Der Nonnenbunker oder Zum Pranger
von aweiawa
Xenia
„Das ist der blödsinnigste und bescheuertste Auftrag, den jemals ein Journalist bekommen hat!“
Ich musste mir Luft machen, sonst würde ich platzten.
„Ich hasse diese schwachsinnige Mission und unseren obersten Boss Nisser sowieso. Und am meisten diese Schnepfe Andrea.“ Seit gefühlten Stunden versuchte ich, mich vor dem Spiegel herumhantierend, in eine halbwegs passable Nonne zu verwandeln. Die letzten Bartstoppeln waren einer gründlichen Rasur längst zum Opfer gefallen, doch die Schminke so aufzutragen, dass mein männlich herbes Gesicht dem einer gottesfürchtigen Nonne glich, und nicht einer Berufsmäßigen auf der Reeperbahn, erwies sich als nahezu unüberwindliche Schwierigkeit.
„Ach komm Elmar, so schlimm ist das doch nicht. Und die Andrea war doch mal deine Liebste - dass du sie hasst, kauf ich dir nicht ab.“
Tatsächlich, es gab einen neuen Kandidaten für den Spitzenplatz auf der Liste der hassenswerten Leute. Nichts ging mir mehr auf den Senkel als solch ein Gesülze, wenn ich wütend war. Dieser Christoph war ein Idiot. Natürlich hasste ich unsere Chefredakteurin Andrea nicht wirklich. Und doch ... diesen neuen und überaus bescheuerten Auftrag hatten wir hauptsächlich ihr zu verdanken.
„Quatsch keine Opern, sondern hilf mir mal mit dieser elenden Halskrause. Jedes Mal, wenn ich glaube, sie sitzt perfekt, ersticke ich fast, und wenn sie so sitzt, dass ich Luft bekomme, rutscht sie runter. Warum müssen Nonnen auch solch eine mittelalterliche Kluft tragen?“
Natürlich war Christoph keine Hilfe, sondern machte alles noch schlimmer, und als ich nach etlichen Erstickungsanfällen endlich halbwegs nach Nonne aussah, war ich derart schweißgebadet, dass die eben erst mühsam applizierte Schminke mir nur so vom Gesicht herablief. Ich hätte schreien können!
„Lass Papi mal machen“, glaubte Christoph, mich belehren zu müssen.
„Dieses Spendenskandälchen im Nonnenbunker werden wir Ruck Zuck aufgeklärt haben. Ich weiß gar nicht, warum du dich aufregst. Ist doch ein Klacks gegenüber deinem Eindringen in die nur für Frauen zugelassene Kölnarena beim Abspritzcontest. Als Frau! Wahnsinn!“
Ich selbst hatte niemals behauptet, als Frau verkleidet dort eingedrungen zu sein, das hatte unser allseits verhasster oberster Boss Nisser sich selbst ausgeknobelt und alsbald als Wahrheit verkündet. Eine Tatsache, die mir gelegen kam. Wenn heraus kommen würde, dass ich als einer der Sexathleten aufgetreten war …lieber nicht dran denken. Doch dass meine Kollegin Andrea uns beide, Christoph und mich, in Nonnenkleidern nach St. Claustrophobia schickte, um solch eine Bagatelle wie den bereits erwähnten Spendenskandal aufzudecken, resultierte aus meinem neuen Ruf als „Frauenheld“. Ach, die Welt war ungerecht, und Andrea ... ein Rabenaas. Denn sie, im Gegensatz zu Nisser, kannte meine wahre Rolle beim Abspritzcontest.
Die Kleider hatten wir in einem Laden für Verkleidungen erstanden, und die Tatsache, dass wir damit ein Loch in die Spesenkasse des laufenden Monats rissen, entschädigte mich in gewisser Weise für die Tatsache, mich in diese leicht nach Naphthalin riechenden Kleider zwängen zu müssen.
„Mensch Elmar, wie schaffen es die Nonnen nur, einen ganzen Tag in diesen wandelnden Brutkästen herumzulaufen?“, beklagte sich nun auch Christoph, und mein breites Grinsen angesichts der prekären Lage meines Leidensgenossen verriet mehr über meinen Charakter, als mir lieb war. Doch auch ich konnte nicht verstehen, wie man sich bei der herrschenden Hitze freiwillig solchermaßen kasteien konnte. Ob das der Heiligkeit zuträglich war? Doch ich machte mir keine Sorgen, diese Krankheit würde mich nicht befallen. Dagegen war ich durch und durch immun.
Das Hotel, in dem wir ein Zimmer gemietet hatten, befand sich ganz in der Nähe des Nonnenbunkers und so hatten wir, nachdem wir uns die Hintertreppe hinuntergeschlichen hatten, nicht weit zu gehen.
„Na, unterwegs zur Verkleidungsparty?“, vermutete der Angestellte, der unsere Koffer nach oben getragen hatte und nun plötzlich vor uns stand.
„Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!“, gab Christoph schlagfertig zurück und meine freundlichen Gefühle für ihn machten wieder einige Punkte gut. Vielleicht war er ja doch nicht so doof, wie der ihm vorauseilende Ruf mich glauben ließ.
Mit Trippelschritten, die uns der Kleidung und unserem jetzigen Stand angemessen schienen, näherten wir uns dem großen Eingansportal. Mir war so was von beschissen zumute! Wie, um des Himmels willen, benahmen sich Nonnen? Beteten sie ununterbrochen? Oder taten wenigstens so? Ich hatte nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung. Doch lieber wollte ich über- als untertreiben, und so faltete ich die Hände wie zum Gebet, als wir die Pforte überschritten, und Christoph tat es mir nach. Warum konnte er sich nichts Eigenes ausdenken? So sahen wir aus wie Karikaturen unserer selbst. Zum Glück hielt uns niemand auf, sodass wir uns schon dem Haupthaus näherten, bevor jemand auf uns aufmerksam wurde.
Einen wirklichen Plan, wie wir an relevante Informationen herankommen wollten, existierte schlichtweg nicht.
„Wir lassen es auf uns zukommen“, hatte ich Christoph entgegnet, als er mein geplantes Vorgehen erfragte.
„Du spinnst doch, ohne einen Plan geh’ ich dort nicht rein!“, war seine Antwort gewesen.
„Mir wird schon im gegebenen Moment etwas einfallen, so wie beim Abspritzcontest, da hat das ja auch geklappt“, log ich ihm die Hucke voll, während mir mindestens genau so mulmig war wie ihm. Doch einer muss immer den Helden spielen, das verlangt die Choreografie des Lebens.
„Guten Tag“, sprach uns die junge Frau an, die von links aus einer von Bäumen bestandenen Allee gekommen war und nun mit uns auf die große Eichentür zuhielt, die wie von Riesenhand gemacht schien. „Zu wem wollen Sie?“
„Zu niemand Bestimmtem“, flüsterte ich in meinem höchsten Diskant, „wir sind auf einer Pilgerreise und wollen nur eine Zwischenrast einlegen. Man hat uns Clau... eh ... das Internat als sehr gastfreundlich empfohlen.“
„Oh, Sie sind aber ziemlich heiser“, diagnostizierte die Hobbyärztin, „wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Lindenblütentee brauen. Kommen Sie doch mit auf mein Zimmer, die Äbtissin können Sie später noch besuchen.“
„Das ist lieb, mein Kind, wir sind müde vom Wandern und ein Tässchen Tee wird uns gut tun.“
Wow, verdammt schnuckelig war diese Schülerin. Stand sicher kurz vor dem Abitur und verdrehte den Lehrern den Kopf. Mit diesem kurzen Röckchen und den braun gebrannten Schenkeln darunter sorgte sie dafür, dass mir die Nonnenkluft noch heißer und unerträglicher wurde. Die Haube, die anzulegen uns Schweißausbrüche gekostet hatte, engte das Sichtfeld ein, doch als die Kleine vor uns herging, war der Ausblick immerhin so gut, dass ich froh über die Weite der Kutte war, die meinen heranwachsenden Lüstling verdeckte. Ein Gutes hatte diese Verkleidung mithin.
Während die Süße vor uns munter drauflos plapperte und wir ihr schweigend folgten, stiegen wir über großzügig geschwungene Treppen in den zweiten Stock. Unterwegs begegneten wir mehreren Schülerinnen, die alle höflich grüßten und unsere Führerin mit Xenia anredeten. Ein seltener Name, doch bei ihrem Aussehen brauchte sie genau einen solchen Vornamen.
