DIE UNBERÜHRTE (Kapitel 1)
von DreamR
Kapitel 1: Die "Wirbelnden Teufel"
* * *
Ayron verstaute seine Trinkflasche und genoss es, wie die kühlende Flüssigkeit in der Schwüle des Sommerabends durch seinen Körper lief.
Dann sah er sich sorgfältig in der Gasse um. Als er niemanden erblickte, prüfte er noch einmal seine Kleidung.
Die Uniform mit den weithin bekannten Zeichen der Stadtwache von Marascan hatte er nach innen gewendet. Diese Spezialanfertigung war so raffiniert vernäht, dass nichts mehr sein Amt als Zweiter Nachtaufseher der Westviertel von Marascan verriet. Stattdessen sah er in der angestaubten, wettergegerbten Innenseite aus wie einer jener zähen Kuriere, wie sie zu Dutzenden in den Reichen unterwegs waren. Sie brachten Nachrichten durch unwirtlichste Gegenden, weil sie zähe Pferde ritten und geheime Pfade nutzten. Und sie waren bekannt dafür, ihren Sold am Ende eines Botenritts desöfteren direkt in den Tavernen der Städte zu verjubeln.
Um nicht am Gesicht erkannt zu werden, hatte Ayron seinen falschen Bart abgenommen. Schon in einem früheren, weniger gesetzestreuen Leben, war ihm aufgegangen, dass man seine Identität wirksamer verbarg, wenn man die meiste Zeit seines Lebens ein maskiertes Gesicht trug. Dieses konnte man dann für weitere Identitäten abändern oder sich der Maskerade für eine Weile ganz entledigen. Der Trick daran war, nicht die meiste Zeit seines Lebens mit seinem wahren Äußeren herumzulaufen, sondern dies zur Ausnahme zu machen.
Ayron lauschte kurz dem fröhlich enthemmten Tumult, der gedämpft hinter den Steinmauern aus dem "Wirbelnden Teufel" drang. Dann betrat er die Taverne, in der sich die Diebereien und unmoralischen Untriebe abspielen sollten, von denen seine Quelle gesprochen hatte.
Die Schankstube war von träge waberndem Nebel erfüllt, der aus Schalen hervorquoll, die auf mannshohen Messinggestellen standen. Ayron konnte nur die naheliegendsten Tische klar erkennen.
Instinktiv streckte er die Hände nach vorn und bahnte sich einen Weg durch das schummrige Labyrinth von Gestühl und Gestalten.
Der Dampf aus den Messingschalen roch nach Kräutern, Wald und frisch nassgeregnetem Holz, aber es lag auch eine schwerere, betörendere Note in der Luft.
Ayron folgte kurzentschlossen einer weiblichen Bedienung, die vor ihm aus den Duftschwaden aufgetaucht war. Sie trug ein rustikales Holztablett mit reich verzierten, wenn auch etwas abgewetzten Bierkrügen über ihrem Kopf und fand mit einer Leichtfüßigkeit und Balance ihren Weg zwischen den Tischen, Stiefeln und Beinen hindurch, die Ayron ehrlich bewunderte. Und - wie er sich eingestand - ihr betont federnder Gang war eine Augenweide, auch wenn das wie gewohnt nur sein Verstand registrierte und nicht sein blutpumpendes Herz oder gar etwas unterhalb seines Gürtels.
Der Knall einer Ohrfeige peitschte vor ihm auf, gefolgt von einem vielstimmigen Johlen, als das Schankmädchen einem angetrunkenen Halbriesen im Weitereilen klarmachte, dass seine grobschlächtige Hand nichts an ihrer Kehrseite zu suchen hatte.
Der vielschrötige Fleischhüne starrte dem Mädchen mit geröteten Augen nach und machte eine Bewegung, als wolle er ihr hinterherstürzen. Wie zufällig stand ihm dabei aber Ayron im Weg, der scheinbar leicht angetrunken Halt am Arm des Halbriesen suchte. Zornig schüttelte ihn der Geohrfeigte ab, brauchte dafür aber mehrere Versuche, so dass die Kellnerin im Nebel verschwunden war und dem Halbriesen seine Rache zu umständlich wurde. Als leichteres Ziel wählte er nun Ayron und schlug ihm seinen Bierkrug über den Schädel. Zumindest wollte er das, durch eine schnelle Wendung seines Ziels erwischte er nur dessen Schulter - die allerdings schmerzhaft.
Mit einem unterdrückten Keuchen stolperte Ayron davon, während der Fleischberg mit Gesicht tumb triumphierend grinste. Dann versuchte er noch mit einem rüden, frauenverachtenden Spruch, seine Würde in den Augen seiner Tischnachbarn zurückzugewinnen und ging bald wieder im Gewirr der Stimmen und Gestalten unter.
