Dämonenwelt
von Why-Not
Die Begegnung
Es gab nur einen Gedanken, der Julia völlig beherrschte. Sie brauchte das Geld für ihren Stoff. Wie war egal. Aber schnell mußte es gehen, da sie bereits die ersten Entzugserscheinungen spürte. Gehetzt schaute sie sich in der Einkaufspassage um. Dort, am Zeitungskiosk, da steckte gerade ein Mann seine Geldbörse in die Jackentasche. Sie versuchte sich unauffällig zu nähern, was gar nicht so einfach war, da die Sucht sie bereits anfing zu zeichnen. Sie war einmal schön gewesen, aber nachdem sie durch Neugier und Leichtsinn auf diese abschüssige Bahn geraten war, zehrte ihr Körper mehr und mehr aus. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis sie gesundheitlich die Schwelle überschritt, von der es kein Zurück mehr gab. Da aber inzwischen ihr ganzes Dasein von der Sucht beherrscht wurde, war ihr das gleichgültig. Jetzt stand sie neben dem Mann mit der Geldbörse und streckte ihre Hand aus. Sie fühlte bereits die Börse in ihren Fingern, als ihr Handgelenk von starken Fingern umschlossen wurde. Hastig versuchte sie, ihre Hand zurückzuziehen. Die Geldbörse ließ sie dabei notgedrungen in der Jackentasche. Sie versuchte sich loszureißen, was ihr aber nicht gelang. Die Hand des Mannes umschloß ihre eigene wie ein Schraubstock. Ihr Zerren schien er kaum zur Kenntnis zu nehmen. Entweder mußte er bärenstark sein oder sie war bereits soweit geschwächt. Jedenfalls hatte sie nicht die Spur einer Chance, sich loszureißen.
Sie überlegte, ob sie laut schreien sollte. Bisher hatte sie die Erfahrung gemacht, daß es den meisten Leuten dann eher unangenehm war, sich weiterhin mit ihr zu beschäftigen, wenn sie damit die Aufmerksamkeit anderer Passanten auf sich zogen. Als sie hierfür Luft holte, verstärkte sich der Druck um ihr Handgelenk schmerzhaft und trieb ihr die Tränen in die Augen. „Es wäre keine gute Idee, jetzt Theater zu machen“, sagte ihr der Mann mit tiefer Stimme. Diese Stimme – die Assoziation „Grabesstimme“ schoß ihr durch den Kopf – ließ sie erstarren. Sie wußte nicht warum, aber irgendwie löste das Timbre der Stimme bei ihr Angst aus. Erschreckt schaute sie den Mann genauer an. Er war sehr groß und wirkte hager. Und er hatte eine Ausstrahlung, die sie nicht verstand. Irgendwie fremdartig. Obwohl sie nichts nennen konnte, was das begründen würde. Eine Frau – ebenfalls groß und hager – näherte sich den beiden. „Na, ist dir wieder mal eine Streunerin zugelaufen?“ Ihre Stimme war viel heller, fast glockenklar. Aber auch sie hatte eine Ausstrahlung, die Julia erschreckte. „Da scheine ich wohl eine magische Anziehungskraft zu haben“, antwortete er, diesmal ohne das angsteinflößende Timbre in seiner Stimme. Bei dem Wort „magisch“ lächelte er auf eine verwirrende Weise. Und auch die Frau schien dabei über einen Insider-Witz zu lächeln.
Dann schaute der Mann Julia tief in die Augen. Dieser Blick hatte etwas hypnotisches, dem sie sich nicht entziehen konnte. Sie hatte das Gefühl, in seinen Augen zu ertrinken. Plötzlich waren alle ihre Gedanken ausgeschaltet und sie starrte nur noch gebannt in diese Augen. Aus der Ferne drangen Fragen in ihr Bewußtsein. Und sie bekam auch mit, wie sie sie in Trance beantwortete. War sie drogensüchtig? Natürlich. Welche Droge? Heroin. Seit wann? Seit ungefähr fünf Jahren. Gab es Freunde oder Verwandte, die sich um sie kümmern könnten? Bei dieser Frage spürte sie einen Stich im Innern. Ihre Freunde und Verwandten hatten sich schon lange von ihr abgewandt. Und man konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Wer sich nicht von sich aus abwandte, den hatte sie vergrault. Die nächste Frage drang stärker in ihr Bewußtsein. Und sie konnte sie auch nicht ohne nachzudenken beantworten. „Willst du von der Droge loskommen?“ Natürlich wollte sie das. Aber sie konnte es nicht. Aber das hatte er ja auch nicht gefragt. „Ja, das will ich“, antwortete sie. „Aber ich schaffe es nicht.“ Sie wunderte sich etwas, warum sie so bereitwillig antwortete. Aber mehr als ein leichtes Verwundern brachte sie nicht zustande. Die nächste Frage war wieder leicht und ohne nachzudenken zu beantworten. Hatte sie ihren Ausweis noch? Ja, den brauchte sie bei gelegentlichen Polizeikontrollen, um nicht mit aufs Revier zu müssen. „Hast du irgendwelche Habseligkeiten, die dir wichtig sind?“ Wieder mußte sie sich anstrengen, um die Frage zu beantworten. In ihrem Rucksack, der sich in einer Ecke der Einkaufspassage befand, war ein kleiner Stoff-Teddybär, der in der letzten Zeit ihre einzige „Bezugsperson“ gewesen war. Und natürlich ihr Spritzbesteck. „Den Stoff-Teddy nehmen wir mit. Der Rest kommt in den Müll“, war die Antwort. In einem entfernten Winkel ihres Verstandes regte sich Widerstand. Aber der verblaßte schnell wieder.
Sie gingen zu ihrem Rucksack, holten den Stoff-Teddy heraus und warfen den Rest angewidert und mit spitzen Fingern in die nächste Mülltonne. Julia hatte noch immer die Hand des Mannes an ihrem Handgelenk und trottete ohne nachzudenken mit. Sie mußten ein seltsames Bild abgegeben haben. Denn ein Mann von dem privaten Wachdienst dieser Einkaufspassage kam auf sie zu und fragte, ob alles in Ordnung sei. Die Frau antwortete, alles wäre in bester Ordnung und der Wachmann entfernte sich in dem Bewußtsein, gute Arbeit geleistet zu haben. Die Frau grinste ihren Mann an und sagte halblaut etwas von schlichten Gemütern. Sie erreichten ein Parkhaus und stiegen in einen großen Wagen. Julia nahm im Fond platz und preßte ihren Teddy an sich. Die Frau schnallte sie an und sie fuhren los. Die Fahrt bekam Julia nicht mit, aber ihre Sucht drängte sich langsam wieder in ihr Bewußtsein. Und sie begann aufgrund der Entzugserscheinungen zu zittern. Schließlich kamen sie auf einem großen Grundstück an und betraten ein Haus. Julia wurde in ein einfaches Zimmer mit Bett geführt und der Mann trat noch einmal an sie heran. Er schaute ihr wieder tief in die Augen und die gesamte Welt um sie herum verblaßte. Entfernt spürte sie ihre Sucht nagen, aber das Gefühl war nicht stärker, als sie während ihrer Rauschzustände den Hunger empfunden hatte. Sie verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Und sie erlebte wie aus einer Außenperspektive mit, daß sie gelegentlich zuessen und zutrinken erhielt und auch sonstigen Bedürfnissen nachkam. Aber es war ihr, als beobachte sie sich dabei nur teilnahmslos.
Nach einer Zeit, die sie nicht einschätzen konnte, wachte sie schließlich aus ihrem Dämmerzustand auf. Sie hatte Hunger und Durst, spürte aber zu ihrem Erstaunen kein Verlangen mehr nach ihrer Droge. Allmählich erinnerte sie sich wieder an die Begegnung in der Einkaufspassage. Ihr Teddy lag neben dem Kopfkissen. Und sie hatte ein schlichtes Nachthemd an, das ihren ausgemergelten Körper umhüllte. Verwirrt stand sie von ihrem Bett auf und fragte sich, ob sie träumte oder ob das real war. Was war mit ihr geschehen? Hatte sie einen Entzug hinter sich? Und warum konnte sie sich an alles nur so schemenhaft erinnern? Sie versuchte, die Tür ihres schlichten Zimmers zu öffnen und war erstaunt, als es ihr auch gelang. Ihr Zimmer führte in den Flur eines offenbar großen Hauses. Während sie unschlüssig im Flur stand, kam die große Frau, die sie bereits in der Einkaufspassage kennengelernt hatte, auf sie zu. „Na, Julia, bist du langsam wieder zurück unter den Lebenden?“, fragte sie freundlich, während sie auf Julia herabschaute. „Woher wissen Sie meinen Namen?“, war Julias etwas dümmliche Frage. „Der stand auf deinem Ausweis, Kleines. Komm, wir suchen dir erst mal etwas zum Anziehen aus.“ Julia schaute sie verwirrt an. „Wo bin ich hier eigentlich? Und was mache ich hier?“ „Du bist in unserem Haus. Und wir haben dir deinen Wunsch erfüllt, dich aus den Klauen des Heroins zu befreien.“ Ein mattes „Danke“ kam von Julias Lippen. Sie war erkennbar verwirrt. Natürlich war sie froh, von ihrer Sucht befreit worden zu sein. Aber einerseits kam das alles so plötzlich und andererseits wußte sie auch nicht, wie es jetzt mit ihr weitergehen sollte. Durch ihre Sucht hatte sie noch vor dem Abitur die Schule geschmissen und stand jetzt mit 22 Jahren ohne Ausbildung und Job ziemlich einsam in der Landschaft.
