Das Vermächtnis von Cupido, Teil 2
von Eskobar
Marita und das Vermächtnis von Cupido
Teil 2 - Rache
Schon in den frühen Morgenstunden brannte auch am nächsten Tag die Sonne wieder auf die Stadt herab. Die Händler schwitzten an ihren Karren und Marktständen, alle anderen Menschen verließen ihre schützenden, schattigen Plätzchen nur, wenn es unumgänglich war. Selbst die Wachen vernachlässigten ihre Patrouillen und das bettelnde Volk blieb in seinen Vierteln, wo es sich in verlassenen Häusern verschanzte.
„Wo bist du denn gestern gewesen?“, fragte Enzo, als er Marita am Nachmittag begenete. „Wir haben nach dir gesucht. Ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Das ist süß von dir. Aber ich war nur in der Stadt unterwegs.“
„Die ganze Nacht?“
„Ich hatte mich verlaufen in den Hafenvierteln. Die Stadtwache hat dort Straßensperren errichtet. Ich war so erschöpft, deshalb habe ich mir für die Nacht ein anderes Quartier gesucht.“
Mit dieser Erklärung schien sich Enzo zufrieden zu geben – auch wenn Marita sich seit fünfzehn Jahren sich nirgendwo in dieser Stadt mehr verlaufen hatte – und er ging mit ihr über den Platz.
‚Er darf nie erfahren, wo ich gewesen bin und was ich getan habe. Ich könnte ihm niemals mehr in die Augen sehen.‘
„Konntest du was ergattern?“, fragte er seine Gefährtin.
„Nur ein paar Brotlaibe, vielleicht zwei Tage alt, und eine halbe Amphore Wein. Der ist allerdings vergoren.“
„Besser als nichts. Lass uns genießen, was wir haben.“
Das taten sie, denn als sie kurz vor Sonnenaufgang in die Stadt zurückgekehrt war, hatte sie tatsächlich noch diese Sachen gefunden, was allerdings zugegebenermaßen eher Zufall gewesen war. Als der Abend irgendwann anbrach, teilte Marita den Wein mit ihren Freunden. Bei dieser Hitze stieg er einem schnell zu Kopf, deshalb nahm jeder nur wenig, sodass er für möglichst viele reichte. Er schmeckte scheußlich, doch die Bettler feierten ihn wie einen edlen Tropfen.
„Ich finde es bemerkenswert, wie die Menschen Tag für Tag und Jahr um Jahr mit ihrem Leid umgehen können“, murmelte Marita.
„Die Stadt hat zwar keinen Platz für Bettler, Zigeuner und fahrendes Volk“, begann Bruno, „aber wenn man sich nur beklagt, wird es nicht besser. Diese Leute wissen um ihre Situation und sie machen das Beste daraus. Sie wissen, dass es jeder Zeit vorbei sein kann.“
Fürs Tanzen und Musizieren war es noch zu früh, aber Marita spürte bereits die gelöste Atmosphäre und die durch den Wein gehobene Laune. Zeitweise ließ sie sich davon anstecken, doch immer wieder musste sie daran denken, was sie in der Nacht zuvor getan hatte. Sie schämte sich dafür und fragte sich, ob eine der anderen Frauen auch so gehandelt hätte, wenn man sie gebeten hätte. Die dralle Jolanda vielleicht, die sich für eine Art Königin unter den Bettlern hielt? Die schöne Flavia, die so gut gebaut und ansehnlich, wie auch schüchtern war? Oder die blonde, offenherzige Mona, die schon das halbe Lager gevögelt hatte?
Marita hatte die Bürde auf sich genommen und doch war sie alles andere als zuversichtlich, dass es geklappt hatte. Vorher hatte sie das Ganze noch für eine gute Idee und richtige Chance gehalten, doch jetzt, wo sie dem Grafen gegenüber gestanden und ihr Leid geklagt hatte, war ihr Optimismus verflogen.
„HEEEEEY!!!“
Ein panischer Ruf schallte über den Platz. Alle wandten sich um. Rapida kam eine Gasse entlang gestürzt. Sie wirkte gehetzt und das Entsetzen stand auf ihrem Gesicht. Wild wedelte sie mit ihren Armen und rannte, so schnell sie ihre kleinen Beine tragen konnten.
