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Kommentare: 12 | Lesungen: 2011 | Bewertung: 7.67 | Kategorie: SciFi, Fantasy, History | veröffentlicht: 11.11.2015

Der Kurier

von

Wieder wischte Gerrys Vorderrad durch eine nebeldampfende, trübdunkle Pfütze. Wasser sprengte zu beiden Seiten empor. Die Lichter der grellfarbenen Neonschilder, die sich in der Lache gespiegelt hatten, wurden in chaotische Funken zerrissen. Es passte zum Zustand dieser Stadt. Atemlos, außer Kontrolle, düster und kalt.

Gerry steuerte sein Kurierrad durch das Labyrinth aus Wasserlachen, Abwasserrinnsalen, kreuz- und quer parkenden Fahrzeugen und Gestalten, die unerkannt durch die Nacht hasteten. Dumpfe, schwarze Schatten türmten sich ringsum, fast schienen die Hochhäuser über ihm zusammenzuwachsen. Gerrys Puls hämmerte - und es kam nicht vom Radfahren. Chicago ließ keine Ruhe zu. Diese Stadt gefror Wärme, löschte Licht, verschluckte den Einzelnen.

In Gerrys Gepäckbox klirrten die Ampullen. Er war spät dran. Wie eigentlich immer und jeder in Chicago.

Da vorn war es! Wie ein Maschine, die einen Gang höher schaltete, trat Gerry schneller in die Pedale, erreichte den in sanftes, wärmendes Licht getauchten Rundbau. Hier war Licht! Wie eine sonnenbeschienene Lichtung in einem überwucherten, von einem Unwetter heimgesuchten Wald. Fast automatisch ließ Gerry die Pedale austrudeln, atmete leichter gegen das beengte Gefühl in seiner Brust.

Sein Rad rastete in einem der Bikestands ein. Gerry drückte seinen Finger auf das kleine Eingabefeld und sein Kurierrad wurde innerhalb von drei Sekunden automatisch zusammengefaltet und unter der Erde verstaut.

Gerry lief durch das rot fluoreszierende Tor in das fast unhörbar, aber beruhigend summende Gebäude. Die Sicherheitsprozedur dauerte nicht länger als gewöhnlich und Gerry genoß sie fast. Die milden Lichtbögen, die feierlichen Ansagen ("Es ist Ihr 'großer Tag'! Überlassen Sie alles uns!"), die präzisen aber sanften Berührungen der Roboterhände.

Eine halbe Stunde war er hindurch - und die innere Uhr trieb seinen Puls wieder hoch. Jetzt war er wieder Gerry, der Medikurier, spät dran.

Am Empfang bat man ihn - wie oft bei eiligen Nachbestellungen - den sofort benötigten Teil der Lieferung gleich selbst zu verteilen. Zügig ging Gerry nach links durch eine Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift "Short-Arrival" glühte.

In rötliche Pastelltöne getauchte Flure führten hinter der Tür in viele Richtungen. Gerry eilte in einen hinein, die klirrende Box mit den Ampullen mit einer Hand an die Hüfte geklemmt.

An einer ersten wabenförmigen Einbuchtung stoppte er, nestelte mit geüben Handgriffen an der Medibox. Und konnte wie immer nicht anders, als sekundenweise ein paar verstohlene Blicke durch die Sicherheitsgucklöcher in der schweren, schallisolierten Tür zu werfen.

Hinter der Tür dieser Wabe war alles in dunkles Rot getaucht, lange Tücher bildeten eine Art Pavillon. Ein Mann und eine Frau standen sich darin gegenüber. Der Mann trug einen beeindruckend akurat geschnittenen dunklen Anzug aus feinstem Stoff. Sie ein weißes Kleid mit verspielten Spitzenverzierungen. Die zwei hatten wohl ihre Hochzeitsausstattung noch einmal herausgeholt, dachte Gerry. Viele Menschen sparten sich ihren "großen Tag" für später auf, manchmal für einen Tag viele Jahre nach der Hochzeit. Einige verlebten ihn dann auch schon mit einem anderen Partner...

