Die Schreibblockade
von Hassels
Die frische Luft des Frühlings, eigentlich ein belebender Quell der Sinne, lag wie ein Überzug auf den Blättern der Rebstöcke. Der abperlende Morgentau reflektierte in der aufgehenden Sonne meinen Seelenzustand. Farbe und Material waren nicht kompatibel, mein Innerstes ließ sich nicht einfach übertünchen. Zu sehr brannten die Wunden in meiner Seele.
In den letzten sieben Monaten hatte ich Anregungen gesucht, die Ernte des Eisweins war von mir als Leitmotiv angedacht worden. Mit den stetig gekürzten Intervallen, meine Lektorin suchte mich nun schon jede zweite Woche auf, steigerte sich nur der Druck. Nur drei Monaten blieben noch, der Abgabetermin rückte unaufhaltsam näher – und mein Kopf war leer.
Der dunkle Bildschirm des Laptops, zum X-ten Mal förderte der Stand-by-Modus meine Schreibblockade zu Tage. Wie ich es auch angegangen war, nach weniger als dreißig Zeilen war die Luft raus. Kein Gefühl, nichts was mich selbst hätte mitnehmen können, mitnehmen auf die Reise zum Mittelpunkt einer Handlung. Das Handling, einfach nur dröge und von gähnender Langeweile flankiert.
Das Frühstück stand hübsch hergerichtet auf dem mit weißer Tischdecke optisch einladend gestalteten Tisch, unberührt vor mir. Der Blick aus dem Speisesaal, die Sonne hatte schon eine gute Höhe erreicht, verlieh nur einem einsamen Schmetterling Flügel. Nur einen Augenblick verfolgte ich das Flattern, registrierte die Anmut der Natur. Auf dem Parkett hallten die klackernden Absätze wider, Ilona schritt mit dem Charme einer Abrissbirne auf mich zu.
„Guten Morgen Herr Berger. Haben sie Arbeit für mich?“ Aus ihrem Mund klang dies nicht wie eine Frage, eher wie eine Aufforderung eines mit einem Stiletto bewaffneten Räubers.
„Nein!“, schrie ich ihr entgegen. In dem sonst menschenleeren Raum verpuffte mein Schrei an den Wandteppichen. Peinlich berührt wandte sie sich von mir ab, sammelte sich für das Contra.
„Entschuldigung Frau Schulte. Ich bekomme hier keinen Bezug zu der Atmosphäre, es fehlt an allem. Ohne Assistenz, jemand der von Literatur und den Weinbergen Ahnung hat, komme ich keinen Schritt weiter.“ Durchdringend sah ich die ältere Frau an, erlebte einen fast befremdlichen Wandel ihres Gesichts. Ihr Widerspruch blieb aus und auf ihrem straffen Gesicht mit den hängenden Wangen entwickelte sich ein Anflug von Lächeln.
„Vielleicht sollten sie das Weingut wechseln. Meine Nichte hat ihr Volontariat bei der FAZ gemacht, führt derzeit die Bücher bei meinem Bruder. Es gibt dort allerdings keinen Luxus, nur eine einfache Kammer mit Bett und Schreibtisch. Wenn sie es versuchen möchten, werde ich mit ihrer Frau schon einen Weg finden.“
„Danke Ilona. Leiten sie alles in die Wege. Ich brauche keinen Luxus, ich brauche Input.“ Sie nickte und machte auf dem Absatz kehrt.
Jaja, meine Frau. Verlegerin, jahrelange Inspiration und jetzt für meine Blockade verantwortlich. Vor zwei Monaten hatte ich die Luxusoase für einen Tag verlassen, unserem Scheidungstermin. Alle Romane waren eine Zeichnung des Lebens gewesen, eines wunderbaren Lebens. Die Bestseller hatten sich quasi von selbst geschrieben, waren leicht wie eine Feder von der Hand gegangen. Oft war ich Monate vor dem Abgabetermin fertig gewesen, die Muse hatte mich geküsst.
Vor eineinhalb Jahren war ich dann eine Woche früher als geplant von einer Reise für Recherchen zurückgekehrt. Kevin, der Windbläser aus der Poststelle, lag mit Susanne in unserem Ehebett, hatte sie gerade über die Klippe springen lassen. Ihr Stöhnen hatte ich schon im Hausflur gehört, im Moment des spitzen Schreis öffnete ich die Schlafzimmertür.