„Lauft weg! Bringt euch in Sicherheit!“
„Was ist passiert?“, fragte Bruno und das kleine Mädchen blickte mit vor Angst geweiteten Augen in die Runde. „Es ist schrecklich! Die Steuereintreiber sind in der Stadt. Sie fordern alle ausstehenden Zahlungen ein und wer seine Schulden nicht begleichen kann, wird in Ketten gelegt. Sie stecken Tavernen und Marktkarren in Brand, versenken Fischerboote und schlagen die Frauen in den Straßen. Ich habe es gesehen. Und jetzt wollen sie hierher kommen; ich bin sofort losgerannt, als ich gehört hab, dass sie sich unser Viertel als nächstes vornehmen wollen.“
„Wir müssen fliehen“, entschied Marita sofort. Sie hätte fluchen können! Wie war sie nur auf den Gedanken gekommen, dass sie den Grafen mit irgendetwas hätte erpressen können.
„Versteckt euch in den Häusern und in den Kanälen“, rief Bruno über den Platz. „Die jungen Leute können versuchen, auf die Stadtmauer zu klettern. Lauft in die umliegenden Viertel…“
„Und verteilt euch!“, ergänzte Mona. „Wir dürfen uns nicht wie Vieh zusammentreiben lassen.“
Doch es war zu spät: Sie kamen bereits!
Mindestens ein Dutzend Männer kamen auf Pferden auf den Platz gestürmt, während die Bettler auseinander stoben. Die Reiter schlugen mit Peitschen und Dreschflegeln auf die Flüchtenden ein, machten keinen Unterschied zwischen Mann oder Frau, Jung oder Alt.
„Flieht!“, schrie Enzo. „Lauft in die engen Gassen. Sucht Schutz in den Häusern.“
Marita beobachtete mit Schrecken, wie der junge Filippo von einem muskulösen Reiter niedergeschlagen wurde und regungslos auf dem Boden liegen blieb. Jolanda wurde von einem grobschlächtigen Kerl geschnappt und in den Sattel gezerrt. Verängstigte Schreie und panische Rufe waren allgegenwärtig. Marita fühlte sich, wie im Auge eines Sturms: um sie herum tobte das Chaos, doch sie konnte sich nicht rühren. Am Himmel sah sie Rauchschwaden, die von Hafen und vom Marktplatz aufstiegen. Selbst als ein hünenhafter Mann auf pechschwarzem Pferd auf sie zugestürmt kam, war sie wie gelähmt. Er war nur noch wenige Meter entfernt, als sie sich gerade regen wollte, da sprang Enzo von einem Balkon und trat den Reiter aus dem Sattel. Er blieb bewusstlos auf einem Steinhaufen liegen, während sein Ross davon lief und Enzo Marita an die Hand nahm.
„Komm jetzt, wir müssen uns in Sicherheit bringen, du kannst hier nichts machen.“ Er zerrte sie zu einem Haus mit halb verschüttetem Kellerfenster, durch das er ihr in ein dunkles Gewölbe hinabzusteigen verhalf. Es war feucht und leer dort unten, jedoch angenehm kühl.
„Ganz still jetzt. Ich glaube nicht, dass sie uns hier suchen werden.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Lärm draußen nachließ, doch als sie sicher war, dass Conte Alfredos Leute abgezogen waren, ließ sich Marita nicht mehr von ihrem Freund zurückhalten. Sie musste einfach nachsehen, welche Schäden die Männer angerichtet hatten.
Auf dem Platz bot sich ein Bild des Schreckens. Mindestens drei Menschen waren einfach niedergeritten worden, einer lag unter den Trümmern einer eingestürzten Mauer, zwei Männer hatten tödliche Wunden durch die Schwerter der Wachleute erlitten. Kinder und Frauen knieten weinend neben den Toten. Dann erkannte Marita den alten Bruno, der in einer Lache seines eigenen Blutes lag, den Schrecken seiner letzten Momente noch auf dem Gesicht. Verzweifelt ließ sie sich auf dem Boden fallen und vergrub ihr Gesicht in den Händen…
‚Es ist meine Schuld. Ich habe den Grafen erzürnt. Ohne mich wäre er nie auf die Situation in der Stadt aufmerksam geworden. Er war sauer, dass ich Ansprüche gestellt habe. Wir konnte ich nur so blind sein? Wie konnte ich nur glauben, dass er aufrichtig sein könnte? Er hat mich benutzt und belogen… ich bin so naiv…‘
„Marita, Gott sei Dank, du bist am Leben.“
Bernardo kam auf sie zu gehumpelt. Auch er sah schwer mitgenommen aus, schmutzig, mit Schrammen übersät und mit einer tiefen Wunde, die er halb mit einem Tuch verbunden hatte.