Endlich waren wir in ihrem Zimmer angekommen, ohne unterwegs einer Nonne zu begegnen. Was uns ganz recht war, denn so konnten wir vielleicht zuerst die junge Frau aushorchen und uns ein erstes Bild machen.
„So, da wären wir“, flötete Xenia mit ihrer lieblichen Stimme und wies uns in der kleinen, aber fein eingerichteten Stube zwei Sessel zu. „Der Tee ist im Nu fertig, ich muss nur schnell den Tauchsieder suchen.“
Gott im Himmel, das Mädchen suchte im Sideboard im untersten Fach, beugte sich dabei extrem nach vorne, wodurch ihr Rock hinten hochrutschte und ihre Beine bis dorthin freilegte, wo normalerweise ein Höschen zu sehen war. In diesem Fall konnte es sich dabei höchstens um einen Ministringtanga handeln, denn ich konnte beim besten Willen nichts davon entdecken. Die Sünde pur stand nicht mal zwei Meter von mir entfernt und ich hoffte, dass der Tauchsieder längst den Weg alles Irdischen gegangen war, sodass sie noch recht lange nach ihm suchen musste.
Natürlich ging der Wunsch nicht in Erfüllung. Solche Sehnsüchte in Nonnenkleidern haben einfach keine Lobby beim Gott der Sexualität.
Wieder plapperte sie drauflos, erzählte von ihren Lieblingsfächern Erdkunde und Geschichte, die mir als die bestgehassten aus meiner Schulzeit in Erinnerung geblieben waren, während sie das heiße Wasser für den Tee bereitete.
Irgendwoher zauberte das Mädel ein paar Kekse, und während wir uns daran verlustierten, hielt Xenia plötzlich mit ihrem fröhlichen Gequassel inne und fragte uns mit ernster Stimme.
„Sicher haben Sie schon vermutet, dass ich etwas auf dem Herzen habe, oder?“
Wenn ich ehrlich war, so hatte ich keinen blassen Schimmer davon gehabt. So gut kannte ich mich bei Mädchen ihres Alters nicht aus, und ich hatte ihre Fröhlichkeit durchaus als echt interpretiert.
„Natürlich“, lispelte ich anmaßend, „Frauen merken so etwas.“
„Bevor ich Ihnen allerdings mein Herz ausschütte, interessiert mich, woher Sie kommen, was Sie vorhaben und wieso Sie in dieser Kluft unterwegs sind. Sie beide sehen vertrauenswürdig aus, doch was ich zu sagen habe, fällt mir unendlich schwer und ich muss mir sicher sein, dass kein Wort davon nach außen dringt.“
„Pinguine sind verschwiegen, das weiß doch jedes Kind.“ Dieser Christoph war wirklich der Vollpfosten, für den ihn alle hielten. Am besten klebte ich ihm den Mund mit Leukoplast zu. Solch ein Hirni!
„Schwester Zölestina hat einen seltsamen Humor, mein Kind, daran darfst du dich nicht stören“, versuchte ich wieder Boden gut zu machen und stieß unter dem Tisch mit aller Kraft gegen Christophs Knöchel. Zum Glück bemerkte Xenia sein schmerzverzerrtes Gesicht nicht, weil sie jetzt an meinen Lippen hing.
„Natürlich will ich alle deine Fragen beantworten, auch wenn mir das Sprechen ein wenig schwer fällt. Ich habe nämlich gerade eine Bronchitis hinter mir“, versuchte ich meine zusehends heiserer werdende Stimme zu erklären.
„Wir sind vom Orden der Sancta Agatha und unterwegs zum Billen-Kreuz auf dem Ferschweiler Plateau in der Südeifel. Da du uns vertraust, vertrauen wir dir auch. Wir haben dort einen Geheimauftrag zu erledigen, der mit verschwundenen Spendengeldern zu tun hat.“
Christophs große, ungläubige Augen belustigten mich.
„Sind Sie deshalb in diesem komischen Aufzug unterwegs? Weil es um eine Geheimsache geht?“
„Ja, sozusagen. Wir müssen uns als Pilger ausgeben und kommen in dieser Kleidung ohne Probleme im dortigen Urselinenkloster unter.“
„Das leuchtet ein. Das klingt wirklich aufregend.“
Genau in diesem Moment plumpste Christophs Kamera zu Boden. Eine halbe Stunde hatte er gebraucht, um sie unter seinem Rock zwischen den Beinen zu befestigen. Und nun verlor dieser Hornochse sie sogar im Sitzen.
„Was war das?“, fragte Xenia, die nicht sofort verstand, was da passiert war.
Christoph versuchte, mit seinem linken Fuß, die Kamera unter seinen Rock zu schieben, doch es war schon zu spät, Xenia hatte sie erspäht.
„Wo kommt die denn her?“, wollte sie natürlich wissen. Und ich auch!
„Ähm, weißt du ...“ Das wurde nichts, ich musste eingreifen.
„Das gehört zu unserem konspirativen Plan. Wir müssen die Beweise fotografieren, doch Nonnen schleppen keine Kameras mit sich herum, deshalb hat Schwester Zölestina sie unter dem Rock befestigt. Nur leider nicht gut genug“, zischte ich in Christophs Richtung.
„Oh, wie spannend. Ich kann ja helfen, sie wieder zu befestigen.“ Bei diesen Worten machte sie sich daran, Christophs Kutte hochzuraffen.
„Nein!“, schrien wir wie aus einem Mund. Nur das nicht. Christophs stachelige Beine waren das Letzte, was Xenia sehen durfte.
„Warum, was ist?“
„Nonnen dürfen sich nie und unter keinen Umständen unter ihre Tracht schauen lassen. Das wäre ein großes Sakrileg. Schwester Zölestina wird das auf der Toilette wieder richten“, drängte ich den Depp neben mir in Richtung Klo.
Als er endlich weg war, ermutigte ich Xenia, frei und offen zu reden.
„Ich suche schon lange nach einer Gelegenheit, mich auszusprechen. Mit jemandem, der mich nicht kennt und dem ich trotzdem vertrauen kann. So ähnlich wie ein Beichtvater eben, nur dass ich von Männern in dieser Rolle die Nase gestrichen voll habe.“
„Warum, mein Kind?“
„Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass die sich dran aufgeilen, wenn ich etwas über mich erzähle. Das war schon als Kind eklig. Damals kam es mir nur seltsam vor, dass der Pfarrer nach immer neuen Details fragte. Ob ich mich selbst berühre, und wie genau ich das anstelle. Und noch mehr interessierte ihn, mit wem ich sexuellen Kontakt hatte und was dabei vor sich ging. Da hörte die Fragerei gar nicht mehr auf, und das zu einem Zeitpunkt, wo ich noch keine Ahnung hatte, was damit überhaupt gemeint war.“
„Eine Schweinerei!“, rutschte es mir ehrlich empört heraus. Ich wusste, dass es das gab, kirchlicher Missbrauch war mittlerweile kein Randthema mehr. Doch das änderte nichts an der Verwerflichkeit, ein junges Mädchen derart zu drangsalieren.
„In meinem Elternhaus war Sexualität kein Thema. Es wurde immer so getan, als gebe es so etwas überhaupt nicht. Selbst noch so harmlose Berührungen waren verpönt. Seit ich acht war, haben meine Eltern mich nicht mehr nackt gesehen, und ich sie ... sowieso nie. Das wäre einem Sakrileg gleichgekommen.“
„Ziemlich puritanisch also“, warf ich ein, damit das Mädel sich nicht als Alleinunterhalterin vorkam. Doch mittlerweile war sie so in Fahrt, dass es dessen gar nicht bedurft hätte.
„Als ich zum ersten Mal einen Jungen mit nach Hause brachte, durfte er nicht mal mit auf mein Zimmer. Und wenn ich ihn vor meinen Eltern geküsst hätte, wäre die Welt untergegangen. Jedenfalls die meiner Eltern. Ist das zu glauben, in unserer Zeit?“
„Unglaublich!“ Unisono bestätigten Christoph, der inzwischen zurückgekommen war, und ich ihre Einschätzung.
