Die Unberührte (Kapitel 2)
von DreamR
Kapitel 2: Die seltsame Bettlerin
Irgendwann, während Ayron schlief und draußen die neue Nacht hereinbrach, ließ die Wirkung des Trankes langsam nach. Und wie jedes Mal überkamen ihn seine zuvor mit magischer Gewalt unterdrückten Begierden mit doppelter Intensität - als sinnliche Träume.
Wieder war er mit Keyla allein in jener weinrot ausgepolsterten, im Fackellicht flackernden Kammer, während draußen die Schwarzumhänge lauerten.
"Na, Du schlauer Fuchs! Hast die Diebe also auf frischer Tat ertappt! Dafür hast Du Dir eine Belohnung verdient...", sagte Keyla leise und machte einen Schritt auf ihn zu, ihre dunklen Haare schwangen anmutig um ihr Gesicht, ihre geröteten Wangen schimmerten im Kerzenlicht.
Er spürte wieder ihre heiß atmenden Lippen an seinem Ohr, ihr Flüstern - "wenn Du schon Räuber jagst heute Nacht, dann lass mich Dir den ATEM rauben!" - und ihre Hand, die seine harte Brust hinab über seine rauhe Lederrüstung wanderte, seine Gürtelschnalle lockerte und in seine Hose glitt.
Ayron wollte sagen, dass es keinen Zweck hätte, weil er den Zaubertrank...
...doch da zog sie ihre Hand aus seiner Hosentasche, hielt den Trank zwischen ihren Fingern einen Augenblick in der Luft und ließ das kleine Fläschchen auf dem Boden der Kammer zerplatzen.
Panik stieg in ihm auf, als er ihr zurief: "Lass das, Keyla, ich habe Dir gesagt, dass ich nicht so bin wie Deine anderen Männer!" Doch jetzt klang es kaum überzeugend.
Und als sie sich dieses Mal die Maske von den Augen streifte, ihn mit leicht geöffneten Lippen und einem lockenden Augenaufschlag ansah und ihren nackten Oberkörper vor ihm leicht wiegte, da verschlug es ihm Stimme und Sinne.
Ayron griff ungezügelt in ihre dunklen vollen Haare, zog ihren Kopf zu sich und versenkte seine von Wind und Jahren gegerbten Lippen in ihren weichen Mund, während seine andere Hand ihren Rücken umfasste und ihre nackten kleinen Brustperlen an seine narbenübersäte Lederrüstung zogen. Sie seufzte schwer, ergab sich seiner Kraft und schob einen ihrer Schenkel zwischen seine Beine, so dass ihre Körper eng verschmolzen. Widerstandslos ließ sie sich von ihm küssen, ihre Zunge erwiderte lüstern seinen ungestümen Angriff, neckte ihn... dann hielt sie inne, biss ihn sanft in seine Lippen, lachte leise auf und entwand sich ihm.
Im selben Moment griffen Arme nach ihm, zogen ihn nach hinten, hielten ihn gefangen.
Ayron brüllte vor Empörung. Sie hatte ihn an die Schwarzumhänge verraten!
Keyla stand weiter dicht vor ihm, doch jetzt war sie wieder vollständig und fein gekleidet, während er plötzlich nackt war.
Sie lächelte ihn triumphierend an. "Jeder Mann erliegt einer Frau, wenn sie die richtigen Verführungskünste einsetzt!", raunte sie belustigt.
Ayron versuchte vergeblich, sich aus den Händen der Männer hinter ihm zu befreien. Das Mädchen lachte, strich über seinen Bart, seine behaarte Brust, die Rippenlinien und fasste ihm dann fast grob an seinen steil aufragenden Schaft, umschloss ihn mit einer Hand vollständig und rieb mit gleichmäßigen Bewegungen auf und ab, während sie sich mit ihren Lippen seinem Ohr näherte und ihm immer wieder einflüsterte: "Jeder Mann erliegt einer Frau, wenn sie die richtigen Verführungskünste einsetzt!"
Jedes Mal, wenn sie die Worte wiederholte, ertönte von irgendwo her ein dumpfer Gongschlag. Und jedes Mal rieb Keyla seinen hoch aufgerichteten Stab mit mehr Druck und noch tiefer hinab und wieder hinauf. Ihre andere Hand strich über seine angespannten, harten, schweißglänzenden Oberschenkel und berührte wie zufällig seine Hoden, die sich fest an seinen Körper herangezogen hatten.