„Es scheint so, als hätten viele nicht das Glück gehabt“, sagte sie tonlos und mit verheulten Augen. „Was ist mit dir passiert? Das sieht böse aus…“
„Ach, halb so schlimm… nur ein Schwertstreich. Ich bin ihnen noch mal entkommen…“
„Wie viele Opfer gibt es?“
„Die sechs, die du hier siehst… und noch eine in den Gassen. Tante Civina. Die anderen holen sie gerade.“
Marita seufzte resignierend. Civina war so etwas wie die gute Seele der Gemeinschaft gewesen. Immer hatte sie ein Lächeln auf den Lippen und ein aufmunterndes Wort für jeden übrig. Alle liebten sie, sie war eben wie eine nette Tante. Nun war also auch sie weg.
„Und wir vermissen noch einige, die in die engen Straßen geflohen sind. Außerdem hab ich gesehen, wie Mona und Jolanda von den Männern verschleppt wurden. Ich war leider nicht schnell genug…“
„Es ist nicht deine Schuld… Conte Alfredo hat uns verraten… er hat uns das Wenige genommen, was uns blieb.“
„Der Graf?... Aber wieso…?“
Marita winkte ab und atmete tief durch. „Hilf mir, Bernardo, trommel alle zusammen, die noch hier sind, auch die Trauernden. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Die Reihen der Bettler hatten sich merklich gelichtet, das konnte Marita auf den ersten Blick feststellen. Sie konnte Rapida entdecken, Bernardo und ihren Liebsten Enzo, auch ihre Freundin Flavia, aber es fehlen zu viele Gesichter, an die sie sich über Jahre gewöhnt hatte. Neben den Toten, die sie an die Mauer gelehnt hatten, und den beiden entführten Mädchen fehlten immer noch drei Leute, die in den Gassen vermisst wurden. Sie richtete ihre Worte an die so sehr dezimierte Gruppe: „Bitte, Freunde, verhaltet euch kurz ruhig. Ich weiß, dass das, was vorhin hier geschehen ist, ein schwerer Schlag für unsere Gemeinschaft war; auch ich trauere und werde den Toten meinen Respekt erweisen, aber zunächst muss ich euch etwas gestehen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Hinter diesem Angriff steckt Conte Alfredo. Er hat seine Männer in die Stadt geschickt. Es waren nicht die üblichen Wachleute der Stadt, sie trugen das Wappen des Grafen auf ihren Rüstungen.“
Ungläubiges Murmeln ging durch die Reihen. „Bist du dir sicher?“, wollte eine alte Frau wissen. „Aber warum sollte er das tun?“, fragte Bernardo. „Alfredo hat uns bisher immer in Ruhe gelassen.“
Marita beschwichtigte sie. Sie wartete, bis sich alle beruhigt hatten und wollte mit der Erklärung rausrücken. Denn sie kannte die Antwort; sie hatte sagen wollen: Ich war bei ihm und habe ihn über unsere Lage aufgeklärt, ich hab ihn gebeten, der Stadt zu helfen und damit seinen Zorn geschürt…
…doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, die Wahrheit zu sagen, zu groß war die Trauer und die Wut über den eben erlittenen Verlust, die Scham über die vergangene Nacht und ihre Naivität und die Rachelust gegenüber dem Grafen. Sie konnte jetzt nicht auch noch ihre Freunde enttäuschen, indem sie zugab, unüberlegt gehandelt und versagt zu haben. Stattdessen sagte sie: „Ich habe die Wachen belauscht, erst gestern Vormittag. Sie unterhielten sich über die Diebstähle, die in den letzten Wochen gravierend zugenommen haben und sie gaben uns Bettlern die Schuld dafür. Der Graf wolle uns loswerden, sagten sie, auch als Zeichen an die Bürger, dass etwas geschieht. ‚Säuberung‘ nannten sie es. Der Graf habe Angst, dass der Pöbel in den Gassen nach und nach die Führung übernehmen würde. Es sollten unnötig zu stopfende Mäuler losgeworden werden – so waren ihre Worte. Wie gesagt, ich habe das erst gestern während einer meiner Erkundungsgänge erfahren. Ich wusste nicht, dass sie ihren Angriff schon so bald geplant hatten, sonst hätte ich umgehend Alarm geschlagen, aber ich dachte, ich sollte mir erst einmal einen Plan überlegen, bevor ich alle in Panik versetze. Ich wollte das alles in Ruhe mit euch besprechen, doch die Wachen haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht…“
Ihre Stimme versiegte und Tränen rannen ihr wieder über die Wangen. Es war nur die halbe Wahrheit, doch Marita musste den Leuten die Augen so weit öffnen, dass sie die Gefahr sahen, jedoch nicht erkannten, dass sie sie alle ins Verderben gestürzt hatte.
