Der Abspritzcontest Teil 3
von andrelmanja
Der Abspritzcontest Teil 3
© by andrelmanja
TUTTELSAU UND HUTZELMÄNNLEIN
„Wow!“
Schlagartig hatte Anne ihre schmerzenden Zehen offensichtlich vergessen, so fasziniert war sie von dem Geschehen in der Manege. „Das ist echt deine Freundin“, zwitscherte sie voller Enthusiasmus, wobei sich ihre Stimme fast überschlug, „und schau' mal … wie … die tanzt … puhhh! ...“
„Ja, puh!“ Nicht, dass mich Anjas heißer Tanz mit dem tansanischen Löwen, der unmöglich Jürgen sein konnte, nicht auch in den Bann gezogen hätte, doch für den Moment galt meine nicht ganz ungeteilte Aufmerksamkeit eher den beiden Uniformierten am Eingangsportal unseres Oberrangs. Das Johlen und Kreischen des in unmittelbarer Nähe sitzenden Publikums war zweifellos den Schutzmännern gewidmet … und sicher auch dem betrügerischen Gaukler und Jongleur, der zunächst einen halben Meter vor den jungen Polizisten gestanden hatte, sich aber angesichts des überwältigenden Empfangs rasch um einen ganzen Meter zurückzog.
„Feige Ratte!“, dachte ich - nein, sagte ich, denn meine neue Nachbarin zur Linken, lediglich mit einem reichlich knappen, pinkfarbenen Bikini bekleidet - der sich kaum von der Farbe ihrer von etlichen erfolglosen Diäten gezeichneten Haut abhob, und dessen Säume ihre aktuell geballte Fleischeskraft nicht so recht halten konnten - reagierte prompt. „D..d...die, die, die … wollen, f..f..., die feigen ... die suchen was“, säuselte sie mir bestätigend zu, wobei mich ihr Atem fast umgehauen hätte. Mindestens Apfelkorn, wenn nicht sogar Wodka, oder beides, oder noch was ganz anderes.
„Na klar“, antwortete ich lapidar, ohne mir der Folgen meiner Aussage bewusst zu sein, „die Bullen suchen immer was oder wen.“
„Die feigen Sch... Schhhh, Schweine!“, stammelte meine neue Nachbarin und klatschte mir dabei mit ihrer Rechten derart heftig auf die Schulter, dass ich für einen Moment um die Festigkeit meines Schlüsselbeins fürchten musste. „Sch… Schhhh, Schwester, wir verstehn uns!“
Ich ließ sie in diesem Glauben, hatte dabei erhebliche Mühe, eine gefühlte Tonne Lebendgewicht auf den Beinen zu halten. Doch mein Sinn für abwendbare Gefahren jeglicher Art verlieh mir fast übermenschliche Körperkräfte.
Keine Frage, hinter wem die von diesem schmierigen Gaukler geblendete Ordnungsmacht her war – Körperverletzung, mindestens einfache, wenn nicht vorsätzliche. Wir könnten allerdings auf Notwehr plädieren. Denn der Kerl war doch offensichtlich ein Betrüger.
„Verflucht, Anne, so hilf mir doch!!“ Allmählich konnte ich die, in meinen Armen wie Flönz in der heißen Pfanne aufgehende, neue Schwester kaum noch halten.
Doch Anne machte keinerlei Anstalten mir zu helfen. Stieß mir stattdessen in ihrer ungestümen, kindlichen Euphorie den Ellenbogen in die Flanke: „Mensch, Andrea … sieh' nur … jetzt, jetzt, jeeetzt … wow, jetzt hat er auch noch ihr Höschen ...“
Sah denn Anne gar nicht, in welch verzweifelter Lage ich mich gerade befand, und – ja – sie doch auch?
„He, Anne, die Bullen sind hinter dir her!“
Doch meine Freundin ließ sich nicht beirren. „Ach was, Bullen. Leoparden! Sieh doch mal!“
Ein zweiter Knuff in die Nierengegend ließ endgültig meine Kräfte schwinden. Ich konnte die ausgelassene Flönz nicht mehr halten, wie ein nasser Sack glitt sie an mir herunter, klammerte sich an meinem linken Bein fest, stöhnte laut auf.
„Oh, Pedro mein Sch... Schhhh, Schöpfer, w... was hast du für einen geilen Sch... Schhhh, Schwanz! Brunz' dein M... Mmm... Miststück voll, du geiler Hengst, du Sau! Zeig's dddeiner Sch... Schhhh, Schlampe!“
Als wäre das alles noch nicht genug gewesen, spürte ich auch noch ihre sabbernde Zunge auf meinem Knie. Uaah, wie eklig.
Weil ich angestrengt darüber nachdachte, wie lange meine letzte Impfung gegen Tetanus und Tollwut zurücklag, begriff ich zunächst gar nicht, was ich auf dem Videowürfel sah. Doch kein Zweifel, der auf vier Quadratmeter vergrößerte Leopardentanga konnte keiner anderen gehören als meiner Freundin Anja, deren zwischen verklärt und ekstatisch verzückt wirkender Blick als Nächstes in Großaufnahme eingeblendet wurde.
Mein Gott, Anja, du sollst doch schreiben …
Das breit grinsende Gesicht des afrikanischen Tänzers, der sich Anjas Leopardentanga als Trophäe auf den Kopf gesetzt hatte, war das dritte Bild. Arme Anja.
Allerdings: Das zweite Bild hatte mir nicht gerade den Eindruck vermittelt, dass ich mit meiner liebsten Kollegin mitleiden müsste – im Gegenteil. Während die besoffene Dicke, ich nenn' sie einfach mal Helga, obwohl ich ihren richtigen Namen nie erfahren habe, immer noch mein Knie nach der Art einer hingebungsvollen Anbläserin schleckte, redete ich mir Anjas Verzückung mit „praktischen Recherchen“ schön.
Die fundierte Recherche ist ja auch mein Metier, wobei mir durchaus heute noch bewusst ist, dass ich viel zu lange nur am Schreibtisch gesessen hatte. Solch ein Selbstversuch hat schon was! - Sei es mein Kollege Elmar Awei, der mit seiner Undercover-Mission gänzlich neue Welten des – jepp – in gewisser Weise investigativen Journalismus` aufstieß, oder meine tanzgeile Freundin und Kollegin, die sich bei der Grundlagenrecherche zu ihrem neuen Roman ganz offensichtlich dazu hinreißen ließ, der Faszination ihrer Fantasie einen realen Entwurf voranzusetzen. Kein Zweifel: Hegel'sche Philosophie! These, Antithese – Synthese.
Mein synthetisches Produkt sabberte gerade mein Knie voll, während sich die Antithese vollends ihrem rauschhaften Vergnügen hingab und sich von dem – zugegeben – sehr attraktiven, wilden afrikanischen Löwen durch die Lüfte wirbeln ließ. Allerdings war mir neu, dass Hegel von einer zweiten Antithese gesprochen hätte, doch die stand, hüpfte, johlte hinter meinem Rücken, versetzte mir in ihrer, sicherlich unbedachten, kindlich-euphorischen Emotion schmerzhafte Stöße in meine Flanken.
Nein, nein, mein lieber Georg Wilhelm Friedrich Hegel, irgendwie ist mir in Ihrem dialektischen Modell die These abhanden gekommen.
„Die These ist in sich selbst unvollständig und fordert so eine Verneinung – die Antithese. Diesen Konflikt löst die Synthese.“
So hatte es der Gute wohl gesagt, für den Moment tröstete ich mich damit, dass letztlich die Liebe Ausgangspunkt seiner philosophischen Betrachtungen war. „Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm – und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen.“
Vielleicht hatte Hegel doch recht.
Ich jedenfalls war vollkommen fassungslos. Die synthetische Helga lag mittlerweile wie ein zum Grillen auf den Rost geplättetes Spanferkel zu meinen Füßen, brabbelte irgendwas von „Brunzen“ und „Tuttelsau“, aber im Wesentlichen nicht mehr zu verstehendes Zeug.
Anne ignorierte beharrlich meine verzweifelten Hilferufe, und die beiden Polizisten bahnten sich mit höchst fragwürdigem Körpereinsatz den Weg durch die johlende, grapschende Weibermeute – näherten sich uns unaufhaltsam, offensichtlich zu allem entschlossen. Den Gaukler hatten sie wohl verloren, wahrscheinlich hatte sich der Kerl verpisst, sah ihm ähnlich, dieser feigen Ratte.
Behutsam zog ich meinen rechten Fuß, auf den die synthetische Helga ihre durch hektische Schnappatmung etwas aus der Fasson geratene, pulsierende Wange gebettet hatte, zurück. Aus Sorge, dass mir die selbsternannte Schlampe und Tuttelsau zur Krönung des Ganzen auch noch auf die Zehen kotzen könnte.
Und dann – die reichlich zerzausten Polizisten, die es aufgegeben hatten, immer wieder den korrekten Sitz ihrer Uniformen aufs Neue zu richten, waren fast bei uns – geschah das Hegel'sche Wunder, das nicht zu fassende Wunder der Liebe. Anne fasste meine Hand. Drückte sie zunächst etwas zu fest, dann aber zart, zärtlich rieb sie mit dem Daumen meinen Handrücken. Ich wölbte meine Schultern, spürte ihren Körper, fühlte die Ströme der vertrauten Wärme, die mir die Sicherheit gaben, den beiden arg gerupften Ordnungshütern mit dem in dieser Situation gebotenen Selbstvertrauen entgegenzutreten.
„Gegen Sie liegt eine Anzeige vor“, sagte der Erste, vermutlich der ältere der beiden, „wegen vorsätzlicher Körperverletzung.“
„Ja“, ergänzte der Zweite, „Sie haben einen der Schausteller vorsätzlich und ohne Grund verletzt … sind das die beiden, Herr … Westenquäl ...er?“
Er löste seinen strengen, angestrengt wirkenden Blick von uns, schaute, um Bestätigung heischend, nach hinten ... aber da war niemand.
„Das muss ein Missverständnis sein!“ Schamlos nutzte ich die Irritation aus.
„Ja, ein Missvers(t)ändnis“, krähte Anne von hinten in ihrem einzigartigen Hols(t)einer Tonfall, und dabei drückte sie meine Hand ganz fest.
„Aber ...“, stammelte der zweite der zunehmend verunsichert wirkenden Polizisten, „wo ist …?“
Dass nicht nur Anne, sondern vor allem die synthetische Helga mir unverhofft in die Karten spielen würde, war nicht zu erwarten gewesen, vielleicht eine eher glückliche Wendung des Schicksals - ihr angesichts des allgemeinen Freudentaumels über das Geschehen in der Manege kaum zu vernehmender, aber dennoch verständlicher Hinweis: „F... fick mich, du S... SS.., Sau, isch, ich … t... tr... tret' d... dir in d. ddie Eier, d. dd... du Betr... betrun..., kkk..., Betrüger!“
Und damit war sie auch schon wieder dahin geschlummert, lag erneut im Koma und hielt dabei meine Fesseln so krampfartig umfasst, als sollte ich mit meinen zarten Beinen eine bleiern schwere Ertrinkende vor dem endgültigen Untergang retten.
„Sie kann nichts dafür“, wandte ich mich der verdutzt dreinschauenden Staatsgewalt zu, „die Ärmste braucht dringend ärztliche ...“
Dass mein Hilferuf um medizinischen Beistand von einem aus tausend Kehlen hervorgestoßenen „Autsch!!“ jäh unterbrochen wurde, irritierte mich zunächst, doch dann gab mir ein flüchtiger Blick auf den Videowürfel die schreckliche Gewissheit: Die wie in Trance zu ihrem Platz wankende Anja hatte wohl einen der vielen Stützpfeiler innerhalb der Arena übersehen … Puh, das musste weh getan haben …
„Ups“, zwitscherte Anne, „jetzt tanzen die S(t)erne.“
„Hilflose Person, Oberrang 3, Sektor 5, Tor 9“, trompetete einer der beiden Polizisten, die kurz zuvor ebenfalls unisono mit der fiebernden Weibermeute erschrocken „Autsch“ gerufen hatten, in sein Walky Talky. Ganz offensichtlich meinte er Hegels Helga, die alle viere weit von sich gestreckt hatte und nicht mal mehr zuckte, geschweige dass sie auch nur einen Laut von sich gab.
Ich konnte mich der Bitte der beiden Polizisten, die hilflose Person in eine stabile Seitenlage zu bringen, nicht versagen, war jedoch auch ein bisschen missmutig, denn mein eigentliches Mitgefühl galt gerade meiner Freundin und Kollegin Anja, deren weiterer Leidensweg mir nach dem unbeabsichtigten Zusammenstoß mit den Säulen des Arena-Himmels verborgen blieb.
Dass gerade unsere jungen Kölner Polizisten sich in Erster Hilfe mit einem derart mangelhaften Ausbildungsstand selbst bloßstellen würden – hm! Das würde ich in einer meiner nächsten Kolumnen sicherlich thematisieren müssen. - Vielleicht mit einem Hauch Verständnis, denn die Alte war wirklich schwerer als der dickste Elefant aus dem Kölner Zoo.
Während ich zu Protokoll gab, dass ich aufgrund von Helgas Schilderungen einen gewissen Pedro für den Drahtzieher dieses unsäglichen Missverständnisses hielt, schleppten gleich vier stämmige Rotkreuzhelfer die mit der Tuttelsau allzu üppig belegte Trage aus der Halle.
„Ob sie wirklich Helga Hegel heißt“, korrigierte ich meine Aussage gegenüber den beiden Polizisten, „weiß ich leider nicht, und ob es diesen Pedro wirklich gibt … kann ich auch nicht sagen, sie hat mein Knie Pedro genannt ...“ Als Beweis streckte ich mein rechtes Bein vor, das beim Anwinkeln leicht spannte – Helgas klebrige Spucke war inzwischen eingetrocknet und ich sehnte mich nach einer ausgiebigen Dusche – Contest hin oder her.
„Hihi“, mischte sich Anne albern kichernd ein, „dieser Pedro ist bestimmt auch nur so ein Hirnges(p)inst.“ Und dann fiel sie mir vollends in den Rücken: „Sie müssen wissen, dass meine Freundin heute nicht zum ersten Mal Ges(t)alten sieht, die es gar nicht gibt.“
Während ich drauf und dran war, meiner Liebsten die Augen auszukratzen, riss der Protokoll führende Polizist das gerade begonnene Blatt von seinem Block und zerknüllte es vor unseren Augen. „So hat das keinen Sinn“, stellte er sichtlich entnervt fest.
Sein Kollege, dem ein paar äußerst aufdringliche Trophäenjägerinnen neben der Krawatte mittlerweile auch beide Schulterklappen entfernt hatten, pflichtete ihm bei. „Ja, lass' uns abhauen. Diese Weiber haben doch alle einen an der Klatsche. Nix wie weg!“
Während sich die beiden den Weg durch die pfeifende, kreischende und ungeniert nach allen möglichen Insignien staatlicher Macht grapschenden Meute zurück zum Ausgang bahnten, hatte ich mit meiner Liebsten ein Hühnchen zu rupfen. „Sag mal, spinnst du eigentlich?“
„Wieso sollte ich s(p)innen“, mimte Anne mit unschuldigem Blick die Ahnungslose, „ich hab' uns doch gerettet ...“
„Wie bitte?!“
„Na, ist doch ganz einfach. Also, die Bullen halten uns alle für verrückt, s(t)immts?“
Puh, das klang schon im Ansatz nach einem ihrer berühmten Lehrvorträge. Ich wollte es möglichst kurz halten. „Und?!“
„Nix und. Das ist Logik!“
„Was soll daran logisch sein?“ Ich bemühte mich, besonders genervt zu wirken, hielt gleichzeitig aber immer mal wieder Ausschau nach Anja, von der jedoch weit und breit nichts zu sehen war.
