Die Mauern in seinem Kopf...
von Michael Berger
Rat und Hilfe erwartete er sich von seiner Therapeutin, aber dann im Stadtpark, beim Nachhauseweg, kam alles ganz anders wie erwartet....
Es war ein behagliches Zimmer, freundlich und warm eingerichtet. Das Licht war gerade noch so hell, dass erotische Phantasien die Hemmschwelle des Tagesbewusstseins überschreiten mussten und doch so gedämpft, dass man unwillkürlich auf sich selbst, seine Träume und Ängste zurückgeworfen wurde. Michael wusste gar nicht, wie viele Stunden er schon in diesem Sessel verbracht hatte, in Auseinandersetzung mit sich und im Gespräch mit seiner Therapeutin.
Sie saß entspannt ihm schräg gegenüber und hatte ihre großen, braunen Augen auf ihn fixiert.
Dieses Verständnis, dieses wortlose Gefühl von "bedingungslos angenommen sein" verspürte er nur hier, und in wenigen Minuten würde er die Türe hinter sich schließen und wäre wieder in den geifernden Rachen der Welt geworfen.
"Nicht, dass ich keinen guten Sex hätte", hörte er sich sagen und im gleichen Augenblick unterbrach ihn auch schon sein innerer Zensor, der ihm Arroganz, Überheblichkeit und Eigenliebe vorwarf, er aber beschloss, diese Einwände und Gedanken zumindest jetzt im Augenblick für sich zu behalten.
"Ich genieße den Sex, ich möchte behaupten, er ist ein Hobby von mir, ich könnte nie ohne regelmäßigen, täglichen Sex leben, wenn man so etwas sagen kann, und doch, ein wesentlicher und wichtiger Teil von mir bleibt davon unberührt, wie ein innerer Fremder, der sich nach Berührung sehnt, und doch immer draußen bleibt, als schweigsamer, distanzierter Beobachter".
Er hoffte, sie würde ihm weiterhelfen, die peinliche Pause überbrücken, die das plötzlich aus dem Nichts entstand, sie aber schwieg beharrlich, nur ihre warmen Augen waren aufmerksam auf ihn gerichtet.
"Dabei schwärmen meine Partnerinnen von meinem Gefühl, von meiner Fähigkeit, ihre geheimsten Wünsche und Begehrlichkeiten zu erahnen, herauszuholen aus den Tiefen ihrer Innerlichkeit, umzusetzen und sie zur Ekstase zu führen. Und ich bleib von dem ganzen unberührt, wie ein unbeteiligter Zuseher in einer blank polierten Rüstung aus kaltem Metall...".
Es war, als ob er sich selber als Zuschauer erlebte, eingefangen von diesem Drama auf der Bühne da oben und er war heilfroh, als sie endlich den Mund aufmachte.
"Diese grenzenlose Sehnsucht nach Berührung, dieses Bedürfnis, aufgefangen zu sein in einen Kokon aus Haut, Wärme und alle Grenzen überwindenden Nähe - und gleichzeitig dieses innere Wissen, nie genug davon zu bekommen, immer hungrig vom Tisch, vom Bett aufzustehen, was immer auch an Highlights man auch gerade erlebt hat.... Ich weiß, was du meinst." Er sog ihre Worte von den Lippen wie ein Verdustender die letzten Wassertropfen aus einer Flasche, die ihm vielleicht für weitere Augenblicke das Überleben, Weiterleben ermöglichen würden.
"Wenn ein Säugling - aus welchen Gründen auch immer - in den ersten Lebensmonaten überfordert wird, dann steht er vor der Alternative, sich entweder aus dieser für ihn harten, kalten Welt zu verabschieden, oder er versucht, sich seiner Umgebung notgedrungen anzupassen. Wählt er den zweiten Weg, entwickeln solche Kinder ein unheimliches "Gespür" für ihre Umgebung, ein Gespür, dass für Außenstehende schon unheimlich, fast hellseherisch wirkt. Und dabei ist es nur die Fähigkeit, die Bedürfnisse der Umgebung zu erspüren, bevor sie zu einer Gefahr für einen selber geworden sind..." In der Theorie klang alles so einfach, passte alles zusammen wie die Einzelteile von einem riesigen, kreativen Puzzle. Doch in letzter Konsequenz machten sie ihn nur mit seinem inneren "Gefängnis" vertraut, niemals führten sie ihn aber daraus hinaus.
"Im Laufe der Jahre entwickeln solche Kinder ein hochentwickeltes, inneres Antennensystem, mit dem sie befähigt sind, in Sekundenbruchteile die Ängste, Sehnsüchte, Träume ihrer Umgebung wahrzunehmen und in Worte oder in Handlungen umzusetzen..." Genauso war es.
Unzählige Male hatte er Frauen angesprochen, mit seinem treuherzigen Dackelblick, wie ihn seine Freunde neidisch hänselten. Rasch war er im Bett gelandet und es hatte nie lange gedauert, und sie waren Lichtjahre weg von dem, was diesen Frauen im Bett bisher vertraut und bekannt war. Ob sie sich nun stolz, nackt und bloß wie eine Schaufensterpuppe am Fenster feilboten, ob sie innerlich bebend ihren Eigenwillen aufgaben und sich in seinen Willen ergaben, ob sie über Nacht all ihre bisherigen Träume von Karriere und Beziehung wie welk gewordene Blätter aufgaben und nur den gemeinsamen Stunden mit ihm entgegenfieberten, für immer bei ihm bleiben, heiraten, gemeinsame Kinder haben wollten, immer verstand er es mit einer inneren, untrüglichen Sicherheit, die Beziehung im Bett dahin zu lenken, wo sie für seine Partnerin bedrängend, geheimnisvoll, erfüllend und ekstatisch war.
