Die Unterwerfung des Innenarchitekten
von NaSchmi
Kapitel 1 DIESE VERDAMMTE DOMINA
„Diese verdammte Domina!“ ächzte eine Stimme, als Alina die Haustür zu ihrer neuen Altbauwohnung aufschloss.
Vor ihr kniete ein Mann im Hausflur und zog ein paar Zeitschriften aus dem kleinen Briefkasten. Offensichtlich bemerkte er sie nicht und auch nicht, wie sie sich mit ihrer Bücherkiste herum mühte.
In diesem Moment flogen Alina ein paar verstörende Bilder in den Kopf, wie dieser fremde Mann halb nackt im Ledergeschirr auf dem Boden herumkroch, ähnlich wie er jetzt vor ihr hockte, und von einer in Latex gekleideten Frau, die vielleicht nicht mehr ganz so jung war und nicht mehr richtig in der Blüte ihrer Attraktivität stand, herumkommandiert wurde. Die Frau versohlte ihm mit einer Reitgerte kräftig den Hintern.
Es war irgendwie eklig, aber auch amüsant sich das vorzustellen. Alina stellte sich vor, dass seine bleiche Haut sich gegen das glänzende, schwarze Material seiner Latexmontur drückte, was ihn dazu brachte, kalt zu schwitzen. Es war kein schönes Bild, das sich da in ihrem Kopf entwickelte, aber auch irgendwie interessant.
So hatte sie sich den Start in der neuen Stadt und in ihrer neuen Wohnung nicht vorgestellt. Wo war sie hierhin geraten? Musste sie sich darauf einstellen, dass mitten in der Nacht eine resolute Frau diesen Mann dazu brachte, den Mond anzuheulen? Musste Alina mit schlaflosen Nächten rechnen, weil dieser Typ lautstark seine komischen sexuellen Begierden auslebte?
Der Mann jedenfalls machte aus seinen Gefühlen kein Geheimnis und fluchte leise weiter vor sich hin: „Mein Arsch! Mein Arsch! Dieses verdammte Miststück! Nie wieder!“
Er hatte Alina scheinbar immer noch nicht bemerkt.
Da Alina in dem kleinen Flur nun wirklich nicht an dem Mann vorbeikam und die Kiste in ihren Händen immer schwerer wurde, räusperte sie sich.
Der Mann erschrak sichtlich und sah sie überrascht an.
„Habe ich das gerade laut gesagt?“, fragte er mehr sich als sie. Er fühlte sich ertappt.
„Du meinst, das mit der Domina, die dir den Arsch versohlt hat?“ Sie lächelte ihn offenherzig an und hätte mit den Schultern gezuckt, wenn die Kiste nicht so schwer gewesen wäre.
„Ich sollte wohl besser im Boden versinken.“, erwiderte er. „So vor Scham und so!“
„So peinlich ist dir das?“
„Yep!“
„Wir könnten einfach das Thema wechseln!“
„Das fände ich gut!“
„Wie wäre es beispielsweise, wenn du mir hilfst?“
„Womit?“
„Du könntest mir zum Beispiel die Tür aufhalten!“
„Oh! Die Tür! Klar, sicher!“
Der Mann stand hastig auf. Die schnelle Bewegung bereitete ihm offensichtlich Pein, und ihm entfuhr ein Schmerzenslaut.
„Lass mich raten…“, lächelte Alina süffisant.
„Die Domina.“, antworteten beide gleichzeitig.
Alina lachte.
Der Fremde verzog die Miene.
Es war ihm wirklich peinlich, aber er versuchte, Haltung zu bewahren.
„Michael. Innenarchitekt. Hallo!“, stellte er vor und hielt ihr seine Hand hin. Es schien ihm nicht bewusst zu sein, dass Alina die Hände voll hatte.
„Alina, Studentin. Sehr erfreut!“
Sie drehte ihren Oberkörper und hielt ihm ihren kleinen Finger hin. Er nahm und schüttelte ihn. Dabei verbeugte er sich höflich.