Anne setzte die in zunehmend dozierendem Tonfall vorgetragene Auslegung ihres Logik-Verständnisses fort: „Die Tatsache, dass zwei einsame Polizisten 14.000 Frauen für verrückt halten, ist an und für sich noch nicht logisch … kannst du mir noch folgen?“
„Nein.“
„Das dachte ich mir!“ - Hörte ich da etwas Triumphierendes im Klang ihrer Stimme? Wäre ich in diesem Augenblick Rotkreuzhelferin gewesen, hätte ich meine Liebste im Katastrophenfall glatt aus der Rettungskette ausgeschlossen. Doch sie ließ sich nicht beirren: „Also, da du nix vers(t)ehst, muss ich mich kurz fassen ...“
„... Na endlich!“
„He, du könntest mir echt dankbar sein.“
Also doch: Ich litt unter akuten Wahrnehmungsstörungen. Nicht Anja hatte den Pfeiler gebumst, sondern Anne. Und zwar kräftig. Von mir aus auch umgekehrt, denn so ein Betonphallus gehört da einfach nicht hin. Klarer Konstruktionsfehler, aber nicht weiter verwunderlich, denn jeder weiß ja, wie schlampig die Kölner Bauaufsicht arbeitet.
Es gab keinen Zweifel. Schadensbegrenzung war angesagt: „Ja, Schatz, das hast du großartig gemacht.“
„Jetzt überzieh' mich auch noch mit S(p)ott, nur weil du meine Taktik nicht vers(t)anden hast!“
Ich hätte ihr die Augen auskratzen können, besann mich aber stattdessen auf die Ideale meiner humanistischen Bildung, die Gewalt jeglicher Art verbieten. - Ha, das war's: „Wer hat denn diesem Arschloch in die Eier getreten?! Du oder ich?“ - Wow, das saß. Dachte ich.
„Die Tat ist nicht Gegens(t)and unserer Diskussion“, konterte Anne souverän, „sondern mein Vers(t)and ...“
„… An dem hab' ich bis gerade selten gezweifelt, also komm' jetzt endlich zum Punkt!“ Die giftigen Blicke, die unsere unmittelbaren Nachbarinnen gegen uns richteten, zwangen mich zu der Vorsichtsmaßnahme, unsere zunehmend lauter werdende – „Diskussion“, wie es Anne nannte – möglichst rasch zu beenden. In Erwartung einer gewaltigen Pointe schaute ich sie herausfordernd an: „Und?“
„Na ja ...“ Auch Anne hatte bemerkt, dass der Groll unserer Nachbarinnen unmittelbar davor stand, sich in verbalen Entgleisungen uns gegenüber zu entladen. Sie dämpfte ihre Stimme. „Nein, Liebste, was ich dir sagen wollte: Meine Taktik bes(t)and darin, die beiden feschen Schutzmänner ...“
„Holla!“
„... nein, nicht was du wieder denkst … jedenfalls, die beiden Bullen davon zu überzeugen, dass wir alle verrückt sind. Und Verrückte werden nun mal nicht s(t)rafverfolgt, beim Nachhauseweg werden sich die beiden Herren - ist das neutral genug? - sogar gedacht haben, ob sie nicht selbst verrückt sind. Natürlich tun sie mir leid, aber ich musste so handeln, sonst hätten sie am Ende noch dich verhaftet. - Du solltest mir wirklich dankbar sein, aber das war Grundkurs Psychologie, Erstsemester, wahlweise RTL II, aber davon
vers(t)ehst du natürlich nichts.“
In mir brodelte es, scheiß auf die humanistische Bildung, da gab es definitiv nur noch eine Lösung: Augen auskratzen!
Aber die schauten mich nach dieser finalen Unverfrorenheit so lieb, so schelmisch blinzelnd und damit so vertraut an, dass ich diesen unerfreulichen Disput nicht weiter fortsetzen konnte. Und auch nicht wollte.
„Arrogante Ziege!“ Das mochte ich mir dennoch nicht verkneifen - der in dieser Situation brutalst mögliche Akt verbaler Gewalt - ehe wir uns in der Gewissheit und auf den unwidersprochen kleinsten Nenner der Liebe vereint, mal wieder gemeinsam eine heikle Situation gemeistert zu haben, zärtlich in die Arme schlossen.
„Sag' mal“, wisperte Anne, deren zärtliches Knabbern an meinem Ohr ganz andere, wesentlich erfreulichere Gewalten in mir auslöste, „was sollte das eigentlich bedeuten, mit diesem Peter?“
„Pedro“, korrigierte ich, „Pedro, mein Schatz.“
„Na und? Schietegol, dann eben Pedro. Die alte Vettel hatte aber doch voll einen an der S(p)ritztüte. Sowas gehört doch weggeschlossen ...“
„Nee“, säuselte ich zurück, „davon verstehst DU ausnahmsweise mal nichts, denn Pedro ist Kult.“
„Ach?!“
„A rolling Thunder, a pouring Rain ...“ - Die Höllenglocken und die zuckenden Blitze im weiten, unvermittelt abgedunkelten Rund der plötzlich mucksmäuschenstillen Arena bewahrten uns vor weiteren unerfreulichen Dialogen. Der Abspritzcontest sah seinem Finale entgegen, doch ich ertappte mich dabei, dass meine Linke, wie von fernen Mächten gesteuert, Annes Scham umklammerte, genoss es für den Moment, dass mein Mittelfinger eintauchte in den warmen, feuchten Quell ihrer Lust, löste die Rechte von ihrer Schulter, um … auch … mich …
„Hells Beeells!“ - Diese blöden Australier in ihren komischen Schuluniformen raubten mir echt den Verstand …
„Ladies und Ladies!“ - Das kam zweifellos nicht von AC/DC, warum hätten die auch einen Stadionsprecher mit einer derart unerotischen Stimme als Leadsänger engagieren sollen?
„Heeells Beeeeeels“ - „Ladies und Ladies“ - Gleich zwei Finger meiner Rechten bahnten sich brutal ihren Weg durch meine – unverständlicherweise – noch reichlich trockenen, ungeschmeidigen Lippen, während die in schleimiger Nässe versinkende Linke meinem Kleinhirn suggerierte … Oh, der Daumen meiner rechten Hand … meine Klit … völlig unbeeindruckt von meiner mentalen Verwirrung … ich war gerade dabei, mich wundzuscheuern … vollkommen vom Irrsinn unmöglicher Lust überwältigt …
„Ladies und Ladies. Erleben Sie live das Finale der größten Wichser aller Zeiten, fiebern Sie ...“
„Ich muss mal.“
Jetzt war es vorbei.
„Schatz, ich muss mal, ich kann nicht.“
„Waaas kannst du n... nn...i nicht?“ - Ich war wie von Sinnen, zog meine triefende Linke zurück, rieb, rubbelte mit den klatschnassen Fingern meine sich zunehmend verkrampfende Spalte … „H, h... hee, ww… waaas kannst du nicht?!“
„Ich muss mal.“
Es war endgültig vorbei.
(Randbemerkung: Das Originalzitat von Thommy Lee Jones gegenüber Harrison Ford in „Auf der Flucht“ lautet: Es ist vorbei! Allerdings – off topic – hätte mich Augenblicke zuvor selbst Dr. Richard Kimble bis zur Besinnungslosigkeit vögeln können …)
„Verfluchte Scheiße!!“
„Es tut mir leid, aber ich kann's kaum noch aushalten. Du hast mit deinen Fingern meine Blase so ...“
„Das wollte ich nicht.“
„Ich weiß, aber ich kann's kaum noch aushalten, komm' bitte mit.“
Musste ich jetzt Einsicht zeigen? Ich bin heute noch ratlos, je mehr ich darüber nachdenke. Okay, Freundinnen gehen nie alleine zur Toilette, erst recht nicht bei Großveranstaltungen dieser Art. Doch ich war stur, wollte meinen Kollegen Elmar Awei beim Contest siegen sehen … „Nein, ich bleibe hier!“
„He, s(p)innst du?! Willst du mich den Schergen des Unrechts ausliefern? S(t)ell' dir vor, die s(t)ehen am Eingang …“
„Nach deiner Diktion kann da doch keiner mehr … s(t)eeheen ...“
„Du bist voll gemein, mich auch noch nachzuäffen, dabei habe ich solche Not.“
Puh, das saß. Als ob ich meine Liebste jemals im Stich lassen würde. Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie der Erste der Spritzkünstler sein Sekret in den Sand setzte, doch dann war ich es, die meine Freundin zwischen den johlenden, „Halver Hahn“ skandierenden Weibern Richtung Ausgang 9, Oberrang 3, Sektor 5 zog.
Wie gerne hätte ich den finalen Schuss meines Kollegen noch gesehen, wobei ich bis heute nicht verstehe, warum ihm das von mir so heiß und innig geliebte Muttermal auf seinem Po damals so peinlich war. Na ja, typisch Mann. Ihr erkennt ihn an seinen Malen, die ihr geliebt habt, und ihr werdet ihn daran erkennen, wenn er euch, wie es seiner Art entspricht, ein ums andere Mal betrügt … Welch' verpeilte Feministin hatte nun wieder diesen Spruch geprägt, der im Moment mein Hirn zu verwirren imstande war?
Hatte selbst ich nicht eben noch mit Harrison Ford …?
„Komm' schnell, sonst piss' ich mir auf die Schenkel!“
Willenlos ließ ich mich von meiner Liebsten zur Toilette zerren.
Nun, ganz so eilig konnte es gar nicht gewesen sein, denn sie hatte noch genügend Muße, mindestens drei Sagrotantücher zu verschwenden.
Ich, zum Beispiel, sitze nie auf fremden Brillen, sondern hocke mit gebührendem Abstand. Im Stehen geht ja leider nicht – obwohl – einige hatten offensichtlich auch das versucht … insofern war Annes Hygiene-Attacke durchaus gerechtfertigt, selbst wenn ihr süßer Po mindestens den gleichen Abstand wahrte, wie es der meinige getan hätte.
„Ich könnte ja hintenüber s(t)ürzen, so wie du mich anschaust ...“
Ich schwieg, während ihr Strahl derart heftig ins Becken prasselte, dass ich nur voller Achtung staunen konnte, wie sehr sie ihren Blasenschließmuskel zuvor im Griff gehabt hatte.
„Jetzt glotz' nicht, gib' mir lieber Papier!“
Wortlos kramte ich zwei Tempos aus ihrer Handtasche, und dazu einen frischen Tampon. „Du musst doch sicher wechseln.“
Statt ihn zu nehmen, schob sie meine Hand sanft aber energisch zur Seite. „Du kennst deine eigene Geliebte nicht mehr … das eben hat dir wohl vollends den Vers(t)and geraubt!“
„Nein“, setzte sie ihren Vortrag nach einer kurzen Belehrung, dass mein Opel Corsa B von 1996 einen grundsätzlich intelligenteren Gesichtsausdruck hätte als ich in diesem Moment, fort, „es ist vorbei, war es schon gestern, aber in diesem Tumult hier wollte ich ganz sicher sein.“
„Anne, weißt du was?“, erwiderte ich kleinlaut, „wenn das alles hier vorbei ist, dann brauchen wir – glaube ich – erst mal zwei Wochen Urlaub, das ist doch alles nicht mehr normal.“
„Ich finde das Ganze sehr amüsant“, grinste Anne, während sie ihre Arme um meine Schultern schlang, um sich daran hochzuziehen, „du etwa nicht?“
„Doch, schon … aber jetzt haben wir vermutlich verpasst, wie Elmar ...“
„Gräm' dich nicht, meine Liebste, das ist doch eh alles abgekartet.“
„Wie meinst du das?“
„Wie ich es sage. - Schade, dass du mich für so naiv hältst, aber ich weiß, dass dieses schottische Monster ...“
„Long tall John ...“
„Genau, dass dieser Long Johl Tonn von vornherein als Sieger fests(t)and. Das ist doch alles nur Show, und wir Weiber sind so blöd, darauf hereinzufallen.“
„Warum hast du mich dann überhaupt hierher gelockt?!“ - Die letzte Aussage meiner Freundin machte mich echt wütend.
„Ich weiß es selbst nicht. Dieser Grad an Verrücktheit unseres eigenen Geschlechtes – wow, damit hätte ich auch im Traum nicht gerechnet.“
„Ist das dir jetzt peinlich?“
„Nö, für die Peinlichkeiten hab' ich doch dich an meiner Seite.“
Über diese Worte meiner Liebsten werde ich viel, viel später mal nachdenken, im Moment genoss ich es, dass wir trotz so vieler ungeklärter Fragen Hand in Hand durch die Katakomben der Köln-Arena schlenderten, während uns das Johlen, Kreischen und Pfeifen aus dem zwei Etagen höher angesiedelten Abspritzcontest wie Nachrichten aus einer fernen Welt erreichte.
„He, Andrea, schau mal da!“
Natürlich hatte ich die halb offene Tür längst gesehen, und auch gelesen, was da angeschlagen war: „Literotischer Zirkel – Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt.“
Anne geriet ins Grübeln, ich aber musste laut lachen.
„Hey, Andrea, s(p)innst du, hast du gelesen, was da s(t)eht?!“
„Was denn?“
„Bist du blöd?! - Da s(t)eht; Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt! Und das hältst du für normal?!“
Uuah. Meine Liebste hatte mal wieder den Moralischen. Was verstand sie denn schon von den Abgründen des Universums? Von meinem „Dejŕ vu“ in dieser Situation ganz zu schweigen? Natürlich hatten wir beide gelesen, was da stand, Anne konnte nichts damit anfangen, ich als Ehemalige aber schon. Meine Kämpfe wegen des nicht vorhandenen Jugendschutzes - so aussichtslos, die Beschimpfungen, die ich ertragen musste … Okay, ich hatte auch ganz schön ausgeteilt, aber es gibt halt Themen, da verstehe ich keinen Spaß.
Internetforen, die Vergewaltigungsorgien ebenso dulden, wie von debilen Greisen geschriebene Inzestgeschichten, die Sechsjährige lesen können, wenn sie sich als 18 ausgeben ohne sich ausweisen zu müssen. Freiheit der Meinung auf amerikanische Art. Jeder kann jedem ans Bein pinkeln, und das ganz anonym … Wenigstens waren sie hier mal ehrlich: „Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt.“
Natürlich hatte Anne recht, aber ich hatte keine Lust, in diesem Moment mit ihr etwas zu diskutieren, bei dem wir uns ohnehin einig waren.
„Komm', lass' uns schnell weiter gehen“, sagte ich, zog dabei an ihrer Hand, wollte nur weg, auf dem schnellsten Weg.
Anne verstand nichts von meiner Agonie, denn sie hatte durch die einen Spalt weit geöffnete Tür das – wie sie meinte - Glück bringende Hufeisen entdeckt. In Hufeisenform angeordnete Tische, deren oberflächlich drapierten Kostbarkeiten selbst in mir sämtliche Säfte steigen ließen. Genau genommen, die Säfte meines Gaumens. Ein opulent ausgestattetes Buffet öffnete sich vor unseren Augen … und, immerhin – das soll jetzt keine Rechtfertigung sein - hatten wir beide seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.