Nicht nur die Welt meiner unendlichen Liebe wurde da begraben. Alles hatte ich mit Susanne erlebt, jede einzelne Stunde in meinen Romanen. Immer wenn ich nach ein bis zwei Monaten fast durchgängiger Schreibarbeit heimkehrte, völlig ausgepowert, haben wir uns neu verliebt. Es schien eine unendliche Geschichte zu sein, ein modernes Märchen in einer rasenden Zeit.
Meine Eltern hatten sich nach zwanzig Ehejahren scheiden lassen, fast dem Zeitgeist entsprechend. Die Fahne im Wind waren meine Großeltern, sie feierten letzten Sommer ihre Eiserne-Hochzeit. Wie sie da Händchen hielten, sich anstrahlten, so hatte ich es mir mit Susanne ausgemalt. Leider hatte sie die Pinsel vertauscht.
Bevor mein Spaziergang im Weinberg zu einem emotionalen Loch wurde, ich mich in weiterer Sentimentalität erging, drang der Ruf meines Namens in mein Ohr.
„Es ist alles arrangiert Herr Berger. Ihre Frau lässt sie schön grüßen. Schon heute Nachmittag können sie auf dem Gut Mehlberg Quartier beziehen. Meine Nichte Stefanie ist bereit die Zuarbeit, Recherche und Erläuterungen zur Arbeit eines Winzers zu machen. Allerdings warne ich sie vor: Stefanie ist nicht einfach, hat ihren eigenen Kopf. Dagegen bin ich lammfromm.“
„Danke Ilona. Streitgespräche können diesmal vielleicht hilfreich sein. Weniger kitschig als gewohnt, der Aufbruch in einen neuen Stil. Neun Romane hatten ein Happy End, Nummer zehn geht in eine neue Richtung.“
Völlig verpeilt nahm ich nichts mehr um mich herum wahr, hatte plötzlich jeden der bisherigen Romane vor Augen, die ach so schöne Wirklichkeit vergangener Tage. Und doch war es ganz anders, der Zauber und die darin liegende Leidenschaft verblassten zusehends. Wie Frühnebel legte sich ein Schleier auf die Vergangenheit.
Das Gefühl es noch einmal kitten zu können, den Bruch und die Enttäuschung zu überwinden, dieses Gefühl hatte mich vollkommen verlassen. Rein rechtlich war ich ja schon geschieden, jetzt auch mental. Meinen Spaziergang über dieses von der Ansicht her perfekte Weingut, nur bei näherem Hinsehen konnte man viel Ungemach entdecken, endete mit einem doppelten Abschluss. Mein Leben war von Gefühlen gesteuert gewesen, immer hatte ich mich darin entfalten können. Nur diesmal war ich auf der Straße des Lebens von der Überholspur in eine Sackgasse geraten, hatte die Hinweisschilder nicht beachtet.
Schon nach Fertigstellung des letzten Romans vor zwei Jahren war irgendwie die Luft raus. Wenn auch im Unterbewusstsein, ich konstatierte dieses Auseinanderdriften. Erstmals hatte ich mich nicht wie immer wieder neu verliebt. Ob nur verdrängt, nicht beachtet, Kleinigkeiten hatten das Ende einer großen Liebe eingeläutet.
Das Handy vibrierte, eine SMS war eingegangen. Ilona würde mich in einer halben Stunde abholen, zu meiner neuen Herberge fahren. Eiligen Schrittes ging ich zu meiner Behausung auf dem Weingut zurück und packte mehr schlecht als recht meine Sachen zusammen. Während der Fahrt bereitete Ilona mich auf die Besonderheiten des neuen, uralten Weinguts vor.
„Willkommen auf Gut Mehlberg. Sie sind also der berühmte Schriftsteller von dem meine Schwester so schwärmt?“, begrüßte mich Ilonas Bruder mit ausgestreckter Hand. Innerlich musste ich schmunzeln, äußerlich war Ilona rot geworden. Eine Regung dieser Art, die Verlegenheit eines Schulmädchens welches man beim Schäferstündchen erwischt hatte, hatte ich bei ihr noch nie gesehen.
