Die Erhabenen
von Why-Not
Kapitel 1 – Begegnungen
In der Stadt
Die Kutsche näherte sich allmählich der Stadt. Sie schaute zum Fenster hinaus und bedauerte, daß die Landschaft allmählich von immer mehr Häusern geprägt war. Sie mochte die Stadt nicht sonderlich. Wegen der vielen Menschen, hauptsächlich aber, weil es dort stank. Die hygienischen Zustände in den großen Städten entsprachen nicht ihrem Standard, wobei sich die meisten Menschen nicht einmal etwas unter dem Wort Hygiene vorstellen konnten. Aber manchmal ließ es sich eben nicht vermeiden, daß sie ihre komfortable Residenz verließ und in die Stadt kam. So auch dieses Mal. Ihr Händler für exotische Gewürze war mit 74 Jahren – einem stolzen Alter, in einer Zeit, in der die meisten Menschen keine 50 Jahre alt wurden – an Altersschwäche gestorben und hatte die Geschäfte seinem 22-jährigen Enkel hinterlassen. Seinen Sohn hatte vor 10 Jahren die Pest hinweggerafft. Der alte Händler hatte seinem Enkel zwar noch am Sterbebett eindringlich eingeschärft, an den Verträgen mit ihr nichts zu ändern, aber dem Enkel war natürlich der Grund dafür nicht klar gewesen. Und so versuchte er jetzt, seine Gewinnspanne deutlich zu erhöhen und die Mengen zu reduzieren. Na ja, dachte sie schmunzelnd, sie würde das morgen klären. Sie hatte so etwas schon viele Male getan und es lief immer auf die gleiche Weise, aber sie hatte trotzdem jedesmal Spaß daran.
Inzwischen fuhr die Kutsche bereits durch einen Vorort. Sie zog sich die Kapuze tiefer in ihr Gesicht, so daß es niemand sehen konnte, der von draußen in die Kutsche hineinschaute. Schließlich wollte sie keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. In ihren Kreisen legte man keinen Wert darauf. Die Kutsche fuhr hart durch ein Schlagloch. Sie haßte dieses Fortbewegungsmittel. Ihr jüngerer Bruder hatte da eine wesentlich komfortablere Möglichkeit. Sie lächelte bei dem Gedanken, was wohl passieren würde, wenn er auf seine Weise hier erscheinen würde. Aber inzwischen war er viel zu vernünftig und ernsthaft geworden, um das zu tun. Bei dem Gedanken an die Ursache für seine Wandlung war ihre gute Laune verflogen. Traurig starrte sie aus dem Fenster, ohne wirklich hinauszusehen. Sie dachte an den Tag, als sein Jähzorn sie beide zu Waisen gemacht hatte. Ein völlig überflüssiger Streit mit dem Vater, dessen Sturheit legendär war, hatte zu diesem schrecklichen Ereignis geführt. Und Claudius verlor seine Beherrschung genau in dem Moment, als ihre Mutter schlichtend einschreiten wollte. Er war sich seiner Kräfte noch nicht wirklich bewußt gewesen und hatte sie schon gar nicht unter Kontrolle. Es dauerte keine Sekunde, bis ihre Eltern tot waren.
Als Claudius sah, was er angerichtet hatte, brach er in die Knie und schlug die Hände vor sein Gesicht. Er beachtete auch die Bediensteten nicht, die später die sterblichen Überreste ihrer Eltern heraustrugen. Drei Tage rührte er sich überhaupt nicht. Dann, als sie eine Andacht für ihre Eltern hielt, erschien er mit versteinertem Gesicht. Danach bedankte er sich höflich bei ihr für die schöne Andacht und nur seine Augen verrieten ihr die Höllenqualen, die er durchlebte. Anschließend verabschiedete er sich bei ihr und ritt mit seinem Pferd davon. Viele Jahre hörte sie nichts von ihm. Als er wieder auftauchte, hatte er sich gewaltig verändert. Aus dem jugendlichen Hitzkopf war ein verantwortungsbewußter, ernster Mann geworden. Einerseits bedauerte sie, daß er seine Unbekümmertheit und seine Fröhlichkeit verloren hatte, andererseits wäre er bei seinen Begabungen eine permanente Bedrohung seiner Umwelt gewesen, wenn er diese Wandlung nicht durchgemacht hätte. Er selbst sagte ihr einmal, daß er die Schuld zwar nie loswerden würde, er aber ohne sie wahrscheinlich noch viel mehr Unheil angerichtet hätte.
Während sie ihren Gedanken nachhing, entging ihr, daß sie und ihre Kutsche gebannt von einem Augenpaar verfolgt wurden. Henrik, dem diese Augen gehörten, verfolgte die Kutsche von einem Dach aus, auf das er sich gekauert hatte. Er wollte unbedingt wissen, wohin sie fuhr und bei welchem Haus sie halten würde. Er hatte seit drei Tagen nichts gescheites zu essen gehabt und diese Kutsche sah danach aus, als könnte sie ihn einem warmen Essen deutlich näher bringen. Zwar war die Kutsche unauffällig hergerichtet, aber sein geübter Blick erkannte, daß sie sehr aufwendig gefedert war. So etwas konnten sich nur wirklich reiche Leute leisten. Und da er ein Dieb mit Ehre war, bestahl er nur reiche Leute, die den Verlust verschmerzen konnten. Leider waren die reichen Leute dieser Stadt inzwischen sehr vorsichtig geworden. Und obwohl er zu den besten seiner Zunft gehörte, war das Leben für ihn in letzter Zeit ziemlich schwierig. Da kamen ihm reiche Besucher von außerhalb gerade recht. Er mußte noch zweimal auf ein anderes Dach wechseln, bevor er das Haus sah, an dem die Kutsche angehalten hatte. Während die Kutsche fuhr, hatte er nicht erkennen können, wer sich in ihr aufhielt. Jetzt sah er, daß eine einzelne Person in einem dunkel-violetten Umhang mit Kapuze ausstieg. Der Umhang wurde von einer goldenen Schnalle zusammengehalten. Die Person, wahrscheinlich eine Frau, war sehr groß. Mit schnellen Schritten war sie im Haus verschwunden. Und Henrik roch förmlich den Reichtum.
Das Haus war ihm schon vor ein paar Tagen aufgefallen. Normalerweise stand es leer und es gab dort nichts zu holen, wie er bereits früher herausgefunden hatte. Seit einigen Tagen waren dort allerdings Leute zugange und richteten das Haus auf Besuch ein. Die Tatsache, daß diese Dame ihre Bediensteten einige Tage im Voraus herschicken konnte, um es ihr gemütlich einzurichten, verstärkte Henriks Vermutung, daß es dort viel zu holen geben müßte. Vielleicht sogar etwas Schmuck, so daß er vom Erlös mehrere Wochen leben könnte. Er beschloß, das Haus noch eine Weile zu beobachten und in Kürze zu „besuchen“. Wer weiß, wie lange die Dame hier war. Womöglich fuhr sie schon in wenigen Tagen wieder weg. Und er wollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Das Findelkind
„Karin“, brüllte die Wirtin, „komm sofort her und wisch hier den Dreck weg.“ Ein Gast hatte wohl etwas zuviel getrunken und ihm war schlecht geworden. Sie kam mit Eimer und Lappen und machte alles wieder sauber. Sie war es gewohnt, die unangenehmsten Arbeiten zu erledigen. Und sie hatte gelernt, es schnell und ohne Widerspruch zu tun. Sie war jetzt etwa 23 Jahre alt. Genau wußte sie es nicht, da sie als Findelkind zu der Wirtsfamilie gekommen war. Über ihre Eltern wußte sie ebenfalls nichts. Und sie hatte in der Herberge arbeiten müssen, soweit sie zurückdenken konnte. Vor der Wirtin hatten alle Angst, sogar ihr Mann, der dicke Wirt. Auch die Gäste vermieden es tunlichst, sich mit ihr anzulegen. Karin hatte einmal gesehen, wie ein schon ziemlich betrunkener Gast sie angemeckert hatte. Die Wirtin hatte ihn mit einem Knüppel grün und blau geschlagen. Karin hatte schnell gelernt, die Stimmung der Wirtin einzuschätzen und keinen Vorwand dafür zu liefern, daß sie ihre schlechten Launen an ihr ausließ. Immer half das zwar nicht, aber in letzter Zeit war sie nur noch selten verprügelt worden. Der Wirt war nicht so grausam wie seine Frau. Aber solange er nicht das Ziel ihres Zornes war, war es ihm auch gleichgültig. Als Karin sich allmählich zur Frau entwickelt hatte, wurde der Wirt immer zudringlicher. Als die Wirtin es merkte, zerrte sie Karin zum Schmied und ließ ihr dort einen Keuschheitsgürtel verpassen. Eigentlich war es nur ein Eisenreif um ihre Taille mit einem Blech zwischen ihren Beinen. Der Schmied hatte sich nicht viel Mühe damit gegeben, so daß der Gürtel sie scheuerte, wenn sie sich nicht vorsichtig bewegte. Sie konnte das Teil auch nie ausziehen, da der Schmied statt eines Schlosses einfach alle Teile vernietet hatte.
Der Wirt ließ sie danach in Ruhe und auch die wenigen jungen Männer aus dem nahegelegenen Dorf verloren das Interesse an ihr, als bekannt wurde, daß sie einen Keuschheitsgürtel trug. So war ihr Leben hart und einsam. Nachts schlief sie in dem kleinen Stall, in dem Reisende ihre Pferde unterstellen konnten. Es kamen allerdings nicht viele Reisende zu dieser Herberge. Karins einziges Vergnügen war es, sich unter dem Gürtel zu streicheln, wenn sie alleine war. Einmal hatte die Wirtin sie dabei beobachtet und ihr eine fürchterliche Tracht Prügel verabreicht und sie dabei beschimpft. Seitdem paßte sie genau auf, daß sie wirklich alleine war, wenn sie es tat. Der Gürtel störte zwar dabei, aber er war in erster Linie dazu gedacht, den Wirt – und damit auch alle anderen Männer – von ihr fernzuhalten, so daß sie mit etwas Geschick überall hinkam, wo sie es wollte. Oft träumte Karin, daß ein Reisender sie mitnahm und dieser Albtraum endete. Aber wer sollte sie schon mitnehmen wollen, so häßlich wie sie war. Sie hatte immer dasselbe Kleid an, daß die Wirtin aus einem alten Kartoffelsack genäht hatte. Und ihre Haare kämmen durfte sie auch nicht. Daß sie ohne die Möglichkeit, sich zu waschen, ziemlich streng roch, merkte sie selbst inzwischen nicht mehr. So blieben ihr nur ihre Träume und das Streicheln.
Als sie gerade den Boden wieder gesäubert hatte, betrat ein seltsamer Mann die Herberge. Karin hatte ihn noch nie zuvor hier gesehen. Er hatte eine grau-braune Kutte mit Kapuze an. Die Kapuze hatte er so tief in sein Gesicht gezogen, daß es nicht zu erkennen war. Er setzte sich an einen Tisch und wartete, bis der Wirt zu ihm kam. Sie unterhielten sich kurz und der Wirt führte ihn zu einem der Zimmer. Scheinbar wollte er nur übernachten, aber nichts essen oder trinken. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Da es für Karin nichts mehr zu tun gab, ließ sie sich von der Wirtin noch ein Brot und etwas Wasser geben und ging in den Stall, um etwas zu essen und zu schlafen. Am nächsten Morgen war Karin dabei, die Tische sauberzumachen, als der seltsame Mann wieder aus seinem Zimmer kam und – soweit sie es erkennen konnte – kurz in ihre Richtung schaute. Er war genauso gekleidet, wie am vorigen Abend. Dann sah sie ihn wieder mit dem Wirt sprechen und ihm zwei Silber-Münzen geben. Karin wunderte sich, da das viel mehr war, als eine Übernachtung kosten würde. Selbst ein unerfahrener Reisender würde sich nicht so ausnehmen lassen. Für soviel Geld könnte er ein Pferd kaufen. Dann kamen der Mann und der Wirt auf Karin zu. „Steh auf“, sagte der Wirt zu ihr. Sie tat es natürlich sofort. Er war zwar nicht so grausam und brutal wie seine Frau, aber bei Ungehorsam schlug auch er sofort zu.
„Ich habe Dich an diesen Herrn verkauft. Er ist jetzt Dein neuer Besitzer und kann mit Dir tun, was er will.“ Sie konnte sich zwar nicht erinnern, Eigentum des Wirtes zu sein, aber sie wußte auch nicht, was sie sonst tun sollte, als zu gehorchen. Der Mann, ihr neuer „Besitzer“, legte ihr ein Lederband um den Hals und verband es mit einem langen Lederband, daß er in der Hand hielt. Ihr fiel auf, daß er sehr seltsame Hände hatte. Die Haut sah wie braunes Leder aus. Einmal war ein Adeliger kurz in die Herberge gekommen. Auch er hatte so komische Hände. Sie erinnerte sich, daß andere Gäste später von Handschuhen gesprochen hatten, etwas aus Leder, daß über die Hände gezogen wurde, um sie zu schützen und zu wärmen. Ob ihr Besitzer auch so etwas anhatte? Wie ein Adeliger sah er jedenfalls nicht aus. Und da sie Sommer hatten, brauchte man sicher auch nichts, um die Hände zu wärmen. Sie würde es bestimmt noch erfahren. Mit dem Halsband und der ledernen Leine fühlte sie sich wie eine Kuh auf dem Wochenmarkt. „Komm mit“, sagte ihr Besitzer mit tonloser Stimme und verließ die Herberge mit ihr an der Leine. Sie trottete hinterher. So hatte sie sich das jedenfalls nicht vorgestellt, wenn sie geträumt hatte, daß ein Reisender sie mitnahm. Andererseits gab es allerdings auch nichts, was sie hier hielt.
Während sie den Weg von der Herberge in Richtung Wald gingen, fragte sie sich, warum er immer die Kapuze ins Gesicht gezogen hatte. An den Temperaturen konnte es jedenfalls nicht liegen. Vielleicht war er ja so häßlich, daß er sich nicht unter die Augen der Leute traute. Das würde dann auch erklären, warum er sich für sie interessiert hatte. Wenn seine Häßlichkeit alle normalen Frauen erschreckte, mußte er sich eine kaufen, die keine Wahl hatte. Sie. Als sie eine Weile gewandert waren, scheuerte ihr der Keuschheitsgürtel an den Beinen. Sie traute sich nicht, etwas zu sagen, wurde aber etwas langsamer und ging ein bißchen breitbeinig. Außerdem taten ihr die Füße weh. Wanderungen war sie nicht gewohnt und sie hatte auch keine richtigen Schuhe, sondern lediglich alte Lappen an den Füßen. Ihr Besitzer bemerkte, daß sie Probleme beim Laufen hatte. Er blieb stehen, drehte sich zu ihr um und fragte sie, was los war. Sie traute sich zunächst nicht zu antworten. Wenn sie es in der Herberge einmal gewagt hatte, sich über irgend etwas zu beschweren, hatte sie dafür nur eine Tracht Prügel bekommen. Aber er schien nicht eher weitergehen zu wollen, ehe sie ihm seine Frage nicht beantwortet hatte. Also sagte sie ihm schließlich, was ihr Problem war. Als er dann auf sie zukam, hob sie schützend die Hände vors Gesicht. Aber er schlug nicht zu. Er hob ihr Sackkleid an, um sich den Gürtel anzusehen. Er nickte und sie gingen deutlich langsamer weiter, so daß es für sie nicht mehr so schmerzhaft war.
Nach einiger Zeit kamen sie an einen See. Karin hatte noch nie mehr als eine große Pfütze gesehen. Sie staunte. Ihr Besitzer sagte ihr, daß sie ihr Kleid ausziehen solle. Nachdem sie es getan hatte, sagte er ihr, sie solle langsam in den See gehen, bis er ihr „Halt“ sagte. Als er ihr erlaubte stehenzubleiben, reichte ihr das Wasser bis zur Hüfte. Es war angenehm kühl, aber sie hatte Angst im Wasser. Er befahl ihr, die Augen zu schließen, sich die Nase zuzuhalten, den Mund zuzumachen und kurz unterzutauchen. Als sie kurz darauf wieder auftauchte, hielt sie immer noch die Luft an und die Nase zu. Ihre Luft wurde allmählich knapp. „Du kannst wieder atmen und auch die Augen aufmachen, Dummerchen“, sagte er. „Ich wollte nur nicht, daß Du Wasser in Mund, Nase oder Augen bekommst.“ Sie holte wieder tief Luft. Dann mußte sie sich hinknien, bis ihr das Wasser zum Hals reichte und so eine Zeitlang bleiben. Sie begann, sich im Wasser wohl zu fühlen. Das Wasser kühlte die wunden Stellen an ihren Beinen und Füßen. Er nahm unterdessen ihr Kleid auf einen Stock und schwenkte es daran durchs Wasser am Ufer. Dann holte er es wieder heraus, hängte es an einem Ast zum Trocknen auf und besprühte es mit etwas, daß er aus seiner Kutte geholt hatte.
Als ihre Haut langsam schrumpelig wurde, durfte sie wieder ans Ufer. Sie schämte sich etwas, so nackt vor ihrem Besitzer zu stehen. Aber er meinte, sie müsse erst warten, bis ihr Kleid getrocknet sei, bevor sie es wieder anziehen dürfe. Auch sie sollte erst wieder in der Sonne trocknen. Ihre Fußlappen hatte er achtlos weggeworfen. Statt dessen lagen jetzt zwei Lederlappen auf der Wiese vor dem See. Er sagte ihr, wie sie sie anzuziehen hatte. Sie waren bequemer als ihre alten Lappen und waren an der Sohle auch etwas stabiler. Damit sollte sie besser laufen können. Dann mußte sie sich – immer noch nackt – mit leicht gespreizten Beinen vor ihn hinstellen. Sie schaute verschämt auf den Boden. Er strich eine Salbe auf die wunden Stellen an ihren Innenschenkeln und gab ihr noch einen weichen Lederstreifen, den sie um die scharfen Kanten des Gürtels wickeln sollte. „Wenn Du pinkeln mußt, nimm das Leder vorher erst ab“, sagte er ihr dazu. Schließlich war auch ihr Kleid trocken und sie zog es an. Es roch irgendwie angenehm. Dann gingen sie weiter. Jetzt war es wesentlich leichter für Karin und sie kamen flott voran. Karin überlegte, daß sich noch nie jemand so um sie gekümmert hatte. Und sie nahm sich vor, nicht erschreckt zu reagieren, wenn sie später sein Gesicht zum ersten Mal sah. Auch wenn es sehr häßlich wäre, wollte sie sich nichts anmerken lassen. Er wäre bestimmt enttäuscht, wenn sie bei seinem Anblick zusammenzucken würde.
Der Einbruch
Agrippa – oder Agi, wie ihr Bruder Claudius sie nannte – stand an einem der Fenster ihres Stadthauses. Sie würde heute Abend zu dem Erben ihres Gewürzhändlers gehen und ihm klarmachen, daß die Vereinbarung, die sie mit seinem Großvater hatte, unkündbar und unveränderbar war. Sie schmunzelte bei dem Gedanken an das Gesicht, daß er machen würde, wenn er den ganzen Zusammenhang verstand. Plötzlich fiel ihr auf, daß ihr Haus vom gegenüberliegenden Dach aus beobachtet wurde. Der Mann auf dem Dach war sehr geschickt und wäre normalerweise niemandem aufgefallen. Aber Agrippa hatte ausgesprochen scharfe Augen und – vor allem – sie konnte seine Anwesenheit und sein Interesse an ihrem Haus spüren. War da nur jemand neugierig? Oder wollte er sie bestehlen? Sie würde Vorkehrungen treffen lassen, um das zu verhindern. Und sie wußte auch schon wie. Nachdem sie ihren Bediensteten einige Anweisungen gegeben hatte, kehrte sie mit ihren Gedanken wieder an den jungen Händler zurück, den sie gleich besuchen würde.