Wahnsinn! Lachsröllchen auf Weißbrot und mit Dill gekrönter Remouladenhaube, in feine Streifen geschnittene Mettwurst mit leichtem Zwiebelring und einer nach Art herbstlicher Eicheln geformten Spitze aus Löwensenf – Düsseldorfer Löwensenf aus der Tube – eine Herausforderung für jede Kölnerin, aber in diesem Moment war mein Mund größer als der Verstand. Sollen die Düsseldorfer doch wissen, dass wir Kölsche keinen eigenen Senf haben, dafür haben wir … Verflucht, jepp. Röggelchen, dick belegt mit Gouda, ganz altem Gouda, wow, furztrockenem Käse, der schon beim kleinsten schiefen Blick von selbst zerbröselt. - Oh ja, wir Kölner haben den halven Hahn, und hier gab's gleich ein ganzes Tablett davon …
„He, Anne, lass' uns schnellstens zurück in die Arena, ich habe das Gefühl, dass unser Elmar noch was reißen wird.“
„Du und deine Gefühle, ich habe Hunger!“
Unvermittelt hatte sie mich in den leicht verdunkelten Raum gezerrt, okay, nicht ganz gegen meinen Willen, schob sich genüsslich ein auf dem Silbertablett präsentiertes, mit grünen S(p)argels(p)itzen dekoriertes Parmaschinken-Canapée zwischen die Zähne, während sie mir einen ordinären Zahnstocher mit Goudawürfel, ganz jung, und mit grüner, leicht säuerlich schmeckender Weintraube gespickt, in den Mund drückte.
Was soll ich sagen? Ich will mich auch im Nachhinein nicht rechtfertigen, doch wir gebärdeten uns wie zwei ausgehungerte Löwinnen, schmatzten wie die Schweine, ließen sogar die von Anne gekonnt und lautlos entkorkte Flasche mit dem Dom Perignon von 1973 auf unseren Lippen kreisen, weil der staubtrockene Käse des halven Hahns tatsächlich unser beider Gaumen verklebte.
Während Anne in kaum zu beschreibender, unermesslicher Gier der Kopf des Flaschenhalses leicht gegen das Zäpfchen geraten war, und sie hustend und prustend das letzte Mettbrötchen samt vollständig erhaltener Gewürzgurke in den Saal spie, hörte ich Stimmen.
Nein, nicht Annes gewürgtes Stammeln „I... ich … h. hh...hasse d... ddd... deep sss, sss. Throat!“, sondern ganz gewöhnliche Männerstimmen, sehr real, sehr laut, und gar nicht so weit weg.
„He, Anne, halt doch mal endlich die Klappe!!“ -
Ich weiß, das war nicht nett, und ich entschuldigte mich auch gleich, denn ihr Teint unterschied sich kaum noch von dem unverdauten, symetrisch gefächerten Cornichon, das mitten auf einer Lache aus vormals edlem Champagner und schlampig zerkautem Brötchen mitten im Saal schwamm. Ich entschuldigte mich gleich ein zweites Mal, wobei mich Annes anhaltendes Würgen veranlasste, die mir panisch in die Hand gedrückte, erst zur Hälfte geleerte Champagnerflasche zurück auf den Tisch zu stellen. „Geht's noch, oder soll ich den Notarzt rufen?“
„N…, nei..., nnnicht nötig“, prustete Anne, die endlich wieder zur Ruhe kam, auch wenn sie das Cornichon mit dem letzten Krümel, den sie aus ihrem Hals schleuderte, lediglich um wenige Zentimeter verfehlte. „Hör' doch mal, da drinnen scheint eher ein Notarzt erforderlich zu sein …“
Ohne Zweifel: Es gab noch eine zweite Tür in diesem rundum mit dunklem Holz getäfelten Raum. In unser beider Gier auf das kalte Buffet war sie uns gar nicht aufgefallen, aber die lauten Männerstimmen, die ich als Erste vernommen hatte, kamen eindeutig aus dieser Richtung. Zunächst waren es nur Brocken, Satzfetzen, die ich aufgeschnappt hatte, doch hinter dieser verschlossenen Tür schien gerade ein Streit zu eskalieren, der uns beiden die Sprache verschlug. Dabei war ich erst einmal erleichtert, dass es meiner Liebsten wieder gut zu gehen schien.
***
„Gilipollas, du Flachwichser mit deinen Großbuchstaben, du kannst den Krieg haben, du Zwerg, du weißt, dass du mir nicht gewachsen bist, weder intellektuell noch körperlich!!! Merkst du nicht selbst, wie unsachlich du argumentierst?!“
„Dass grode du die Wresse uffreisen dust, Seggfej, eiverbibsch, des dut mich nu gornisch verwundarn! Du mit deenem Baumschulabbidur willst dich mit nem Lidderadurwissenschoftla anlegen?! Du griegst jo nicheemol zwee, dree grode Sädze ohne fählerhoffte Ordogrophie raus!“
***
Ach du Schande. Ein Sachse.
„Wusstest du, dass Sächsisch zur unerotischsten S(p)rache Deutschlands erklärt wurde?“
Nein, das wusste ich noch nicht, obwohl ich Annes grinsend vorgetragenen Einwand durchaus nachvollziehen konnte. „Ich glaube“, erwiderte ich lachend, „dass es bei diesem Disput gar nicht um Erotik geht.“
„He“, ließ Anne nicht locker, die schon wieder ganz die Alte war, „hat der erste Typ nicht ,Gilipollas' gesagt?“
„Kann schon sein, aber er hat's eher geschrien.“
„Du kapierst mal wieder garnix, das ist doch S(p)anisch! Und, weißt du, was das übersetzt bedeutet?“
Nee, wusste ich nicht.
„Arschloch!“
„Echt?“ Ich hatte es wirklich nicht gewusst. „Dann ist ,Seggfej' vermutlich ungarisch?“
„Hä, wie kommst du jetzt darauf?“
„Weibliche Intuition, mein Schatz, nur so ein Gefühl ...“
„Ach?!“
„Sag' ich doch. Die Finnen würden es ,Kuloipää' nennen!“
Unser kleiner Diskurs über die sensiblen Eigenheiten europäischer Sprachen wurde jäh unterbrochen.
***
„Offensichtlich versucht hier ein Stinkstiefel schon seit ca. 3 Wochen, einen Krieg anzuzetteln. Die Zielscheibe ist CameliaS. Dazu benutzt er andere Mitglieder, unter anderem mich, Lul und Con, aber auch Supak. Er versucht es jedenfalls. Anfangs dachte ich noch, Dupek wollte sachlich kritisieren. Inzwischen bin ich der Meinung von Fáviti: Der Kerl ist ein intrigantes Schwein!“
„Nu, donke, meen lieba Seggfej, dass du zur Sochlichgeit zurückgehren tust. Ich will geenen Grieg, ohch wenn du geene Ahnung von Lidderadur host … Du host ja nichemol deenen Brecht nich geleäsen, „DIE HEILSCHE JOHANNA DER SCHLOCHTHÖVE! Gibb's zu!!“
„Was soll ich zugeben, dass DU hinter all diesen verleumderischen Kampagnen steckst, dass DU nur neidisch bist, weil CameliaS um Klassen besser ist, als DU mit deinen kläglichen Versuchen, deine eigene Rechtschreibschwäche auf Kosten unserer ungekrönten Foren-Queen zu kaschieren?! Du Null!!“
„Nu, momendomol, meen lieba Seggfej, Die GomeliaS iss doch gor geene Frou, die issen Gerl aus Soggsen, genau do, wo ich auch hergommen tu. Wenn die Germanistik studieren tut, dann fress' ich als Lidderadurprofässor en Besen, unn zwor gwäär!“
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Mittlerweile hatten wir fast alle europäischen Sprachen gehört: Holländisch, französisch, kroatisch. polnisch, isländisch – sogar die doppelte sächsische Verneinung, wobei uns das angelsächsische „Asshole“ bisher noch nicht untergekommen war. Aber das konnte ja noch kommen.
Anne und ich fanden diesen peinlichen Dialog höchst amüsant. Wie konnte ein vermeintlich sächsischer Literaturprofessor Brecht gleich doppelt verneinen? Okay, Bertolt Brecht war nie Sachse … aber trotzdem!
„Ein unerotischer Idiot“, stellte Anne nüchtern fest, „wir sollten schleunigst hier verschwinden! Das ist doch nur Müll, was die vielen S(t)reithähne da absondern.“
Sie hatte irgendwie recht!
Warum waren wir überhaupt hier? - Anne hatte mich hierher geschleppt, aber ich wollte es doch auch. Ein Spaß, mehr nicht. Männern passiv beim Wichsen zuzuschauen, das ist nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung einer Frau. Als wenn es auf die Größe ankäme! Korrektur: die Länge! - und die Scham. - Nein nicht meine, jedenfalls nicht die. Und auch nicht Annes. Die Scham darüber, wie wir Frauen auf ein paar sabbernde Schwänze abfahren, wenn wir uns selbst jeglicher Bodenhaftung berauben …
Seltsam, dass mir gerade in diesem Moment meine Freundin Anja in den Sinn kam. Wo war die bloß abgeblieben? Seit ihrem unfreiwilligen Techtelmechtel mit den stattlichen Säulen der Arena hatte ich sie nicht mehr gesehen. Ich machte mir Sorgen. Krude Bilder schossen mir durch den Kopf. Nicht auszudenken, dass sie vielleicht neben dieser synthetischen Helga auf einer Trage im eigens für den Abspritzcontest errichteten Notlazarett liegen könnte.
Und überhaupt: Elmar! Vielleicht feierte er gerade den größten Triumph seines Lebens (außer dem, dass er mich verlassen hatte …) und durfte sich trotzdem nicht zu erkennen geben. Diese blöde Ledermaske!! Oder war es Latex? - Ich mag beides nicht, mein Gefühl von Erotik bevorzugt Samt und Seide, Sinnlichkeit, weiche Haut, zart, natürlich …
„He, Andrea!“
„W... www... waaas?“
„He, hör' doch mal zu, da ist noch einer, ein Bajingan, wenn ich das richtig vers(t)anden habe ...“
Die Realität hatte mich zurück. „Bajingan? - Das ist malaiisch!“
„Wie bitte?! - Seit wann vers(t)ehst du malaiisch?“
„Im Moment verstehe ich alles. Bevor ich dich kannte, hatte ich einen malaiischen Bären, ein wolliges, zotteliges Kätzchen, und das hat mir die Grundzüge malaiischer Sprache beigebracht.“
„He, du willst mich vers(p)otten, mich auf den Arm nehmen?“
„Nein, Liebste, das will ich nun wirklich nicht. Aber diese Typen sind doch alle gleich.“ Ich ignorierte die großen Augen meiner Freundin, wollte selbst wissen, was das malaiische Arschloch zu sagen hatte, die Hälfte seines Monologs hatten wir wegen meiner vorübergehenden mentalen Abwesenheit ja bereits verpasst.
***
„ … Ich glaube du solltest dir DRINGEND Hilfe holen und das meine ich jetzt wirklich ernst, dein aggressives Verhalten ist derart auffällig, das ist wirklich nicht mehr normal. Was denkst du, wo du hier bist? Und vor allem, wer du bist? Ich kann mir vorstellen, dass CameliaS solch ein Verhalten von dir auch eher abstoßend findet, MfG Babaca ...“
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„Das war portugiesisch!“ - Diesmal war es Anne, deren triumphal vorgetragenen Sprachfertigkeiten ihr durchaus einen Platz als Ansagerin in der Sendung mit der Maus gerechtfertigt hätten. Dabei stehe ich auf dem Standpunkt, dass selbst Kinder und Jugendliche mindestens bilingual aufwachsen sollten – aber es kam noch schlimmer:
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„Dass die Beweisführung von Babaca falsch ist, habe ich bei Dark Desire Hot Spot 2,5b von Han Mom ( … Das war vietnamesisch; Anmerkung der Maus, äh – der Verfasserin) dargelegt. Zu diesen Kommentaren kann man dort aber keine Stellung mehr beziehen, da die Kommentarfunktion im Moment blockiert ist. Die Geschichte ist aber auch sehr geil … wie der zwölfjährige, schon etwas altersschwache Rauhaardackel die 93-Jährige … das ist geil, geil, geil. - Lass dich von diesen selbsternannten Sittenwächtern, diesen Moral-Taliban, nicht verunsichern. Ihr seid doch alles Arschlöcher, ihr alle, mit eurer Doppelmoral!“
„Was verstehst DU schon von Doppelmoral, Nebelkrähezwo? Du scheinheiliger Aasfresser!!“
„Des muss'ch mer nu aba gornich mehr bieten lossen …“
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Anne schaute mich mit großen Augen an. „Denkst du auch ...“
„... was ich denke?“, vollendete ich ihren Satz.
„Nebelkrähezwo“ hatte gerade sächsisch gesprochen, und das mit der Stimme von „Gilipollas“!
Ach, wie schön, wenn ein Paar so wunderbar ohne weitere Erklärung harmoniert, wie wir beide. Dafür hatte sie einen zärtlichen Kuss verdient … hmm, Anne schmeckte nach all den Zwiebeln gar nicht gut, ich vermutlich aber auch nicht. So waren wir uns erst einmal einig, dem Geheimnis der sonderbaren Sprachverwirrung im Nebenraum ganz sacht und vorsichtig auf den Grund zu gehen.
„Ich seh' nix“, flüsterte Anne, nachdem sie die zu allem Überfluss auch noch leicht ächzende Tür einen Spalt weit geöffnet hatte.
Wir wurden mutiger.
„Ich sehe nur leere S(t)ühle.“
„Ich auch.“ Dem Geschrei von vorhin nach zu urteilen, mussten sich dort mindestens 20 Personen aufhalten. Stattdessen sahen wir nach vollständigem Öffnen der Tür lediglich etwa 100 in 10er-Reihen angeordnete, leere Stühle, geteilt von einem schmalen Gang. Der edle Teppichboden und die dezenten, den Raum in ein warmes Licht tauchenden Deckenleuchten passten so gar nicht zu der eher schäbig wirkenden Wandvertäfelung. Ich tippte auf billigstes Furnierholz, dabei hätte doch gediegene Limousin-Eiche dem Saal ganz sicher einen festlichen Charakter verliehen.
Wer weiß, woher die dicken Schmeißfliegen stammten, die in nachgerade selbstmörderisch wirkender Art immer wieder aufs Neue versuchten, das leicht getönte Glas der Deckenleuchten zu durchstoßen.
Pok, pok, pok …
„Ist ja voll eklig“, murmelte Anne, die meinen gleichermaßen von Abscheu und Faszination umherschweifenden Blick auf das offensichtlich einzige menschliche Wesen in diesem Saal lenkte.
Tatsächlich, mitten im schmalen Gang zwischen den Stuhlreihen stand ein - uns glücklicherweise den Rücken zugewandter, relativ kleiner Mann mit blauer Pudelmütze und viel zu großer Lederjacke, die ganz sicher auch schon bessere Tage gesehen hatte.
Doch das war nicht das Entscheidende, denn in der Linken hielt das Hutzelmännlein ein … Handy … nein, ein Diktafon, das er gerade mit theatralischem Gestus, uns immer noch abgewandt, in die Höhe riss. Nachdem er mit relativ ruhiger Stimme „Schnitt, nächster Beitrag“, ins Mikrofon gesprochen hatte, setzte er gleich seinen Veitstanz fort, ruderte wie ein um sein Leben Kämpfender mit den Armen.
Pok, pok, pok … Ob das wirklich Schmeißfliegen waren?
Doch mir blieb keine Zeit über Killerbienen oder zu giftstacheligen Monstern mutierte Fruchtfliegen der Gattung Drosophila nachzudenken, denn das Kerlchen erhob in künstlich aufgebrachter Manier seine Stimme:
„So, so, SIE wollen also Krieg! Den bekommen Sie aber nicht! - Als wenn ich mich auf Ihre unsachliche, argumentations- und sinnfrei Ebene herablassen würde! Da müssen Sie sich schon andere Opfer für ihre plumpen und nicht einmal durch Voltaire, Kolle oder Kant legitimierten Beleidigungen aussuchen. (Sie werden es vermutlich nicht wissen, aber VKK, das waren die großen Aufklärer der Geschichte ... mal so BtW … Muhaha)!
