Das Internat für höhere Töchter - Die Ankunft
von Krystan
Es wurde langsam Abend. Vier schwarze Hengste zogen die Kutsche über die ansteigende Schotterstraße. Der Fahrer hatte Mühe, bei dem Tempo das Gefährt zu halten, denn zu seiner Linken war ein steiler Abhang, dem er mit seiner wertvollen Fracht gefährlich nahe kam. In Koffern verstaute Kleider waren die eine Sache, der wahre Wert bestand jedoch in der menschlichen Fracht.
Jasmin saß gelangweilt im Wagen und schaute hinaus auf die liebliche Landschaft, die so unberührt und wild wirkte. Verdammte Einöde, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Vater, ein wohlhabender Fabrikbesitzer aus Linz, hatte sie hierher verbannt. Ihre Stiefmutter und er wollte sie einfach los werden, nicht, weil Jasmin sich in ihr Leben einmischte, sondern weil die lebenslustige junge Frau, zu der sie erwachsen war, ihren eigenen Kopf hatte. Weg aus der Zivilisation, wo sie fasziniert mit neugierigen Augen die Welt erforschte.
Es gab jetzt Kutschen ohne Pferde, die, wie vor einem halben Jahrhundert die Eisenbahn, von aller Welt bestaunt wurden. Conrad Röntgen hatte in Würzburg einen Strahl entwickelt, mit dem man ganz erstaunliche Fotos machen konnte. Dies war der neueste Clou in den Saloons der Reichen und Schönen, zu denen Jasmin sich auch zählte.
Ihr Vater hingegen war genau wie seine neue Frau ein Ewiggestriger. Er liebte Traditionen und verbeugte sich ergeben vor dem Kaiser. Er wollte aus Jasmin eine vornehme Dame in seinem Sinne machen und schickte sie deshalb in das Internat für höhere Töchter. So zumindest hatte er es ihr erklärt. Sie sollte aufhören, sich wie eine Wiener Dirne von einem Freund zum Nächsten zu hangeln, und endlich Disziplin und Gehorsam lernen. Der Umgang mit diesem anrüchigen Schriftsteller, den sie in der letzten Zeit pflegte, war wohl der Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Endlich erreichte die Kutsche das Internat, welches in einer alten Burg untergebracht war. Für manche war diese mittelalterliche Romantik vielleicht etwas Schönes. Für Jasmin jedoch spiegelte sie all die verknöcherte Moral ihrer Zeit wieder. Ständig wurden neue Dinge entdeckt. Binnen weniger Jahre änderte sich alles, was man zu wissen glaubte, radikal. Doch die Menschen, besonders die, die an der Macht waren, fürchteten sich vor Veränderung.
Revolution lag in der Luft, doch diesmal würde sie die Fesseln der Vergangenheit überwinden und die Menschen in eine glorreiche Zukunft führen. Das anbrechende 20. Jahrhundert würde ein Zeitalter des Fortschritts bringen. Große Kriege, Ausbeutung und Krankheiten des ausklingenden 19. Jahrhunderts wären dann Geschichte, davon war Jasmin überzeugt. Durch Wissenschaft und Technik würden die Menschen endlich zur Vernunft kommen.
„So, Fräulein Janikiz“, sprach der Kutscher als er von seinem Bock gestiegen war und seinem noblen Gast die Tür öffnete. „Wir sind da. Der Direktor erwartet Sie bereits.“
***
Direktor Klaus Ströbel saß in seinem Stuhl und las gerade die Zeitung von gestern. So ruhig das Internat auch gelegen war, so ärgerlich war es doch, dass man hier wichtige Nachrichten immer verspätet bekam. Die USA hatten Spanien den Krieg erklärt, konnte er da lesen. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren ein aufstrebendes Imperium. Kein Wunder, dass sie sich nun die Reste des Spanischen Kolonialreichs vereinnahmen wollen. In der Welt überlebte eben nur der Stärkere. Das sagte doch dieser Engländer, oder?
Es klopfte. Der Mann von Mitte vierzig stand auf und streifte sich seine dunkelblaue Uniform zurecht. Sie verlieh ihm ein militärisches Aussehen, was auch gewollt war. Schließlich hatte er ein Offizierspatent, auch wenn er selbst nur ein Hauptmann der Reserve war und nie gekämpft hatte. Er war in seinem Herzen ein Soldat. Jederzeit bereit, für Kaiser und Vaterland in den Krieg zu ziehen. Ein Krieg, der, so hoffte er, bald kommen würde, sodass er endlich seinen Status als Mann beweisen konnte.