Nie bumste er um des bumsens willen. Sexualität war für ihn immer der Versuch, sich selber und den anderen auf die Schliche zu kommen, das Reitpferd, mit dem man geheimnisvolle, unbekannte Ländereien erforschen, ihnen die letzen Geheimnisse entreißen konnte.
Er liebte es, auf dieser erotischen Entdeckungsreise der Begleiter zu sein, gemeinsam mit "ihr" neue Kontinente zu erforschen, die innere Landkarte von den letzten weißen Flecken zu säubern. Keine war wie die andere, immer gab es neues zu entdecken und doch... Sooft er aus dem durchgeschwitzten Bett wie nach einer rauschhaften, durchzechten Nacht aufstand und sich wieder anzog, war es wieder da, dieses Gefühl der innerer Leere, diese Ahnung, wieder um das Wesentliche, von dem er selber nicht genau wusste, was es eigentlich sein sollte, betrogen worden zu sein.
Leise erinnerte ihn das Piepsen der elektronische Uhr schräg von ihm gegenüber, dass seine Therapiestunde vorbei war.
Er stand auf, wie immer viel zu früh aus seinen Bedürfnissen gerissen, er wollte seiner Therapeutin aber nicht zu Last fallen, draußen im Wartezimmer wartete schon - er wusste es - der nächste Klient auf seine Chance. Er zog seine Geldtasche hervor, eine Bewegung, die ihn jedes mal auf's Neue störte, er kam sich vor wie ein Kunde in einem schäbigen Buff in irgendeiner Seitenstrasse in der Altstadt. Verschämt war er vor einer Stunde eingetreten, immer darauf achtend, dass im kein Bekannter über den Weg lief. Jetzt war Zeit war vorbei, er hatte bekommen, wovon er geträumt hatte, oder auch nicht, jetzt ging es an's bezahlen, das Leben war keine Selbstbedienungsladen, in dem man etwas geschenkt bekam, und dann raus auf die Strasse.
Michael schlug den Mantelkragen hoch und zog die schwere Türe mühsam auf. Draußen empfing ihn der Lärm und die Hektik der Strasse. Am liebsten hätte er die Türe mit einem lauten Knall wieder zugeworfen, wäre geflüchtet in die Ruhe und Beschaulichkeit seines ihm so vertraut gewordenen Therapiezimmers - nur da saß in der Zwischenzeit schon jemand anderer, und ihre Augen, die vor wenigen Augenblicken nur ihm und seinem Leiden gegolten hatten, lagen jetzt treulos, mit derselben Aufmerksamkeit, auf dem nächsten Klienten.
Die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, arbeitete er sich im dunklen Windschatten der Altstadthäuser voran. Vor ihm bei der Kreuzung stauten sich die Autos und in dichten Trauben ergossen sich die Fußgänger im Schein der Straßenbeleuchtung auf die Fahrbahn, ihre innerlichen, imaginären Ziele vor Augen und keinen Blick übrig für die Körper, nie neben ihnen am Zebrastreifen hasteten.
Die dunkle Wege der Stadtparks nahmen ihn auf, verschluckte ihn nach wenigen Schritten. Während des Tages war der Stadtpark der Tummelplatz junger Studenten und Studentinnen, die sich auf dem Rasen bequem machten und ihren Picknick hielten. Auf dem nahe gelegenen Kinderspielplatz tollten die Kinder unter den wachsamen und oft müden Augen der Mütter, während sich die Radler und Fußgänger um die schmalen Gehwege stritten. Kaum brach die Dämmerung herein, verwandelte sich der Ort des ungezwungenen Spiels und der Freizeit in einen Ort bedrohlicher Dunkelheit und verschämter Begegnungen. Ab 22 Uhr trauten sich Frauen - wenn überhaupt - nur noch in Gruppen die verschlungenen, kaum beleuchteten Spazierwege entlang. Auch die Männer bummelten nicht auf ihrem Weg unter den jahrhundertealten Baumriesen, die früher - aus allen Herren Länder zusammengesammelt den Park eines alten Grafen geschmückt hatten, der dann für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.
Das schmierige Licht fahler Straßenlaternen wies ihm den Weg durch die Dunkelheit. Dürres, brüchiges Laub zerbarst unter seinen Schuhen.
Wenige Meter neben den Gehwegen versickerte das schwache Licht in der Dumpfheit des dunklen Bodens und man konnte die alten Bäumen, die kunstvoll angelegten Sträucher mehr als schwarze Schatten ahnen denn wirklich wahrnehmen.
Es war ihm, als hätte er für einen kurzen Augenblick ein Geräusch hinter sich gehört. Eine innere Anspannung breitete sich in ihm aus, schnell und hungrig wie ein Flächenbrand. Nicht das er konkret Angst gehabt hätte, aber da war was, was sich wie ein dunkler Mantel um ihn legte, ihn einhüllte und wohlig träge machte. Eine innere Stimme fuhr in an, er solle doch seine Schritte beschleunigen, und die war auf einmal so herrlich nebensächlich, sie hatte ihn den ganzen Tag mit ihr
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