sie nur als Abgrenzung der Eliten von den Plebejern gedacht? Oder waren diese Verhaltensregeln nur dazu gedacht, dem niederen, naiven Volk unsinnige Schranken aufzuerlegen, damit die Eliten immer ausreichend Macht über sie hatten?
Mit diesen Gedanken beschäftigt ging ich meiner Arbeit nach. Die Masterarbeit war fertig, ich würde sie verabredungsgemäß an meinen Prof senden, er wollte ,mal eben drüber schauen‘ um eventuell vorhandene Fehler noch ausmerzen zu können. Ich betrachtete das als besonderes Entgegenkommen, das er der intellektuellen und ernsthaften Clara entgegenbrachte. Natürlich registrierte ich, dass er mir ebenfalls auf den Po und die Beine schaute, immer erst meine Brust fixierte, bevor er mir in die Augen sah. Das hielt ich für ganz selbstverständliches Verhalten, Männer können eben nicht anders. Jetzt sah ich ihn in neuem Licht. Vielleicht wollte auch er mir seinen Samen mitgeben? Er war ein Mann und als solcher bemüht, seine Gene so breit wie möglich zu streuen. Konnte der intellektuelle Teil seiner Persönlichkeit den Neandertaler in sich überstimmen oder war auch er, ein äußerst gebildeter und hochintelligenter Mann, seinen Trieben hilflos ausgeliefert?
Vielleicht war ich zu misstrauisch, bestimmt sogar. Ich schalt mich eine dumme Person, riss mich zusammen und sandte die Masterarbeit per email an den Prof. Die Doktorarbeit wollte er ebenfalls vorab zu Gesicht bekommen, um sie mit mir besprechen zu können. Auf das Treffen mit ihm war ich gespannt. Er kannte mich nur in den schlecht sitzenden Kostümen und mit straff gestylter Frisur. Es würde mir Klarheit über seine Absichten bringen, wenn ich ihm mit offenen Haaren und sexy gekleidet gegenübertrat. Auf seine Reaktionen war ich jedenfalls gespannt.
Er bestätigte den Empfang der Masterarbeit und vereinbarte für den nächsten Tag ein Treffen mit mir. Sieh an, sieh an.
Bevor ich mich der Doktorarbeit zuwandte, schweiften meine Gedanken wieder in den privaten Bereich ab. Der Sex mit den beiden Männern war grandios gewesen, keine Frage. Was ich extrem, nun, wider die guten Sitten empfand, was mich jedoch unglaublich heiß erregt hatte, war der Umstand, dass ich Zuschauer hatte. Erst einmal sahen mich mehrere Leute nackt, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Vor drei Männern war ich entkleidet worden und hatte mich ihnen nackt präsentiert. Es war mir nicht peinlich, selbst im Nachhinein nicht, es war erregend.
Und dann geschah das Erregendste überhaupt, beim Sex, beim Allerintimsten hatten mir Menschen zugesehen. Sie sahen es, wie ich mich gehen ließ, sie beobachteten, wie meine Gespielen und ich uns in unbeherrschbarer Leidenschaft im Orgasmus wanden und uns laute Geräusche ausstoßend ineinander verströmten. Sie sahen zu, wie ich um Erfüllung bettelnd meinen Leib den Partnern entgegen schnellte.
Ganz tief in mir drin, ganz geheim, war mir bewusst, dass es nicht die Furie war, die ihnen meine Erregung und meine Höhepunkte präsentierte, sondern dass ich, die Dame Clara, ihnen meine Lust und Leidenschaft bewusst und mit Wonne vorgeführt hatte. Es war dadurch eine sehr viel größere Erregung entstanden, als ich sowieso bei einem erfüllenden Akt verspürte.
Mir war dieser öffentliche Akt in der Rückbeschau unglaublich peinlich, gleichzeitig fragte ich mich, wieso mir das peinlich war. Die Lust ist uns von der Natur geschenkt worden. Wenn ich Lust dabei verspürte, wenn mir jemand beim Sex zusah, wenn ich es erregend fand, wenn mich jemand beim Orgasmus beobachtete, wieso musste mir das peinlich sein? Es war nicht nur mir nicht peinlich gewesen, sondern auch den Zuschauern nicht, ansonsten hätten sie sich abgewandt. Das Gegenteil war der Fall gewesen, die Gier, mit der sie mich bei der Lust beobachtet hatten, war von mir deutlich zu registrieren gewesen, sie sprang aus ihren Augen zu mir über. Diese unbeherrschte Zurschaustellung der niedrigsten Triebe in ihren Blicken erregte mich noch jetzt, in der Rückschau.
Der Glaube, in dem ich erzogen worden war, sagte aus, dass uns der Schöpfer nach seinem Ebenbild geschaffen hatte. Wenn ich sein Ebenbild war, dann empfand er also das gleiche wie ich. Ob ihm das ebenfalls peinlich war? Oder brauchte es mir nicht peinlich zu sein, weil es ganz normal war? Sozusagen von der Natur vorgegeben?