Henrik sah vom Dach aus, wie die Kutsche der Dame vorfuhr. Sie stieg ein und die Kutsche verschwand aus seinem Sichtfeld. Jetzt oder nie, dachte er und begann, sich vorsichtig über die Dächer dem Haus zu nähern. Dort angekommen öffnete er geschickt ein eigentlich verschlossenes Dachfenster und stieg ins Haus ein. Er verließ die Dachkammer, in der es nichts stehlenswertes gab und begann, das Haus zu erkunden. Die Bediensteten waren offenbar alle in der Küche, um gemeinsam zu Abend zu essen. Nach einigen weiteren Zimmern, die keine nennenswerten Wertgegenstände enthielten, kam er in das Schlafzimmer der Dame. Es war prächtig dekoriert und roch sehr angenehm. Zu seinem Erstaunen war das Fenster vergittert. So etwas mochte er gar nicht. Das verbaute ihm einen möglichen Fluchtweg. Er nahm sich vor, das Zimmer zu durchsuchen und dann schnell wieder zu verlassen. Als er etwas weiter ins Zimmer gegangen war, sah er eine kleine Truhe auf dem Nachttisch stehen. Elektrisiert huschte er hin und öffnete sie. Sie war voll wertvoller und schöner Schmuckstücke. Er grinste breit und begann, sie in seine Taschen zu stopfen, als plötzlich die Zimmertür, die er nur angelehnt hatte, zugezogen wurde. Er hörte, wie ein schwerer Riegel vorgelegt wurde und wußte, daß er in der Falle saß. Offenbar hatte man ihn erwartet. Er verstand allerdings nicht, wer ihn verraten haben könnte. Er hatte mit niemandem über sein Vorhaben geredet. Schließlich war er ja kein Anfänger. Aber trotzdem war dies eine Falle gewesen.
Er schaute sich genau im Zimmer um, in der Hoffnung, doch noch einen Fluchtweg zu finden. Aber er hatte keine Chance. Die Wände, Türen und Fenstergitter waren zu stabil für sein leichtes Einbruchswerkzeug. Und es fand sich auch nichts im Zimmer, das sich als grobes Werkzeug eignen würde. Er kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Wenn er jetzt die Nerven verlieren würde, wäre er verloren. Für einen einfachen Diebstahl wurde einem hier die Hand abgehackt. Die Strafe für einen Einbruch in das Haus reicher Leute wäre mit Sicherheit der Tod. Und er hätte Glück, wenn es ein leichter Tod werden würde. Wenn die reiche Dame rechtzeitig zurückkäme, könnte er vielleicht versuchen, ihr Mitleid zu wecken. Vielleicht ließe sie ihn dann ja laufen. Würden ihn die Büttel vorher abholen, hätte er auch diese Chance nicht mehr. Je länger er nachdachte, desto aussichtsloser schien ihm seine Lage.
Agrippa kehrte mit der Kutsche von ihrer geschäftlichen Besprechung zurück und war bester Laune. Ihr neuer Gewürzhändler würde sich auch weiterhin an die alte Vereinbarung halten. Der entsetzte Gesichtsausdruck, als er erkannte, mit wem er eigentlich Geschäfte machte, ließ sie immer noch schmunzeln. Und die Aussicht auf den Zusatzbonus, den auch schon sein Großvater bekommen hatte, ließ ihn erkennen, daß er tatsächlich ein gutes Geschäft machte. Das Elixier, daß sie seinem Großvater in regelmäßigen Abständen hatte zukommen lassen, hatte diesem ein außergewöhnlich langes Leben beschert, auf das jetzt auch sein Enkel Aussicht hatte. Dafür nahm er die relativ geringe Gewinnmarge für die Gewürze gerne in Kauf. Angst alleine ist eine schlechte Geschäftsgrundlage. Aber Angst gepaart mit Gier – hier auf ein langes Leben – hatte sich schon immer bewährt. Das mit dem langen Leben war natürlich relativ. Sie würde auch mit seinen Urenkeln noch Geschäfte machen. Im Haus wurde sie von ihren Bediensteten informiert, daß der Einbrecher wie erwartet in ihre Falle gegangen war. Sie stieg die Treppe hinauf zu ihrem Schlafzimmer.
Henrik hatte noch immer keinen Ausweg gefunden. Und er dachte gerade, daß er ziemlich tief in der Scheiße saß. „Ich würde es zwar etwas weniger blumig ausdrücken, aber die Einschätzung ist ziemlich zutreffend“, sagte eine melodische Stimme von der Tür. Henrik drehte sich erschrocken um. Er hatte doch gar nichts gesagt. In der lautlos geöffneten Tür stand die Dame. Er nahm es wenigstens an, denn er konnte nur ihre Silhouette erkennen. Konnte sie seine Gedanken lesen? Dann hätte er wohl auch keine Chance, ihr Mitleid zu erwecken. Denn dann wüßte sie ja, daß er ein Profi war. „Mir wäre es lieber, wenn Du mir Lügen über Dich ersparen könntest. Die Mitleidstour zieht bei mir ohnehin nicht“, setzte sie wieder seine Gedanken fort. Henriks Magen zog sich allmählich zusammen. Nicht nur, weil er nun nicht einmal mehr den Hauch einer Chance sah, sein Schicksal abzuwenden. Diese Dame war ihm unheimlich. Er versuchte, sie im Zwielicht des Türrahmens genauer zu betrachten. Sie war sehr groß und hatte offenbar lange, bis auf die Hüfte reichende Haare. Ihr Gesicht lag im Dunkeln. Dann trat sie vor und er konnte sie genau erkennen. Entsetzen breitete sich schlagartig in ihm aus, als er erkannte, mit wem er es zutun hatte. Wenn auch nur ein Bruchteil der Geschichten über sie und ihresgleichen stimmte, dann wäre er mit einer schmerzhaften Hinrichtung wesentlich besser bedient gewesen.
Der weiße Turm
Gegen Abend kamen Karin und ihr Besitzer in einer anderen Herberge an. Karin wurde in den Stall geführt und dort mit ihrer Leine angebunden. Der Knoten war zu kompliziert, als daß sie ihn hätte öffnen können. Aber sie hätte sowieso nicht gewußt, wohin sie fliehen sollte. Sie legte sich ins Stroh, wie sie es gewohnt war. Kurze Zeit später kam ihr Besitzer noch einmal vorbei und brachte ihr etwas zu essen und zu trinken. Danach schlief sie ein. Am nächsten Morgen führte sie ihr Besitzer zu einem Schmied in der Nähe der Herberge, in der sie übernachtet hatten. Während der Schmied damit beschäftigt war, sie aus dem Keuschheitsgürtel zu befreien, trug die Frau des Schmieds einige Kübel mit heißem Wasser in einen Nebenraum. Nachdem der Gürtel endlich entfernt war, führte ihr Herr – Besitzer klang für Karin irgendwie komisch – sie in den Nebenraum. Dort stand ein großer Badebottich, der mit dampfendem Wasser gefüllt war. „Steig langsam hinein. Nicht zu schnell, damit Du Dich an das heiße Wasser gewöhnen kannst.“ Sie tat es und nach einem Moment war es sehr angenehm. Er holte ein kleines Fläschchen aus seiner Kutte und schüttete den Inhalt in den Bottich. Es roch gut und ein leichter Ölfilm bildete sich auf der Oberfläche. Dann drückte er ihren Kopf so in das Wasser, daß ihre Haare naß wurden, während ihr Gesicht an der Luft blieb. Sie mußte einen Moment so bleiben. Dann durfte sie es sich wieder etwas bequemer machen. Als sie schließlich aus dem Wasser stieg, hatte sie das erste Mal seit Jahren das Gefühl, richtig sauber zu sein. Er gab ihr ein einfaches, graues Leinenkleid, daß wesentlich angenehmer zu tragen war, als ihr Kartoffelsack-Kleid. Sie kam sich vor wie eine Prinzessin.
Ihr Herr bezahlte den Schmied und sie verließen den kleinen Ort. Sie hatte ihr Halsband nicht mehr um, sondern folgte ihrem Herrn einfach so. Sie wußte nicht, wie es weitergehen würde. Und sie hatte ihren Herrn noch nie außerhalb seiner grau-braunen Kutte gesehen. Aber sie war noch nie in ihrem Leben so fürsorglich behandelt worden. Sie nahm sich fest vor, ihrem Herrn keinen Grund zu geben, zu bedauern, daß er sie gekauft hatte. Sie machten mittags eine kleine Rast, gingen dann aber wieder zügig weiter. Karin fragte sich, wie lange sie wohl noch auf Wanderschaft wären. Gegen Abend, als es bereits zu dämmern begann, sprangen in einem Waldstück plötzlich drei Gestalten vor ihnen auf den Weg. Ihr Herr wies sie an, etwas zurückzubleiben. Die Männer waren offensichtlich Räuber. Sie hatten Knüppel und Messer in der Hand und gingen auf ihren Herrn zu. Dieser warf die Kapuze seiner Kutte in den Nacken, so daß die Räuber sein Gesicht sehen konnten. Karin sah von hinten nur, daß er schulterlanges, schneeweißes Haar hatte. Die Räuber dagegen erstarrten vor Entsetzen und traten sofort den Rückzug an. Zunächst langsam, rückwärts gehend, die Knüppel verkrampft festhaltend. Dann drehten sie sich um und rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Der Herr setzte seine Kapuze wieder auf. Karin hatte jetzt gesehen, warum sie nie das Gesicht ihres Herrn erkennen konnte. Er hatte noch so etwas wie einen Schleier in der Kapuze vor dem Gesicht. Sie fragte sich, was die Räuber wohl in seinem Gesicht gesehen hatten. Sah er wirklich so furchterregend aus? Hoffentlich konnte sie sich beherrschen, wenn er sich ihr das erste Mal zeigte. Er war ihr gegenüber freundlicher gewesen als je ein Mensch zuvor. Sie wollte ihn nicht verletzen.
Eine Stunde später, die Dämmerung war schon fast in die Nacht übergegangen und der Vollmond schien hell, erreichten sie eine Lichtung und blieben stehen. Er zog seine Kutte aus und legte sie zusammen. Da sie hinter ihm stand, konnte sie sein Gesicht noch immer nicht sehen. Aber sie konnte sehen, daß er fast vollständig in schwarzes Leder gekleidet war, verziert mit silbernen Schnallen. An seiner Hüfte hing ein langer, dünner Dolch. Er zog auch seine braunen Handschuhe aus. Sie sah, daß er lange, feingliedrige Hände hatte. Es sah nicht so aus, als müßte er mit ihnen schwer arbeiten. Schließlich drehte er sich zu ihr um. Und ihr stockte der Atem. Er war nicht häßlich, im Gegenteil, er war schön – auf eine besondere Weise. Sein Gesicht war so gleichmäßig, daß es wie eine Maske wirkte. Der Mund war etwas voller, sinnlicher, als es eigentlich zu dem Gesicht paßte. Aber dadurch wirkte er sympathischer. Seine Augenbrauen waren so weiß wie sein Haar. Und sein Teint war etwas dunkler und sah – zumindest im Mondlicht – bronzefarben aus. Seine Augen schienen leuchtend blau zu sein. Und sie waren – nicht menschlich. Jedenfalls hatte Karin noch nie einen Menschen gesehen, dessen Augen nicht gerade waren sondern schräg nach oben gingen. Karin fragte sich, warum die Räuber bei seinem Anblick so in Panik geraten waren. Er sah sehr ungewöhnlich aus, aber sie fand nicht, daß er einen furchterregenden Eindruck machte.
„Erschrecke nicht bei dem, was gleich kommt. Dir passiert nichts“, sagte er ihr. Zum ersten Mal hatte er nicht tonlos geflüstert. Er hatte eine angenehme, melodische Stimme, auch wenn sie etwas ungewöhnlich klang. Dann drehte er sich wieder zur Lichtung und stieß ein schrilles Geräusch aus, daß irgendwo zwischen Schrei und Pfiff lag. Einen Moment lang passierte nichts. Dann hörte Karin ein Rauschen über den Bäumen und etwas sehr Großes landete auf der Lichtung. Es sah wie eine riesige Eidechse mit Flügeln aus. Oder so, wie sie sich einen Drachen immer vorgestellt hatte, wurde ihr bewußt. Der Drache war mindestens so lang wie fünf Pferde. Der Herr ging auf den Drachen zu und Karin folgte ihm mit einem etwas mulmigen Gefühl. Dann faltete der Drache einen Flügel so, daß er wie eine Rampe aussah. Ihr Herr lief einfach diese Rampe hinauf und sie folgte ihm auch hier. Er setzte sich auf den Rücken des Drachen und ließ sie vor sich Platz nehmen. Die Haut des Drachen war schuppig aber nicht glitschig, wie sie zuerst befürchtet hatte. Sie fühlte sich sogar irgendwie angenehm an. Ihr Herr legte Karin einen Arm um die Taille und der Drache entfaltete seine Flügel wieder und hob schwungvoll ab. Im Flug machte er keinen Lärm. Nur der Wind kam ihnen schnell und laut entgegen. Karin schaute nach unten und war ängstlich und fasziniert zugleich. Sie waren so hoch, daß Kühe, die sie gelegentlich überflogen, wie Ameisen aussahen. Und sie kamen sehr schnell voran.
Eigentlich war Karin vom Wandern müde, aber sie war viel zu aufgeregt, um es zu merken. Schließlich fiel ihr auf, daß es bereits wieder dämmerte und der Morgen anbrach. Sie überflogen gerade einen großen Wald und sie sah eine aus der Entfernung klein wirkende, runde Lichtung. Während sie näher kamen, wurde die Lichtung immer riesiger. Genau in der Mitte stand ein weißer, schlanker Turm auf den sie zuflogen. Auf der Lichtung erkannte sie jetzt auch eine kleine Ansiedlung von Hütten und am Rand der Lichtung eine ganze Kolonie von Drachen. Schließlich landete der Drache etwa 10 Meter vor dem Turm. Der Turm war bestimmt 20 Meter breit und 100 Meter hoch. Sie hatte noch nie von so einem großen Bauwerk gehört. Gesehen hatte sie ja ohnehin noch nicht viel in ihrem Leben. Was für eine Macht mußte jemand haben, der solche Bauwerke errichten lassen kann und der über Drachen befehligte. Sie begann zu begreifen, daß die Angst der Räuber nicht seiner Erscheinung galt, sondern dem was er war. Sie hatte allerdings noch nie von ihm gehört. Aber wenn sie es sich richtig überlegte, hatte sie bisher sowieso kaum etwas gehört oder gesehen.
Sie gingen auf den Turm zu. „Mein bescheidenes Zuhause“, sagte er lächelnd, während sie den Turm betraten. Sie sah keine Treppe, die den Turm hinaufführte. In der Mitte war der Turm hohl, während um den Hohlraum herum je Stockwerk eine Art Balkon mit Geländer führte. Der Hohlraum erstreckte sich nicht nur nach oben, sondern ging auch in die Tiefe. Er faßte ihr wieder mit dem Arm um die Hüfte und sie begannen nach oben zu schweben. Zuerst hatte sie Angst herunterzufallen, aber er hielt sie sicher und fest. Sie schaute nach unten, konnte aber nicht erkennen, wie tief der Schacht war. Schließlich landeten sie auf einem der Balkone. „In dieser Etage darfst Du Dich frei bewegen. Aber versuche nicht, alleine in dem Schacht zu schweben. Du würdest abstürzen. Schau Dich in Ruhe um. Ich habe noch etwas zu tun, komme aber nachher wieder zu Dir.“ Dann schwebte er tief nach unten in den Schacht.
Vergnügungen
„Argowit“, stammelte Henrik. Er hatte immer geglaubt, daß die Geschichten über diese Wesen die Erfindungen überdrehter menschlicher Phantasie waren. Um ungezogene Kinder zu erschrecken. Oder um sich am Kaminfeuer zu gruseln. Daß es die Argowit wirklich geben könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Aber vor ihm stand eine Argowit in Lebensgröße. Sie hatte die typischen, schneeweißen Haare, die schrägen Augen, und die bronzefarbene Haut, die in jeder Erzählung über sie vorkamen. Sie sah auf ihre Weise sehr schön aus, aber auch das war Bestandteil fast jeder Geschichte über sie. Und vor allen eins gehörte immer dazu. Sie waren unvorstellbar grausam. Manche von ihnen hielten sich – wenn die Geschichten stimmten – menschliche Sklaven, die sie nach dem Tonfall ihrer Schmerzensschreie aussuchten, um so einen „Chor“ oder ein „Orchester“ zusammenzustellen, mit dem sie „musikalische“ Aufführungen zelebrierten.
Agrippa lächelte ihn auf eine Weise an, die ihm den Angstschweiß ausbrechen ließ. Ja, sie war eine Argowit, oder – wie sie sich nannten – eine Erhabene. Ihre eigene Bezeichnung drückte vor allem eins aus, nämlich ihre Einschätzung gegenüber den Menschen. Diese waren für ihresgleichen eine niedere Spezies, etwa wie Affen, Rinder oder Pferde. Wobei die meisten Erhabenen ihre Pferde deutlich besser behandelten als ihre menschlichen Sklaven. Vor allem die Lustsklaven hatten ein ziemlich grausames Schicksal, da die Erhabenen vor allem bei einem Lust empfanden: Beim Quälen und Foltern von Menschen. So gesehen war die Bezeichnung „Argowit“ aus menschlicher Sicht sehr zutreffend. Ursprünglich hießen sie in einer längst vergessenen Sprache der Menschen „weiße Bringer fürchterlicher Qualen“. Das „Weiß“ bezog sich natürlich auf ihre Haarfarbe. Später war dann aus den „fürchterlichen Qualen“ das kürzere Wort „Agonie“, also Todeskampf, geworden. Und schließlich, als niemand mehr die ursprüngliche Bedeutung kannte „Argowit“. Agrippa wußte von dieser Entwicklung auch nur, weil sich ihr Vater sehr für historische Dokumente und Begebenheiten interessiert hatte. Die Bibliothek in ihrer Residenz – ursprünglich die ihrer Eltern – war voll von solchen Berichten und Legenden. Auch ihr Name und der ihres Bruders Claudius stammten aus solchen uralten Aufzeichnungen.
„Ich glaube zwar nicht, daß es Dich beruhigt, aber die Geschichten über uns sind allesamt untertrieben“, heizte sie seine Angst noch weiter an. Sie galt zwar unter den Erhabenen als geradezu sanft und weichherzig, aber ganz konnte auch sie sich der Grausamkeit ihrer Rasse nicht entziehen. „Leg jetzt erst einmal den Schmuck wieder in die Schatulle.“ Zitternd wie Espenlaub legte Henrik den Schmuck vorsichtig in die kleine Truhe zurück. Als er damit fertig war, sprach sie ihn erneut an. „Sehr brav. Und jetzt werden wir uns ein wenig amüsieren.“ Henrik hatte keine Zweifel, wer sich hier auf wessen Kosten amüsieren würde. Sie befahl ihm, das Zimmer zu verlassen und die Treppe bis in den Keller hinunterzugehen. Henrik wollte die Gelegenheit nutzen um zu fliehen, aber es war ihm unmöglich, seinen Willen in Taten umzusetzen. Agrippa schmunzelte über seinen Versuch, sich gegen ihren Willen zu wehren, während sie ihm die Treppe hinunter folgte. Sie konnte nicht nur Gedanken und Gefühle der Menschen lesen, sie konnte ihnen auch ihren Willen aufzwingen oder in ihren Gedanken mit ihnen sprechen. Als sie im Keller angekommen waren, dröhnte plötzlich ihre Stimme in seinem Kopf. „Und jetzt zieh Dich ganz aus.“ Er hatte die Worte nicht gehört, sie waren einfach in seinem Kopf. Wenn es bis zu diesem Moment noch etwas in Henrik gab, daß sich gegen die Panik gewehrt hatte, war es mit dieser Stimme vertrieben worden. Er gehorchte augenblicklich.
Dann führte sie ihn in einen Raum, in dessen Mitte ein Becken eingelassen war. Die Wände des Beckens waren ca. 3 Meter hoch und ganz glatt. Henrik mußte sich an einem Seil herablassen, daß sie danach entfernte. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl am Rand des Beckens und gab einem Bediensteten ein Handzeichen. Wasser wurde in das Becken gelassen. Er beobachtete angstvoll den Wasserstand, der unaufhörlich kletterte. Erst bei 2 Metern hörte das Wasser auf zu steigen. Da Henrik nicht schwimmen konnte, stieß er sich immer vom Beckenboden ab, um mit dem Kopf über die Wasseroberfläche zu kommen und zu atmen. Aufgrund seiner Panik war er dabei sehr kurzatmig, so daß es für ihn schnell sehr anstrengend wurde, was seiner Panik wiederum neue Nahrung gab. Agrippa beobachtete amüsiert vom Beckenrand seinen verzweifelten Kampf mit dem Wasser. Auf ein weiteres Handzeichen von ihr wurde ein öliger Zusatz ins Wasser geschüttet. Der Zusatz und Henriks verzweifeltes Strampeln sorgten dafür, daß er bei seinem Überlebenskampf gründlich gesäubert wurde. Als Henrik allmählich die Kräfte verließen, gab Agrippa enttäuscht ein weiteres Handzeichen, woraufhin das Wasser sehr schnell aus dem Becken abfloß. Zwei Bedienstete ließen sich an Seilen ins Becken und holten den völlig erschöpften Henrik nach oben. Ihm wurde ein sehr massiv aussehendes Halseisen umgelegt, daß aber erstaunlich leicht war. Es erlaubte seinem Kopf allerdings nur sehr sparsame Bewegungen. Seine Hände wurden ihm auf dem Rücken festgekettet. Dann wurde er in eine Zelle geführt und mit dem Halseisen an der Wand befestigt.