„Komm, wir ziehen dir erst einmal etwas vernünftiges an“, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie folgte der Frau in ein anderes Zimmer, das deutlich geschmackvoller eingerichtet war als das karge, in dem sie offenbar ihren Entzug durchlebt hatte. Die Frau öffnete einen Kleiderschrank, in dem einige Kleider, Röcke, Blusen und sonstige Bekleidungsstücke in Julias Größe hingen. Genaugenommen waren sie ihr etwas zu groß, weil sie eigentlich nur noch aus Haut und Knochen bestand. „Ich habe für dich einige Kleidungsstücke angeschafft, die dir sicher gut stehen, wenn du wieder etwas bei Kräften bist.“ Julias Verwirrung nahm kein Ende. Sollte sie hier wieder „aufgepäppelt“ werden? Nicht, daß sie etwas anderes vorgehabt hätte. Aber wie sollte sie sich dafür erkenntlich zeigen? Daß sie kein Geld hatte, dürfte ihren „Gönnern“ schon aufgefallen sein. Was sie wohl von ihr erwarten würden? Sie wollte nicht undankbar sein, aber irgendwie hatte sie ein komisches Gefühl im Magen. „Entschuldigung“, begann sie unsicher, „aber ich kann mir das alles nicht leisten.“ „Das macht nichts. Such dir erst einmal etwas zum Anziehen aus. Danach unterhalten wir uns in aller Ruhe darüber, wie es hier mit dir weitergehen kann.“
Das erste Angebot
Julia suchte sich ein Kleid aus und ging mit der großen Frau, deren Namen sie noch immer nicht wußte, erst mal in die Küche des großen Hauses. Ihr wurde wieder bewußt, daß sie großen Hunger und auch viel Durst hatte. Auf dem Küchentisch stand noch das Frühstück – frische Brötchen, Marmelade, Wurst und Kaffee – und ein Gedeck. „Mein Mann und ich haben schon gefrühstückt“, erklärte die Frau und setzte sich Julia gegenüber, die an dem Gedeck platz nahm und sich ein Brötchen schmierte. „Zunächst einmal sollte ich mich wohl vorstellen“, begann die Frau, während Julia in ihr Brötchen biß. „Ich bin Alia – Alia Penta. Du kannst ich einfach Alia nennen. Wie du dir schon gedacht haben wirst, wohne ich hier mit meinem Mann Herrmann in diesem Haus. Eigentlich heißt er nicht Herrmann, aber sein Name ist etwas ungewöhnlich, bleiben wir also erst einmal bei Herrmann.“ Sie machte eine Pause und holte sich doch noch eine Tasse aus dem Küchenschrank und goß sich einen Kaffee ein. Julia frühstückte weiter und war gespannt, wann das Gespräch auf ihre Zukunft kommen würde. Ob der Mann nun Herrmann, Hubertus oder Rumpelstilz hieß, war ihr eigentlich egal. Sie wollte allerdings nicht unhöflich sein und die Frau drängen. Das war das mindeste, was sie tun konnte, um sich für die Hilfe der beiden zu bedanken. Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht von Alia und Julia hatte einen Moment das Gefühl, sie hätte ihre Gedanken gelesen. Aber das war natürlich Unsinn, wie sie sich sagte.
„Wir leben hier alleine in diesem großen Haus und könnten etwas Hilfe im Haushalt gebrauchen, zumal wir häufiger auswärts zutun haben. Versteh’ mich nicht falsch. Ich fordere nicht von dir, daß du die Zeit deines Entzugs hier abarbeitest. Betrachte das als Geschenk. Genau wie das Kleid, das du anhast. Aber wenn du gerne bleiben möchtest, könntest du es als unsere Haushaltshilfe tun.“ Julia dachte nach. Im Moment war ihr Alia nicht mehr so unheimlich, wie bei ihrer ersten Begegnung. Aber sie und ihr Mann hatten irgend etwas merkwürdiges an sich. Andererseits gab es für Julia eigentlich keinen Ort, an den sie hätte gehen können. Und wenn sie jetzt obdachlos zurück in die Stadt käme, in der die beiden sie aufgelesen hatten, hinge sie wohl bald wieder an der Nadel. Haushaltshilfe war zwar nicht gerade ihr Traumberuf, aber die große Auswahl hatte sie ja wirklich nicht. Sie nickte. „Ich bin einverstanden. Was habe ich denn alles zutun?“ Und nach einer kleinen Pause und einem Biß ins Brötchen fügte sie halblaut hinzu: „Bekomme ich eigentlich Geld?“ Sie hätte auch ohne Bezahlung nicht wirklich eine Wahl, aber wenn sie etwas Geld ansparen könnte, gäbe es zumindest eine Aussicht, irgendwann einmal etwas anderes als Haushaltshilfe zu sein. „Du bekommst von uns monatlich € 1000 brutto, sowie kostenlos ein Zimmer und Verpflegung.“ Das hörte sich in Anbetracht ihrer Situation nicht schlecht an. Alia klärte sie auch noch über ihre Pflichten auf. Es war nichts ungewöhnliches dabei und die Arbeit hielt sich auch in Grenzen.
Nach dem Frühstück machte Alia mit Julia einen Rundgang durch das Haus und zeigte ihr die Zimmer. Julias Zimmer würde das sein, in dem sie sich vorhin ihr Kleid ausgesucht hatte. Nicht besonders groß aber gemütlich eingerichtet. Schließlich kamen sie an einem Zimmer vorbei, bei dem Alia stehen blieb und ein wichtiges Gesicht machte. „Es gibt in dem ganzen Haus nur ein Zimmer, in dem du nichts – ich wiederhole, NICHTS – verloren hast. Nämlich dieses hier.“ Sie schaute Julia eindringlich an. „Mir ist natürlich klar, daß ich damit deine Neugier erstrecht geweckt habe. Deshalb werden wir jetzt auch kurz in das Zimmer schauen. So weißt du, was darin ist und bist – hoffentlich – nicht mehr neugierig.“ Alia öffnete die Tür und sie traten ein. Das Zimmer sah ganz gewöhnlich aus. Es war zwar geschmackvoll eingerichtet, mit zwei Kommoden, einem runden Tisch und zwei Stühlen und einem Bild an der Wand, daß offenbar Alia zeigte. Es war allerdings nicht zu erkennen, warum sie dieses Zimmer zukünftig nicht mehr betreten sollte. Zwei Besonderheiten fielen Julia noch auf. Das Zimmer hatte keine Fenster und an einer Außenwand war ein großer Wandspiegel angebracht, der einen seltsam verzierten Rahmen hatte. „Schau dich in aller Ruhe um“, sagte Alia, „denn später wirst du dieses Zimmer nie mehr betreten.“ Nachdem sie ein weiteres Mal ihren Blick schweifen gelassen hatte, verließ Julia das Zimmer und Alia zog die Tür zu. „Hast du noch irgendwelche Fragen?“ Natürlich wollte Julia wissen, warum sie das Zimmer nicht betreten durfte. Aber das wollte ihr Alia offenbar nicht sagen. Also schüttelte sie den Kopf. Nein, sie hatte keine weiteren Fragen. Zumindest keine, auf die sie eine Antwort bekommen hätte.
Und so begann sie ihren Job als Haushaltshilfe. Sie räumte auf, machte Betten und säuberte das Haus. Viel Arbeit hatte sie damit nicht, da die Pentas so gut wie keine Unordnung hinterließen und auch häufig außer Haus waren. Es gehörte auch zu Julias Aufgaben, Lebensmittel und sonstige Verbrauchsgüter im nahegelegenen Ort einzukaufen. Da sie nicht herausgefunden hatte, was die Pentas eigentlich beruflich machten und womit sie sich sonst so beschäftigen, wenn sie es sich nicht in ihrem Haus gemütlich machten, versuchte sie, im Ort mehr über sie zu erfahren. Aber auch dort wußte man so gut wie nichts über sie. Sie gehörten zu keinem Verein, waren nicht in der Gemeinde aktiv und hielten sich fast vollständig aus den Belangen des Ortes heraus. Gelegentlich spendeten sie für den einen oder anderen wohltätigen Zweck am Ort, so daß niemand ein Interesse hatte, sie durch Neugier zu verärgern. Aber etwas unheimlich waren sie den Bewohnern des Ortes auch. Andererseits hatte Julia keinen Grund, dem Ehepaar Penta gegenüber argwöhnisch zu sein. Sie hatten ihr selbstlos geholfen und waren immer freundlich zu ihr. Die seltenen Begegnungen mit Herrmann Penta – oder wie auch immer er mit richtigem Vornamen hieß – waren ihr zwar immer noch etwas unheimlich. Seine tiefe Grabesstimme und seine hypnotischen Augen ließen ihr weiterhin einen Schauer den Rücken herunterlaufen. Aber auch er verhielt sich ihr gegenüber völlig korrekt und freundlich.
Ihr Gehalt erhielt sie regelmäßig und pünktlich und konnte, da sie fast keine Ausgaben hatte, das meiste des Geldes sparen. Sie vermißte etwas, daß sie kaum gleichaltrige Leute kennenlernen konnte, aber in dem Ort war da ziemlich tote Hose. Es lebten überwiegend ältere Leute dort. So verbrachte sie viel Zeit mit Lesen. Allmählich fand auch ihr Körper wieder zu seiner alten Form zurück. Aus dem abgemagerten Junkie wurde wieder die schöne, junge Frau. Das verbotene Zimmer quälte sie allerdings mit zunehmender Zeit erheblich. Zuerst hatte sie keine Probleme, sich an das Verbot zu halten. Aber mit der Zeit wuchs ihre Neugier immer stärker. Und da die Pentas häufig nicht im Haus waren, probierte sie schließlich, ob die Tür zu dem Zimmer eigentlich abgeschlossen war. Sie war es nicht. Hastig schloß Julia sie wieder. Sie kämpfte innerlich mit sich. Und zunächst einmal gewann ihr Respekt vor den Leuten, die sie aus der Gosse geholt und ihr eine Zukunft gegeben hatten. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, daß sie diesen Kampf gegen ihre Neugier nur noch begrenzte Zeit gewinnen würde. Was konnte an diesem Zimmer denn so besonderes sein? Oder war es nur eine Prüfung, mit der ihre Loyalität und Vertrauenswürdigkeit getestet werden sollte? Sie kam immer häufiger an der Tür vorbei, streckte die Hand nach der Türklinke aus und zog sie dann wieder zurück. Eines Tages fiel ihr dann etwas auf, daß ihre Neugier schier ins Unermeßliche steigerte.
Der Spiegel
Ihr fiel auf, daß die beiden Pentas nach längerer Abwesendheit das Haus nicht durch die Haustür betraten, sondern aus dem verbotenen Zimmer kamen. Es war ihr bereits früher einmal aufgefallen. Da hatte sie aber noch gedacht, daß sie wohl nicht mitbekommen hätte, wie die beiden das Haus betraten und daß sie zuerst das Zimmer besuchten. Aber eines Tages wußte Julia ganz sicher, daß die beiden nicht im Haus waren, bis sie schließlich aus diesem Zimmer kamen. Gab es in dem Zimmer etwa einen Geheimgang? Und warum benutzten die Pentas ihn, statt ganz normal und unauffällig durch ihre Haustür zu kommen? Julia nahm sich vor, es bei der nächsten Abwesendheit der beiden zu ergründen. Als sie Julia einige Tage später erklärten, daß sie für etwa eine Woche unterwegs sein würden, legte sie sich auf die Lauer. Die Pentas verließen zuerst ganz normal das Haus durch die Haustür und fuhren mit dem Wagen fort. Etwas später, mitten in der Nacht, schlichen beide wieder zur Haustür herein und gingen in das verbotene Zimmer. Danach sah und hörte Julia nichts mehr von ihnen. Sie schlich zu der Tür und lauschte. Es war nichts zu hören. Und schließlich hielt sie es nicht mehr aus und griff nach der Türklinke. Aber noch immer traute sie sich nicht, die Tür zu öffnen. Wenn die Pentas noch im Zimmer waren, während sie eintrat, bekäme sie sicher Ärger. Sie zögerte. Schließlich, nachdem sie längere Zeit keine Geräusche aus dem Zimmer gehört hatte, öffnete sie vorsichtig die Tür. Das Zimmer war dunkel und leer. Die Einrichtung stand natürlich noch an ihrem Platz, aber von den beiden Pentas war keine Spur zu sehen.