„Und was erzählt mir dann meine beste Freundin? Dass mein ach so sexualitätsfeindlicher Herr Papa sie angegrapscht hat. Hat ihr einfach an den Busen gelangt. Erst wollte ich es nicht glauben, aber sie hat es geschworen, und warum sollte sie auch so was erfinden? Zu uns ins Haus wollte sie nicht mehr kommen, dafür wollte sie sich nicht hergeben.“
„Das hat dir sicher wehgetan“, versuchte ich es auf die psychologische Tour.
„Seitdem ist es mir ziemlich egal, was er zum Besten gibt. Aber leider bin ich total abhängig von ihm. Und er hat mir schon mehrfach angedroht, wenn ich sitzen bleibe, muss ich runter von der Schule, dann kann ich das Abitur vergessen.
’Du bist gut genug, wenn du es nicht schaffst, warst du zu faul. Und das will ich nicht belohnen’, bekomme ich ständig zu hören.“
„Oh je, da läuft aber einiges schief bei euch zu Hause“, warf ich ein.
“Das kann man laut sagen! Und damit bin ich nach dem langen Auftakt bei dem, was ich eigentlich sagen wollte. Ihr werdet sehen, dass ich das unmöglich bei einem Mann beichten kann. Deshalb war ich so froh, als ich euch gesehen habe. Das ist auch der eigentliche Grund, warum ich euch mit hierher genommen habe. Wenn ihr schwört, keiner Menschenseele etwas zu verraten, werde ich euch erzählen, was mich belastet. Ich muss es endlich loswerden, sonst platze ich noch.“
„Ja, mein Kind, wir werden schweigen“, beteiligte sich jetzt auch Christoph am Gespräch. Seine säuselnde Stimme beeindruckt mich. Klang deutlich echter als meine. An ihm war ein Stimmenimitator verloren gegangen.
„Schwören Sie es bei Gott und allen Heiligen!“
„Ja, das tun wir“, beruhigte ich Xenia und wir lauschten gespannt, was sie uns zu erzählen hatte. Auch wenn wir hier nichts über die verschwundenen Spendengelder erfahren sollten, die inneren Nöte des jungen Mädchens waren vielleicht genauso wichtig.
„Ich schäme mich unendlich, für das, was ich getan habe, das müsst ihr mir glauben. Also, am besten fang ich mit meinen schulischen Leistungen an. Die sind nämlich nicht besonders, und als es um die Versetzung in die Dreizehnte ging, hing alles am seidenen Faden. Vor allem in Englisch ging es Spitz auf Knopf zu. Wenn ich da im Mündlichen eine Fünf bekam, war ich weg vom Fenster.“
„Oh ja, solche Sorgen hatte ich auch“, beteuerte ich, „nur war das in Mathematik.“
„Was eine Nichtversetzung bei meinem Vater bedeutet hätte, hab ich ja schon erzählt. Also können Sie sich vorstellen, wie mir zumute war.
Einige Tage vor der Versetzungskonferenz bestellte mich Herr Schwarz zu sich aufs Zimmer und machte mir völlig unverblümt einen Vorschlag, wie ich meine Noten aufpolieren könnte.“
„Was?!“, riefen Christoph und ich wie aus einem Mund, und ich war froh, dass wenigstens Christophs Stimme einigermaßen weiblich geklungen hatte. Mir hatte es vor Zorn nicht mehr zur Verstellung gereicht.
„Ja, Sie haben richtig gehört. Ich weiß nur nicht, wie ich jetzt weitererzählen soll. Es ist so ... unendlich peinlich.“ Tränen stiegen in ihre Augen und sie sah erbärmlich aus. „Oh, wenn das doch alles nie passiert wäre!“
Ihr Ausruf war von tiefer Verzweiflung geprägt. Das Kind musste Einiges erlebt haben.
„Du bist doch unschuldig, dieser Herr Schwarz ist der Übeltäter!“, versuchte ich die Tatsachen zurechtzurücken.
„Er ist der Vizedirektor“, schluchzte Xenia, „und er schlug mir vor, bei einem kleinen Filmchen mitzuwirken, den ein Freund von ihm drehen würde. Außer der gesicherten Versetzung winkten mir 2000 Euro bar auf die Kralle, wie er sich ausdrückte.“
„Verdammt!“, war alles, was ich herausbrachte.
„Ich habe ihn um Bedenkzeit gebeten, doch er bestand darauf, dass ich mich hier und jetzt entscheiden müsse. Ein verlorenes Jahr oder die Versetzung in die Dreizehnte und 2000 Euro. Das waren die Alternativen.“
Das Schluchzen erreichte neue Dimensionen. Statt tröstender Worte nahm ich sie in den Arm, vorsichtig natürlich, damit meine nicht vorhandenen Brüste nicht auffielen.
Endlich hatte sie sich beruhigt und konnte fortfahren.
„Ich muss gestehen, dass ich schwach wurde. Ich habe mich für gute Noten und Geld verkauft.“
Wieder brach sie in Tränen aus und schlug die Hände vors Gesicht. Tröstend drückte ich sie an mich. Armes Kind! Jetzt tat es mir leid, dass ich mich gerade eben noch durch ihr erwachsenes Aussehen hatte irritieren lassen, sie war immer noch ein junges Mädchen, auch wenn sie bereits 18 oder 19 war.
„Schon am nächsten Tag brachte er mich nach Köln, wo wir an einem alten Fabrikgebäude hielten. Am Eingang hing ein Schild: „DoT.com“ stand dort, doch ich konnte mir keinen Reim darauf machen.“
„DoT.com? Hat das nicht irgendwas mit dem Internet zu tun?“, warf Christoph ein.
„Keine Ahnung, doch in den Mauern dieser alten Fabrik habe ich schreckliche Dinge erlebt und getan. Zwei Tage lang wurde ich von mehreren Männern gef... Entschuldigung, mir fällt kein anderes Wort ein. Und das Schlimmste ist ...“
„Ja, was?“, wollte ich wissen.
„Ich kann es nicht sagen, es ist so ...“
„Du kannst uns alles sagen, du weißt ja, wir sind wie Beichtmütter“, warf Christoph ein.
„Ich vertraue Ihnen ja, aber es ist so ... peinlich. Sie müssen mir noch einmal versprechen, es niemandem zu erzählen. Wenn mein Vater ...“
„Er wird es nicht erfahren. So wahr uns Gott helfe“, zitierte ich eine Formel, die mir hier zu passen schien und einer Nonne zustand. Glaubte ich jedenfalls.
„Das Schlimmste war ... ich fand es gar nicht so schlimm. Ich hatte ja vorher schon ... Geschlechtsverkehr gehabt und die Männer ... waren alle gut gebaut, und ... wahnsinnig nett und ... Könner auf ihrem Gebiet, die hatten eine Ausdauer, dass mir die Möse qual... - Scheiße, aber ich will da wieder raus.“
„Wieso wieder raus? War das denn keine einmalige Angelegenheit?“
„Nein, bei DoT.com war ich zwar seither nicht mehr, doch ich habe mich für mehr Geld und weitere gute Noten auch noch in einem BDSM-Keller anheuern lassen. Er heißt bezeichnenderweise ‚Zum Pranger’. Dort arbeitet manchmal auch Frau Weiß, die Sekretärin von Herrn Schwarz. Ich glaube, den beiden gehört der Laden. Die Arbeit dort ist entwürdigend, eklig, ätzend ...“
„Wieso denn, mein Kind?“, unterbrach Christoph ihre Ausführungen, doch zum Glück ließ sie sich nicht aufhalten.
„... obwohl ich meine Beliebtheit bei den Kunden auch wiederum toll finde. Aber ich will Schluss damit machen, unbedingt, nur weiß ich nicht, wie ich wieder zu einem normalen Leben zurückfinden kann. Wenn ich hinschmeiße, ist mein Abi futsch und das kann ich mir nicht leisten, mein Vater schlägt mich tot.“
Wieder flossen die Tränen und ich hatte Schluckbeschwerden. Verdammt, verdammt, verdammt! Worauf waren wir da gestoßen? Da wurde die Unterschlagungsstory zur Nebensächlichkeit.
„Wir werden dich da rausholen“, versprach ich Xenia und war gewillt, dieses Versprechen unter allen Umständen zu halten, auch wenn wir als Zeitung diese Sensation natürlich ausschlachten mussten.