Nach einer Weile hatte er sich wieder halbwegs von den körperlichen Strapazen erholt. Seine Angst war aber eher noch schlimmer geworden. Agrippa kam vor seine Zelle. „Es macht Spaß, Dir beim Baden zuzusehen“, verspottete sie ihn. „Möchtest Du noch ein weiteres Mal baden?“ „Bitte nicht“, keuchte er. „Also ich wäre schon dafür“, sagte Agrippa weiter, „aber wir haben noch eine lange Fahrt vor uns. Bis zu Deinem nächsten Bad werden wir uns also noch etwas gedulden müssen.“ Henrik war sich nicht sicher, ob das jetzt ein Grund zur Erleichterung war. Sie würde ihn also mitnehmen. So wie es aussah, hatten seine Qualen gerade erst begonnen. „Keine Angst wegen der langen Fahrt. Wir werden uns unterwegs sicher gut unterhalten.“ Er nahm nicht an, daß sie von Konversation redete. Sie trat an ihn heran. „Mach den Mund auf.“ Er gehorchte nur widerwillig und bekam eine Ohrfeige, deren Heftigkeit ihn sehr überraschte. Sie hatte eine sehr deutliche Handschrift. Und er öffnete jetzt sofort den Mund. Sie schob einen Knebel hinein und erklärte ihm lächelnd, daß sie lautes Geschrei und Gejammer während der Kutschfahrt nicht schätzen würde. Henriks Angst ließ sich jetzt nicht mehr steigern.
Er wurde durch Bedienstete von der Zellenwand losgekettet und nackt wie er war – abgesehen von Halseisen, Handfessel und Knebel – zu der Kutsche geführt. In der Kutsche wurde er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung so angekettet, daß er breitbeinig auf der vorderen Sitzbank kniete und sich nicht bewegen konnte. Agrippa nahm auf der hinteren Sitzbank in Fahrtrichtung schauend platz. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihn überall berühren zu können. Da sie beim Einsteigen eine Reitgerte in der Hand hatte, bezweifelte Henrik allerdings, daß sie vorhatte, ihn zärtlich anzufassen. Die Kutsche fuhr los und Agrippa schlug ihn wie in Gedanken mit der Reitgerte. Henrik stöhnte in seinen Knebel. Schließlich wurde es ihr langweilig und sie lehnte sich zurück und schaute aus dem Kutschenfenster. Henrik versuchte sich zu entspannen. Nach einer Weile schaute sie ihn wieder an und lächelte. Er bekam sofort wieder große Angst. Und sie fing an, ihn mit der Reitgerte zu streicheln. Widerwillig spürte Henrik, daß er eine Erektion bekam. Sehen konnte er das nicht, weil das Halseisen ihm nur sehr knappe Bewegungen des Kopfes erlaubte. Sie grinste ihn an und steigerte seine Erregung weiter. Es waren nicht nur die Berührungen, die ihn erregten. Auch der Gedanke daran, daß er ihr völlig ausgeliefert war, bescherte ihm ein verwirrendes aber nicht unangenehmes Gefühl. Für einen Moment vergaß er völlig die Angst, die ihn die ganze Zeit geplagt hatte.
Nach einer Weile tat sie überrascht. „Wer hat Dir denn erlaubt, so vorwitzig herumzustehen?“, fragte sie ihn, während sie mit der Gerte sein Glied berührte. Er sehnte sich nach mehr. Und da sie die ganze Zeit seinen Gedanken lauschte, konnte sie problemlos seine Erregung immer weiter steigern, ohne ihn je in die Nähe eines Orgasmus kommen zu lassen. Wenn seine Erregung zu groß war, legte sie eine kleine Pause ein. Schließlich lehnte sie sich entspannt zurück und genoß sein unerfülltes, sexuelles Verlangen. Als seine Erregung wieder erkennbar abgeklungen war, holte sie ein stark gekrümmtes Rohr aus einer Kiste unter ihrer Sitzbank. Sie schob es ihm über sein inzwischen erschlafftes Glied und band es mit einem dünnen Lederband um seine Hüfte, damit es nicht herunterrutschte. Da er nicht heruntersehen konnte, wußte er nicht genau, was sie da tat. Dann fing sie wieder an, ihn mit der Gerte zu streicheln. Als seine Erregung erneut zunahm, merkte er, daß seine Erektion von dem gekrümmten Rohr verhindert wurde. Es tat nicht weh, aber es war demütigend und frustrierend für ihn. Zu allem Überfluß fing sie jetzt noch an, sich während der Fahrt auszuziehen. Sie hatte einen makellosen, schönen Körper. Dieser Anblick heizte ihm zusätzlich ein. Sie begann, ihn mit ihren Händen zu streicheln und mit ihren Fingernägeln leicht auf dem Rücken und dem Hintern zu kratzen. Dann rieb sie ihren nackten Körper an seinem gefesselten. Er spürte das gekrümmte Rohr, das seine Erektion verhinderte, deutlich. Es steigerte seine Erregung auf eine Weise, die ihn schier wahnsinnig machte. Seine Qualen lösten bei ihr einen Orgasmus aus. Während sie sich allmählich wieder entspannte und anzog, wußte er nicht wohin mit seiner Frustration. Sie schaute glücklich auf ihn. „Mit Dir werde ich noch viel Spaß haben. Es war wirklich nett von Dir, in meine Dienste zu treten.“
Kapitel 2 – Eingewöhnung
Die eigene Etage
Karin öffnete eine der Türen, die von dem Innen-Balkon abgingen. Sie kam in ein Zimmer mit einer Wanne, einem Waschbecken und anderen Dingen, die sie nicht verstand. Dann sah sie plötzlich, daß sie nicht alleine in dem Zimmer war. Eine gut aussehende Frau schaute durch eine Art großes Fenster an. Sie war genauso gekleidet wie sie selbst. Karin entschuldigte sich, sie gestört zu haben und wollte das Zimmer schon wieder verlassen, als sie bemerkte, daß die andere Frau gleichzeitig die Lippen bewegte, obwohl Karin nichts hörte. Irritiert schaute sie noch mal hin. Diese Frau führte jede Bewegung aus, die auch Karin machte. Sie näherte sich dem „Fenster“. Auch die andere Frau tat es. Karin begriff allmählich. Sie sah ihr Spiegelbild. Aber sah sie wirklich so schön aus? Oder war das ein Zauber, der jeden so darstellte, wie er gerne aussehen wollte? Sie hatte sich früher schon in einer Pfütze spiegeln gesehen. Damals allerdings dreckig und mit verfilzten Haaren und die Spiegelung war nicht so perfekt wie jetzt. Sie schaute an sich herab. Alles, was sie ohne den Spiegel sehen konnte, war genauso, wie es der Spiegel auch darstellte. Glücklich und selbstvergessen betrachtete sie ihr Spiegelbild.
Nach einer Weile riß sie sich davon los und betrat einen angrenzenden Raum. Sie stellte fest, daß die Räume auch außerhalb des Balkons direkt miteinander verbunden waren. Jetzt befand sie sich scheinbar in dem Schlafzimmer einer Prinzessin. Es gab ein großes Bett, daß sehr bequem und weich aussah. Sie faßte es an und drückte ein wenig auf die Matratze, traute sich aber nicht, sich darauf zu legen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlen könnte, in so einem Bett zu schlafen. Im Zimmer der Wirtsleute hatte sie schon mal ein Bett gesehen, daß allerdings sehr viel einfacher und härter war als dieses. Es standen auch einige schön gearbeitete und mit Intarsien verzierte Schränke und Kommoden in dem Zimmer. Der Boden war mit einem großen, weichen Teppich ausgelegt und die Wände mit schönen Stoffen bespannt. Im Gegensatz zum ersten Raum gab es hier ein Fenster. Sie trat heran und schaute aus etwa 30 Metern Höhe vom Turm aus auf die Lichtung und den Wald. Von hier aus konnte sie die Hütten und die Drachen nicht sehen. Sie schaute in eine andere Richtung und sah einen Bach, der aus dem Wald kam und in einen großen See mündete. Es war eine sehr schöne Aussicht. Karin wunderte sich, warum es hier in dieser Höhe nicht windig war. Als sie versuchte, die Hand zum Fenster herauszuhalten, stieß sie auf Höhe des Fensters auf einen Widerstand. Da sie noch nie in ihrem Leben Glas gesehen hatte, verstand sie es nicht. Aber sie akzeptierte, daß sie wohl von einem Zauber gehindert wurde, nach draußen zu fassen. Allmählich spürte sie einen Druck auf der Blase, wußte aber nicht, wie sie sich helfen sollte. Sie wollte sich nicht in den schönen Zimmern erleichtern und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es einfach vom Balkon aus tun sollte. Vielleicht würde sie in einem anderen Zimmer ja noch einen Nachttopf finden. Später könnte sie ihren Herrn fragen, wo sie ihn ausleeren durfte.
Während sie ins nächste Zimmer ging, fragte sie sich, ob die Kammer, in der sie schlafen würde, auch so angenehm warm und ohne die Zugluft sein würde. Jetzt befand sie sich in einem gemütlichen Raum mit mehreren Sofas. So etwas hatte sie auch noch nicht gesehen. Sie setzte sich vorsichtig auf eins und war erstaunt, wie bequem sie waren. Auch dieses Zimmer war mit einem weichen Teppich ausgelegt. An den Wänden hingen Wandteppiche in heraldischen Farben und mit verschiedenen, aber ähnlichen Motiven. Es waren in verschiedenen Ornamenten diverse Tiere – auch Fabeltiere wie Einhörner – und stilisierte Pflanzen zu sehen. Gelegentlich waren auch Damen in schönen Kleidern abgebildet, die auf Musikinstrumenten spielten oder die Tiere – meistens die Einhörner – streichelten. Es gab auch ein großes Regal, in dem viele – ja was eigentlich? – standen. Sie zog eins der lederbezogenen Gegenstände aus dem Regal. Es ließ sich aufklappen und hatte viele Blätter, auf denen seltsame Zeichen und Bilder zu sehen waren. Karin hatte noch nie in ihrem Leben ein Buch gesehen, geschweige denn, eins in der Hand gehabt. Sie blätterte ganz vorsichtig darin. Mit den Zeichen, die den meisten Raum einnahmen, konnte sie nichts anfangen. Die Illustrationen fand sie aber faszinierend. Ob alle diese Gegenstände im Regal so interessant waren?
Während sie in dem Buch blätterte, ging die Tür vom Balkon auf und ihr Herr trat ein. Sie hatte Angst, daß sie das Buch vielleicht nicht hätte anfassen dürfen. Aber er hatte doch gesagt, sie solle sich umschauen. „Na, hast Du Dich schon etwas umgesehen?“, fragte er sie freundlich. „Weißt Du, was Du da in der Hand hast?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist ein Buch. Darin sind Geschichten aufgeschrieben. Wenn Du lesen gelernt hast, wirst Du sie alle kennenlernen.“ Sie schaute ihn verständnislos an. „Gib mir mal das Buch und setz Dich auf eine Couch“, sagte er und deutete auf das Sofa, das sie vorhin schon ausprobiert hatte. Er nahm ihr das Buch ab, setzte sich neben sie und begann, ihr daraus vorzulesen. Sie schaute ihm fasziniert zu und lauschte der Geschichte. Nach dem ersten Kapitel schlug er das Buch wieder zu. Sie hätte gerne gewußt, wie die Geschichte weiterging. „Bald wirst Du das selbst können“, sagte er ihr. Dann nahm er zwei Beutel wieder auf, die er beim Eintreten ins Zimmer abgestellt hatte und sagte ihr, daß sie ihm ins Bad folgen solle. Als er ihr erklärte, was eine Toilette ist und wie sie sie benutzen sollte, wurde sie an ihr dringendes Bedürfnis erinnert. Sie fragte, ob sie es gleich ausprobieren dürfe. Er nickte und sie erleichterte sich. Ihr fiel auf, daß es dabei nicht unangenehm roch. Es zog zwar nicht in diesem Raum, aber es kam dauernd frische Luft hinein.
Als sie fertig war und sich gemäß seiner Erklärung gesäubert hatte, sagte er ihr, sie solle ihr Kleid ausziehen. Ihre Scheu, vor ihm nackt zu sein, hatte sie inzwischen abgelegt. „Stelle Dich etwas breitbeinig hin und nimm die Hände ins Genick.“ Sie tat es und fragte sich, was jetzt wohl kommen würde. Aus einem der beiden Beutel nahm er eine Art aufklappbare Hose und legte sie ihr an. Sie fühlte sich kühl an und schien innen ihre Formen anzunehmen. Dann holte er aus dem anderen Beutel zwei verbundene Halbschalen, legte sie ihr über die Brüste und befestigte sie auf ihrem Rücken mit einem Lederbändchen. Dann mußte sie die Arme wieder herunternehmen und einfach hängen lassen. „Bleib jetzt ruhig stehen“, sagte er ihr. Während sie es tat, fragte sie ihn, ob es auch eine Kammer für sie gäbe oder ob sie auf dem Balkon schlafen sollte. Er schmunzelte. „In welchen Räumen warst Du denn bereits?“ Sie erzählte es ihm. „Dann hast Du Dein Bett ja schon gesehen“, meinte er. Sie schaute ihn mit großen Augen an. Machte er sich einen Scherz mit ihr? Oder würde sie wirklich in dem weichen Bett schlafen dürfen? Um die Wartezeit zu überbrücken, erklärte er ihr, wie sie die anderen Teile des Bades nutzen könnte. An Wanne und Wachbecken waren Wasserhähne für warmes und kaltes Wasser angebracht. Besonders interessant fand sie die Dusche. Sie verstand zwar nicht, wie das alles funktionierte, aber was sie nicht begriff war halt einfach Zauberei.
Schließlich nahm er ihr die beiden Teile wieder ab, in denen sie ruhig hatte stehen müssen. „Du kannst jetzt Dein Kleid wieder anziehen“, sagte er, während er die Teile in die Beutel verstaute. „Hast Du eigentlich Hunger oder Durst?“ „Ja, Herr“, antwortete sie. „Gut, dann hole ich Dich gleich wieder zum Essen ab.“ Er verließ das Bad durch die Balkontür und schwebte im Innenschacht des Turms mit den Beuteln nach unten. Die Abdrücke, die er eben von ihr genommen hatte, würden noch etwas aushärten müssen. Ihre Naivität und Hilflosigkeit löste bei ihm einen Beschützerinstinkt aus. Eine ziemlich ungewöhnliche Empfindung für einen Erhabenen. Aber er und seine Schwester waren ohnehin keine typischen Vertreter ihrer Art. Und sie waren auch auf eine sehr untypische Weise aufgewachsen. Normalerweise lebten Erhabene alleine und hatten nur alle paar tausend Jahre Kontakt zu ihresgleichen. In dieser Zeit wurden auch Kinder gezeugt, die zuerst 5 Jahre bei der Mutter aufwuchsen. Ab dann wuchsen männliche Kinder beim Vater auf, die Mädchen bei ihren Müttern. Die meisten Erhabenen waren viel zu egozentrisch, um andere Erwachsene um sich zu dulden. Und Erwachsene waren viel zu gefährlich für einander. Als erwachsen galt man bei ihnen mit 500 Jahren. Die körperliche Entwicklung dauerte zwar nicht länger als bei den Menschen, ihre besonderen Fähigkeiten reiften aber deutlich langsamer. Und erst mit etwa 500 Jahren hatten die jungen Erhabenen sie völlig unter Kontrolle. Das war dann meistens die Zeit, in der die sie begannen, auf eigenen Beinen stehen zu wollen. Häufig versuchten sie, einen Elternteil oder einen anderen Erhabenen zu ermorden, um seine Besitztümer und sein Einflußgebiet zu übernehmen. Da die älteren aber meist besser mit ihren Kräften umgehen konnten, starben die meisten Erhabenen zwischen dem 500. und 600. Geburtstag, also lange vor ihrer natürlichen Lebenserwartung von mindestens 10.000 Jahren. Deshalb gab es auch nur sehr wenige Erhabene.
Die Eltern von Agrippa und Claudius hatten völlig untypisch zusammengelebt und gemeinsam ihre Kinder liebevoll großgezogen. Claudius hätte ihnen nie vorsätzlich geschadet. Daß er sie trotzdem im „zarten“ Alter von 300 Jahren tötete, lag an seiner außergewöhnlich starken Begabung, die er in diesem Alter leider noch nicht unter Kontrolle hatte. In den vergangenen 220 Jahren hatte er diese Kontrolle perfektioniert. Seine Kräfte würden sich nie wieder unabsichtlich selbständig machen. Bewußt eingesetzt, könnte er es jetzt aber mit jedem Erhabenen aufnehmen, falls es nötig wäre. Allerdings waren die Begabungen der Erhabenen sehr unterschiedlich und der Ausgang einer Auseinandersetzung schwer vorherzusagen. Deshalb gingen sich die Erwachsenen lieber aus dem Weg, abgesehen von ihrem alle paar tausend Jahre einsetzenden Fortpflanzungsinstinkt, der sie zusammenführte. Es war schon komisch, dachte Claudius, daß sie darüber weniger Kontrolle hatten und stärker von ihren Instinkten beherrscht wurden, als die Menschen, auf die sie normalerweise herabblickten. Erhabene und Menschen hatten zwar ähnliche Körper und konnten sich miteinander vergnügen, gemeinsame Kinder waren zwischen ihren Rassen aber nicht möglich. Ihr Fortpflanzungsinstinkt ließ ihnen daher in den „wilden Zeiten“ keine andere Wahl als sich mit anderen Erhabenen zu paaren. In dieser Zeit waren sie allerdings auch etwas umgänglicher, so daß es bei diesen Begegnungen selten Zwischenfälle gab. Claudius hatte das mit seinen 520 Jahren allerdings noch nicht selbst erlebt.
Die schwarze Burg
Sie betrachtete lächelnd ihren neuen Lustsklaven und lauschte seinen Gefühlen und Gedanken. Da diese Gabe bei ihr sehr ausgeprägt war, hatte sie es nicht nötig, ihre Sklaven vor Schmerz schreien zu lassen, um erregt zu werden. Sie fand das Wechselspiel der Gefühle zwischen Angst, Verlangen, hilfloser Wut, Verzweiflung, Hoffnung und bewußter Unterwerfung bei ihren Sklaven viel erregender. Wahrscheinlich war das der Grund für ihre vermeintliche Sanftmütigkeit. Sie holte sich ihre Befriedigung nur indirekter als die anderen. Sie kannte eigentlich nur einen Erhabenen, der wirklich willens und in der Lage war, seine Grausamkeit zu beherrschen: Claudius. Bei allen anderen, sie eingeschlossen, mangelte es bereits am Willen dazu. Sie hatte allerdings mit ihren 753 Jahren gelernt, daß es für das Wechselspiel der Gefühle bei ihren Sklaven notwendig war, ihnen gelegentlich auch zu geben, wonach sie sich verzweifelt sehnten. Sonst stumpften sie gefühlsmäßig ab und damit auch die Lust, die Agrippa dabei empfand, sie zu quälen. Sie konnte sich auch nicht ständig neue Lustsklaven besorgen, da sie damit zuviel Aufmerksamkeit auf sich lenken würde. Und sie wollte den Leidensdruck auf die Menschen in ihrem Einflußgebiet nicht soweit steigern, daß sie sich zusammenschlossen und gegen sie vorgingen. Einer jahrelangen Belagerung mit tausenden aufgebrachter Soldaten würde auch ihre gut befestigte Residenz nicht standhalten. Sie hätte zwar immer die Möglichkeit sich zu retten, aber dann müßte sie woanders von vorne anfangen, ein Einflußgebiet zu erschließen und eine komfortable Residenz aufzubauen. Es war ihr lieber, wenn die meisten sie nur aus Geschichten kannten, deren Glaubwürdigkeit sie bezweifelten. So konnte sie einzelnen Menschen mächtig Angst einjagen, wenn sie sich zu erkennen gab, war für alle anderen aber weiterhin nur eine Legende, die niemand angreifen wollte oder konnte.