Julia schaltete das Licht ein und begann, das Zimmer nach Geheimtüren abzusuchen. Sie klopfte alle Wände ab, schob die Kommoden vorsichtig zur Seite und schaute sogar hinter das Bild. Der Spiegel war fest mit der Wand verbunden. Aber hinter ihm konnte ohnehin kein Geheimgang sein, da er an einer Außenwand befestigt war. Sie suchte selbst unter dem Teppich nach einer Falltür, wurde aber auch hier nicht fündig. Ratlos stand sie in dem Zimmer und fragte sich, wohin die Pentas verschwunden waren. Sie konnten sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Während sie in Gedanken nach einem weiteren Ort für einen möglichen Geheimgang suchte, starrte sie in den Spiegel. Ihr fiel wieder der seltsame Rahmen auf, dessen Muster irgendwie unnatürlich und geheimnisvoll aussah. Plötzlich schaute sie elektrisiert hin. Hatte ihr Spiegelbild ihr gerade zugezwinkert? Das konnte nicht sein. Sie mußte sich das eingebildet haben. Mißtrauisch beobachtete sie den Spiegel weiter. War da im Spiegelbild gerade etwas hinter die Kommode gehuscht? Sie schaute sich um und betrachtete die echte Kommode. Da war nichts. Spielte ihr ihre Phantasie einen Streich? War sie so im Streß, daß sie anfing, Gespenster zu sehen? So mußte es wohl sein. Alles andere war unmöglich. Gebannt starrte sie wieder auf den Spiegel. Sie winkte mit der Hand. Ihr Spiegelbild winkte erwartungsgemäß zurück.
Sie zuckte mit den Schultern und wollte den Raum bereits wieder verlassen, als ihr das Muster auf der einen Kommode auffiel. Es sah im Spiegelbild ein klein wenig anders aus, als in der Realität. Das konnte doch gar nicht sein. Eine optische Täuschung vielleicht? Sie ging näher an den Spiegel. Aber der geringfügige Unterschied im Muster der Kommode blieb. Sie starrte in ihr Spiegelbild. Was ging da vor? Ihr Spiegelbild starrte auf sie zurück. Eigentlich war alles ganz normal, wenn man mal von diesem unbedeutendem Muster absah. Dann fielen Julia weitere, winzige Änderungen zwischen dem Spiegelbild und der Realität auf. Hier ein geringfügig anderer Schatten, dort ein Fussel auf dem Teppich, der in Realität etwas anders lag. Sie hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand griff in ihre Eingeweide. War sie gerade dabei den Verstand zu verlieren. Ein Spiegelbild KONNTE NICHT von dem Original abweichen. Und doch war es so. Sie bekam auch Angst vor ihrem eigenen Spiegelbild. Sie schaute es mißtrauisch an und ging ganz nahe an den Spiegel heran. Ihr Spiegelbild schaute genauso mißtrauisch zurück. Sie winkte wieder mit der Hand, um sich zu zeigen, daß eigentlich alles normal war. Aber ihr Spiegelbild winkte diesmal nicht zurück! Ihr Atem stockte. Sie wurde langsam hysterisch. Das konnte doch gar nicht sein. Ihr Spiegelbild lächelte sie spöttisch an, während ihr eigenes Gesicht einen entsetzten Ausdruck annahm. Sie wußte nicht warum, aber sie berührte ihr Spiegelbild. Und ihr Spiegelbild griff nach ihr und zerrte sie durch den Spiegel. Sie spürte, wie ihr Verstand und ihr Sinn für Realität zerbrach, wie der Spiegel es hätte tun sollen, als sie durch ihn hindurchgezogen wurde.
Hinter dem Spiegel
Verängstigt schaute sie sich um. Sie befand sich in einer spiegelverkehrten Version des Zimmers, aus dem ihr Spiegelbild sie gerade herausgerissen hatte. Hatte sie einen Albtraum? Oder waren das jetzt Spätfolgen ihrer überwundenen Heroinsucht? Sie zitterte am ganzen Körper und schaute auf den Spiegel – diesmal von der anderen Seite. Das reale Zimmer war immer noch zu sehen, allerdings war sie selbst nicht in dem Spiegel zu sehen. Sie ging auf den Spiegel zu und versuchte, durch ihn hindurchzugehen. Aber das war genauso unmöglich, wie sie es bisher von jedem Spiegel erwartet hatte. Ängstlich fragte sie sich, was sie jetzt tun sollte. Am einfachsten wäre es, wenn sie jetzt aufwachen würde, schoß es ihr durch den Kopf. Sie zwickte sich, stellte aber zu ihrem Bedauern fest, daß es wehtat und sie nicht aufwachte – oder halt schon wach war. Langsam näherte sie sich einer der spiegelbildlichen Kommoden und wollte sie berühren. Kurz bevor sie das tun konnte, ging in dem realen Zimmer das Licht aus und auch das spiegelbildliche, in dem sie sich befand, wurde schlagartig dunkel. Ihre Finger konnten die Kommode nicht ertasten. Existierten die Dinge in diesem Zimmer gar nicht? Oder verschwanden sie, sobald sie die Realität nicht mehr spiegelten? Und was war mit ihr? Sie befühlte sich und stellte erleichtert fest, daß es sie noch gab. Aber was sollte sie jetzt tun? Ein leises Wispern drang an ihre Ohren. Bildete sie sich das nur ein? Um sie herum war völlige Dunkelheit.
Wenn sie doch eine Taschenlampe dabei hätte. Oder wenigstens ein Feuerzeug, mit dem sie ein wenig Licht hätte machen können. Sie brauchte Licht! Während sie dies verzweifelt dachte, umfing sie ein schwaches Dämmerlicht. Sie konnte nicht weit sehen, da alles irgendwie in Nebel versunken zu sein schien. Sie ging dahin zurück, wo eben noch der Spiegel gewesen war, fand aber nur diffuses Licht. Ganz langsam erholte sich ihr Verstand von dem Schock, durch den Spiegel gezogen worden zu sein. Und sie akzeptierte gedanklich, daß sie jetzt „woanders“ war und nicht wieder zurückkonnte. In dem Maß, in dem ihr das klar wurde, griff Panik und Verzweiflung nach ihr. Mußte sie hier im Nebel herumirren, bis sie verhungerte und verdurstete? Oder – noch schlimmer – würde sie hier ewig verzweifelt herumirren? Es mußte hier doch einen Ausgang geben! Wie auf ihren Wunsch hin, sah sie in einiger Entfernung ein schwaches, rotes Leuchten. Langsam und mit einer zaghaft aufkeimenden Hoffnung näherte sie sich dem Leuchten. Je näher sie kam, desto intensiver wurde es. Ihre Augen, die sich allmählich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, brauchten erst wieder einen Moment, bis sie diese Lichtintensität ertragen konnten. Schließlich trat sie aus dem Nebel heraus und sah direkt vor sich eine Wand mit einer türähnlichen Öffnung, aus der das intensive, rote Licht drang. Sobald sie die Öffnung durchschritten hatte, schloß sie sich hinter ihr.
Sie traute ihren Augen nicht. Vor ihr erstreckte sich eine Landschaft, die sie spontan an Bilder von Salvador Dali oder Hieronymus Bosch erinnerte. Wenn man sich irgendwie die Hölle vorstellen sollte, würde man wohl auf so eine Landschaft kommen. Es waren zwar weder Dalis brennende Giraffen noch Boschs gefolterte Menschen zu sehen, aber die Landschaft wirkte insgesamt bedrohlich und irgendwie falsch. Der Himmel war leuchtend blutrot, schwarze Wolkenformationen zogen spiralförmig um spitze Berge oder Erhebungen und in den Tälern dazwischen flossen purpurne Flüsse durch graue Graslandschaften. Julia betrachtete die Landschaft von einem Plateau aus, das an einer Seite durch eine steil aufragende Wand abgeschlossen wurde. In dieser Wand war vorhin noch die Öffnung, durch die sie auf das Plateau getreten war. An den anderen Seiten war die Landschaft zu sehen. Sie trat an den Rand und schaute nach unten. Erschreckt trat sie wieder einen Schritt zurück. Das Plateau schien eine Art Überhang zu sein. Unter ihr erstreckte sich ein Abgrund kilometertief ins Nichts. Sie würde dieses Plateau nicht verlassen können. Ihre Angst und Verzweiflung war inzwischen einem dumpfen Fatalismus gewichen. Diese absurde Situation hatte ihr Gefühlsleben offensichtlich überfordert. Dumpf starrte sie in die Höllenlandschaft und lehnte sich an die aufragende Wand. Jedenfalls schien die Hölle nicht nach Schwefel zu stinken, kam es ihr in den Sinn. Und besonders heiß war es auch nicht.
Während sie so in die Landschaft starrte, fiel ihr auf, daß sie nicht völlig unbelebt war. An den purpurnen Flüssen standen bizarre Tiere und tranken. Andere liefen durch das graue Gras. Auch die Luft war in geringem Umfang bevölkert. Die fliegenden Wesen konnte sie allerdings noch schlechter erkennen, als die Tiere in den Tälern. Alles schien sehr klein und weit weg. Sie ließ sich langsam an der Wand entlang in die Hocke gleiten und fragte sich, ob sie wirklich so viel Schuld auf sich geladen haben könnte, um in der Hölle zu landen. Aber ihre Gedanken waren von einer merkwürdigen Distanz, die offensichtlich davon herrührte, daß sie mit dieser Situation emotional überfordert war. So wunderte sie sich auch gar nicht, als schließlich eines der Flugwesen auf sie zuschwebte. Interessiert betrachtete sie es. Etwas größer als ein normaler Mensch, ganz in schwarz, ansonsten menschenähnliche Statur und zwei sehr große, fledermaus-ähnliche Flügel. Das Gesicht war ebenfalls entfernt menschlich, allerdings etwas verzerrt, wie man es bei Wasserspeiern an alten Gebäuden sehen konnte. Insgesamt erinnerte die Erscheinung an die Schilderung von Dämonen. Normalerweise hätte sie sich sicher über diesen Dämon erschreckt, in ihrer momentanen Verfassung war sie zu solchen Gefühlsregungen allerdings nicht mehr in der Lage. Auf eine schwer zu fassende Art kam ihr das Gesicht des Dämons sogar vertraut vor. Und als sie seine Augen sah, wußte sie auch, warum. Es waren die Augen von Herrmann Penta, die sie auch jetzt wieder so fixierten, daß sie den Eindruck hatte, in seinen Augen zu ertrinken. Und langsam verlor sie sich völlig in ihnen.
Alles nur ein Traum?