„Nein!“, schrie Xenia auf, „Sie haben doch versprochen, mit niemandem darüber zu reden. Wie wollen Sie mir denn dann helfen?“
„Wir werden die Sache selbst in die Hand nehmen und ich verspreche dir, dass dein Name dabei nicht zur Sprache kommen wird. Niemand wird einen Zusammenhang vermuten“
„Ich habe Angst ... eine Heidenangst“.
Während der nächsten Minuten waren wir damit beschäftigt, Xenia zu beruhigen und als sie endlich ruhig wurde und ihr Gesicht gerichtet hatte, hielt ich es für das Beste, zu verschwinden, damit wir nicht aus Zufall dem ominösen Herrn Schwarz über den Weg liefen. Wir hatten Informationen genug.
„Kannst du uns nach draußen begleiten, Xenia? Ich glaube, wir können auf die Äbtissin heute verzichten. Du hast uns so gut bewirtet, und wir müssen etwas gegen diesen Herrn Schwarz in die Wege leiten.“
„Gerne, kommen Sie mit, ich bringe Sie zum Hintereingang.“
Kaum waren wir vor die Tür getreten, stand plötzlich eine Frau in mittlerem Alter vor uns, die hübsch aussah, streng nach hinten gekämmte, dunkle Haare hatte und uns aus erstaunten Augen musterte.
„Hallo? Xenia, wen hast du denn da zu Besuch?“
„Zwei Nonnen aus Süddeutschland, Frau Äbtissin“, antwortete die Angesprochene und nun war es an mir, erstaunt zu gucken. Wo war ihre Tracht? Wieso stand sie in normalen Straßenkleidern vor uns? Sollte Andrea uns da reingelegt haben, dieses irrwitzige Luder? Oh, wenn ich sie wieder in die Hände bekam! Kleinholz, zentimetergroß, mehr würde von ihr nicht übrig bleiben! Doch es blieb mir keine Zeit, meiner plötzlichen, omnipotenten Wut nachzuhängen.
„Guten Tag erst mal“, wandte sich die Äbtissin nämlich nun an uns beide und wir flöteten höflich einen Gruß zurück.
„Was führt Sie hierher?“, wollte sie verständlicherweise wissen.
„Öhem, ... Ahem, ...“, stotterte Christoph los und ich sprang schnell in die Bresche.
„Wir sind auf einer Pilgerschaft und wollen zum Billen-Kreuz auf dem Ferschweiler Plateau“, wiederholte ich die bereits bewährte Ausrede.
„Unser Gelübde verpflichtet uns, unterwegs Unterschlupf in den Armenvierteln der Städte zu suchen und so bescheiden zu leben wie die Ärmsten der Armen.“
„Doch was wollten Sie dann hier bei uns?“
„Wir wollten in der Klosterkirche beten, doch dann hat uns diese Schülerin zu einem Tee eingeladen. Doch ich bitte um Entschuldigung, gemäß unseres Gelübdes dürfen wir nur eine Stunde am Tag reden, und die Zeit ist gerade eben vorbei.“ Ich schaute auf die Uhr. „In genau dieser Sekunde.“
Es war derart anstrengend, mit der erforderlichen Fistelstimme zu reden, dass mir schon der Schweiß ausbrach. Wenn die Stimme plötzlich kippte, dann ...
„Oh, einem Gelübde muss man Folge leisten“, bestätigte die Äbtissin. „Folgen Sie mir bitte, ich bringe Sie zur Kirche.“
Oh verflixt, warum war mir nur keine bessere Ausrede eingefallen. Jetzt mussten wir unter öffentlicher Beobachtung unsere Frömmigkeit beweisen. Dabei wusste ich nicht mal, wie herum man das Kreuz schlug. Da blieb nur eins ... genau beobachten.
Die Finger in Weihwasser tunken, niederknien, aufstehen, bekreuzigen, Hände falten, so tun als bete man, fromm dreinschauen, niederknien, aufstehen ... es wurde die längste halbe Stunde meines Lebens. Meine Gedanken waren bei Andrea und ihrer fiesen Gesinnung. Alle anwesenden Nonnen waren weltlich gekleidet. Keine einzige Ordenstracht weit und breit als unsere. Während die Nonnen wie verkündet für mein und Christophs Seelenheil beteten, wälzte ich schwarze Gedanken der Rache. Das würde ich ihr heimzahlen, dieser falschen Schlange.
Endlich, nachdem ich einen nachhaltigen Eindruck von Ewigkeit bekommen hatte, verabschiedeten wir uns wortlos von der Äbtissin, den anderen Nonnen und insbesondere von Xenia. Wir würden sie wiedersehen, das waren wir ihr schuldig, nach allem, was sie mitgemacht hatte.
„Ich bringe sie um!“, explodierte Christoph, als wir endlich außer Hörweite waren, und riss sich die Haube vom Kopf.
„Wieso“, fragte ich scheinheilig und stürzte mich kopfüber in die Sünde einer Mount Everest Lüge, „ich hab mich inzwischen daran gewöhnt.“
„Sag mal, ist das da vorne nicht die Lokalität, von der Xenia gesprochen hat? Der BDSM-Keller? Der hieß doch ‚Zum Pranger’, oder nicht?“, unterbrach mich Christoph, und ich musste ihm recht geben. Wir standen vor Xenias Keller der Leiden.
„Sollen wir mal einen Blick hineinwerfen?“, schlug ich vor. Schaden konnte das sicher nicht, je mehr Informationen wir bekamen, desto besser.
***
Zum Pranger
„Bist du sicher, dass wir da reinwollen?“, fragte Christoph und grinste mich schief an.
„Hier wurde Xenia an Männer verhökert, und keineswegs freiwillig. Zumindest anschauen sollten wir uns den Laden.“
„Da schau mal, der Türklopfer!“, kicherte mein Partner nervös.
Es gab keine Klingel, sondern nur diesen, einen riesigen schwarzen Klopfer, der einen erigierten Penis darstellte. Man musste ihn bei den Eiern packen, hochheben und dann fallen lassen. Beherzt ergriff ich das edle Teil und pochte damit gegen die bereits ein wenig vom Gebrauch ausgehöhlte Holzplatte. Ein dumpfes Geräusch ertönte, und erst in diesem Moment fiel mir ein, dass wir in ziemlich ungewöhnlicher Gewandung vor der Tür standen. Verfluchter Übereifer, doch jetzt war es zu spät, denn ein Türchen in Augenhöhe, vor dem sich ein Gitter befand, wurde aufgerissen und zwei tief liegende dunkle Augen, in einem groben Gesicht unsymmetrisch untergebracht, musterten uns.
„Wir geben keine Almosen, meine Damen. Es sei denn, sie halten uns ihre Döschen hin und wir füllen sie auf unsere Art.“
Das dröhnende Gelächter war sicher bis auf die Straße zu hören.
„Schieb dir deinen Schniedel in den eigenen Arsch“, ging ich im neu erworbenen Diskant zum Angriff über. „Was wir hier suchen, schreibe ich dir gerne mit der Peitsche auf den Leib, du Missgeburt!“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig, ging von amüsierter Überheblichkeit in höchstes Erstaunen über.
„Oh, entschuldigt vielmals, aber ich muss gestehen, dass ich bisher noch keine Dominas in diesem Aufzug erlebt habe. Einen Moment, ich öffne die Tür.“
Während der Geistesriese damit beschäftigt war, uns hereinzulassen, sah ich mich genötigt, Christoph zurechtzuweisen.
„Nun schau nicht so dämlich, oder hast du eine bessere Idee?“
Hatte er natürlich nicht. Ich musste mich da drin schnell selbstständig machen, er war mir sicher nur ein Klotz am Bein.
Die ungläubig dreinblickenden Augen gehörten zu einem Kleiderschrank, nicht allzu hoch, doch breit und geräumig. Wenn der wütend wurde, war man besser außer Reichweite seiner riesigen Fäuste. Doch jetzt schien er gut gelaunt zu sein, denn als wir eintraten, fasste er uns beiden an den Hintern und zwickte fest hinein.