Ein Gefühl ihrer Lustsklaven, das ihr jahrelang heftig zu schaffen gemacht hatte, war Geborgenheit. Einerseits brauchten die Sklaven es, um langfristig gesund zu bleiben, anderseits war es dann um so schwieriger, ihnen Angst und Verzweiflung einzujagen. Inzwischen hatte sie aber auch dieses Problem für sich gelöst. Sie führte ihre Sklaven, vor allem die Lustsklaven, immer mal wieder deutlich über die Grenze dessen hinaus, was sie ertragen konnten, so daß sie davor viel Angst hatten und verzweifelt waren, wenn sie es tat. Dann blieb sie wieder für längere Zeit in Bereichen, die die Sklaven verkraften konnten, wodurch sie sich an die vermeintliche Sicherheit gewöhnten. Und sie hatte genug Sklaven, um selbst nichts zu entbehren, wenn die Mehrzahl von ihnen sich geborgen fühlte.
Henriks Erregung und Frustration waren inzwischen abgeklungen. Dafür machte sich allmählich Verzweiflung in ihm breit. Er würde wohl den Rest seines Lebens von ihr zu ihrem Vergnügen gequält werden. Erst hatte sie ihn fast ertrinken lassen, dann jetzt mit unerfülltem, sexuellen Verlangen gefoltert. Und er war sich sicher, daß sie noch weit mehr auf Lager haben würde. Seine Beine schmerzten allmählich von der unbequemen Haltung. Einerseits hoffte er, daß die Fahrt bald zuende wäre, andererseits hätte er, wenn er erst einmal in ihrem Folterkeller wäre, überhaupt keine Chance mehr, diesem Schicksal zu entfliehen. Er hatte deshalb gemischte Gefühle, als die Kutsche langsamer wurde und schließlich anhielt. Durch das Fenster der Kutsche sah er, daß die Pferde ausgespannt wurden. Allerdings war es wohl nur eine Zwischenstation, da er sah, wie neue Pferde herangeführt wurden. Zumindest dachte er zuerst, daß es Pferde wären. Sie hatten auch so einen ähnlichen Körperbau, waren aber deutlich größer und kräftiger. Außerdem hatten sie Reißzähne. Solche Tiere hatte er noch nie gesehen. Sie waren auch ziemlich aggressiv, wie ihm auffiel.
Das lenkte seine Aufmerksamkeit auf diejenigen, die die Tiere heranführten. Denn sie schienen mit der Aggressivität der Tiere gut umgehen zu können. Es waren schwarze Männer, nicht dunkelhäutige Menschen, wie sie angeblich in südlichen Regionen leben sollten. Diese waren nachtschwarz, so daß Henrik ihre Konturen kaum erkennen konnte. Sie hatten das gleiche weiße Haar wie die Argowit und alle hatten violette Augen, die wie schmale Schlitze aussahen. Allerdings war bei ihren Augen nicht nur die Iris farbig, das ganze Auge hatte jeweils diese Farbe. So fiel es schwer zu erkennen, wohin sie eigentlich sahen. „Sie sehen überhaupt nicht mit diesen Augen“, mischte sich Agrippa in seine Gedanken. Ihm wurde wieder bewußt, daß sie seine Gedanken einfach mithören konnte. „Sie wissen einfach, was um sie herum los ist. Das macht sie auch zu exzellenten Kriegern, da man ihnen nicht in den Rücken fallen kann. Sie beherrschen auch die Schwerter und den Bogen virtuos. Wenn es mehr von ihnen gäbe, könnte man die ganze Welt mit ihnen erobern.“ Henrik versuchte sie zu zählen. Da sie für ihn aber alle gleich aussahen, gelang es ihm nicht. „Es sind 5 Schattenkrieger dort draußen“, half sie ihm. „Sie könnten es gut mit 100 ausgebildeten Kämpfern aufnehmen. Sie sind übrigens auch hervorragende Spurenleser. Solltest Du mir wirklich einmal entwischen können, schicke ich ein oder zwei hinter Dir her.“ Sie lächelte ihn an und er bekam eine Gänsehaut.
Sie war froh, diese Schattenkrieger gefunden zu haben, da sie eine hervorragende Leibwache bildeten. Sie waren allerdings auch für sie ein Rätsel. Agrippa konnte zwar ihre Präsenz und ihre Intentionen spüren, ihre Gedanken waren ihr allerdings verschlossen. Ob sie sie mit ihren Gedanken manipulieren könnte, wußte sie nicht. Sie dienten ihr aus freiem Willen und würden sofort damit aufhören, wenn sie es versuchte. Agrippa wußte nicht, wie viele insgesamt bei ihr im Dienst standen, sie hatten nur vereinbart, daß es mindestens immer 10 sind. Häufig waren es ein paar mehr. Aber sie kamen und gingen nach Belieben. Wo sie herkamen oder was sie während ihrer Abwesenheit taten, blieb Agrippa verborgen. Außer den Schattenkriegern hatte es bisher nur einer geschafft, seinen Geist völlig vor ihr zu verschließen, Claudius. Er konnte zwar nicht selbst die Gedanken oder Gefühle anderer lesen, seine Gedanken konnte er aber vor ihrem Zugriff bewahren. Sie hatte auch nie versucht, ihn mit ihren Gedanken zu manipulieren. Er hatte es ihr ausdrücklich verboten. Und da seine Talente wirklich furchteinflößend waren, hatte sie sich immer daran gehalten. Er konnte selbst Steine mit bloßen Gedanken zum Brennen bringen, Blitze aus seinen Händen schießen lassen, die fürchterliche Qualen verursachten und beliebige Gegenstände oder auch sich selbst kraft seiner Gedanken beliebig bewegen oder schweben lassen. Das waren zumindest die Begabungen, die sie bei ihm bereits in Aktion gesehen hatte. Sie schauderte bei der Erinnerung an seinen Wutanfall vor 220 Jahren als ihre Eltern in einer hellen Stichflamme aufgegangen und augenblicklich gestorben waren. Ob er über weitere Begabungen verfügte, wußte sie nicht.
Ein Schattenkrieger kam zu der Kutsche. „Die Raubpferde sind angeschirrt, Agrippa.“ Er nannte sie nicht Herrin, da die Schattenkrieger sie als Gleiche ansahen. Sie dienten ihr nur zum eigenen Nutzen. Als Gegenleistung erhielten auch sie von ihr ein Elixier, daß ihre Lebensspanne deutlich verlängerte – von etwa 150 auf 1500 Jahre. Solche Elixiere, die für jede Rasse eine andere Zusammensetzung brauchten, konnten nur die Erhabenen herstellen. Und natürlich hielten sie die Verfahren geheim. Früher hatten sie sie selbst benötigt, um ihre heutige Lebensspanne zu erreichen. Inzwischen brauchten sie sie nicht mehr. Und mehr als die ca. 10.000 Jahre, die ihre Lebenserwartung jetzt umfaßte, war auch mit Elixieren nicht zu erreichen. Auch wenn es einzelne Erhabene gab, die noch deutlich älter geworden waren. Der Schattenkrieger schaute auf Henrik. „Frischfleisch?“, fragte er mit ausdrucksloser Stimme. „Er hat sich mir als Lustsklave geradezu aufgedrängt“, scherzte Agrippa. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Schattenkriegers. Dabei sahen seine toten, violetten Augen noch erschreckender aus. „Na dann wünsche ich viel Spaß bei der weiteren Fahrt.“ Nach einer Pause fuhr er ernst wieder fort. „Zwei von uns werden Dich begleiten, der Rest kümmert sich um die Pferde. Brauchst Du sie eigentlich noch?“ „Nein, ihr könnt sie behalten.“ Der Krieger grinste und entblößte dabei zwei spitze, gelbe Zahnreihen. Henrik gefror das Blut in den Adern. Das war eindeutig jemand, dem er nicht gerne im Dunkeln begegnen würde. Aber es sah so aus, als würde er in Zukunft auch so keinen Mangel an schrecklichen Erlebnissen haben.
Als der Schattenkrieger gegangen war, setzte die Kutsche ihre Fahrt fort. Die Raubpferde zogen die Kutsche jetzt viel schneller. Sie flogen förmlich durch die Landschaft. Henrik erkannte, daß sie die Felder und Wälder verlassen hatten und durch eine karge Landschaft rasten. Er dachte darüber nach, daß sie ständig seine Gedanken lesen konnte. Fluchtpläne brauchte er so gar nicht erst zu schmieden. Und es machte ihm zu schaffen, daß er in ihrer Nähe nicht einmal mehr den Anflug von Privatsphäre hatte. Er konnte sein Denken ja schließlich nicht abstellen, zumal ihm Meditation und Selbstversenkung unbekannt waren. „Ich kann sogar in Deinen Erinnerungen stöbern, selbst wenn Du an etwas ganz anderes denkst“, sagte sie aufmunternd. „Für die Kürze Deines Lebens hast Du als Dieb ja ziemlich viel erlebt. Und witzige Phantasien hast Du.“ Er zuckte zusammen und kam sich schutzlos und gedemütigt vor. Es gab nichts, was er vor ihr verstecken konnte. „Vielleicht sollte ich mal danach suchen, wovor Du am meisten Angst hast. Das könnte ich dann sicher für Dich arrangieren.“ Er wand sich gedanklich und dachte natürlich von sich aus an seinen schlimmsten Albtraum. „Ich danke Dir für Deine Mithilfe“, verspottete sie ihn.
Die Kutsche wurde langsamer. „Wir sind gleich da. Wenn Du Dein neues Zuhause man anschauen möchtest, sieh doch jetzt mal aus dem linken Fenster.“ Er drehte den Kopf soweit nach links, wie es der Halsreif zuließ, sah aber nichts. „Links von mir aus gesehen, Du Dummerchen. Oder glaubst Du, daß ich mir die Mühe mache, die Welt aus der Perspektive eines Sklaven zu betrachten?“ Er schluckte diese Demütigung herunter und drehte den Kopf in die andere Richtung. Dort sah er auf einem Felsen eine bizarr aussehende Burg mit hohen, schmalen Türmen. Die Burg war komplett schwarz und wirkte sehr bedrohlich, zumal sie von düsteren Wolkenformationen umgeben war. Freiwillig würde er da nicht hineingehen. Aber diese Frage stellte sich für ihn ja auch nicht. Eine große Zugbrücke wurde heruntergelassen und zwei große Tore öffneten sich langsam. Sie fuhren über die Zugbrücke und durch die Tore. Henrik hörte die Tore hinter ihnen wieder zuschlagen. Für ihn klang es wie die Verkündigung eines Urteils.
Der neue Gürtel
Nachdem Claudius die Abdrücke von Karins Körper zum Aushärten in seine Werkstatt gebracht hatte, gab er einigen seiner Bediensteten – er behandelte sie normalerweise nicht als Sklaven – die Anweisung, das Essen aufzutischen. Sie hatten es bereits vorbereitet gehabt und warteten nur noch mit dem Servieren, damit es nicht kalt wird. Er schwebte in Karins Etage und holte sie ab. Sie blätterte wieder in dem Buch, aus dem er ihr vorgelesen hatte. Er würde ihr bald lesen, schreiben und rechnen beibringen. Sie schien aufgeweckt genug zu sein, es schnell zu lernen. Und sie könnte sich danach auch in der Verwaltung seiner Lichtung nützlich machen. Nachdem er mit ihr auf die Etage geschwebt war, in der er sich normalerweise tagsüber aufhielt, gingen sie ins Eßzimmer. Da sie bisher noch nie mit Besteck und Geschirr gegessen hatte, war nur ein einfaches Geschirr gedeckt. Karin staunte trotzdem darüber, als wäre sie bei Hofe. Wobei die Ausstattung bei den menschlichen Königen dieser Zeit wahrscheinlich wirklich angemessen gewesen wäre. Nach den Aufzeichnungen aus der Bibliothek seines Vaters, in denen er manchmal blätterte, wenn er Agi besuchte, hatte es in der menschlichen Geschichte bereits einige Hochphasen gegeben, in denen der Lebensstandard teilweise sogar über das hinausging, was sich die Erhabenen gönnten. Viele technische Erfindungen, die sie nutzten, stammte aus solchen Hochphasen. Irgendwie schafften es die Menschen immer wieder, sich in technischen und gesellschaftlichen Blütezeiten die Umwelt soweit zu zerstören oder fürchterliche Kriege zu führen, daß sie auf das aktuelle Niveau herabfielen. Die Erhabenen profitierten davon, da sie in solchen Zeiten ihre Macht viel offener ausleben konnten, als in den Blütezeiten der menschlichen Kultur. Wenn sich die Erhabenen zusammenschließen würden, könnten sie das Schicksal der Menschen dauerhaft in ihrem Sinne ändern. Aber daß mehr als 2 Erhabene außerhalb der „wilden Zeit“ zusammenkamen, ohne daß es Tote gab, war ziemlich unwahrscheinlich.
Während er seinen Gedanken nachhing, wurden die Speisen hereingebracht. Claudius erklärte Karin, worum es sich dabei handelte und wie man es aß. Ihre bisherige Kost war ziemlich einseitig gewesen und ihr Körper hätte wohl bald Mangelerscheinungen gezeigt, wenn sich daran nichts geändert hätte. Sie aß zunächst vorsichtig, dann aber mit steigendem Appetit. Es dauerte etwas, bis sie mit Messer und Gabel zurechtkam, aber gegen Ende des Essens hatte sie den Bogen einigermaßen raus. Sie würde zwar noch etwas Zeit benötigen, bevor es auch elegant aussah, aber für jemanden, der in seinem Leben nur mit den Fingern gegessen hatte, machte sie erstaunliche Fortschritte. Claudius hoffte, daß das auch für die vielen anderen Sachen galt, die er ihr beibringen wollte. Um ihr Essen aufzulockern, hatte er begonnen, sich mit ihr über alle möglichen Themen zu unterhalten. Er erzählte ihr von dem Leben auf der Lichtung, von den Drachen und als warnenden Hinweis auch davon, was diese Lichtung umgab.
Die Lichtung war nämlich in konzentrischen Kreisen mit einigen Schrecken umgeben, die unerwünschte Besucher oder Eroberer zuverlässig fernhielten. Von der Lichtung aus betrachtet schloß sich zunächst ein harmloses Stück Wald an, daß etwa einen Kilometer breit war. Danach kamen über etwa 500 Meter undurchdringliche Dornenhecken. Dahinter waren einige der gefährlichsten, fluguntauglichen Kreaturen untergebracht, die Claudius auftreiben konnte, hauptsächlich normale Raubtiere, aber auch einige Walddämonen, die selbst für die meisten Erhabenen gefährlich waren. Nach diesem 10 Kilometer breiten Gürtel kam wieder eine dicke Dornenhecke, um die Kreaturen drin und Besucher draußen zu halten. Die Kreaturen wurden in unregelmäßigen Abständen aus der Luft von den Drachen mit Nahrung versorgt, damit sie sich nicht gegenseitig auffraßen. Sollte Claudius einmal so große Gegenstände über diesen Schutzwall transportieren müssen, daß die Drachen sie nicht tragen konnten, war es auch möglich, eine Brückenkonstruktion über die Hecken zu legen, wenn man die Stellen kannte, die dafür tragfähig genug waren. Die Strecke durch die Raubtiere und Walddämonen mußte er den Transport allerdings begleiten, da nur er die Macht hatte, sie fernzuhalten.
Die Drachen übernahmen selbständig die Überwachung des Luftraums, wobei aus dieser Richtung kaum Gefahr drohte. Die Menschen hatten sich seit ihrer letzten Selbstvernichtung noch lange nicht wieder weit genug erholt, um über Flugmaschinen zu verfügen. Und auch die meisten Erhabenen konnten nicht so schweben wie er. Einige verfügten allerdings über Harpien, große, häßliche, geierartige Vögel, auf denen man durch die Lüfte reiten konnte, wenn man ihnen vorübergehend den eigenen Willen gebrochen hatte. Die Harpien waren allerdings sehr launisch und nur schwer zu beherrschen. Und für die Drachen waren sie keine Gegner. Die Drachen waren ohnehin eine sehr spezielle Spezies. Sie waren intelligent und sehr gefährlich. Sie hatten nicht nur fast unbegrenzte Kräfte, sie konnten tatsächlich, wie in manchen Sagen beschrieben, Feuer spucken. Man konnte sie nicht wirklich beherrschen. Aber es war möglich, ihre Freundschaft zu erringen und sie zur Kooperation zu überreden. Da Freundschaft und Kooperation im Sprachgebrauch der meisten Erhabenen nicht vorkam, war er der einzige, derzeit lebende Erhabene, der über Drachen befehligte.
Karin hörte sich interessiert seine Erklärungen an. Die Drachen faszinierten sie besonders. Dann befragte er sie über ihr bisheriges Leben. Da es ziemlich eintönig war, kam sie ziemlich schnell zu einem Ende. An ihre Eltern konnte sie sich nicht erinnern. Sie war mit etwa 3 Jahren zu den Wirtsleuten gekommen und auch die hatten ihr nie von ihnen erzählt. Im Gegenteil, erinnerte sie sich. Als sie die Wirtin einmal nach ihren Eltern gefragt hatte, bekam sie nur wieder eine Tracht Prügel. Claudius nickte. Es bestätigte eine Vermutung, die er schon länger hatte. Aber er wollte Karin dazu noch nichts sagen. Erst mußte er Gewißheit haben. Und es würde ihr sicher wehtun, wenn sein Verdacht sich bestätigte. Statt dessen brachte er das Gespräch auf die zukünftigen Pflichten, die Karin bei ihm haben würde. Sie hatte schon vermutet, daß sie ihm für sexuelle Vergnügungen zur Verfügung stehen würde. Verschämt gestand sie ihm, diesbezüglich über keinerlei Erfahrung zu verfügen. Das hatte er allerdings auch nicht erwartet. Er würde sie schon anlernen. Die Vorstellung, lesen zu lernen und die Geschichten in den Büchern zu erkunden, fand sie sehr aufregend.
Nach dem Essen schwebte er mit ihr wieder auf ihre Etage und ließ sie alleine. Die Abdrücke müßte inzwischen soweit sein. In seiner Werkstatt erstellte er zunächst einen Positiv-Abdruck daraus und begann, aus einem leichten Metall einen bequemen aber sicheren Keuschheitsgürtel zu bauen. Auch einen metallenen BH bastelte er für sie. Sie sollte sich ganz auf seine Lust konzentrieren können und den Anreiz haben, ihre Arbeit wirklich gut zu machen, um von ihm mit Aufschluß belohnt zu werden. Da er über hervorragende Werkzeuge verfügte, für die in dieser Zeit sicher Kriege geführt worden wären, war er sehr schnell mit beiden Teilen fertig. Währenddessen war Karin in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte sich jetzt auch getraut, sich aufs Bett zu legen. Es war traumhaft. Sie kuschelte sich hinein und begann, an sich herumzuspielen. Dieses Leben fing an ihr zu gefallen. Allmählich wurde sie müde, zumal sie vorhin reichlich gegessen hatte. Und so schlief sie glücklich ein. Claudius kam später mit dem Keuschheitsgürtel vorbei, brachte es aber nicht fertig, sie deshalb zu wecken. Auf einen Tag kam es damit wirklich nicht an und bei einer Lebenserwartung von 10.000 Jahren rechnete man ohnehin in längeren Zeiträumen.
Nachts wachte Karin noch einmal auf und schaute aus dem Fenster. Es war eine klare Nacht und der Vollmond mit seinem kleinen Begleiter war wieder zu sehen. Sie hatte im Wirtshaus mal eine völlig verrückte Geschichte gehört, daß der Begleiter des Mondes von Menschen gemacht worden sein sollte. So ein Blödsinn. Sie legte sich wieder schlafen. Ihr Kleid hatte sie angelassen. Unterschiedliche Garderobe für Tag und Nacht hatte es für sie bisher noch nie gegeben. Am nächsten Morgen wachte sie auf, als Claudius zur Schlafzimmertür hereinkam. Sie erkannte sofort, was er in der Hand hatte und bekam Angst. Es war ein Keuschheitsgürtel. Nicht so ein primitives Teil, wie sie jahrelang getragen hatte. Aber sie hatte gehofft, nie mehr so etwas anziehen zu müssen. „Guten Morgen. Steh bitte auf, zieh Dein Kleid aus und stelle Dich breitbeinig hin“, begrüßte er sie ohne Umschweife. Sie tat es mit großem Unbehagen. „Trödel nicht herum“, ermahnte er sie, jetzt deutlich unfreundlicher. Sie beeilte sich, seinen Anweisungen nachzukommen. Und er legte ihr den Gürtel um und ließ ihn einrasten. Dann legte er ihr auch den passenden BH um, den sie vorher gar nicht bemerkt hatte. Die beiden Teile waren leicht und bequem, wie Karin erleichtert feststellte. Sie konnte sich ohne Probleme darin bewegen und es scheuerte auch nichts.