Joschi wusste über mich, über meine Neigungen und meine Vorlieben Bescheid, weit bevor ich mir derer bewusst wurde. Ob er eine Erklärung dafür hatte? Wenn ich ihn richtig kannte, dann waren ihm die Gründe für dieses Lustempfinden herzlich egal. Er nahm es, wie es gegeben war und nutzte die vorhandenen Möglichkeiten.
Die Doktorarbeit schickte ich vor der Mittagspause ab. Es lohnte sich nicht, bei dem schlechten Wetter in die Stadt zur Pause bis zum Bermuda3eck zu fahren, ich aß einen Apfel in der Kantine, trank einen Kaffee und ging wieder an die Arbeit. Mittlerweile wusste ich, wie der Umbau der Personalabteilung von Herrn Müller geplant war und machte mich daran, diesen Plan für die Doktorarbeit in Einzelheiten auszuarbeizu sich.
Mittlerweile hatte ich einen anderen Blick auf Männer und beobachtete ihr Verhalten von einer anderen Warte aus. Der CEO empfing mich in seinem Büro. Als ich mich seinem Schreibtisch näherte, fixierte er zuerst meine Brust, dann die Beine, den Schoß und erst als ich mich kurz vor seinem Schreibtisch befand, sah er mir ins Gesicht. Als ich ihn begrüßt hatte und Platz nahm, versuchte er tatsächlich, mir in den Ausschnitt zu schauen. Meine Beine und mein Po hatten es ihm offensichtlich ganz besonders angetan.
Er fragte mich, ob ich in der Lage wäre, die Lehrwerkstatt und den Sprachunterricht für ausländische Mitarbeiter zu organisieren und zu beaufsichtigen. Um zu sehen, wie er reagierte, schlug ich die Beine übereinander. Er schaute, ob er während der Bewegung einen Blick unter den Rock erhaschen konnte. Männer waren so einfach strukturiert, dass ich beinahe lachen musste. Dann fiel mir ein, dass ich ja ebenfalls so simpel zu durchschauen war. Auch dass es mich erregte, von dem CEO, einem sechzigjährigen, übergewichtigen Mann begehrt zu werden, gab mir einen Hinweis auf meine triebgesteuerte und leicht zu berechnende Denkweise.
Diese Erkenntnis fühlte sich sehr unangenehm an.
Natürlich war mir bewusst, dass wir Menschen Säugetiere waren, jedoch bin ich davon ausgegangen und war der festen Überzeugung, dass beim Menschen, zumindest bei einer Dame, der Intellekt die Oberhand behielt. Dass das nicht der Fall sein könnte, machte mir zu schaffen.
Trotz der kritischen Selbstbetrachtung beobachtete ich genüsslich, wie meine Handlungen, mein Anblick ihn verwirrten. Mehr als einmal unterbrach er einen begonnenen Satz, guckte verwirrt auf eines meiner Körperteile und begann von vorn. Mich erfreute das, es gab meinem Selbstbewusstsein Auftrieb. Mit den neuen Gedanken im Hinterkopf bewegte ich mich für ihn so sexy, wie ich es unauffällig zuwege brachte. Als ich verinnerlichte, dass ich ihn manipulieren konnte, begegnete ich ihm anders, mindestens auf Augenhöhe. Das war eine erregende Vorstellung. Beim Hinausgehen aus dem Büro schaute er mir intensiv auf den Po und auf die Beine, so intensiv, dass ich meinte, seine Blicke über die Haut streichen zu spüren.
War das Verhalten von Mann und Frau so einfach und so leicht zu berechnen? Wenn das so war, dann führte kein Weg daran vorbei, dass ich mein Weltbild neu ausrichten, wenn nicht gar komplett einreißen und neu aufbauen musste.
Der CEO lud mich am Nachmittag telefonisch zum Essen ein, heute Abend, 19:00 Uhr. Er wollte mit mir den neuen Verantwortungsbereich in privater Atmosphäre besprechen. Die Einladung nahm ich natürlich an, für mich war das folgerichtig. Es konnte für mich nur von Vorteil sein, eine persönliche Beziehung zum Chef zu haben. Außerdem gab mir ein solches privates Treffen die Möglichkeit, mein Experiment fortzuführen, nämlich herauszufinden, wie weit der Trieb das Leben von uns Menschen beeinflusste und ob und wie weit der Verstand dieses Verhalten kontrollierte. Meine sexy Kleidung und mein aufreizendes Benehmen schienen Früchte zu tragen, an denen wollte sich die Liederliche ergötzen und die Dame in mir brachte keine Einwände vor.
Wenn Joschi in meiner Nähe war, dann kontrollierte der Verstand nichts, weniger als nichts, das sah ich ein. Früher oder später nahm bei unseren Begegnungen die Furie das Zepter in die Hand und verbündete sich mit diesem Lustmolch von einem Mann. Dagegen war ich machtlos, so lautete meine Erfahrung. Da ich davon ausging, dass dieser Ablauf vorgegeben war, unabänderlich und von mir nicht zu beeinflussen, wehrte ich mich nicht länger dagegen. Außerdem stellten sich hinterher Glück und Zufriedenheit ein, ohne dass ich mich engagieren musste, deswegen war mir dieser Ablauf im Grunde genommen sogar willkommen.