Julia erwachte schweißgebadet im Bett ihres Zimmers. Sie war noch vollständig angezogen und hatte keine Ahnung, wann sie sich aufs Bett gelegt hatte. Die Bilder von der Höllenlandschaft waren ihr noch völlig präsent. Hatte sie das alles nur geträumt? Was sonst, sagte sie sich. Ein Spiegel, der jemanden in eine andere Realität zieht – das konnte nur ein Albtraum gewesen sein. Sie war allerdings erschreckt, wie real ihr dieser Albtraum auch jetzt nach dem Aufwachen noch vorkam. Und sie stellte fest, daß sie zitterte, während sie daran dachte. Jetzt brauchte sie dringend etwas, das sie wieder in die Realität zurückholte. Zuerst zog sie sich aus und duschte ausführlich. Ihre völlig verschwitzten Sachen tat sie in die Wäsche und zog sich etwas frisches an. Danach fühlte sie sich schon deutlich besser. Um den Albtraum endgültig zu verscheuchen, ging sie in die Küche und kochte sich einen starken Kaffee. Außerdem holte sie sich ein paar Kekse aus dem Küchenschrank und aß diese genüßlich zu dem Kaffee. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu diesem Albtraum zurück. Allerdings jetzt mit einer sachlichen Distanz, die keinen Raum für Ängste bot. Lächelnd dachte sie, daß sie mit solchen Phantasien anfangen könnte, Horror-Geschichten zu schreiben. Als sie später an der Tür zu dem verbotenen Raum vorbeikam, fragte sie sich, ob sie einfach mal hineinschauen sollte, um sich endgültig davon zu überzeugen, daß sie die schrecklichen Erlebnisse geträumt hatte. Aber irgendwie war es ihr doch angenehmer, lieber ein wenig Abstand zwischen der Tür und sich zu lassen.
Auch die nächsten Tage, die die Pentas unterwegs waren, während sie alleine das Haus hütete, machte sie instinktiv einen Bogen um die Tür. Sie sagte sich dabei, daß es keine Angst sei, die sie daran hinderte, das Zimmer zu betreten, sondern, daß sie ganz einfach die Anweisungen der Pentas respektieren würde. Aber es wurmte sie doch, daß sie jedesmal, wenn sie die Tür passierte, ein flaues Gefühl hatte. Einen Tag, bevor sie die Besitzer zurückerwartete, beschloß sie daher, sich der unterschwelligen Angst zu stellen und kurz in den Raum zu schauen. Schließlich stand sie vor der Tür und starrte unschlüssig auf die Klinke. Sollte sie oder sollte sie nicht? Sie gab sich einen Ruck und drückte die Klinke herunter. Erstaunt stellte sie fest, daß die Tür abgeschlossen war. Bisher war die Tür nicht abgeschlossen gewesen. Warum war es diesmal anders? Ein Stachel des Zweifels bohrte sich in ihren Verstand. Sollte es mit dem Zimmer und ihrem Traum doch eine besondere Bewandtnis haben? Aber das war ja völlig unmöglich. Und sie nahm sich fest vor, die ganze Angelegenheit zu vergessen. Um sich erst gar nicht in Versuchung zu führen, dem Ehepaar Penta erneut nachzuspionieren, zog sie sich an dem Abend, an dem die beiden zurückkommen wollten, in ihr Zimmer zurück, las ein Buch und hörte Musik über Kopfhörer. Sie würde das Zimmer erst am nächsten Morgen wieder verlassen, wenn die Besitzer mit Sicherheit zurückgekommen wären.
Erwartungsgemäß traf sie am nächsten Morgen die Pentas beim Frühstück. Diese erkundigten sich bei ihr, ob etwas besonderes vorgefallen wäre. Und sie zeigten auch keinerlei ungewöhnliche Reaktion, als Julia diese Frage verneinte. Überhaupt schien alles wieder ganz normal zu sein. Und Julia nahm sich vor, ihre Anwandlung von Hysterie – wie sie ihren Albtraum und die nachfolgenden Zweifel nannte – so schnell wie möglich wieder zu vergessen. Um sich dies zu erleichtern, schaffte sie sich einen kleinen Fernseher an, den sie in ihr Zimmer stellte. Da das Zimmer, wie jedes Zimmer im Haus, am TV-Kabelnetz angeschlossen war, sollte sie ausreichend Sender zu ihrer Zerstreuung empfangen können. Einige Abende später bekam sie mit, daß Alia und Herrmann einen Streit zu haben schienen. Es war der erste, den sie mitbekam. Julia wollte die beiden nicht belauschen, zumal sie wirklich kein Interesse an den Beziehungsproblemen anderer Leute hatte, aber sie bekam mit, daß Alia schimpfte, Herrmann wäre grob leichtsinnig gewesen. Und er antwortete, daß er keine andere Wahl gehabt hätte. Julia ging rasch außer Hörweite und hoffte, daß die beiden sich schnell wieder vertragen würden. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn Paare sich nach einem Krach noch tagelang angifteten. Das hatte sie bei ihren Eltern schon gehaßt. Um möglichst schnell auf andere Gedanken zu kommen, setzte sie sich vor ihren Fernseher und ließ sich berieseln. Zufällig hatte sie dabei die Hauptnachrichten eines öffentlich-rechtlichen Senders eingeschaltet.
Dort wurde von einer Kindesentführung berichtet, die einen glücklichen, wenn auch etwas mysteriösen Ausgang genommen hatte. Noch am Tag der Entführung war das Kind wieder bei einer Polizeiwache aufgetaucht und war zur Erleichterung aller sowohl körperlich als auch seelisch völlig unversehrt. Einige Stunden später wurde der Entführer von der Polizei auf einem Parkplatz aufgegriffen. Er befand sich noch in dem Wagen, mit dem er die Entführung durchgeführt hatte und war sehr verängstigt. Von offizieller Seite kamen sehr wenig Informationen. Ein Experte im Studio äußerte, daß der Entführer nach seinen Informationen wohl unter Angstzuständen leide, die normalerweise die Opfer von Entführungen quälten. Im weiteren Verlauf der anschließenden Sondersendung kamen keine wirklich neuen Informationen mehr im Programm. Julia war froh, daß zur Abwechslung mal eine gute Nachricht ausführlich ausgewalzt wurde. Da sie aber gerne noch etwas mehr erfahren wollte, schaltete sie zu einer Sondersendung eines eher für seine reißerische Berichterstattung bekannten Privatsenders. Dort gab es dann tatsächlich zusätzliche Informationen, die dem öffentlich-rechtlichen Sender wohl zu unseriös waren. Der Entführer solle angeblich von einer Begegnung mit dem Teufel oder einer sonstigen Schreckensgestalt berichtet haben. Und das Kind hatte bei der Polizei wohl zu Protokoll gegeben, von einem schwarzen Engel gerettet worden zu sein. Dann wurde noch ein Bild gezeigt, daß das Kind offenbar von seinem Retter gezeichnet hatte. Mit einem lauten Klappern fiel die Fernbedienung von Julias TV-Gerät auf den Boden. Julia starrte gebannt auf das Bild, daß das Kind gemalt hatte. Und sie zitterte am ganzen Körper.
Die Enttarnung
Das Bild von dem schwarzen Engel, der das Kind gerettet haben sollte, sah ihrem letzten Traumbild von dem Dämon in der Höllenlandschaft dermaßen ähnlich, daß das kein Zufall sein konnte. Julia starrte noch mit leeren Augen in den Fernseher, als die Sondersendung längst zuende war und eine volkstümliche Hitparade lief, die sie normalerweise keine 10 Sekunden ertragen hätte. Aber ihre Gedanken waren nicht mehr bei dem Fernseher. Sie waren wieder bei ihrem Albtraum. Und bei dem Krach, den die beiden Pentas vorhin gehabt hatten. Ein Verdacht beschlich sie, der so absurd war, daß sie sich zunächst kaum traute, ihn vor sich selbst auszusprechen. Konnte es sein, daß der Dämon, den sie in ihrem Albtraum gesehen hatte, auch das Kind rettete und den Entführer fast zu Tode erschreckte? War ihr Albtraum wirklich nur ein Traum gewesen? Oder hatte sie ihn doch in Realität erlebt? Und wer waren diese Pentas wirklich? Es wäre wohl das Vernünftigste, wenn sie zunächst einmal über die Sache schlief. Morgen sähe alles sicher wieder viel vernünftiger aus. Aber sie konnte nicht einschlafen. Und sie hatte auch Angst davor, daß ihr Albtraum wieder zu ihr zurückkäme. Sobald sie ihre Augen schloß, sah sie den Dämon und die Höllenlandschaft. Inzwischen hatte sie die Volksmusik abgestellt und suchte nach irgend einem Programm, mit dem sie sich ablenken konnte. Aber sie fand nichts, was ihr half.