Aber dann bemerkte sie, daß sie auch keine Chance mehr hatte, sich an den Stellen zu berühren, die sie so mochte. Und sie fing an zu weinen. Claudius hatte mit so einer Reaktion gerechnet, aber da mußte sie jetzt durch. Und er fragte sie, warum sie weinte, obwohl er die Antwort schon kannte. Zunächst traute sich Karin aber gar nicht, die Frage zu beantworten. Sie wollte nicht von ihm verprügelt werden, wie es die Wirtin getan hatte. „Wenn ich Dich etwas frage, möchte ich sofort eine Antwort. Und zwar eine ehrliche“, tadelte er sie. Sie schluchzte. Und sie erklärte ihm, daß sie sich jetzt nicht mehr streicheln könne und das doch bisher ihre einzige Freude gewesen sei. „Dieser Gürtel ist anders, als Dein letzter. Ich kann ihn jederzeit ohne Probleme öffnen und Dich herauslassen, wenn ich der Meinung bin, daß Du eine Belohnung verdient hast. Allerdings werde ich das nur tun, wenn ich sehr zufrieden mit Dir bin. Aber wenn Du alles fleißig lernst, was ich Dir beibringe und mir auch sonst eine gute Sklavin bist, wirst Du noch schönere Gefühle kennenlernen, als Du sie bisher hattest.“ Ihre Tränen versiegten langsam. Sie war immer noch traurig, hatte aber nach seinen Worten wieder etwas Hoffnung. Und er begann, ihr beizubringen, wie sie ihm eine gute Sklavin und Geliebte sein könne.
Da sie mit viel Enthusiasmus dabei war und sich große Mühe gab, es ihm recht zu machen, entschied er sich, ihr schon diesen Abend eine Belohnung zu gönnen. Nach einem entspannten Frühstück ging er aber zuerst mit ihr in ein weiteres Zimmer auf ihrer Etage. Es war ein Lern- und Studierzimmer. Und er fing an, ihr lesen, schreiben und rechnen beizubringen. Es ging zunächst nur sehr langsam voran. Mit 23 lernt es sich eben doch schon schwerer als mit 6 Jahren, in denen er damit angefangen hatte. Aber – wie es in einem der alten Bücher seines Vaters stand – Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut. Dieses Rom hatte es seinem Vater ohnehin angetan. Es hatte allerdings schon vor Ewigkeiten aufgehört zu existieren. Sein Name und auch der seiner Schwester stammte aus der Glanzzeit dieser Stadt. Manchmal war sein Vater schon etwas schrullig gewesen.
Nach den ersten Lektionen für Karin zeigte er ihr auch die Aussichtsplattform des Turms. Sie war überrascht, wie weit man von dort sehen konnte. Auch die breiten Hecken des Schutzgürtels konnte sie vage erkennen. Es war allerdings ziemlich zugig auf der Turmspitze. Sie deutete auf die kleine Siedlung auf der Lichtung. „Wohnen dort Menschen oder Erhabene, wie Ihr, Herr?“, wollte sie wissen. „Es sind Menschen wie Du, die ich hierher geholt habe oder die bereits hier geboren wurden. Sie bauen hier Nahrung an oder arbeiten anderweitig für mich. Es ist ihnen zwar nicht möglich, die Lichtung ohne meine Hilfe zu verlassen, aber dafür sind sie hier auch vor Räubern oder Plünderern geschützt. Und die meisten Menschen kommen ohnehin kaum aus ihrem Dorf oder ihrer Stadt heraus.“ Von Städten hatte Karin bisher nur gehört. „Tragen die Menschen unten im Dorf eigentlich auch alle einen Keuschheitsgürtel?“ Dieses Thema beschäftigte sie doch sehr. „Nein. Dieses Privileg hat nur meine Lustsklavin“, antwortete er ihr lächelnd. Es gab Privilegien, auf die sie gerne verzichtet hätte. „Aber sie wohnen auch deutlich weniger luxuriös als Du.“ Am Nachmittag saßen sie dann noch zusammen in ihrem Wohnzimmer und er laß ihr ein weiteres Kapitel aus dem Buch vor. Wenn sie jetzt den Gürtel nicht anhätte, wäre sie rundum glücklich gewesen. Aber auch so fühlte sie sich wohl und geborgen.
Nach dem Abendessen plauderten sie noch etwas und Claudius erzählte ihr von vielen Dingen aus der Welt, die sie noch nie gehört hatte. Schließlich gingen sie zusammen ins Bett und Claudius ließ sich von ihr verwöhnen. Er gab ihr Hinweise, wie sie es noch besser machen könnte und sie setzte sie nach besten Kräften um. Schließlich fühlte er sich sehr entspannt. Nach eine Pause nahm er ihr dann den BH ab und begann, sie an allen erreichbaren Stellen zu streicheln. Den Keuschheitsgürtel hatte sie allerdings noch an. Sie genoß das Gefühl, verwöhnt zu werden, und merkte, daß ihre Erregung sich auch unter dem Keuschheitsgürtel fortsetzte. Sie traute sich allerdings nicht, ihren Herrn darum zu bitten, ihn abzunehmen. Es war ein seltsames Gefühl für sie, gleichzeitig die Erregung zu genießen und dieses unerfüllbare Verlangen nach mehr zu spüren. Es war irgendwie intensiver, als sie es bisher gekannt hatte. Schließlich öffnete er den Gürtel und sie fing an, sich im Schoß zu streicheln. Er sah ihr eine Weile zu und nahm schließlich ihre Hände zur Seite. Dann begann er, sie auf eine Weise mit seinen Händen zu verwöhnen, die ihr bisher gänzlich unbekannt war. Ihre Erregung nahm inzwischen Dimensionen an, die sie sich nie hätte vorstellen können. Und schließlich führte er sie zu ihrem ersten Orgasmus. Sie war danach zwar sichtlich erschöpft, fiel ihm aber um den Hals. Sie wollte ihr Glück irgendwie teilen. Lächelnd streichelte er sie noch eine Weile. Dann legte er ihr Gürtel und BH wieder an. Es machte ihr nichts mehr aus. Was sie von ihm bekommen konnte, war weit mehr, als sie sich bisher selbst gegeben hatte. Und sie würde alles dafür tun, es wieder erleben zu dürfen.
Trügerische Hoffnung
In der schwarzen Burg wurde Henrik von Dienern der Herrin aus der Kutsche befreit. Er war völlig verspannt. Außerdem empfand er eine ziemliche Panik, seitdem sich die Tore der Burg hinter ihm geschlossen hatten. Zwei Diener stützten ihn und führten ihn einige Treppen hinab in ein Verließ. Sein Halsring wurde an der Rückwand angekettet, der Knebel und die Handfesseln wurden ihm abgenommen. Seine Zelle war mit einem einfachen Bett und einem Nachttopf ausgestattet. Es gab sogar ein kleines, vergittertes Fenster. Er befand sich wohl im hinteren Teil des Felsens, auf dem die Burg stand. Denn er sah aus dem Fenster eine Landschaft, die er bei der Herfahrt nicht gesehen hatte. Die Erde brodelte feurig und sprühte Funken in die Luft. Die drohenden Wolkenformationen am Himmel hatte er ja schon über der Burg gesehen. Wenn er sich irgendwie die Hölle vorstellen sollte, hätte sie so ausgesehen, wie diese Landschaft. Wenn er an seine Situation dachte, kam ihm das sehr passend vor. Nach einer Weile bekam er etwas zu essen und zu trinken in seine Zelle gebracht. Es war einfach aber nahrhaft und schmackhaft. Er sollte wohl bei Kräften gehalten werden. Ein echter Trost war ihm das nicht. Er wurde plötzlich müde und fiel in einen traumlosen Schlaf. Daß er während seines Schlafes genau vermessen wurde, bekam er nicht mit.
Agrippa überlegte, wie sie sich als nächstes mit ihrem neuen Lustsklaven vergnügen könnte. Das mit seinem Albtraum hatte sie schon vorbereiten lassen, doch zunächst könnte er sicher etwas Hoffnung brauchen, dachte Agrippa mit einem Lächeln, daß Henrik das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen, wenn er es hätte sehen können. Eine kleine Erkundungstour war für ihn sicher genau das richtige. Sie ließ einige Vorbereitungen treffen. Türen wurden aufgeschlossen, Wachen verlegten ihre Rundgänge geringfügig und ein kleines Außentor wurde geöffnet und nur sehr dezent bewacht. Sie saß dabei wie eine Spinne im Netz. Alle Fäden liefen bei ihr zusammen. Da sie alle Sklaven und sonstige Bedienstete in der Burg über ihre Gedanken sofort erreichen konnte, brauchte sie nicht einmal ihr Schlafzimmer zu verlassen, in dem sie es sich gemütlich gemacht hatte. Jetzt mußte sie nur noch warten, bis Henrik den Draht in seiner Zelle finden würde. Aber sie wollte nicht nachhelfen, damit bei ihm kein Verdacht aufkam. Sie schmunzelte.
Henrik wachte am nächsten Morgen auf und zerrte an seinem Halsreif. Aber er konnte weder den Reif lösen noch die Verankerung der Kette in der Wand. Und das Schloß, das seinen Reif mit der Kette verband, ließ sich mit bloßen Fingern auch nicht öffnen, obwohl er bei so etwas ziemlich geschickt war. Wenn er doch nur sein Werkzeug dabei hätte. Vielleicht gab es ja am Bett ein Stück Draht oder einen Nagel, den er als Werkzeug benutzen konnte. Als er sich hinkniete, um das Bett zu untersuchen, entdeckte er einen dicken Draht, der eigentlich den Lattenrost unter dem Bett fixieren sollte. Er war wohl abgefallen. Es war mühsam, ohne weitere Hilfsmittel daraus einen Dietrich zu formen. Aber nach einiger Zeit gelang es Henrik. Mit viel Feingefühl öffnete er schließlich das Schloß zwischen Kette und Halsreif. Da er vor seiner Zelle nichts hörte, schlich er leise an das Gitter und versuchte hinauszuschauen. Der Gang davor schien leer zu sein. Die Gittertür war für seinen Dietrich keine wirkliche Herausforderung. Und so schlich er leise aus seiner Zelle.
Agrippa lag lächelnd auf ihrem Bett und sah durch Henriks Augen. Sie sah alles so, wie er es auch sah. Und sie lauschte seinen Gedanken und Gefühlen.
Bei seiner Flucht kam Henrik zunächst an einigen weiteren, leeren Zellen vorbei. Dann hörte er aus einer Tür ein leises, herzzerreißendes Wimmern. Er wollte die Tür öffnen, um nachzusehen und vielleicht auch zu helfen, aber er konnte weder einen Riegel noch ein Schloß finden und ging schließlich weiter. Da er nicht wußte, was sich wirklich hinter der Tür befand, begann er, es sich in Gedanken fürchterlich auszumalen. Etwas später kam er an Folterkammern vorbei, deren Gerätschaften er sich nicht einmal in Albträumen hätte vorstellen können. Dann hörte er Stimmen und versteckte sich in einem der Räume. Die Stimmen gehörten offenbar Folterknechten, die sich fachmännisch über schmerzsteigernde Techniken unterhielten. Henrik übermannte das Grauen, während er ihnen zuhörte. Als sie an dem Raum ankamen, in dem er sich versteckt hatte, ging einer der beiden hinein, um etwas zu suchen. Henrik hatte sich unter einer Streckbank versteckt, die ihm allerdings keinen Sichtschutz mehr bieten würde, wenn der Folterknecht auch nur noch einen Schritt weiter in die Kammer käme. Im letzten Moment wurde er von seinem Kollegen gerufen, der die gesuchten Daumenschrauben in einer anderen Kammer gefunden hatte. Der Folterknecht zog die Tür zu Henriks Kammer zu und schob einen Riegel vor. Henrik war zwar nicht entdeckt worden, konnte aber die Kammer auch nicht wieder verlassen. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg.
Agrippa räkelte sich auf ihrem Bett, während sie ihm zusah.
Schließlich fand Henrik einen Haken, den er durch das kleine Gitterfenster der Kammertür nach außen schieben konnte, um damit den Riegel wieder zu öffnen. Er brauchte einige Versuche und hatte Angst, daß der Lärm, den er dabei verursachte, gehört würde. Schließlich schlüpfte er durch die Tür und schob den Riegel wieder vor. Dem Folterknecht sollte nicht auffallen, daß er hier gewesen war. Dann fand er eine Treppe nach oben. Vorsichtig stieg er sie hinauf. Er hörte ein Räuspern und erstarrte. Den Schattenkrieger, der offenbar auf dem nächsten Treppenabsatz Wache hielt, hätte er fast nicht gesehen. Dann schaute er noch einmal vorsichtig zu dem Absatz hinauf. Er hatte sich getäuscht. Es war kein Schattenkrieger. Und er erinnerte sich, daß ein Schattenkrieger ihn auch bemerken würde, wenn er nicht in seine Richtung schaute. Die Wache reckte sich und stellte sich in den Türrahmen mit dem Gesicht vom Treppenhaus abgewandt. Jetzt oder nie, dachte Henrik und schlich mit allem Können, das er sich als Dieb angeeignet hatte, hinter der Wache vorbei. Als er die nächste Treppe überwunden hatte, war er auf der Ebene der Tore. Sie könnte er allerdings genauso wenig unbemerkt öffnen, wie er die Zugbrücke herunterlassen könnte. Er mußte sich also einen anderen Weg nach draußen suchen. Auf einer Kiste fand er eine dunkle Decke. Da er bis auf den Halsreif nackt war, schlang er sich die Decke um. Sie würde ihn nicht nur bei den frischen Temperaturen hier draußen wärmen, mit ihr hob er sich auch nicht mehr so deutlich von den schwarzen Wänden ab.
Agrippa erhob sich von ihrem Bett. Er würde bald an dem kleinen Hinterausgang auftauchen, an dem sie ihn in Empfang nehmen wollte.
Zunächst schlich er die Außenmauern entlang. Ein paarmal entging er nur knapp den Wachen, die hier patrouillierten. Schließlich stieg er eine schmale Treppe zu den Zinnen der Mauer empor. Während er sie entlang ging, achtete er darauf, den Wachen nicht zu begegnen, die auch hier Streife gingen. Er schaute die Mauer außen hinunter, aber sie war viel zu hoch, als daß er hätte herunterspringen können. Und zum Klettern war sie zu glatt. Er würde einen anderen Weg finden müssen. In der Nähe eines Wachturms sah er ein seltsames Symbol an der Mauer. Etwas schien in die Mauer eingelassen zu sein. Mit etwas Fingerspitzengefühl gelang es ihm, eine Klappe zu öffnen, durch die er gerade so durchschlüpfen konnte. Er war jetzt im Innern der Mauer. Offenbar war sie teilweise hohl. Es ging langsam wieder nach unten. Während der Gang am Anfang ziemlich eng war, konnte er inzwischen wieder aufrecht gehen. Schließlich kam er an einen Quergang, der nach außen zu führen schien. Nach ein paar Metern endete dieser allerdings unvermittelt. Henrik war enttäuscht. Dann kam ihm die Idee, daß es vielleicht wieder eine verborgene Tür sein könnte. Er tastete die Wand mit seinen empfindlichen Fingern ab. Und tatsächlich, er fand einen Mechanismus und betätigte ihn. Mit Erleichterung stellte er fest, daß die Tür jetzt langsam zu Seite glitt.
Was er dann sah, ließ seine Erleichterung aber schlagartig wieder verschwinden. Die Tür führte ins Nichts. Etwa fünf Meter unterhalb der Öffnung war zwar die Mauer zuende. Und er hätte aus dieser Höhe notfalls springen können. Aber es gab dort, wo er auftreffen würde keinen Boden, sondern nur kochende Lava. Was sollte ein Fluchtweg, der so endete, fragte er sich enttäuscht. Und er ging langsam den kleinen Quergang wieder zurück. „Tja, jetzt müßte man fliegen können, nicht wahr Henrik?“ Agrippa stand lächelnd vor ihm. Sie schwebte ein paar Zentimeter über dem Boden. Sie könnte den Fluchtweg also tatsächlich benutzen. Henrik wollte den Gang zurückrennen und sich in den Tod stürzen. Besser als ein Leben lang den Qualen der Argowit ausgesetzt zu sein, dachte er. Als er sich umdrehte stand allerdings ein Schattenkrieger vor ihm und grinste ihn mit seinen spitzen Zahnreihen an. Henrik wußte nicht, wo dieser so plötzlich hergekommen war. Es war ihm aber auch egal. Er sank in sich zusammen. Eine tiefe Verzweiflung überflutete ihn. Agrippa genoß seine Gefühle sichtlich.
Als er sich wieder umgedreht hatte, riß ihm der Schattenkrieger die Decke von den Schultern, drückte seine Arme auf den Rücken, legte ihm eine Handfessel an und hielt ihn so fest, daß er sich nicht mehr rühren konnte. So stand er abgesehen von seinem Halsreif nackt vor Agrippa. Sie kam auf ihn zu und griff ihm zwischen die Beine. Sie befestigte einen engen Ring an seinem empfindlichsten Teil und hängte eine Kette ein. Dann zog sie so fest daran, daß er aufschrie. „Wir führen jetzt Deine kleine Besichtigungstour zuende“, erklärte sie ihm lächelnd. Der Schattenkrieger ließ ihn los und schloß die äußere Geheimtür. Danach verschwand der irgendwo. Agrippa führte Henrik an der Kette, die zwischen seinen Beinen endete, auf einem anderen Weg aus dem Fluchtgang heraus. Sie zeigte ihm die ganze Burg, angefangen von den Stallungen für Pferde und Raubpferde, über die Küche und die Quartiere der Küchenmägde, die seine Lage offenbar sehr amüsant fanden, bis zu ihren Gemächern. Er konnte sich kaum vorstellen, wie sie ihn noch weiter demütigen könnte. Sie befestigte die Kette an einem der hinteren Bettpfosten ihres Bettes und legte sich hin. Sie räkelte sich genüßlich, während er zwischen der erfahrenen Erniedrigung, der Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit seiner Lage und einer beginnenden sexuellen Erregung hin- und hergerissen wurde.
Jetzt wurde es allmählich Zeit, seinen Albtraum zu realisieren, dachte sie. Zwei nur mit Keuschheitsgürteln bekleidete Sklavinnen betraten die Gemächer und drückten Henrik so auf ihr Bett, daß sein Gesicht auf Agrippas Schoß zu liegen kam. Als er nicht sofort reagierte, zog eine der Sklavinnen hart an der Kette, die zwischen seinen Beinen endete. Er stöhnte schmerzhaft auf und begann, die Herrin mit seinen Lippen und der Zunge zu verwöhnen. Eine der Sklavinnen streichelte Henrik auf dem Rücken und dem Hintern. Die andere kümmerte sich um Agrippa. Und die genoß es gleich zweifach. Einerseits seine Liebkosungen, anderseits sein Gefühl der Erniedrigung und der für ihn unerfüllbaren Begierde. Zwei bekleidete männliche Sklaven erschienen und trugen ein seltsames Gestell in den Raum. Es war ein Gitterkäfig in Form eines breitbeinig knienden Menschen. Henrik wurde vom Bett gehoben und in den Käfig geschoben. Er bekam noch einen Knebel in den Mund, dann wurde der Käfig geschlossen. Henrik konnte sich in der knienden Stellung nicht mehr rühren. Sein Unterkörper wurde von dem Käfig freigelassen. Ebenso seine nach oben gerichteten Fußsohlen. Die beiden männlichen Sklaven verließen den Raum wieder, während eine der Sklavinnen damit begann, Henrik an den Füßen zu kitzeln. Er wand sich, soweit der Käfig es zuließ, während der Knebel sein Schreien unterdrückte. Agrippa genoß es sichtlich. Schließlich hörte die Sklavin auf, Henrik zu kitzeln und holte einen Keuschheitsgürtel aus einer Truhe.