Tjaja, die Null scheint IHRE ganz persönliche Kennzahl zu sein, doch eines müssen Sie wissen: ICH bin es gewesen, der sich schon mit Leibnitz und Gauss im Sandkasten geprügelt hat, und diesen Koniferen der Mathematik geduldig und mühevoll beibringen musste, dass sie noch so viele Nullen vor ihrem erbärmlich gekrümmten Komma anhäufen können ... letztlich bleibt es bei der Null. Da verwundert es mich gar nicht, dass SIE mit 10.000 englischsprachigen Geschichten beeindrucken wollen! Natürlich mussten Sie sich dabei einen runterholen, Sie haben die Geschichten ja nicht verstanden! Muhaha.
Ich hingegen habe mindestens 60.000 englischsprachige Geschichten gelesen, Sie sehen, dass Sie mit Ihrer Bildungsferne mir nicht einmal das Teewasser heiß machen können.
Außerdem verbitte ich mir derart indiskrete Angriffe auf meine Privatsphäre, indem Sie mir auch noch vorschreiben wollen, wann ich zu arbeiten habe. Als Chief Extension Officer einer der weltweit marktführenden Hersteller von virtuellen Breisaugern, Eierkochern und Schlabberlätzchen arbeite ich natürlich Tag und Nacht, 48 Stunden rund um die Uhr. Selbstverständlich können Sie Beamtenarsch sich so etwas nicht vorstellen. Vermutlich wissen Sie nicht einmal, wie man Kwalitätskontrolle korrekt schreibt.
SIE wollten den Krieg, nicht ich! Wie gesagt: Ihr mangelndes Niveau ist mir zuwider, suchen Sie sich eine andere Spielwiese gleichgesinnter Minderbemittelter, melden Sie sich von mir aus bei milupa.to an, dort werden Sie sicherlich mit offenen Armen empfangen, doch in unserem, für seine wissenschaftlich-akribisch fundierte Textarbeit berühmten, literotischen Forum haben SIE mit Ihrer sakrilegistischen Polemik keinerlei Existenzberechtigung.
"A, geh, hör doch uff", würden die Hessen sagen. Muhaha, sage ich.
Einen schönen Lebensabend noch ...“
Wow, das kleine Kerlchen musste erst mal Luft holen. Ich hatte mich ohnehin gewundert, wie er diese Tirade durchhalten … ups, er war noch nicht fertig:
„P.S. Meinen Lebensabend werde ich mir mit provenzalischen Höhlenzeichnungen, die ins Micky-Maus-Format transloziert wurden, wobei die Inhalte der Sprechblasen von mir persönlich aus dem Englischen in Keilschrift translatiert worden sind ...
Ach, was geht das euch an! Ihr seid es doch alle nicht wert!“
Anne und ich schauten uns fragend an. Vermutlich hatten wir einen der vorhergehenden Beiträge verpasst ...
„Schnitt, Cut, nächstes Posting: Wenn du wirklich Literaturwissenschaftler bist, verehrter Gilipollas, dann würdest du hier keinen derartigen Müll über unsere zweifellos beste Autorin absondern. Natürlich hast du recht, dass ihre Sexszenen sehr nüchtern, gleichsam steril wirken, doch ich vermute einmal, dass du Null, du Versager, nicht einmal weißt, dass das S in CameliaS für Stahl steht. Jawohl! Abgeleitet von den Ladies of Steel aus den amerikanischen Südstaaten. Frauen, nein Autorinnen, die in ihrem Leben viel durchgemacht haben, Frauen, nein Autorinnen, deren Schicksal sich in besonders harter, gleichsam nüchtern-steriler Erotik widerspiegelt ...“
Wie von der Tarantel gestochen, sprang das skurrile Männlein einen halben Meter zurück, wäre dabei fast rücklings in die Stuhlreihe gestürzt, konnte sich aber gerade noch fangen, um seinem Diktafon mit etwas gemäßigter Lautstärke die Anweisung „Schnitt, Cut, nächster Kommentar“ zu geben.
„Eiverdibsch, dann willst du mir also weesmochen, dass CameliaS eene Domenbinde us Stohl sein tut?!“
Anne griff meine Hand. „Ich kann nicht mehr, ich piss' mir gleich ins Höschen!“
„Du hast doch gar keins an.“
„S(t)immt auch wieder, aber der S(p)inner da vorne ist einfach zu köstlich.“
Dieser Meinung war ich allerdings auch. Obwohl ich in diesem Moment noch unentschlossen war, ob ich laut lachen oder leise weinen sollte. Anne, das stand fest, war jedoch mal wieder eindeutig zu laut beim Flüstern, so dass der „talentfreie Schaus(p)ielschüler“, wie sie ihn kichernd – in der festen Überzeugung, dass nur ich sie hören könnte - bezeichnete, erschrocken zusammenzuckte, sich um 180 Grad drehte, uns entgeistert anstierte und vor lauter Schreck sogar sein Dikiergerät aufs Parkett fallen ließ.
„He, Anne!“ - Ich musste meine sich vor Lachen bereits in unkontrollierten Bewegungen krümmende Freundin tatsächlich heftig schütteln, um sie zur Besinnung zu bringen. Aber dieses zur Salzsäule erstarrte Hutzelmännchen war einfach nur komisch. Sogar die Pudelmütze hatte sich in der Hektik der zuvor unkontrolliert ausgeführten Drehbewegung derart verschoben, dass er mit seinen schmalen, fahlen Lippen durchaus den Saum berühren konnte.
Umso überraschter war ich, wie zügig er seine Contenance zurückgewann. „Aber hallooo, die Damen, hallööchen und willkommen im Literotischen Zirkel. Sie sind die Ersten, wie ich sehe, die anderen Herrschaften werden gleich eintreffen.“
Oh ja. Schon mein Vater, immerhin Einsneunundachtzig groß, hatte mich an meinem 15. Geburtstag vor dieser Spezies gewarnt: „Kind, hüte dich vor kleinen Männern!“
Danke, Papa.
Anne schien dieses Privileg eines wohl geordneten Elternhauses nicht genossen zu haben, denn sie riss sich von meiner Hand los und steuerte, im Habitus fast schon bedrohlich wirkend, energisch auf den Zwerg zu. „Sie S(p)inner, Sie! Sie elender Betrüger!!“
Oh weh, Annes Belustigung war unvermittelt unkontrollierter Wut gewichen, das Bild des auf Knien gekrümmten Gauklers schoss mir durch den Kopf, und ich war echt nicht gewillt, sie erneut wegen schmerzender Zehen trösten zu müssen. „Anneee!“, schrie ich, „Lass' den Idioten, er ist es nicht wert!!“
Damit, dass meine zur Furie mutierende Liebste doch noch einen Funken Selbstkontrolle haben würde, hatte ich (verzeih' mir, Schatz.) nicht erwartet. Oder vielleicht doch: Wer würde schon auf ein – zugegeben – zunächst reichlich dreist auftretendes Kerlchen, das aber plötzlich wimmernd, seine Hände über den Kopf haltend, im nächstbesten Stuhl kauerte, einprügeln? - Nicht mal ich. Und außerdem war ihm seine Pudelmütze schon wieder über die Nase gerutscht.
Mittlerweile stand ich neben meiner immer noch schäumenden Freundin, doch ein flüchtiger Blickkontakt bestätigte uns darin, dass hier wohl eher Mitleid angebracht war. Obwohl ich wimmernde Kerle überhaupt nicht leiden kann.
Dass Anne unsere gemeinsame Wut mit heftigem Stampfen gegen das vor uns auf dem Boden liegende Diktafon austobte, fand ich in diesem Moment eher unangemessen. Aus therapeutischer Sicht vielleicht verständlich, denn mit dieser, gegen unschuldige Gegenstände gerichteten Tat, weckte sie die Lebensgeister des kleinen Arschlochs. „Nein! Nein!! Nein!!!“, schrie er, eher kläglich, sprang aus seinem Sitz, um sich im nächsten Moment über Annes Füße zu werfen. „Bitte nicht, bitte nicht die Arbeit zweier Wochen! Bitte nicht!!“
Dass Anne ihren Fuß zurückzog, goutierte ich mit Erleichterung. Die kleine Spitze: „Jetzt spürst du endlich, wie es mir eben bei der Tuttelsau ergangen ist“, konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. Damit war auch das geklärt, und mit vereinten Kräften platzierten wir den dreisten Kerl, der sich, noch in aussichtsloser Position zu unseren Füßen liegend, schon wieder über „zwei lecker geil rasierte Kätzchen“ amüsiert hatte, zurück auf seinen Stuhl.
Unter Tränen gestand das Hutzelmännlein, dass er, Alfred Schmitz aus Köln-Poll, sich eigentlich „Anonymous“, wahlweise „Anonymos“, nennen würde, vor zwei Jahren seinen Job als Herren- und Damenausstatter verloren habe, was aber nie sein Traumjob gewesen sei. „Ich war am Boden, am Ende, alles hatte ich verloren … das können Sie mir glauben, die Damen!“
„Nein!“ - Ach wie schön, wenn Freundinnen sich doch so einig sind und mit einer Stimme sprechen …
„Wie?!“ Der Kleine schaute uns entgeistert an, vergaß sogar für ein paar Sekunden, dass er eigentlich in Tränen aufgelöst sein sollte, besann sich kurz, und setzte seinen Vortrag in bewährt schluchzendem Tonfall fort: „Ich war am Ende, verzweifelt, am Boden, doch, wie so oft, wenn es keinen Ausweg mehr gibt, tut sich ein kleines Lichtlein auf, das Leuchten am Ende des Tunnels ...“
„He, willst du uns verarschen?“ - Hm. Im Moment schämte ich mich sogar für den vulgären Ausbruch meiner Liebsten, kannte sie denn gar kein Erbarmen? - Mir tat das Kerlchen leid, und mit einem energischen Ellbogencheck in Annes Rippen machte ich ihr deutlich, dass meine humanistische Ader Gewalt jeglicher Art grundsätzlich ausschließt: „Halt' die Klappe, lass' uns doch mal hören, was der Herr zu sagen hat ...“
„Danke, Herrin!“
Wie konnte Anne über diesen Anflug von Devotismus jetzt so zynisch lachen, wo ich doch gerade im Begriff war, selbst an den Werten und Idealen, die mir meine Eltern mit auf den Weg ins Leben gegeben hatten, zu zweifeln? „Erweise jedem Menschen den gebührenden Respekt, auch wenn er dir noch so klein und mickrig erscheint, aber sei auf der Hut, denn gerade diese kleinen Typen sind aufgrund ihres mangelnden Selbstwertgefühls extrem gefährlich ...“
Jepp, das hatte mein Vater gesagt, dabei konnte ich mit solchen Dom-Sub-Situationen noch nie was anfangen. Anne auch nicht, aber ihr fehlte der humanistische Hintergrund: „Komm' endlich zum Punkt, du mieses Schwein, sonst gibt’s was auf die Zwölf!“
Zum Glück hatte das Hutzelmännlein von meiner Agonie nichts mitbekommen, wie sollte es auch? Unbeirrt setzte es seine Schilderungen, die mich verdächtig an diesen … wie hieß er noch gleich? … Ach ja, Franz Szymankowiak, diesen debilen Squirting Arrow, erinnerten, fort: „Was denken sich die Damen eigentlich, wie ein Mann, der in der Talsohle seiner Existenz angekommen ist, seine Familie über Wasser halten soll?“
Nee, das wussten wir nicht.
Langsam löste sich das Kerlchen aus seiner Schockstarre: „Es war ein glücklicher Zufall und eine, vermutlich von meinem Großvater mütterlicherseits ererbte, gewisse literarische Begabung, die mir das Licht am Ende des Tunnels entzündete, dieses Licht … Können die Damen mir folgen?“
Ja, das konnten wir.
„Danke! - Mein Gott, dieses Licht, diese Gönner aus Amerika, diese beiden wunderschönen Heuschrecken … sie sind es gewesen, die meine Begabung erkannt und gefördert haben. 30 Dollar pro Kommentar, mindestens 15 pro Tag … wissen die Damen, was 15 mal 30 ergibt?“
Ich wusste es auf Anhieb nicht, Anne rechnete etwas schneller, aber sie schwieg und lauschte andächtig grinsend den weiteren Ausführungen des Hutzelmännleins: „Es war so einfach, 15 zusammenhanglose Kommentare in wechselnden Rollen … Mein Gott, welcher halbwegs literarisch bewanderte Schauspieler wünscht sich nicht eine derartige Traumrolle? Ein bisschen vulgär, dicht unter der Gürtellinie … Mein Gott, die Rolle meines Lebens, aber ihr ...“ Erneut setzte er sein erbarmungswürdigstes Schluchzen auf, „aber ihr, ihr habt meine Existenzgrundlage zerstört, mein Leben, die sieben hungrigen Mäuler, die ich zu stopfen habe, wie soll ich jetzt meine Familie noch ernähren?“
Bis dahin hatte ich aufmerksam zugehört, ja, war sogar bereit gewesen, alle Schuld auf Anne zu schieben, schließlich hatte sie das Diktiergerät mutwillig zerlegt, doch dann wurde selbst mir bewusst, dass ich die Geschichte von den sieben hungrigen Mäulern heute schon einmal gehört hatte. Und Anne auch, doch die musste ich mit einem zweiten Ellbogencheck davor bewahren, erneut in einen unkontrolliert krampfenden Lachanfall zu fallen.
Was im Moment zählte, das waren Fakten. „Was soll denn, wenn ich Ihnen glauben darf“, widmete ich mich dem vermeintlichen Alfred Schmitz aus dem Nachbarstadtteil Poll, „dieser ganze faule Zauber von wegen Literotischer Zirkel?“
„Alles nur Fake“, grinste das ob unserer Zweifel sichtlich erholte Hutzelmännchen dreist, „mein Arbeitgeber hat das so verlangt, er hat 97 Teilnehmer angemeldet, ich war nur zu blöd, die Tür abzuschließen.“
„Aha!“ - Wow, Anne hatte ihren neuerlichen Lachanfall überwunden. „Ihre Auftraggeber s(p)ekulieren wohl an der Börse?“
„Was meinen Sie damit?“
„Na, so ein opulentes Buffet für eine Person ...“
„Nein, für 97.“
„Aber es sind doch keine 97 Personen gekommen.“
Jetzt wurde der Kleine auch noch unverschämt: „Das ist nicht mein Problem.“
„Moment mal.“ Ich sah mich veranlasst, ganz energisch einzuschreiten, „hier wurden edelster Champagner und feinster halver Hahn für tausende von Euronen aufgebaut … nur als … Fake?!“ Ich war echt wütend, eine derartige Verschwendung kostbarer Lebensmittel kann ich nie und nimmer tolerieren. Gefakte Kommentare auf literotischen Boards hin oder her, aber bei kostbaren Nahrungsmitteln hört der Spaß auf. „Und, wer zahlt dafür? - Ich meine, für dieses sündhaft teure Buffet? - Ihre komischen Heuschrecken aus Amerika doch ganz sicher nicht ...“
Vorsorglich hatte Anne, der dieses krasse Missverhältnis offensichtlich im gleichen Moment aufgegangen war, den Kerl an seiner schmuddeligen Lederjacke gepackt. Doch der wand sich mit behänder Leichtigkeit aus der ihm ohnehin viel zu großen Jacke, stand bereits in der Tür und rief uns triumphierend zu: „Ihr zahlt natürlich! Wer hat denn davon gefressen, ich doch nicht!“
Damit war er weg, und wir beide standen wie begossene Pudel zwischen leeren Stühlen. Selbst das Diktafon, unser vielleicht einziges Beweismittel, war zerstört. Das Handy, das in einer der Innentaschen steckte, interessierte uns nicht weiter, schließlich sind wir diskret. Dummerweise war es ohnehin abgeschaltet ... und ohne PIN? - „Glückwunsch, Anne, da hast du ganze Arbeit geleistet ...“
Natürlich entschuldigte ich mich gleich, das war auch höchst unfair. Sollten wir hier stehen bleiben, und auf potenzielle Gläubiger warten? Nein, nix wie weg! Vielleicht würden sich ja bei der VIP-Party noch ein paar hungrige Mäuler finden. Ob allerdings wir beide uns da noch blicken lassen könnten …
Wir schnappten uns noch schnell ein paar Canapés, ließen die abgerissene Lederjacke mangels Mülleimern im Gang fallen und eilten stante pede zurück zu Tor 9 im Oberrang.