„Du bist die neue?“
„Mieterin meinst du?“
„Genau. Meine ich.“
„Dann sage ich auch: Genau.“
„Mein Vater hat dich angekündigt.“
„Dann bist du also der Sohn des Vermieters. Bist du sowas wie ein Aufpasser? Der Hausmeister?“
Seine Miene verfinsterte sich augenblicklich. Ungewollt hatte Alina scheinbar einen wunden Punkt getroffen.
„Ich hoffe doch, dass ich mehr bin als der Sohn von irgendwem. Und Hausmeister bin ich schon mal gar nicht. Ich wohne hier und habe auch mein Büro hier. Ich würde mich selbst als einigermaßen erfolgreich bezeichnen.“
„Aha!“, meinte Alina vage, die gar nicht vorgehabt hatte, an ihrem ersten Tag bereits in ein Wespennest zu treten.
Michael merkte, dass seine Worte falsch herauskamen. Er klang defensiv, als müsse er sich verteidigen. Aber das musste er beim besten Willen nicht!
Alina versuchte einzulenken:
„Das wollte ich gar nicht bestreiten. Womit bist du ganz schön erfolgreich?“
„Innenarchitekt. Ganz schön erfolgreicher Innenarchitekt bin ich.“
„Daher die Zeitschriften?“
„Fachzeitschriften. Richtig.“ Er hielt sie ihr hin, und sie las die Titel. „Und du willst heute hier einziehen.“, stellte er fest.
„Was dagegen?“
„Überhaupt nicht! Ich freue mich sogar. Du scheinst nett zu sein!“
„Danke!“ Alina wusste nicht, was sie von diesem Satz halten sollte.
Sie betrachtete den Mann genauer. Er sah nicht aus wie ein Kunde einer Domina. Wobei sie zugeben musste, dass sie nicht wusste, wie ein Kunde einer Domina aussah. Ihre Vorurteile pinselten das Bild von glatzköpfigen, übergewichtigen, unattraktiven Männern ohne Selbstbewusstsein, die sich Frauen vor die Füße warfen, weil sie das als einzige Chance ansahen, ihnen irgendwie nah zu kommen.
So jedenfalls sah sie ihn nicht. Sie schätzte ihn auf Anfang oder Mitte dreißig. Er lächelte sympathisch und seine Figur war ganz in Ordnung. Einen Bauch jedenfalls hatte er nicht. Auch seine Haare waren noch alle auf dem Kopf. Er war durchaus attraktiv, auch wenn er natürlich mit ungefähr zehn Jahren Altersunterschied für sie nicht in Frage kam.
Umso mehr passten seine sexuellen Neigungen nicht so recht in ihr Weltbild. In diesem krochen nur Leute mit geringem Selbstwertgefühl vor anderen im Staub. Dieser Michael hatte nun wirklich kein geringes Selbstbewusstsein. Er sah nett aus, schien einigermaßen schlagfertig und nicht ganz dumm zu sein. Auch die Namen der Zeitschriften, die er in der Hand hielt, deuteten darauf hin. Luxlumina, sicht+sonnenschutz, Wohn!Design.
Alina kannte keine dieser Zeitschriften. Man musste sicherlich eine Menge Fachkompetenz haben, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Wäre er also nicht geschätzte zehn Jahre älter und damit viel zu alt für sie, sie hätte vielleicht sogar Interesse an ihm. Wenn da eben nicht das mit der Domina gewesen wäre, versteht sich.
Alina fand sich eher konventionell in diesen Dingen. Und überhaupt hatte sie gar kein Interesse an einer Beziehung.