„Guten Tag Herr Mehlberg!“, grüßte ich zurück. „Schulte, Jacob Schulte! Gut Mehlberg ist seit vier Generationen in Familienbesitz und erzeugt nur Spitzenweine. Allerdings geht das auf Kosten von extremer Pflege, rentiert sich fast nicht mehr.“ Ilona begrüßte eine sehr üppig ausgestattete Frau, eine echte Bäuerin würde man meinen. Die lustig funkelnden Augen passten so gar nicht in dieses raue Gesicht der Bergwelt. „Meine Frau Annemarie, der gute Geist des Hauses.“, stellte er mir die zuvor in Betracht genommene Frau vor.
Nachdem die vorläufige Begrüßung unter Einbindung der nächsten Generation abgeschlossen war, der Sohn Jochen hatte sich dazugesellt, konnte ich meine neue Behausung in Augenschein nehmen. Rustikal und bieder, eher die Unterkunft für einen Knecht aus dem letzten Jahrhundert, so stellte sich die Kammer dar. Dieses kantige und doch sehr schlichte, der Geruch des alten Holzes, ergab eine Symbiose. Wenn es nicht schon vorhanden wäre, es hätte erfunden werden müssen.
„Es hat mich sehr gefreut Ilona. Bei ihnen eine menschliche Regung wahrzunehmen, nicht nur die perfekte Lektorin, lässt mich auf Inspirationen hoffen. Ich wünsche ihnen eine gute Rückreise und über den Stand der Dinge wird sie ihre Nichte sicher unterrichten. Wo ist Stefanie überhaupt?“ Mit einem Schulterzucken verabschiedete sich Ilona. „Sie ist noch professioneller als ich. Offiziell beginnt ihr Vertrag heute Nachmittag um Fünf. Stefanie wird pünktlich sein, aber sicher nicht zu früh.“
Knapp drei Stunden verblieben also noch, Zeit sich unbeeinflusst die Gegend anzuschauen. Einräumen könnte ich auch später, machte ich mich sofort auf den Weg. Die kleine Wanderkarte die Ilona mir dagelassen hatte, das Gut fett markiert, nahm ich zur Sicherheit mit. Die frische Luft, das aufgeregte Gezwitscher der Vögel, die Boten des Frühlings ließen mich in eine Welt von Anmut und Schönheit eintauchen. Diese Ursprünglichkeit, der Natur seinen Raum lassend, das war genau das Genre mit dem man etwas zum Leben erweckt.
Die Art und Weise in der Mensch und Natur hier aufeinander trafen, raues Klima und steile Hänge, bestimmte die Modalitäten des Zusammenlebens. Graziös hatte die Natur hier noch die Oberhand behalten, quasi einer der letzten Rückzugsorte vor dem wie eine Planierraupe durchs Land ziehenden Menschen. Der Widerpart zu Gleichförmigkeit, von Menschenhand geschaffener Trostlosigkeit. Ohne Hintergedanken, Zeit und Raum vergessend, genoss ich die Aussicht und die damit verbundene, dargebotene Schönheit in seiner Selbstdarstellung.
Der kleine See inmitten der steinernen Bergwelt war nicht auf der Karte eingezeichnet, stellte sich auf dem Papier als Weidefläche dar. Der lange Heuschober und die Scheune waren dagegen auch im Winkel passend notiert. An Sommertagen musste der See ein Paradies sein, ich stellte mir vor wie eine Gruppe von Teenagern in dieser Idylle ihre ersten Erfahrungen machte.
Mozarts Klarinettenkonzert rüttelte mich wach. Mein Handywecker erinnerte mich an die Uhrzeit, den extensiven Spaziergang zu beenden. Fünfzehn Minuten blieben mir noch als ich meine Kammer betrat, ein wenig Ordnung im Kleiderschrank und auf dem Tisch konnten nicht schaden. Den leeren Koffer hatte ich gerade verstaut, da klopfte es an der Tür.
Stefanies Begrüßung in Ton und Auftreten, reserviert und trotzdem selbstbewusst, ließen keinen Zweifel an Ilonas Ankündigung aufkommen. Dieses Engelsgesicht entsprach dem im Volksmund eingebürgerten Begriff des Girlie. Mit einer Checkliste hatte sie mich abgefragt, angedeuteten Widerspruch im Keim erstickt. „Ich bin mit einer klaren Aufgabe betraut worden, also werden sie mit mir klar kommen müssen. Wenn der Roman fertig ist, sind sie mich wieder los. Bis dahin Herr Berger, und da lasse ich ihnen keinen Freiraum, werden sie nach meinem Plan arbeiten. Ich erwarte sie in einer Stunde zum Abendbrot, Sportschuhe und lockere Bekleidung wären von Vorteil.“
Ohne ernsthaft zu Wort gekommen zu sein, verdattert, ließ sie mich wie einen Sträfling in der Zelle zurück. Das konnte ja heiter werden. Rein mechanisch zog ich mich um, Trainingsanzug und Laufschuhe. Vor dem schmalen Spiegel im Bad merkte ich erst was geschehen war. Ich hatte mich gängeln lassen, ich der sonst so dominierende.