Wesentliches hatten wir nicht verpasst … Squirting Arrow stülpte gerade seine Gummimuschi über … Und von unseren Nachbarinnen kam auch nichts Neues: „Oh Gott, ihr schon wieder!“
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NATURAL BORN DEALERS
Abgesehen davon, dass mein Leopardentanga als Trophäe des Tansanischen Löwen irgendwo im Nirwana verschwunden war, glich alles hier der Situation vor der Pause. Der Ansager drosch seine Sprüche raus, und die Gladiatoren rüsteten sich für den Endspurt.
„Darf ich dich mal was fragen, Blondie?“
„Nein!“
„Du weißt schon, dass du ein bisschen was an der Klatsche hast?“
„Wieso?“, fragte ich. „Nein! Lass es! Ich diskutier' doch nicht mit einer imaginären Besserwisserin.“
„Okay, dann wirst du halt nicht erfahren, was ich dir sagen wollte …“
Ich starrte weiterhin auf die Bühne … Der Sekundenzeiger der Uhr brauchte eine Ewigkeit für einen Umlauf …
„Okay, Voice. Spuck’s aus!“
„Du schreibst doch Sexgeschichten …“
„Nein!“
„Sondern?“
„Geschichten halt!“
„Oh, welch emphatische und weitschweifige Auskunft.“
Ich verdrehte die Augen. „Na schön, ich würde sie als blogartig angehauchte, ironische, dialoglastige Kurzgeschichten aus dem Leben, mit einer Prise Erotik bezeichnen.“
„Wow! Na gut, aber du könntest ruhig mal mehr abgehen. Zum Beispiel als nymphomane Krankenschwester, oder notgeile Lehrerin – das kommt immer an. Dazu ein bisschen Gruppensex und Rudelbums …“
„Darf ich vielleicht das schreiben, was mir gefällt? Brauchst es ja nicht zu lesen …!“
„Oh je, oh je. Jetzt zick’ doch nicht gleich wieder rum, Blondie. Ich versuche ja nur dir zur helfen.“
Ein Raunen der Zuschauerinnen lenkte mein Augenmerk auf die Bühne. Long Tall Johns verzweifelter Blick sprach Bände. Der des obersten Zeitnehmers ebenfalls. Anni gab alles, aber auch sie erkannte den Ernst der Lage.
„Zwanzig … neunzehn … achtzehn ...“ Der Meister wurde angezählt.
Das Drama ließ die Frauen verstummen, viele erhoben sich von ihren Plätzen, gedrückte Daumengelenke knackten, vereinzelnde Anfeuerungsrufe verloren sich in der Halle. Mittlerweile hatte John die Sache selbst in die Hand genommen.
„Elf … zehn ...“
Wie ein wilder Stier versuchte er alles – oder zumindest – etwas - aus sich rauszuholen.
„Vier … drei ...“
Einen markerschütternden Brunftschrei ausstoßend, schaffte es John in buchstäblich letzter Sekunde der Disqualifizierung von der Schippe zu springen. Die indiskutable Weite bescherte ihm ein mitfühlendes Aufstöhnen seiner zahlreichen Fans.
„Dieser verfluchte Journalist! Wenn ich ihn erwische, schlag ich ihn tot!“, tobte der gedemütigte Athlet.
„Merkt ihr was? Es war nicht seine Schuld, sondern die der Presse“, meinte Tina vorwurfsvoll.
„Wobei, ohne ’Presse’ hätte er es nicht geschafft!“, gab ich ihr zwinkernd recht. Voice war kreidebleich und starrte auf die Bühne.
„Was ist denn?“
„Ich will wissen, ob sein Schwanz noch dran ist, oder ob er ihn kaputt gemacht hat.“
Er war noch dran, und ein erleichtert klingendes Raunen ging durch die Reihen. Er hatte sein Problem gelöst, meines war noch in weiter Ferne, und ich machte mir ernsthaft Sorgen wegen des Leopardentangas.
„Habt ihr schon eine Idee?“, fragte ich nach einer Weile,
„Ja, ich habe mir überlegt, dieser Annie ihr transparentes Blüschen und das ultrakurze Röckchen zu klauen und mich vor Long Tall John hinzuschmeißen“, erklärte mir Tina allen Ernstes.
„Du Miststück! Das war meine Idee! Meine! Meine! Meine!“, fauchte Voice, und die beiden lieferten sich einen heftigen verbalen Schlagabtausch.
Ich verdrehte die Augen und schaute zu den beiden Lederladys. Sichtlich entspannt, leicht verstrubbelt und mit knallroten Bäckchen kuschelten sie sich aneinander.
„Na? Während der Pause gut amüsiert?“
„Oh, ja! Wir haben eine Flasche Rotwein intus“, erklärte Schweinebacke nicht ohne Stolz und demonstrierte das Pausenhighlight mit der dazugehörenden Handbewegung.
„Die haben wir natürlich vorher ausgetrunken, stimmt’s mein in Olivenöl frittiertes Hühnchen-Schlegelchen …“
Wieder fühlte ich diese unbeschreibliche Leere in meinem Kopf. In Gedanken schwebte ich durch ein Raum-Zeit-Kontinuum, bis mich ein Wurmloch zurück in die Realität sog …
„Was rutscht du so auf dem Stuhl rum, Blondie? Pussy nass?“
Für Voices unangebrachten, dummen Spruch strafte ich sie mit einem verächtlichen, herablassenden Blick.
„Jetzt schau doch nicht so böse. Meine ist klatschnass. Hast’ ne Idee, was ich dagegen tun könnte?“
„Ja! Da hinten an der Treppe ist ein Geländer – rutsch runter.“
„Wua wua wua – ganz schön lustig, Blondie. Wenn ich dir helfe, dein heiß geliebtes Höschen wieder zu kriegen, bist du dann lieb und nett zu mir?“
„Vielleicht.“
Die und mir helfen können? Mit ihrer großen Klappe, oder was? Ruhig bleiben, Anja.
Sich aufzuregen bringt dich nicht weiter.
Während ich mich in Gedanken verlor, ging die Bühnenshow mit unveränderter Härte weiter. Ich konnte den sich überschlagenden Ereignissen kaum noch folgen.
In meiner internen Wertung war Squirting Arrow mit seiner Gummimuschi die unangefochtene Nummer eins, dann folgte der Schlaksige mit der Ledermaske, oder eben wegen der Ledermaske, aber Big „The Boss“ Bull lief ihm gerade den Rang ab. Besser gesagt: seine Begleiterin. Den Pokal der ältesten Contest-Besucherin hatte sie sicher – gesponsert von blend-a-dent Super-Haftcreme. Aber so einen Sponsor hatte wohl auch Captain „Heavy“ Hunters Anbläserin, die sein Glied erst gar nicht mehr aus dem Mund bekam …
Ich gab auf … „Ja!!! Ich bin wieder lieb zu dir.“
Voice grinste wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd: „Geh zur Wahrsagerin!“
„Wahrsagerin?“
„Ja, Esmeralda! So eine alte Schatulle, gefühlte 129 Jahre alt, mehr Krater im Gesicht als der Grand Canyon an den Füßen. Ein Kopftuch, wie bei der Hexe aus Hänsel und Gretel, ein Buckel wie bei Quasimodo, eine Katze auf der Schulter ... und sie bezieht ihr Wissen aus einer Kristallkugel.“
„Toller Vortrag, Voice. Aber wozu erzählst du mir das …?“
„Du bist wirklich blond, oder, Blondie? Also nicht brünett und nur gefärbt?“
„Ja klar! Dunkelblond, obwohl einige der Meinung sind, es handele sich eher um Hellbraun, was natürlich Blödsinn ist, allerdings ist meine Haarfarbe im Winter - zugegeben - etwas dunkler als im Sommer …“
Genervt sprang Voice vom Stuhl auf und zog mich nach draußen ins Foyer. Mein innerliches Grinsen entging ihr. Es ist toll, blond zu sein, denn die Erwartungen an unsere Intelligenz sind so niedrig, dass es ganz einfach ist, die Leute hereinzulegen. Die ganze Idee von ihr war ohnehin Schwachsinn, aber erstens klammerte ich mich an jeden Strohhalm, der mich meinem Tanga näher bringen würde, und zum Zweiten brauchte die Autorin auch noch etwas Text …
„Ich bin Esmeralda … nehmen Sie Platz“, empfing uns eine monotone Krächzstimme der in jedes Klischee passenden Vorhersagerin, als wir vor ihrem klapprigen Campingtischchen standen.
„Wir suchen …“
„Lass mal, Voice. Da sie ja eine richtig schöne Glaskugel hat, wird sie schon wissen, was wir suchen, stimmt’s?“ Ich grinste, und meine Tonlage war vielleicht eine kleine Nuance zu schnippisch. „Aber erst mal das Geschäftliche. Was kostet denn der … Service?“
„Einfache Auskunft: 30 Euro. Mit Zwischenfragen und Kartenlegen 50. Handlesen nur mit Gummihandschuhen, die Viertelstunde 75 Euro.“
„Steuernummer und Gewerbeschein haben Sie parat?“
„Aääähhh … Ich wollte sagen, ich lese umsonst die Zukunft, und Sie geben mir eine freiwillige Spende.“
„Dann schießen Sie mal los.“
„Es geht um einen …. Mann … er sieht sehr gut aus … er … er ist muskulös, er hat das gewisse Etwas …“
Das hochnäsige Grinsen des schwarzblonden Geschöpfs zu meiner Rechten war mir auch ohne direkten Blickkontakt allgegenwärtig.
„Haben Sie etwas von Ihrem Mann dabei?“, überraschte mich die ’Seherin’.
„Von meinem?“, fragte ich sicherheitshalber nach.
„Ja. Ich brauche etwas, was Ihr Mann angefasst hat.“
„My tits?“, fragte ich abfällig.
„Haben Sie nichts anders?“
Ich stand auf. „So etwas nennt man auch Kunstfehler. Einen gut gemeinten Rat, anstelle einer ’freiwilligen Spende’ … Wenn Sie ein Buch mit dem Titel »Vorhersagen, die immer eintreffen« schon offen auf dem Tisch liegen lassen … lesen Sie es doch auch.“
Ich ging einfach weg, blieb nach ein paar Schritten stehen und sah mich um. Voice hockte noch am Tisch und rief mir zu: „Ich komme gleich nach, Blondie.“ Dann widmete sie sich wieder der Wahrsagerin. „… hast du was an den Lauschern, Alte? Long Tall John heißt der Traummann und ich will wissen …“
Ich schüttelte den Kopf und ärgerte mich darüber, dass ich mich von einem imaginären Gewissen zu einer derartigen Albernheit verleiten ließ. Plötzlich stach mir am letzten Stand dieses Gaukler-Areals ein Buch ins Auge. Auf dem Einband fletschte ein indischer Guru die Zähne, die Sterne drum herum stellten Euro- und Dollarzeichen dar, darunter der Titel - »Vorhersagen, die immer eintreffen« von Reniar Llüm.
Der Typ hinter dem Bücherstand glich dem abgebildeten Autor wie ein Ei dem anderen. Aber er sah auch aus wie jemand, den ich vor kurzem erst, in einem völlig anderen Outfit, gesehen hatte. Neugierig musterte ich ihn. War das etwa braune Schuhcreme in seinem Gesicht? Definitiv! Das Toupet und das angeklebte Bärtchen waren wohl Requisiten aus einer drittklassigen Bollywood-Produktion.
Die wachen Augen blitzten kurz auf, als er mich näher kommen sah. Das Schildchen über seinem kleinen Bücherstand wies den Mann als Reniar Llüm aus.
„Tarot-Karten, Karma, Orakel, heilende Edelsteinarmbänder, Kabbala-Lehre, Phrenologie …“, stellte er mir sein Sortiment vor.
„Phreno… was?“
„Keine Ahnung! Ich habe auch nicht alles … im Schädel.“
Der als indischer Guru kostümierte Mann ahnte, dass ich ihn erkannt hatte, aber wir spielten unser Spiel erst einmal weiter.
„Nur 49 Euro? Nur?“
„Sind gesuchte Sammlerstücke, ich habe nur noch sehr wenige davon.“
Ich nahm eins, drehte es um. Der ursprüngliche Preis war mit „Preisreduziertes Mängelexemplar - Nur 0,99 Euro“ überklebt. Hastig nahm Reniar Llüm es mir aus der Hand und legte ein neues Exemplar auf den Tisch. Der Buchrücken war beschädigt, als ob etwas Kantiges dagegen geschlagen worden war …
„Von Madam Eso Terik. Priesterin des westafrikanischen Santeria-Kults“, erklärte mir der Guru.
„Und was heißt das auf Deutsch?“
„Voodoo-Hexe!“
Ich verzog das Gesicht. „So mit Tieropfer und so …?“
„Nein, Madam war Tierfreundin und nebenbei auch Vegetarierin.“
„War?“
„Ja, … ist verschollen …“
„Und Voodoo funktioniert ohne Blutrituale?“
„Hmmm, bis zu dem dummen sprachlichen Missverständnis“, gab der Guru zu und verfiel in Erinnerungen. „Wir gaben eine Séance. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, nur ein betrunkener Spinner störte … ich sagte zu meinem Assistenten, er soll jetzt den Kohlkopf holen, damit wir mit der Zeremonie beginnen können …“
„Ahhh? Und …?“
„Nun ja, während ich mich in Trance versetzte, ging er ins Publikum schnappte sich den Hohlkopf … und opferte ihn.“
„Autsch.“
„Oh ja. Brachte dem Assi 15 Jahre Zuchthaus und mir … ähh, Madam Eso Terik lebenslanges Berufsverbot. Ich … Sie musste Haiti so schnell verlassen, konnte nur den Kohlkopf mitnehmen …“
„Das ist ja schrecklich, und dann …?“
„Ich schrieb ein neues Buch – Hundert leckere Kohlgerichte.“
„Unglaublich!“
„Fand ich auch … das Gemüse auf meinem Schreibtisch hat mich wahnsinnig inspiriert.“
„Das meinte ich nicht! Haben Sie sich gar nicht um Ihren Assistenten gekümmert? 15 Jahre in einem Knast sind kein Zuckerschlecken, und in Haiti bestimmt noch weniger.“
„Er saß nur ein paar Tage …“
„Puh! Dann hat es sich also aufgeklärt?“
„Nicht ganz. Der Mob stürmte das Gefängnis und lynchte ihn.“
„Das ist ja furchtbar … und dann?“
„Habe ich den Kohlkopf bei eBay versteigert. Rubrik: Ritualmörder und Zubehör.“
„Autsch.“
„Ist es das? Ist es das wirklich?“, eine völlig aufgedrehte Dame drängte mich zur Seite, riss das Belegexemplar vom Tisch und fuhr über den Riss im Buchrücken …
„Das Original, Madame!“, flüsterte der Guru.