Dass mich die beiden Freunde genau so befriedigen konnten, wie ich es Joschi exklusiv zugetraut hatte, versetzte mich immer noch in Erstaunen und, zugegebener Maßen, verunsicherte es mich auch. Es war ganz offensichtlich der Fall, dass mich auch andere Männer in den Rachen der Furie stürzen konnten. Er hatte Recht mit seiner Behauptung, ganz offensichtlich. Ein anderes Problem tauchte durch diese Feststellung auf: Wie erkannte ich das, wie stellte ich bei Männern fest, ob sie dazu in der Lage waren oder nicht? Roland war dazu nicht in der Lage gewesen, Joschi war es sehr wohl und seine Freunde ebenfalls. Wie konnte ich die unterscheiden?
Was mich ebenfalls verwunderte, war meine Gelassenheit in der Rückschau auf die unglaubliche Episode. Denn diese Ungeheuerlichkeiten, die sich Joschi mit mir und den beiden Freunden erlaubt hatte, ließ mich völlig kalt. Ich war in hohem Maße befriedigt worden und damit war ich zufrieden. Dass es die Freunde waren und nicht Joschi, berührte mich nicht, es war mir egal. Dass sie bezahlt hatten, war nicht wichtig, überhaupt nicht, es war ja nur ein Gag von ihm, nichts weiter.
Mit dieser Veranstaltung hatte er die Macht bewiesen, die er über mich besaß. Voraussetzung für die Ausübung dieser Macht war natürlich, dass ich mich ihm so freiwillig und auch noch frei Haus anbot, wie ich das getan hatte. Da ich das vorher wusste und mir seine Experimentierfreude bekannt war, durfte mich das Ereignete nicht aus der Bahn werfen. Das tat es auch nicht, ich sah es als bestandenes, erkenntnisreiches Abenteuer an. Unter dem Strich hatte mir diese Sex-Orgie Erleuchtung gebracht. Und Befriedigung, sehr sogar.
Mal ganz einfach und naiv gefragt, was könnte der Schöpfer, der mich ins Leben gerufen hat, dagegen haben können, dass ich das nutzte und genoss, was er mir mitgegeben hatte? Musste ich mich kasteien, auf Dinge verzichten, auf die ich große Lust verspürte? Lust, die er mir erst ermöglichte? Um etwas zu beweisen? Was genau musste ich wem unter Beweis stellen? Auf Annehmlichkeiten und unbeschreibliches Glück verzichten? Um als Belohnung etwas zu erhalten? Was denn, bitteschön? Schlecht sitzende Anzüge und Kummerfalten im Gesicht? Miesen Sex? Einen ewig schlecht gelaunten Ehemann, der mich auch noch betrog?
Vielen Dank, aber das hatte ich alles schon einmal und bin damit nicht zufrieden gewesen. Jetzt würde ich etwas Neues entdecken. Dazu brauchte ich ab heute keine Hilfe mehr von außen, ich kannte nun die Richtung, die ich einschlagen wollte.
Nach Feierabend fuhr ich in die Stadt. Im ersten Geschäft, in dem ich mit Joschi war und diese leichtsinnigen, scharfen Skater-Utensilien gekauft hatte, wurde ich fündig. Ein anliegendes, blaues Kleid, mit angenehm kurzem Rock, rückenfrei und einem Dekolletee, das nicht zu viel zeigte, jedoch auch nichts verheimlichte. Es wurde von zwei sehr schmalen Trägern gehalten, die über den sehr tiefen Rückenausschnitt liefen und sich darauf mehrfach kreuzten. Ein wunderschönes Kleid, das ganz schön viel, jedoch nicht zu viel zeigte und ausgesprochen sexy wirkte.
„Das ist für Sie gemacht!“, sagte die Verkäuferin mit leuchtenden Augen. Sie bestätigte mich darin, dass es mir ausgezeichnet stand.
Beim weiteren Stöbern im Laden entdeckte ich ein sehr kurzes, eng anliegendes Kleid mit großem, rundem Ausschnitt und halbem Arm. Es zeigte freigebig die Ansätze meiner Brüste und lag flexibel hauteng an, drückte die Brust durch seine Enge in den Ausschnitt hinauf. Es mündete in einem sehr kurzen Rock, eng gespannt um den Po und endete weniger als eine Handbreit darunter.
Allein das Kleidchen im Geschäft anzuprobieren, es der Verkäuferin und den anwesenden Kunden ohne Unterwäsche zu präsentieren, machte mich bereits wuschig. Als ich es im Spiegel sah, das weiße Stückchen elastischen Stoffes mit den Figur betonenden breiten blauen Streifen, wurde mir ganz anders. Was mir da aus dem Spiegel entgegensah, war ein sexy-Vamp, der seinen Körper auf das Vorteilhafteste präsentierte. Mir schaute eine selbstbewusste, körperbetonte Frau entgegen, die von den Männern begehrt werden würde, der sie huldigen müssten, um ihre Gunst zu erlangen.