„Mach dir keine Sorgen, mein Kind…“ Die alte Frau war an sie herangetreten und tätschelte sie sanft. „Es ist nicht deine Schuld… wir sind alle Opfer eines Hinterhalts.“
‚Ja… meines‘, dachte Marita. ‚Ich habe euch alle ans Messer geliefert. Meine Freunde. Meine Familie.‘
„Wie dem auch sei…“, sagte sie mit zitternder Stimme und versuchte, wieder Sicherheit auszustrahlen, „wir müssen schnellstens handeln und die Stadt verlassen.“
Wieder aufgeregtes Flüstern. Das wäre natürlich ein weiterer harter Schlag für die meisten der hier Versammelten. Sie müssten das Wenige, das sie haben, hinter sich lassen. Ihr bisheriges Leben aufgeben… wäre das für einige nicht vielleicht sogar besser?!
„Wir haben keine andere Wahl“, pflichtete Enzo ihr bei. „Wenn die Männer des Grafen wiederkommen, kann es jeden von uns erwischen. Vielleicht bleiben sie sogar, bis sie jeden getötet oder gefangengenommen haben. In den anderen Bettlervierteln sieht es mit Sicherheit genauso aus. Wir müssen fliehen, wenn wir leben wollen. Am besten noch heute Nacht.“
„Wo sollen wir denn hin?“, wollte der Musiker Carlo wissen. „Wir haben doch nichts, außer unserem kleinen Viertel.“
Marita nahm ihren Mut zusammen. „Ich weiß, dass es hart klingt, aber woanders ist es genauso gut. Viele von euch haben ihr halbes Leben hier verbracht, aber Orte wie diesen gibt es in jeder größeren Stadt. Mit dem Unterschied, dass es für uns überall sicherer ist, als hier. Tut euch in Gruppen zusammen, zieht nach Süden oder an die Küste, geht in Orte in der Umgebung. Fragt auf Höfen und Plantagen nach Arbeit. Taucht einfach für eine Weile unter. Wenn wir Glück haben, glätten sich die Wogen bereits im Herbst wieder und wir können zurück nach Napoli. Am dritten Tag nach dem ersten Regen in der Region werde ich wieder hier in Fuorigrotta auf unserem Hauptplatz sein.“
Die Menschen wussten darauf nichts zu entgegnen. Insgeheim wussten sie wohl alle, dass Marita Recht hatte, auch wenn nicht wenige resignierend wirkten. In der hinteren Reihe stand eine Frau, die in Tränen aufgelöst war und sich nicht rühren konnte, Mona ist ihre Tochter und ihr jüngerer Sohn ist einer von den Vermissten. Vielleicht hatte sie heute nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Heimat verloren. Zumindest für eine Zeit. Marita blickte in noch andere ratlose Gesichter, doch was immer hinter diesen vorgehen mochte, es war nicht von solchen Gewissensbissen und Selbstvorwürfen durchzogen, wie bei ihr. Niemand meldete sich zu Wort, auch wenn Marita spürte, dass sie am liebsten etwas sagen wollten. Vielleicht wollten sie auch einfach nur einen Ratschlag…
„Ich kann euch keine Befehle geben. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Ich kann euch nur sagen, was ich machen werde: Ich werde gehen. Noch bevor der Morgen anbricht. Ich werde aus der Stadt fliehen und mir den Weg zur Küste bahnen. Wer hier bleiben will, muss sich der Gefahr bewusst sein, getötet oder verschleppt zu werden.“
Ohne weitere Worte zog sie sich in ihren kleinen Unterschlupf zurück. Auf halbem Wege holte Enzo sie ein, während sich die restliche Gruppe langsam zerstreute.
„Du redest immer davon, dass DU gehen wirst. Aber was ist mir mit, Marita? Denkst du nicht, es wäre sicherer, wenn du noch jemanden bei dir hättest?“
„Ich kann auf mich selbst aufpassen, falls du das meinst… Du weißt, wie ich kämpfen kann.“
„Ich meinte eigentlich den Umstand, dass wir… naja, du und ich... zusammen…“ Er wirkte verlegen. „Ich will einfach nicht hier und jetzt von dir Abschied nehmen.“
Sie griff nach seinem Gesicht und küsste ihn sanft.
„Keine Angst, Enzo. Wir werden zusammen bleiben. Ich wollte in der Menge nicht unsere Zusammengehörigkeit preisgeben. Aber natürlich werden wir heute Nacht noch keinen Abschied nehmen.“
Wenigstens der letzte Satz entsprach der Wahrheit, denn sie verabschiedete sich nicht, als sie sich um Mitternacht aus ihrer Unterkunft stahl und die Stadt in Richtung der Hügel verließ.