Etwas unbeholfen strich der Mann gerade mit seinem Handrücken über die Wange der Frau. Doch schon diese kleine Geste ließ die Frau erschaudern, sie schien zu schluchzen und lächelte den Mann mit Tränen in den Augen an. Offenbar löste sich bei ihr eine gewaltige Anspannung und Vorfreude. Beide sahen ungeduldig zur Tür, etwas oberhalb des Türspions, hinter dem Gerry sich schnell losriss und eine der Ampullen in die dafür vorgesehene Aussparung schob.

Etwas rastete ein, eine Elektronik wurde aktiviert, ganz leise und scheinbar weit entfernt hörte Gerry hinter der schallgedämpften Tür ein Signal. Ein kleines grünes Licht strahlte von der Tür her in das Dunkelrot des Raumes.

Die Frau und der Mann sprangen fast zur Tür, griffen nach etwas, hielten und betrachteten die Ampulle und flößten sie einander ein.

Danach traten sie noch näher aneinander heran als eben schon, ihre Gesichter vor offensichtlicher Freude und Aufregung errötet. Wieder streichelte der Mann über eine Wange der Frau, die sich dieses Mal als Reaktion die Träger ihres weißen Kleides über die Schulter schob, erst auf der einen, dann der anderen Seite.

Der Mann berührte zärtlich mit den Fingerspitzen seiner anderen Hand ihre frei gelegten Schultern - während seine erste Hand immer noch ihre Wange liebkoste. Doch die Frau schien es kaum abwarten zu können, ihr Mund war halb geöffnet, offenbar vor Aufregung. Sie riss sich förmlich ihr Kleid von oben herunter und entblößte ihren Oberkörper, präsentierte ihn dem Mann, der ziemlich gelähmt wirkte, während er auf ihre festen Rundungen unter dem BH starrte. Sein Finger glitten langsam tiefer, fast scheu, über ihren Hals, doch die Frau schien weniger Hemmungen zu haben und fuhr sich mit den eigenen Händen unter den BH, streichelte darunter mit geschlossenen Augen ihre Brüste, so genüsslich, als habe sie das noch nie im Leben getan. Dann schob sie sich selbst den BH nach oben über die Brüste. Nur noch ihre Hände bedeckten nun ihren Busen, der mit seinen steif gewordenen Knospen zwischen ihren Fingern hervorblitzte.

Dieser Anblick ließ auch den Mann seine Zurückhaltung verlieren, er packte die Hände der Frau und schob sie auseinander, so dass ihre Brüste, vor Erregung leicht rosa befleckt, frei für seine Blicke vor ihm lagen. Dann küsste er die Frau - innig, fordernd, hingebungsvoll. Und sie schlang seine Arme um ihn, presste ihre nackten Brüste gegen seinen Anzug, während er begann, eine Hand unten zwischen ihre Schenkel zu schieben.

Was er sah, ließ Gerrys Herz klopfen, ein Kribbeln breitete sich zwischen seinen Lenden aus, etwas zog angenehm schmerzhaft zwischen seinen Beinen. Schnell besann er sich auf sein Training und ließ die aufgekommene Erregung mit gezielt frostigen, unerträglichen Gedanken verebben.

Etwas Bedauern blieb trotzdem - aber Gerry wusste, dass er seinen "großen Tag" noch vor sich hatte. Anders als dieses Paar hinter der Tür.

Er machte sich auf zur nächsten Wabenbox. Hier schob er zunächst die Ampulle in Position, bevor er sich wieder einen verstohlenen Blick durch die massive Tür erlaubte.

Hinter der Tür griff ein älterer Mann mit ehrenvoll ergrautem Haar zu der Ampulle. Er trank seine Hälfte und trug den Rest dann zu einem blütenübersäten altmodischen Bett, auf dessen Rand eine junge Frau in keuscher Haltung saß, die Beine artig zusammengepresst. Er reichte ihr die Ampulle. Sie führte sie an die Lippen, benetzte sie, sog die Flüssigkeit ein, schluckte und gab die leere Ampulle der wartenden Hand des Mannes zurück. Der verstaute sie in der Tasche seiner sicherlich sehr teuren Seidenhose und sah die junge Frau fragend an. Sie atmete ein paar Mal tief, als müsse sie ihre Entscheidung erst treffen - und nickte dem älteren Herren dann zu.

