Der Entmannte im Eis
von Helios53
Auf Zimmer 14-095 des Polizeipräsidiums Hallburg ging es hoch her. Die ‚Soko XXL‘ feierte den erfolgreichen Abschluss des Falles, dem sie ihren Namen verdankte. Ein Serienvergewaltiger und -mörder hatte am Tatort überdimensionale Kondome mit Sperma hinterlassen und damit das Ermittlungsteam auf falsche Fährten gelockt. Denn weder war das gefundene Sperma das seine, noch war sein Penis groß genug für diese Mega-Verhüterlis. Die hatte er aus den Abfallkübeln des Bordells ‚Blauer Hibiskus‘ gesammelt, wo er als Hausmeister leichten Zugang hatte. Das Perverseste aber war, dass er mit den Gewalttaten seinen Frust zu bewältigen suchte, wenn ‚seine‘ Fußballmannschaft in der Bundesliga verlor. Erst die Neue im Team, Kriminaloberkommissarin Nina Muschetzky hatte einen neuen Blickwinkel auf die festgefahrenen Ermittlungen riskiert – und gewonnen. Die zeitlichen Übereinstimmungen zwischen den brutalen Übergriffen auf Frauen und den Misserfolgen des heimischen FC Wotania Hallburg hatten sie auf die richtige Spur gebracht. Der Rest war bloße Routine gewesen. Der Täter war gefasst und saß in Untersuchungshaft.
Die vier Musketiere, wie sie sich in Anlehnung an die richtige Aussprache von Ninas Familiennamen ‚Muschetzky‘ seit dem XXL-Fall nannten, hatten bis zum offiziellen Dienstende um fünf alle notwendigen Berichte geschrieben, alle Unterlagen in den Akten abgeheftet und nun beschlossen, den Erfolg und das Ende der Soko gebührend zu feiern. Dr. Hannes Schlechter, der Pathologe, der wegen seines Namens davor zurückgeschreckt war, sich lebenden Patienten zu widmen und Doris Fussl von der KTU waren auch eingeladen. Doris hatte die entscheidende zweite DNA auf den Riesenkondomen entdeckt und auch sonst sehr entgegenkommend gehandelt. Bald kam das Gespräch wieder einmal auf Ninas Undercover-Mission, wo sie splitternackt in den Isarauen einen aggressiven Sexualstraftäter dingfest gemacht hatte. „Wie wäre es mit einer Strip-Vorführung?“, regte Schlechter an, aber Nina lehnte zunächst kategorisch ab.
Nachdem sich aber auch Schrötter, Fussenegger und sogar Doris Fussl, die seit Jahren ein Verhältnis mit Hajo pflegte – wegen ihrer ähnlichen Namen Fussl und Fussenegger waren sie bei einem Seminar in ein angeregtes Gespräch gekommen – mehr als interessiert zeigten und Ninas aktueller Liebhaber, Kriminaloberkommissar Mike Rackelt, nur belustigt grinste, gab sie nach. Teilweise zumindest. „Okay, aber ich tu nur so, okay?“ Und ehe sich die anderen Gedanken machen konnten, wie man bei einem Striptease ‚nur so tun‘ konnte, sprang sie auf Mikes Schreibtisch und bewegte sich zu einer imaginären Musik, streifte einen ebenso imaginären Rock langsam ab und tat nun so, als knöpfe sie eine Bluse auf. Gerade, als sie einen BH öffnete, obwohl sie unter ihrem T-Shirt gar keinen trug, klopfte es an der Tür. Kriminaldirektor Friedhelm Wummerbäck, den man einzuladen ‚vergessen‘ hatte!
Der ‚Alte Wummer‘ sah sich um, schüttelte den Kopf und verkündet: „Ende der Fete, es gibt Arbeit!“ Auf die erstaunten Blicke hin erklärte er, ehe sich jemand von seiner Sprachlosigkeit erholt hatte oder darauf hinweisen konnte, dass sie allesamt außer Dienst waren: „Normalerweise hätte ich Ihnen das morgen bei Dienstantritt erklärt, aber die Umstände … Jedenfalls habe ich beschlossen, und das Ministerium ist einverstanden, dass die Soko XXL zwar aufgelöst ist, die Mitglieder aber beisammenbleiben, da sie sich bewährt haben. Ab sofort als Abteilung Gewaltverbrechen römisch vier. Und da gerade ein Fall hereingekommen ist, der wirklich prädestiniert für diese Gruppe scheint, ist das jetzt euer Fall. Es sei denn, ihr lehnt das alles ab. Dann …!“ Er wedelte mit der Hand, als sei das unvorstellbar und sparte sich die Ausführung der dahinter lauernden Drohung.
