Die Konferenz
von aweiawa
Gekommen waren sie alle, die Einladung war sehr dringlich gewesen. Zudem lag die letzte Veranstaltung dieser Art bereits Jahre zurück. Früher, vor langer Zeit, hatten diese Konferenzen jährlich stattgefunden, sie hatten sich ausgetauscht und an ihren Nuancen gearbeitet. Doch nach dem großen Krach vor etwa 50 Jahren waren die Abstände größer geworden. Damals waren sich zunächst Fellatio und Cunnilingus über die völlig nebensächliche Frage, wer von ihnen beliebter sei, in die Haare geraten. Dann hatten sich immer mehr Worte eingemischt. Koitus beanspruchte die Krone für sich und erklärte beide nur zu einer Beilage, sich selbst aber zum Hauptgericht.
Voller Zorn über diese Anmaßung mischte sich Analpenetration ein. Das wollte sie nicht auf sich sitzen lassen, und Homoerotik stimmte ihr lauthals zu. So kam eines zum anderen, und die ganze Veranstaltung endete in einer verbalen Massenschlägerei.
Penis und Schwanz, die beiden Brüder, kämpften um die Vorhaut, Wichser und Onanie zeigten sich die Fäuste, Schwanzlutscher und Mösenlecker kreuzten ihre Zungen, während Ejakulation und Natursekt sich gegenseitig nass spritzten. Ein Durcheinander sondergleichen, das allen die Lust auf eine Folgeveranstaltung für einige Jahre raubte.
Auch in den wenigen Folgetreffen ging es hoch her, und selbst die zeitlose Liebe hatte es nicht geschafft, die gegenseitigen Diskriminierungen einzudämmen.
Doch jetzt, nach 15 Jahren, in denen keine Versammlung stattgefunden hatte, wurden alle durch einen Notruf aufgerüttelt.
In Berlin hatte sich ein neues Forum für erotische Literatur etabliert, so hieß es in der Nachricht, und dort gab es eine Inflation und Umkehrung der Werte. Worte, die bisher einen geringen Rang innehatten, kämen dort groß heraus, und andere altehrwürdige Worte gerieten in Vergessenheit.
Und so kamen sie alle, folgten dem Aufruf und trafen sich zu einer Konferenz, um der Umwertung der Worte entgegenzutreten.
Nach und nach fanden sie sich ein. Ejakulation war zu früh gekommen, wie meistens, Präservativ hatte sich in schreiende Farben gekleidet, Gruppensex kam wieder nicht alleine, obwohl das streng untersagt war, und als Befriedigung endlich da war, konnte der Saal geschlossen werden, sie war wie immer die Allerletzte.
Kaum waren die Pforten geschlossen, kam es zu Protesten, denn Gier und Frust hatten zu rauchen begonnen, was Sensibilität so aufregte, dass sie sich fast in einem Mauseloch verkroch, was wiederum Schamesröte zu völlig neuen Farbnuancen anregte. Diese Auseinandersetzung war jedoch bald beigelegt, denn Striptease lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich, als sie Liebeslied zum Singen aufforderte und sich ihrer Kleider zu entledigen begann.
Das ganz normale Chaos also, nicht Besonderes.
Doch dann trat Liebeserklärung vor ans Rednerpult, um zu erklären, was der Anlass des heutigen Treffens war.
„Meine Lieben, schön, dass ihr alle so zahlreich gekommen seid.“
An dieser Stelle wieherte der ganze Saal, und für gut fünf Minuten konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Zote konnte sich fast nicht mehr beruhigen, hielt sich den Bauch vor Lachen.
Als endlich wieder Ruhe eingekehrt war, hatte sich Liebeserklärung verschämt zurückgezogen, und Sehnsucht hatte die Tribüne betreten.
„Ich habe mich so nach euch allen verzehrt, schön dass ihr alle da seid.“
Einige Gluckser waren zu hören, doch als Sadismus böse in die Runde schaute, kehrte schnell wieder Ruhe ein, so dass Sehnsucht fortfahren konnte.
„Sicher habt ihr alle schon gehört, dass unsere vielgeliebte Sexgeschichte, - hallo, wo bist du, heb doch mal die Hand, damit dich alle sehen können - in Berlin eine neue Heimat gefunden hat. Doch schaut sie euch mal genau an, ihr werdet sie nicht wiedererkennen. Komm doch mal hier herauf aufs Podest, liebe Sexgeschichte, damit alle dich gut sehen können.“
Sexgeschichte trat vor und alle starrten sie an, so dass sie rot anlief und Schamesröte fast Konkurrenz machen konnte.
Es war leicht zu sehen, dass sie sich gegenüber früher verändert hatte. Doch niemand konnte so recht sagen, was denn nun anders war. Erst als sie begann, sich zu entkleiden, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Ihr Körper war in Planquadrate eingeteilt, und wie das gezeichnete Schwein in alten Kochbüchern, dessen Partien mit den entsprechenden Bezeichnungen der Fleischstücke versehen war, waren diese Felder mit Namen versehen.
Raucherstimme trat näher und las laut vor: „Sex stories, soft stories, Gruppen, Teen, Partner“ ...bis sie zu „Schwul, Sonstiges und Neu“ kam.
Ein anschwellendes Getuschel übertönte fast die letzten Worte. Wie war das zu verstehen? Wollten die Menschen jetzt anfangen, die Sexgeschichten zu katalogisieren und in Schubladen zu verpacken. Dann taten sie das mit den Worten wohl auch in nächster Zukunft?