Er lächelte, es wirkte dankbar, und gab der jungen Dame einen altmodischen Handkuss. Dann sammelte er ihr langes, blondes, samtenes Haar in einer Hand, strich es sorgsam gebündelt auf ihren Rücken und küsste sie seitlich am Hals. Sie drehte ihm ganz leicht ihren Kopf entgegen. Er fuhr zärtlich durch ihren provisorischen Zopf, sie schloss die Augen und legte ihren Kopf in seine Hand. Er küsste sie sacht und doch, als wüsste er genau, was er tat. Und tun wollte. Eine seiner Hände glitt an ihrem Hals herab, in den Ausschnitt ihrer weißen Bluse hinein und tiefer zwischen ihre Wölbungen. Sie ließ es geschehen.

Ein innerer Wecker alarmierte den stillen Beobachter der Szene. Gerry genoss noch eine Sekunde die wohlige Wärme in seinem Bauch, schaltete dann aber wieder um auf das gut einstudierte mentale Programm, das ihn vor allzu glühender Hitze bewahrte - und vor der Gefahr, dass seine Lebensplanung auf den Kopf gestellt würde. Er schritt weiter den Gang hinab, zu den nächsten Kunden, die auf seine Ampullen warteten, damit auch sie mit dem sicherlich schönsten Tag ihres Lebens beginnen konnten.

In Raum Nummer drei verdeckten zunächst bunter Stoff und glitzernde Ringe Gerrys neugierigen Einblick, bis eine reife vollbusige Frau mit der eingeschleusten Ampulle zu einer Hängeschaukel aus Korb schritt, auf der ein junger Mann nur in weißer Unterwäsche saß. Eine Bauchtänzerin oder Zirkusartistin, dachte Gerry - angesichts der Frau in ihrem Glitzerkleid und ihrem reich mit Ketten behängten Hals und den fast vollständig beringten Händen, mit denen sie in der Tat jetzt verspielt-tänzerische Bewegungen machte, während sie sich elegant dem Jüngling näherte und ihm die Ampulle an die Lippen führte.

Seine Augen huschten nervös hin und her, er schien sich nicht sicher in seiner Situation zu fühlen. Fast hatte Gerry schon den Eindruck, er würde die Hand mit der Ampulle von sich schieben, doch da umkraulte eine Hand der reifen Schönen lockend seinen Nacken, spielte mit seinen Haarspitzen und fuhr dann nach vorn über seine muskulöse Brust unter sein Hemd. Und während ihre funkelnden Ringe langsam nach unten strichen, gab sich der junge Mann einen Ruck und ließ es zu, dass aus der Öffnung der halbvollen Ampulle der Trunk in seinen Mund floss, der angeblich die benötigte einzigartige Leidenschaft entfachte.

Gerry hörte es nicht, aber er sah, dass die Tänzerin sich lachend und frohlockend auf den Schoss des Jünglings setzte und ihm mit einem schnellen Griff das Unterhemd über den Kopf zog.

Gerry beneidete den jungen Mann für den Moment, den er gerade endlich erleben durfte. Aber er tat ihm auch leid, weil er offenbar zu denen gehörte, die kaum das Erreichen ihrer Volljährigkeit abwarten konnten und sofort in die sehnsüchtig wartenden Hände einer erfahrenen älteren, einsamen, bisher leer ausgegangenen Dame gerieten. Der junge Mann ließ sich so gerade einer jahrelangen Vorfreude berauben - und vielleicht sogar des seltenen magischen Momentes, den "großen Tag" seines Lebens in echter Liebe zu erleben.

Vielleicht hätte der Heißsporn einen der Kurse zur Kontrolle der eigenen Triebe besuchen sollen. So wie einst Gerry, dem allerdings sein älterer Bruder Marc zur Volljährigkeit den fast unerschwinglichen Kurs bezahlt hatte. "Damit Du eine Chance hast, Dich selbst zu entscheiden!", hatte Marc zur Begründung gesagt, "die wollen doch, dass Du es schnell hinter Dich bringst. Mit der ganzen Werbung und allem, sie wollen das Problem schnell aus der Welt schaffen!"