Nach einer Stunde entschied sie sich, das Ehepaar Penta aufzusuchen und sie darauf anzusprechen. Wahrscheinlich würde sie von ihnen ausgelacht werden. Aber sie wußte nicht, wie sie den Schrecken, der ihr in die Glieder gefahren war, sonst überwinden könnte. Hoffentlich war Alia Penta noch nicht zu Bett gegangen. Julia wollte lieber mit ihr als mit ihrem Mann sprechen, da er ihr immer noch etwas unheimlich war. Und bei diesem Thema würde es schon schwierig genug für sie werden, sich überhaupt zum Sprechen zu überwinden. Mit einem ziemlich flauen Gefühl im Bauch und Beinen wie Gummi verließ Julia ihr Zimmer. Sie hoffte, daß sie Alia alleine antreffen würde. Und während sie noch überlegte, wo sie am besten mit dem Suchen anfangen sollte, kam ihr Alia auf dem Flur entgegen. Julia hatte einen Kloß im Hals, als sie versuchte, Alia anzusprechen. „Ähm – Alia, ich würde – ähm – kann ich – ähm – ich meine ...“ Alia war stehengeblieben und schaute sie irritiert an. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck zunehmend ernster. Und schließlich nahm sie Julia am Arm und führte sie in die Bibliothek, in der Herrmann saß. „Herma – ach egal – Hermeto“, sprach sie ihren Mann an, „jetzt haben wir schon das Problem, über das wir vorhin gesprochen haben.“ An Julia gewandt sagte sie: „Setz dich erst mal mit mir da drüben auf die Couch.“
Julia setzte sich auf die Couch, die gegenüber Herrmanns – oder Hermetos – Sessel stand. Alia setzte sich direkt neben sie und legte ihr ihren Arm über die Schulter. So vertraulich war Alia noch nie ihr gegenüber gewesen. Das irritierte sie und es ängstigte sie auch etwas. „Du wolltest mir gerade etwas sagen“, nahm Alia das Gespräch mit Julia wieder auf. Diese fühlte sich zunehmend unwohl. Es hätte sie so schon Überwindung gekostet, Alia anzusprechen. Aber jetzt, im Beisein Herrmanns oder Hermetos und mit Alias Arm auf ihrer Schulter wurde es ihr fast unmöglich. Sie suchte nach einem Anfang, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Also, ich – ich habe da vorhin etwas im Fernsehen gesehen und dann war da noch ein Albtraum ...“ Julia kam sich vor wie ein Idiot, aber sie bekam es in ihrer Aufregung und Verwirrung einfach nicht hin, ihr Problem vernünftig zu schildern. Alia nahm sie etwas fester in den Arm. „Ist schon gut, Kleines, ich erzähle einfach mal, was ich glaube, daß du auf dem Herzen hast. Und wenn ich etwas falsch wiedergebe, korrigierst du mich, einverstanden?“ Julia nickte dankbar. „Gut. Zunächst einmal warst du in dem verbotenen Zimmer.“ Julia schaute schuldbewußt auf den Boden und nickte. „Dann bist du durch den Spiegel gegangen, richtig?“ Es war für Julia ein Schock, mit welcher Gelassenheit Alia das aussprach, was für sie der reinste Horror gewesen war. Und offenbar war es wirklich kein Albtraum, sondern Realität gewesen. Alia fuhr fort: „Du hast unsere Welt gesehen, die dir wie ein Schreckensszenario vorkam. Und mein Mann hat dich dort in Empfang genommen.“ Sagen konnte Julia nichts mehr. Sie nickte nur schwach. „Du hattest es bis eben für einen Albtraum gehalten, bis du im Fernsehen die Zeichnung des Kindes gesehen hast, das Hermeto zeigte.“ Da Julia auch hier nickte, fuhr Alia an Hermeto gewandt fort: „Tja, damit haben wir den Salat. Zumindest Julia weiß jetzt – zumindest ungefähr – wer oder besser was wir sind. Wollen wir hoffen, daß nicht noch mehr dahinterkommen.“
Hermeto verzog verärgert sein Gesicht. „Was hätte ich machen sollen? Das Kind dem Verbrecher überlassen?“ Alia schaute ihn nachdenklich an. Dann breitete sich ein warmes Lächeln über ihrem Gesicht aus. „Nein, natürlich nicht. Aber hättest du nicht wenigstens die Erinnerung des Kindes und des Entführers etwas unklarer machen können?“ „Du weißt doch selbst, daß das etwas länger dauert. Und es wäre dir wohl kaum recht gewesen, wenn ich mich noch von ein paar mehr Leuten in meiner natürlichen Form hätte beobachten lassen. Außerdem brauchte ich die Zeit, die ich hatte, um dem Kind wieder die Anfänge seines Entführungstraumas zu nehmen.“ „Entschuldige“, meinte Alia, „ich weiß ja, daß du Recht hast, aber es wäre einfach zu ärgerlich, wenn wir jetzt wieder neu anfangen müßten, uns irgendwo unauffällig niederzulassen.“ Und an Julia gewandt fuhr sie fort: „Mit dir, Julia, haben wir jetzt allerdings ein Problem. Von dem Kind und dem Entführer führt kein Weg direkt zu uns. Aber wenn du dein Wissen verbreitest, haben wir eine ganze Meute Sensationsreporter auf dem Hals. Und einer gründlichen Überprüfung hält unsere Tarnung hier nicht stand.“ „Was haben Sie jetzt mit mir vor?“, fragte Julia ängstlich. Sie überlegte, ob ihr Leben in Gefahr wäre. Würden die Pentas soweit gehen, um ihre Identität – was immer das auch war – zu schützen? Dann fiel ihr das Kind ein. Hermeto Penta hatte seine Tarnung riskiert, um das ihm fremde Kind aus den Fängen eines Entführers zu retten. Würde er jetzt sie statt dessen töten, um im Verborgenen zu bleiben? Es schien ihr zu ihrer Erleichterung unwahrscheinlich. Andererseits, vielleicht gehörte ihr Leben ihm nach seinen Wertvorstellungen bereits, da er sie aus den Fängen des Heroins befreit hatte. Sie wußte es nicht. Und sie schaute ängstlich von Hermeto zu Alia und zurück.
Das zweite Angebot
Julia wurde zunehmend ängstlicher und nervöser, da die beiden nicht gleich antworteten. „Und wer oder was sind Sie eigentlich?“, versuchte sie ihre Angst zu überspielen. „Fangen wir mal mit deiner zweiten Frage an“, entgegnete Alia. „Auf eine gewisse Art sind wir Handlungsreisende. Aber das ist natürlich nicht die Antwort auf deine Frage.“ Sie schaute Julia direkt in die Augen. „Du hast meinen Mann ja bereits in seiner natürlichen Erscheinung gesehen. Was glaubst du denn, was wir sind?“ Julia überlegte einen Moment, ob sie ihren Verdacht wirklich äußern sollte. Wenn er falsch wäre, käme sie sich lächerlich vor. Wäre er dagegen richtig, würden die beiden ihr vielleicht doch etwas antun, wenn klar war, daß sie es wußte. Alia ließ sie nicht aus den Augen. Da Julia keine Idee hatte, wie sie aus dieser Zwickmühle herauskommen sollte, sagte sie schließlich halblaut: „Dämonen?“ Alia nickte und Julia machte sich vor Angst fast in die Hose. „Auf eine gewisse Weise sind wir das. Die wenigen Beschreibungen, die es von Dämonen gibt, gehen auf Begegnungen mit uns zurück. Und unsere Welt erscheint den wenigen Menschen, die sie bisher gesehen haben, wie die Hölle. Hieronymus Bosch war übrigens einer dieser Menschen.“ Julia zitterte im Arm von Alia und schaute sie ängstlich und gebannt an. „Aber wir sind nicht das, was man uns nachgesagt hat. Wir sind weder gut noch böse, genau wie die Menschen in ihrer Gesamtheit weder gut noch böse sind. Und wir kommen nicht aus der Hölle, sondern aus einer anderen Realität.“ Julia wußte nicht, warum, aber sie glaubte ihr und beruhigte sich wieder ein wenig.
„Wenn du unsere Welt mit unseren Augen gesehen hättest, wäre sie dir nicht wie die Hölle vorgekommen. Es ist eine sehr schöne Welt.“ Alia machte eine Pause. In Gedanken schien sie sich in ihrer Welt zu befinden. Und ihr Gesicht nahm einen leicht verträumten Eindruck an. Dann kam sie erkennbar wieder ins hier und jetzt. „Wir sind, wie ich vorhin schon sagte, Handlungsreisende. Bei uns wachsen bestimmte Pflanzen nicht, insbesondere Fingerhut und Alraune. Beide sind für uns aber sehr wichtig. Aber ich will dich nicht mit Details langweilen.“ Sie straffte sich und schaute zu Hermeto. Dieser ergriff das Wort: „Kommen wir zu deiner ersten Frage.“ Julia verkrampfte sich innerlich. Jetzt ging es also um sie und ihre Zukunft. „So, wie es jetzt ist, kann es jedenfalls nicht bleiben. Du weißt einfach zu viel von uns und unsere Aufgabe hier ist einfach zu wichtig, um sie ruhen zu lassen, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen ist und niemand sich mehr für dein Wissen interessieren würde.“ Julia kam in den Sinn, daß das alles nicht passiert wäre, wenn sie das Zimmer nicht betreten hätte. Schuldbewußt sagte sie das auch. „Da hast du zwar recht, aber früher oder später wäre das sowieso zwangsläufig passiert. Und es wäre auch nicht kritisch gewesen, wäre da nicht diese Entführung passiert. Wie auch immer – wir müssen jetzt etwas unternehmen.“ „Was werden Sie mit mir tun?“, fragte Julia mit einem sehr flauen Gefühl im Magen. „Es gibt zwei Möglichkeiten“, erwiderte Hermeto, „ich nehme dir alle Erinnerungen seit dem Tag, an dem du das Zimmer betreten hattest und du verläßt unser Haus für immer. Andernfalls käme deine Erinnerung nämlich wieder zurück.“ Eine eiskalte Faust quetschte Julias Eingeweide zusammen. Wenn sie hier fortmüßte, wäre sie wieder ganz auf sich allein gestellt. Und sie glaubte nicht, daß sie jetzt mit dem Leben besser zurecht käme, als in der Zeit, in der sie dem Heroin verfallen war. „Oder“, fuhr Hermeto fort, „du trittst als Sklavin in unsere Dienste. Dann könnten wir sicherstellen, daß du nichts ausplauderst.“ Er machte eine Pause, damit Julia das Gehörte verdauen konnte. So richtig gelang ihr das aber nicht. Sie wußte nicht, was es bedeuten würde, die Sklavin von Dämonen zu sein. Es klang jedenfalls sehr erschreckend. Die andere Alternative war für sie allerdings auch nicht erstrebenswerter.
„Als unsere Sklavin“, sprach Hermeto weiter, „müßtest du deine komplette Selbstbestimmung aufgeben. Wir würden über jeden Aspekt deines Lebens bestimmen. Und du würdest uns auch in unsere Welt begleiten.“ „Gibt es noch eine weitere Alternative?“, fragte Julia kleinlaut. Alia antwortete diesmal und schaute Julia dabei traurig an: „Eigentlich nicht. Es sei denn, du ziehst den Tod den beiden anderen Alternativen vor.“ Julia schauderte. Und sie versuchte sich darüber klar zu werden, welche dieser Alternativen für sie am ehesten in Frage käme. Aber sie kam zu keiner Antwort. „Laß dir ruhig Zeit mit deiner Entscheidung“, forderte Alia sie auf, „Du mußt dich nicht sofort entscheiden. Allerdings darfst du das Haus nicht verlassen, bis du deine Wahl getroffen hast. Wenn du es doch versuchst, treffen wir die Entscheidung für dich.“ Irritiert stellte Julia fest, daß der letzte Satz von Alia keine Drohung war, sondern eine schlichte Feststellung. So, als hätte sie gesagt: „Wenn es draußen regnet, wird man naß.“ Es gab an dieser Feststellung nicht die Spur eines Zweifels. Julia nickte und erhob sich von der Couch. Sie ging in ihr Zimmer zurück und grübelte. Keine der Möglichkeiten gefiel ihr wirklich. Dieser Job als Haushaltshilfe gab ihr Halt und eine Aufgabe, auch wenn sie die Tätigkeiten selbst nicht besonders schätzte. Und auch die lockere Einbindung in die „Ersatzfamilie“ der Pentas stützte sie. Wäre sie wieder ganz auf sich alleine gestellt, käme sie sich sehr verloren vor. Ein Dasein als Sklavin konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen. Was würde das tatsächlich bedeuten? Welche Aufgaben kämen dann noch auf sie zu? Und wie käme sie damit zurecht, überhaupt keinen Einfluß mehr auf ihr Leben zu haben? Und die dritte Alternative? Nein, sterben wollte sie auch nicht. Nach längerem Grübeln legte sie sich in ihr Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf und durchlebte in Träumen und Albträumen die verschiedenen Alternativen.
