Das Seil 02
von Nadine Schnitzer
Abstand
Ich bin total geschafft. Diese Reiserei mit so viel Gepäck ist selbst für mich ungewohnt. Ich war fast 20 Stunden unterwegs, während der Zugfahrt zu schlafen, hat nicht wirklich funktioniert. Glücklicherweise war es wenigstens am Bahnhof kein Problem, ein Taxi aufzutreiben, dass mich raus, in den Speckgürtel der Metropole brachte. Nun bin ich hier, ein kleines Endhaus einer Reihenhaussiedlung hat meine Firma für mich angemietet, gemütlich möbliert, auf den ersten Blick ist alles da, was man so braucht. In der Garage soll der Firmenwagen stehen, damit ich flexibel unterwegs sein kann. Besondere Wünsche hatte ich diesbezüglich nicht geäußert, es ist mir relativ egal, was das für ein fahrbarer Untersatz ist, hoffentlich nicht zu protzig, das entspricht so gar nicht meinem Naturell. Den schaue ich mir morgen an, ich habe noch einen Tag Luft, bevor ich meine neue Stelle antrete.
Jetzt mag ich erstmal unter die Dusche und dann werde ich meinen Schatz anrufen, wir hatten ausgemacht, dass ich mich abends melde, sobald ich angekommen und einigermaßen entspannt bin, um ein längeres Gespräch zu führen.
Ich befördere meine Koffer in die obere Etage und hole nur das Nötigste aus dem grössten der drei "rollbaren Kleiderschränke", alles andere morgen in aller Ruhe. Nur ein Handtuch, frische Klamotten und meine Waschtasche, dann ziehe ich mich aus und schlendere nackig wie ich bin ins Bad. Es ist gemütlich, ich bin froh, dass man gestern alle Heizkörper aufdrehen liess, und ich das Haus nicht erst aufwärmen muss. Die Dusche ist exklusiv gross und hat einen riesigen Duschkopf "Regenwaldfeeling", denn man kann den Duschstrahl in zig Varianten auf sich niederprasseln lassen. Das ist so wohltuend und ich teste alles aus. Das letzte Mal habe ich mit meinem Schatz zusammen geduscht, das war auch besonders, und ich weiss noch genau, wie es sich angefühlt hat, als er mich mit Duschschaum einrieb und ich mit meinen Händen über seinen Körper strich. Wir landeten in meinem Hotelbett, und ehe er wusste, wie ihm geschah, sass ich auf seinem Gesicht. Von dieser Nacht werde ich noch träumen, wenn die Enkel ihre Kinder zur Übernachtung bei mir abgeben.
Das ist nun erstmal Geschichte, ich sollte versuchen, es nicht nur mit Wehmut zu sehen, eher als Ziel oder Vorstellung manifestieren, dass es wieder so sein wird, eines Tages, wenn meine Aufgabe hier getan ist. Leider weiss niemand so genau, wie lange das hier dauern wird. Von 1-2 Jahren war die Rede, das klingt überschaubar und machbar, wenn es dabei bleibt.
Er, inzwischen auch schon eine Weile unterwegs, wandert unterdessen als Projektleiter durch die Welt. Am Ende unserer Wanderjahre wollen wir uns vom Ersparten ein Haus kaufen und eine Schar Kinder gross ziehen. An diesem Punkt bleibt mein Gehirn immer stecken. Wir wollen erst die Karriere und dann die Kinder? Wie alt werden wir sein, bis es soweit ist? Eigentlich will ich JETZT meine Kinder! Hätte ich den ganzen Samen nur nicht so achtlos verschluckt. So schnell werde ich keinen mehr kriegen. Bumbum hatte für wohl die beste Idee - Samenraub!