Gerry hatte selten genauer zugehört, wenn sein Bruder Verschwörungstheorien verbreitet hatte. Gerry lebte mehr für den Tag, und er bekam nur Kopfschmerzen und schlechte Laune von politischen Diskussionen über die Regierung - oder die Geschichte. Etwa wann und warum der "Clean-Love-Act" eingeführt worden war. Irgendetwas hatte es mit neuen, perfekteren Verfahren zur künstlichen Befruchtung zu tun. Und mit einem drastischen Anstieg von Sexualverbrechen.

Noch zwei weitere Räume musste Gerry mit Ampullen versorgen, noch zweimal gestattete er sich einen spannenden, prickelnden Moment des Spionierens...

Er sah zunächst eine Frau mittleren Alters mit sichtbar chirurgisch perfektioniertem Körper und gestrafftem Gesicht, die nackt auf einer Strandliege lag, umringt Palmen und vier Männern. Nach dem gemeinschaftlichen Ampullentrunk begannen die vier Herren die Handrücken und Fußgelenke der Frau behutsam zu massieren, wanderten dann mit ihren vierzig Fingerspitzen über den unnatürlich jugendlich gestrafften Körper, bis sich die Frau unter den Streicheleien aufbäumte und ihre angewinkelten Schenkel einladend spreizte.

Im letzten Raum, dessen Tür besonders breit und mit einem Schild "Sonderedition *D*e*l*u*x*e*" markiert war, entnahm eine unbekleidete Traumfrau mit perfekten Modelmaßen die Ampulle aus dem Türschacht. Sie tröpfelte sich zunächst selbst etwas davon in den Mund - wobei Gerry für einen kurzen Moment das Gefühl hatte, dass ihr Schlucken gespielt war. Dann schritt die Frau durch den Raum, der als königliches Schloss-Schlafzimmer hergerichtet war. Vor einem verschwenderisch verzierten, mittelalterlich wirkenden Himmelbett, warteten zwei weitere Frauen mit Modelmaßen, auch sie nackt. Auch sie nahmen die Ampulle, führten sie zum Mund und küssten sich dann innig, als wollten sie den Geschmack miteinander teilen. Vom Bett her schaute ihnen ein Mann zu, der wie ein orientalischer Würdenträger gekleidet war, seine Hose aber bereits nicht mehr trug. Ihm wurde als letztem die Ampulle gereicht - und während er sie leerte, bemerkte Gerry, wie sich alle drei Frauen auffällig gleichzeitig mit der Hand über den Mund strichen.

Der Mann im Himmelbett konnte es wohl nicht gesehen haben, da er gerade die Ampulle absetzte und die drei Frauen dann mit einer einladenden, aber auch wenig Widerspruch duldenden Geste zu sich ins Bett winkte.

Wie Gazellen glitten die Frauen über die Laken zu ihm hin, um ihm seinen besonderen Tag in einer - wohl mit einem Vermögen bezahlten - "Deluxe"-Version zu bereiten. Lippenpaare hauchten ihm aufheizende Provokationen ins Ohr, sie streichelten sein Ego mit Übertreibungen und seine Haut mit ihren geschickten zärtlichen Fingern. Und während eine der Damen ihre Lippen leidenschaftlich auf seine drückte und ihre Zunge in seinem Mund spielen ließ, tauchten die Köpfe der anderen zwei unter sein Gewand und verschwanden dort zwischen seinen rauhen, dunkel und reichlich behaarten Beinen.

Gerry spürte seinen heiß gewordenen Kopf, wandte ein paar mentale Kühlgriffe an und ließ von der Tür ab.

Am Ende des "Short-Arrival"-Traktes hinter einer zischend aufgleitenden Automatiktür wartete die Hälfte seiner Bezahlung, ein Abendessen in der großen "Candlelounge".

Der Raum war mit Wänden, die fast natürlich gewachsen wirkten, ebenfalls in Wabenformen unterteilt. In jedem so separierten Bereich standen Tische, mit rötlichen Stoffen belegt, Blütenköpfe lagen wie zufällig vom Himmel gefallen zwischen dem edlen Geschirr, elektrische Kerzen brannten vorsorglich für Neuankömmlinge.