„Na, ihr beiden Hübschen, das ist doch mal was Neues. So bekommt man beim Sündigen gleich die Absolution erteilt, ich bin sicher, darauf stehen unsere Kunden.“
„Wag es noch mal, einer Nonne an den Hintern zu fassen, und du bist eine Leiche“, ging ich gleich zum Frontalangriff über, „und zwar eine, der ein Peitschenstiel aus dem Arsch ragt.“
Nur gut, dass es Christoph die Sprache verschlagen hatte. Der riesige Kerl hätte uns wie zwei Fliegen zerquetschen können, doch meine Ansprache schien genau die richtige für ihn zu sein.
„Oh, ihr seid richtig gut!“, dröhnte sein Bass und er nahm die Finger gehorsam von unseren Allerwertesten.
Ich war noch nie in solch einem Etablissement gewesen, hatte also keine Ahnung, was jetzt auf uns zukommen konnte. Es war eine hirnrissige Schnapsidee gewesen, hier an mehr Information kommen zu wollen. Und gefährlich, das war mir beim Anblick dieses minderbemittelten Kleiderschranks klar geworden.
Ohne anzuklopfen, öffnete der Riese eine massige Tür, und plötzlich fanden wir uns umringt von Männern in vornehmen Anzügen und drei spärlich bekleideten Frauen, deren Outfit keinen Zweifel daran ließ, welche Profession sie ausübten. Leder mit Nieten, Peitsche und Rohrstock, Lackstiefel bis übers Knie und grotesk geschminkte Gesichter redeten eine eindeutige Sprache.
„Na, wen haben wir denn da?“, fand eine der Damen zuerst die Sprache wieder, während uns die anwesenden Männer bestaunten, wie Kleinkinder die Affen im Zoo.
„Schwester Zölestina“, zeigte ich auf Christoph, „und meine Wenigkeit, Schwester Tharzilla, wurden vom Herrn gesandt, dieses Etablissement auf Gottgefälligkeit zu prüfen. Und sollten wir einen Sünder entdecken, der nicht in der Lage ist, seinen Schwanz unter Kontrolle zu halten, werden wir ihn wohl oder übel bestrafen müssen.“
Ich konnte nur hoffen, dass ein eventuell existierender Gott mir diese Blasphemie verzieh und dass die Anwesenden auf in Spiel einstiegen, das ich mit meinen Worten vorschlug. Zumindest um die anwesenden Männer musste ich mir keine Sorge machen, denn die Begeisterung, die uns entgegenschlug, war fast schon wieder beängstigend.
„Die will ich dabei haben!“, zeigte einer der anwesenden Männer auf mich, und die Domina mit den hüfthohen Lackstiefeln nahm mich bei der Hand.
„Komm mit, du hast einen neuen Verehrer gefunden. Wir werden ihn zusammen fertig machen.“
Ohne dass ich mich weiter um Christoph kümmern konnte, zog sie mich hinter sich her und der glatzköpfige Mann, der mich ‚ dabei haben’ wollte, folgte uns auf dem Fuß. Ein wenig mulmig war mir schon, denn was jetzt auf mich zukam, konnte ich nicht einmal ahnen. Meine Erfahrungen auf diesem Gebiet waren mit den Kenntnissen eines durchschnittlichen Grundschülers in höherer Mathematik zu vergleichen.
„Weißt du, ich bin noch ziemlich unerfahren“, flüsterte ich der breithüftigen Dame an meiner Seite zu. So versuchte ich, einem etwaigen Staunen über meine Unerfahrenheit vorzubeugen.
„Das macht nichts, jede hat mal so angefangen. Tu einfach, was ich dir sage. Hauptsache, Herr Tritschel ist am Ende zufrieden, denn er zahlt jeden Preis, den wir verlangen.“
„Verdammt, den Namen kenne ich. Und der Typ kam mir gleich so bekannt vor. Ist das nicht der Besitzer des weltweiten Autoverleihs mit dem prächtigen Slogan: ‚Du fährst, um alles andere kümmern wir uns’?“
„Ja, das ist er, kommt fast jede Woche hier her und lässt sich vertrimmen“, belustigte sich die Lady.
Oh, es musste doch eine Vorsehung geben, ob nun eine göttliche oder eine teuflische. Es war noch keine sechs Wochen her, dass ich einen Leihwagen seiner Firma auf Teneriffa gemietet hatte. Als ich ihn zurückgab, wurde mir vorgeworfen, dass ich entgegen den Bestimmungen des Vertrags Lavafelder überquert hätte und deshalb ein Teil der Kaution zurückbehalten werde. Ich konnte meine Unschuld so viel beteuern, wie ich wollte, ich bekam mein Geld nicht zurück.
Ganz plötzlich schien mir meine Lage gar nicht mehr so übel, ja, eine gewisse Vorfreude machte sich in mir breit.
Kurz bevor wir das Chambre Separée erreichten, begegneten wir auf dem Flur einem Mann, der einen tiefen Eindruck bei mir hinterließ. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, doch das Auffallendste an ihm war seine Maske. Sie erinnerte mich an den noch nicht lange zurückliegenden Contest. So ähnlich hatte ich mich dort auch präsentiert, nur dass ich ansonsten splitternackt ... Nein! Daran wollte ich jetzt nicht denken.
„Ich bin übrigens die Peitschenlady, niemand nennt mich anders“, instruierte mich die nette Dame, als wir das Zimmer betraten. Dass sie zu ihren Kunden nicht ganz so nett war, wie gerade zu mir, ging aus der Ausstattung des Zimmers zweifelsfrei hervor. Ein Andreaskreuz an der Wand, diverse Peitschen und Rohrstöcke auf einem Ständer, ein Fixierblock mit Ledermanschetten, lauter Dinge, die ich nur dem Hörensagen nach kannte. Und doch war ihre Bestimmung leicht zu erraten. Schon wieder rutschte mir das Herz in die Hose. Wenn die Utensilien nur nicht an mir ausprobiert wurden, denn darauf stand ich wahrlich nicht.
„Raus aus deinen Kleidern, du Versager!“, fuhr sie unvermittelt den Glatzkopf an, der nach uns den Raum betreten hatte. „Und dass du mir deine Kleider ordentlich zusammenlegst, klar?“
„Ja, Frau Lehrerin“, gab der Mittfünfziger mit kläglicher Stimme von sich, „ich bin ein gehorsamer Schüler, der alles tut, was Sie befehlen.“
Daher also wehte der Wind, das konnte ja heiter werden. Rollenspiele waren nicht unbedingt mein liebstes Metier, obwohl meine jüngste Vergangenheit anderes vermuten lassen konnte.
Damit ich nicht zu passiv blieb und dadurch auffiel, herrschte ich jetzt meinerseits den kleinen und demütig dreinschauenden Schüler an:
„Na, du kleiner Pimpf, hast du heute Morgen dein Gebet verrichtet?“
„Ähem ... ich glaube nicht“, imitierte der Glatzkopf mit seiner Stimme einen kleinen Jungen. Innerlich musste ich grinsen, denn ich bemühte mich ja nach Kräften, meine Stimme weiblich klingen zu lassen. Welch ein Irrsinn!
„Was, du glaubst nicht? Bist am Ende gar ein kleiner Heide? Ja, weißt du denn nicht, was fromme Nonnen mit solchen Ungläubigen anfangen?“
„Nein“, gab das Häuflein Elend von sich.
„Dann bitte die Peitschenlady, dass sie dir gestattet, dich auf diesen Bock hier zu legen. Um einen Knebel kannst du auch bitten. Runter auf die Knie, du Wicht!“
Oh, es machte Spaß! Die Faszination, die Frauen dazu brachte, eine Domina zu sein, erschloss sich mir bis zu einem gewissen Grad. Mit winselndem Tonfall bat der Manager darum, auf dem Bock liegend, seinen nackten Hintern in die Luft strecken zu dürfen. Schnell war er fixiert, und als der Knebel in seinem Mund steckte, war er unseren sadistischen Gelüsten hilflos ausgeliefert. Was, um alles in der Welt, brachte einen Menschen dazu? Wieder mal hatte ich keinen Schimmer, das schien zu einem lästigen Dauerzustand zu werden.
„Na, dann wollen wir mal“, nickte die Lady mir zu und ergriff ein Lederpaddel, dessen breite Fläche auf beiden Seiten mit einem Smiley verziert war. „Zur Aufwärmung gibt’s zehn mit deinem Liebling. Du hattest sicher schon Sehnsucht nach ihm.“
Was nun folgte, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Der Raum hatte keine gute Akustik, doch das Patschen war durchdringend und laut. Als Untermalung waren die Stöhnlaute des Malträtierten zu hören.