Der Spaziergang im Park
Als Julia am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Sie hatte schlecht geschlafen, viel Mist geträumt und war ihrer Entscheidung kein Stück näher gekommen. Nachdem sie sich angezogen und gefrühstückt hatte – die Pentas waren schon wieder vor ihr auf gewesen und hatten bereits gefrühstückt – erledigte sie zuerst etwas von ihrer Arbeit als Haushaltshilfe. Sie hoffte, so etwas Abstand zu bekommen und sich bei ihrer Wahl leichter zu tun. Und als sie mit der Arbeit fertig und etwas erschöpft war, wußte sie zumindest, was sie auf gar keinen Fall wollte. Der Tod kam für sie nicht in Frage. Aber die Wahl zwischen dem völlig auf sich alleine gestellt sein und einem ungewissen Sklavendasein konnte sie nach wie vor nicht treffen. Sollte sie sich erst einmal erkundigen, was es bedeutete, die Sklavin der Pentas zu sein? Vielleicht wäre ihre Entscheidung ja viel leichter zu treffen, wenn sie die Alternativen besser kannte. Das wäre zumindest ein nächster Schritt. Sie nahm sich fest vor Alia anzusprechen, sobald sie sie treffen würde. Sie räumte noch etwas auf und ging dann in ihr Zimmer. Später wanderte sie unruhig die Flure des Hauses entlang. Eigentlich wäre sie lieber in dem kleinen Park vor dem Haus spazieren gegangen. Aber sie durfte das Haus ja nicht verlassen, wenn sie ihre Entscheidung selbst treffen wollte. Als ihr Alia begegnete, nahm sie ihren Mut zusammen und sprach sie an. „Alia, ich würde Sie gerne etwas fragen.“ Alia blieb stehen und schaute sie an. „Ich möchte gerne wissen, was es bedeuten würde, Ihre“, Julia schluckte und rang sich dann durch, das Wort zu sagen, „Sklavin zu sein.“
Alia lächelte sie an. „Komm, wir gehen ein bißchen im Park spazieren, während ich es dir erkläre.“ Julia zögerte einen Moment. Sie durfte doch das Haus nicht verlassen. „Mit mir zusammen darfst du schon raus gehen“, ermunterte sie Alia. Und beide verließen das Gebäude und schlenderten durch den Park. „Wenn du dich entscheidest, unsere Sklavin zu werden, wird das die letzte eigenständige Entscheidung sein, die du in deinem Leben triffst. Du wirst dann unser Eigentum sein, über das wir nach belieben verfügen können. Und du wirst allen Anweisungen von uns bedingungslos Folge leisten. Ungehorsam werden wir nicht tolerieren.“ Julia schaute sie erschreckt an. „Habe ich denn dann keinen eigenen Willen mehr?“ Alia lächelte. „Einen eigenen Willen schon. Dein Denken wird frei bleiben. Aber du wirst dich nicht mehr nach deinem, sondern nach unserem Willen richten.“ „Und – was werde ich zutun haben?“ „Natürlich alles, was wir wollen, daß du tust. Egal was es ist. Du wirst für uns arbeiten und du wirst auch für unser Vergnügen dasein.“ „Für Ihr Vergnügen?“, wollte Julia wissen. Alia nickte. „Wie vergnügen Sie sich denn mit mir?“ Alia schmunzelte, als sie ihr erklärte: „Nun, einerseits sind wir körperlich – zumindest, was die Vergnügungen betrifft – den Menschen sehr ähnlich gebaut. Das heißt, daß wir uns problemlos sexuell mit dir vergnügen können. Und du wirst uns verwöhnen, wie du es bei Menschen auch tun würdest. Schwanger kannst du dabei zwar nicht werden, aber ansonsten sind die Unterschiede eher gering.“ Alia machte eine kleine Pause, lächelte in sich hinein und fuhr dann fort: „Und es bereitet uns auch Vergnügen, dich etwas zu quälen. Du brauchst nicht so ängstlich schauen. Es wird für dich gut auszuhalten sein und ich glaube, daß du es sogar genießen kannst.“
Julia war verwirrt und etwas ängstlich. Sie dachte an reißerische Berichte über wilde SM-Praktiken, die sie bei Privatsendern gesehen hatte. Alia lachte. „Diese Berichte taugen nicht einmal dafür, die menschliche SM-Szene zu verstehen. Da steht die Quote deutlich vor der Wahrheit. Und auch auf uns treffen diese Berichte nicht zu. Du wirst mir schon soweit vertrauen müssen, daß es für dich auszuhalten und sogar erregend sein wird.“ Julia schaute zu Boden. Sie spürte ein für sie völlig ungewohntes Gefühl, das aus einer Mischung aus Angst und Sehnen zu bestehen schien. Bisher hatte sie sich nie mit SM auseinandergesetzt. Tatsächlich war ihr der Gedanke an solche Praktiken eher beängstigend vorgekommen. Aber so, wie Alia es ihr eben erzählt hatte, löste es etwas in ihr aus, daß sie nicht verstand und für das sie sich schämte. Dann fielen ihr noch Geschichten von Hexen ein, die ihre Seele dem Teufel dadurch vermachten, daß sie mit ihm schliefen. Würde sie das gleiche tun, wenn sie sich mit den „Dämonen“ einließ? Alia lachte schallend. „Diese Ammenmährchen wurden von kirchlichen Machtpolitikern in die Welt gesetzt, um sich unliebsamer – insbesondere heilkundiger – Frauen entledigen zu können. Da ging es ausschließlich um Einfluß auf die einfachen Leute. Das ist genauso ein Blödsinn wie der, daß Sex keinen Spaß machen dürfe. Das ist eine Erfindung der Kirche des Mittelalters, mit der sie den Menschen Schuldgefühle einreden wollte, um sie besser manipulieren zu können. Oder kennst du eine Stelle in der Bibel, wo so was beschrieben ist? Jedenfalls sind wir nicht an deiner unsterblichen Seele interessiert. Da kann ich dich beruhigen.“
Nachdenklich schaute Julia sie an. Alles was Alia sagte, ergab einen Sinn. Aber hieß das auch, daß es stimmte? Nicht, daß Julia sonderlich religiös gewesen wäre, aber sie hätte auch nie geglaubt, daß es wirklich Dämonen gäbe. Andererseits entsprachen die Pentas auch überhaupt nicht den Klischees, die in Horror-Geschichten über Dämonen verbreitet wurden. Eine weitere Frage, die sich ihr noch nie gestellt hatte, lag Julia auf dem Herzen: „Gibt es eigentlich eine unsterbliche Seele, einen Gott und einen Teufel?“ Alia schaute sie ernst an. „Das ist eine gute Frage. Aber ich kann sie dir nicht wirklich beantworten. Ich habe da genauso wenig zuverlässige Einblicke wie du auch. Deshalb kann ich dir dazu auch nur meine Meinung sagen.“ Sie holte etwas Luft. Auf philosophisch religiöse Gespräche war sie eigentlich nicht vorbereitet gewesen. „Also ich glaube, daß es einen Gott gibt. Wobei ich dir nicht sagen kann, wie er aussieht oder was er so macht.“ Alia lächelte versonnen. „Aber ich habe schon das Gefühl, auf eine schwer zu beschreibende Weise geborgen zu sein und geliebt zu werden. Es kann auch sein, daß es eine Hölle gibt. Wahrscheinlich nicht so ein Ort, wie er dir beim Anblick unserer Welt in den Sinn kam. Sondern eher als ein Zustand, in dem die Geborgenheit und Liebe, die ich vorhin meinte, fehlt. Also nicht mit folternden Teufeln oder so etwas. Und den Teufel halte ich für eine Erfindung, mit der die persönliche Verantwortung und die Schuld an den eigenen Taten auf eine fiktive Figur – einen Verführer – abgewälzt werden soll. Aber wie gesagt, das ist nur meine persönliche Meinung, die übrigens auch Hermeto teilt.“
Allmählich schlenderten sie wieder auf das Haus zu. Julia hatte durch das Gespräch einen tiefen Eindruck von Alias Persönlichkeit bekommen. Gerade durch das letzte Thema. Und sie spürte, daß ihr instinktives Vertrauen in Alia eine gute Grundlage hatte. Nachdem sie das Haus wieder betreten hatten, bedankte sich Julia bei ihr für das Gespräch und ging nachdenklich in ihr Zimmer zurück. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Entscheidung schon während des Spaziergangs im Park gefallen war. Aber sie wollte sich erst ganz sicher werden. Denn, wie Alia ihr ja gesagt hatte, eine Entscheidung für das Sklavendasein wäre ihre letzte eigenständige Entscheidung. Die Vorstellung, für Vergnügungen herangezogen zu werden, erregte sie auf eine schwer zu beschreibende Weise. Sie nahm sich vor, noch eine Nacht darüber zu schlafen und den Pentas am nächsten Tag ihre Entscheidung mitzuteilen. Sie würde – ein flaues Gefühl hatte sie bei dem Gedanken schon im Magen – sich ihnen als Sklavin zur Verfügung stellen. Ob sie dabei wohl immer in der Heimatwelt der Pentas, in dieser Höllenlandschaft bleiben müßte? Hoffentlich würde sie nicht depressiv werden, in dieser bedrückenden Umgebung. Und hoffentlich hatte sie sich nicht in Alia und Hermeto getäuscht. Schließlich würde sie sich ihnen in jeder denkbaren Weise ausliefern. Aber auch dieser Gedanke führte bei ihr zu einem eigenartigen Kribbeln im Bauch.
Die Entscheidung
Am nächsten Morgen wachte Julia früh auf und konnte nicht wieder einschlafen. An ihrer Entscheidung, die Sklavin der Pentas zu werden, hatte sich nichts geändert, auch wenn sie ein sehr flaues Gefühl bei diesem Gedanken hatte. Diese verwirrende Emotion bestand allerdings nicht nur aus Angst vor dem Ungewissen. Es war auch ein ihr unverständliches Sehnen in dem Gefühl enthalten – als ob sie endlich etwas bekäme, das sie schon immer hätte haben wollen, ohne es je zu wissen. Schließlich stand sie auf, zog sich etwas bequemes an und ging in die Küche, um zu frühstücken. Auch die Alia und Hermeto waren anwesend und aßen etwas. Julia fragte sich, ob sie gleich mit ihrer Entscheidung herausplatzen sollte. Aber irgendwie zögerte sie noch. Dabei war sie so aufgeregt, daß ihre Hände zitterten. Sie mußte aufpassen, ihren Kaffee nicht zu verschütten. Alia schaute sie wissend und lächelnd an. Für Julia stand inzwischen fest, daß sie ihre Gedanken lesen konnte. Und tatsächlich bestätigte Alia ihr dies, indem sie zu ihr sagte: „Frühstücke erst einmal in Ruhe. Nachher kommst du zu uns in die Bibliothek und sagst uns, was du am liebsten schon jetzt unbedingt loswerden möchtest.“ Julia lächelte ihr scheu zu und versuchte, sich auf das Frühstück zu konzentrieren. Der Gedanke daran, daß die beiden ohnehin schon wußten, wozu sie sich entschieden hatte, ließ sie ein wenig ruhiger werden. So schaffte sie es schließlich, ihr Frühstück zu beenden, ohne sich den Kaffee überzuschütten oder sich beim Brötchenschmieren in die Hand zu schneiden.