Der elastische und wundervoll verarbeitete Stoff zeichnete exakt die Figur nach, auch an der Hüfte und am Po. Bei dem hauchzarten Stoff hätte man ein Höschen deutlich bemerken können. Hier sah man es nicht, auch nicht den Einschnitt von Bändern in die Haut, wie er zwangsläufig von einem Höschen verursacht worden wäre. Für den Kenner ein sicheres Indiz. So stellte ich es mir jedenfalls vor. Ob und wo ich das Kleid in der Öffentlichkeit tragen würde, wusste ich noch nicht, es zu besitzen und tragen zu können war bereits erregend genug.
Ein tolles Einkaufserlebnis.
Der CEO schlug vor, mich von zuhause abzuholen. Das lehnte ich ab. Es bestand die Gefahr, dass er mich beim Nachhausekommen bedrängte, das wollte ich unbedingt vermeiden. Allein der Gedanke daran machte mich verlegen, es würde für uns beide peinlich werden, denn ich würde jeden Annäherungsversuch abwehren. Ihm war es recht, dass ich allein zum Restaurant kam, wir würden uns im Lokal treffen.
Es war sicherer für mich, zehn Minuten nach der verabredeten Zeit einzutreffen. Dadurch vermied ich, in das blaue Kleid, diesen sexy Dress gekleidet allein im Lokal warten zu müssen, bis mein Gegenüber eintraf.
Er wartete an der Bar im Eingangsbereich, gab sich sehr galant, staunte mich perplex an, deutete einen Handkuss an und geleitete mich mit den erhobenen Händen wie bei einer Promenade im Tanzkurs an den Tisch. Ein feierlicher Moment, er machte ein solches Aufhebens, dass alle Gäste schauten. Der CEO platzte beinahe vor Stolz, das blaue Kleid und ich darin schienen ihm zu gefallen. Er raunte mir zu:
„Sie sehen sensationell aus. Wieso sind wir nicht schon öfter ausgegangen?“
Mir blieb nur übrig, ihm mein majestätischstes Lächeln zu schenken. Wir nahmen Platz, er schob mir den Stuhl zurecht, wie es sich gehörte. Dabei raunte er mir ins Ohr:
„Sie sehen aus wie eine Königin, wirklich wahr, ich übertreibe nicht, sensationell!“
Was soll ich sagen, ich fühlte mich auf Wolke sieben. Der Hintergedanke drängte sich mir ungefragt auf, ob ich mit dem korpulenten alten Mann wohl mein sexuelles Glück finden könnte? Das bezweifelte ich sehr, ausprobieren wollte ich es auf keinen Fall.
Es war für mich normal, dass mir das Herz klopfte und sich mir die Wangen wärmten, schon wegen der Komplimente und seiner unverhohlenen Begeisterung für mich. Hinzu kam die Aufmerksamkeit, die meinem Erscheinen im Restaurant von den anderen Gästen zuteil wurde, beinahe alle Köpfe drehten sich zu mir, fast alle schauten mich an. Trotz der Aufmerksamkeit und meiner Verlegenheit wollte ich mich ganz normal benehmen, aus dem Grund gab ich ihm mit breitem Lächeln das Kompliment zurück.
„Sie sehen aber auch sehr gut aus!“ Das sagte ich nur der Höflichkeit halber, er trug denselben Anzug wie heute den ganzen Tag im Betrieb.
Wir bestellten, er nahm sich Vorspeise, Hauptspeise, Nachtisch, ich begnügte mich mit einem Salat mit Gambas. Er war offensichtlich sehr hungrig, speiste konzentriert und sprach kaum. Mir war das recht, so brauchte ich nicht mit vollem Mund zu sprechen und musste mir auch die Sprachkünste meines Gegenüber nicht anschauen. Bei niemandem den ich je gesehen habe, sah es ästhetisch aus, wenn er mit vollem Mund sprach.
Die Gambas waren exzellent und die Honig-Senf Vinaigrette ganz ausgezeichnet.
Gut gesättigt saßen wir nach dem Essen bei einem Espresso, als er mit dem herausrückte, was er eigentlich wollte. Als er zu sprechen begann, sprach er in neutralem Ton, geschäftlich, nicht privat. Unser Treffen drehte sich ums Geschäft. Darüber war ich sehr erleichtert, ich musste immer noch befürchten, dass er versuchen wollte, mich ins Bett zu bekommen.
„Sie leisten ganz hervorragende Arbeit, Frau Koppers. Ich muss Ihnen das einmal ganz deutlich sagen. Wir sind begeistert und ich spreche nicht im Pluralis Majestatis, sondern für den ganzen Vorstand.“
Der Mann besaß ja so etwas wie Humor! Selbst-Ironie hätte ich bei dem nie vermutet! Ich lachte ein leichtes majestätische ‚Öh-öh!‘, er zwinkerte mir zu.