„Na, hat es dir gefallen?“, wollte die Peitschenlady wissen, und das heftige Nicken registrierte ich mit Befremden. Für derartige Spielchen war Papis Sohn doch eher nicht zu haben. Doch da musste ich durch, und der immer noch präsente Zorn auf das rüde Geschäftsgebaren dieses Herrn half mir, das nun Folgende besser zu verdauen.
Mit einem Rohrstock, dessen herabsausendes Ende einen äußerst unangenehmen Ton verursachte, vermöbelte ich den Arsch des feinen Herrn Tritschel, gab ihm zehn auf jede Backe, schön Striemen neben Striemen setzend.
„Bist du nun bereit für die Neunschwänzige? Denn das Morgengebet zu versäumen ist eine Todsünde, die Höchststrafe erfordert. Das siehst du doch ein, oder?“, herrschte ihn die Lady an, als ich meinen Teil der Strafe als beendet ansah.
Das Nicken war längst nicht mehr so enthusiastisch wie noch gerade eben, doch durchaus als solches zu erkennen. Der Anblick des mörderischen Dings, das die Peitschenlady nun zur Hand nahm, beraubte mich schier des Atems. Sie wollte doch nicht ...?
Oh ja, sie zählte ihm weitere zehn auf den bereits in vollem Rot erstrahlenden Pavianarsch. Und sie ging nicht so zögerlich zu Werk wie ich, sie strengte sich wirklich an. Zwischen den Schlägen gab sie dem Häufchen Elend Gelegenheit, sich zu sammeln, bevor sie dann gnadenlos zuschlug. Schon das Zuschauen war eine Tortour für mich.
„Nun lassen wir ihn noch ein wenig schmoren. Komm mit, wir gehen in den Ruheraum, wir haben uns ein Tässchen Kaffee verdient.“
Nur zu gerne leistete ich ihrer Bitte Folge, nur raus hier, wo es nach Angstschweiß und Leder roch. Diese Session würde ich mein Leben lang nicht vergessen. Bevor wir gingen, nahm sie dem fixierten Prügelknaben den Knebel aus dem Mund und befahl: „Aufmachen!“ Der Glatzkopf wusste offensichtlich genau, um was es ging, öffnete den Mund, so weit es ging, und die Lady spuckte ihm einen dicken Batzen in den Mund.
„Danke für die gute Gabe, liebste Lehrerin!“, bekam die Lady zur Antwort, und nachdem sie dem braven Buben über den Kopf gestreichelt hatte, verließen wir den Raum durch eine andere Tür, als wir ihn betreten hatten.
„Das ist ein ausgezeichnetes Etablissement“, eröffnete ich das Gespräch, denn eigentlich war ich ja nicht hier, um Ärsche zu versohlen, sondern um Informationen zu sammeln.
„Ja, man verdient ganz gut, vor allem, wenn man Stammkundschaft hat. Und einer wie Herr Tritschel ist ein Geschenk des Himmels.“
„Wahrhaftig, wenn er so gut zahlt, wie du sagst.“
„Das tut er, keine Angst. Wer hat dich eigentlich hierher geschickt?“
Die Frage hatte ich erwartet, und es gab nur eine Antwort darauf.
„Frau Weiß. Sie hat uns die Kleidung besorgt und meinte, dass einige Männer ausflippen, wenn wir als bisher Unbekannte in diesem Outfit auftauchen.“
Ich hoffte nur inständig, dass Frau Weiß nicht anwesend war. Die Katastrophe wäre perfekt gewesen.
„Womit sie wieder mal ein glückliches Händchen hatte. Sie ist schon ein Käpsele, unsere Chefin.“
Aha, immerhin ein Schnipsel Information. Und die Peitschenlady war wohl aus dem Schwabenland.
„Wie viele Dominas arbeiten hier?“, versuchte ich an weitere Informationen zu kommen.
„Mit euch beiden sind wir zehn. Wir sind alle etwa im gleichen Alter, außer einer, die nur gelegentlich hier arbeitet, die ist gerade mal 18. Das Gör ist unglaublich beliebt bei den Kunden und man merkt ihr an, dass sie den Job mag.
Sie kassiert nicht selber ab, das erledigt Spritzi, der Maskenmann. Wir sind ihm gerade eben begegnet. Das Mädel erhält nur einen Bruchteil dessen, was er den Kunden abknöpft, und sie ist auch noch zufrieden mit den paar Brosamen, die sie bekommt. Man hat uns unter Androhung des Platzverweises verboten, sie über den Beschiss aufzuklären.“
Mein Gott, da konnte es sich nur um Xenia handeln. Was man mit ihr anstellte, bekam gerade noch eine zusätzliche Dimension. Um meine Rolle noch glaubwürdiger zu machen, bestätigte ich der Lady: „Ja, das hat Frau Weiß uns auch schon eingeschärft. Sie heißt doch Xenia, gell?“
„Hm, dann wisst ihr ja schon Bescheid. Heute Abend wird sie wieder hier sein, also ... Stillschweigen!“
„Ich werde schweigen wie ein Grab.“
„Ihr mit eurer Nonnenkluft könntet euch sicher ein paar zusätzliche Kröten verdienen, wenn ihr in einem Film mitspielen würdet. Das machen einige von uns.“
„Film? Welchem Film?“, stellte ich mich dumm, obwohl ich schon ahnte, worauf die Lady abzielte.
„Noch nie von DoT.com gehört? Die Studios sind gar nicht weit von hier, dort werden Pornos aller Art gedreht. Und man verdient nicht schlecht, der Popp-Gitane lässt sich nicht lumpen.“
„Hm, das klingt interessant. Kannst du mir die Adresse geben?“
„Klar, hier ist eine Visitenkarte des Popp-Gitane, er ist der Manager dort. Weißt du, manchmal drehen sie dort die ulkigsten Streifen, Fetisch, verstehst du?“
„Welche Fetische denn?“
„Im letzten Film ging es um einen Stockfetischisten. Er stand darauf, einen Billardstock ellenlang im Arsch zu haben, nur dann konnte er abspritzen. Wir haben Tränen gelacht, wenn wir den Teleskopstock in ihn hineinschoben. Die Szene mussten wir acht Mal drehen, bis wir alle es schafften, ernst zu bleiben. Doch wenn du den Film siehst, wow, das sieht derart echt aus!“
Die Lady gab mir noch mehr Kostproben aus dem Querschnitt ihrer Filmchen, doch ich will die Leserschaft nicht langweilen damit, sondern setze wieder in der Minute ein, als mir mein Kamerad Christoph unversehens in den Sinn kam. Wie es dem wohl ergangen war? Ich wurde zusehends unruhig.
„Ich werde ganz gewiss bei DoT.com vorbeischauen, doch jetzt muss ich mich um Schwester Zölestina kümmern. Ich geh sie mal suchen.“
„Okay, dann schau ich nach dem Tritschel, er wird schon ungeduldig warten.“
So unterhaltsam die Peitschenlady auch zu erzählen wusste, ich war doch froh, ihren Ergüssen entflohen zu sein. Es war sehr anstrengend, über längere Zeit eine Frau zu spielen. Wie gut, dass ich nicht wirklich eine war, obwohl es dann vielleicht doch weniger mühevoll wäre.
Christoph war nirgends zu sehen oder zu hören, und der allgemeine Versammlungsraum, den wir als Erstes besucht hatten, war leer, sodass ich niemanden fragen konnte. Verflixt, wo war der Idiot nur abgeblieben?
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Zimmer abzuklappern. Wenn das mal gut ging.
Gleich die erste Tür links, den Flur herunter, führte in einen leeren Raum, der ähnlich ausgestattet war, wie der, den die Peitschenlady benutzt hatte. Es schien sich um so was wie eine Grundausstattung zu handeln.