Bis zum Morgengrauen war es wohl noch einige Stunden, doch Marita wollte trotzdem keine Zeit verlieren. Sie stand hinter einem Gebüsch zwischen zwei Bäumen, mit einer schwarzen Decke umschlungen, um mit der Dunkelheit zu verschwimmen. Die beiden Wachmänner waren in Sichtweite, doch da sie sich langsam bewegte, lautlos wie ein Schatten war, konnte sie unbemerkt durch das Tor zum Anwesen schlüpfen und am Zaun entlang schleichen, bis sie die Villa halb umrundet hatte.
So war ihr Plan und er ging auf, auch wenn einer der Wachleute den Weg hinab schritt und immer wieder prüfend seine Ampel hob. Scheinbar war sie doch nicht so leise, wie sie gedacht hatte, doch immerhin konnte sie sich quasi unsichtbar machen, sodass keiner der Männer sie entdeckte. Trotzdem kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich die Rückseite des Hauses erblickte. Im Arbeitszimmer des Grafen brannte noch Licht, ebenso in einem der Räume im Erdgeschoss. Marita lachte leise in sich hinein, als sie die hölzernen Gitter an den Wänden sah, an denen Weinranken empor wuchsen. Es würde eine Leichtigkeit für sie sein, an ihnen hochzuklettern, solches Geschick besaß sie ohne Frage. Behutsam und im Schutz der Bäume lief sie über das trockene Gras und presste sich schon wenige Sekunden später an die Hauswand. Sie hielt den Atem an, lauschte... scheinbar hatte sie keine Aufmerksam erregt. Geduckt schlich sie unter den Fenstern entlang, doch in das hell erleuchtete musste sie einen Blick wagen; vielleicht war Alfredo hier drin.
Was sie jedoch sah, verschlug ihr die Sprache:
Die junge Mona, die bei dem Überfall auf das Bettlerlager entführt wurde, vergnügte sich mit einem der Männer Alfredos. Hatte Marita noch in der ersten Sekunde, in der ihr dieses Schauspiel geboten wurde, gedacht, dass Mona für sexuelle Gefälligkeiten gegen ihren Willen herhalten musste, so erkannte sie sofort danach, dass das Mädchen genoss, was sie da tat. Schon im Lager war sie immer sehr offen mit ihrer Sexualität umgegangen, machte keinen Hehl daraus, mit anderen jungen Männern im Lager oder in der Stadt zu schlafen. Doch das hier...?
Der kräftige Wachmann kniete hinter ihr, hatte ihren festen, kleinen Hintern gepackt und stieß die heftig. Er trug noch seinen Helm und seinen Schwertgurt, scheinbar ihr zuliebe. Er wirkte wie ein Koloss, vielleicht aber auch nur, weil Mona so zierlich und schlank war und nur wenig über eineinhalb Meter maß. Sie warf ihren Kopf mit den strohblonden Haaren zurück und lächelte dem Mann zu, der sie so hemmungslos von hinten vögelte.
Marita hatte genug gesehen und wandte sich ab. Das musste sie erst mal verdauen. Okay, sollte Mona ihren Spaß haben, aber sie würde das Mädchen trotzdem befreien, schließlich war sie fast so etwas wie eine Familienangehörige. Zunächst einmal jedoch galt ihre Aufmerksamkeit dem Grafen.
Behände kraxelte sie an dem Weingitter empor, achtete strikt darauf, knarrende und knackende Geräusche zu vermeiden, bis sie schließlich an einem kleinen Vorsprung halt fand und sich auf diesen Zog. Ein Fenster an der Ecke des Hauses stand einen Spalt offen; das war ihr Ziel...
Im Inneren der Villa konnte Marita zunächst die Hand nicht vor Augen sehen, so dunkel war es plötzlich. Sie wusste nicht, in welcher Art Raum sie sich befand. Als sich ihre Augen jedoch allmählich an die Finsternis gewöhnt hatten, sah sie, dass es nichts weiter als eine Abstellkammer war. Vorsichtig schlich sie an Kisten voller Krimskrams, alten Möbeln und Gartengeräten vorbei und drückte die Tür, die nur angelehnt war, einen Zentimeter auf. Niemand war zu sehen oder zu hören und so wagte sie es, auf den Gang hinaus zu treten. Leise stahl sie sich durch die Dunkelheit, der weiche Teppich unter ihren Füßen unterstützte sie. Sie wusste, am Ende dieses Ganges war das Arbeitszimmer von Alfredo, in das er sie das letzte Mal gebracht hatte... sie hoffte, dass es nicht das Letzte war, was sie sehen würde. Mit einem kräftigen Ruck stieß sie die Tür auf.
Conte Alfredo saß hinter seinem Tisch über einige Dokumente gebeugt und blickte sofort auf. Er sah nicht erschrocken aus, doch für eine Sekunde breitete sich der Ausdruck der Überraschung auf seinem Gesicht aus. Als er begriff, wer hier hereingeplatzt war, lächelte er auf eine ebenso verschmitzte wie berechnende Weise.