„Ihre Innovationen sind toll, Ihre Führungsqualitäten ganz außerordentlich.“
Mittlerweile war ich es ja gewohnt, die Lorbeeren zu ernten, die ich nicht gesät hatte, aber jetzt war ich schon ein wenig beschämt. Eigentlich müsste der Herr Müller hier sitzen.
„Ihre Bescheidenheit ehrt sie“, kommentierte er meine Verlegenheit. „Fest steht, dass Sie eine große Bereicherung für uns sind.“
Er schaute mich forschend an.
„Ohne Ehrgeiz wären Sie in ihrem jugendlichen Alter nicht so weit gekommen, Sie bereiten sogar Ihre Dissertation vor, hört man?“
Mir war das sehr peinlich, Herr Müller ackerte, ich saß rum und arbeitete an meiner Doktorarbeit, ich wurde über den grünen Klee gelobt und Herr Müller ging leer aus. Es war ungerecht, aber von mir nicht zu ändern.
Es war nicht zu vermeiden, dass ich errötete. Er fasste mich an der Schulter an und beruhigte mich:
„Ein gesunder Ehrgeiz schadet nicht, dafür braucht man sich nicht zu schämen. Hat auch seine Vorteile, wenn man geschieden ist, nicht wahr? Man hat einfach mehr Zeit für wichtige Dinge zur Verfügung. Kenn ich, ich kenn mich aus, glauben Sie mir!“
Er schaute einen Moment in die Ferne, dann auf seine Hände. Nach kurzer Zeit räusperte er sich und fragte:
„Wie weit geht ihr Ehrgeiz? Was wollen Sie erreichen?“
Fröhlich und ausgelassen wie ich mich in diesem Moment fühlte, hätte ich am liebsten geantwortet: „Ihren Job!“
Aber das wäre vermessen und einfach nur ein plumper Gag gewesen. Außerdem wurde ihm nachgesagt, dass er an mindestens vier Tagen der Woche den Großteil der Zeit auf dem Golfplatz verbrachte und das stellte ich mir außerordentlich langweilig vor. Um nicht irgendetwas nur so dahin zu sagen, lächelte ich. Dabei bemühte ich mich um ein wissendes Lächeln.
Woher wusste der wohl, das ich an meiner Dissertation arbeitete? Herr Müller wusste es, sonst niemand. Ja, und Sabine, die wusste es auch. Als eine der Vorstandssekretärinnen ging sie des Öfteren mit einem der Vorstandsmitglieder essen, oder half ihnen im privaten Bereich. Vielleicht war an der Stelle etwas durchgesickert.
„Wissen Sie?“, fuhr der große Chef fort. „Ihr Werdegang ist wirklich erstaunlich, ich habe ihn mir letztens noch einmal angeschaut. Sie sind von der Praktikantin gleich zur Personalchefin befördert worden. Ist doch so, oder?“
Oh-oh, jetzt kam es heraus, er hatte bemerkt, dass ich im Grunde nutzlos war für die Abteilung und den Betrieb. Was wollte er? Wollte er, dass ich selbst kündige? Waren sie mir auf den Schwindel gekommen? Hatte Sabine gepetzt? Vielleicht, weil ich mich so sehr verändert hatte und sie das nicht mochte? Neidete sie mir mein Aussehen, meine Garderobe oder die Bekanntschaft mit dem Richter? Dass mit dem Schluss war, das wusste sie noch nicht.
Ob sie aus einem der Gründe versuchte, mir Steine in den Weg zu legen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Wir kannten uns aus der Schule, damals. Sie war vor dem Abitur abgegangen, anschließend hatten wir uns aus den Augen verloren, hier in der Firma waren wir uns wieder über den Weg gelaufen. Sabine und ich waren damals hoch erfreut uns wieder zu sehen, die alte Vertrautheit und Freundschaft war gleich wieder da. Dass sie mich beim CEO so richtig in die Pfanne hauen würde, das konnte ich mir nicht vorstellen. Möglich war natürlich alles.
Mit leichter Panik im Blick bestätigte ich die Frage des CEO‘s.
„Ach, wir sind immer noch so förmlich, Frau Koppers. Trinken Sie ein Glas Champagner mit mir?“
Ohne eine Antwort von mir abzuwarten winkte er dem Kellner und bestellte eine Flasche Champagner. Wollte er doch etwas von mir? Vielleicht eine Gegenleistung dafür, dass er mich in der Firma und auf dem Posten beließ, obwohl Herr Müller die Arbeit machte? Beispielsweise, dass ich ihn in mein Bett ließ? Das war sehr schwer vorstellbar, sehr, sehr schwer.
Er schaute mir in die Augen, wir hoben die Gläser, er sprach:
„Sag Friedhelm zu mir, Clara.“
Er fasste meine Hand und wir stießen an. ‚Jetzt bloß nicht küssen!‘ hoffte ich. Ich stellte es mir gruselig vor, den alten Mann zu küssen. Das feiste Gesicht mit Bart wollte ich nicht berühren, schon gar nicht mit den Lippen.