„Wie viel soll es kosten? Ich muss es haben!“
„Pssst …“, ermahnte sie Reniar Llüm. „Nun ja … Sie wissen, dass ich mich unter normalen Umständen nie von dem Buch trennen würde … fün… tausend Euro …“
Sie gab das Buch nicht mehr aus der Hand, öffnete umständlich ihr Portemonnaie und zwei große Scheine wechselten den Besitzer. Irritiert und fasziniert zugleich schaute ich ihr hinterher.
„Nachzulesen bei Wikipedia. Die Vita der Madame Eso Terik. Das Buch war damals auch auf der Insel und wurde bei der Séance durch eine Machete beschädigt … DER Machete.“
Während er mir zuzwinkerte, rubbelte Reniar Llüm, oder Rainer Müll wie er sich auch zu nennen pflegte, das Preisschild von einem weiteren Buch, legte es auf den Tisch, zog ein Küchenmesser hervor und hieb in den Buchrücken.
„Das glaube ich jetzt nicht …!“
Er zuckte nur mit der Schulter.
„Okay, okay, hab’s geschnallt. Alles klar! Und Sie Herr … Llüm, Sie sind also Autor?“
Er grinste über beide Backen. „Mein neuestes Werk. Astrologie - In sieben Schritten vom Loser zum Winner, vom ESO-Buchdienst.“
„Und das bringt jemandem was?“
„Mir brachte es einen Vorschuss von 25.000 Euro.“
„Cool! Wirklich cool!“
„Was sind Sie für ein Sternzeichen?“
„Ich glaub nicht an den Schwachs… ähhh … Hokuspokus.
„Ich glaube auch nur an das positive Denken.“
„Ein eigenes Buch ist auch mein Traum, natürlich in einem anderen Genre“, versank ich für einen Moment in Gedanken.
„Tun Sie’s. Schreiben Sie es fertig und gehen Sie Klinkenputzen damit, aller Anfang ist schwer.“
„Ich weiß nicht so recht. Wenn es keiner verlegen will?“
„Dann ist es halt so. Wenn Sie es nicht probieren, finden Sie es auch nie heraus. Steht übrigens auch in meinem Schreibratgeber: »Schreiben leicht gemacht für jedermann«“
„Wow! Sie haben auch einen Ratgeber geschrieben?“
„Nein, nur allgemeingültige Aussagen zusammengesucht, in Kapitel gepackt und meinen Namen darunter gesetzt – von … Sol SoSein.
„Das ist doch kriminell!“
„Nein! Legal – zwar ethisch verwerflich, aber noch legal.“
Ich schüttelte nur den Kopf. Allerdings war ich Rainer Müll nicht böse. Er war kreativ und verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Dummheit der Leute.
Während ich einen Moment nachdachte, fiel mir ein Flyer auf dem Verkaufsstand auf. Über dem Hochglanzfoto eines japanischen Autos prangte das Wort „Hauptgewinn“ und ein Schriftzug: Für einen Einkauf ab 25 Euro verlose ich ein Toy-Joda.
„Kaum geklaute Geschäftsidee“, sagte ich kopfschüttelnd. „ist doch bestimmt auch nicht legal.“
„Völlig legal. Eventuell leicht irreführendes Hintergrundbild, aber legal und lustig. Wollen Sie ihn mal sehen?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, krabbelte Rainer Müll unter seinen Tisch und zog raschelnd einen Karton hervor.
„Eine niedliche Spielzeugpuppe des berühmten Jedi-Meisters. Ist er nicht goldig?“
„Eher grünlich! Und hart an der Schmerzgrenze!“, zwinkerte ich ihm zu.
„Meine Arbeitsmethode ist hart an der Schmerz-Grenze, aber nicht darüber. Genauer gesagt, 200 Meter vom Ortsteil Schmerz entfernt, mitten in Gossa im Verwaltungsbezirk Muldestausee-Schmerzbach am Rande der Dübener Heide in Sachsen-Anhalt“, zitierte er fehlerfrei aus seinem neuesten Roman.
Ich lachte, verabschiedete mich und ging ein paar Schritte, als ich plötzlich einen penetranten Geruch in der Nase hatte. Ein weiterer Aussteller stand stocksteif vor einem Minitischchen. Das Namenschild am Sakko wies ihn als Hein Krähenbusch aus.
„Ich habe einen Artikel über Selbstbeweihräucherung geschrieben, haben Sie Interesse?“, sprach mich der Typ an, zündete ein weiteres Räucherstäbchen an, wedelte sich damit vor dem Gesicht herum und sog den Rauch ein.
„Ähh … nein!“
„Ja aber“, murmelte er, „erkennen Sie nicht die kosmische Strömung?“
„Für mich ist es eher eine komische Störung.“
Ping – Ping – Pong
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Die dröhnende Lautsprecherstimme hallte nach, und ich hatte mich tatsächlich in der größten deutschen Multifunktionshalle verlaufen. Ich beschloss, jemanden zu fragen und steuerte den Stand – Nummer 26 an.
Eine Oma im Minikleid wühlte auf dem Sortimentstisch.
„Nette Strapse! Vom Erotico-Versand?“, fragte ich.
„Nein, von der AOK. Das sind meine Thrombosestrümpfe.“
„Oh – ja, nett.“
„Dankeschön“, antwortete sie und wandte sich an die Verkäuferin. „Haben Sie auch etwas, das den Penis meines Mannes vergrößert?“
„Selbstverständlich. Die Carl Zeiss 2010. Fünffache Vergrößerung, incl. einer kleinen Taschenlampe.“
„Großartig!“, freute sich die Oma. „Die nehme ich dann zur CeMent-Salbe noch dazu.“
„Ich brauche dringend eine kurze Pause“, murmelte ich vor mich hin.
„Was kann ich für Sie tun, meine Dame?“
Vorsichtshalber sah ich mich erst einmal um. Aber der Typ mit den lichten aschblonden Haaren und dem viel zu weiten Polyesteranzug meinte definitiv mich.
„Mein Name ist Kurt C. Pause. Ich bin der Vertriebsleiter von Athletik-Poppguys Agency. Was kann ich für Sie tun?“
„Mir verraten, ob es den Anzug auch in deiner Größe gibt“, dachte ich und wollte gerade nach dem Weg zurück in die Arena fragen, als er mich am Arm packte und zu einer halb nackten, lebensgroßen Gummipuppe zerrte.
„Interesse?“
„Nein danke …“
„Wenn Sie heute bestellen, bekommen Sie …“
„Nein Danke, ich bin verheiratet.“
„Das mag ein Grund sein, aber beileibe kein Hindernis. Ist er nicht ein Traum?“, begann der Vertreter zu schwärmen. „Das Model »The Man« können wir Ihnen morgen liefern. Finanzierung über die Gebr. WuCher-Kredit-Bank AG, nur 60 kleine Monatsraten a 200 Euro.“
Ich überschlug die Summe und schaute den Vertreter mit offenem Mund an.
„Jetzt sind Sie sprachlos. Aber es ist wahr. Wir kennen alle Träume unserer Kundinnen und … wir erfüllen sie.“ Er bugsierte mich vor das lebensgroße Modell der Kollektion. „Ist das ein Mann oder ist das ein Tier? Fühlen Sie!“ Wieder nahm Kurt C. Pause meine Hand und führte sie an die Brust des Topmodels. „Echthaar, Brustbehaarung und Vollbart als Zubehör. Alle Gelenke voll beweglich, eine besondere Kautschukmischung sorgt dafür, dass er sich echter als echt anfühlt. Die Muskeln wurden mit einer CeMent-Schicht überzogen, für die mächtigen Hände stand der berühmte Long Tall John Pate“, erklärte mir der Vertriebsleiter, „und nicht nur für die Hände!“ Er zog die Shorts der Sexdoll etwas herunter und zwinkerte mir zu. „Alle unsere Models sind serienmäßig in XL-Ausstattung, gegen geringen Aufpreis aber auch als XXL lieferbar.“
Er schaute mich mit strahlenden Augen an, besser gesagt starrte er mir sabbernd in den Ausschnitt. Dass ich noch keine richtige Begeisterung zeigte, entging dem gewieften Profi nicht. Blitzschnell spielte er einen weiteren Trumpf aus. „Oder doch lieber unser Model »The Surfer«?“
Ich blickte dem Fingerzeig nach, und ein langhaariger, blonder, sonnengebräunter Jüngling sah mich mit strahlend blauen Plexiglasaugen von einem Surfbrett an.
„Leider zurzeit ausverkauft, aber wenn Sie heute bestellen, bekommen Sie zehn Prozent Rabatt. Natürlich sind alle unsere Modelle vom Bundesministerium für Frauenangelegenheiten und dem Verbraucherschutz zertifiziert.“
Ich wollte nur noch weg, drängte mich an Herrn Pause vorbei, als ich abrupt stehen blieb. Ein weiteres Model, das sich in jeder Hinsicht von den anderen unterschied, das aber dennoch von einer größeren Gruppe Frauen umlagert war. Neugierig schaute ich genauer hin.
Das Anti-Model hockte im speckigen Feinrippunterhemd auf einem Lehnstuhl. Bierbauch, schlecht rasiert, 5,50 Euro Haarschnitt und ein Sixpack Bier auf dem Schoß.
„Interesse?“
„Um Gottes willen“, zuckte ich zusammen.
Kurt C. Pause grinste über beide Wangen. „Das ist »Heinz-Hubert«, unser meistverkauftes Model, dabei hat er nicht einmal unser patentiertes Big-Schick-Dick …“
„Aha.“
„Ja. Er ist kein Sexobjekt.“
„Es wird Sie jetzt wundern, aber zu dem Schluss bin ich auch grad gekommen“ antwortete ich.
„Zum Lieferumfang gehört ein Memorandum mit den übelsten Beleidigungen für Eheleute, das Buch, 1001 Möglichkeiten einen Mann zu drangsalieren und ein Nudelholz, aus bester deutscher Eiche …“
„Dieses Buch … das ist nicht zufällig von Rainer Müll?“
„Woher wissen Sie das?“
„Nur so eine weibliche Intuition. Aber ich muss jetzt wirklich gehen.“
Wieder drängte ich mich am Verkäufer vorbei.
Plötzlich fiel mir die Kinnlade runter. Langsam lief ich auf ein weiteres Ausstellungsstück zu.
„Uiii, uiiii, uiii, ich hätte es wissen müssen“, gluckste Pause. „Sie stehen auf »The Mandingo«.“
Ich starrte auf den schwarzen Astralkörper, der im traditionellen Lendenschurz eines afrikanischen Kriegers vergangener Epochen eine animalische Wirkung ausstrahlte.
„Interesse? Wir haben … Moment bitte.“ Pause schaute in ein Notebook. „Ja, genau. Wir haben »The Mandingo« noch auf Lager. Nicht 10.000, nicht 9.500 nein … für sensationelle 8.950 Euro … wenn Sie jetzt gleich unterschreiben.“
„Nicht gerade billig, oder?“
„Nein. Aber es entspricht der Firmenpolitik der Athletik-Poppguys Agency. Reich ist besser als arm – schon aus finanziellen Gründen.“
„Ach so. Ja, dann passt es ja“, gab ich zu.
„Eben. Und der Hammer bei dem Model, ist schlichtweg gesagt – der Hammer.“ Herr Pause zog den Lendenschurz beiseite, nahm meine Hand und führte sie in den Schritt des Mandingos. „Serienmäßig mit dem patentierten Big-Schick-Dick ausgestattet. Massieren Sie mal seinen Hodensack!“
Als ob ich nichts besseres zu tun hätte, als die Glocken einer Puppe zu kraulen … Uii – fühlte sich tatsächlich sehr real an. Noch mal ein beherzter Griff, selbstverständlich rein aus informationstechnischen Gründen, und das Ding richtete sich rasant auf. Erschrocken zog ich meine Hand weg.
„Ist das geil, oder ist das geil? Je stärker Sie massieren, desto härter wird der patentierte Big-Schick-Dick.“
Und er hatte recht, das Ding war wirklich steinhart, und fühlte sich dabei noch sehr authentisch an.
„Eine Frage … der Mann … äh … das Modell kommt mir irgendwie bekannt vor.“
„Aleeke, der starke Löwe aus Tansania. Er hatte übrigens heute einen Auftritt als Tänzer und Feuerschlucker … Wenn Sie ein Autogramm von ihm wollen, ich könnte da was machen.“
„Wissen Sie, ob er noch einen Auftritt hat?“
„Ich weiß definitiv, dass er später auf der VIP-Aftershowparty ist.“
Ich grinste. Hatte sich der Kurztrip ins Foyer doch gelohnt. Davon überzeugt, noch in dieser Minute einen Abschluss tätigen zu können, gab mir der Verkäufer eine Freikarte der Athletik-Poppguys Agency für die VIP- Lounge.
„Da bist du? Ich irre durch die Halle … wow!!! Der sieht ja aus, wie die schwarze Perle, die deinen Tanga erbeutet hat“, meinte Voice mit heruntergeklapptem Unterkiefer. „Und was für ein Ständer. Was hast’ vor, Blondie?“
„Nichts!“
„Wie bitte?“, fragte der Vertreter.
„Ich habe nichts gesagt.“
„Willst’ dich von dem ficken lassen?“, fragte Voice.
Irritiert sah mich Herr Pause an. „Ich bin Hetero. Aber wir haben auch denfFeminine »Detlev«, sehr sanfte Oberfläche, frisierbares Echthaar, lackierte Fingernägel und als Standardkörperhaltung – auf allen vieren – Doggystyle, wie man so schön auf Deutsch sagt. Er ist noch im LKW, weil er hier wohl keinen Stich machen kann … Sie verstehen … Stich …“
„Wer redet denn mit dir, Pausen-Clown? Frag doch mal, wo du das Teil testen kannst, Blondie.“
Der Vertreter schaute mich von oben bis unten an und grinste. „Ich verstehe. Diskretion ist unser oberstes Gebot. Darf ich bitten?“
Gerade erst war mir bewusst geworden, dass der Verkäufer das imaginäre Gewissen zwar nicht sehen, aber trotzdem hören konnte …
„Unsere Vorführmodelle sind selbstverständlich desinfiziert und betriebsbereit. Die Kondome sind leider notwendig, im normalen Hausgebrauch dann allerdings nicht erforderlich.“
Ehe ich mich versah, stand ich mit Voice in einem Kämmerchen und das seltsame Geschöpf riss sich euphorisch die Kleider vom Leib, genau genommen, nur seinen Lendenschurz.
„Ohhhh …. Jaaa … du geiler Hengst … fick mich, f**** mich durch ...“, schrie Voice, die sich sofort in bester Reitermanier auf die Mandingo-Sexpuppe geschwungen hatte. Es folgte ein kurzer, bitterböser Blick. „Danke fürs zensieren, du prüdes Huhn!“
Ich nickte nur, und war von der Szene – irgendwie – gefangen. Immerhin poppte ein imaginäres Wesen eine Gummipuppe, die allerdings einen sehr realen Eindruck hinterließ.
Dem abwechselnden „ja, jaa, jaaaah“ folgte ein Stöhnen und Keuchen und wieder eine Folge undefinierbarer Wortfetzen.
„Welches Modell wird denn da gerade getestet?“, hörte ich eine Frauenstimme und im selben Moment gefror mir das Blut in den Adern. Das Stoffzelt war nicht wirklich schalldicht.
„Eigentlich egal. Ich kaufe es! Hier meine Karte wegen der Formalitäten.“
„Das ist ein Anwaltsbüro?“, entgegnete Kurt C. Pause.