Schrötter schaute in drei erwartungsvolle Augenpaare, erkannte Freude und Zustimmung und sah dann Wummerbäck fragend an. „Worum geht es?“
„Tja, es klang ein wenig seltsam, aber anscheinend hat einer in einer total vereisten Gefriertruhe ein männliches Genital gefunden. Ob es auch eine Leiche dazu gibt, ist noch unklar. Macht euch auf die Socken. Schlechter, Sie fahren am besten auch gleich. Fussl, holen sie ihre Sachen und Verstärkung“ Ab mit euch! Morgen ganz früh Bericht, damit das klar ist. Hier ist die Adresse!“ Er reichte Schrötter einen Zettel, drehte sich um und verschwand.
„Der macht jetzt Feierabend!“, nörgelte Fussenegger, der sich auf einen kuscheligen Abend mit Doris gefreut hatte. Aber die Freude, dass sie weiterhin miteinander arbeiten durften, überwog deutlich und ‚Gewalt IV‘ machte sich ‚auf die Socken‘.
Knapp eine halbe Stunde später traf die ganze Mannschaft inklusive Gerichtsmediziner und Spurensicherung in einer Reihenhaussiedlung an der südlichen Peripherie von Hallburg ein. Auf der Stichstraße standen zwei Streifenwagen. Vier Polizisten sicherten den Zugang und schreckten neugierige Nachbarn ab. Einer kam auf die Kriminalpolizisten zu, salutierte und stellte sich als Polizeiobermeister Moosbach vor. „Erlauben Sie, dass ich zusammenfassend berichte, was wir bisher erhoben haben?“ Schrötter nickte aufmunternd. „Gut, also! Das Haus gehört einem Herrn Burgmeier, mit zwei „e“ und „i“. Ihm gehören da drei Reihen mit je sechs Häusern. Er selber wohnt gleich in der Nähe, allerdings in der Reihe, die von der parallel hierzu verlaufenden Stichstraße zugänglich ist. Das Haus hier hat er vor gut zwei Jahren an einen Italiener vermietet, einen Massimo Ardente, fünfunddreißig Jahre alt und aus Mailand. Er ist Vertreter für ‚Dolgelato‘, eine neue Speiseeismarke, die er hier in Süddeutschland platzieren soll. Als er einzog, hatte er grad mehr als zweihunderttausend Euro im Casino gewonnen. Ich habe angerufen, es stimmt. Mit Burgmeier kam er zusammen, weil der wegen der Kreditraten knapp bei Kasse war und das Dach sanieren musste. Das kam beiden gelegen. Burgmeier bekam siebzigtausend im Voraus, dafür zahlte Ardente nur zwanzig Monatsmieten für zwei Jahre. Und die Kaution war auch darin enthalten. Nach Ablauf der zwei Jahre meldete sich Ardente nicht, daher kam Burgmeier her, um anzuklingeln. Der Italiener war aber nicht erreichbar. Nicht ungewöhnlich bei einem Vertreter mit einem so großen Verkaufsgebiet. Aber Burgmeier warf eine Nachricht durch den Briefschlitz. Am Tag darauf erlitt er einen Herzinfarkt und hatte anderes zu denken als an Ardente. Immerhin hatte er ja auch noch die Kaution. Erst heute Morgen kam er wieder vorbei, diesmal mit Schlüssel. Sofort fiel ihm ein Riesenhaufen Werbematerial hinter der Eingangstür auf. Alles deutet darauf hin, dass sich Ardente aus dem Staub gemacht hatte. Burgmeier war es egal, er ging aber nachsehen, ob Ardentes Alfa noch in der Garage stand. Das tat er auch. Also war er wohl doch nicht nach bella Italia verschwunden. Hinter dem Alfa steht aber eine riesige Gefriertruhe, die auf vollen Touren lief, weil der Deckel nicht ganz geschlossen war. Der Innenraum war komplett vereist. Ein