„Ach, weißt du, innerhalb des Vorstands können wir wirklich einen vertraulichen Umgang haben“, erklärte er. Im Stillen ergänzte ich: ‚Vertraulich ja, aber nicht bis ins Bett!‘
„Also, ganz frank und frei. Ich habs bereits mit dem Senior besprochen, er meint auch, dass es eine gute Idee ist.“
‚Oh-oh!‘, dachte ich, ‚jetzt kommts!‘
„Weißt du, ich mag nicht mehr so viel arbeiten. Mit fünfundsechzig gehe ich in Pension, vorher möchte ich einen Nachfolger aufbauen, der mir nach und nach alles abnimmt, verstehst du?“
Ja, nein, ich verstand nichts.
„In dem Falle würde ich mir eine Nachfolger-IN aufbauen, verstehst du jetzt? In fünf Jahren sollst du die Firmenleitung übernehmen und die Chefin vom Ganzen werden. Was sagst du dazu?“
Diese Eröffnung kam wirklich überraschend. Das konnte ich nicht ahnen, das warf mich um.
„Ich soll ….“, stammelte ich, „ich?“
„Ja, du. Ich will dich unbedingt im Betrieb halten, als Dr. rer. oec wärest du die richtige Repräsentantin für die Firma. Du hast die richtigen Ideen und die richtige Einstellung, du bist jung und dynamisch, du hast Führungsqualitäten und das richtige Gespür für Menschen, du hast einfach das gewisse Etwas, was man braucht, um eine Firma zu führen. Schau dir nur an, wie reibungslos deine Abteilung läuft. So wenig Personalprobleme hatten wir noch nie, so wenig Fluktuation innerhalb der Belegschaft ebenfalls noch nie. Wem haben wir das zu verdanken?“
Er zeigte mit einem seiner Wurstfinger auf mich.
„Der jungen Doktorandin hier, die auch noch so verdammt sexy ausschaut, dass man sie anbeißen möchte.“
Er griente auf seine gönnerhafte Altherrenart. Dann schaute er sehr ernsthaft.
„Jetzt sag, was hältst du von dem Konzept?“
„Also, ich?“, fragte ich noch einmal nach. Dann aber hatte ich mich gesammelt. Was war für Clara das Beste? Der alte Mann mir gegenüber war mir relativ gleichgültig, für den war ich nicht verantwortlich, nur für mich. Aber was war für Clara richtig?
Traute ich mir seinen Job zu? Mit Herrn Müller als Leiter der Personalabteilung und ständigem Rat- und Ideengeber würde ich alles schaffen. Den Job wollte ich haben.
„Das ist eine sehr große Ehre für mich. Ja, ich glaube, ja. Ich meine, natürlich möchte ich das. Wenn Sie, äh, wenn du, Friedhelm, mich einarbeitest und wir genügend Zeit haben, alles umzustellen, dann will ich das gerne anpacken.“
Er lachte, erleichtert und sehr froh.
Es zwang mich etwas dazu, ihm, Friedhelm, dem CEO reinen Wein einzuschenken. Es lag mir fern, mein zukünftiges Berufsleben auf Lügen aufzubauen. Allerdings musste ich auch für Clara sorgen, deswegen war ich um Diplomatie bemüht.
„Alle Innovationen kommen aus meiner Abteilung, das bin nicht ich, die die Ideen ausbrütet und umsetzt, das sind die Mitarbeiter der Abteilung, vor allen anderen Peter Müller, der Bürovorsteher.“
Zu meiner Überraschung winkte Friedhelm ab.
„Das ist klar, das wissen wir ja. Der alte Personalchef machte uns immer wieder klar, dass der Müller nur durch Zufall zum Bürovorsteher wurde und eigentlich eine Fehlbesetzung war. Aber du hast seine Fähigkeiten erkannt, du hast ihm freie Hand gelassen und ihn gefördert. Das nenne ich Führungsqualitäten! Es ist nicht notwendig, dass man durch Fachkenntnis glänzt, die ist natürlich auch wichtig, aber ausschlaggebend ist immer die Fähigkeit, das Potential der Mitarbeiter zu erkennen und sie ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen. Das machst du auf ganz hervorragende, auf wundervoll bescheidene, unauffällige Art und Weise. So gehört es sich für eine Chefin, so ist es ideal. So sollst du auch in Zukunft unser Unternehmen leiten, ich verspreche mir, uns, der Firma, eine goldene Zukunft, dank dir. Prost Clara, ich bin froh, dass wir dich haben.“
Über die Rede und darüber, dass sie es wussten und wie sie es sahen, war ich total erstaunt. Völlig sprachlos saß ich da. Es dauerte einige Sekunden bis ich bemerkte, dass mir Friedhelm sein Glas hinhielt, er wollte mit mir anstoßen. Wortlos stießen wir an und tranken. Friedhelm konzentrierte sich wieder auf seine Rede und berichtete:
„Es hat einen bestimmten Grund, warum ich es dir jetzt sage. Deine Idee, dass wir selbst unsere Facharbeiter in einer eigenen Lehrwerkstatt ausbilden, die ist ganz großartig. Obendrauf kommt noch die Idee der betriebsinternen Sprachschule, damit die Einwanderer schnell unsere Sprache lernen und wir ihre Familien gleich mit einbinden und ebenfalls unterrichten können. Die Idee ist ganz großartig, wirklich. Auf die Zukunft gesehen ist das eine Innovation, die mit Gold nicht aufzuwiegen sein wird.