+ + +
Michael war noch nicht soweit, sich ein Urteil über seine neue Nachbarin zu bilden. Er haderte noch mit seiner ungewollten Beichte und suchte einen Weg, aus der Sache herauszukommen und sein Image aufzuwerten. Reputation war alles in seiner Branche. Besuche bei Dominas waren da eher kontraproduktiv. Er war eigentlich sehr vorsichtig mit seinem Privatleben. Umso mehr ärgerte er sich, dass er seinen ersten Besuch bei einer Domina direkt mit der Welt geteilt hatte.
Aber die junge Frau würde ihm wohl nicht glauben, wenn er das mit der Domina als Scherz darstellen sollte, und sonst fiel ihm beim besten Willen nicht ein, wie er diese Information, die er in seiner Leichtsinnigkeit so heraus posaunt hatte, irgendwie zum Guten drehen konnte.
Diese verdammte Domina!
Er hatte das mal ausprobieren wollen, weil er schon länger diese Erregung empfunden hatte, wenn eine Frau ihn dominierte. Es war so eine Neigung, die ihm lange nicht bewusst gewesen war. Seine Freundinnen der letzten Jahre waren alle nicht darauf angesprungen. Keine hatte etwas mit Dominanz und Unterwerfung anfangen können, und wenn er ihnen vorsichtige Andeutungen machte, dann blockten sie sofort ab. Wenn er beim Sex ihre Hände führte und er sich in eine Stellung der Unterwerfung brachte, dann verstanden sie nicht, was er damit bezweckte und gingen nicht weiter darauf ein. Es war frustrierend gewesen.
In letzter Zeit hatte er keine Freundin gehabt. Es war ihm zu mühselig geworden, sich um sie zu kümmern. Das hatte aber nichts mit seinen Präferenzen zu tun. Michael waren die Frauen einfach zunehmend komplizierter erschienen. Er verstand nicht so richtig, was sie wollten. Sie wollten nicht wie er, und überhaupt war er zu dem Ergebnis gekommen, dass so eine Frau in seinem Leben mehr Schaden anrichtete, als sie von Nutzen war.
Das mochte blöd klingen, aber so sah er es.
Aber diese Neugier bezüglich Dominanz und Unterwerfung hatte er nicht loswerden können, und so hatte er sich im Internet umgesehen und in einer benachbarten Stadt eine Domina gefunden.
Warum nicht in seiner Stadt? Nun, er wollte nicht erkannt werden, immerhin war er in einer winzigen, bescheidenen Weise eine lokale Berühmtheit als jüngster Spross einer Dynastie von Bauunterunternehmern. Da konnte er die Familienehre nicht einfach so aufs Spiel setzen, indem er bei einer Prostituierten gesehen wurde. Das verstand sich von selbst.
Wenn er auch in mancher Weise das schwarze Schaf der Familie war, dem man vorwarf, die Familie nicht mit dem nötigen Ernst zu vertreten. Sein Vater fand ihn wenig motiviert, unorganisiert und ineffizient. Michael selbst sah das vollkommen anders. Er war ein Künstler und nicht Handwerker wie sein Vater und sein Großvater. Aber das verstanden die nicht.
Das mit der Domina am vorherigen Tag jedenfalls war ein Schlag ins Wasser gewesen. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Die Frau hatte ihn ziemlich vermöbelt, ohne dass er irgendwas davon gehabt hätte. Und nun war sein Hintern mit blauen Flecken übersät, jeder Schritt tat ihm höllisch weh. Und zum guten Schluss sah er sich nun auch noch mit der Frage konfrontiert, wie er seine Ehre der jungen Frau gegenüber wiederherstellen konnte. Die musste glauben, dass er ein trauriges Würstchen war, das sich vor Frauen erniedrigen wollte. Na gut, so richtig weit von der Wahrheit war das nicht entfernt, aber er wollte das anders sehen.
In diesem Augenblick hatte ihn seine Schlagfertigkeit verlassen. Er stand wie ein dummer Junge vor ihr und musste erkennen, wie die Augenblicke verrannen, in denen er eloquent aus der Situation herauskommen konnte. Am Ende lagen alle Körner seiner Souveränität im unteren Teil der Sanduhr, und oben herrschte die gleiche Leere wie auch in seinem Kopf.