„Ah... die junge... Händlerin.“ Er betonte das letzte Wort auf besondere Weise. „Wie ich sehe, ist meine Botschaft angekommen.“
Marita entgegnete nichts und funkelte ihren Gegenüber nur wütend an.
„Es tut mir leid, aber nachdem du mir deinen erquickenden Besuch abgestattet hattest, konnte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, euch Leute in den Armenvierteln länger leiden zu lassen.“
„Ihr habt sie umgebracht, Alfredo, habt sie niedergeritten und wie Vieh abgeschlachtet. Ist es das, was Ihr unter Gnade versteht?“
„Ein schneller Tod ist besser als ein Leben in Armut.“
„Ein Leben in Armut und Gemeinschaft ist besser als eines in Reichtum und Einsamkeit, doch ich kann mir vorstellen, dass Ihr das nie verstehen werdet.“
„Wo kommen denn diese Töne auf einmal her? Wer hat mich denn auf so dreiste Weise angebettelt?“
„Ich habe Euch einen Handel vorgeschlagen. Ihr habt etwas von mir bekommen!“
„Nicht mehr, als auch ein Metzgerbursche für ein paar Scheiben Salami bekommen würde. Glaub' bloß nicht, dass ich den Lebenswandel von euch Gassenhuren nicht kenne, mein Täubchen.“
„Habt Ihr deshalb meine Freundinnen entführt?“
„Die kleine Blonde dort unten, meinst du?“, erkundigte Alfredo sich unnötigerweise. „Sie bietet mir und meinen Männern ihren Körper, dafür bekommt sie Essen, was ist der Unterschied zum Leben auf den Straßen? Mit dem Unterschied, dass sie sich hier satt essen kann und obendrein ein Dach über dem Kopf hat?“
„Dafür verliert sie ihren Stolz. Das Einzige was viele meiner Leute noch haben. Schlimm genug, dass ich diesen für Euch opfern musste.“
Sie schrie fast und dachte jetzt erst daran, dass noch andere Männer im Haus waren und sie problemlos hören konnten.
Als er jedoch zur Antwort nur hämisch grinste, schweig auch sie und atmete schwer.
„Du könntest dich deiner Freundin anschließen, Täubchen“, schlug er vor. „Dir wird es an nichts fehlen. Es gibt jeden Tag Wein und Früchte, du bekommst feine Gewänder, kannst dich jeden Tag mit klarem Wasser waschen...“
Marita schlug die Augen nieder. Leise Tränen rannen ihr über die Wangen. Der Graf kam um seinen schweren Holztisch herum und stellte sich hinter sie.
„Armes Mädchen...“, flüsterte er. „Komm schon, ich werde dafür sorgen, dass du dich besser fühlst.“ Er nestelte an ihrem Kleid, streifte langsam die Träger ab und verschwand mit seinen klobigen Händen unter dem feinen Stoff. Unsanft streichelte er ihre Brüste, drückte sie zusammen und zwickte in ihre Brustwarzen. Marita keuchte auf.
„So ist es gut, meine Liebe“, flüsterte er. „Bleibe bei mir und dir wird es besser gehen denn je.“
Marita ließ sich in Alfredos Arme fallen und sich von ihm in sein Gemacht führen, das an das Arbeitszimmer angrenzte. Derselbe Raum wie das letzte Mal... nur dass sie damals erhobenen Hauptes voran schritt und nun wie eine Gebrochene von dem Grafen geführt wurde. Sie wusste, dass sie ihn nun endgültig um den Finger gewickelt hatte... ach wie einfach Männer doch waren.
Conte Alfredo bugsierte sie zum Bett und stieß sie ungeduldig darauf. Sie hörte, wie er bereits seinen Gürtel öffnete und merkte, wie sein massiger Körper sich kurz darauf neben ihr auf der Matratze niederließ. Sie drehte sich zu ihm und schmiegte sich schluchzend an seinen Hals. Hinter ihrem Rücken streifte er weiter ihr Kleid herunter, während seine andere Hand an ihren Oberschenkel entlang strich.
Oh nein... nicht gut... jetzt musste sie schnell handeln.
Sie ließ von ihm ab und entwand sich sanft aber geschickt seinem Griff. Sie drückte ihn auf den weichen Untergrund und küsste ihn kurz.