Es zeichnet sich ja ab, dass es immer weniger freie Facharbeiter gibt. Mit dieser Notlage, unter der nicht nur unsere Branche leidet, haben wir durch unsere kluge zukünftige Frau Doktor nichts zu tun. Das wird bedeuten, dass wir ständig expandieren werden. Der Senior, der Produktionschef und ich haben mal ausgerechnet, dass wir zur Zeit meiner Pensionierung mindestens zweitausendfünfhundert Menschen Arbeit und Brot geben werden. Als größtes Betriebskapital werden wir selbst ausgebildete, hoch qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung haben. Mehr als die Konkurrenz, zumindest so lange, wie wir unseren Innovationsvorsprung halten können. Bei deiner Kreativität und deinem Fleiß habe ich da überhaupt keine Bedenken.“
Er schaute mich an, wie ein Kind den Weihnachtsbaum. Er war über meine Zusage und die Zukunft, die er sich für den Betrieb ausmalte, offensichtlich restlos begeistert.
„Bevor die Wettbewerber geschnallt haben werden, was diese Investition für die Zukunft bedeutet, sind wir ihnen um Meilen enteilt. Wunderbar, einfach wunderbar!“
Er schaute mich an, als ob er mich küssen wollte, seine Augen brannten vor Begeisterung.
„Prost, meine Lieblingskollegin! Prost Clara!“
Wie ich mich fühlte? Losgelöst von der Erde, ich schwebte im Raum. Der Boden unter den Füßen war weg, verschwunden. Die Lobeshymne und die Zukunftsaussichten gaben mir einen so bedeutenden Auftrieb, dass ich nicht mehr wusste, ob ich im Himmel war oder mich noch auf der Erde befand. In dem Moment wäre ich sogar mit ihm ins Bett gegangen.
Im nächsten Moment schon nicht mehr, nein, nein, es war nur ein kurzer, abwegiger Gedanke, nicht mehr.
Er schaute auf die Uhr und wurde hektisch.
„Bei ntv wird gleich das Golfturnier übertragen, die PGA-Championship. Das schaue ich mir gemeinsam mit dem Senior an. Der arbeitet noch immer an seinem Schwung, beim Golf meine ich. Also, wenn du mich fragst, wenn er es in dreißig Jahren nicht gelernt hat, dann lernt er es jetzt mit vierundsiebzig auch nicht mehr.“
Er bezahlte, danach wollte er mich noch zu meinem Auto bringen, das lehnte ich aber dankend ab. Darüber erleichtert eilte er von dannen.
Die Menge an Neuigkeiten war nicht so schnell und leicht zu verarbeiten. Die Aussicht einer Karriere in der Firma war wirklich grandios. Es war klar, dass früher oder später mein nicht vorhandener Nutzen für Herrn Müllers Abteilung bekannt werden würde. Um nicht hinausgeworfen zu werden, wollte ich mich nach dem Erreichen der Doktorwürde bei anderen Firmen bewerben. Dass mir aber im eigenen Betrieb eine solche Karriere angeboten wurde, obwohl man über Herrn Müllers Qualitäten und meine Rolle in der Abteilung Bescheid wusste, war natürlich überwältigend. Eine so frohe Nachricht hatte ich ganz gewiss nicht erwartet.
Um ein wenig Abwechslung zu bekommen und die Ereignisse in lockerer und angenehmer Umgebung zu verarbeiten, fuhr ich zum Bermuda3eck und setzte mich in das bekannte Bistro. Das mit der leisen Musik und ohne Gefahr, meine drei Freunde zu treffen. Obwohl, angeheizt wie ich war, hätte ich der Aussicht auf ein weiteres Abenteuer mit den drei Musketieren nicht widerstehen können.
Nun, in diesem Bistro gab es an diesem Abend Jazzmusik, sie führten den Abend als Cocktail-Abend. Nicht so ganz damenhaft, aber der Lockerheit entsprechend, wie ich sie nach dem Gespräch mit, ähm, Friedhelm verspürte, setzte ich mich an den Tresen und bestellte einen alkoholfreien Cocktail. Kurz nach dem ersten Schluck von dem blauen Getränk sprach mich ein Mann an.
„Wie hat Ihnen das Konzert gefallen?“, fragte er ganz unbefangen. Er trug ein braunes Wildlederblouson, ein blaues Polo-Shirt darunter, eine legere dunkelblaue Freizeithose und Sneekers. Er war gut gekleidet, nicht auffällig, schlicht, jedoch Jacke, Shirt und Hose von sehr guter Qualität, wenn ich das richtig beurteilte. Mutter hatte mir beigebracht auf so etwas zu achten. „Ein Mann, der sich schlecht kleidet, hat keine Selbstachtung, so einer ist kein adäquater Partner für eine Dame“, so waren ihre Worte.