Ayron behielt seinen leicht schwankenden Gang bei und suchte sich einen kleinen Tisch an der Wand. Der kippelte und knarrzte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Aber so hatte der getarnte Gardist den Rücken frei und den Schankraum im Blick. Er selbst saß eher im Dunklen verborgen, da hier kaum Öllampen brannten.
Ayron massierte seine Schulter, verzog dabei das Gesicht und wartete dann geduldig, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnten. Dabei streckte er seine Glieder und räumte ein paar Reiseutensilien aus seinen Taschen, die er sich extra für seine Kurierrolle zugelegt hatte.
Ein zweites Schankmädchen huschte an seinen Tisch - warf ihm ein gekonnt aufblitzendes Lächeln zu, das Ayron das Gefühl gab, sie erkenne ihn tatsächlich - und freue sich, einen so regelmäßigen Gast wie ihn wiederzusehen. Dabei war er in diesem Erscheinungsbild zuletzt vor über einem Jahr hier eingekehrt.
"Was kann ich Dir heute Abend Gutes tun?", fragte sie ihn dezent zweideutig. Gerade genug, um ein männliches Unterbewusstsein zu reizen - aber viel zu schwach, als dass ein beherrschter Mann von Moral und bei Sinnen daraus ein echtes Angebot ableiten durfte. Das kurze Aufleuchten ihrer haselnussbraunen Augen war ähnlich beiläufig verlockend.
Ayron bewunderte die Kunstfertigkeit, mit sich das Schankmädchen offenbar auf das Spiel mit männlichen Gästen verstand. Zum Glück ließ sie ihn kalt. Er bestellte dennoch mit einem gespielten Grinsen einen Krug Marascaner Feuer und legte, als sie mit einem weiteren reizenden Lächeln davoneilte, gut sichtbar eine Silbermünze auf den Tisch.
Bis das Mädchen mit seinem Krug zurückkehrte und die Münze mit einem ehrlich überraschten Lächeln einstrich, hatten schon mehrere vorbeigehende Gäste der Schänke verstohlene Blicke auf das blitzende Stück Silber geworfen. Einige erkannte Ayron als Taschendiebe, eher unbedeutende Lichter. Steckten sie hinter den Diebstählen, die sich im "Wirbelnden Teufel" häuften?
Ayron traute es ihnen eigentlich nicht zu, denn es waren auch Wachsoldaten, Offiziere und höhere Stadtbeamte ausgeraubt worden. Das war eine Nummer zu groß für diese kleinen Fische.
Einer der Fingerdiebe ließ sich gerade allzu durchsichtig am Nachbartisch nieder und tat, als warte er auf eine Bedienung.
Das Schankmädchen lenkte Ayron davon ab.
"Möchtet Ihr noch etwas? Unser Essen ist genausogut wie das Bier - und die Bedienung hier...", sagte sie neckend - und sah ihm einen winzigen ungebührlichen Moment zu lang in die Augen.
Ayron beschloss, seine Erkundungen offensiver anzugehen. "Habt Ihr nur Dinge für den Magen heute? Ich könnte etwas Zerstreuung gebrauchen..."
Ihr Blick wurde neugieriger, wanderte prüfend über sein Äußeres.
"Hab eine lange Reise hinter mir. Fünf Tagesritte, gut bezahlt, aber hinterher braucht man seine Pause!", erklärte er und nippte an seinem Krug. Sie lächelte schief, die Spur von Misstrauen in ihren Augen verwandelte sich in ein verschwörerisches Glitzern.
"Im Nebenraum gibt es noch ein paar ... Tänze...", raunte sie und deutete seitwärts in den Nebel.
"Kommst Du mit?" Ayron nickte angemessen überrascht und naiv neugierig, überreichte dem Schankmädchen eine weitere Silbermünze, ließ sein Feuerbier zurück und folgte ihren anmutig schwingenden Hüften durch den Nebel.
Eine Dunstwolke stob ihm entgegen, als sie eine Tür für ihn öffnete und ihn an sich vorbei ließ. Als er sich ganz nah an dem Mädchen vorbei drückte, hauchte sie ihm "Ich bin übrigens Liiv...viel Spaß!" ins Ohr.
Er lächelte und trat in den Raum. "Liiv" schloss die Tür hinter ihm.
Die betörendere Duftnote, die Ayron im Schankraum bemerkt hatte, kam offensichtlich aus diesem Raum. Denn hier hing allein dieser Geruch in der Luft.