Zu dritt gingen sie anschließend in die Bibliothek. Julia atmete noch einmal tief durch und sagte dann zu den beiden: „Ich habe mich jetzt entschieden. Ich will ihre Sklavin werden.“ Alia lächelte ihr zu, während Hermeto zu einer Kommode ging und eine Schublade öffnete. Er nahm einen dunklen, metallenen Halsreif heraus und gab ihn Julia. Der Reif hatte ein Scharnier und einen Verschlußmechanismus, zu dem es aber keinen Schlüssel zu geben schien. „Wenn du dir mit deinem Entschluß ganz sicher bist“, antwortete schließlich Hermeto, „dann legst du dir diesen Halsreif um und drückst ihn zu. Er symbolisiert deine freiwillige Unterwerfung. Und er läßt sich genauso wenig wieder entfernen wie sich deine Unterwerfung rückgängig machen läßt.“ Sie schluckte trocken. Ihre Entscheidung stand ja schon fest. Aber seine Worte machten ihr noch einmal die Endgültigkeit ihrer Entscheidung deutlich. Wieder zitterten ihre Hände, als sie den Halsreif – wie in Zeitlupe – zu ihrem Hals führte. Dann schloß sie ihn langsam, bedacht, nicht ihre Haare einzuklemmen. Und schließlich drückte sie ihn kräftig zusammen und ließ ihn so mit einem hörbaren Klicken einrasten. Sie hatte es getan. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Spannung fiel von ihr ab wie Laubblätter eines Baumes im Herbststurm. Noch immer wußte sie nicht wirklich, was auf sie zukam, aber sie würde es akzeptieren. Sie brauchte sich jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, ob eine Entscheidung richtig oder falsch war, da sie keine mehr treffen würde. Sie hätte auch keine Verantwortung mehr für sich. Sie müßte zukünftig nur noch – gehorchen.
„Willkommen als unsere Sklavin, Julia“, sagte Alia mit einem Lächeln. „Wir werden dich jetzt geeignet einkleiden.“ „Zieh dich aus.“ Die letzten Worte sagte Alia zwar immer noch freundlich, es war allerdings etwas in ihrem Tonfall, daß keinen Widerspruch duldete. Julia kam sich etwas seltsam und schutzlos vor, sich jetzt und hier vor den beiden auszuziehen. Aber ihr war klar, daß sie ab sofort zu gehorchen hatte. Also warf sie ihre Scham so gut es ging über Bord und begann, sich zügig auszuziehen. Bei ihrem BH und dem Slip zögerte sie noch einen Moment, zog aber dann auch diese aus. Instinktiv bedecke sie ihre Blöße allerdings notdürftig mit den Händen. Alia schmunzelte und meinte, sie solle ihre Hände vorstrecken. Hermeto hatte inzwischen zwei Armreifen aus der Kommode geholt und ließ sie um ihre Handgelenke einrasten. Dann nahm er beide in die Hand und drückte sie zusammen. Julia stellte fest, daß sie ihre Handgelenke mit den Armreifen nicht mehr von einander lösen konnte. Ein weiterer Griff von Hermeto und die Verbindung war wieder gelöst. „Nimm jetzt die Hände auf den Rücken“, wies er sie an. Sie tat es und er griff auf beiden Seiten um sie herum und verband die Reifen, so daß Julias Hände hinter ihrem Rücken fixiert waren. Dann begann er, sie zu streicheln. Zuerst an den Wangen, dann an ihren Brüsten und am Po. Julia begann wieder zu zittern, diesmal allerdings vor Erregung. Seine Berührungen – vor allem aber ihre eigene Hilflosigkeit – ließen sie in Wellen erschauern. „Nimm die Beine auseinander“, sagte er ihr fast flüsternd. Sie tat es ohne nachzudenken. Er berührte sie leicht im Schritt, was sie erneut erschauern ließ. Dann wandte er sich von ihr ab, obwohl sie sich nach weiteren Berührungen sehnte.
Er öffnete die Tür einer Kommode und holte etwas heraus, was Julia zuerst nicht erkannte. Es schien aus dem selben, dunklen Metall zu bestehen wie ihre Hals- und Armreifen. Als er damit näher kam, erkannte sie, daß es die Form eines Slips hatte. Ein Keuschheitsgürtel, schoß es ihr durch den Kopf. Sie wollte protestieren, aber er legte ihr nur den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Er klappte den Slip auf und legte ihn ihr durch die gespreizten Beine an. Als sie den Keuschheitsgürtel einrasten hörte, war sie der Panik nahe. Das war doch hoffentlich nicht so endgültig wie ihr Halsreif. Er begann wieder, ihre Brüste zu streicheln, und ihr Verlangen nach mehr war so stark wie nie zuvor in ihrem Leben. „Keine Angst, meine kleine Sklavin, wenn wir mit dir sehr zufrieden sind, wirst du auch gelegentlich aus dem Keuschheitsgürtel herauskommen“, hauchte er ihr ins Ohr. „Einige Zeit wirst du allerdings noch darauf warten müssen.“ „Das Schöne an einem Keuschheitsgürtel“, fuhr Alia fort, die ihr jetzt ins andere Ohr flüsterte, „ist, daß die Trägerin fast augenblicklich geil wird und es auch sehr lange bleibt. Ich sagte dir ja, daß wir dich etwas quälen werden und daß du es genießen wirst.“ Beide streichelten Julia noch eine Weile, während diese vor Verlangen fast verging. „Setz dich jetzt auf den Sessel da drüben“, wies Alia sie schließlich an. Nachdem Julia saß, legte Alia ihr zwei Metallreifen um ihre Fußgelenke. Schließlich bekam sie noch einen BH aus Metall angelegt, der aber eigentlich nichts verbarg, sondern nur ihre Brüste stützte. Sie mußte sich noch einmal hinstellen und um die eigene Achse drehen. Hermeto und Alia betrachteten zufrieden ihre Sklavin. „Jetzt sollten wir ihr ihr neues Zuhause zeigen“, meinte Alia und Hermeto nickte schmunzelnd.
Der Übergang
Sie gingen gemeinsam zu dem verbotenen Zimmer. Julia erinnerte sich, daß es in letzter Zeit verschlossen gewesen war und blieb vor der Tür stehen. Hermeto hatte bereits den passenden Schlüssel in der Hand und öffnete die Tür. Alle drei traten ein. Julia kam sich seltsam vor bei dem Gedanken, gleich fast unbekleidet in die andere Welt zu treten. Zu ihrer Überraschung begannen allerdings auch Alia und Hermeto damit, sich auszuziehen und ihre Kleidung in den Kommoden des Zimmers zu verstauen. Im ersten Moment sahen beide ganz normal aus – zwei große, hagere und doch etwas muskulöse Menschen. Dann begannen beide, sich vor ihren Augen zu verwandeln. Sie erinnerte sich, Hermeto ja bereits einmal in seiner natürlichen Form gesehen zu haben, als sie das erste Mal durch den Spiegel gegangen war. Es war für sie faszinierend und erschreckend zugleich, zuzusehen, wie er sich aus einem mehr oder weniger normalen Menschen in einen Dämon verwandelte. Auch seine Gesichtszüge erinnerten sie wieder an mittelalterliche Wasserspeier oder halt an Dämonen. Da sich seine Proportionen durch die fledermausartigen Flügel etwas verändert hatten, wirkte er nun nicht mehr hager, sondern irgendwie passend. Auch seine Muskeln traten jetzt deutlicher hervor und erinnerten sie entfernt an einen Bodybuilder. Bei Alia war die Verwandlung noch etwas beeindruckender. Sie sah nach der Verwandlung aus, wie ein wunderschöner, schwarzer Engel. Wobei ihre ebenfalls fledermausartigen Flügel dieses Bild nur geringfügig störten. Hauptsächlich lag es wohl daran, daß ihr Gesicht nach der Verwandlung von geradezu schmerzhafter Schönheit und Ebenmäßigkeit war. Julia kam sich neben ihnen wie ein häßliches, kleines Entlein vor.
Beide reckten sich etwas, spreizten ihre Flügel und wirkten wie Adler, die zu lange in viel zu kleinen Käfigen eingesperrt waren. Hermeto faltete seine Flügel auf dem Rücken zusammen und schritt als erster durch den Spiegel. Sobald er ihn vollständig durchschritten hatte, war er im Spiegel nicht mehr zu sehen. Alia nahm Julia an die Hand und faltete ihrerseits die Flügel auf dem Rücken zusammen, um bequem durch den Spiegel gehen zu können. Dann zwinkerte sie Julia zu und zog sie hinter sich durch den Spiegel. Diesmal war hinter dem Spiegel keine verdrehte Version des Zimmers, aus dem sie gerade kamen. Sie erschienen direkt auf dem Plateau, bis zu dem Julia bei ihrem ersten, unfreiwilligen Besuch gekommen war. Die Welt wirkte auf sie immer noch bedrohlich. Die beiden Pentas schienen jedoch wie gemacht für dieses Szenario. Hermeto breitete seine Flügel aus und stürzte sich das Plateau hinunter. Kurz danach kam er wieder ins Blickfeld und schien übermütig in der Luft herumzutollen. „Er vermißt es immer sehr, sich durch die Luft zu schwingen, wenn wir in deiner Welt sind“, kommentierte Alia schmunzelnd Hermetos Kapriolen. Dann umfaßte sie Julias Taille und hob ebenfalls ab, wobei sie zu Julias Erleichterung auf gewagte Manöver verzichtete. Sie stiegen allmählich in eine sehr große Höhe, und Julia stellte fest, daß sie unter Höhenangst litt. Nach einiger Zeit gewöhnte sie sich allerdings an die ungewöhnliche Fortbewegung und die seltsame Perspektive. Sie versuchte, die Landschaft unter sich zu erkennen. Die Farbgebung machte ihr dabei jedoch ziemlich zu schaffen. Alles war irgendwie in Variationen der Farben rot, schwarz oder grau. Wieder sah sie purpurne Flüsse, die sich durch graue Graslandschaften schlängelten. Gelegentlich schienen sie über schwarze Ansiedlungen zu fliegen, wobei sie die Gebäude nicht klar erkennen konnte. Sie schienen irgendwie relativ klein und rund zu sein. Die Höhe der Gebäude konnte sie aus ihrer Perspektive nicht erkennen.