Der Gürtel war, wie Henrik entsetzt feststellte, für einen Mann gearbeitet – für ihn. Das kam seinem Albtraum von einem Leben ohne sexuelle Befriedigung entsetzlich nahe! Der Ring um sein empfindlichstes Teil wurde abgenommen. Da durch das Kitzeln seiner Füße seine sexuelle Erregung zwischenzeitlich abgeklungen war, konnte die Sklavin ihm den Gürtel leicht anlegen. Während sein Glied in ein stark gekrümmtes Rohr kam, das jegliche Erektion verhinderte, wurden seine Hoden durch eine Öffnung nach außen geführt und diese Öffnung anschließend durch einen Einsatz soweit verkleinert, daß ein Zurückziehen selbst bei geöffnetem Gürtel nicht mehr möglich war. Der Gürtel wurde verschlossen und rastete mit einem lauten Klicken ein. Durch die gemeine Konstruktion des Gürtels war ein Berühren seines Glieds nicht mehr möglich, während seine Hoden für Liebkosungen wie Bestrafungen zugänglich waren. Der enge Ring, der mit der Kette immer noch am Bettpfosten Agrippas befestigt war, wurde ihm wieder um die Hoden gelegt. Dann öffnete die Sklavin den Käfig und Henrik konnte heraustreten. Ihm wurden jetzt auch die Handfesseln und der Knebel abgenommen. Entsetzt befühlte er die Konstruktion um seinen Unterleib. „Ich hoffe, es gefällt Dir“, grinste ihn Agrippa an. „Das wirst Du nämlich jetzt immer tragen.“ Sie wies die Sklavin an, ihm auch den Halsreif abzunehmen. „Wir haben ja jetzt etwas anderes, woran wir Dich anketten können.“ Agrippa suhlte sich förmlich in seinem Entsetzen und seiner Verzweiflung. Gleichzeitig spürte sie, daß ihn die Situation zu seiner eigenen Verwirrung erregte. „Komm her und mache da weiter, wo Du vorhin aufgehört hast.“ Sie deutete auf ihren Schoß und die Sklavin, die ihm den Gürtel angelegt hatte, nahm die Kette drohend in die Hand, die zwischen dem Bettpfosten und seinen Beinen hing. Er gehorchte sofort. Während er Agrippa verwöhnte, wurde er von der einen Sklavin an Hintern und Hoden massiert. Er empfand ein ebenso verzweifeltes wie aussichtsloses Verlangen. Und Agrippa bekam einen nicht enden wollenden Orgasmus.
Kapitel 3 – Vergangene Taten
Spurensuche
Claudius war nicht zufällig in die Herberge gekommen, in der er Karin gekauft hatte. Er war auf der Suche nach einem Freund, den er vor etwa 30 Jahren aus den Augen verloren hatte. Es war ein Enkel von Menschen, die ihm nach seiner furchtbaren Tat geholfen hatten, mit der Schuld zu leben. Claudius vergaß bei seinem Umgang mit Menschen manchmal, daß sie ein ganz anderes Zeitgefühl hatten. Als er Eckhart, seinen Freund, vor 15 Jahren wieder besuchen wollte, erfuhr er, daß dieser damals bereits seit 5 Jahren verschollen war. Er hatte geheiratet und war zu jener Zeit mit seiner Frau und seiner damals 3-jährigen Tochter zu einer Reise aufgebrochen. Eckhart hatte vorgehabt, in einer anderen Stadt ein kleines Handelshaus zu übernehmen. Die Verhandlungen waren bereits abgeschlossen und er hatte sich mit dem Geld für den Kauf, mit seiner Familie und dem Hausstand auf den Weg in die Stadt gemacht. Dort war er allerdings nie angekommen. Die letzten 15 Jahre hatte Claudius nach ihm gesucht. Er ging schon bald davon aus, daß Eckhart nicht mehr am Leben war und konzentrierte sich nun vor allem darauf, herauszufinden, was damals mit seinem Freund und dessen Familie passiert war. Da Claudius ziemlich auffällig war, konnte er dabei nur sehr langsam vorgehen, wenn er kein Aufsehen erregen wollte. Außerdem spielte für ihn als Erhabenen Zeit eine eher untergeordnete Rolle. Schließlich führten ihn seine Nachforschungen zu dem Waldgebiet, in dem auch die Herberge war.
Die weiteren Spuren verliefen zunächst im Sand. Als er dann in der Herberge übernachten wollte, fiel ihm Karin auf. Irgendwie erinnerte sie ihn entfernt an Eckhart. Und weil sie auch ungefähr das richtige Alter hatte, sprach er den Wirt auf sie an. Der antwortete allerdings nur ausweichend. Karin war vor 20 Jahren bei ihm abgegeben worden. Von wem wußte er nicht. Und ihm wären auch keine Habseligkeiten von ihr mitgegeben worden. Was Claudius dabei irritierte war, daß im Schankraum der Herberge ein Krug stand, der dem zum Verwechseln ähnlich sah, den er einmal Eckhart geschenkt hatte. Da Claudius leider nicht über die Gabe seiner Schwester verfügte, die Gedanken und Erinnerungen der Menschen lesen zu können, entschied er sich, zunächst einmal Karin auf Verdacht an sich zu nehmen. Ob der Wirt etwas mit dem Verschwinden – oder wahrscheinlicher, mit dem Tod – von Eckhart zu tun hatte, konnte er später immer noch herausfinden.
Ganz uneigennützig war er dabei nicht. Er fand Karin ausgesprochen attraktiv, wenn er sie sich von dem Dreck befreit vorstellte, den sie offenbar seit Jahren nicht mehr abgewaschen hatte. Da er sich über die mögliche Schuld des Wirts noch keine Klarheit verschafft hatte, wollte er nicht mit Gewalt vorgehen und kaufte Karin dem Wirt daher ab. Der Preis, den der Wirt verlangte, war schon ziemlich unverschämt, zumal Karin ja nicht sein Eigentum war. Die Art, wie Karin von den Wirtsleuten behandelt wurde, mißbilligte er zwar, aber wenn er an die anderen Erhabenen dachte, gestand er sich nicht das Recht zu, hierüber zu urteilen. Claudius handelte den Wirt noch etwas herunter. Weniger, weil ihm das Geld etwas bedeutete – er hatte genug Geld, um mehrere Städte kaufen zu können – sondern weil er bei dem Wirt nicht den Verdacht aufkommen lassen wollte, daß Karin für ihn mehr sein könnte als eine Dienerin. Er hatte keine Lust, später noch lange nach dem Wirt suchen zu müssen, wenn er seine Nachforschungen auf eine erfolgversprechendere Weise wieder aufnehmen würde.
Auf seine Einstellung Karin gegenüber würde es keine Auswirkungen haben, ob sie wirklich Eckharts Tochter war oder nicht. Er empfand für sie Sympathie und Zuneigung. Da er wußte, daß sie ihn – selbst mit lebensverlängerndem Elixier – nur einen kurzen Abschnitt seines Lebens begleiten würde, wollte er Gefühlen wie Liebe keinen Raum geben. Er hatte Angst, daß ihn ihr Verlust dann zu hart treffen würde. Außerdem war Liebe – von Selbstliebe einmal abgesehen – bei seiner Spezies nicht sonderlich verbreitet oder ausgeprägt. Und trotzdem spürte er einen Stich bei dem Gedanken, daß sie ihn in nicht viel mehr als 50 Jahren unausweichlich verlassen würde. Irgendwie war das lange Leben als Erhabener häufig schon ziemlich einsam. Und er konnte schon nachvollziehen, warum die Erhabenen sich bei Gefühlen fast immer für Grausamkeit statt für Liebe entschieden. Es verletzt zwar die anderen, aber nicht einen selbst. Er konnte allerdings nicht leugnen, daß ein großer Teil der Grausamkeit bei ihnen Veranlagung war, der auch er sich nur teilweise entziehen konnte.
Karin machte bei den Lektionen inzwischen deutliche Fortschritte. Sie begann, selbständig in den Büchern zu lesen, auch wenn es für sie noch ziemlich mühsam war. Auch ihre Fähigkeiten als Geliebte entwickelten sich zu Claudius’ Freude prächtig. Und ihre Persönlichkeit wuchs allmählich von einer verschüchterten Magd zu einer demütigen aber selbstbewußten Frau. Sie wußte natürlich, daß sie ihm gehorsam zu dienen hatte, aber sie tat es nicht nur aus Angst vor Strafe. Zunächst waren sicher neben einer Portion Angst auch Dankbarkeit für seine Fürsorge und der Wunsch nach sexueller Befriedigung Triebfedern ihres Gehorsams und ihres Eifers. Allmählich entwickelte sie aber auch eine tiefe Zuneigung zu Claudius, ihrem Herrn. Und sie fühlte sich in ihrer Rolle als seine erste Sklavin zunehmend wohler und setzte ihren ganzen Ergeiz dafür ein, diese Rolle so gut sie es konnte auszufüllen. Und seine Anerkennung und Zuneigung hatten für sie inzwischen den gleichen Stellenwert, wie die sexuelle Erfüllung, die er ihr als Belohnung immer wieder gab. So trug sie ihren Keuschheitsgürtel inzwischen wie eine Auszeichnung und nicht mehr wie eine Last.
Claudius lernte auch ihren wachen Verstand zu schätzen. Er begann ihr Aufgaben bei der Verwaltung seiner Lichtung zu übertragen. Sie konnte sich – auch ohne seine Hilfe – inzwischen frei im Turm bewegen. Zwar konnte sie nicht selbständig im Schacht schweben. Aber einer der Räume ihrer Etage, den sie zunächst nicht betreten konnte, war Bestandteil eines Treppenhauses, mit dem jede Etage des Turms verbunden war. Lediglich die Keller-Etagen waren weiterhin für sie tabu. Auf der Lichtung konnte sie sich frei bewegen, was für einige ihrer neuen Aufgaben elementar war. Die Menschen der Ansiedlung waren freundlich und offen. Sie machten nicht den Eindruck, als seien sie in der Lichtung eingesperrt. Karin kümmerte sich darum, daß es auf der Lichtung an nichts mangelte. Sie begleitete Claudius auch gelegentlich in eine Stadt, um Besorgungen zu machen. Dabei trat sie häufig als Claudius’ Sprachrohr auf. Er war dann meistens in eine je nach Anlaß mehr oder weniger prachtvolle Kutte gehüllt und wohnte schweigsam den Verhandlungen bei, die Karin mit den Geschäftspartnern führte. Bei kritischen Entscheidungen holte sich Karin flüsternd seine Zustimmung oder weitere Anweisungen ein, sonst agierte sie selbständig. Für die Geschäftspartner war es immer etwas irritierend, wobei Karin diese Verunsicherung häufig zur Stärkung ihrer eigenen Verhandlungsposition nutzen konnte. Claudius schmunzelte dann unter seiner Kapuze über ihr Geschick in solchen Situationen.
Nur selten mußte Claudius selbst eingreifen, wie im Fall eines außergewöhnlich arroganten Weinhändlers. Dieser hatte ihnen nicht nur für teures Geld gepanschten Wein geliefert, sondern ihnen, als Claudius mit Karin deswegen bei ihm vorstellig wurde, erklärt, daß sie sich wohl damit abfinden müßten. Andere Kunden seien ihm wichtiger als solche zwielichtigen Gestalten wie sie. Zwei Burschen mit Knüppeln in den Händen hatten ihn bei diesen Worten flankiert und er fühlte sich offenbar sehr sicher. Normalerweise ging Claudius etwas gebückt in seiner Kutte, um seine überdurchschnittliche Größe zu verbergen. Nach dieser Unverschämtheit richtete er sich zur vollen Größe auf, warf seine Kutte ab und baute sich vor dem Weinhändler auf. Dieser traute zunächst seinen Augen nicht. Die beiden Burschen mit den Knüppeln wichen ein Stück zurück. Aber der Weinpanscher – irgendwie paßte dieser Ausdruck besser auf ihn – war nicht so leicht einzuschüchtern. Er hatte plötzlich einen Dolch in der Hand und fuchtelte damit vor Claudius herum. Dieser setzte ein Lächeln auf, bei dem selbst Karin das Blut gefror. Dann schossen aus seinen Händen blaue Blitze auf den Weinpanscher, der sich vor Schmerz auf dem Boden wälzte. Schreien konnte er nicht, nur keuchen. Die Burschen hatten die Knüppel fallengelassen und starrten bleich und regungslos auf die gespenstische Szene. Karin, die so etwas das erste Mal erlebte, verspürte echte Angst vor Claudius. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, wozu er in der Lage war. Und sie war schockiert über die Kälte, mit der er den Weinpanscher auf diese Weise mindestens 10 Minuten lang folterte.
Danach wartete Claudius einen Moment, bis der Panscher wieder in der Lage war, etwas anderes zu tun, als qualvoll zu stöhnen. Als ihn der Händler schließlich mit Angst und Entsetzen im Blick anstarrte, erklärte Claudius ihm, daß er, sollte es noch einmal Anlaß zu Beschwerden geben, das nächste Mal nicht so gnädig mit ihm verfahren würde. Im übrigen würde er für den unverdünnten Wein nur noch ein Zehntel des Preises zahlen. Der Weinhändler beeilte sich, ihm zuzustimmen und sie verließen das Weingut wieder. Karin war auf dem Rückweg sehr still. Sie konnte sich immer noch nicht erklären, daß der Claudius, den sie kannte und der, den sie eben erlebt hatte, ein und dieselbe Person waren. Auch Claudius schien in Gedanken versunken zu sein. Später erzählte er ihr erstmals von den Erhabenen, von ihren besonderen Eigenschaften und vor allem von ihrer angeborenen Grausamkeit. Er war allerdings selbst entsetzt darüber, welche Gefühle die Bestrafung des Weinhändlers bei ihm ausgelöst hatte. Die Macht und die Qualen des Händlers hatten ihm ein Hochgefühl beschert, das ihn zutiefst verunsicherte. War seine Veranlagung wirklich so mächtig, daß auch er sich ihr kaum entziehen konnte? Es hatte ihm jedenfalls eine große Selbstbeherrschung abverlangt, nach 10 Minuten mit der Folterung des Weinhändlers aufzuhören.
Karin beruhigte sich später wieder. Der Weinpanscher hatte es wirklich verdient. Und ihr war klar geworden, daß die Fürsorge und Freundlichkeit, die er ihr und den Menschen auf der Lichtung entgegenbrachte, Claudius viel mehr abverlangten, als die meisten in seiner Situation bereit gewesen wären zu geben. Er war nicht freundlich und gütig, weil es in seiner Natur lag, er war es trotz seiner Natur, weil er es unbedingt sein wollte. Dadurch wuchs ihr Vertrauen und auch ihre – ja, das war es wohl – ihre Liebe zu ihm.
Das Treffen
Agrippa hatte nicht wirklich vor, Henrik für den Rest seines Lebens jedwede sexuelle Befriedigung vorzuenthalten. Allerdings würde er voraussichtlich solange ununterbrochen im Keuschheitsgürtel bleiben, bis er jede Hoffnung auf Erlösung aufgegeben hätte. Dann würden seine Gefühle für sie langweilig werden. Um das wieder zu ändern, bekäme er, was er sich so verzweifelt ersehnt hätte, um – nach einer gewissen Erholungspause – der Herrin wieder mit seinen Ängsten und Verzweiflungen Vergnügen bereiten zu dürfen. Vielleicht konnte sie ihn zwischenzeitlich auch noch für andere, nützliche Zwecke einsetzen. Mit seiner Begabung als Dieb müßte sich doch etwas anfangen lassen. Während Agrippa über die weitere Verwendung Hendriks nachdachte, erschien eine Sklavin. „Herrin, Euer Bruder wünscht Euch zu sprechen.“ Von Claudius hatte sie schon seit einigen Monaten nichts mehr gehört. Sie ging zu einem speziellen Spiegel und berührte ihn. Ein Bild von Claudius erschien. „Sei gegrüßt, Agi. Ich hoffe, es geht Dir gut.“ Sie tauschten einige Höflichkeiten aus. Dann rückte Claudius mit dem Grund seiner Kontaktaufnahme heraus. „Ich könnte Deine Hilfe bei einem kleinen Problem brauchen. Wäre es Dir recht, wenn ich Dich mit einer Sklavin besuchen käme?“ „Kommst Du mit einem Drachen?“, wollte sie wissen. „Das hatte ich vor.“ „Ich würde gerne mal einen Rundflug machen.“ Claudius nickte freundlich. „Das läßt sich einrichten.“ „Dann komm einfach vorbei, wenn es Dir paßt. Ist Deine Sklavin eine Neuerwerbung?“ Er grinste. „Bin ich so leicht zu durchschauen? Aber ich bringe sie aus einem bestimmten Grund mit. Nämlich dem, dessentwegen ich Deine Hilfe gut gebrauchen könnte. Aber das erzähle ich Dir in Ruhe, wenn ich eingetroffen bin.“ Sie trennten die Verbindung.
Claudius packte zwei Flaschen des besten Weins ein. Für Karin hatte er ein verführerisches Kleid ausgesucht. Beide legten noch wetterfeste Mäntel an, da es draußen regnete. Bevor sie den Turm verließen und auf einen der Drachen stiegen, wandte sich Claudius an Karin. „Ich weiß, daß Du Dich respektvoll benehmen kannst. Aber sei in Gegenwart meiner Schwester, die Du nur mit Herrin ansprichst, lieber etwas zu unterwürfig. Sie lebt ihre Grausamkeit ziemlich hemmungslos aus. Und in ihrer Residenz bestimmt sie, nicht ich. Außerdem – achte darauf, was Du denkst. Sie kann Deine Gedanken lesen.“ Die Vorstellung, daß nicht einmal ihre Gedanken ihr gehören würden, erschreckte Karin. Sie fragte sich, warum sie überhaupt mit sollte. Aber sie wollte jetzt nicht damit anfangen, vorlaut zu sein. Der Flug mit dem Drachen verlief ereignislos. Schließlich kam die schwarze Burg in Sicht. Karins Magen verkrampfte sich bei dem Anblick. Die Burg schien von einer Aura der Grausamkeit umgeben zu sein. Sie landeten auf dem Burghof und wurden von gaffenden Bediensteten umringt. „Zurück an die Arbeit“, fauchte Agrippa und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Sie schmunzelte. „Ein starker Auftritt, den Du mit Deinem Drachen hast.“ „Möchtest Du gleich mal einen Rundflug machen?“ „Lieber später, wenn das Wetter wieder besser ist. Komm mit ins Trockene.“ Claudius bedeutete Karin, ihnen zu folgen.
Sie kamen in einen kleinen, gemütlichen Raum mit zwei Sofas an einem Kamin. Agrippa und Claudius setzten sich auf die gegenüberstehenden Sofas. Karin blieb stehen und schaute nach unten. Als Claudius sie kurz ansah und auf einen Stiefelschaft klopfte, kniete sie unverzüglich zu seinen Füßen nieder. Er streichelte ihren Kopf. „Du hast sie gut erzogen“, meinte Agrippa anerkennend. „Und wie ich Dich kenne, wirst Du dazu nicht einmal Deine Blitze eingesetzt haben.“ Er grinste. „Du hast schon ein erstaunliches Händchen mit Menschen und Tieren“, fuhr sie fort. „Ich nehme an, mit den Tieren meinst Du die Drachen.“ „An die dachte ich.“ „Es sind weit mehr als Tiere. Ach ja, wenn wir nachher einen Rundflug machen, versuche bitte nicht, in den Geist des Drachen einzudringen. So was mögen die gar nicht. Und sie haben die Fähigkeit, nicht nur Deinen Körper, sondern auch Deinen Geist zu verbrennen. Zumal Du es gleich mit allen aufnehmen müßtest. Sie stehen nämlich alle mit einander in Verbindung.“ Agrippa staunte. „Woher weißt Du das?“ „Sie haben es mir gezeigt. Vor ihnen kann nicht einmal ich meinen Geist verschließen. Und ich bin jetzt – zumindest aus ihrer Sicht – einer von ihnen.“ „Stehst Du etwa auch in dauerndem Kontakt zu ihnen? Ich wußte gar nicht, daß Du auch diese Gabe hast.“ „Nein. Ich habe nur dann Kontakt zu ihnen, wenn ich einen von ihnen berühre. Das ist dann nicht meine Gabe, sondern ihre.“ „Ich frage mich, ob ich wirklich an diesem Rundflug interessiert bin“, dachte Agrippa laut.
Dann wechselte sie das Thema und begann, Claudius von ihrem neuen Lustsklaven zu erzählen. Sie wußte, daß auch ihn die Dinge anregten, die sie mit Henrik getan hatte oder noch tun würde. Claudius verkniff sich zwar, seine Grausamkeit auszuleben, aber die daraus resultierende Erregung war ihm nur zu bekannt. Karin schauderte bei dem Gehörten. Sie empfand Mitleid mit Henrik und sie bemerkte auch, daß die Art, wie Claudius ihren Kopf streichelte, sich irgendwie geändert hatte. Ihr wurde bewußt, daß die Erzählungen ihn erregten, was ihr wieder Angst machte. Sie versuchte außerdem krampfhaft, nicht daran zu denken, was sie von dieser grausamen Frau hielt. Agrippa lächelte. „Deine neue Sklavin ist witzig. Sie versucht gerade, nicht daran zu denken, daß sie mich für ein Monster hält.“ Karin schluckte ängstlich. Und sie wußte nicht, was sie noch denken sollte. Sie wollte nicht den Zorn dieser Herrin auf sich ziehen und sie wollte auch nicht, daß ihr Herr mit ihr unzufrieden wäre. „Weißt Du, warum Deine Sklavin so folgsam ist, Claudius? Sie liebt Dich.“ Karin lief rot an. Jetzt änderte sich wieder die Art, wie Claudius ihren Kopf streichelte. Es war jetzt zärtlich. Und Karin genoß es. Agrippa spürte einen Anflug von Neid auf Claudius. Und zwar wegen der Gefühle, die Karin ihm entgegenbrachte, wie sie sich widerwillig eingestand.