Gepolsterte Sessel waren kreisrund aufgestellt um eine mit Teppich und Fellen ausgelegte Freifläche. Auf ihr tanzten drei Frauen mit eleganten schwarzen Augenmasken.
Eine von ihnen kannte Ayron: eine Edelhure aus dem Hafenviertel - mit einem Körper voller üppiger Rundungen. Die anderen zwei waren jünger und offenbar Schankmädchen, denn sie trugen die gleichen robusten und ziemlich knappen Lederkleider wie Liiv. Auf ihrem Bauch war je ein herumwirbelnder Teufel in das Leder eingestickt, dessen Kopf und die Hörner links und rechts die eher schmalen Wölbungen ihrer Brüste umrankten.
Ayron musterte den Sesselkreis und die Gäste darin. Die meisten wirkten fein gekleidet, offenbar gut situiert oder von Rang in der Stadt.
Dann fiel Ayron auf, dass an den Wänden des Raumes, in den Schatten, noch weitere schemenhafte Gestalten standen und dem Treiben auf der Tanzfläche zuschauten.
Ab und an kam ein Schankmädchen von draußen herein und brachte den Schaulustigen Getränke.
Die Edelhure löste gerade ihr Haar - und den oberen Knopf ihres perlenbestickten Seidenoberteils, so dass die Ansätze ihres vollen Busens freigelegt wurden. Dann schritt sie näher auf einen Sessel zu, in dem ein junger Mann saß. Ayron erkannte ihn als neureichen Sprössling eines einflussreichen Zunftvorstehers. Seine Haare waren gelockt und teuer frisiert, das gab ihm ein adliges Aussehen, mehr als jedem der anderen, die hier sichtbar im Licht saßen. Die geröteten Wangen und sein unruhiges Hin- und Herrutschen auf dem Sessel ließen ihn allerdings sehr jung und schüchtern wirken.
Die reife Kurtisane baute sich direkt vor ihm auf, ihren Oberkörper keck darbietend, die Augen hinter der schwarzen Satinmaske herausfordernd, die Beine selbstsicher etwas gespreizt:
"Wollt Ihr mehr sehen, edler Herr!?", fragte sie ihn - und es klang mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage.
Der Jüngling leckte sich unwillkürlich die trockenen Lippen und räusperte sich, dann sagte er mit nervös hoher Stimme:
"Ja, das würde ich gern, hier habt Ihr weitere 10 Galleonen!"
Er griff in einen Beutel, der an seinem Gürtel festgebunden war und legte 10 goldene Münzen vor sich auf den Tisch.
"Wieviel ... bekomme ich dafür zu sehen?", fragte er und versuchte fordernd zu klingen, doch sein Blick hielt ihrem nicht stand.
"Lasst Euch überraschen...", gurrte die Edelhure, strich die Goldgalleonen ein und winkte mit einer Geste die beiden jungen Schankmädchen zu sich.
Sie kamen mit lasziv schwingenden Hüften näher. Die Hure gab einer die Galleonen, die andere forderte sie auf:
"Verwöhn unseren Gönner ein bisschen, Keyla!"
DIe Angesprochene kam näher, bis sie direkt mit ihrem Oberschenkel das Knie des jungen Mannes berührte. Dann verharrte sie, während ihre Augen hinter der schmalen Maske seine suchten. Er schaute immer wieder verlegen weg, blinzelte, räusperte sich nervös.
"Schau sie an!", sagte die Edelhure leise aber bestimmt. Der Lockenschopf erstarrte, gehorchte schließlich und hob seinen Blick in die grüngrau funkelnden Augen des Schankmädchens. Als hätte sie ihn gebannt, saß er starr vor ihr. Dann strich das Schankmädchen namens Keyla mit einer Hand wie beiläufig über seinen Oberschenkel. Ein schwerer Atmer entfuhr dem Mund des jungen Edelmannes. Keyla ließ ihre Fingerspitzen über seine Beinhaare unterhalb seines feinen Kaufmannrocks wandern und zog mit ihren Fingernägeln eine leichte rote Spur über seine Haut.
Alle Anwesenden im Raum starrten gebannt auf die Fingerspitzen des Mädchens. Sie wanderten über den Oberschenkel des Adelssprosses - immer höher, auf seinen Schoß zu. Dann tippte sie mit der Kuppe ihres Zeigefingers auf die aufgewölbte Stelle, die sein Geschlecht darunter bereits gebildet hatte - und verharrte dort erst schamlos und aufreizend, um dann langsam kreisend sein Glied unter dem edlen Stoff zu massieren.
Ayron achtete nicht auf Keyla und ihr Fingerspiel. Er beobachtete die Edelhure. Sie tanzte einige Schritte vor dem jetzt keuchenden jungen Edelmann, so dass sie alle Gäste im Sesselkreis gut sehen konnten.