Aber es ist trotzdem schwer für mich. Ich fühle mich wie vor Jahren, als ich mein Elternhaus verlassen musste, die Schulzeit war vorbei, irgendwas musste ja passieren und es ging in "die Welt". Was für ein Gefühl der Verlassenheit hat mich tagelang gequält, aber es ging mir nicht allein so. Alle Neuanfängerinnen waren genauso geplagt, und bekanntlich ist ja geteiltes Leid schon mal nur noch das halbe, in dem Fall ein Viertel, denn wir waren zu viert in einem Zimmer untergebracht, heutzutage eher undenkbar. Heute weiss man auch, dass derartiger Schmerz vergänglich ist, und doch muss man ihn aushalten in dem Moment, wo er da ist und einen in seinem Klammergriff hat.
So richtig aufgeweicht und durchgewärmt verlasse ich die Luxusdusche, gönne mir noch eine sanfte Ölmassage der Arme und Beine und schleiche in die Küche. Das ist ja lieb, man hat mir einen Obstkorb auf den Tisch gestellt und eine Flasche Rotwein, einen lieblichen, kein Fehler für eine einsame Frau. Ich mache sie auch gleich auf und lasse die Rollos herunter, auf eventuelle "Zaungäste" habe ich heute keine Lust mehr.
Ich mache mir eine dezente Musik im Radio an und mache es mir auf dem Sofa mit einer Wolldecke bequem. Ich hänge mein Handy gleich ans Netz, denn wenn ich ihn jetzt anrufe, könnte es länger werden, vielleicht will er mich sogar sehen? Dann brauch ich erst recht viel Strom... Mist, da muss ich nochmal aufstehen und mir den Zugang zum Internet einrichten.
Ja das ging einfach. Ich bin aufgeregt, wie vor einem "date". Ich zittere und habe einen Kloss im Hals. Soll ich ihn jetzt anrufen? Wartet er wirklich darauf oder ist er froh, sein bisheriges Leben ohne mich wieder aufnehmen zu können? Plötzlich überkommen mich unzählige Zweifel. Bin ich aufdringlich? Was, wenn es nicht funktioniert, was, wenn er nicht hört und später nicht zurückruft? Will ich mir diese Qual antun? Ja doch, das will ich, ich kann gar nicht anders. Mit pochendem Herzen rufe ich ihn aus der Favoritenliste heraus an, es dauert ein Stückchen, bis ein Klingeln zu hören ist. Bitte geh ran, denke ich, bitte.
Aber nichts, es meldet sich die mailbox und erschrocken lege ich auf. Cool bleiben, tief durchatmen, das hat nichts zu bedeuten. Vielleicht ist er auch gerade duschen oder abgelenkt oder sein Handy ist aus. Aber nein, wir hatten es doch ausgemacht, er muss doch damit rechnen, dass ich anrufe? Ich giesse mir ein zweites Glas ein und werde wieder ruhiger. Das hat nichts zu bedeuten, nach diesem unvergleichlichen Erlebnis gestern zwischen uns, kann ich ihm doch nicht völlig egal sein. Ich merke, wie sich meine Unsicherheit mehr und mehr breit macht und von Weitem winkt mich schon der ganz grosse Selbstzweifel in sein Jammertal, aber ich wehre mich. Ich weiss, dass es zwischen uns eine tiefe Verbindung gibt, ich weiss, dass es besonders ist. Jedenfalls war es das für mich und das soll es auch bleiben. Ich bin dankbar für das unglaubliche Erlebnis, das kann mir keiner mehr nehmen. Gerade als ich mich in die Küche begebe, um eventuell noch etwas zu essen, klingelt mein Handy. Ich überschlage mich beinahe und haste zum Sofa, wo ich mich schon eingerichtet hatte. Ja, er ist es - ich bin total aufgeregt. "Hi", stammle ich, "wie schön, dass Du anrufst, ich war schon verdammt
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Kommentare
Kommentare: 246
Ich warte auf jeden Fall auf den Besuch...«
Kommentare: 87
hoedur
Lüstern, herzklopfenverursachend, Liebe-voll...«