„Du wolltest doch, daß ich Dir in einer Angelegenheit helfe. Mir ist gerade eingefallen, was ich dafür haben möchte. Ich möchte mir Deine Sklavin für eine Woche ausleihen.“ Entsetzen breitete sich in Karin aus. „Unter den üblichen Randbedingungen“, antwortete Claudius. Karin kämpfte gegen die Panik an, die von ihr Besitz ergriff. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was in dieser Woche alles mit ihr passieren würde. „Einverstanden. Worum geht es denn bei dem Gefallen.“ Claudius erzählte ihr von Eckhart, seinen Nachforschungen und der Vermutung, daß Karin die Tochter seines Freundes wäre. „Ich möchte, daß Du in Karins Kindheitserinnerungen nach Bildern ihres Vaters suchst. Und danach, was passiert ist, bevor sie bei den Wirtsleuten landete.“ „Und das Bild des Vaters soll ich in Deinen Kopf projizieren?“ „Genau.“ Sie schaute Karin an. Kurze Zeit später murmelte Claudius den Namen „Eckhart“ und nickte. „Er und seine Frau sind von Räubern erschlagen worden. Mit ihr vergnügten sich die Räuber noch vorher. Und das Kind nahmen sie mit.“ Karin war aufgewühlt. Zum ersten Mal hörte sie etwas über ihre Eltern. „Kannst Du mir etwas zu den Räubern sagen?“, wollte Claudius wissen. „Leider nein. In ihrer Erinnerung sind sie einfach nur groß und schrecklich. – Aber ich kann Dir etwas anderes sagen. Als das Kind der Wirtin überreicht wurde, bekam sie auch einige Dinge aus der Beute.“
Claudius hatte schon vermutet, daß die Wirtsleute mit der Sache etwas zu tun hatten. Das machte die Sache aber nur teilweise einfacher. Denn jetzt war er noch einmal auf Agrippas Hilfe angewiesen. „Was würde es kosten, wenn Du für mich auch in dem Geist der Wirtsleute „herumblätterst“ und weitere Details zu den Räubern herausfindest?“, wollte er wissen. „Dazu müßte ich ja erst mal hinkommen.“ „Ich könnte Dich mit den Drachen hinfliegen. Und ich denke, wenn wir die Räuber erwischen, kommst auch Du zu Deinem Spaß.“ „Also gut, zwei weitere Wochen mit Karin.“ Karin kämpfte mühsam mit der Panik. „Höchstens noch eine Woche – und zwar für alles, was bis zum Abschluß der Angelegenheit nötig ist“, sagte er bestimmt. „Abgemacht. Dann würde ich jetzt gerne den Ausflug mit dem Drachen machen. Das Wetter hat sich wieder aufgeklart.“ Karin fragte sich, woher Agrippa das wußte. Aber wenn sie auch die Gedanken ihrer Wachen lesen konnte, war es für sie natürlich kein Problem. „Deine Sklavin kann solange bei Henrik warten“, sagte Agrippa mit einem unangenehmen Lächeln.
Der Drachenritt
Henrik befand sich in einer Zelle im Verließ. Er war mit einer Kette, deren eine Seite zwischen seinen Beinen endete, an der Wand befestigt. Er war ausgesprochen deprimiert über sein Schicksal. Karin wurde in seine Zelle gelassen und sie unterhielten sich. Währenddessen waren Claudius und Agrippa zu dem Drachen im Hof gegangen. Agrippas Bedienstete hielten respektvollen Abstand zum Drachen. Als die Beiden näher kamen, formte der Drache wieder eine Rampe aus einem seiner Flügel. Agrippa überspielte ihr mulmiges Gefühl, indem sie forsch diese Rampe hinaufging und sich auf den Rücken des Drachen setzte. Sobald Claudius den Drachen berührte, hörte er dessen Stimme in seinem Kopf. „Ich würde den Ausflug gerne mit Deiner Schwester alleine machen. Da gibt es einiges zu sagen, was nur für sie bestimmt ist. Einverstanden?“ Claudius war erstaunt. Normalerweise waren die Drachen ziemlich wählerisch, wen sie an sich heranließen. Aber er hatte die Erfahrung gemacht, daß diese Wesen sehr weise waren und er bisher immer gut gefahren war, wenn er ihnen vertraut hatte. Er wandte sich an Agrippa. „Agi, der Drache möchte mit Dir alleine fliegen. Geht das für Dich in Ordnung?“ Er lächelte boshaft. „Oder hast Du Angst?“ Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Meinetwegen. Aber wie mache ich dem Drachen klar, wann ich wieder zurück will?“ „Sag es ihm einfach.“ „Und wie laut muß ich dann brüllen? Er hört hoffentlich gut.“ Claudius lächelte. „Er hört Deine Gedanken. Es ist egal, wie laut Du mit ihm redest.“ Der Gedanke, daß der Drache ihre Gedanken lesen konnte, war ihr sichtlich unangenehm. Aber sie riß sich zusammen. „Also dann mal los“, rief sie dem Drachen zu. Und der erhob sich schwungvoll in die Lüfte.
Der Gedanke, plötzlich so weit vom Erdboden entfernt zu sein, war für Agrippa nur am Anfang irritierend. Da sie fast so gut schweben konnte wie Claudius, würde sie weich landen, wenn sie herunterfiel. Und so genoß sie schon nach kurzer Zeit die Aussicht und das Gefühl des schnellen Reisens. Plötzlich war eine Stimme in ihrem Kopf. „Du bist ein ziemlich grausames Wesen. Hast Du denn so viel Angst, geliebt zu werden?“ Zuerst war sie verärgert über diese Anmaßung. Aber irgendwie war ihr diese Frage vorhin selbst in den Sinn gekommen, als sie die Gefühle von Karin für Claudius spürte. Und die Stimme in ihrem Kopf klang eher mitfühlend als vorwurfsvoll. „Was weißt Du denn schon von meinen Gefühlen?“, gab sie in Gedanken zurück. „Was möchtest Du denn gerne über Dich erfahren?“ Diesmal hatte sie fast den Eindruck, als läge ein Lächeln in der Stimme. Sie war irritiert. Eigentlich hätte sie wütend und irgendwo auch ängstlich sein müssen, weil der Drache offenbar ungeniert in ihren Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen stöberte. Aber sie hatte überhaupt keine Angst vor ihm. Sie – dieses Gefühl war sie nicht gewohnt – vertraute ihm. „Du versteckst Dich hinter Deiner Grausamkeit“, fuhr der Drache schließlich fort. „Wir Erhabenen SIND grausam!“, entfuhr es ihr. „Ich weiß. Aber Du und Dein Bruder seid keine typischen Erhabenen. Ihr habt auch noch andere Anlagen. Du hast es vorhin selbst gespürt.“ Er machte eine Pause, während sie versuchte, ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren. „Deswegen wolltest Du doch auch Karin ausleihen. Du hoffst in ihr zu finden, warum sie Claudius liebt.“ Agrippa war sich vorher nicht darüber klar geworden, aber der Drache hatte recht. „Du suchst an der falschen Stelle. Wenn Du den Grund finden willst, suche in Dir.“ Während sie innerlich in Aufruhr war, flog der Drache schweigend weiter über die Landschaft.
Um Zeit zu gewinnen, fragte Agrippa den Drachen nach seiner eigenen Art. „Wie alt werdet ihr eigentlich?“ „Als Individuum? Etwa 1.000 Jahre. Allerdings leben wir in allen anderen Drachen weiter. Alles was ich lerne, alles was ich verstehe und alles was ich empfinde nehmen auch die anderen wahr. So entwickeln wir uns gemeinsam weiter.“ „Und wie pflanzt Ihr Euch fort? Ich habe noch nie einen weiblichen Drachen gesehen.“ „Wir sind weder männlich noch weiblich. Wir legen Eier aus denen nach einiger Zeit neue Drachen schlüpfen. Aber es gibt keine Begattung, falls Du das meintest.“ „Ihr Ärmsten.“ „Überhaupt nicht. Wir brauchen keinen Sex um höchste Glücksgefühle zu haben. Wir haben die Möglichkeit, unser Lustzentrum direkt mit Gedanken zu stimulieren. Dagegen ist Euer Sex geradezu armselig.“ In der Stimme des Drachen schwang eine große Fröhlichkeit mit. Agrippa dachte, daß sie so was auch mal gerne erleben würde. „Wünsch Dir das nicht. Wir haben einmal eine Erhabene, zu der wir genauso standen, wie zu Deinem Bruder, daran teilhaben lassen. Wir wollten ihr etwas Gutes tun.“ Die Stimme wurde trauriger. „Damit hatten wir sie zerstört. Sie fand an nichts anderem in ihrem Leben mehr Freude. Man könnte auch sagen, sie war süchtig geworden. Da sie nicht in totaler Abhängigkeit zu uns leben wollte, brachte sie sich um.“ Die letzten Worte kamen nur noch ganz leise. Er machte eine Pause, um sich wieder zu fassen. „Wir haben uns danach entschieden, dies keinem Nicht-Drachen mehr anzutun.“ „Wann war das denn?“, wollte Agrippa wissen, „Kenne ich sie vielleicht?“ „Wohl kaum. Das hat sich vor über 2 Millionen Jahren ereignet.“ „Und da bist Du heute noch so traurig?“ „Ich sagte doch, wir entwickeln uns nicht nur als Individuen. Ich habe die Erinnerungen so, als hätte ich es selbst erlebt.“
Sie flogen noch eine Weile weiter. Schließlich meinte er: „Denke einfach mal in Ruhe über das nach, was ich am Anfang unseres Gespräches gesagt habe. Du hast es in der Hand, ob Du wirklich glücklich werden willst. Soll ich langsam wieder zurückfliegen?“ „Ja, bitte“, dachte sie ungewohnt höflich. Sie landeten kurz darauf wieder im Burghof und Claudius nahm eine sichtlich verstörte Agrippa in Empfang.
Der Anschlag
Karin hatte sich derweil mit Henrik ausführlich unterhalten. Und sie hatte versucht, ihn in seiner Verzweiflung etwas zu trösten, allerdings mit nur geringem Erfolg. Dafür hatte sie jetzt ziemliche Angst vor den zwei Wochen, die sie Agrippa ausgeliehen werden würde. Claudius holte sie aus dem Verließ ab. Agrippa hatte sich in ihre Gemächer zurückgezogen, nachdem sie vereinbart hatten, daß Claudius sie nächste Woche mit 2 Drachen abholen würde, um bei den Wirtsleuten mehr in Erfahrung zu bringen. Claudius flog mit Karin auf dem Drachen zurück zu seinem Turm. Dort angekommen, fragte Karin ihn schüchtern, ob es denn wirklich nötig gewesen sei, daß sie an Agrippa ausgeliehen werden würde. „Wenn ich den finden will, der meinen Freund – und Deinen Vater – Eckhart umgebracht hat, bin ich auf Agrippas Hilfe angewiesen. Außerdem habe ich mit ihr „die üblichen Randbedingungen“ vereinbart, das heißt, daß ich Dich im selben Zustand – körperlich wie seelisch – zurückerhalte, in dem ich Dich bei ihr abgeliefert habe. Dir wird also nichts passieren, was Du nicht verkraften kannst.“ Ein wenig war Karin beruhigt. Aber Angst hatte sie vor den zwei Wochen immer noch.
Inzwischen war auch die erste Lieferung des Weinpanschers eingetroffen, nachdem Claudius ihn in seine Schranken verwiesen hatte. Und Claudius hatte so ein Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Er nahm eine Probe des Weins in sein Labor im Keller des weißen Turms. Und nach kurzer Zeit wurde er fündig. Der Wein war vergiftet. Und zwar alle fünf Fässer, die er geliefert hatte. Und es war kein Gift, daß zufällig oder versehentlich in den Wein hätte geraten können. Claudius stürzte wutentbrannt zurück zu den Weinfässern. Diese entzündeten sich und verbrannten mitsamt des Weins rückstandslos. Karin beobachtete die Szene verständnislos. Er ging mit einem Gesichtsausdruck wortlos an ihr vorbei, der sie schaudern ließ. Dann flog er mit einem Drachen los. Er landete mit dem Drachen mitten im Weingut. Das Gesinde wollte bei dem Anblick eines Argowit, der auf einem furchterregenden Drachen landete, die Flucht ergreifen. Aber Claudius ließ sie alle leicht schweben, so daß ihre Flucht unmöglich wurde. Der Weinpanscher kam aus seinem Haus, um nachzusehen, was denn der Lärm bedeutete. Als er Claudius und den Drachen sah, wurde er aschfahl. Ihm war klar, daß sein Plan schief gegangen war. Sein Versuch zu flüchten scheiterte genauso wie der seines Gesindes.
Claudius ließ alle in einem Halbkreis vor sich schweben. Der Panscher schwebte auf ihn zu. „Du weißt, warum ich hier bin“, wandte Claudius sich an den Weinhändler. Der schüttelte den Kopf. Aus Claudius’ Händen zuckten blaue Blitze auf den Händler. Der krümmte sich vor Schmerz. „Weißt Du es jetzt?“ „War mit dem Wein etwas nicht in Ordnung?“, heuchelte der Weinhändler weiterhin Unwissen. Erneut wurde er von den Blitzen gequält. „Dachtest Du wirklich, Du könntest mich vergiften?“ „Ich weiß nicht, was – “ Weiter kam er nicht. Wieder trafen ihn die Blitze. Claudius war sich seiner Sache ganz sicher. Er hatte zwar nicht wie Agrippa die Möglichkeit, die Gedanken der Menschen zu lesen, aber er wußte, wann ihn jemand belog. „Hat Dir jemand dabei geholfen?“ Der Weinhändler begriff, daß er sich so nicht herausreden konnte. Wenn er schon leiden sollte, dann wenigstens nicht alleine. „Meine Gesellen haben mir geholfen“, log er. Claudius fragte, wer die Gesellen wären. Der Händler zeigte auf sie, während sie protestierten. Sie hätten nichts Unrechtes getan. Claudius ließ sie heranschweben, aber er wußte, daß sie die Wahrheit sagten. „Könnt Ihr die Arbeit auch ohne ihn“, er deutete auf den Weinhändler, „weiterführen?“ Sie nickten und er ließ sie wieder in den Halbkreis zurückschweben.
Dann zog sich plötzlich eine Feuerspur von Claudius’ Augen zu dem Weinhändler und der fing an zu brennen. Nach 3 Minuten tötete Claudius ihn schnell in einer Stichflamme. Um das Gesinde noch weiter einzuschüchtern, ließ er den bereits toten Körper des Weinhändlers noch eine Weile weiterzucken. Dann verbrannte der Körper ohne Überreste. Wieder ließ Claudius die Gesellen heranschweben. In ihren Augen leuchteten Angst und Panik. „Ich will, daß ihr die Lieferverpflichtungen einhaltet. Was passiert, wenn jemand versucht, mich zu vergiften, habt Ihr ja gesehen. Und ich will nur die beste Qualität haben.“ Er nannte ihnen noch einen fairen Preis und fragte, ob sie noch irgend etwas anzumerken hätten. „Nein“, sagten sie im Chor, „wir werden alles so tun, wie Ihr es wollt, Herr.“ Claudius wandte sich an alle. „Keiner von Euch wird etwas von diesem Vorfall weitererzählen, sonst ...“ Sie schauten ihn verängstigt an. Er wußte zwar, daß sicher nicht alle es schaffen würden, darüber den Mund zu halten. Aber sie würden sich nicht trauen, offen davon zu berichten. Und gegen Gerüchte und Legenden über die Grausamkeit der Argowit hatte er nichts einzuwenden. Er stieg auf den Drachen und flog zurück zum Turm. Diesmal hatte er keine Gewissensbisse wegen des Weinhändlers. Er hatte getan, was getan werden mußte. Und es hatte ihm – wie er erleichtert feststellte – keine Freude bereitet. Karin fand bei seiner Rückkehr, daß er irgendwie eiskalt wirkte. Aber bereits am nächsten Tag war er wieder ganz der alte.
Gewißheit
Eine Woche später flogen Claudius und Karin mit zwei Drachen zu Agrippa. Auf einem saßen beide, der andere flog Schrauben, Loopings und Sturzflüge, daß jeder heruntergefallen wäre, der versucht hätte, auf ihm zu reiten. Es sah jedenfalls beeindruckend aus, auch wenn einem vom Zuschauen schon schwindlig wurde. „Er möchte sich jetzt nur etwas austoben. Nachher muß er ja genauso gesittet fliegen wie ich“, erklärte ihnen der Drache, auf dessen Rücken sie flogen. Schließlich landeten sie im Hof der schwarzen Burg. Agrippa hatte ihren Anflug beobachtet und schaute mit gemischten Gefühlen auf den Drachen, der sich gerade auch vor ihren Augen ausgetobt hatte. „Soll ich etwa auf diesem Wahnsinnigen fliegen?“, fragte sie Claudius, nachdem dieser abgestiegen war. Henrik stand auch im Hintergrund und war reisefertig. „Nein, ihr fliegt mit dem Drachen, den wir auf dem Hinflug hatten. Auf dem Rückflug will sich nämlich dieser austoben.“ Er grinste breit. Agrippa warf ihm einen gespielt giftigen Blick zu. Dann grinste auch sie. „Ich nehme auch meinen neuen Sklaven mit. Einerseits, damit es mir nicht langweilig wird, andererseits, weil bei unserer Aktion ein gelernter Dieb von Vorteil sein könnte. Eigentlich wollte ich auch noch ein paar Schattenkrieger mitnehmen, aber die haben sich geweigert, auf einen Drachen zu steigen.“ „Das hätte den Drachen auch nicht sonderlich gefallen. Sie haben wohl beide keine besonders hohe Meinung voneinander“, antwortete Claudius. „Ich hatte das erste Mal, seit ich die Schattenkrieger kenne, den Eindruck, daß sie bei dieser Vorstellung regelrecht in Panik geraten sind. Jedenfalls habe ich mit ihnen vereinbart, daß sie sich in der Nähe der Herberge bereithalten, falls wir sie brauchen.“
Der Flug verlief ereignislos, da beide Drachen ruhig und gesittet nebeneinanderher flogen. Sie landeten in der Abenddämmerung unweit der Herberge auf einer kleinen Lichtung. Beide Erhabenen hatten sich wieder in Kutten gehüllt, damit sie nicht erkannt wurden. Als die Herberge bereits in Sichtweite war, hielten sie an. Henrik wurde vorgeschickt, um sich im Haus unauffällig umzusehen. „Wenn Du glaubst, Du könntest die Gelegenheit zu einem Fluchtversuch nutzen, wirst Du es bitter bereuen“, tönte Agrippas Stimme in Henriks Kopf. Aber er wußte auch so, daß er keine Chance hatte. Sie könnte ihn im Umkreis von mehreren Kilometern mit ihren Gedanken erreichen und ihn alles tun lassen, was ihr gefiel. Also konzentrierte er sich auf seine Aufgabe. Mit professioneller Gelassenheit kletterte er über einen Schuppen auf das Dach der Herberge und stieg durch ein paar lose Dachschindeln ein. Unterhalb des Dachstuhls durchsuchte er die Räume der Wirtsleute, während diese unten bei den Gästen waren. Agrippa schaute durch Henriks Augen und schickte das Bild auch an Claudius weiter. Henrik sollte nichts mitnehmen, sondern sich nur umschauen. Claudius erkannte noch einige Gegenstände aus Eckharts Hausstand, darunter auch eine wertvolle Standuhr, die schon sehr alt war und in diesen Zeiten von niemandem mehr gebaut werden konnte. Es sah so aus, als wären die Wirtsleute mehr als nur ein bißchen an der Tat beteiligt gewesen.
Henrik kam zurück, ohne von jemandem bemerkt worden zu sein. Er bekam von Agrippa eine Kutte ähnlich ihrer in die Hand gedrückt. „Zieh sie an, wir gehen jetzt als Paar in die Herberge.“ Agrippa und Henrik gingen jetzt ganz offen auf die Herberge zu. Als sie sie betreten hatten, setzten sie sich zunächst an einen der Tische. Der Wirt fragte sie, ob sie etwas essen, trinken oder einfach nur ein Zimmer wollten. Sie entschieden sich zunächst fürs Trinken. Während Henrik mit dem Wirt sprach, drang Agrippa unbemerkt in seinen Verstand ein – wobei sie das Wort Verstand bei ihm als deutliche Übertreibung empfand. Er hatte ein ziemlich schlichtes Gemüt, dumm, faul und phlegmatisch. Aber er wußte von den Räubern, wenn auch nicht sehr viel. Seine Frau, die Wirtin, hielt den Kontakt zu ihnen. So warteten beide, bis die Wirtin das erste Mal in ihre Nähe kam. Agrippa brauchte mindestens einmal Blickkontakt, bevor sie jemandem in den Geist dringen konnte.