Die flatternden Schleier ihres Kleides entfachten einen bunten Wirbel, der die gaffenden Männer wohl auch so in seinen Bann gezogen hätte, selbst ohne die immer wieder aufblitzende nackte Haut darunter.
Ayron wurde allerdings schnell klar, dass auch der Tanz der Hafenkurtisane nur zur Ablenkung diente.
Denn in den Schatten hinter den Sesseln waren einige Gestalten näher gekommen. Von den Gästen in den Sesseln unbemerkt, waren sie direkt hinter die Rücklehnen der Sessel getreten. Man hätte denken können, dass sie sich nur genauer ansehen wollten, wie sich das Schankmädchen Keyla jetzt auf dem Schoss des Zunfterben niederließ und ihren Hintern unter dem knappen Lederrock auf seinen Oberschenkeln auf und ab schob. Doch Ayron hatte einen anderen Verdacht, denn die Gestalten waren viel zu gleichzeitig näher getreten.
Ayron wusste nicht genau, wie hier in diesem Separée die Regeln lauteten, aber er beschloss, etwas zu wagen und setzte sich in den nächsten freien Sessel. Da er seine Sitznachbarn nun besser erkennen konnte, fiel ihm gleich auf, dass er mit seiner Wildniskleidung in ihrem Kreis fehl am Platz war. Doch die Edelmänner interessierten sich gerade nur für Keyla, die dem Adelsjungen jetzt heiße Versprechungen ins Ohr wisperte und dabei ihren Schoß über seine pralle Hose gleiten ließ - und für den Tanz der Edelhure, die die Träger ihres Schleierkleides von den Schultern rutschen ließ und die Ansätze ihrer festen reifen Brüste entblößte.
Ayron tat so, als wäre auch er nur zum Gaffen hier und stellte wie beiläufig seinen Beutel mit Silbermünzen neben sich ab.
Nicht mehr nur das Atmen des Zunftvorstehersohnes war nun zu hören, auch andere Männer im Raum atmeten hörbar erregt. Ayron beugte sich vor, als wolle er genauer sehen, wie Keyla dem überforderten Mann unter sich die Knöpfe seiner Weste aufknöpfte und mit ihren schlanken Fingern in sein Brusthaar fuhr. Ayron konzentrierte sich aber nicht darauf, was er dort sah, sondern auf seine Ohren. Und da war es: Ein fast unhörbares Klirren. Jemand war an seinem Beutel.
Ayron hätte dem Dieb mit einer blitzartigen Bewegung den Dolch in den Arm rammen können, dessen Griff er die ganze Zeit versteckt umschlossen hielt. Doch er wollte keinen Aufruhr auslösen, bis er nicht sicher wusste, wer alles an diesem Raub mittat.
Kurz war Ayron sogar doch abgelenkt, als die Edelhure ihre wirbelnden Schleier plötzlich von sich warf und nun barbusig weiter tanzte, nur noch ein feuerrotes Tuch um ihr Becken geschlungen.
Ayron war sich sicher, dass er der einzige männliche Gast war, der in diesem Moment seine Augen von diesem Anblick abwenden konnte. Er ertappte sich sogar dabei, kurz zu Keyla zu schauen, die eben die Hände des Jünglings ergriff und auf ihre Lederweste legte - so dass er ihre Brüste fühlen musste.
Ayron spürte einen Kopfschmerz, doch die Magie hielt stand. Der Stadtgardist verlagerte seinen Körper möglichst unauffällig so, dass er zwischen den Augenlidern hinter einige der Sessel spähen könnte. Die Bewegungen der Schatten, die sich an den Sesseln herumdrückten, waren eindeutig. Ayron kannte sie von den Märkten, wenn sich Taschendiebe unbemerkt und doch hautnah an ahnungslose Käufer herandrückten, so dass die Opfer sich eigentlich nur hätten umdrehen müssen, um den Raub ihrer Wertsachen zu bemerken - es jedoch meist nicht taten, oft, weil sie abgelenkt waren. Oder wurden.
Einige heisere Rufe schallten jetzt durch den Raum, ein Johlen, manche pfiffen anzüglich. Doch Ayron registrierte nur kurz, wie Keyla - ihre Weste mit den Lederschnüren aufgerissen - ihre nackten spitzen kleinen Brüste von den gierigen Hände des Adelssprosses massieren ließ. Auf der Tanzfläche wickelte die Edelhure gerade das Tuch um ihre Hüften ab, so dass es ihr wohl bald von den Lenden fallen würde.