richtiger Gletscher! Burgmeier schaltete ab und ließ das Eis auftauen. Damit es schneller ging, klemmte er einen Fön zwischen Truhe und Deckel. Alle paar Stunden kam er nachsehen und schöpfte Wasser ab, das ja nicht abrinnen konnte. Irgendwann fiel ihm ein, dass da eventuell noch Probepackungen Eis drin sein könnten und fischte danach. Auf einmal hielt er einen – äh – Sch… - äh – ein Gemächt in der Hand. Fast hätte er den nächsten Infarkt bekommen, aber er begnügte sich doch damit, sein Mittagessen auf dem Garagenboden zu verteilen. Jetzt ist er daheim bei Frau und Hund. Inzwischen sieht man auch andere Körperteile, zum Beispiel einen Fuß, der das Schließen des Deckels verhindert hat. Laut den Nachbarn hat man Ardente seit ewig nicht mehr gesehen Das letzte konkrete Datum, an das man sich erinnert, ist der 2. Juni vor einem Jahr. Da hat er aus Anlass des italienischen Nationalfeiertags ein Feuerwerk abgebrannt, aber später war er auch noch da. Anscheinend hat er angekündigt, zu Ferragosto nach Hause fahren zu wollen. Seither nichts.“
„Danke, das war eine gute Zusammenfassung!“
„Ach ja, man meinte auch, Massimo Ardente wäre ein Schürzenjäger, der im ersten Jahr seines Hierseins alle paar Wochen eine neue Freundin anschleppte. So ‘ne Art Papagallo, ne? Alles richtige Zuckerschnecken, meistens verheiratet, sagt der Sohn von Nummer fünfzehn. Er ist neunzehn und auch so ein Filou. Hoffe, Sie können daraus was machen!“
„Sehr gut, Moosbach! Haben sie eine Aufstellung, wer wo wohnt und wem die Häuser gehören?“ Moosbach reichte ihm wortlos eine akribisch erstellte Liste. ‚Guter Mann!‘, dachte Schrötter und überlegte, ob er ihn mehr einbinden könnte.
Der Gerichtsmediziner war mit den Leuten von der Spurensicherung schon in die Garage vorausgegangen. Inzwischen war schon der ganze Unterschenkel frei. „Können Sie schon was sagen, Doc?“, fragte Schrötter, wie das auch alle Kommissare im Fernsehen fragen.
„Ein nackter Fuß, von einem Mann. Mehr, wenn ich ihn auf dem Tisch habe!“, antwortete Schlechter exakt nach Fernsehdrehbuch und grinste.
„Kann man das Auftauen nicht beschleunigen? Mit Streusalz oder so?“, fragte Mike.
„Mit Streusalz?“, fragte Schlechter entgeistert. „Das könnte Spuren vernichten!“
„Oder mit Mineralwasser?“, warf Nina ein. „Ich habe auf einer Flasche gelesen, dass es enteisend wirkt.“
Schlechter grunzte. Dann prustete er los. „Meine Liebe, da stand ganz gewiss nicht ‚enteisend‘, sondern ‚enteisent‘. Mit hartem ‚t‘! Das heißt, dass dem Wasser Eisen entzogen wurde, nicht Eis! Nein, nein, das muss leider mit thermischer Kraft gemacht werde!“ Er schöpfte Wasser aus der Truhe, goss eine kleine Menge in ein Glasfläschchen und den Rest durch ein feines Tuch, um alle Partikel zu sichern.
„Ich glaube, hier können wir vorläufig nicht viel ausrichten. Hajo, fahr zurück ins Präsidium und kontaktiere die Kollegen in Mailand und die Firma Dolgelato! Wir müssen mehr über diesen Ardente wissen.“
„Passender Name übrigens für einen italienischen Lover. Ardente heißt heiß, feurig, leidenschaftlich, brünstig und so weiter“, warf Nina ein, die nach der Schmach mit dem ‚enteisenden Mineralwasser‘ bemüht war, ihre Kenntnisse anzubringen.