Im Unterschied zu den meisten Männern, die ich in letzter Zeit kennen gelernt hatte, war er glatt rasiert. Die dunkelblonden Haare trug er kurz, streichholzlang, würde ich sagen. Dunkelblaue ausdrucksstarke Augen, ein kräftiges Kinn, eine sympathische Erscheinung. Er wirkte zielstrebig und selbstbewusst.
Die Form der Ansprache war mir noch nicht begegnet, allerdings bin ich auch noch nicht so oft angesprochen worden. Das könnte mit der Art mich zu kleiden zu tun gehabt haben oder mit den tiefen Kummerfalten oder der strengen Frisur. Aber von dieser Form der Ansprache hatte ich auch im Kolleginnenkreis noch nie gehört.
„Welches Konzert?“
Er stutzte, dann fragte er:
„Waren Sie nicht bei den drei Symphonien in der Jahrhunderthalle?“
„Wann denn?“
„Ja, gerade eben!“
Er schaute mich an, ich schenkte ihm das Majestätische. Er wirkte unsicher und schaute immer noch.
„Waren Sie nicht … ? Ich dachte ich hätte Sie … !“
Er lachte, verlegen aber auch wirklich amüsiert.
„Oh mein Gott, Sie müssen es für eine ganz plumpe Anmache halten. Bitte glauben Sie mir, von hinten sahen Sie einer Dame ähnlich, die ich gerade im Publikum gesehen hatte. Wenn ich allerdings in ihr Gesicht schaue, dann ist mir klar, dass ich so etwas Schönes noch nie gesehen haben. Bitte verzeihen Sie die Verwechslung.“
Er nahm meine Hand und berührte sie ganz leicht mit den Lippen.
Ich lächelte noch immer majestätisch.
Er sprach weiter, seine Wangen hatten sich ganz leicht gerötet. Sein Fauxpas minderte nicht sein Selbstbewusstsein. Souverän führte er weiter aus:
„Nichtsdestoweniger freue ich mich jetzt, Sie angesprochen zu haben. Trinken Sie etwas mit mir, als Wiedergutmachung? Sie sehen wirklich ganz bezaubernd aus. Sind Sie in Gesellschaft oder darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“
Was sollte ich tun? Er schien sympathisch zu sein. Ohne lange zu überlegen lächelte ich ihn an und sagte nur leise: „Bitte!“, und deutete mit einem Blick auf den leeren Barhocker neben mir. Das war von mir ganz wunderbar damenhaft gemeistert worden, das musste die Korrekte der Liederlichen zugeben.
Er bestellte etwas beim Barkeeper und setzte sich auf den Hocker. Sehr förmlich reichte er mir die Hand und stellte sich vor.
„Fabian Schulte.“
Ich schlug ein und nannte meinen Namen.
„Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich ihren Namen übernehme“, plauderte er, „sie hat ihren Mädchennamen behalten und den Familiennamen vorangestellt. Sie heißt Schulte-Böcking. Einfach Schulte war ihr zu popelig. Dabei ist doch gegen den Namen nichts einzuwenden oder?“
Was für ein seltsamer Mensch. Interessant war allein schon die Dynamik, mit der er sprach und sich gab, und sein Selbstbewusstsein, das ihn völlig unbefangen, mir, einer Wildfremden, ganz persönliche Angelegenheiten erzählen ließ.
„Ich werde ganz bestimmt keinen Namen mit Bindestrich tragen, ganz gewiss nicht.“
Der Keeper stellte uns die beiden Cocktails hin. Er sagte entschuldigend:
„Alkoholfrei, ich hab Bereitschaft.“
Wir prosteten uns zu, der Cocktail schmeckte besser als meiner.
„Sollen wir ‚Du‘ sagen? Ich komme mir immer schon so alt vor, wenn ich alle Leute siezen muss und die mich auch alle siezen. OK? Fabian.“
Er reichte noch einmal die Hand, ich schlug wieder ein und meinte: „Clara.“
„Du schreibst dich mit ‚C‘ oder? Hört sich so an.“
„Woran hörst du das denn?“, fragte ich. Ein amüsanter Mensch! Aus der Stimmung heraus, in der ich mich befand, plauderte ich unbefangen los:
„Aber stimmt, mit ‚C‘. In der Schule haben sie mich damit aufgezogen. Immer wenn sie meinen Namen mit ‚K‘ schrieben, habe ich es so lange reklamiert, bis sie es richtig geschrieben haben. Wie kannst du denn so etwas hören?“
„Ja, weiß ich nicht genau, passt einfach zu dir. Du bist echt eine Sensation hier in der Kneipe. Was machst du beruflich?“
Er war ein Mann aus dem Ruhrgebiet. Seine Aussprache und seine Wortwahl kamen eindeutig von hier.
In dem Moment klingelte sein Telefon. Er e
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