Hinter der nächsten Tür erwartete mich ein gelinder Schock, denn am Andreaskreuz hing eine nackte männliche Gestalt, deren Eier derart heftig abgebunden waren, dass sie grotesk vom Körper abstanden. Die Brustwarzen und der Bauch waren mit blauem Wachs verklebt, dessen Applikation wohl schon vor einiger Zeit erfolgt war, denn es begann bereits abzublättern. Die Augen des Gemarterten hatten bei meinem Anblick kurz aufgeblitzt, waren dann aber wieder in Apathie verfallen. Ich war nicht seine Peinigerin und deshalb uninteressant.
Sofort schloss ich die Tür wieder und versuchte mein Glück im angrenzenden Raum. Von dort drangen intensive Stöhngeräusche an mein Ohr, und als ich endlich sehen konnte, woher sie stammten, blieb ich entsetzt stehen. Eine martialisch gekleidete Frau von immensen Ausmaßen, deren überbordende Fleischmassen nur notdürftig von einer Korsage zusammengehalten wurden, penetrierte einen armen, auf einem Gestell fixierten Wurm mit einem Umschnalldildo, während sie mit einer geflochtenen Lederpeitsche seinen Rücken malträtierte. Genau das Szenario, das ich mir zur Versinnbildlichung der Hölle ausgemalt hätte. Fehlten nur noch ein paar Flammen und das irrwitzige Gekreisch von winzigen Teufelchen gepeinigter, verlorener Seelen. Wobei das plötzliche Geschrei, mit dem die Walküre mich in höchstem Diskant aufforderte, mich zum Teufel zu scheren und ihm die Hörner abzublasen, meinen Vorstellungen von Hölle schon recht nahe kamen. Kreidebleich wandte ich mich mit Grausen zum Gehen, nicht ohne „viel Vergnügen noch“ zu wünschen. Manche Niederungen der Sexualität waren definitiv nichts für mich. Mein Arsch war mir heilig!
Mit sehr viel weniger Elan als bisher wagte ich mich an die nächste Tür, nicht ohne Christoph innerlich mit den übelsten Schimpfworten zu belegen und zu verfluchen.
Wenn ich ihn nicht bald entdeckte, würde es mir zu dumm und ich machte mich allein vom Acker! Wobei ich das nicht wirklich erwog, denn auch wenn er ein Kretin war, ich würde ihn nicht im Stich lassen.
Das Glück war mir hold, denn als ich die nächste Tür öffnete, entdeckte ich ihn sofort. Allerdings bei einer Tätigkeit, die mir den Schweiß auf die Stirn trieb und die Stimme verschlug. Er kniete, nicht einmal unpassend für eine Nonne, auf dem Boden, doch direkt vor ihm stand mit entblößtem Glied der Maskenmann, dem ich schon einmal begegnet war. Mit beiden Händen umfasste er Christophs Kopf mit der Haube und penetrierte seinen Mund. Ziemlich heftig, wie mir schien, denn das Geröchel, das den Raum füllte, zeugte von Atemnot und Würgereflex. Verdammt, was war hier los? Vordergründig gab es keinen Zweifel, der Maskenmann ließ sich von Christoph einen blasen. Doch wie kam der dazu, so etwas mit sich machen zu lassen? Sollte er etwa ...?
In diesem Moment schaute der Maskenmann in meine Richtung und die stechenden Augen fixierten mich. Äußerst unangenehme Augen! Die triumphierend aufblitzten, denn in genau diesem Moment spritzte der Mann los und aus Christophs Geröchel wurde erst ein Gurgeln, dann ein Geräusch, wie von einem überdimensionalen Abfluss, durch den literweise Gülle fließt. Mit letzter Kraft riss Christoph sich los und der letzte Rest Sperma klatschte auf sein Gesicht und verzierte die heilige Haube. Dem freigiebigen Spender schien es überhaupt nicht zu gefallen, dass ein Hustenanfall beängstigenden Ausmaßes Christoph heimsuchte und er sich fast die Seele aus dem Leib spuckte. Mit einer eleganten Bewegung, die ich wie in Zeitlupe verfolgen konnte, holte er aus und gab meinem Leidensgenossen eine Ohrfeige, die einen weniger stabilen Burschen sicher von den Beinen oder in diesem Falle Knien, geholt hätte. Was vielleicht sogar besser gewesen wäre, denn Christophs Standfestigkeit hatte zur Folge, dass seine Haube samt Perücke durch den Raum segelte und er zweifelsfrei als Mann zu erkennen war.
Jetzt wurde es brenzlig, und das einzige Heil, das ich noch sah, bestand in schnellster und gemeinsamer Flucht. Der Aufschrei des Maskenmannes war noch nicht verhallt, da war ich bei den beiden, griff Christoph unter die Achseln und wuchtete ihn auf die Füße.
„Mir nach!“, forderte ich ihn ultimativ auf und flitzte los. Richtung Ausgang, hoffte ich, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo der war. Direkt vor mir öffnete sich eine Tür und ich hatte keine Gelegenheit auszuweichen. Also rammte ich sie dem Öffnenden vor den Kopf und das Wehgeschrei des Getroffenen vermischte sich mit dem unartikulierten Brüllen des Maskenmannes zu einem unbeschreiblichen kakofonischen ohrenzerreißenden Lärm. Wenn jetzt nur nicht der Kleiderschrank auftauchte!
Doch kaum hatte sich der Gedanke in meinem Hirn breitgemacht, tauchte besagter Türsteher auch schon direkt vor mir auf. Sein verblüfftes Gesicht, als ich den Kopf senkte und ihm mit der Stirn einen heftigen Schlag gegen sein Kinn verpasste, sah ich nur Sekundenbruchteile, denn schon war ich an ihm vorbei. Weniger der Heftigkeit des Stoßes als vielmehr der Plötzlichkeit der Attacke war es zu verdanken, dass auch Christoph, der mir zum Glück direkt auf den Fuß folgte, ihn passieren konnte, ehe er versuchte, nach uns zu schlagen. Nur so konnte es geschehen, dass er, statt uns niederzustrecken, dies mit dem Maskenmann tat, der die Verfolgung aufgenommen hatte. Das Kuddelmuddel, das daraus entstand, gab uns einen kleinen Vorsprung, sodass wir um die nächste Ecke verschwanden, ehe die beiden uns mit vereinten Kräften nacheilen konnten.
„Kommt, hier rein!“, empfing uns die Peitschenlady und bugsierte uns in einen kleinen Gang, an dem ich fast schon vorbeigelaufen war.
„Da vorne links ist ein Seitenausgang. Und verschwindet sofort, man wird euch suchen!“
Warum auch immer die Lady uns geholfen hatte, nur dank ihrer Unterstützung gelang es uns, einem wie auch immer gearteten Unglück zu entkommen. Meine Dankbarkeit für sie kannte keine Grenzen, und ich hoffte, dass ich Gelegenheit erhalten sollte, mich zu revanchieren.
***
Eine unruhige Nacht
Im Schweinsgalopp, und ohne einen Blick zurück, rannten wir, bis um die nächste Ecke. Erst jetzt gelang es uns, zu Atem zu kommen, und um nicht weiter aufzufallen, marschierten wir schweigend im gemessenen Trippelschritt frommer Nonnen zum Hotel. Die Gedanken wirbelten nur so durch meinen Kopf. Fragen über Fragen türmten sich auf. Christoph mit einem Männerschwanz im Mund, wie hatte ich das zu interpretieren? War der „Pranger“ wichtig, oder mussten wir uns auf DoT.com konzentrieren? Was sollten wir als Nächstes unternehmen? Wie im Bienenstock surrten die Fragen durch meinen Kopf und machten mich wütend.
Als wir uns am Empfang des Hotels vorbeigeschlichen hatten, fuhren wir mit dem Aufzug nach oben. Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, suchte meine Wut ein Ventil und ich ging auf Christoph los.
„Verdammt, verdammt, verdammt! Das war knapp! Warum musstest du Idiot diesem schmierigen Maskentypen auch einen blasen? Wir wollten herausbekommen, was da drin vor sich geht, und nicht unserem Vergnügen nachgehen.“
„Du spinnst ja wohl! Vergnügen? Das war zum Kotzen, der Kerl hatte sicher seit Tagen seinen Schwanz nur zum Pinkeln in der Hand gehabt. Es hat mich enorme Überwindung gekostet und deshalb habe ich mich auch so wahnsinnig verschluckt“, schrie Christoph mich an, während er sich die Nonnentracht vom Leib riss.