Nach einem Flug, dessen Dauer Julia nicht abschätzen konnte, kam eine Burg in Sicht. Burg war jedenfalls die erste Assoziation von Julia bei dem Gebilde, auf das sie zuflogen. Es war ein Plateau mit allseits abfallenden Bergwänden, um das eine Mauer gezogen war. Auf dem Plateau waren Türme zu sehen. Nicht nur in die Mauern integriert, wie es bei mittelalterlichen Befestigungen üblich war, sondern auch innerhalb der Mauern. Dafür fehlten jegliche normalen Häuser. Offenbar waren hier Türme die normale Bauform für Behausungen. Schließlich landeten sie auf der Spitze eines der Türme. Er war etwas flacher als die anderen. „Komm mit“, meinte Alia zu Julia, nachdem sie sie abgesetzt hatte. Hermeto verabschiedete sich mit dem Hinweis, er hätte noch etwas dringendes zu erledigen. Sie gingen eine Wendeltreppe hinunter und kamen in einen schön eingerichteten Raum. Wenn nicht auch hier die Farbgebung so trist in rot, schwarz und grau gewesen wäre, hätte es einen geschmackvollen und fröhlichen Eindruck gemacht. Von einem Fenster des Zimmers gab es einen beeindruckenden Blick auf entfernte, spitze Gebirge und bizarre Wolkenformationen. Ein großes und bequem aussehendes Bett dominierte das Zimmer. Die Wände waren mit Teppichen in verschiedenen Mustern behängt und auch auf dem Boden war ein weicher Teppich ausgelegt. Es gab Kommoden mit Intarsien und ein großes Regal mit vielen Büchern. „Wie gefällt dir dein neues Zuhause?“, wollte Alia von ihr wissen. Ohne die Antwort abzuwarten fuhr sie fort: „Das hier ist dein eigenes Zimmer. Die weiteren Räume und Gebäude wirst du in den nächsten Tagen kennenlernen. Ach ja, ich vermute, die Farbgebung macht dir im Moment noch etwas zu schaffen.“ Julia nickte. Sie wußte nicht, wie sie reagieren sollte. Einerseits war es schön und beeindruckend hier, andererseits hatte sie das Gefühl, bei den vorherrschenden Farben bald depressiv zu werden.
Mit anderen Augen
Auf Alias gute Laune hatte Julias Bedrücktheit jedenfalls keine Auswirkungen. „Komm jetzt erst mal mit. Es gibt noch etwas sehr Wichtiges für dich zu erledigen“, fuhr sie gut gelaunt fort. Sie gingen die Wendeltreppe weiter nach unten und kamen auf dem Plateau an. Julia stellte fest, daß es für sie trotz ihres „luftigen Outfits“ überhaupt nicht kalt war. Während des Fluges war sie für diese Erkenntnis viel zu aufgeregt gewesen. Sie gingen auf einen weiteren Turm zu. In der ersten Etage war er voller seltsamer Pflanzen. Inmitten der Pflanzen stand eine Liege mit verschiedenen Befestigungsringen. Von einem kleinen Tischchen nahm Alia ein Stück Stoff, das in der Form an einen viel zu kurzen Gürtel erinnerte und in der Mitte etwas dicker war. „Mach es dir auf der Liege bequem“, wies sie Julia an. Dann legte sie das dickere Teil auf Julias Augen, so daß sie nichts mehr sehen konnte. Den Rest verknotete sie hinter ihrem Kopf. Anschließend fixierte sie Julias Arme und Beine auf der Liege. Julia hatte etwas Angst, was jetzt wohl kommen würde. Die Augenbinde roch intensiv nach ihr unbekannten Kräutern. „Bleib entspannt liegen und beweg dich nicht weiter“, hörte sie Alia sagen und vernahm ihre leiser werdenden Schritte. Sie lauschte in die Stille hinein und fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Der Kräutergeruch beruhigte sie etwas, allerdings begannen ihre Augen zu jucken. Sollte sie versuchen, die Augenbinde abzuschütteln? Erlaubt war ihr das sicher nicht. Andererseits wurde das Jucken immer stärker. Möglicherweise passierte ja gerade etwas unvorhergesehenes. Oder sie vertrug die vorgesehene Behandlung nicht – was immer es auch sein mochte.
Während sie noch mit sich rang, hörte sie wieder Schritte. Diesmal allerdings von mehr als einer Person. War Hermeto auch dabei? Aber irgendwie hörte es sich anders an. Es schienen auch mehr als zwei Personen zu sein. „Kümmert ihr beide euch um Julia. Ihr wißt ja, was sie jetzt durchmachen wird“, hörte sie Alia sagen. „Ja, Herrin“, hörte sie zwei weibliche Stimmen im Chor sagen. Alia entfernte sich wieder und die beiden anderen kamen an Julias Liege. Eine Hand berührte sie am Arm. „Hallo Julia, ich bin Maria“, hörte Julia aus der Richtung der Hand. Die Stimme klang nach einer jungen Frau. Eine weitere Hand berührte ihren anderen Arm. „Und ich bin Martha“, kam es aus dieser Richtung. Die zweite Stimme war etwas tiefer und klang irgendwie alt. „Hallo“, sagte Julia matt. Sie wußte nicht, wie sie reagieren sollte. „Meine Augen jucken sehr. Ist das normal?“ „Mach dir keine Sorgen darum“, hörte sie Martha sagen. „Das ist völlig normal. Bald werden dir auch die Augen wehtun. Aber keine Angst, das gibt sich alles bald wieder.“ Angst hatte Julia natürlich trotzdem. Was passierte da mit ihren Augen? Würde sie blind werden? Sie spürte, wie sie von zwei paar Händen gestreichelt wurde. „Hab keine Angst“, sagte jetzt auch Maria, „deine Augen verändern sich jetzt etwas, damit du die Farben hier besser wahrnehmen kannst. Man sieht es ihnen aber hinterher nicht an. Und wenn du in der anderen Welt bist, wirst du dort ganz normal sehen können. Na ja, bei grellem Licht vielleicht etwas schlechter, bei dunklerem dafür aber etwas besser.“
„Versuche aber bitte nicht, die Augenbinde abzuschütteln“, fuhr Martha fort, als Julia den Kopf etwas hin und her warf. „Sonst müssen wir ihn dir so festbinden, daß du ihn nicht mehr bewegen kannst.“ „Versuche dich zu entspannen“, ergänzte Maria, „wir werden dich jetzt etwas verwöhnen, damit du nicht die ganze Zeit an deine Augen denkst.“ Und Julia spürte, wie die Hände der beiden ihr jetzt am ganzen Körper entlang fuhren. Sie streichelten alle Stellen, die nicht durch ihren Keuschheitsgürtel verborgen waren. Auch ihre Brüste und ihre Innenschenkel wurden von den beiden liebkost. Julia begann, sich auf der Liege zu räkeln. Martha und Maria lächelten sich zu. Das war genau, was sie erreichen wollten. Julia sollte durch Wollust von ihren juckenden und schmerzenden Augen abgelenkt werden. Nach einer Weile waren Julias Gedanken nur noch bei den sie streichelnden Händen. Sie begann bereits, schwer zu atmen. Entfernt war ihr klar, daß es durch den Keuschheitsgürtel ein ziemlich unbefriedigendes Ende haben würde, aber daran wollte sie zunächst einmal nicht denken. Mit der Zeit sehnte sie sich dann doch immer mehr nach einem Orgasmus und litt unter ihrem Keuschheitsgürtel. Allmählich wurden die Liebkosungen von Martha und Maria immer langsamer und Julia merkte, wie sie so in kleinen Schritten wieder aus ihrer Erregung herausgeführt wurde. Es war nicht so frustrierend, wie es ein plötzlicher Abbruch durch die beiden gewesen wäre. Und so tauchte sie langsam aus ihrer Lust wieder auf. „Mehr können wir dir leider ohne Alias oder Hermetos Erlaubnis nicht geben“, erklärte ihr Martha mit leicht bedauerndem Unterton. „Aber zumindest hast du bezüglich deiner Augen das Schlimmste bereits hinter dir“, ergänzte Maria. „Das denke ich auch“, hörte Julia die Stimme Alias aus einiger Entfernung. Sie kam näher und fuhr fort: „So, dann habt ihr drei euch ja schon etwas näher kennen gelernt. Julia wird jetzt noch etwas schlafen und morgen sieht die Welt dann ganz anders aus.“ Und Julia fragte sich, ob der letzte Satz vielleicht sogar wörtlich zu verstehen war.
Erstes Kennenlernen
Julia fiel auf ihrer Liege bald in einen traumlosen Schlaf. Schließlich erwachte sie, als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte. „Guten Morgen, du Schlafmütze“, hörte sie Marias Stimme. „Hast du denn keinen Hunger?“ Julia stellte fest, daß ihr Magen knurrte und sie auch großen Durst hatte. Sie erwiderte die Begrüßung und fragte, ob sie denn jetzt losgemacht würde. „In ein paar Minuten kommt die Herrin und schaut sich deine Augen an. Danach frühstücken wir dann erst mal gemeinsam. Ich mache dich jetzt schon mal von der Liege los. Laß die Augenbinde aber noch an ihrem Platz. Spürst du denn noch etwas an deinen Augen?“ Maria begann, Julias Fixierung von der Liege zu lösen. „Nein, sie fühlen sich wieder völlig normal an.“ „Prima. Oh, da kommt die Herrin ja schon.“ „Na, Maria, kannst du es wieder nicht abwarten? Und Julia, ich hoffe, es geht dir gut.“ Julia nickte. „Gut, dann nehmen wir die Augenbinde jetzt mal ab“, fuhr Alia fort und befreite Julias Augen. Sie nahm Julias Kopf in beide Hände und schaute sich ihre Augen aus mehreren Perspektiven an. Dann nickte sie zufrieden. Im ersten Moment mußte Julia noch etwas blinzeln. Nach einigen Stunden unter der Augenbinde mußten sich die Augen erst wieder an das Licht gewöhnen. Danach schaute Julia sich mit offenem Mund um. Die Pflanzen um sie herum waren nicht mehr grau in grau, sondern schillerten in verschiedenen Grünschattierungen mit weiteren Farbtupfern in rot, gelb und blau. Alia war nicht mehr nachtschwarz, sondern hatte eine bronzefarbene, schillernde Haut. Sie schaute zu Maria, die sie ja noch nie gesehen hat
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Kommentare
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Ich hoffe Er/Sie bleibt uns lange mit vielen weiteren Geschichten erhalten!«
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Danke
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Ein großes Danke an den Autor!«
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MarcLelky
Dabei war der Einstieg ziemlich gut und mitreißend, ebenso die Sache mit dem Verbotenen Zimmer. Danach hätte ich mir alles eben etwas anders vorgestellt, jedenfalls eine "bizarrere" und "intensivere" Fantasy-Welt, obwohl die Grundidee insgesamt nicht so schlecht und noch ausbaufähig ist.«
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