„Lasst mich machen, mein Graf“, hauchte sie, „dafür dass Ihr mir dieses großzügige Angebot gemacht habt...“ Er grinste lüstern, als sie über ihn stieg. Gott, es war so einfach. Er war Wachs in ihren Händen. Sie griff hinter sich und bekam schnell sein erigiertes Glied zu fassen. Ein wenig rückte sie ihren Unterleib zurecht und hatte sich kurz darauf direkt über ihm positioniert. Langsam ließ sie sich auf ihm nieder, während Alfredo genüsslich die Augen schloss und schwer ausatmete. Sie stützte sich auf seinem Brustkorb ab, während sie ihre Hüften langsam auf und ab bewegte. Er tastete wild nach ihren rosigen Brüsten, die in hypnotisierendem Rhythmus vor seinen Augen tanzten. Marita ließ ein glockenhelles Stöhnen verlauten, gefolgt von kehligem Raunen und begleitet von einem lüsternen Blick, der ihm verraten sollte, dass er heute Nacht alles von ihr haben könnte. Der Graf klatschte ihr mit seinen groben Händen auf den knackigen Hintern, was die Bettlerin mit einem weiteren Aufkeuchen quittierte. Sie setzte all ihre Fähigkeiten ein, um den Grafen einzulullen, spielte mit ihren Reizen, zog alle Register, die schon so manche Liebesnacht eines napolitanischen Jünglings zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Doch sich durfte sich nicht zu viel Zeit lassen; wenn sie so weitermachte, würde das zweifelhafte Vergnügen schneller vorbei sein, als Marita für möglich gehalten hätte... wobei sie ja ohnehin nicht vor hatte, diese Situation lange weilen zu lassen.
Die Brünette strich ihrem Liebhaber über die Brust und den Hals, bäumte sich auf ihm auf und ließ ihre Hüften lasziv kreisen. Sie beobachtete die Erregung in seinem Gesicht, bevor er seinen Kopf zurückwarf und seine Augen schloss.
Jetzt oder nie! Marita griff unter ihr Kleid und nach dem Kamm, der in ihrem Strumpfband steckte. Er lag wie ein Dolch in ihrer Hand, das gebrochene Ende frisch geschliffen. Ohne zu zögern rammte sie es dem Grafen in den Hals.
Augenblicklich spritzte eine kleine Fontäne dunkelroten Blutes hervor und Conte Alfredo röchelte, als er entsetzt die Augen aufriss und seine eben noch so anregende Gespielin anstarrte. Diese hatte sich in eine Furie verwandelt, die nur noch Ekel für den Grafen übrig hatte. Sein eben noch fester Griff an ihrem straffen Gesäß war abgeschwächt und sie schwang sich herunter von seinem massigen Körper und dem Bett. Der Graf schien mit den Worten zu ringen, doch außer gestammelten, abgehackten Silben kam nicht viel hervor.
„Du... Hu... re... ich... ver... ich... chhhr...“
Bei jedem Ton spritzte Blut aus seiner Wunde und seinem Mund. Ein letztes Mal versuchte er, sich aufzurichten und nach seiner Peinigerin zu greifen, doch sofort sackte er erschöpft zusammen. Marita beugte sich über ihn, nachdem sie sich wieder angekleidet hatte und genoss, wie das Leben aus Alfredo strömte. Sie spuckte ihm ins Gesicht, bevor er mit einem letzten gurgelnden Geräusch zur Seite kippte.
„Das war für Bruno und Filippo...“
Die Bettlerin durchsuchte den Nachtisch und den Sekretär im Bürozimmer, in der Hoffnung, Geld oder etwas anderes Wertvolles zu finden. In einem kleinen Beutel, den sie sich umband, befanden sich einige Münzen von geringem Wert, zudem fand sie einen kleinen Hammer und einen Brieföffner, was sie alles einsteckte. Ebenso das prunkvolle Amulett mit dem türkisblauen Stein, das auf dem Tisch lag. Das Symbol darauf sah fremdartig und etwas unheimlich aus, obwohl es nur zwei ineinander verschlungene Dreiecke und ein Auge zeigte. Doch vielleicht würde sie auf irgendeinem Markt einen guten Preis dafür bekommen. Sie ließ alles mitgehen, was ihr eventuell noch nützlich sein könnte und stahl sich auf leisen Sohlen aus dem Raum.