Leider ließ die Wirtin sich lange Zeit nicht blicken. Erst als praktisch alle anderen Gäste gegangen waren, kam sie vorbei. Sie schaute auf Agrippa in ihrer Kutte und fauchte ihren Mann an: „Die da kommt mir nicht ins Haus. Wirf sie auf der Stelle raus.“ Agrippa spannte sich. Sie trat auf die Wirtin zu und blickte ihr in die Augen. Dann drang sie schlagartig in deren Geist ein, ohne sich die Mühe zu machen, es unbemerkt zu tun. Und sie war überrascht. Vor ihr stand das Oberhaupt der Räuberbande. Was sie allerdings noch viel mehr überraschte und erschreckte war, daß die Wirtin ihr in ihrem Wesen verblüffend ähnlich war. Es war, als hielte ihr jemand ein häßliches Spiegelbild vors Gesicht. War es wirklich das, was andere auch in ihr sahen? Die Wirtin merkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Diese große Frau in der Kutte, die sich vor ihr aufgebaut hatte und das komische Gefühl in ihrem Kopf. Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte aus der Herberge in den Wald. Agrippa war von dem Eindruck noch so perplex, daß sie der Wirtin einfach nur hinterher starrte. Aber sie konnte die Wirtin jetzt ohnehin in der näheren Umgebung jederzeit aufspüren. Der Wirt hatte die Szene mit verständnislosem Blick beobachtet. Claudius und Karin kamen in die Herberge gelaufen, nachdem sie die Wirtin hatten flüchten sehen. Im Raum waren nur noch der Wirt, die beiden Erhabenen, Karin und Henrik. Der Wirt kam auf Claudius zu und sagte ihm, daß sie bereits geschlossen hätten. Claudius streifte wortlos seine Kutte ab und schob ihn beiseite. Als der Wirt ihn unverhüllt sah, fiel zuerst seine Kinnlade herunter. Dann breitete sich ganz allmählich Erkenntnis auf seinem Gesicht aus und schließlich wurde diese von Panik verdrängt. Er stolperte rückwärts durch den Raum und blieb in einer Ecke stehen, da er nicht weiter zurückweichen konnte. Sein Gesicht war kalkweiß.
„Was ist los, Agi“, wollte Claudius von ihr wissen. Sie schüttelte den Schrecken über diese unangenehme Selbsterkenntnis ab und sagte ihm, daß die Wirtin der Boß der Räuber war. Claudius fragte sich, warum sie sie nicht aufgehalten hatte und warum sie so fahrig wirkte. Agrippa ließ auch ihre Kutte achtlos zu Boden gleiten. Und sie schaute Claudius mit einem Ausdruck in den Augen an, den er bei ihr zum letzten Mal gesehen hatte, als er in einem Wutanfall ihre Eltern umgebracht hatte. Entsetzen und Trauer. „Was ist mit Dir“, fragte Claudius sie eindringlich. Nachdem auch Agrippa sich zu erkennen gegeben hatte, war der Wirt bewußtlos zusammengebrochen. „Es ist nichts, es geht schon wieder.“ Sie straffte sich. „Ich weiß jetzt, wo die Räuber ihren Unterschlupf haben.“
Die Räuberhöhle
Henrik und Karin fesselten den Wirt, während Agrippa Claudius den Weg zum Unterschlupf der Räuber erklärte. „Kommst Du denn nicht mit, Agi?“ Ihr Gesicht war versteinert. „Ich muß mich einen Moment – ausruhen.“ Ihre Augen wanderten unruhig hin und her. „Ich komme dann später nach. Die Schattenkrieger werden Dich begleiten.“ Zehn von ihnen kamen gerade durch die Tür. Der Wirt, der gerade erst wieder zu Bewußtsein gekommen war, sank bei ihrem Anblick sofort wieder in die Bewußtlosigkeit. Claudius war über ihr Verhalten verwirrt. Aber er wollte zuerst die Angelegenheit zuende bringen. Deshalb verließ er mit Karin und den Schattenkriegern die Herberge und sie begaben sich auf den Weg zu der Räuberhöhle. Und soweit er Agrippa verstanden hatte, war es wirklich eine natürliche Höhle, die die Räuber zu einer kleinen Festung ausgebaut hatten. Mit normalen Mitteln wäre es schwer gewesen, sie dort herauszuholen. Aber Claudius hatte ja weit mehr als normale Mittel zur Verfügung. Die Schattenkrieger gingen in zwei versetzten Reihen rechts und links des Weges im Wald, während Claudius in der Mitte des Weges ging und Karin ihm mit deutlichem Abstand folgte. Plötzlich kamen einige Pfeile auf Claudius zugeflogen. Aber sie verbrannten noch in der Luft, bevor sie auch nur in seine Nähe kamen. Die Bogenschützen erkannten, wer da den Weg entlang kam und flüchteten.
Schließlich kamen sie vor der Räuberhöhle an. Claudius wies Karin an, in Deckung zu bleiben. Die Höhle war mit großen Balken verbarrikadiert. Dahinter standen Räuber mit Bogen und beschossen Claudius und die herannahenden Schattenkrieger. Diese nahmen ihrerseits Bögen zur Hand und schossen präzise und emotionslos einen Bogenschützen nach dem anderen von der Barrikade. Claudius wies die Schattenkrieger an, nach anderen Ein- bzw. Ausgängen der Höhle Ausschau zu halten. Dann ließ er die Barrikade in Flammen aufgehen. Die Verteidiger flüchteten weiter in die Höhle. Claudius bahnte sich mit Feuer seinen Weg. Plötzlich kamen ihm die Schattenkrieger entgegen. Sie hatten zwei Hintereingänge gefunden und rollten die Höhle von den anderen Eingängen her auf. Claudius folgte einfach den Schattenkriegern, die die Räuber immer tiefer in die Höhle hineintrieben. Die Räuber hatten nicht die Spur einer Chance, so daß Claudius auf den Einsatz seiner Gaben verzichtete, um die Schattenkrieger nicht zu gefährden. Ihm fiel auf, daß es immer mehr Krieger wurden. Und zwischen ihnen liefen riesige, schwarze Spinnen. Er ahnte, was hier passieren würde. Darum rief er einem der Schattenkrieger zu, daß er die Wirtin lebend haben wollte. Der nickte und meinte, daß auch sie die meisten Räuber lebend haben wollten. Schließlich kam Claudius hinter den Kriegern in eine besonders große Grotte. Die Räuber hatten sich hier verschanzt. Die Wirtin war in ihrer Mitte und bellte Befehle. Claudius ließ sie zuerst hoch und dann auf sich zu schweben. Die Wirtin und die Räuber waren entsetzt. Dann, als die Wirtin sich bereits abseits vom Geschehen in der Luft befand, griffen die Krieger mit den Spinnen an. Claudius wandte sich ab und verließ mit der hinter ihm herschwebenden Wirtin die Räuberhöhle. Hinter ihm tobte ein einziges Gemetzel.
Während Claudius und die Schattenkrieger mit den Räubern kämpften, saßen Agrippa und Henrik in der Herberge. Agrippa sah so elend aus, wie sie sich fühlte. Henrik wußte nicht warum, aber sie tat ihm leid. Und er fragte sie, ob er irgend etwas für sie tun könne. Sie schaute ihn verwundert an. Und sie spürte ein für sie unbekanntes Gefühl in ihm – Mitgefühl. Dann tat Henrik etwas, daß weder er noch sie verstand. Er nahm sie in den Arm. Und während sie leise weinte, tröstete er sie. Es war ihr, als zerbrächen die Mauern um ihre Persönlichkeit, die sie mühsam aufgebaut hatte. Sie fühlte sich schutzlos, aber auch bei Henrik geborgen. Und sie verstand sich selbst nicht mehr. Es hatte sich nichts daran geändert, daß es sie erregte, anderen ihre Überlegenheit zu zeigen. Aber sie empfand plötzlich so etwas wie Achtung für diejenigen, die sie bisher nur als Mittel zum Zweck betrachtet hatte. Insbesondere für Henrik empfand sie etwas, daß nicht sein durfte.
Claudius hatte die Wirtin zu Karin gebracht. „Weißt Du, warum ich Dich geholt habe?“, wollte Claudius von der Wirtin wissen. „Seit wann braucht ihr Argowit einen Grund für eure Untaten?“, gab die Wirtin patzig zurück. „Du hast es gerade nötig, von Untaten zu reden“, mischte Karin sich ein. Die Wirtin schaute irritiert zu Karin. Dann erkannte sie sie. „Halt den Mund, du Stück Dreck“, fuhr sie Karin an. Diese lächelte nur kalt. Die Zeiten, in denen die Wirtin ihr einreden konnte, sie sei wertlos, waren unwiederbringlich vorbei. „Es wird Zeit, daß Du für die Ermordung meiner Eltern und für das, was Du mir 20 Jahre lang angetan hast, eine angemessene Strafe erhältst“, erklärte ihr Karin mit eiskalter Stimme. Die Wirtin blickte abwechselnd Karin und Claudius an. Dem Trotz in ihrem Blick wich allmählich Angst. Einige Schattenkrieger kamen aus der Höhle. Sie waren blutverschmiert, insbesondere im Gesicht. Und sie sahen sehr zufrieden, ja geradezu euphorisch aus. Karin schauderte und Claudius fragte sich, ob er wissen wollte, was sich in der Höhle abgespielt hatte und immer noch abspielte. Einer der Schattenkrieger sagte etwas von „Festmahl“ und einem „großes Gelege“, daß jetzt ausreichend mit Futter versorgt wäre. Claudius begann zu ahnen, was der Schattenkrieger vorhin gemeint hatte, als er sagte, daß auch sie die meisten Räuber lebend haben wollten. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er es nicht verstanden hätte. Und auch Karin schien zu erkennen, wofür die Schattenkrieger die Räuber haben wollten. An Claudius gewandt sagte sie: „Ich glaube, es ist gar nicht nötig, daß wir uns um ihre Bestrafung selbst kümmern. Vielleicht sollten wir die Wirtin wieder zu ihren Spießgesellen zurückschicken.“ Claudius schaute sie ernst an. „Du weißt, was Du vorschlägst?“ Er wollte nicht, daß Karin später Gewissensbisse wegen ihrer Entscheidung bekam. Karin schaute ihn ernst an. „Ich bringe nicht die Grausamkeit auf, sie so zu bestrafen, wie sie es verdient hätte. Und mir wäre lieber, wenn Du es auch nicht tätest.“ Er nickte. Auch die Wirtin schien allmählich zu begreifen. „Was habt Ihr mit mir vor?“, schrie sie schrill. Claudius sagte einem der Schattenkrieger, daß er die Wirtin wieder mit in die Höhle nehmen könnte. Die Wirtin wurde schreiend und um sich schlagend von drei Schattenkriegern zurück in die Höhle getragen. „Laß uns gehen“, sagte Claudius und sie gingen zurück zur Herberge. Er hoffte, daß er den heutigen Tag bald wieder aus seinem Gedächtnis verbannen könnte.
Veränderungen
Auf dem Rückweg verflog bei Karin allmählich das Hochgefühl, daß sich bei ihr mit der Bestrafung der Wirtin eingestellt hatte. Sie begann sich zu fragen, ob ihre Entscheidung, die Wirtin den Schattenkriegern zu überlassen, nicht zu grausam gewesen war. Dann rief sie sich die 20 Jahre in der Herberge in Erinnerung. Und die Ermordung ihrer Eltern, an die sie sich praktisch nicht mehr erinnerte. Danach hatte sie nicht mehr das Gefühl, daß die Strafe der Wirtin unangemessen grausam war. Aber ihr wurde auch klar, was es für eine Verantwortung bedeutete, über das Schicksal anderer Menschen zu entscheiden. Sollte sie jemals wieder in die Situation kommen, das Schicksal eines Menschen entscheiden zu müssen, würde sie sich mehr Zeit lassen, darüber nachzudenken. Auch wenn es bei der Wirtin wohl kaum zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Als sie wieder in der Herberge ankamen, hatte sich Agrippa wieder völlig unter Kontrolle. Innerlich war sie allerdings immer noch aufgewühlt. Erst Karin mit ihrer Liebe für Claudius, dann der Drache, diese Wirtin und schließlich ihre plötzlichen Gefühle für Henrik. Sie würde wohl einige Zeit brauchen, um sich darüber klar zu werden, wie es mit ihr weiterging. Eine Entscheidung traf sie allerdings sofort. Und sie würde sie noch heute umsetzen, wenn sie wieder in ihrer Burg war. Claudius kam auf sie zu und fragte sie, ob es ihr wieder besser ging und ob er ihr irgendwie helfen könnte. Sie schaute ihn dankbar an, meinte aber, daß es schon wieder in Ordnung sei. Claudius schaute zweifelnd, bedrängte sie aber nicht weiter. Er nahm sich allerdings vor, sie in den nächsten Tagen noch mal zu besuchen. „Was machen wir mit dem Wirt“, wechselte Agrippa das Thema. Der war inzwischen wieder bei Bewußtsein. Claudius schaute auf Karin. Und diese erinnerte sich an ihren Vorsatz, erst gründlich nachzudenken, bevor sie solche Entscheidungen traf. „Ich würde mir das gerne in Ruhe überlegen. Können wir ihn nicht einfach zunächst mit auf die Lichtung nehmen?“ Claudius fand, daß es eine weise Entscheidung sei. Auch Agrippa signalisierte Zustimmung. Henrik wurde noch einmal durch die Herberge geschickt, um alle Wertgegenstände und Erinnerungen an Eckhart zu holen. Er legte alles auf einen kleinen Handwagen, den er in einem Schuppen gefunden hatte und sie verließen damit die Herberge, in der sich jetzt niemand mehr befand. Claudius ließ sie innerhalb von Sekunden bis auf die Grundmauern niederbrennen.
Sie kamen auf der kleinen Lichtung an, wo die beiden Drachen auf sie warteten. Agrippa verabschiedete sich noch von Claudius. „Auf das Ausleihen von Karin verzichte ich. Es würde mich allerdings freuen, wenn Ihr beide mich öfter besuchen kommen könntet.“ Claudius versprach, daß sie das schon bald tun würden. Dann flogen sie auf den Drachen direkt zu ihren Residenzen. Der Drache, auf dem Claudius, Karin und der gefesselte Wirt saßen, hatte den Handwagen mit den Erinnerungen an Eckhart in einer seiner großen Krallen. Claudius und Karin ließen nach ihrer Ankunft den Inhalt des Handwagens überwiegend in Karins Zimmer bringen und brachten den Wirt in ein Verließ im unteren Teil des Turms. Anschließend unterhielten sie sich noch über die Erlebnisse des Tages. Und sie berieten, was sie mit dem Wirt machen sollten. Einerseits gehörte er auch in gewissem Umfang zu der Räuberbande, andererseits war er aber bestenfalls Mitläufer, genaugenommen eigentlich nur Mitwisser bei den Taten gewesen. Sein Verhalten gegenüber Karin war in ihren 20 Jahren in der Herberge überwiegend gleichgültig gewesen, so daß sie auf ihn nicht den Haß hatte, den sich die Wirtin bei ihr „erarbeitet“ hatte. Gut behandelt hatte er sie allerdings auch nicht. Da er ziemlich dumm war, konnte man von ihm allerdings auch nicht erwarten, daß er sich großartig über sein Verhalten Gedanken gemacht haben könnte. Schließlich stimmten Claudius und Karin darin überein, dem Wirt zukünftig die Reinigung der Drachenunterkünfte zu übertragen. Es war keine besonders angenehme Arbeit, aber sie war auch nicht wirklich schlimm. Und er machte sich auf diese Weise noch nützlich. Wenn er seine Arbeit ordentlich erledigte, würden sie ihn nicht weiter bestrafen.
Nach ihrer Ankunft ging Agrippa in ihrer schwarzen Burg erst einmal daran, einiges zu ändern. Die Innenmauern der Burg ließ sie in freundlichen Farben anmalen. Nur von außen sollte sie noch bedrohlich schwarz wirken. Zwei ihrer Lustsklaven, die sie schon seit Wochen in Verzweiflung hielt, wurden befreit und durften sich erholen. Dann ging sie mit Henrik in ihre Gemächer. Er wurde mit gespreizten Armen und Beinen an einer Wand befestigt und Agrippa nahm ihm den Keuschheitsgürtel ab. Zwei Sklavinnen kamen mit einer Schüssel, die mit Wasser und einem öligen Zusatz gefüllt war und begannen, Henrik dort gründlich zu säubern, wo er seit Wochen den Keuschheitsgürtel trug. Er war bei den Berührungen sofort erregt. Nachdem die Sklavinnen mit ihm fertig waren, begannen sie, den Keuschheitsgürtel mit der gleichen Sorgfalt zu reinigen. Henrik befürchtete, daß er gleich wieder darin verschlossen werden würde.
Aber als die Sklavinnen auch diese Reinigung beendet hatten, verließen sie einfach den Raum. Agrippa zog sich lasziv vor seinen Augen aus, was seine Erregung deutlich steigerte. Und sie begann, den gefesselten Henrik sanft zu streicheln. Er war einerseits sehr erregt, andererseits hatte er Angst, weil er nicht zu hoffen wagte, daß Agrippa ihm weitere Grausamkeiten ersparte. Und es mischten sich noch zwei weitere Gefühle in seine Verfassung. Seine Hilflosigkeit ihr gegenüber erregte ihn. Und er fühlte sich – auch außerhalb seines aktuellen sexuellen Verlangens – zu Agrippa hingezogen. Sie genoß seine Gefühle und wunderte sich, daß es sie auch erregte, obwohl Verzweiflung diesmal gar nicht dazugehörte. Ob sie zukünftig darauf verzichten könnte, ihre Lustsklaven in die Verzweiflung zu treiben ohne deshalb selbst auf Freuden verzichten zu müssen? Sie würde es jedenfalls ausprobieren.
Zunächst aber widmete sie sich mit großer Aufmerksamkeit Henrik. Sie trieb ihn immer wieder bis dicht vor einen Orgasmus, um ihn dann wieder ein bißchen abkühlen zu lassen. Seine Furcht vor ihren Grausamkeiten wurde von seiner Erregung und dem eindringlichen Sehnen nach Erlösung hinweggespült. Er genoß es, auch wenn ihn ihr Spiel mit seinem Verlangen allmählich fertig machte. Schließlich erlaubte sie ihm einen explosiven Orgasmus. Sie befreite ihn und ließ ihn einen Moment bei ihr im Bett ausruhen. Wenn er jetzt einschläft, kann er was erleben, dachte sie. Aber nach einer kleinen Pause begann er selbständig damit, sie zu streicheln. Sie räkelte sich lustvoll und genoß seine Liebkosungen. Und er machte sich jetzt den Spaß, auch sie ganz langsam und in Intervallen an ihren Höhepunkt heranzuführen. Er tat es allerdings nicht in dem Wunsch, sich bei ihr zu revanchieren, sondern um ihr einen besonders schönen Orgasmus zu ermöglichen. Sie genoß nicht nur sein Streicheln, seine freiwillige Aufmerksamkeit und Zuneigung gaben ihr einen zusätzlichen Kick, auf den sie zukünftig nicht mehr verzichten wollte.
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Eine excellente Geschichte die uns nach weiteren Ausführungen und Fortsetzungen lechzen läßt!
Danke für diese Geschichte!
Martin und Barbara«
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Ich hab noch keine zeit sie selbst zu lesen, aber sie ist im BDSM-Netz Board von Why-Not gepostet worden.
Ich selbst hab Why-Not gefragt, ob er nicht seine großartigen Geschichten hier reinstellen möchte.
MFG
Datafreak«
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Ein sich auf die naechste Geschichte freuender
MiCrO«
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Besere wäre es, zu sagen: "Warum man gerade deine Geschichten lesen soll"!
Zuerst "Dunkle Wolken über Landor" (und auch noch andere Geschichten) und nun "Die Erhabenen" es ist immer wieder eine wahre Wonne etwas von dir zu lesen.«
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sehr fantasievoll geschrieben, nicht das sonstige "ich lass dich nur kommen wenn ich es will"...
bin gespannt auf teil 2.«
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Ich konnte einfach nich aufhören zu lesen. So Gute Geschichten gibts eben nur bei Why-Not (-;
Weiter so und bitte bitte mehr davon
Gruß
kampfbearchen«
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Ich lese die Geschichten von Why-Not immer wieder gerne. Vielen Dank dafür, dass wir an diesen Teil haben dürfen.
Viele Grüße«
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Zur Zeit eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten - und ich freue mich schon sehr darauf, gleich den zweiten Teil zu lesen!«
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