Gerry zeigte einer Serviererin sein rotes "Before"-LED-Tattoo am Handrücken. Er bekam dafür die Speisekarte in der für ihn freigegebenen Version, auf der er, ohne sie zu lesen, einige Dinge antippte und sich an einem der Candlelight-Tische niederließ. Vor dem Gedeck für zwei und den Kerzen, die leise Knistertöne abspielten, fühlte sich Gerry wie so oft fehl am Platz. Zum Glück kam die Bestellung schnell.

Wie gewohnt war das Mahl aufreizend in jeder Beziehung. Die Servierin hatte, wohl einer Dienstanweisung entsprechend, ihre Bluse einen tiefen Spalt weit aufgeknöpft. Sie blickte Gerry aus ihren katzenartig grünen Augen etwas übertrieben direkt in die Augen, während sie das kandiderte Würz-Obst auf dem Tisch abstellte. Die Früchte in allerlei zweideutigen Formen verbreiteten einen synthetisch-sinnlichen Duft. Auch das Fleisch roch nach Aphrodisiaka. Der Wein kam in einer Flasche, deren Form die Silhouette einer nackten Frau war. Gerry wusste, dass er fantastisch schmeckte und erektionsanregende Präparate enthielt, die Gänsehaut und Lust auslösten, wenn man sich nicht wehren konnte. "Koch Dir was selbst, sonst kriegen sie dich dazu, nicht länger zu warten!", hatte ihn sein Bruder Marc einst gewarnt.

Gerry überstand die Verführung des Essens mithilfe der Workshoplehren ohne größeres Lendenziehen. Gerade wollte er gehen, da sah er das Paar in Hochzeitskleidung hereinkommen.

Neugierig blieb er noch - und schnell bemerkte er die typischen Anzeichen in ihrer Körpersprache. Zwar wirkten ihre Körper noch erhitzt, ihre Kleidung nicht ganz korrekt sitzend - doch da war auch die offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Anderen, das Neutral-Geschäftige, als habe man gerade nur etwas Berufliches besprochen. Wegen ihrer Hochzeitskleidung fiel Gerry der Kontrast dieses Mal stärker auf als sonst. Und mehr als sonst erlaubte er sich die rebellische Frage, ob der "große Tag" die ganze vorfreudige Verlockung wert war, wenn er mit so wenig Euphorie endete. Allerdings musste Gerry auch zugeben, dass die beiden nicht unglücklich aussahen, sondern eher entspannt und reifer.

Die beiden zeigten einer Servierkraft ihre jetzt weißblau glühenden Handrücken und setzten sich dann in Gerrys Nähe. Als ein Mann in neutral weiß-grauem Outfit den beiden ihre weißen Sättigungswürfel servierte und die Kerzen auf ihrem Tisch durch eine Halogenlampe ersetzte, wofür sie ihm lächelnd dankten, machte sich Gerry auf den Weg Richtung Ausgang.

***

Er wurde noch einmal aufgehalten. Vom Empfang rief ihn ein Mitarbeiter mit Namen - überließ dann aber seiner Kollegin das Reden, als er das rote Glühen an Gerrys Ärmel registrierte.

Die Kollegin reagierte perfekt erzogen für solche Situationen: Sie schenkte Gerry einen wunderschönen kecken Augenaufschlag zur Begrüßung und erklärte ihm dann mit leicht lasziv ins Rauchige abgesenkter Stimme, dass eine der Ampullen seiner Lieferung hier am falschen Ort gelandet war. Sie zog eine weißbläuliche Ampulle hervor und klebte einen Countdowner darauf, der noch 4 Minuten anzeigte.


Dann gab sie ihm den zugehörigen Adresschip und betonte noch einmal: "Die ist wirklich spät dran! Wir hoffen, Sie schaffen es noch!"


Dann strich sie sich eine Strähne aus dem Haar, schenkte ihm ein verspieltes Lächeln und Gerry hastete los.

Dreißig Sekunden später saß er auf seinem Rad und ließ den Adresschip am Handgelenk in seiner Naviwatch verschwinden, die automatisch eine Verbindung zum Computersystem seines Rades herstellte, um ihn mit entsprechenden Vibrationssignalen an den Händen zu versorgen. Gerry fuhr los und versuchte, unfallfrei einen Weg durch das anonyme Getümmel der verregneten, dampfenden Straßen zu finden und gleichzeitig seine Augen schnell an das plötzliche Dämmerlicht und die grellen Neonlichter zu gewöhnen.