Ayron stand abrupt auf, johlte ebenfalls, klatschte, leicht schwankend - und trat neben seinen Sessel, als wolle er sich besser festhalten können. Sein Ohr registrierte erneut ein leises Klimpern und blitzschnell stellte er der vorbeihuschenden Gestalt ein Bein.
Es gab ein lautes Klirren, Scheppern und Klimpern, als ein Schankmädchen mitsamt seines Getränketabletts zu Boden stürzte, das das Mädchen offenbar hatte hinaustragen wollen. Ayron begann gerade sich zu entschuldigen, als er verschiedene kleine Lederbeutel und kleinere glitzernde Gegenstände zwischen in den Bierkrügen auf dem Tablett erblickte. Geldsäckchen, Ringe, Ketten, Münzen... Ihre Augen trafen seine, der Schreck einer Ertappten, dann floh sie hinaus.
Plötzlich war Ayron umringt von Männern in Umhängen und Masken. Sie hielten ihre Hände seltsam verdeckt, so dass Ayron erahnte, dass sie unter ihren Umhängen Dolche auf ihn richteten. Und sie zogen den Kreis der tödlichen Spitzen schnell enger. Weitere Schankmädchen eilten hinter den bedrohlichen Männern hinaus, auch auf ihren Tabletts erblickte Ayron glitzernde Diebesbeute.
Der erste der Männer hatte ihn erreicht, zwischen seinen Umhangfalten blitzte eine hässliche zackige Krummdolchklinge auf.
Im selben Moment schob sich eine schlanke Frauengestalt in den Ring, der Ayron umlagerte. "Lasst ihn, er wird uns nicht verraten!" erklärte Keyla und trat dicht an Ayron heran, so dass ihre immer noch entblössten kleinen Brüste fast seinen Oberkörper berührten.
"Nicht wahr?", raunte sie, "Du machst uns keinen Ärger, wenn Du dafür ein besonderes Vergnügen genießen kannst..."
Ayron schaute dem halbnackten Mädchen in die maskierten Augen und sein Kopf begann erneut schmerzhaft zu pochen. Bevor er antworten konnte, zog ihn Keyla schon langsam mit sich, strich dabei sanft über seinen Oberarm und schob einige Umhänge und Dolchklingen beiseite, als sie ihn zu einer Tür im Schatten führte, die er bisher nicht bemerkt hatte. Zwei der Räuber begleiteten die beiden und Ayron spürte spitzes Metall gegen seinen Rücken drücken.
An der Tür zischte Keyla den Männern zu: "Ich erledige das, wir brauchen keinen öffentlichen Aufruhr ... bewacht die Tür!"
Dann öffnete sie die gusseisernen Metallriegel der Tür, zog Ayron mit hinein und schloss hinter ihnen ab. Draußen war direkt hinter der Tür das Scharren von rauhen Stiefeln zu hören.
Der Raum war von Kerzenlicht erhellt und bestand aus gut gepolsterten weinroten Samtwänden mit vielen Metallringen, die wohl den Eindruck einer Burgkammer verstärken sollten. Auch ein Liegesofa und das große Bett waren in dunkelroten Farben gehalten, dazu verbargen ein Beistelltisch und ein Schrank mit diversen Schubladen vermutlich so einiges.
Keyla war vor Ayron getreten und wandete sich ihm nun voll zu, ihr Busen mit den kleinen Perlen nackt, ihr Lederrock leicht verrutscht, so dass viel von ihren anmutigen aber auch durchaus muskulösen Schenkeln zu sehen war.
"Na, Du schlauer Fuchs! Hast die Diebe also auf frischer Tat ertappt! Dafür hast Du Dir eine Belohnung verdient...", sagte sie leise.
Eigentlich wusste Ayron, was er zu tun hatte, doch aus reiner Neugier, dachtete er jedenfalls, zögerte Ayron mit einer Antwort und schwieg.
Das Schankmädchen machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre dunklen Haare schwangen anmutig um ihr Gesicht. Ihre leicht geröteten Wangen leuchteten im Kerzenlicht, ihr freier Bauch hob und senkte sich unter ihrem aufgeregten Atem. Dann war sie ihm noch näher und lächelte ihn wissend an. Sein Zögern verstand sie offenbar als Einwilligung. Sie legte ihm eine schlanke Hand auf die Brust und ihre Lippen wanderten zu seinem Ohr. Sacht hauchte sie ihm ein Flüstern ein und ließ dann ihre Hand seine Brust hinab über seine Lederrüstung wandern. Flink öffnete sie seine Gürtelschnalle, lockerte mit beiden Händen seinen Hosenbund und fuhr mit zärtlichen Fingern direkt in sein Schamhaar und weiter hinunter über sein Geschlecht. Überrascht hielt sie inne.