Schließlich blieb Michael nichts anderes übrig, als ein anderes Mal das Thema zu wechseln:
„Naja, wenn ich was für dich tun kann, dann lass es mich einfach wissen!“
Er war schon im Begriff sich umzudrehen, als Alina überraschend sein Angebot annahm:
„Du könntest mir helfen.“
„Womit?“
„Mit meinem Umzug.“ Sie schaute demonstrativ auf die Kiste in ihren Händen.
„Oh! Richtig. Du meinst, du hast mehr als einen Umzugskarton!“
„Draußen steht noch ein ganzer Transporter voll. Zu zweit hätten wir den schnell leer gemacht. Und ein paar Sachen da drin sind wirklich zu schwer für mich allein.“
„Du wolltest also ganz allein umziehen?“ Michael schaute skeptisch.
„So viel habe ich nicht. Und so richtig viele Gedanken habe ich mir vorher nicht gemacht. Ich dachte, ich finde vielleicht im Treppenhaus jemand Nettes, der mir hilft.“ Sie lächelte ihn erwartungsvoll an.
„So eine bist du also!“ Michael fand zwar an dem Gedanken von körperlicher Anstrengung keinen großen Gefallen, aber ihm gefiel, dass sie offensichtlich mit ihm flirtete.
„So eine bin ich wohl. Was sagst du? Du hilfst mir beim Umzug, und im Gegenzug lade ich dich heute zum Essen ein. Je schneller wir fertig sind, desto großartiger wird es.“
„Was soll ich zu so einem Angebot wohl sagen?“
„Sicher nicht nein!“ Sie lächelte.
„Dann sage ich wohl besser ja!“
„Super!“
„Und wenn es dich anmacht, dann kann ich dich auch gerne was beschimpfen!“
„Was?“
„Naja, wegen Domina und so. Da stehst du doch drauf… dachte ich.“ Während sie sprach, verfinsterte sich Michaels Miene augenblicklich.
„Sorry. Geht mich ja auch nichts an.“, versuchte sie zurück zu rudern. Michael war seinerseits bemüht, das Thema klein zu halten.
„Schon gut. Nichts passiert.“
Bevor er es sich versah, hatte er also einen Job. Sein Plan für den Morgen hatte eigentlich vorgesehen, dass er sich die Architektur-Magazine aus dem Briefkasten holte, sich in seiner luxuriösen Wanne ein Bad genehmigte und mit einem Espresso die neuesten Trends studiert, während er seinen geschundenen Hintern vom warmen Wasser umschmeicheln ließ. Es hätte so ein schöner Vormittag werden können!
All das war nun hinfällig geworden. Statt eines entspannten Morgens hatte er Arbeit. Eine mit einer netten Studentin, das musste er zugeben.
Sie lachte ihn an, trat auf ihn zu, und er dachte für einen Moment, sie wolle ihn zum Dank auf die Wange küssen. Stattdessen drückte sie ihm ihre Kiste in die Hand und meinte:
„Na dann mal los! Ich hole schon mal die nächste!“
Sie drehte sich nonchalant um und ging hinaus. Und Michael stand mit der schweren Kiste auf dem Arm da, während seine unter den Arm geklemmten Zeitschriften drohten, auf den Boden zu fallen.
Er wartete unschlüssig im Hausflur, und als er sich entschlossen hatte, die Treppe hinauf zu staksen, kam sie auch schon wieder zurück und hatte ihrerseits eine Kiste in den Händen. Er ließ ihr den Vortritt und stapfte hinter ihr die Treppe hoch. Das erste, was ihm dabei auffiel, war ihr Hintern, der rund und einladend vor ihm wackelte wie ihr blonder Pferdeschwanz. Sie hatte eine frauliche Figur, keine Modellmaße, sondern sah ziemlich durchschnittlich aus, wie Studentinnen halt aussehen. Ein paar Kilo hätte sie für seinen Geschmack verlieren können, aber sie war nicht rundlich.