„Hat aber auch nichts genützt“, ätzte Schrötter. „So heiß war er nicht, dass es ‚enteisend‘ gewirkt hätte. Sonst bräuchten wir keinen Fön!“ Nina schluckte eine Entgegnung hinunter. „Ich gehe davon aus, dass die Leiche in der Truhe der verschwundene Italiener ist. Ob er bei lebendigem Leib entmannt wurde oder post mortem, wird die Obduktion zeigen. Die Frage ist aber, warum? Wer macht so etwas. Für mich deutet alles auf eine Eifersuchtstat hin. Wenn man seinen Ruf bedenkt, könnte es eine Menge Männer mit Motiv geben. Wir müssen was über seine Eroberungen herauskriegen. Und deren Männer! Nina, Mike, schnappt euch diesen Moosbach und klappert noch einmal die Nachbarschaft ab. Wer hat eine seiner Freundinnen gesehen? Ich will alles wissen, was immer die Nachbarn mitgekriegt haben. Namen, Kosenamen, Aussehen, Kleider. Vielleicht hat eine Dame ein seltenes Kleidungsstück erkannt. Oder Schuhe, Handtaschen! Louboutins, Gucci oder sowas. Auto, Fahrrad, Moped, was weiß ich. Los! Ich schau, ob die Spusi schon was gefunden hat, was wir auswerten können, Computer, Tagebuch, Adressen, Handy und so weiter. Alle Erkenntnisse werden sofort ausgetauscht. Los geht’s!“
Am nächsten Morgen klopfte Tom Schrötter beim Kriminaldirektor an. „Ich möchte nur kurz deponieren, was wir bis jetzt herausgefunden haben: In der besagten Kühltruhe befand sich eine vollständige nackte Männerleiche. Die Genitalien waren aber abgeschnitten und, wie es ausschaut, auf dem Kopf des Mannes abgelegt, weswegen die zuerst gefunden wurden. Das Opfer hieß aller Wahrscheinlichkeit nach Massimo Ardente und war Vertreter einer neuen Speiseeismarke. Und außerdem ein sehr erfolgreicher Frauenheld, spezialisiert auf Verheiratete. Wir gehen davon aus, dass er eine verhängnisvolle Affäre mit einer Frau hatte, deren Gatte in einem Anfall rasender Eifersucht die Tat begangen hat. Tatort war sein eigenes Schlafzimmer. Die Spusi konnte Blutreste feststellen. Ardente wurde die Kehle durchgeschnitten und außer, dass ihm der Schwanz samt Sack abgeschnitten wurde, hat der Täter ihm auch noch das Mordwerkzeug in den Arsch gerammt. Vorher, denn es fanden sich Kotspuren in der Halswunde.“ Wummerbäck verzog in Abscheu sein Gesicht. „Vermutlich wurde er auch bei lebendigem Leib kastriert. Ob bei vollem Bewusstsein, steht noch nicht fest. Tatzeitpunkt ist nicht genau feststellbar, weil die Leiche ja gefroren war, doch nach den hinter der Tür angesammelten Werbebroschüren dürfte es etwa Mitte August gewesen sein. Also vor ziemlich genau einem Jahr. Ardente war offenbar gerade dabei zu Ferragosto nach Italien zu fahren. Ein Koffer war schon in seinem Auto.“
„Hat die Obduktion noch etwas ergeben? Tatwaffe?“
„Ja, das ist komisch! Nach den Wunden war das Instrument ziemlich lang, sehr scharf geschliffen, auf der Oberseite strukturiert und vorne etwas aufgebogen. Nicht sehr spitz. Dr. Schlechter meint, wenn es nicht so scharf wäre, könnte es ein Champagnersäbel sein, von der Form her. Aber die sind üblicherweise eher stumpf, weil man beim Köpfen den Rand nach vorne schlägt, nicht abschneidet.“
„Das ist kein Grund, der dagegen spricht. Man kann durchaus mit der anderen Seite sabrieren, mit der stumpfen. Nur muss dann der Griff so sein, dass man den Säbel von beiden Seiten packen kann. Ich habe sogar schon mal eine Flasche Bollinger mit einem Suppenlöffel geköpft, …“
„Das ist interessant, aber Champagnersäbel oder was Ähnliches haben wir auch keinen gefunden. Den hat der Täter wohl mitgenommen.“
„Habt ihr einen Ständer gefunden? Oft werden diese Dinger in Holzständern präsentiert. Das schaut dann so aus wie diese japanischen Schwerter im Miniformat.“
„Nein, auch nicht, aber wir werden danach Ausschau halten, wenn wir seine Er
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Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 404
Helios53
Und leider habe ich auch die Kurzversion aus dem Wettbewerb (romane-forum.de, 2018) eingereicht und nicht die ausgearbeitete Langversion. Diese wird nachgeliefert.
Dieser Text war Beitrag zu einem Wettbewerb mit verschärften Bedingungen:
Thema: "Zu eng"
Wortlimit: 4.400
Pflichtwörter, unverändert im Text unterzubringen:
Masern
Reifenwechsel
enteisend
Champagnersäbel«
Kommentare: 314
bolle
Ob ich mit der Entscheidung, die Story unter -Sonstiges- einzustellen, konform gehe (;-)), entscheide ich, wenn der erste Teil veröffentlicht wird. Dann lese ich.
Was für ein Wettbewerb war das denn?«