Und Ayron nutzte den Moment:
"Lass das, Keyla, ich habe Dir gesagt, dass ich anders bin als Deine anderen Männer! Es regt sich bei mir nicht so, wie Du es möchtest. Ich weiß nicht, wie oft Du es noch probieren willst, bis Du es mir glaubst!"
Keyla zug ihre Hand enttäuscht zurück, ihr Gesichtsausdruck wirkte verlegen, gekränkt, aber auch eine Spur angriffslustig.
"Du wirst mir schon noch erliegen, schöner Ayron, jeder Mann erliegt einer Frau, wenn sie die richtigen Verführungskünste einsetzt!"
Sie streckte ihren Oberkörper vor, ihre Brüste flackerten verführerisch im Kerzenlicht. Mit einer grazilen Bewegung streifte sie sich die Maske von den Augen und sah ihn an. Ihre leicht geöffneten Lippen und ihr Augenaufschlag versprachen ihm jede Sünde. In seinem Kopf baute sich ein ziehender Schmerz auf. Und als sie mit ihren glänzenden Lippen langsam noch näher kam und er schon ihren heißen Atem auf seinen Lippen spürte...
"Lass es bitte.", sagte Ayron und rieb sich die Schläfe. "Wir haben nicht viel Zeit! Gibt es hier noch einen zweiten Ausgang?"
"Ja, aber der kostet Dich was...", gurrte Keyla. Ayron verlor langsam die Geduld. "Hör auf mit den Spielchen! Ich bin Dir wirklich dankbar für Deine Hilfe und die Stadt wird Dich belohnen."
Keyla lächelte durchaus vorfreudig - aber dann blitzten ihre Augen herausfordernd. "Ich will, dass Du mir verrätst, warum Du mir so einfach widerstehst! Mir und den anderen Frauen."
"Ich weiß es nicht.", log Ayron kurzentschlossen. Doch Keyla ließ ihn nicht so leicht vom Haken.
"Erzähl mir nichts! Ich warne Dich...", sie sah an ihm vorbei zur Tür, durch die sie gekommen waren, "ich brauche nur diese Tür zu öffnen und zu schreien. Also wenn Du hier raus und heute Nacht noch eine üble Räuberhöhle hochgehen lassen willst, dann will ich ein bisschen mehr!"
Ayron überlegte fieberhaft. Doch er sah keinen besseren Ausweg als die Wahrheit.
"Es liegt nicht an Dir!", begann er besänftigend.
"Das weiß ich selber, Du Idiot!", rief sie entrüstet und schaute an sich herunter, auf ihre jugendlichen Brüste, ihre kurviges Becken und ihre makellosen Beine. "Deswegen verstehe ich es ja nicht! Was bist Du nur für ein seltsamer Mann?"
Ayron lächelte matt und seine Augen glitzernden unergründlich. Auch eine Spur von Traurigkeit lag in ihnen.
"Es ist ein Zauber. Ein magischer Trank.", sagte er schließlich.
Keylas Augen starrten ihn weit geöffnet an. Dann röteten sich ihre Wangen und sie konnte ein erleichtertes Grinsen nicht unterdrücken. "Du Betrüger, Du ... Du Falschspieler!", schalt sie ihn fröhlich.
Doch Ayron lächelte nicht. Und auf Keylas Frage "Seit wann nimmst Du ihn? Und warum?", gab er mit fester Stimme zurück: "Mehr werde ich Dir nicht sagen."
"Und was passiert, wenn Du den Trank nicht trinkst?", setzte sie dennoch neugierig und etwas besorgt nach. Doch Ayron überging das:
"Wo ist die zweite Tür, Keyla?"
Schmollend ließ sie ihn zappeln. Dabei musterte sie seinen Körper, als würde sie überlegen, ob er noch genauso unerreichbar war wie vor seinem Geständnis.
Von draußen ertönte eine rauhe Stimme:
"Alles ok bei Dir, Mädchen? Hast Du ihn im Griff? Oder sollen wir reinkommen?"
Ayrons Puls beschleunigte, bevor ihm klar wurde, warum. Ewas stimmte nicht. Keyla antwortet der Frage von draußen nicht.
Ayron starrte sie an, drängte sie flüsternd: "Los, sag, dass Du alles im Griff hast!", doch Keyla wurde plötzlich rot.
Verriet sie ihn etwa? Ayron konnte es nicht glauben, sie war bisher eine loyale Quelle gewesen. Vielleicht auch, weil sie bei eigentlich jedem ihrer Kontakte versucht hatte, ihn zu verführen.