Ihre Haut war bleich, aber es war auch noch Frühling. Auf der Straße wäre sie ihm nicht aufgefallen, aber nun, da sie sich sein Geheimnis angeeignet hatte, da hatte er Interesse an ihr gefunden. Sie war schlagfertig und irgendwie keck. Er mochte das.
Für einen Moment vergaß er darüber seinen eigenen geschundenen Hintern. Aber nur für einen Moment, denn als sie endlich das Dachgeschoss erreicht hatten, wo sie einziehen sollte, da merkte er ihn umso stärker. Wie oft würde er an diesem Tag noch mit seinen blauen Flecken die Treppe hinauf und hinab steigen?
Kapitel 2 UMZUGSSTRESS
Alina war ganz zufrieden mit der Wohnung. Sie war zentral gelegen in einem Altbau, so klein, dass sie sich die Wohnung fast selbst leisten konnte. Ihre Eltern würden ihr noch etwas zuschießen. Ihr Ziel war zwar eigentlich die Unabhängigkeit, aber ihre Eltern verdienten gut, und sie wollte sich auf ihr Studium konzentrieren und nicht ihre Zeit mit Kellern verschwenden.
Es war ihre erste eigene Wohnung, und sie war schon ein wenig stolz, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Manchmal hatte Alina das Gefühl, schon zu viel Zeit vertrödelt zu haben. Einige ihrer Mitschüler waren mit ihrem Bachelor schon fertig und standen kurz vor dem Master. Sie begann gerade erst mit dem Studium. Zwar hatte sie schon eine Ausbildung erfolgreich absolviert, aber andere waren eben schon weiter auf der Karriereleiter.
Es war nicht einfach gewesen, die Wohnung zu bekommen. Alina war es gewohnt, sich präzise Gedanken zu machen. Sie hatte eine lange Liste gemacht mit all den Kriterien, die ihre Wohnung zu erfüllen hatte. In erster Linie wollte sie allein wohnen, also kam eine WG nicht infrage. Die Untermiete bei einem immer präsenten Vermieter war auch keine Option. Sie hatte ihre Eltern lange genug ertragen, die eine ähnliche Rolle eingenommen hatten. Alina wollte zentral wohnen, also war die Vorstadt kein Thema. Auf der anderen Seite brauchte sie nicht viel Raum, konnte auch Treppen steigen und war auch bereit andere Einschränkungen hinzunehmen. So war sie zu der Altbauwohnung gekommen, um die sie aber noch hatte kämpfen müssen, denn offensichtlich gab es mehrere Bewerber. Alina war der festen Überzeugung, dass ihre strukturierte, nüchterne Art schließlich dazu geführt hatte, dass sie die Maklerin für sich hatte überzeugen können. Ihre penible Vorbereitung, präzisen Listen und gut durchdachten Entscheidungen hatten ihr schon häufig geholfen. Auch wenn man ihr vorwarf, nicht spontan genug zu sein und zu viel nachzudenken. Alina konnte gut damit leben, wenn am Ende der Erfolg stand, was kümmerte sie dann ihre mangelnde Spontanität? Es ging doch schließlich um das Ergebnis.