„Seit der Trennung von meinem Mann wird jeder notwendige Verkehr durch meinen Rechtsanwalt erledigt.“
Die Minuten zogen sich ewig hin und endlich hatte Voice genug. „Meine Fresse, ich bin sieben, achtmal gekommen.“
„Erstens, nicht so laut, bitte. Und zweitens – das ist zwar eine Parodie, aber bleib wenigstens halbwegs realistisch.“
Das hätte ich genauso gut einer Wand erzählen können. Voice galoppierte wie ein junges Fohlen aus dem Zelt und ich wurde mit den zahlreichen Blicken neuer Kundinnen übersät.
„Sie waren vollauf zufrieden?“, fragte mich eine schüchterne Rothaarige.
„War es so gut, wie es sich anhörte?“, wollte eine Mittvierzigerin wissen.
„Was macht das Herz, Kindchen?“, interessierte eine Oma, die sich lässig auf ihre Gehstütze lehnte.
„Leider hat der geile Hengst nicht abgespritzt!“, erklärte mir die zurückgekehrte Voice beiläufig, und da nur ich sie sehen, aber auch einige andere sie hören konnten … Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, aber die vorwurfsvollen Blicke galten ausschließlich dem Vertreter der Athletik-Poppguys Agency.
„Keine Sorge, meine Damen. Das war wohl ein Missverständnis. Unsere Modelle spritzen 300 Milliliter, in verschiedenen Stufen und Geschmacksrichtungen … hinter den Ohren befinden sich Sensoren. Wenn Sie mir bitte folgen würden, dann demonstriere ich …“
Während die Meute dem Verkäufer ins Zelt folgte, machte ich mich aus dem Staub. Das riesige Schild, das den Weg in die verschiedenen Sektionen der Arena wies und mir wohl vorher wie ein Brett vorm Kopf hing, führte mich wenige Minuten später in die Arena. Allerdings ein anderer Eingang. Ich suchte nach unserer Sektion … die Halle tobte.
Es stand ein Mann auf der Bühne, der sein Ding durchzog.
Im wahrsten Sinne des Wortes. Unter ohrenbetäubendem Getöse gab der Lokalmatador alles.
Kusshändchen ans Publikum verteilend, verneigte sich der Halve Hahn nach allen Seiten.
Der Seriengewinner Long Tall John rastete aus und zerdepperte einen Sessel auf der Bühne.
Ping – Ping – Pong
Feilen Sie gern? Nageln Sie gern? Wollen Sie ein Rohr verlegen, oder einfach nur herumschrauben? Ob Silikon- oder Gummimuffe … für jeden der gern selbst Hand anlegt …
Toby – der Baumarkt für Selbermacher
Nun ja, wenigstens die Werbung funktionierte noch einwandfrei. Die Zuschauerränge glichen einem Hexenkessel. Inmitten des Eklats entdeckte ich ein bekanntes Gesicht. Andrea und eine offensichtlich schwer betrunkene, korpulente Dame, vor der sie und Anne flüchteten. Eine rücksichtslose Meute, wie man es ansonsten nur aus Zeiten des Winterschlussverkaufs bei C&A kannte, stürmte die Treppe herunter. Mit einem Sprung brachte ich mich in Sicherheit. Als ich nach einer Minute wieder die Deckung verließ, war Andrea verschwunden.
******************************
DAS GROSSE FINALE
Die Pause hatte mir gut getan. Vor allem die letzten Minuten mit den beiden schönen Frauen, die mich besucht hatten. Noch immer war mir so, als hätte ich keineswegs geträumt.
Doch jetzt musste ich zurück in den Hexenkessel. Trotz des großen Schreckens, den ich hatte ausstehen müssen, als plötzlich meine Kollegin Andrea mir vom Bildschirm herab in die Augen schaute.
Ja, Hexenkessel traf ziemlich genau, wo ich mich gefühlsmäßig im Moment befand. Mitten unter mehreren tausend Hexen, die sich über meine Bemühungen und die der anderen Helden amüsieren wollten.
Meine Mitstreiter hatten inzwischen ihre verbalen Kämpfe eingestellt und präsentierten sich, als seien sie die besten Freunde. Die Fassade musste stimmen, es war nicht anders als überall auf der Welt.
Als bereits alle anderen auf der Bühne waren und LTJ gerade seinen Mantel in Wrestlermanier von den gewaltigen Schultern gleiten ließ, hetzte Squirting Arrow auf die Bühne. Wo hatte er sich nur herumgetrieben? Er war mir nicht mehr auf dem Gang begegnet. Und wo war sein Schrott geblieben? Hatte er am Ende alles verkauft? Ein einträgliches Geschäft mit Devotionalien entdeckt? Ich staunte Bauklötze. Die Frauen mussten verrückt nach ihm sein, wenn sie ihm solches Zeug aus den Händen rissen. Vor allem die unsägliche Gummipuppe, deren Grinsen mit dem fürchterlichen Mund mich so erschreckt hatte.
Noch eine weitere Tatsache erstaunte mich. Squirting Arrow war eindeutig der älteste Teilnehmer des Wettbewerbs, doch seine Potenz schien einem wesentlich jüngeren Manne angemessen. Als er sich aus seinem Bademantel schälte, stand sein Schwanz bereits kerzengerade empor. Was hatte er nur in der Pause getrieben? Ob ihn seine Hermine besucht hatte? Oder waren ihm beim Verkauf seiner Kultobjekte einige Damen an die Wäsche gegangen? Unter den fast 15.000 wild gewordenen Weibern gab es sicher einige, die auf ihn standen und einiges springen ließen, um ihm ein bisschen beistehen zu dürfen.
Ein Glück, dass ich als Letzter dran war. So konnte ich noch ein wenig Kraft schöpfen und vielleicht von den anderen Teilnehmern letzte Kniffe abschauen. Immerhin waren alle außer mir Profis.
Als Erster trat LTJ an die Abschussrampe, wie die etwas erhöhte Plattform mit der weißen Linie im Wichserjargon heißt. Seine Anbläserin Annie, deren bezaubernden Reize nur spärlich von einem durchsichtiges Negligče verhüllt wurden, kniete sich wie ein Hündchen vor ihren Herren und wartete auf das Startzeichen. Wenn der Startschuss wie bei einem Hundertmeterlauf abgefeuert war, hatte John maximal zehn Minuten Zeit, bis er abschießen musste. In den ersten Durchgängen hatte niemand diese Zeit voll ausgeschöpft. Doch jetzt musste sich Annie ernsthaft anstrengen, denn obwohl sich Johns Speer recht schnell aufgerichtet hatte, gab es offensichtlich Probleme mit der erforderlichen Härte.
Johns verzweifelte Blicke sprachen Bände. Die Arme in die Seiten gestützt, drängte er Annis willigem Mund entgegen, und sie half mit ihren an diesem Riesengerät klein wirkenden Händchen eifrig nach. Ihr Kopf ruckte vor und zurück und ihr Pferdeschwanz wippte im gleichen Rhythmus auf und nieder. Ein erhebender Anblick, wenn einem Johns immer offensichtlicher werdendes Missgeschick gleichgültig war.
„Wichs ihn fester!“, forderte er Anni, die ohnehin Schwerstarbeit leistete, auf. Mittlerweile hatte jede Frau im Publikum realisiert, welches Drama sich dort unten auf der Bühne anbahnte. Tausende Fans skandierten: „Long Tall!, Long Tall!“, immer wieder. Der Ruf übertönte jedes andere Geräusch und war sicher noch in Overath zu hören. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass diese Geräuschkulisse positiven Einfluss auf Johns Indisponiertheit hatte.
Die Zeit wurde knapp, zum ersten Mal begann der oberste Zeitnehmer rückwärts zu zählen.
„Zwanzig, neunzehn ...“
Mit wilder Verzweiflung riss John seinen Schwanz aus Annis Mund, rubbelte selbst wie ein Wahnsinniger daran herum.
„Elf, zehn ...“
Noch konnte er es schaffen, es genügte, wenn der Orgasmus eingeleitet war und der erste Spritzer das Rohr verlassen hatte.
„Vier, drei ...“
Mit einem Urlaut, der besser in die Steinzeit als in dieses Ambiente gepasst hätte, begann Long Tall John, der König unter den Wichsern, zu ejakulieren. Doch bereits der zweite Spritzer war ein Rohrkrepierer, denn er schaffte es kaum noch über die Ein-Meter- Marke.
Auch der erste war deutlich unter Johns üblicher Weite geblieben. Das wurde äußerst knapp. Jetzt hatten alle anderen doch noch eine Chance erhalten. Ein enttäuschtes „Ohhhh“ aus Tausenden Frauenmündern stieg in den Himmel über Köln. Der Held hatte zwar nicht gänzlich versagt, doch seine Allmacht hatte Risse bekommen.
„Dieser verfluchte Journalist!“, brüllte John durch die Arena, „wenn ich ihn erwische, schlag ich ihn tot!“
Mir wurde heiß unter der Maske. John kam einen knappen Meter an mir vorbei, als er sich zu seinem Sitzplatz begab. Er stützte seinen Kopf in die Hände und hatte nicht mal mehr einen Blick für seine Anbläserin, die betrübt von dannen schlich. Ja, für ihn war das eine Tragödie.
Entsprechend freudig waren die Gesichter seiner Konkurrenten.
Als nächster trat Crazy Dick an, der mittlerweile auf den siebten Rang zurückgefallen war. Er musste Heroisches leisten, um sich noch um einige Plätze verbessern zu können. Seine Anbläserin Quendolin-Chiara hatte mir schon vor und in der Pause die Augen aus dem Kopf quellen lassen. Atombusen war das richtige Wort für das Gebirge, das sie mit sich herumschleppte. Wie hatte Andrea solche jedes Maß sprengende Busen immer kommentiert: „Man bekommt schon Kreuzschmerzen vom Anschauen.“
Mit entblößtem Oberkörper kniete sie sich vor CD hin und hob ihm mit beiden Händen ihre Bälle entgegen. CD ließ einen dicken Batzen Spucke darauf fallen und fädelte sein durch Handbetrieb bereits hinreichend erigiertes Rohr in die Spalte, die eher einem Tal im Hochgebirge glich, ein. In voller Länge passte sein doch nicht unansehnlicher Schwanz hinein und nicht mal ein Zipfel schaute oben heraus. Mit Inbrunst begann er zuzustoßen, ja wippte sogar auf die Zehenspitzen, um noch mehr Wucht zu entfalten. Wow, die hielt was aus, diese Frau. Dass sie Crazy Dicks dichte Behaarung nicht kitzelte, wunderte mich. Doch sicher war sie sein Gewölle gewohnt, denn dass die beiden nicht zum ersten Mal zusammen auftraten, konnte man an der Routine, mit der sie ihm half, erkennen.
Und wieder trug CD die ominösen Kopfhörer, ließ sich nicht nur durch die Schlucht in Quendolin-Chiaras Bergwelt stimulieren, sondern zusätzlich durch ... ja was eigentlich?
Dass nicht nur ich neugierig war, sondern jede und jeder andere auch, wurde mir sogleich vor Augen geführt.
Damit er nicht durch lästige Kabel beeinträchtigt wurde, hatte CD Funkkopfhörer und die Quelle der Musik, oder was auch immer er da hörte, stand neben seinem Sessel. Eine Technikerin hatte sich herangeschlichen und stöpselte eine Klinke in die Ausgabebuchse. Sofort dröhnte durch die gewaltigen Lautsprecher der Arena, was auch Crazy Dick berieselte.
Der simultane Aufschrei, der durch das Publikum ging, erstaunte mich keineswegs, denn auch ich hatte mitgeschrieen. Einige hundert Zuschauerinnen zuckten so sehr zusammen, dass ich es von meinem Platz aus registrieren konnte.
Es klang, als führe ein Autorennen mitten durch die Köln-Arena. Heiße Motoren heulten, Autoreifen quietschten, und als meine Ohren sich langsam an das wahnsinnig laute Geräusch gewöhnt hatten, war mir klar, dass es sich um ein Formel 1 Rennen handeln musste. Oder den Stereomittschnitt einer ähnlichen Veranstaltung.
Crazy Dick hatte nicht bemerkt, dass auch alle anderen in der Arena seine „Musik“ mithörten, auch wenn Quendolin-Chiara es ihm verzweifelt zu signalisieren versuchte.
Auch Crazy Dick brauchte länger als in den vorherigen Runden, doch er musste nicht angezählt werden. Offensichtlich war die unglaubliche Geräuschkulisse, die ihm die Ohren volldröhnte, sein ganz spezielles Aphrodisiakum. Die Geschmäcker waren doch wirklich verschieden.
Noch bevor sein letzter Spritzer im Sand gelandet war, verstummten die Geräusche wieder, denn die Technikerin hatte den Stöpsel wieder entfernt.
Nicht schlecht, der Versuch, obwohl er insgesamt nicht an LTJ herankam. Ob sich CD damit verbessert hatte, würde sich erst am Ende zeigen.
Es folgte Squirting Arrow, der mit seiner Gummimöse wieder einmal einige Frauen in der Runde gegen sich aufbrachte, ohne dass ihn das gestört hätte. Im Gegenteil, er provozierte die aufkreischende Horde noch, indem er seine Zunge in das eklige Gerät einführte und verzückt die Augen verdrehte. Sicher hatte ihm seine Hermine verboten, eine Anbläserin zu engagieren, und selbst musste sie ja zu Hause auf die Kinder aufpassen. Fünf an der Zahl, wie er mir im Interview verraten hatte. Ab und zu musste er also auch außerhalb eines Wettbewerbs Leistung bringen.
Mir war aufgefallen, dass sein Schwanz seit Betreten der Bühne keine Ermüdungserscheinungen gezeigt hatte. Wie schaffte er das nur? Hatte er am Ende etwas eingeworfen? Viagra womöglich? Doch ob ihm das half, war fraglich. Denn für Weite sorgte kein Mittel der Welt, da waren andere Dinge gefragt.
Die Gummimöse in seiner Hand flog so schnell, dass die Konturen vor meinen Augen sich verwischten. Mannomann, er verausgabte sich völlig. Die Augen standen ein wenig vor dem Kopf und als die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, langsam zu Ende ging, sah ich Schaumbläschen in seinen Mundwinkeln. Ich ertappte mich dabei, wie ich mit dem Unterkörper nach vorne zuckte, ihn quasi symbolisch unterstützend. Ich wollte, dass die Quälerei ein Ende hatte.
Ähnliches fühlten wohl auch die Zuschauerinnen im weiten Rund, denn es war mucksmäuschenstill geworden. Das Quietschen der Gummimöse war dadurch noch besser zu hören und die Schlagfrequenz von Squirting Arrow erheischte Hochachtung, auch wenn man sein Konkurrent war.
Gerade wollte der Oberschiedsrichter zu zählen beginnen, da schmiss Arrow seine Möse in hohem Bogen in Richtung der teuersten Plätze im Zuschauerrund und der erste Spritzer flog in den Sand.
Eben noch hatten sie ihn wegen ihr ausgezischt, doch jetzt balgten sie sich um seine Gummimöse. Die Kameraleute waren schnell, denn sofort wurde die Balgerei auf dem Videowürfel übertragen. In Großaufnahme war zu verfolgen, wie eine beringte Hand nach dem Gummiteil griff, wie ein grell geschminkter Mund in den Daumen besagter Hand biss und die Möse auf diese Weise die Besitzerin wechselte.