Frau Anke Drossel betrat den Raum und schob Rosalinde Büchner vor sich her. Das blonde Mädchen in ihrem weißen Kleidchen blickte beschämt zu Boden. Sie hatte ganz offensichtlich etwas ausgefressen. Etwas, von dem ihm Frau Drossel gleich berichten würde.
***
Das Internat für höhere Töchter hatte strenge Regeln und Sitten. Dafür war es bekannt. Die Mädchen hier drinnen sollten geschützt von den Burgmauern vergangener Zeiten vor dem verderbten Einfluss der Gegenwart bewahrt werden. Jasmin hasste diesen Ort vom ersten Augenblick an. Stolz und selbstbewusst folgte sie dem Kutscher, der gleichzeitig auch so etwas wie der Hausmeister war, die steile Treppe hinauf.
In eine öffentliche Schule war Jasmin nie gegangen. Eine Hauslehrerin hatte sie unterrichtet. Dort hatte sie heimlich Werke von Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt und anderen Frauenrechtlerinnen gelesen. Jasmin kannte die Ideen, auch wenn in ihrem jungen Kopf noch vieles anderes herum spukte. Sie wollte mehr. Sie wollte nicht nur dieselben Rechte, wie die Männer im Kaiserreich. Nein, sie wollte frei sein. Sie wollte die Freiheit der Gedanken und der Taten. Sie wollte nicht länger eine Sklavin der Gesellschaft sein.
Vielleicht waren es ja gerade diese revolutionären Gedanken, die ihren kaisertreuen Vater bewogen hatten, seine Tochter aus der freien Luft der Großstadt in diese eisige Burg zu verbannen. Vielleicht machte er sich Sorgen um sein Kind, das mit seinen Ansichten in der Gesellschaft immer Gefahr lief, einen Skandal zu provozieren. Vielleicht war alles auch ganz anders.
Der Kutscher erreichte die Tür des Internatsleiters. Er klopfte kurz, und eine Frau mit strenger Frisur öffnete. Später würde Jasmin erfahren, dass dies Frau Drossel war, doch im Moment musterte sie das neu angekommene Mädchen nur mit finsterer Miene, als der Kutscher Jasmin vorstellte.
„Kommen Sie rein, Fräulein Janikiz, dann lernen Sie vielleicht gleich etwas für Ihr künftiges Leben.“
Jasmin schluckte, doch sie gehorchte.
***
Der Kutscher war gegangen, um die Sachen des Mädchens auf ihr Zimmer zu bringen. Jasmin wäre ihm liebend gerne gefolgt, doch sie musste im Zimmer des Direktors bleiben. Dieser Mann, der aussah wie eine Mischung aus Paradeoffizier und Karikatur eines Gockels, betrachtete die junge Frau von 18 Jahren mit stechendem Blick. Er saß auf einem Stuhl und über seinen Knien lag ein halbnacktes Mädchen, welches nur noch mit einem Hemdchen bekleidet war.
„Du bist also Jasmin Janikiz“, stellte der Direktor fest, während Frau Drossel ihre Hände auf Jasmins Schultern legte und sie zu einem gepolsterten Sessel führte, auf den sie sich zu setzen hatte.
„Ja“, meinte Jasmin nun deutlich verunsichert. Die Szene wirkte extrem verstörend auf das Mädchen, das in seinem ganzen Leben noch nie einen nackten Hintern einer anderen Frau bewusst gesehen hatte.
„Dein Vater hat dich hier her geschickt, damit du lernst, wo dein Platz in dieser immer komplexer werdenden Gesellschaft ist. Dies hier ist Rosalinde Büchner. Sie ist in deinem Alter, und auch sie ist vollkommen undiszipliniert. Sie hat gegen die Gebote des Internats verstoßen und muss nun dafür bestraft werden.“
Aus Jasmins Gesicht war alle Farbe entwichen. Sie lauschte den Worten des Direktors. Allmählich dämmerte es dem Mädchen, dass sie es hier weit weniger leicht haben würde, als sie es erwartet hatte. Dies war keine Bildungseinrichtung. Dies war ein Gefängnis.
„Rosalinde, erzähle deiner zukünftigen Mitschülerin doch, was du getan hast.“
Ein lüsternes Lächeln umspielte die Miene des Mannes. Der Direktor war zwar ein strenger Mann, doch pflegte er zu den Mädchen einen weit vertrauteren Tonfall, als es gemeinhin angebracht war. Während Frau Drossel auf Höflichkeit achtete, konnte Klaus Ströbel seine eigenen Gelüste oft nicht beherrschen. Er liebte den intimen Kontakt mit den Mädchen, auch wenn er selbst aufgrund einer Schwäche nicht in der Lage wa
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und jetzt?«
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Bin gespannt auf den nächsten Teil«
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Liebe Grüße
üpoi«