Als die Anweisungen des Navisystems ihn auf die Bike-Lane des Highways 90 führten, wurde ihm klar, dass der Countdown lange abgelaufen sein würde, bis er sein Ziel erreichen konnte. Dazu kamen die Umwege, weil er als "Beforer" bestimmte "cleane" Viertel nicht betreten oder befahren durfte. Weit in Chicagos Norden schließlich kam ihm plötzlich der Gedanke, dass er dieses Viertel kannte. Er folgte den Vibrationen an seinen Händen bis in eine abseitige Straße, die einmal wohlhabend gewesen war, deren Bäume jetzt aber stumpf gebrochen und deren Laternen seit Jahren nicht mehr gewartet worden waren. Einige sandten Kurzschlussblitze durch die aufkommende Nacht.

Gerry war jetzt sicher - und höchst verwundert, dass er in der Straße stand, die er zwar lange nicht besucht hatte, in der aber der Mensch wohnte, den er als einzigen noch Familie nennen wollte. Und noch verblüffter dwar er, als ihn das Navi direkt vor Marcs Haus führte.

Gerry brauchte ein paar Sekunden, um die Überraschung und das Kaleidoskop an Erinnerungen zu verarbeiten. Dann holte ihn das leise aber eindringliche Alarmpiepen an der Ampulle in die Normalzeit zurück. Er zog die Ampulle heraus, der blinkende Countdowner zeigte "- 25 Minuten".

Schnell sprang Gerry zur Tür, klingelte, hörte allerdings keinen Ton.

Bei "-27 Minuten" drückte er die Klinke herunter, die tatsächlich noch seine Fingerabdrücke gespeichert hatte und ihm den Zugang gewährte.

Bei "-28 Minuten" stand er im halbdunklen Flur, ohne dass jemand auf sein halbherziges Rufen reagierte. Nur ein dumpfes rhythmisches Dröhnen tönte in seinen Ohren.

Bei "-30 Minuten" kehrte er aus dem Obergeschoss zurück, wo er niemanden angetroffen hatte. Eine Treppe führte hinab in den Kellerbereich - "-31 Minuten" - dort wurde das rhythmische Stampfen stärker, führte ihn zu einer schweren Metalltür. Ein flackernder Lichtstrahl drang durch das Schloss, immer wieder von Schatten durchbrochen. Gerry blickte durch die winzige Öffnung ins Licht.

Er sah eine senkrechte silberne Wand, die weich und flexibel wie ein Meer hin und her wogte. Hinter der Wand bewegten sich Lichter und Gestalten, ihre Schatten huschten über das Silber. Gerry glaubte Marcs Stimme zu hören. Sie stieß Schreie aus! Instinktiv drückte Gerry die Klinke herunter - das Kribbeln an seiner Hand und ein sanftes Aufglühen der Klinke zeigte, dass auch diese Tür biometrisch verriegelt gewesen war.

Gerry stand im Kellerraum - der aussah, als wäre ein riesiger silberner Gummiball in ihm aufgeblasen worden, bis er die Wände berührte. Laute tranceartige Musik wummerte durch den Raum. Der Ball wogte hin und her, als würde in seinem Inneren ein drehbarer Ventilator Wind erzeugen. Aus dem Inneren ertönten erneut seltsame Schreie, wieder glaubte Gerry, Marcs Stimme zu erkennen.

Er suchte fieberhaft nach einem Eingang. Gegenüber der Kellertür, etwas seitlich versetzt, fand Gerry schließlich ein dünnes Muster in der Form einer Einstiegsöffnung. Ein Öffnungsmechanismus war allerdings nicht zu sehen.

Erneute Schreie peitschten Adrenalin in Gerrys Blut und er zückte kurzerhand sein Taschen-Paketmesser und stach eine Öffnung in die silberne Wand. Durch das eingerissene Loch spähte Gerry hinein.

Er sah Marc. Über eine braunhaarige Schönheit gebeugt.