Als sie die Worte "Jeder Mann..." zum sechsten Mal in sein Ohr hauchte, der Gongschlag zum sechsten Mal seinen Körper vibrieren ließ, sie ihre Hand um seinen Schaft ganz hinunter bis zur Wurzel schob und ihre andere Hand seinen Hoden massierend nach unten zog , verlor Ayron die Beherrschung. Sein keuchender Mund suchte Keylas flüsternde Lippen, wollte sie zu einem wilden letzten Kuss erreichen, doch bis auf ihr leises Lachen war sie verschwunden.
Ayron erwachte mit glühendem Körper in seinem Bett. Es war nicht nur Schweiß, der seine Schenkel benetzt hatte.
Sein keuchender Atem beruhigte sich nur langsam. Und noch immer hallte der Gongschlag in seinem Ohr. Dann wurde Ayron klar, dass die Tempelglocke zur Nachtwache schlug und ihm kaum noch Zeit blieb, wenn er pünktlich zum Dienst erscheinen wollte.
Wie stets nach solcher Art Traum verkrampfte sich sein Magen. Ein schlechtes Gewissen nagte an ihm, weil sein träumendes Ich sich derart ungezügelt gehen ließ.
Ayrons Blick fiel auf den sanft schimmernden bronzenen Ring an einer einfachen Kette, den er auf dem hölzernen Nachttisch abgelegt hatte. Eine Gravur füllte den inneren Ring komplett aus: "...F.W. gehört A.W. gehört...". Ayron fiel plötzlich das Atmen schwerer und er blinzelte. Ohne den Ring direkt anzusehen, hängte er ihn sich um den Hals und verstaute ihn unter der Uniform.
Kurz überlegte er, ob er gleich einen neuen Schluck des Trankes trinken sollte. Doch er wusste auch, dass er mit dem wertvollen Helfer haushalten musste - und sich auch sehr bald wieder Nachschub aus Rashaks Bordell besorgen musste.
* * *
Knapp die Hälfte einer Stunde später schritt Ayron Wolfenfels ruhigen Schrittes Richtung Nordtor, durch die spärlich beleuchtete Gasse, die direkt an der Stadtmauer entlang führte. Er sah links hinauf. Und fühlte sich klein und jung gegen diese massiv aufgetürmten alten Backsteine. Sie strahlten eine Aura von Unveränderlichkeit aus.
Grüne Moosflechten überwucherten die wehrhaften Steine und ließen sie friedlicher aussehen. Doch Ayron wusste, dass die Zeiten unruhiger geworden waren und die Mauer vielleicht bald wie in fast vergessener Zeit unter Geschossen und Treffern erbeben und von anrennenden Feinden erstiegen werden würde.
Doch diese Nacht war friedvoll. Weiße Wolken huschten unter den Sternen dahin, unterbrachen das Funkeln über der Stadt von Zeit zu Zeit. Ärmliche Bewohner der Nördlichen Turmgasse schafften ihre Kinder und ihr Hab und Gut ins Haus, Fensterläden schlossen sich, leises Stimmengewirr aus den Häusern vereinte sich zu einem melodischen Wind.
Ayron füllte alle paar Schritte die Öllampen an der Mauer aus einer Ölkanne auf. Und sah schließlich die düster emporragenden Kanten des Nordtores vor sich auftauchen - vor denen heute Abend keine normalen Wachsoldaten standen, sondern auffallend große, mit Lanzen und Schilden schwer bewaffnete Gestalten in verzierten massiven Rüstungen.
'Von der Palastgarde...', wunderte sich Ayron.
Stand die Stadt schon so dicht vor einem Angriff, dass Fürst Kreyll seine Leibgarde an den Toren platzierte? Es hieß doch, die Verhandlungen zwischen den zwei Fürstentümern würden mindestens einen Monat dauern und solange dürfe niemand den Frieden brechen.
Eine wachsende innere Unruhe beschleunigte Ayrons Herzschlag. Wieder wehten Gongschläge vom Tempel herüber. Seine Schicht als Torwache begann soeben.
Ayron schritt etwas zügiger aus, um vor dem letzten Gong das Tor zu erreichen. Von nahem kamen ihm die drei Palastwachen mit ihren prunkvollen Scherpen, verzierten Schilden und massiven Platinrüstungen noch mehr wie ein Fremdkörper in diesem Teil der Stadt vor.