"Was ist los?", stieß Ayron hervor und griff nach seinem Dolch in der Tasche.
"Es gibt keine zweite Tür.", sagte Keyla leise. "ich wollte Dich nur...", in ihren Augen stand ehrliches Bedauern - und aufkommende Panik. "Es tut mir leid!"
Ayron stieß einen Fluch aus und blickte sich hektisch im Raum um. Ein ungeduldiges Hämmern war zu hören. Er wusste, er hatte nur noch Sekunden, bis die Tür auffliegen würde.
"Stell Dich ohnmächtig, schnell, als hätte ich Dich niedergeschlagen!", zischte er Keyla zu und hechtete lautlos neben eine Kerze direkt am Eingang. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie sich das halbnackte Schankmädchen zu Boden warf.
Dann krachte mit einem Schlag die Tür auf und Gestalten in schwarzen Umhängen drängten herein, ihre gezückten Dolche blitzten im Kerzenlicht blutrot. Zwei stürzten zu dem am Boden liegenden Mädchen, die anderen blickten sich suchend um. Sie sahen ihn nicht sofort, weil die Kerze neben ihm sie blendete. Dieser kurze Überraschungsmoment genügte ihm.
Ayron sprang aus dem Schatten und rammte die nächste Umhanggestalt mit voller Wucht, so dass sie gegen zwei weitere flog und sie von den Füßen riss. Schreie erhoben sich, Chaos brach aus, während Ayron sich zur Tür wandte, in der gerade ein weiterer Räuber erschien und ihn kommen sah.
Überraschen konnte Ayron diesen nicht mehr. Doch die Fluchtinstinkte aus seiner Zeit als Straßendieb hatten die Kontrolle übernommen und er täuschte einen frontalen Angriff an, drehte sich dann aber kurz vor dem Räuber um die eigene Achse und wirbelte seitlich an ihm vorbei. Dabei ging er fast in die Knie, so dass die behäbigen Dolchstiche des Mannes über ihn hinweggingen. Schon war Ayron seitlich an dem Mann vorbei durch die Tür. Sein Körper beendete die Drehung, während der Räuber haltsuchend in der Tür mit den Armen ruderte. Ayron stieß zweimal mit seinem Dolch vor, einmal durchschnitt er dem Mann eine Sehne am Knie, dann rammte er ihm den Dolch in den Oberschenkel und stieß den Mann mit aller Kraft in den Raum, aus dem er gekommen war.
Mit einem Schmerzensschrei knallte der Vermummte gegen die Räuber, die aus dem Raum heraus wollten. Und weil er sich wegen seines verletzten Beines nicht so einfach aufrichten konnte, verhedderten sich diverse Umhänge, Beine und Arme zu einem Hindernis, das die Tür für den Moment blockierte.
Für die gewonnene Zeit hatte Ayron allerdings seinen Dolch geopfert. Außerdem war er auch hier draußen, in dem Separé, nicht allein. Die Edelmänner im Sesselkreis waren aufgesprungen, einige wandten sich zur Flucht oder riefen nach ihren Dienern. Andere waren vor Angst erstarrt und versteckten sich hinter den Sesseln. Der Sohn des Zunftvorstehers stand mitten im Raum und knöpfte hektisch seine Hose zu. Vor ihm erhob sich die Edelhure von den Knien. Sie war nur noch mit einem Fußkettchen und einer Halskette bekleidet, ihre Lippen und die Haut drumherum waren gerötet und glänzten feucht.
Zwei Schwarzumhänge standen überrascht aber angriffsbereit vor Ayron, versperrten ihm den Weg zur Tür, hinter der die Schankstube lag. Ayron ging ohne jedes Zögern auf sie los, obwohl er unbewaffnet war und sie blitzende Klingen auf ihn richteten.
Ayron kannte keine Angst, denn er hatte seit Jahren nicht mehr das Gefühl, etwas verlieren zu können. Er versuchte den Tod zwar zu vermeiden, aber nicht aus Furcht vor Schmerz - oder davor, jemanden Trauer zu bereiten oder geliebte Menschen nicht mehr wiedersehen zu können. Sondern allenfalls aus beruflichem Pflichtgefühl und weil er seine Arbeit korrekt machen wollte. Diese bedenkenlose Entschlossenheit, ohne langes Zögern oder Abwägen, hatte ihm schon öfter einen entscheidenden taktischen Vorteil verschafft. Dazu halfen ihm seine Reflexe und Instinkte aus früherer Zeit, in der er selber in zwielichtigen Gassen jede Nacht von Gesetzeshütern gejagt worden war.