Meine Wut auf ihn wuchs gerade quadratisch an, doch ich versuchte, mich zu beherrschen. Letztlich konnte er ja vielleicht gar nichts dafür, dass er unterbelichtet war. Also atmete ich ein paar Mal tief durch, bevor ich mich weiter mit ihm unterhielt. Zudem stimmte mich die Tatsache friedlicher, dass ich mich endlich dieser, einer Zwangsjacke ähnlichen Nonnentracht entledigen konnte.
„Aber er hat dich doch nicht gezwungen? Oder?“
„Nein, von weitem sah er ja ganz appetitlich aus.“
„Ich fass es nicht, machst du so etwas öfters?“
„Ab und zu. Und ich bin normalerweise ganz gut darin, das kann ich dir gerne beweisen.“
„Äh, nee, lass man, ich glaub es dir auch so“, wehrte ich ihn ab, als er Anstalten machte, seinen Worten Taten folgen zu lassen.
An dem Maskenmann war mir etwas aufgefallen, worüber ich mit Christoph nicht sprechen konnte. Die Maske, die der Typ getragen hatte, ähnelte derjenigen, die ich beim Abspritzcontest getragen hatte, wie ein Ei dem anderen. War das nun beginnende Paranoia oder scharfe Beobachtungsgabe? Zu gerne hätte ich Andrea um Rat gefragt, aber ... die war weit weg und zudem in meiner Gunst gerade in der untersten Schublade, in guter Gesellschaft von Christoph und vielleicht noch Bill Gates, wobei der mir persönlich nichts getan hatte.
„Ich bin fix und alle“, signalisierte ich Christoph, dass ich nur noch ins Bett wollte. „Willst du zuerst ins Bad?“
„Ach, wir können doch zusammen ...“
„Kommt nicht infrage! Dann gehe ich eben zuerst.“
Nachdem ich den Schlüssel doppelt herumgedreht hatte, stieg ich unter die Dusche und wusch mir den Schmutz des ganzen Tages vom Leib. Ah, das tat gut. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Erst als ich realisierte, dass ich keinen Schlafanzug dabei hatte, weil ich um diese Jahreszeit immer nackt schlief, schlug meine Stimmung wieder um. Schnell griff ich ein T-Shirt und eine frische Unterhose. Das musste reichen.
„Du bist dran“, machte ich Christoph darauf aufmerksam, dass ihm das Bad jetzt zur Verfügung stand. Langsam schlenderte er zur Tür, wobei er mich von Kopf bis Fuß musterte. „Wow!“, war sein Kommentar, und selbst mein „Idiot!“ konnte sein Grinsen nicht beeinträchtigen. Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, registrierte ich die Unterhose in meiner Hand. Verflixt! Die Ereignisse des Tages hatten doch schlimmere Auswirkungen gezeitigt, als ich wahrhaben wollte. Wenn nur Christoph diesen Aussetzer nicht als Signal missverstand ...
Schnell sprang ich in die Unterhose und verzog mich unter die Decke. Fröhlich pfeifend kam Christoph aus dem Bad. Ich hatte es geahnt, nackt, wie Gott ihn schuf.
„Eins sag ich dir, hier beginnt mein Bett“, klärte ich gleich die Fronten, „und was ich dir damit sagen will, hast du kapiert, oder?“
„Mach mal halblang! Ich will schlafen, sonst nichts.“
Mir war nicht wohl - überhaupt nicht. Kein Wunder also, dass ich nach dem Löschen des Lichts nicht einschlafen konnte. Ständig kontrollierte ich, ob es eine Grenzverletzung meines Bettes gab. Die ruhigen Atemzüge meines Bettnachbarn verrieten mir endlich, dass keine Übergriffe mehr zu befürchten waren, und langsam dämmerte ich weg. Die Traumfee hatte bereits den Traumstaub in der Hand, mit dem sie mir wunderschönen Sex mit einer unglaublich schönen und versauten Göttin schenken wollte, als ein einsamer Holzfäller ihr einen Strich durch die Rechnung machte.
Es dauerte einige Momente, bis ich wieder an die Oberfläche kam. Wesentlich schneller war mein Adrenalinspiegel auf Maximalhöhe gestiegen. Wenn ich etwas hasste, dann Schnarchen. Nach Andrea war ich einige Monate mit einer Frau zusammen gewesen, die bei „Wetten Dass ...“ jeden Wettbewerb gewonnen hätte. Jedenfalls, wenn sie Alkohol getrunken hatte, und es gab kaum einen Tag, an dem sie sich nicht bemühte, darin neue Rekorde aufzustellen. Argh!
Im Dämmerschein des Vollmondlichtes sah ich die Geräuschquelle mit ausgebreiteten Armen rücklings auf dem Bett liegen. Die Decke lag am Fußende und Christophs Nacktheit trug nicht gerade zur Reduktion meines Ärgers bei. Verdammt, was sollte ich nur tun? An Schlafen war bei diesem Lärm nicht zu denken. Selbst als ich mir das Kopfkissen über beide Ohren zog, schien ich mich mitten in einem Wald zu befinden, der gerade zu Streichholz verarbeitet wurde.
Da keine der von mir ergriffenen Maßnahmen den geringsten Erfolg zeitigte, musste ich das Übel bei der Wurzel packen. Mit zwei Fingern packte ich Christophs Nase und drückte die Nasenflügel zusammen. Und siehe da, nach einer kurzen Schnappatmung, die jedoch nicht zum Erwachen führte, verstummten die Geräusche und ich war doppelt froh. Meine eigene Grenzüberschreitung blieb unbemerkt und die herrliche Stille belohnte mich für die gute Idee. Zumindest so lange, bis ich wieder fast eingeschlafen war.
Wie ich diese Nacht überstanden habe, weiß ich bis heute nicht. Alle Mittel, zu Schlaf zu kommen, schlugen fehl. Immer, wenn ich Christoph weckte, schaffte er es, vor mir wieder einzuschlafen und sägte zielgenau dann los, wenn die Traumfee in ihren Beutel griff.
Wie gerädert weckte ich die Säge um sechs Uhr endgültig, und wir traten den geordneten Rückzug an. Unseren Auftrag hatten wir gründlich vermasselt und außer Spesen war nichts gewesen. Ob Nisser uns an der DoT.com Sache arbeiten ließ, war zweifelhaft, für derlei subtile Dinge hatte er andere an der Hand. Wir hatten beschlossen, ihm ohne Preisgabe der Quelle davon zu erzählen, mit der Bitte, uns recherchieren zu lassen. Große Hoffnung hatte ich allerdings nicht. Es bleib wohl nichts anderes übrig, als auf eigene Faust Recherchen anzustellen. Und so beschloss ich, zwei Wochen Urlaub zu nehmen.
Kommentare
Kommentare: 87
Kommentare: 127
Gruß Evi«
Kommentare: 156
Thematisch eine Episode, für die mir teilweise das Hintergrundwissen fehlt, auch wenn ich den Contest kenne, auf den Bezug genommen wird. Unglücklich finde ich, dass die Episode keinen Abschluss beinhaltet. Es gibt kein eigentliches 'Ende'.
Stilistisch hast du auf jeden Fall die Linie gehalten und die Anspielungen und der Wortwitz sind mir durchaus aufgefallen, lagen aber bei mir leider unterhalb der Schmunzelgrenze. Und Erotik habe ich ehrlich gesagt keine gefunden. Außerdem erschien mir die Herleitung des Kontaktes mit Xenia leider wirklich fadenscheinig.
Du hast deinen Stil und bist darin auch sattelfest. Und ich liege wohl einfach nicht in der passenden Geschmacksgruppe.
Sorry...«
Kommentare: 35
Die Selbstbetrachtungen und die Ironie hat mir im Prinzip gefallen, aber nicht in diesem Zusammenhang.
Mir scheint das Ganze ein wenig undurchdacht, naiv und unrealistisch. Vor allem, warum hat die Geschichte kein Ende?«
Kommentare: 441
Die Selbstironie des Ich-Erzählers fand ich hervorragend umgesetzt und die Story ist sehr bildhaft geschrieben.
Gelungener Beitrag zum Thema
LG Mondstern«
Kommentare: 24
Kommentare: 53
Aber weitere davon zu lesen, interessieren uns wirklich nicht.«
Kommentare: 10
Kommentare: 14
Recherschiere weiter«