Das wollten sie sich nicht gefallen lassen, darüber waren sie sich alle einig. Doch wie sollten sie sich zur Wehr setzen.
Masochismus drängte sich vor ans Rednerpult und schmetterte in den Raum:
„Wir werden uns alle selbst eliminieren, dann sehen die Menschen, was sie davon haben.“
Natürlich, er schüttete mal wieder das Kind mit dem Bade aus, und außer von Sklave und Sklavin erntete er nur Buh-Rufe.
Doch dann geschah das, weswegen diese Konferenz als die schlimmste Keilerei aller Zeiten in die Annalen eingehen wird. Es trat ein grell geschminktes Wort ans Mikrofon, das kaum jemand kannte, das niemand auf seiner Rechnung hatte, und dem Vulgarität direkt auf den Fersen stand. Votze riss das Mikrofon zu sich her und schmetterte in den Raum:
„Ihr verfickten Ärsche, wenn ihr glaubt, dass ich aus Solidarität zu euch auch nur einen Finger rühre, dann habt ihr euch geschnitten. Letztlich sind die meisten von euch nichts anderes als überflüssige Altertümer und unnutzes Beiwerk zu mir und meiner Schwester. Komm Fotze, wir gehen nach Hause, die haben noch gar nicht bemerkt, dass jetzt wir und ein paar Freunde die Welt der Worte beherrschen.“
Einige altehrwürdige, doch in letzter Zeit in Vergessenheit geratene Worte fielen ob dieser Ungehörigkeit in Ohnmacht, Godemiché musste gar wiederbelebt werden.
Andere kicherten, denn sie fühlten sich der neuen Elite zugehörig. Geilheit grinste frech, und die Zwillingsschwestern Votze und Fotze ließen sich von Faustfick und Arschfick auf den Schultern tragen.
Jetzt ging es drunter und drüber. Die neu zu Ruhm und Ehre gekommenen, früher verachteten und scheel angesehenen Worte, bildeten eine Phalanx und stürmten durch den Saal, ohne Rücksicht auf die zarter besaiteten Mitglieder der Konferenz. Metze wurde von Hure niedergetrampelt, Phallus ging unter den Fäusten von Schwanz und Schwengel zu Boden. Möse und Muschi tanzten durch die Menge, als ginge sie das ganze Tohuwabohu gar nichts an. Ohne es auch nur zu bemerken, rempelten sie Vagina zu Boden, und Klitoris, die sich wie immer ganz ich ihrer Nähe aufgehalten hatte, bekam auch ihr Teil ab.
Der hochbetagte Penis, der kaum mehr stehen konnte, versuchte sich Gehör zu verschaffen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er war ja so sensibel, der Gute.
Als endlich das Chaos perfekt war, zogen die Rabauken ab und ließen einen Ort der Verwüstung zurück. Vagina leckte ihre Wunden und streichelte Klitoris über den Kopf. Sie hatte einiges abbekommen.
Einige Neulinge, die mit der Horde verschwunden waren, hatte noch keiner von ihnen jemals zuvor gesehen. Was sollte etwa Cybersex bedeuten, keiner von ihnen hatte eine Ahnung. Und wie hatte der sich aufgespielt.
Sogar zu einem Bruderzwist war es gekommen, denn Schwanz hatte Penis über die Eichel gehauen, und ihm Schimpfwort an den Kopf geworfen. Was war das für eine Welt, in der solches geschehen konnte? Wie hatte sich alles verändert in den letzten paar Jahren, und keiner von ihnen hatte es gemerkt.
Aweiawa© April 2007
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Es hat einen Riesenspaß gemacht, an der Geschichte zu feilen, bis die Wortwitze saßen. Musste manchmal selber lachen.
@Steffi
Tja, ich sehe das Problem, mit dem schlage ich mich auch herum. Ich verwende meist Schwanz (Penis klingt so medizinisch). Möse und Muschi (Fotze finde ich furchtbar), Knospe und Klitoris, auch mal Perle. Dann noch Nippel statt Brustwarze, weil mir der Wortteil Warze einfach nicht gefällt. Je nach Textstelle passen dann auch mal etwas ausgefallenere Worte, auch mal poetische. Aber sag mal, was schreibst du denn, ich kenne dich gar nicht als Autorin? «
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Unglaublich. Habe mich köstlich über diese außergewöhnliche Geschichte amüsiert.
LG Mondstern«
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Obwohl ich mir ein Techtelmechtel zwischen dem "hochbetagten Penis, der kaum mehr stehen konnte" und den "Zwillingsschwestern Votze und Fotze" hätte vorstellen können.
Nach der Konferenz, selbstverständlich. :-)
«
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liebe Grüße
cat «
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Die Idee ist nicht nur witzig, sie wurde auch sehr gut umgesetzt.
Why-Not«
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komme aus dem grinsen fast nicht mehr raus :D«
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Ein prima Beispiel dafür, dass Sprache lebt. «
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aber ich habe beim schreiben immer ein problem, was das geschlecht betrifft. penis geht immer noch, aber vagina klingt komplett unerotisch, fotze, muschi gehen auch gar nicht, oder nur in ausnahmefällen.
clit geht immer noch. knospe und blüte klingt albern. und scheide geht ja gar nicht.
hast du eine idee???
lg steffi«
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Was sonst könnte ich dazu sagen??«
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