Plötzlich befand sich das unsägliche Teil hoch in der Luft und eine junge Frau, die größtenteils unbekleidet war, sprang am höchsten. Sie packte die Möse, schnappte sie und schob sie unter ihren Hintern, als sie wieder Platz nahm. Die Mitkonkurrentinnen um das Andenken an diesen denkwürdigen Abend rätselten offensichtlich, wo es geblieben war, obwohl alle anderen in der Arena es wussten. Schallendes Gelächter durchflog das Rund und es dauerte eine Zeitlang, bis sich die Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Bühne zuwandte.
Dort hatte sich inzwischen ein Drama abgespielt, denn Squirting Arrow, der mit seinem Schuss noch hinter Crazy Dick zurückgefallen war, musste ärztlich versorgt werden. Sanitäter betteten ihn auf eine Trage, hoben ihn hoch und trugen ihn von der Bühne. Als die Ohhhs und Ahhhs des Publikum an sein Ohr drangen, richtete er sich auf der Trage auf und winkte fröhlich in die Runde. Offensichtlich genoss er die Aufmerksamkeit der versammelten Weiblichkeit und mir drängte sich der Verdacht auf, dass er die Unpässlichkeit nur markierte, um seiner besseren Hälfte zu signalisieren, dass er alles getan hatte, was in seiner Macht stand, ja sogar noch mehr als das.
„Eine Schande ist das“, hörte ich Captain „heavy“ Hunter schimpfen. „Kein Wettbewerb, in dem er nicht irgendeine Nummer abzieht, um im Mittelpunkt zu stehen. Ich könnte ihn erwürgen!“
Lange währte Squirting Arrows Ruhm allerdings nicht, denn eben betrat Big „The Boss“ Bull die Szenerie. Er reichte seiner Anbläserin, die er mit Agatha Zölestina begrüßt hatte, galant die Hand, als sie, von den Helferinnen begleitet, am Rand der Bühne erschien, und führte sie zur Rampe. Es schien mir durchaus angebracht, sie zu führen, denn die Gute wirkte reichlich gebrechlich, auch wenn ihr Gang gemessen und würdevoll war. Wo hatte er die Frau von Methusalem nur aufgetrieben, und wie hatte er sie dazu überreden können, diese doch etwas anrüchige Aufgabe zu übernehmen? Bei ihrem hohen Alter konnte man nur hoffen, dass das Gebiss sich nicht verkantete, wenn sie ihre Arbeit aufnahm.
Als die beiden an unseren Sesseln vorbeischritten, kam es zu einem üblen Affront.
„Die Alte sollte sich lieber selber auf die Würmer vorbereiten, als den Versager Bull aufs Abspritzen.“
Wenn mich nicht alles täuschte, hatte Chief Checker diese bitterbösen Worte von sich gegeben, und auch Bull schien ihn als Urheber ausgemacht zu haben, denn er funkelte ihn an und polterte grimmig:
“Das wirst du mir büßen, du Hurensohn!“
Toll fand ich, dass die wie eine Königin dahinschreitende Agatha Zölestina keine Reaktion zeigte. Wow, ihr Gleichmut gegenüber dieser wirklich üblen Attacke - das war Grandezza. Lass den Hund ruhig in die Ecke pinkeln, wenn er glaubt, es zu müssen. Das ficht eine Dame von Welt nicht an.
Ganz anders reagierte „The Boss“! Als er an Chief Checker vorbei war und dieser seine Aufmerksamkeit bereits wieder anderen Dingen zugewendet hatte, trat Bull mit voller Wucht gegen Chief Checkers Sessel, sodass dieser hintenüber kippte und mit ohrenbetäubendem Lärm auf den Boden krachte. Weder ich noch die anderen Konkurrenten konnten uns ein Grinsen verkneifen. Geschah ihm recht, diesem Looser. Was konnte denn Agatha Zölestina für sein miserables Abschneiden.
Wiederum zeigte die alte Dame keine Reaktion und mir kam ein Verdacht, der bald zur Gewissheit wurde. Die alte Dame war stocktaub. Weder Chief Checkers ungehörige Bemerkung, noch sein grandioser Sturz waren zu ihr durchgedrungen. Und wenn ich in Betracht zog, wie vorsichtig sie die Stufen zur Rampe erklomm, war sie auch mindestens halb blind.
Ob sie überhaupt wusste, wo sie hier war? Sicher war ihr klar, dass es Zuschauer gab bei dem, was sie sich zu tun anschickte, doch dass sie sich hier in der Köln-Arena befand und mehr als 14.000 aufgepeitschte Weiber ihr bei dieser Tätigkeit sozusagen über die Schulter schauten ... davon hatte sie bestimmt keine Ahnung. Bull hatte ihr vermutlich einen Sack voller Lügen aufgetischt, damit sie ihn nicht im Stich ließ. Doch warum er ausgerechnet sie brauchte, um sich in Stimmung zu bringen?
War es vielleicht ihre jahrzehntelange Erfahrung? Denn die schien sie zu haben. Was sie mit Bulls Anhängsel anstellte, sah geil und aufregend aus. Im Nu hatte man vergessen, dass es keine junge, knackige Schlampe war, die Bulls Schwanz bearbeitete, sondern eine alte Dame, die jedem Adelshaus zur Ehre gereicht hätte.
Dabei handelte es sich bei dem Werkstück nicht um ein x-beliebiges, wie meines etwa, sondern um den Hochpräzisionsschwanz eines Profiwichsers, der zudem LTJ-Ausmaße hatte. Chapeau für Agatha Zölestina.
Ohne Probleme verblieb Big „The Boss“ Bull im Zeitlimit und er schob sich noch vor Crazy Dick, auch wenn er John nicht gefährlich wurde.
Als Captain „Heavy“ Hunters Anbläserin erschien, konnte ich es wieder nicht begreifen. Sie wirkte noch deplatzierter hier als Bulls Urahnin. In mausgrauem Rock, weißer Bluse, mit Hornbrille und Dutt in den Haaren wirkte sie wie eine biedere Hausfrau, die sich aus lauter Schusseligkeit hierher verirrt hatte. Doch sie hatte ihre Qualitäten, denn sie ließ sich vom Captain tief in ihren Mund penetrieren, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, während der Captain erst seinen Blick durch die Ränge schweifen ließ, um dann beim Videowürfel zu verweilen, wo eine Großaufnahme seines penetrierenden Schwanzes zu sehen war. Wow, selten hatte ich ein solch selbstverliebtes Gesicht gesehen. Er bewunderte sich aufrichtig, das sah man ihm deutlich an.
Fast erging es ihm wie weiland Narcissus, der einen bösen Unglücksfall produziert hatte, als er sich in sein Spiegelbild vernarrte. In allerletzter Sekunde erst riss er sich von der Betrachtung seiner Großaufnahme im Videowürfel los. So verschenkte er den ersten Spritzer, der teils auf der Wange seiner Partnerin landete, teils auf den Schuhen des Linienrichters, der kontrollierte, dass niemand die Abschusslinie übertrat.
“Verfluchte Scheiße!“, brüllte er auf und hüpfte wie ein Angestochener umher, was Lachstürme beim Publikum hervorrief. Trotz meiner Anspannung musste auch ich grinsen. Wie konnte jemand mit solch einer ausgeprägten Spermaphobie in diesem Wettbewerb Linienrichter werden? Eine eklatante Fehlbesetzung.
Die restlichen Spritzer schoss der Captain jedoch in die richtige Richtung und landete in der Gesamtwertung denkbar knapp hinter Big Bull. Zweimal bestand er darauf, nachzumessen, ob die beiden fehlenden Zentimeter nicht doch auf einer falschen Messung beruhten.
„Das ist Schiebung!“, brüllte er in Richtung Tribüne. „Bull ist ein Schwachkopf und impotenter Pfau, der kann jemanden wie mich nicht schlagen.“
“Wie nennst du mich, du ... du ... Windelwichser.“
Wow, sehr originell. Das Publikum raste vor Begeisterung. Hier wurde ihnen wirklich etwas geboten. Nase an Nase standen die beiden Gladiatoren und funkelten sich gegenseitig an. Sofort waren einige weibliche Hilfssheriffs zur Stelle und trennten die Kampfhähne, während die aufgeheizten Frauen „Buh ...“ und „weitermachen ...“ schrieen.
Endlich kehrte wieder Ruhe ein und der Wettkampf konnte weitergehen.
Jetzt gab es nur noch zwei Profiwichser, die vor mir antreten mussten. Und ich gestehe, mein Adrenalinpegel stieg mit jeder Minute, die mein ultimativer Abschuss näher kam.
Noch hatte ich jedoch eine kleine Gnadenfrist, denn jetzt trat der Jager von Soest an. Er hatte realistisch gesehen als Einziger noch die Chance, an Long Tall John vorbeizuziehen. Doch dazu musste er die Weite seines eigenen zweiten Versuches mindestens egalisieren, was noch niemand vor ihm gelungen war.
Als der Startschuss gefallen war, legte der Jager los, als sei eine wilde Meute Hunde hinter ihm her. Er bearbeitete sein bereits zu voller Größe ausgefahrenes Rohr abwechselnd mit der linken und der rechten Hand. Kein Lefthand und kein Righthand, ein echtes Double. Ein ungeahnter Vorteil.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Runden ließ er seine Augen nicht zwischen uns anderen Teilnehmern hin und her schweifen, sondern sie fixierten einen Punkt in weiter Ferne. Was gab es da nur zu sehen?
Und dann wusste ich es. Sein Freund Jonathan hatte sich hereingeschlichen und stand etwa einen Meter vor dem Vorhang, der die Bühne vom Backstage trennte. Und er feuerte seinen Freund auf eindringliche Weise an, indem er Jager den Rhythmus vorgab, denn er hatte die Hose heruntergepellt und spielte den Vorwichser. Das Publikum konnte ihn nicht sehen, doch als auch die anderen Kombattanten erkannten, was sich da abspielte, kam Unruhe auf.
“Ist das erlaubt?“, fragte der Chief Checker. „Männer haben hier nichts verloren, das muss verboten sein.“ Bevor ich mich wundern konnte, dass er uns acht nicht als Männer ansah, brüllte er in voller Lautstärke los:
„Schon wieder Schiebung! Wichsen ohne Erlaubnis ist verboten!“
Wow, welch unglaublich tief schürfende Erkenntnis gab er da zum Besten. Und das Publikum amüsierte sich noch mehr als ich, denn da sie Chief Checkers Objekt der Verärgerung nicht sehen konnten, musste dieser Ausbruch für sie noch grotesker wirken.
Als der dann noch begann, wie ein Schulbube mit einer Hand zu strecken und mit der anderen in Richtung Jonathan zu zeigen und den Schiedsrichtern „Da, da, da“ zuzubrüllen, hatte er den Hexenkessel endgültig zum Überkochen gebracht. Selten hatte ich so viele weibliche Schenkelklopfer gesehen.
Noch ehe einer der Offiziellen reagieren konnte, verschwand Jonathan hinter dem Vorhang und als wäre es die leichteste Übung der Welt, dreimal innerhalb einer derart kurzen Zeit abzuspritzen und Rekordweiten zu erzielen, schleuderte der Jager von Soest sein Sperma sogar noch einige Zentimeter weiter als im zweiten Versuch. Triumphierend rannte er mit immer noch wippendem Schwanz und erhobenen Armen durch die Arena, vollführte urkomisch anzusehende Freudensprünge und ließ sich feiern. Er lag ganze zehn Zentimeter vor dem großen John. Wow, wer hätte das gedacht.
Hinter der Bühne hörte ich Jonathans Jubelschreie. Wie schön, dass er sich für seinen Freund mitfreuen konnte. Und seine eigenen Verdienste waren ja nicht eben gering gewesen, auch wenn sie vielleicht nicht ganz legal waren.
Auch das Publikum honorierte Jagers grandiose Leistung und feierte den neuen Helden, während John zusehends depressiver wirkte. Ja, das Leben war ungerecht.
Chief Checker war an der Reihe, sein dritter und mithin letzter Versuch, sich vom derzeit achten Platz zu lösen. Sein Dopingmittel schien heute nicht die volle Wirkung zu entfalten. Ob der Stier, der seine Hoden hatte spenden müssen, eine Geschlechtskrankheit hatte oder schlicht ein Ochse gewesen war?
Chief Checker la
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Kommentare
Kommentare: 32
das ist wirklich nicht sehr einfach zu lesen. Aber das macht es gerade interessant. Ich finde es prima und sehr witzig.
Liebe Grüsse
Georg«
Kommentare: 66
HG1
Kommentare: 152
TetraPack
einerseits kann ich eigentlich nur wiederholen, was ich schon zuvor zu den anderen Teilen der Geschichte geschrieben habe. Nun, da ich die ganze Geschichte kenne, muss ich noch einmal euren Ideenreichtum loben. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ihr den letzten, doch sehr lang geratenen Teil etwas gekürzt oder zumindest nicht in einem Stück veröffentlicht hättet. So lange Geschichten liest kaum mehr jemand online. Ich fühlte mich am Ende des letzten Teils so erschlagen, dass mir kaum ein vernünftiger Kommentar dazu einfallen wollte. Vielleicht ist das mit der Grund, dass es so wenige Kommentare zu diesen Teil gibt, mal ganz abgesehen davon, dass Geschichten, die im Bereich "Sonstige" veröffentlicht wurden von den Lesern leider oft stiefmütterlich behandelt werden.
Liebe Grüße
astweg«
Kommentare: 67
goreaner
Wieder mal hervorragend. Diese Parodie gemixt mit etwas Lokalkolorit... nicht zu vergessen all diese Helden aus anderen Storys, die hier einen wohlverdienten Carneo-Auftritt haben. Köstlich dieser moderne "Gollum" ("so schön, so prächtig .... mein schatzzz!") Apropos, dieser Aleeke.. der kommt mir bekannt vor???
Und Voice war wieder unschlagbar. Fährt doch glatt nach Hause ROFL
Weniger gut fand ich die Passage mit dem Buch auf dem Trädemarkt oder was,, war mir irgendwie zu lang (aber manche Sprüche erkannt ich wieder (Sämtlicher Verkehr wird durch meinen Anwalt erledigt)
Der Traum mit LTJ hat mich etwas irritiert, weil ich zuerst eirgendwie nicht erkennen konnte, dass es nur ein Traum war.
Wie ich dir bereits geschrieben habe, bin ich entsetzt, wie schwach die Resonanz ist auf ein solches komplexes Werk!
Leute, überlegt euch eines: Hier sitzen drei verschiedene AutorInnen mit unterschiedlichen Ideen, Schreibstil und Hintergrund. Das unter einen Hut zu bringen ist alles andere als einfach. Die Kanten müssen überall abgeshliffen werden, der Schreibstil vielleicht sogar etwas angepasst und und und...
Ich wage es mir gar nicht vorzustellen, wie lange die drei da dran gesessen haben. Mindestens ein halbes Jahr, eher mehr und das wird mit drei vier Kommentaren belohnt, während Einhandleser-Geschichten von 1nderhalb Seiten Länge mit Lob überhäuft werden. Und das, obwohl sie grammatikalisch betrachtet sogar einem Zehnjährigen die Schamesröte ins Gesicht treiben würden.
So, habe mich ausgepowert...
Wunderbar gemacht, ihr drei.
Tal
goreaner«
Kommentare: 441
Mondstern
Über die Resonanz - ja, ich bin entsetzt !!! Mehr als 1000 Klicks hatten wir nicht erwartet, aber schon deutlich mehr Feedback. Sicherlich ist das eine Geschichte, die man nicht so "nebenher" lesen kann, dazu ist sie zu komplex.
Ich habe aber immer noch die Hoffnung, das sie in der verstaubten "Sonstiges-Kategorie" noch von dem ein oder anderen entdeckt wird.
LG Mondstern«
Kommentare: 214
aweiawa
Kommentare: 21