„Sie sind ja doch folgsam. Das macht vieles leichter. Falls sie mit ihrer Selbstbewunderung fertig sein sollten, ich würde gerne das Bad benutzen.“ Rums, das saß. Stefanie gefiel ihre Rolle als Sklaventreiber, hatte bislang den Überraschungseffekt stets auf ihrer Seite. „Na dann will ich nicht weiter stören. Zum Abendbrot werden sie den Stallgeruch bestimmt abgeduscht haben.“ Ich erinnerte mich sie vorhin in einiger Entfernung hoch zu Ross gesehen zu haben.
Punkt für mich. Mit dem Feeling des Konters, einen guten Punsch gesetzt zu haben, verließ ich den Ring oder besser gesagt das Bad. Während ich noch im Flur resümierte, mich auf Schlagfertigkeit einstellte, hörte ich das rauschen des Wassers. Ganz schön frech, herausfordernd. Ein Abschließen hatte ich nämlich nicht vernommen.
Beim Abendessen gab Jacob in seiner jovialen Art so einiges zum Besten. Ob intentional oder nur seiner Doktrin Nachdruck verleihend, jedenfalls deckte er die Schwächen derer der Literatur verbundenen in diesem Haus gnadenlos auf. Seine Schwester hatte er vorgeführt, nun war es seine eigene Tochter. Stefanie war seit drei Monaten wieder solo, hatte ihren Ex-Verlobten mit der bildungsfernen Nachbarin erwischt.
Vor der Haustüre war sie außer Reichweite des Vaters, schon riss sie das Kommando an sich. Die Strecke um den See und zurück, selbst für geübte Jogger schwierig, durchlitt ich körperlich Qualen. Kein lockerer Aufgalopp, straight zog sie am Tempo. Kaum Zeit Luft zu holen und zum Sprechen reichte es schon gar nicht. Fast auf dem Zahnfleisch kriechend bog ich kurz hinter ihr auf den Weg zum Weingut. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt und fünfzig Meter vor der Haustür überholte ich sie dann.
„Für heute überlasse ich sie ihren Schwingungen. Wenn sie meine Hilfe benötigen sollten, mit diesem betätigtem Knopf erreichen sie mich Herr Berger. Ansonsten wünsche ich ihnen einen angenehmen Abend. Morgen früh um Sechs erwarte ich sie mit Sportbekleidung vor der Haustüre. Gute Nacht!“ Schon reichte sie mir so etwas ähnliches wie einen Klingeltaster und verschwand durch eine Tür mit Zugangsschild: Zutritt nur für die Geschäftsleitung.
Nach einer ausgiebigen Dusche legte ich mich hin, jeder Knochen tat mir weh. Mit dem guten Gefühl gewonnen zu haben, hart erkämpft, schlief ich ein. Schon eine halbe Stunde vor der Zeit schritt ich vor der Haustüre auf und ab. Die selbe Runde wie am letzten Abend, aber es ging um einiges leichter. Allerdings sprintete ich heute nicht auf der Zielgeraden, ließ ihr im normalen Tempo den Vortritt.
Während des Frühstücks unterhielten wir uns, erstmals ohne Scharmützel. Ich legte meine Vorstellung dar, wollte die genauen Abläufe im Weinbau erklärt haben und die emotionale Sicht aus dem Blickwinkel einer Frau. Sie notierte im Kopf, man konnte das Rattern sehen. „Ich werde gleich einen Schlachtplan entwickeln. Bis später!“ Nur einen Schluck Kaffee hatte sie zu sich genommen, stand auf und verschwand.