Er sprang auf die zwei Räuber los, ließ sich kurz vor ihnen überraschend fallen und krachte gegen ihre Beine. Während sie fluchend zu Boden gingen, stachen sie wild nach ihm und Ayron spürte spitzes Metall in seine linke Schulter eindringen und an seinem linken Bein riss ihm eine Klinge eine brennende Schramme. Doch die Dolche waren nicht besonders kraftvoll geführt, weil die von den Beinen gerissenen Räuber keine Zeit gehabt hatten, richtig auszuholen.
Ayron bekam den Dolch-Arm eines Diebes zu fassen und riss ihn mit einem rücksichtslosen Ruck herum. Der Mann keuchte vor Schmerz und ließ den Dolch fallen. Ayron schnappte ihn sich und sprang mit einem Satz aus dem Menschenknäuel. Er musste in Bewegung bleiben, damit seine Gegner reagieren mussten, statt zu agieren und ihre Vorteile auszuspielen.
Ayron wuchtete einen Sessel aus seiner Ankerung und schleuderte ihn auf die Räuber am Boden zu. Ohne zu sehen, was das anrichtete, floh er weiter Richtung Tür.
Ein dumpfer Schlag und heftiges Keuchen hinter ihm entlockte ihm ein kurzes Grinsen, das aber erstarb, als aus dem Nebenraum, in dem Keyla lag, eine ganze Meute von Schwarzumhängen auf ihn zu stürzte, die sich schließlich ihren Weg durch die menschliche Blockade gebahnt hatten.
Ayron rammte die Tür zur Schankstube auf und stürmte in die neblige Schankstube, gefolgt von den wütenden Schreien seiner Jäger.
Jetzt machte es sich bezahlt, dass sich Ayron wie stets beim Hineinkommen den besten Weg hinaus eingeprägt hatte. Er nutzte die breitesten Lücken zwischen Tischen, Stuhlbeinen und Trinkenden, schnappte sich nebenbei vom Tablett eines entsetzt aufschreienden Schankmädchens einen vollen Bierkrug und schmetterte ihn einige halsbrecherische Schritte weiter dem Halbriesen über den Kopf. Dann stürzte Ayron durch das noch gewaltiger aufbrausende Geschrei und Getümmel durch den Ausgang in die sternenfunkelnde Nacht.
Sofort wechselte Ayron die Richtung und hechtete erst dicht an Hauswänden entlang und dann in eine dunkle Seitengasse. Dort zog er seine Lederkluft aus, drehte sie von innen nach außen, schlüpfte erneut hinein und griff nach seinen Waffen, die er hinter einer Regentonne verborgen hatte. Dann setzte er seinen Bart auf und versuchte kurz, seinen Atem etwas zu beruhigen, um lauschen zu können.
Vom Eingang der "Wirbelnden Teufel" war vielstimmiges Rufen zu hören, Waffengeklirr und Türenschlagen. Außerdem rennende Schritte, die schließlich auch in seine Richtung kamen.
Doch als Ayron Wolfenfels, der Zweite Nachtaufseher der Westviertel, aus dem Schatten auf sie zu trat, in voller Uniform und mit Schwert und den Zeichen seines Amtes bewaffnet, stoppten die dunklen Gestalten in ihrem Lauf und zerstreuten sich grinsend, als hätte man sie bei einem dummen Streich erwischt.
"Hey da, was trollt Ihr hier rum, so spät?", rief Ayron ihnen streng mit innerer Belustigung nach, doch dann machte er schleunigst, dass er in heller beleuchtete Gassen und in Richtung Wache kam.
Eine Stunde später stürmten Mannen der Westwache die "Wirbelnden Teufel", durchkämmten das halbe Hafenviertel und hoben schließlich, nach stundenlangen Verhören, in der Morgendämmerung auch das geheime Hauptquartier einer bisher unbekannten Diebesgilde aus.
Gegen sieben Uhr in der Frühe wusste die halbe Stadt Bescheid.
Gegen acht Uhr fiel Ayron in einer kleinen Kammer am Fuße der Nordmauer erschöpft in den Schlaf.
Er hatte sich in seine alte zweite Wohnung zurückgezogen, um den Gratulationen und dem fröhlichen Aufruhr im Haus der Wache zu entgehen.
Gegen Mittag flüsterte ein Schankmädchen namens Keyla dem Regenten der Stadt in seinem Bett zu, was sie alles Unglaubliches über den nächtlichen Aufruhr wusste, während sie sich nackt an den einflussreichsten ihrer Liebhaber schmiegte.
Am frühen Abend machte sich ein Bote des Regenten auf die Suche nach dem Helden der vergangenen Nacht, der nicht ahnte, wie sehr die Ereignisse der letzten Stunden sein Leben verändern würden.
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