Nun stand sie also in der winzigen Dachgeschosswohnung mit ziemlich vielen Schrägen und zwei kleinen Erkern. 40 Quadratmeter, ein Zimmer, in das sie ihren Schreibtisch (ein Türblatt auf Stützen) und ihr Bett (ein Futon, das man zu einem Sofa zusammenfalten konnte). Dazu noch eine winzige Küchen und ein Bad packen sollte. Es war kein Platz für viele Möbel, und Alina hätte die auch nicht gehabt. Es war also quasi perfekt für sie. Eine typische Studentenwohnung. Früher hatte in dem Altbau vermutlich ein Butler oder eine Hausangestellte gewohnt, die für die Bewohner der unteren Etagen arbeitete. So stellte sie sich das zumindest vor. Nun lebte sie dort, und sie war zufrieden, auch wenn die vier Etagen ihr ein wenig Sorge bereiteten: Die Wasserkästen und Einkäufe, die sie immerzu würde hochwuchten müssen! Aber auch dem konnte sie etwas Positives abgewinnen. Regelmäßiges Treppensteigen würde ihr das Fitnessstudio ersparen.
Sie hatte das schon lange vorgehabt. Etwas Fitnesstraining zu machen, aber war bisher nicht dazu gekommen. Sie hatte gar eine Liste angefertigt mit Pro- und Kontraargumenten. Das war ihre Marotte. Listen mit Argumenten aufzustellen, die ihr dann bei der Abwägung halfen. Sie fertigte diese ständig an, für die kleinsten und banalsten Fragen. Es half ihr, sich zurecht zu finden, wenn sie die Dinge auf Papier vor sich sah und dann mit einem andersfarbigen Stift die Argumente kommentierte, bewertete und einordnete. In der Schule hatte ihre Grundschullehrerin ihnen das gezeigt. Die meisten Kinder hatten es doof gefunden, aber ihre Lehrerin hatte gemeint, dass ihnen Listen helfen würden, sinnvolle und informierte Entscheidungen zu treffen. Alina hatte das für sich übernommen. Sie musste vielfachen Spott ertragen, weil es sie so unflexibel und altbacken erscheinen ließ, aber sie konnte das ertragen. Sie hatte das beschlossen, nachdem sie eine Liste gemacht hatte zu der Frage, ob sie in der Öffentlichkeit Listen machen sollte oder nicht. Die Vorteile hatten klar überwogen.
Mit Michaels Hilfe war der Umzug schnell geschafft. Auch wenn der Alinas Meinung nach etwas zu wehleidig war. Als Alina Michaels Jammern zu viel wurde, wenn er sich mal bücken musste, machte sie sich ein paarmal über diese Geschichte mit der Domina lustig, und von da an war er still.
„Jetzt hör mal auf zu heulen!“, meinte sie, als er im Zimmer nebenan ächzte, weil er sich bücken musste. „Sonst lege ich dich noch übers Knie, und dann hast du wirklich einen Grund zum Jammern!“
Michael sah sie komisch an. Alina konnte seinen Blick nicht deuten. Es war so eine Mischung aus undefinierbar und unbeschreiblich. Später kam ihr der Verdacht, dass er ihren kleinen Scherz als Angebot aufgefasst haben könnte.
So war es aber nicht gedacht gewesen!!
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In der Tat gingen in Michael einige Gedanken im Kopf umher. Nicht nur dieses Anblaffen war bei ihm hängengeblieben, auch empfand er den generellen Ton von Alina, die ihm häufig knappe und klare Angaben machte, wo er welche Kiste hinstellen sollte, als auffällig, und er fragte sich, ob er in ihren Tonfall irgendetwas hineininterpretieren sollte.
„Pack das in die Küche!“, „Nein, dahinten hin!“, „Hol noch den großen grünen Karton!“ „Das war der falsche. Na egal! Dann musst du halt nochmal gehen!“
War das normal, dass man jemanden, den man gerade kennengelernt hatte, so herumkommandierte? Musste Michael sich das gefallen lassen? Zu beidem war die Antwort definitiv nein. Trotzdem sagte er nichts, sondern spielte mit. Es war auch interessant, in den Umzugskisten einer anderen Person zu kramen und da vielleicht das ein oder andere Geheimnis zu entdecken.
Michael erfuhr also, welche Bücher sie las. Ein paar klug aussehende BWL-Schinken, die typischen Bücher, die jeder las, und ein Haufen kitschiger Liebesgeschichten. Er bekam mit, was für einen Geschmack Alina hatte und was für Klamotten sie trug.