Nur wenig später hatte sich der Rest der Familie am Frühstückstisch versammelt, Stefanie glänzte durch Abwesenheit. Nach einem oberflächlichen Plausch und Einteilung der heutigen Arbeit, fragte Jacob ganz beiläufig: „Übermorgen, am ersten April fahren wir zur Weinerzeugermesse in den Schwarzwald. Wollen sie uns begleiten Herr Berger? Da könnten sie auch andere Winzer nach ihren Methoden befragen.“
Die Antwort ließ ich offen, fragte nach dem Gesamtablauf eines Weinjahres. Mit so viel Arbeit über ein Jahr verteilt, speziellen Arbeiten im Regen, hatte ich nicht gerechnet. Obwohl ich ja schon sieben Monate auf dem anderen Weingut gelebt hatte, diese Vielzahl von Arbeiten hatte ich dort nicht ansatzweise beobachten können. Kaum in meiner Kammer zurück, trat Stefanie nach kurzem Anklopfen ein.
„Die sportliche Betätigung scheint ihnen zu bekommen. Den Vormittag über werden wir den Weinberg begehen. Da kann ich ihnen die anstehenden Arbeiten zeigen und erklären. Was, wann und warum. Sie sollten sich aber festes Schuhwerk anziehen, Wanderschuhe oder ähnliches. In einer Stunde sollten sie fertig sein und auch schon ihr Konstrukt des neuen Romans erklären können. Nur dann kann ich meiner Aufgabe gerecht werden. Also dann um acht Uhr an der Haustüre!“
Analog zu ihrem Erscheinen war sie auch sofort wieder verschwunden. Nur einen Zettel mit Fragen und einer Art Tagesplan hielt ich nun in Händen. Auf den ersten Blick waren die Fragen zu den bisherigen Romanen auf den jeweiligen Aufhänger fixiert, stellten aber nun ein persönliches Problem dar. Ich konnte ja nicht über die Eins zu Eins Umsetzung reden, es wäre der Verrat einer besonderen Beziehung und einer wunderschönen Zeit.
Im Weinberg trafen wir bei unserer Wanderung auf Jochen und Jacob. Die lockerten den steinigen Boden auf, die Wetteraussichten prognostizierten den üblichen Regen. Zu dieser Jahreszeit würde man die Reben im Regen binden müssen, klärte mich Stefanie über die Gepflogenheiten auf. Je steiler der Hang wurde, der Untergrund war wahrnehmbar härter geworden, desto dicker wurden die Rebstöcke. Eine uralte Sorte die den besten Eiswein Europas lieferte. Ein gewisser Stolz klang dabei in ihrer Stimme mit.
„Es ist mein Weinberg. Ich habe ihn zu meiner Geburt bekommen, damals ahnte niemand welch wertvoller Wein hier wachsen würde. Der Berg war die letzte Brache, wurde damals erst angelegt. Alle Rebstöcke sind genauso alt wie ich.“ Ihre heutigen Vorträge hatten mein Wissen bezüglich des Weinbaus in neue Dimensionen gebracht. In sieben Monaten hatte ich trotz Nachfragen bei dem anderen Gut fast nichts gelernt, meine Fragen waren nie wirklich beantwortet worden. Innerhalb weniger Stunden hatte sich hier mein Horizont deutlich erweitert.
Nach dem Mittagessen besprachen wir die möglichen Herangehensweisen, die Verpackung der Figuren und das Ziel. Nichts passte, alles was mir thematisch einfiel rührte an schon geschriebenem. Wir zankten, stritten wie die Kesselflicker. Zum Glück verlor sie nicht vollkommen die Beherrschung. „Was wollen sie eigentlich. Die Schiene der Liebe verlassen und doch reden sie nur von der Vergangenheit. Wenn der Weg das Ziel ist, bin ich hier fehl am Platze. Ich werde jetzt ausreiten, in einer Stunde bin ich zurück.“ Weich und harmlos waren die letzten Sätze von ihr gewesen, sie wollte mich nicht verbiegen und doch ein Resultat erzeugen.
Im Nachgang haderte ich mit der Auseinandersetzung, wie sollte ein effektives Arbeiten möglich sein wenn wir uns nur in den Haaren haben. Ein Streitgespräch was Ideen erzeugt, Hinweise greifbar macht, das hatte ich mir vorgestellt. Stattdessen hatten wir uns über Form und Inhalt, die Ausgestaltung von Wortschöpfungen gestritten. Weitere Gespräche dieser Art, Tiefschläge unterhalb der Gürtellinie, sind weder erbaulich oder als Antrieb geeignet.