Im Erdgeschoss angekommen machte sie schnell den Raum aus, in dem sie vorhin Mona und den Wachmann gesehen hatte. Langsam öffnete sie die Tür. Das Bild hatte sich nicht groß verändert: der kräftige Mann hatte die junge Frau auf eine Anrichte gelegt und spreizte ihre Beine weit auseinander. Seine Lenden zuckten und sein muskulöser Körper war schweißnass. Marita konnte die hohen und abgehackten Lustbekundungen ihrer Freundin hören. Sie verlor keine Zeit; zwar stieß sie beim Hereinkommen einen kleinen Tisch mit einem Krug um, doch noch bevor dieser mit lautem Scheppern zu Boden fiel, hatte sie die Wache erreicht. Gerade als er sich verwirrt umblickte, rammte ihm die Brünette den Brieföffner in den Nacken. Mona schrie spitz auf, beherrschte sich jedoch augenblicklich wieder, als sie sah, wer ihr da zu Hilfe kam. Mit zwei weiteren Stichen in Herz und Lendengegend machte Marita den Mann komplett handlungsunfähig und stieß ihn zur Seite – was ob seines massigen Körpers immer noch schwer genug war.
„Marita, was machst du hier?“, sagte die Blonde atemlos.
„Mich an dem Grafen für das rächen, was er unserer Gemeinschaft angetan hat. Und dich retten, so ganz nebenbei...“
„Ich danke dir, Marita... ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.“
„Hast du deshalb die Beine für diesen Grobschlächter breit gemacht?“
„Was hätte ich tun sollen? Sie haben mich geschlagen und gedroht, mich bewusstlos zu prügeln, wenn ich ihnen nicht zu Diensten sein würde. Und sie haben mir als Belohnung versprochen, dass ich essen und trinken könnte, was ich wolle.“
„Du wärst nichts anderes gewesen, als eine bessere Lustsklavin.“
„Was bin ich denn auf den Straßen Napolis anderes?“
„Frei!“
Mona schwieg und schmiegte sich schluchzend an die Brust ihrer Freundin.
„Du hast jetzt keine Zeit zu weinen. Vielleicht haben die anderen Wachleute uns gehört. Wir müssen hier schleunigst raus. Flieh! Lauf zurück in die Stadt und versteck dich. Wenn sie dich suchen und zu dir aufschließen, halte dich abseits des Weges auf, in Wäldern oder an Bachläufen. Gehe nicht den direkten Weg nach Napoli und wenn sie dich doch schnappen, sag ihnen die Wahrheit. Dass du befreit wurdest und panisch geflohen bist. Sie würden es ohnehin nicht glauben, dass du es alleine aus der Villa geschafft hast.“
Die Blonde hörte aufmerksam zu, während sie sich ihr Kleidchen wieder anzog, doch dann hielt sie inne, als sie merkte, wie Marita sie entsetzt ansah.
„Was ist?“
„Mona! Wo ist Jolanda?“
Die Blonde wirkte kurz irritiert. „Ist sie nicht zurückgekommen?“
„Wie meinst du das? Sie wurde verschleppt, genau wie du.“
„Nein, sie konnte sich befreien. Sie wurde zunächst von einem der Männer aufs Pferd gezogen, doch dann irgendwann... ich weiß es nicht mehr genau, es ging alles so schnell... aber Jolanda konnte sich losreißen, da bin ich mir sicher. Es war in vollem Galopp... aber da waren wir noch innerhalb der Stadtgrenzen, also dachte ich, dass sie zu euch zurück geflüchtet wäre. Ich konnte sie nicht mehr sehen... wie gesagt, es ging so schnell...“
„Aber hier hast du sie keinesfalls gesehen?“
„Nein, ich bin sicher, dass sie nicht hier ist. Die Männer wären nicht noch einmal umgekehrt, um sie zu suchen.“
„Dann lass uns verschwinden!“
„Wie kommen wir von dem Grundstück weg?“
„Es ist nicht besonders gut bewacht. Wir sind doch geübt darin, im Verborgenen zu bleiben. Komm.“
Marita nahm sie bei der Hand und die beiden Frauen verließen das Anwesen durch das Fenster. Auf dem Gartengelände hielten sie sich zwischen den Bäumen auf, bis sie sicher waren, die Route des Wachmannes zu kennen, der am Tor auf und ab ging. Ein Glück, dass Conte Alfredo so nachlässig mit der Aufstellung der Wache war. Die beiden Frauen schlüpften unbemerkt durch den Eingang und schlichen durch das Gestrüpp den Hügel hinab. Noch hatte scheinbar niemand etwas bemerkt, doch als sie fast den Fuß des Hügels erreicht hatten, hörten sie aufgeregte Schreie und das Bellen von Hunden aus Richtung der Villa.
„Das ist das Startsignal. Lauf! Lauf so schnell und so lange, wie du kannst! Wir werden uns wiedersehen, versprochen!“
„Ich danke dir, Marita“, sagte Mona und umarmte ihre Freundin ein letztes Mal, bevor sich die Frauen trennten.
Marita rannte, so schnell ihre Beine sie trugen, nach Westen, während sie sich immer wieder umsah und beobachten konnte, wie sich flackernde Lichter den Hügel hinab bewegten...
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