Sie musterten ihn abschätzig, er grüßte sie höflich. Ihre Augen blieben kalt, sie erwiderten seinen Gruß mit einem kaum erkennbaren Nicken und wandten sich gleichzeitig wieder der Umgebung zu. Ayron fiel auf, dass sie nicht das Tor, sondern die Straßen und Gassen beobachteten.
Aus dem Eingang zum Nordturm, der hoch zu den Wehrgängen führte, trat ein Mann, den Ayron noch weniger ausstehen konnte, als die dünkelhaft eingebildeten Leibgardisten des Fürsten: Hanwe. Persönlicher Bote von Fürst Kreyll.
Wann immer Ayron ihm bisher begegnet war, hatte Hanwe ihn herausfordernd angesehen, bis Ayron ihm pflichtschuldig seinen ehrerbietenden Gruß entgegenbrachte. Den Hanwe aber nie erwidert, sondern seine Augen stets nur herablassend von ihm abgewendet hatte.
Auch jetzt kam Hanwe betont gemächlich auf ihn zu. Wieder dieser herausfordende Blick...
Am liebsten hätte Ayron ihm ein Regenfass über dem Kopf zerschmettert. Doch er wusste, was seine Pflicht war: "Einen schönen Abend für euch, verehrter Herr", zwang er zwischen seinen Lippen hervor, während tröstliche Bilder eines prustenden und triefenden Hanwes vor seinem inneren Auge abliefen.
Hanwe sah wie gewohnt über ihn hinweg. Doch dann, zu Ayrons großer Verblüffung, blickte er ihn doch an und sagte: "Ayron Wolfenfels - der Fürst verlangt Euch zu sehen, unverzüglich!".
Er sprach die Worte so beiläufig, als wäre sie ziemlich unbedeutend, doch Ayron konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche Aufforderung empfangen zu haben.
Er brauchte ein Sekunde, um seine Gedanken und wilden Vermutungen zu sortieren, so dass Hanwe die Augen rollen ließ und betont deutlich wiederholte:
"Habt Ihr verstanden, was ich sagte, Ayron Wolfenfels? Der Fürst verlangt..."
"Ja, verehrter Herr, ich habe es gehört. Ich werde sofort kommen. Nachdem ich den Wachen hier den Grund für meine Abwesenheit ..."
Ayron brach ab, als befehlende Rufe durch die Nacht schallten und sich das Tor plötzlich laut scharrend öffnete. Wie an unsichtbaren Seilen wurden die schweren Flügel aufgezogen. Vermutlich ein Händler, der noch kurz vor der nächtlichen Verriegelung hinter die sicheren Mauern wollte, dachte Ayron und wandte sich wieder Hanwe zu:
"Erlaubt ihr, dass ich kurz Bescheid gebe, dass ich ... ", Ayron fand es unwirklich, es auszusprechen, "...zu ... Fürst Kreyll gerufen bin..."
Hanwe antwortete nicht, sondern drehte sich als Antwort um und schritt betont gelassen davon, als erwarte er, dass Ayron ihn einholte.
Ayron war zu verwundert über seine Nachricht, um sich darüber zu ärgern. Er ging Richtung Nordturm, um einen Stellvertreter für die Nachtwache zu bestimmen. Heris schien ihm geeignet, ein junger Heißsporn, aber durchaus vernünftig, wenn man ihm Veranwortung übertrug.
In diesem Moment brach weiterer Lärm aus. Metallisches Klirren, jemand rief Befehle, ein Pferd wieherte, Menschen schrien erschrocken auf, Schatten huschten über die Häuserwände. Zwei der Palastwachen vor dem Tor setzen sich in Bewegung und stürmten in eine Gasse, aus der der Lärm gekommen war. Die dritte Wache blieb auf ihrem Posten am Tor und bedeutete dem Kutscher des gerade hereinfahrenen Wagens mit einer Geste, sein Gefährt anzuhalten.
Ohne bewusst darüber nachzudenken, hatte Ayron sich beim ersten Tumult augenblicklich aus dem Licht des Nordturmeinganges in einen schattigeren Winkel der Mauer gedrückt. Jetzt wollte er heraustreten, um die verbliebene Leibwache des Fürsten zu fragen, was los war - und seine Hilfe anzubieten - da gewahrte er aus dem Augenwinkel eine seltsame Bewegung an den Planen des Wagens. Ayron sah zwei scharfzackige Spitzen und gespannte Bögen hervorschnellen. Er duckte sich instinktiv, hörte erst ein surrendes Geräusch, ein Pfeifen und dann ein ersticktes Röcheln - und die Palastwache sank mit zwei Pfeilen im Hals neben dem Kutschbock zusammen.