Gleich einem Panther, der einen aufmüpfigen Rivalen unter sich bändigt. Die Frau hob Marc ihren schweißglänzenden nackten Körper entgegen. Eine Hand um seinen Hals geschlungen versuchte sie, ihn tiefer zu sich hinab zu ziehen. Doch er widerstand ihr, gewährte ihr nur soviel Nähe, wie es ihm beliebte. Seine schwarze Unterhose war unter seinen athletisch wirkenden Hintern gerutscht, betonte seine kraftvollen Pobacken, sein erigiertes Glied zielte auf die Mitte der Frau, deren Tanga weit gedehnt zwischen ihren Kniekehlen hing. Ihre festen Brüste wurden von zwei steifen Perlen gekrönt, die sie ihm in offensichtlicher Wolllust weit entgegenstreckte.

Offenbar hatte Marc sich gerade aus der Dunkelhaarigen zurückgezogen, vielleicht um seine Lust zu zügeln - oder die Frau zappeln zu lassen, jetzt ließ er sich wieder tiefer sinken und schob seinen harten Stab langsam aber tief zurück in ihren Schoß. ie Schöne stöhnte laut auf und auch Marc stieß einen lustvollen Schrei aus.

Gerry registrierte all das mit einem Zucken zwischen seinen Beinen, sein Blick hing aber vor allem an den Kabeln, die die Köpfe seines Bruders und der Frau mit einer Apparatur im Hintergrund verbanden. Auch Marcs Lenden waren verkabelt, ebenso die Hüften und Brusthöfe der Frau.

Ringsherum flackerten Bildschirme, auf denen Gerry erst jetzt Bilder von weiteren Menschen beim Liebesspiel erkannte:

Er sah Finger, die über einen halb geöffneten Mund strichen. Kräftige Männerhände, die einen provokant herausgereckten weiblichen Po massierten. Eine Frau saß auf dem Schoß eines Mannes, sank lustvoll auf und nieder, während ein zweiter Mann von hinten ihre Brüste in seinen Händen liebkoste. Zwei Frauenkörper lagen eng umschlungen und küssten sich gegenseitig an den Innenseiten ihrer Oberschenkel. Ein Männermund beugte sich über einen Schoß und berührte mit seiner Zunge zärtlich ein hoch aufgerichtetes Glied. Eine prallgefüllte Unterhose verharrte wenige Zentimeter vor den glänzenden Lippen einer Frau, die mit verbundenen Augen vor dem Mann kniete.

Gerry merkte, dass die Bilder ihm gefährlich wurden, auch seine Hose fühlte sich unangenehm eng an. Doch er konnte die Augen nicht abwenden. Zu groß war seine Überraschung, dass all jene erregten Körper ebenfalls verkabelt waren. Was geschah hier? Was für eine Version des einmaligen "großen Tages" war das?

Die Finger waren jetzt in den halb geöffneten Mund hinein geglitten, wurden dort von einer hingebungsvoll leckenden Zunge empfangen. Die kräftigen Männerhände kneteten und spreizten jetzt die Pohälften, Daumen versanken in der dunklen Furche dazwischen, während eine weibliche Hand von vorn erschien und sich die Frau selbst ihr Geschlecht rieb. Still verharrte jetzt die Frau auf dem Schoß des Mannes und beugte sich leicht vor, während der zweite Mann hinter ihr ganz dicht heran rückte...

An den Innenseiten der Oberschenkel entlang wanderten die Lippen der zwei engumschlungenen Frauen jetzt immer weiter ins Zentrum, bis ihre Zungenspitzen die sehnsüchtig geöffnete Frucht der anderen necken konnten. Über das voll mit Blut gefüllte G

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Kommentare


Bocuse61
dabei seit: Mai '04
Kommentare: 23
schrieb am 11.11.2015:
»Bißchen seltsam, kann ich noch nicht einschätzen«

pechvogel77
dabei seit: Apr '15
Kommentare: 5
schrieb am 12.11.2015:
»interessantes Thema, gut geschrieben«

gustav
dabei seit: Nov '00
Kommentare: 5
schrieb am 13.11.2015:
»Hat was von 1984. Aber mit dem Zusatzfunken eines guten Ausgangs.«

raun7543
dabei seit: Jan '01
Kommentare: 53
schrieb am 13.11.2015:
»Ich wede das Gefühl nicht los, das die Autoren krampfhaft versuchen, jedes erregende zu 000000 vergessen.«

piemur
dabei seit: Jan '05
Kommentare: 34
Michael
schrieb am 15.11.2015:
»Seltsam aber nicht schlechr«