Einmal wühlte er auf der Treppe in einem Korb und hatte plötzlich ihre Unterwäsche in der Hand. Es waren nicht die Alltags-Oma-Unterhosen, sondern das kleine schwarze Höschen mit den Rüschen. Es war ihm nicht peinlich, und er hatte keine Skrupel, in der Unterwäsche dieser jungen Frau zu wühlen. Man hatte ihm schon immer attestiert, dass er in diesen Dingen unverfroren war. Selbstsucht, Egoismus, Egozentrik, das waren die Attribute, mit denen er immer wieder beschrieben worden war. Michael empfand das als ungerecht. So war er nicht.
Er war außerdem überzeugt davon, dass er sich mit seiner Hilfe beim Umzug ein wenig Indiskretion verdient hatte. Die junge Frau hatte ihn neugierig gemacht, und ihre Unterwäsche war doch ein guter Ansatz! Er rieb den weichen Stoff zwischen seinen Fingern und war in Gedanken versunken, bis er in der Wohnung angekommen war und durch eine weitere Order erinnert wurde:
„Stell die Kiste ins Schlafzimmer!“
Augenblicklich ließ er das Höschen fallen und schaute schuldbewusst, als sei er ertappt worden, als Alina aus der Küche kam. Aber sie war wohl zu beschäftigt und merkte es nicht.
„Okay!“ meinte er nur. „Mache ich!“
Sie sah ihn an, und er konnte ihren Blick nicht deuten, doch es erschien ihm, als hätte sie ihn durchschaut. Aber sie sagte dazu nichts weiter, sondern verlangte eine neue Kiste.
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Es war in Alinas Augen eine gute Arbeitsteilung, die sie gewählt hatten. Michael schleppte und Alina packte aus. Es war vollkommen unvorstellbar, dass er ihre Sachen auspackte. Sie wusste sehr genau, wo was hinkam. Man unterstellte Alina eine krankhafte Ordnungssucht. Aber das war natürlich Quatsch. Alina wollte nur gerne wissen, wo alles war. Deshalb hatte sie sich ein System entwickelt, nachdem sie die Dinge ordnete. Es machte ja auch Sinn. Wenn in der Küchenschublade ihrer alten Wohnung die Dinge alle in einer bestimmten Reihenfolge nebeneinander lagen, dann war es nur logisch, dass in der neuen Wohnung die Dinge in der gleichen Reihenfolge nebeneinander liegen sollten. Alina konnte blind in die Schublade greifen und das Küchenmesser herausnehmen. Was war daran nicht vorteilhaft?
So legte sich die Arbeitsverteilung automatisch fest. Alina bestimmte, was zu holen sei, und Michael holte es.
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Das erkannte auch Michael schnell, und er gehorchte brav, und meistens still, ächzte manchmal, gerne auch übertrieben, wenn er sich bücken musste, und sein Hintern schmerzte. Er verbrachte einen überraschend angenehmen Vormittag.
Bis eben zu diesem Satz: „Jetzt hör mal auf zu heulen! Sonst lege ich dich übers Knie, und dann hast du wirklich einen Grund zum Winseln!“ Der erinnerte ihn wieder an den Ursprung dieser ganzen Sache. Eigentlich hätte er sich ein Lob gewünscht für seine gewissenhafte Arbeit trotz der schrecklichen Pein, die er zu ertragen hatte.
Jetzt brachte sie diese Domina-Sache auch noch auf die Tapete!
Michael biss von da an die Zähne zusammen und sich auf die Zunge und vermied weitere Klagen, solange sie in der Nähe war.