Der Kutscher schrie so voller Entsetzen, dass Ayron ihm seine Überraschung glaubte. Die Pferde des Wagens traten ebenso erschrocken und panisch schnaubend um sich. Unter den Planen des schlingernden Gefährtes sprangen zwei schlanke, nichtmenschliche Gestalten hervor, in den Händen silbern blinkende Metallkeile - und verschanzten sich hinter den Flügeln des offenen Tores.
"Elfen...", wunderte sich Ayron noch mehr als über alles bisher Geschehene. Sein Blut raste durch seine Adern. Er stand noch immer an die Mauer gepresst. Vom Wehrturm her kam ein Befehl und das Tor begann sich zu schließen, allerdings langsam, als klemmte es. Mit einem hässlichen Knirschen blieb es schließlich stecken.
Erneut ertönten laute Rufe vom Wehrturm her, dann Schritte auf den Wehrgängen und knirschende Stiefel, die die Turmtreppe herabeilten.
Im selben Moment brach aus dem Dunkel einer Gasse eine Reiterin hervor, verfolgt von zwei Palastwachen. Ihr Ross war mit dem Wappen des Fürsten besattelt, ihr Gesicht allerdings unter einem dunkelgrün verziertem Umhang verborgen, nur einige rotblonde Haarlocken schauten hervor.
In vollem Galopp hielt sie auf eine Lücke zwischen Planwagen und Stadtmauer und das offene Tor dahinter zu. Ayron entschied sich intuitiv, verließ sein Versteck, brüllte laut auf und warf der heranstürmenden Reiterin seinen Schild entgegen.
Es klappte, sie ließ sich beirren, zog erschrocken an den Zügeln und ihr Pferd bockte direkt vor Ayron.
Er griff nach den Zügeln, musste sie aber loslassen, um nicht von den umherschlagenden Hufen getroffen zu werden. Die Reiterin stieß eine wüste Beschimpfung aus, die gar nicht zum edlen Zaumzeug ihres Rosses und ihrem fein besticktem Umhang passte.
Dann versuchte sie, ihr Pferd erneut in Richtung Tor zu zwingen. Eine scharfe Hufkante streifte Ayrons Schulter, die erst vor Stunden einen harten Schlag mit einem Bierkrug und später einen leichten Dolchtreffer abbekommen hatte. Er presste keuchend Luft hervor und taumelte einen Schritt beiseite. Das Pferd bekam wieder Boden unter alle Hufe und machte einen Satz an Ayron vorbei.
Doch jetzt waren die beiden Palastwachen, die die Reiterin verfolgt hatten, heran und versperrten ihr mit drohenden Lanzen den Weg. Ayron erwischte erneut die Zügel und wickelte sie um einen Balken an dem nahestehenden Planwagen, dessen Kutscher inzwischen das Weite gesucht hatte.
Schließlich gab die Frau auf und sank auf ihrem Pferd zusammen. Verzweifelt drückte sie die Hände auf ihr Gesicht, das zusätzlich noch immer unter der Kapuze ihres Umhanges verborgen war.
Immer mehr Wachen tauchten jetzt aus dem Wehrturm auf. Einige rannten zum Tor, wo sie von Pfeilen der zwei verschanzten Elfen empfangen wurden, die sich aber schnell nach draußen absetzten und über die Zugbrücke hinweg in den Schatten neben der dahinter im Dunkeln verschwindenden Straße verschwanden.
"Sollen wir sie verfolgen?", fragte eine der Nordturmwachen unsicher und sah dabei zunächst die zwei Palastwachen an, dann aber auch Ayron.
Als die Leibgarden den Fragesteller keiner Antwort würdigten, schüttelte Ayron den Kopf. Dann rieb er sich seine Schulter.
Immer mehr Stadtwachen umringten die Gefangene, flüsterten neugierige Fragen. Die Palastwachen taten, als würden sie niemanden um sich herum bemerken. Sie lösten die Zügel der Reiterin vom Wagen, banden ihr die Füße unter dem Pferd zusammen und führten sie langsam davon. Sie sagte immer noch kein Wort unter ihrer Kapuze, schluchzte oder schimpfte aber auch nicht.
Ayron schaute ihr und ihren Häschern nachdenklich nach. Und dann überkam ihn das wage Gefühl, dass ihm etwas entging. Nach jahrelanger Schärfung dieses Sinnes, vertraute er ihm blind und blickte sich um.