Nach ihrem Ausritt, ich hatte ihre Rückkehr durch das Fenster meiner Kammer beobachten können, kam sie auf direktem Weg in meine Kammer.
„Uns läuft die Zeit davon. Wenn wir nur streiten, einen persönlichen Kleinkrieg abhalten, wird nichts dabei herauskommen. Wir haben beide unsere Duftmarken gesetzt, sollten vielleicht noch einmal von Null beginnen. Ich bin die Steffi.“, sprach sie in nachdenklichem Ton und reichte mir die Hand. Die einladende Geste, ich nahm sie als Symbol eines Waffenstillstands an und reichte ihr meine Hand.
„Ich bin der Florian. Wenn ich die Fragen auf deinem Zettel beantworten soll, wird es sehr persönlich. Ich muss dich zu Stillschweigen verpflichten, sonst geht es nicht, wäre es Verrat. Und meine Fragen musst du mir gleichermaßen ehrlich beantworten. Quasi ein Arzt-Arzt-Verhältnis. Du kannst es dir in Ruhe überlegen, nach dem Abendessen wandere ich um den See.“ Steffi nickte nur, verließ in sich gekehrt meine Kammer.
Das Abendessen hatte etwas von zweigeteilter Gesellschaft, auf der einen Seite berichteten Jacob und Jochen in aufgekratzter Stimmung über den äußerst positiven Verlauf der Tagesarbeit, auf der anderen Seite saßen drei stumme Zuhörer die in eigene Welten abgewandert waren. Warum Annemarie so bedrückt war, es wirkte wie eine ausgebrochene Eiszeit, erschloss sich mir nicht. Bei Steffi war der innere Kampf ausgebrochen, mir ging es nicht anders.
Appetitlos verließen wir bald den gedeckten Tisch, trafen uns vor der Haustür. „Ich bin hin und hergerissen. Komm mit in den Stall. Ich möchte dir Persus vorstellen. Kannst du auch reiten?“, fragte sie wohl um Zeit zu gewinnen. „Geritten bin ich schon häufig, allerdings war ich immer der Hengst!“ Steffi brach in schallendes Gelächter aus, das Eis war gebrochen.
„Ich muss mich bei dir entschuldigen, Florian. Aber alle mussten seit meiner Trennung herhalten, Puffer für meine trübsinnigen Gedanken spielen. Und dann bekomme ich eine Chance auf das was mir liegt, aber Liebesgeschichten sind für mich Märchen. Märchen durch eine Rosarote Brille gesehen und sie fangen nicht mit 'Es war einmal' an, nein damit enden sie.“, sprach sie mit einem Ersticken in der Stimme, Melancholie pur.
Wie ein Kavalier alter Wiener Schule nahm ich ihre Hand und gab ihr einen Handkuss. „Danke Steffi. Du hast mir gerade den Anstoß für den Roman geliefert. Ich muss jetzt schreiben, möchte nicht gestört werden. Ich schließe nicht ab. Wenn du nach mir schaust, bitte ohne Anklopfen oder ein Wort. Ich werde mich selbst melden. Ich muss los.“ Ich lief zum Haus und der Laptop fuhr schnell hoch.
Das zerbrochene Glück, Ende einer Liebe wurde zum einleitenden Kapitel, doppelt so lang wie sonst bei mir üblich. Nach 22 Seiten hatten ich das Kapitel abgeschlossen, nun konnte ich den sich steigernden, steinigen Weg dahin, Liebe mit den Schwingungen, wie eine sprudelnde Quelle die zum reißenden Fluss wird, beschreiben.
Mozarts Klarinettenkonzert rüttelte mich wach. Nicht aus einem Schlaf sondern von meinen Überprüfungen des fertigen Romans. Der Blick aufs Display verriet mir, wir hatten den zweiten April. Drei Tage hatte ich geschrieben, 663 Seiten gefüllt. Ich wusste nicht ob ich getrunken oder gegessen hatte, auf der Toilette war, es war völlig ausgeblendet. Nur Tassen und Teller auf dem Fensterbrett zeugten von erhaltenen Mahlzeiten.
Ilona fragte nach dem Unfall, wie es der Familie ginge. Ich hatte nichts mitbekommen, stand auf und rief nach Steffi. „Was ist passiert? Ilona hat bei mir nachgefragt.“ Ihr Gesicht wurde fahl, es bildeten sich Tränen i
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