SabrinaS
dabei seit: Nov '14
Kommentare: 10
schrieb am 16.11.2015:
»Sicher nicht die beste Story«

urxl
dabei seit: Nov '02
Kommentare: 53
schrieb am 19.11.2015:
»Alles sehr kühl leider«

weber12
dabei seit: Dez '00
Kommentare: 20
schrieb am 21.11.2015:
»Perfekter Stil, plausible Handlung, nur die Erotik etwas versteckt.«

tomy27
dabei seit: Jan '04
Kommentare: 112
schrieb am 24.11.2015:
»Eine Geschichte, die in einer düsteren Zukunft spielt. Ich finde es gut, dass der Autor versucht eine Geschichte zu erzählen. Dass die Handlung nicht wirklich logisch ist, spielt da keine Rolle. Mir hat die Geschichte gefallen.«

BenjaminBi
dabei seit: Feb '06
Kommentare: 129
BenjaminBi
schrieb am 24.11.2015:
»Innerhalb dieses insgesamt (Verzeihung!) nicht sonderlich berauschenden Wettbewerbs ist diese Geschichte dann doch mein Favorit. Die fantasievolle Verbindung von Zukunftsvsion und Erotik ist etwas anderes als die üblichen Männerfantasien rund um Büro, Begegnungen mit Anhalterinnen et cetera ...«

Auden_James
dabei seit: Aug '10
Kommentare: 87
Auden James
schrieb am 30.11.2015:
»Der T(v) scheint auch mir noch der originellste und literarischste Beitrag im letzten Wettbewerb gewesen zu sein. Allerdings wirklich gelungen ist auch der nicht, was vor allem an den folgenden drei Punkten liegt:

1) Die Anspielungen auf dystopische Fiktionen sind viel zu diffus. Irgendwie scheint ein Potpourri aus "Brave New World" von A. Huxley, "1984" von G. Orwell und "Brazil" von T. Gilliam als Hintergrundgrößen in Frage zu kommen, wofür auch Chicago als Handlungsort spricht. So wirkt das alles aber eher ideenlos 'geklaut' denn geschickt 'verarbeitet'.

2) Der T(v) ist viel zu lang. Die Handlung wird unnötig gestreckt und verliert sich in irrelevanten Nebenschauplätzen. Und auch die Sprache trägt ihr Übriges zur fehlenden Fokussierung bei, weil sie zwar lesbar bemüht ist um eine dichte Atmosphäre, aber mehr als dieses Bemühen kommt beim Leser letztlich nicht an. Besonders deutlich ist das im adjektivschwangeren Anfang mit seinen vereinzelt Tiefsinnigkeit vortäuschenden Sätzen wie: "Diese Stadt gefror Wärme, löschte Licht, verschluckte den Einzelnen", die aber allein und verlassen dastehen, ohne dass irgendwo wieder Bezug auf sie genommen würde oder ihr Sprachduktus wieder aufgegriffen würde (denn der restliche Text ist SEVAC-typisch umgangssprachlich und 'handlungsorientiert' geschrieben).

3) Eine eigentliche erotische Entwicklung bleibt aus. Zwar werden hier und da erotische Versatzstücke eingebracht, wie die Beobachtungen des Kuriers und letztlich auch sein erstes Mal, aber diese Beschreibungen erscheinen eher beiläufig und die Handlung läuft nicht auf diese zu, weshalb eine erotische Stimmung nicht aufkommen kann.

Darüber hinaus fällt am T(v) noch positiv auf, dass er ein richtiges Ende besitzt und nicht einfach, wie so oft, mit dem Orgasmus der Hauptfigur(en) endet, obgleich man über dessen positive Implikationen angesichts des dystopischen Handlungshintergrunds geteilter Meinung sein kann.«

fetus
dabei seit: Aug '03
Kommentare: 43
schrieb am 06.12.2015:
»könnte noch was werden...«



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