Mehrere Fenster hatten sich geöffnet, Kerzen und Gesichter erschienen in den Rahmen, einige neugierige, aufgeschreckte Stadtbewohner traten aus den Türen ihrer Häuser. Nordturmwachen streunten immer noch ungeordnet über den Platz vor dem Tor, einige untersuchten den Wagen, rissen die Plane ab, entdeckten aber nur harmlose Händlerwaren. Möglicherweise hatten sich die elfischen Bogenschützen ohne Wissen des Händlers in seinen Wagen geschlichen, um in die Stadt zu gelangen, grübelte Ayron.
Und dann sah er sie.
Eine tief gebeugte Gestalt in grauem Umhang, die sich an der Mauer entlang schob, das Gesicht immer vom Licht abgewandt. Sie sah aus wie eine Bettlerin. Doch sie verhielt sich nicht wie eine. Und hier war auch sicher gerade nicht der passende Moment, um die aufgeschreckten Menschen um Almosen zu bitten. Vor allem aber irritierte Ayron, dass dies nach der Reiterin in kurzer Zeit schon die zweite Gestalt an diesem Ort war, die offenbar alles daran setzte, ihr Gesicht zu verbergen.
Ayron ließ sich wie zufällig durch die Umstehenden treiben und näherte sich der Mauer. Und dann war er sich sicher - die Gestalt wollte zum Tor, das immer noch nicht wieder ganz geschlossen war. Einige Gardisten hatten gerade begonnen, die zwei silbern glänzenden Keile unter den Torflügeln hervorzustemmen. Es schien Probleme dabei zu geben, einer der Gardisten stieß einen lauten Schmerzensschrei aus und rieb sich seine Hand.
Ayron tat, als wolle er beim Entfernen der Keile helfen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er aber die Gestalt. Sie tastete sich weiter scheinbar zufällig an der Mauer entlang, fast wie eine Verwirrte oder Aussätzige.
Niemand beachtete sie. Gestalten wie sie wurden normalerweise unbewusst gemieden, man wich ihnen aus, ohne überhaupt noch darüber nachzudenken. Doch Ayron hatte sie immer schon wahrgenommen. Zu sehr war sein eigenes Schicksal mit jenen Bemitleidenswerten verbunden.
Er kannte zwar nicht viele ihrer Namen, doch er wusste, wo sie sich aufhielten. Wie sie versuchten zu überleben. Manchmal mit Betrügereien, manchmal mit letzten Kräften. Oder so verzweifelt, dass sie eines Tages von der Straße verschwanden. Nicht immer fand man ihre Leichen.
Diese Gestalt hatte er noch nie gesehen. Und sie bewegte sich nicht so, wie Ayron es kannte. Sie versuchte mit allen Mitteln, unbemerkt zu bleiben oder zumindest abstoßend zu wirken, erkannte Ayron. Doch warum war sie überhaupt unterwegs?
Die Bettlerin hatte jetzt den Torflügel erreicht, betastete ihn, als suche sie etwas Essbares an ihm. Oder nur Halt.
Aus einem weiteren wagen Gefühl heraus, musterte Ayron die Dunkelheit vor dem Tor, die Straße hinter der Brücke. Ein kurzes Blinken blitzte ihm von dort ins Auge. Er hatte es wohl eben schon unbewusst bemerkt. Ein Blinken, wie von einem Stück Metall, in dem sich die Lichter der Stadt kurz gespiegelt hatten.
Ayron verlagerte seine Position, tat, als wolle er an anderer Stelle beim Freimachen des Tores mit anpacken. Jetzt war der Durchgang direkt hinter ihm, die Lücke, durch die die seltsame Gestalt hindurchmusste, wenn sie tatsächlich durch das Tor schlüpfen wollte.
Ayron sah sie jetzt zwar nicht mehr, verließ sich aber auf seine anderen Sinne. Und dann spürte er einen leichten Lufthauch, etwas Stoff, der nah an ihm vorbei huschte. Er drehte sich um, bekam die verhüllte graue Gestalt zu fassen und zog sie mit einem entschlossenen Ruck zurück in die Stadt.
Die nächsten Sekunden waren einige der überraschendsten in Ayrons bisherigem Leben!
Von draußen, von der Straße her kam ein erstickter Schrei aus der Dunkelheit: "SIRA!!"
Ebenso von drinnen! Der Gardist, der eben am Freibekommen des Keils unter dem Tor so schmerzhaft gescheitert war, schrie mindestens ebenso besorgt: "SIRA!!"
Solche eine Verzweiflung und Leidenschaft in der Stimme kannte Ayron nur von Hinrichtungen, wenn Liebende oder Angehörige beim Anblick eines Verurteilten verzweifelt aufschrien, weil sich gerade die Falltür im Boden unter dem Galgen öffnete.
Immerhin schien auch der Gardist der Nordwache vom Ruf des anderen Mannes draußen vor der Stadt überrascht zu sein.
Trotzdem stürzte er sich nach kurzem Zögern auf Ayron, seinen Vorgesetzten!
Allerdings rannte er in blinder Wut an, so dass Ayron leicht ausweichen konnte. Und den Saum der verwickelten Gestalt am Boden zu fassen bekam, die sich gerade aufrichtete und fliehen wollte.
Ayron riss erneut hart an ihrem Bettlerumhang, den sie aber blitzschnell abgeworfen hatte - so dass er plötzlich nur noch den leeren Stoff in der Hand hielt, die Balance verlor und ungebremst gegen den Planwagen krachte.
Wieder auf die Schulter!, fluchte Ayron - jetzt wirklich fast den Tränen nah vor Schmerz.
Er rappelte sich auf, stieß den verrückt gewordenen Gardisten wütend in eine Gruppe seiner Kollegen - und brüllte: "Heris, haltet mir den vom Leib und nehmt ihn in Gewahrsam!", dann sprang er vor zum Tor.
Eine Frau in einem seidenen Kleid, mit dem sie jede Hochzeit geziert hätte, lief anmutig ins Dunkel. Gleichzeitig hörte Ayron wieder das Surren, hechtete sofort zur Seite aus dem Licht - und hörte die Pfeile seitlich über sich in den Torflügeln einschlagen.
Ihm blieben nur Sekunden für eine Entscheidung. Die Frau, wer immer sie war, war eigentlich schon entkommen, eine Verfolgung lebensmüde, angesichts der lauernden Bogenschützen an der Straße.
Doch Ayron war kein vernünftiger Soldat, der nur auf Befehl oder bei vertretbaren Risiken handelte.
Er war jetzt vor allem wütend. Über den Schmerz in seiner Schulter und die vielen offenen Fragen. Er rannte los, direkt hinter der Frau her, im Zickzack, in der Hoffnung, dass die Bogenschützen keinen Schuss wagten, mit dem sie die Frau verletzen konnten.
Einmal flog ein Pfeil heran, doch Ayron verfolgte klugerweise keinen regelmäßigen, berechenbaren Zickzackkurs, so dass der Pfeil ihn verfehlte.
Die Frau drehte sich erschrocken um und ihre rotblonden Haare umspielten wie wärmende Feuer ihr jugendlich frisches, helles Gesicht.
Ayron spürte sofort , dass etwas mit ihm passierte, als er diese nachtblauen Augen, in denen sich die Lichter der Stadt hinter ihm spiegelten, zum ersten Mal sah. Der Raum zwischen ihnen schien zu schrumpfen, während die Umgebung undeutlicher wurde. Ayron hörte seinen eigenen Atem überdeutlich, und glaubte, auch sie atmen zu hören, unnatürlich nah und verlangsamt, als würde jemand das Rad der Zeit mit überrirdisch starken Händen zwingen, sich für einige Sekunden langsamer zu drehen.
Ayron starrte sie an, versuchte zu verstehen, was gerade geschah. Auch sie blickte ihn immer noch an, obwohl der erste Schreck darüber, dass er sie verfogte und schon so dicht heran war, verklungen sein musste. Ayron machte einen Satz auf sie zu, sie reagierte nicht, verlor eine weitere wertvolle Sekunde.
Dann endlich floh sie weiter und erreichte das Ende der Brücke.
Doch Ayron bekam sie zu fassen und riss sie in die Richtung, in der er am ehesten hoffte, den Pfeilen ihrer Helfer? Freunde? zu entkommen: Kopfüber stürzten beide von der Brücke ins Wasser des Burggrabens.
Die zwei Elfenschützen sprangen unter den Bäumen hervor, ihre Bögen gespannt, die Pfeilspitzen schussbereit auf die chaotischen Wirbel im dunklen Wasser gerichtet - doch sie wagten keinen Schuss, auch wenn immer wieder Körperteile zwischen den Wellen sichtbar wurden: Ein rotblonder Haarschopf, breite Schultern
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