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Sie hatte ihr Ziel also erreicht. Offensichtlich war ihm diese Sache so richtig peinlich. Mittlerweile fand Alina das amüsant. Je mehr er das Thema versuchte, unter den Teppich zu kehren, desto lächerlicher erschien ihr das alles. Sollte er sich doch von einer Frau vermöbeln lassen! Wenn das sein Ding war, in Ordnung! Sie konnte damit nichts anfangen, aber im Rheinland sagte man: „Jeder Jeck ist anders.“ Es war nicht ihre Sache, über andere Leute zu richten. Wo sie herkam, gab es genug Engstirnigkeit, und Alina hoffte, dass sie in der Stadt ein wenig mehr Freizügigkeit und neue Ideen finden würde. Es schien sich ja auch zu bewahrheiten.
Wenn man sich hier aus Spaß von Dominas verhauen ließ, dann war das in ihren Augen vollkommen in Ordnung. Es war nicht ihr Ding. Sie verstand es nicht. Es interessierte sie nicht sonderlich. Sie hatte sich nie mit dieser Sado-Maso-Sache beschäftigt, obwohl alle Welt 50 Shades of Grey gelesen hatten. Aber als die kleine, junge Studentin, die in die große Stadt gezogen war, um dem miefigen Kleinstadtleben in die intellektuelle Freiheit zu entfliehen, fand sie immer mehr Sympathie dafür, dass man hier scheinbar so etwas tun konnte.
Umso mehr fand sie, dass Michael offener damit umgehen könnte, anstatt sich so anzustellen. So peinlich musste ihm das alles nicht sein! Selbst wenn er insgeheim in Ketten und Latex und so einem Ball im Mund wie in Pulp Fiction auf dem Boden herumkroch, schien er in Ordnung zu sein.
Allein hätte sie sehr viel länger für den Umzug gebraucht. Zu zweit hatten sie die paar Möbel und das Bett schnell zusammengeschraubt. Es war erst früher Nachmittag, als Alina den Transporter, den sie sich von einem Freund geliehen hatte, durch den dichten Verkehr der Universitätsstadt zurück in das kleine Kaff brachte, dem sie entflohen war.
Ihre kleine Heimatstadt war ihr in letzter Zeit zu klein geworden. Nach dem Abi hatte sie eine Lehre zur Industriekauffrau gemacht, weil ihre Eltern ihr das nahegelegt hatten. Sie hatte zugestimmt, weil sie selbst nicht gewusst hatte, was sie aus ihrem Leben machen sollte. Ihre Zukunftspläne bestanden sicherlich nicht darin, in einem Unternehmen für Stahlverarbeitung Karriere zu machen. Und so hasste sie den Job bald abgrundtief. Sie konnte es nicht erwarten, ihre Ausbildung zu beenden, und als sie endlich ihren Berufsschulabschluss in der Hand hielt, wollte sie nur weg und kündigte noch am gleichen Tag, obwohl man ihr eine Festanstellung im Einkauf anbot. Lieber hätte sie sich die Fingernägel mit glühenden Zangen ausreißen lassen, als sich darauf einzulassen. Stattdessen wollte sie studieren: BWL. Die wirtschaftlichen Themen hatten sie in der Ausbildung immer interessiert. Ihr schwebte vage vor, ein Studium in BWL für etwas Sinnvolles einzusetzen… wie die Organisation einer karitativen Organisation. Alina konnte sich in dieser Richtung Vieles vorstellen, aber nichts Konkretes. Sie war sich nur sicher, dass sie ihr zu erlangendes Wissen für eine gute Sache einsetzen wollte. Es war alles noch ein wenig unbestimmt, aber sie hatte ja gerade erst angefangen.
Kapitel 3 REKAPITULATION UND EVALUATION
Nachdem Alina ihn entlassen hatte, ging Michael hinunter in seine Wohnung. Der Einzug in die winzige Dachgeschosswohnung war erstaunlich schnell vonstattengegangen. Michael hatte sich schon mit Grausen vorgestellt, dass sein ganzer Tag dahin sein könnte. Doch die Studentin hatte einen kleineren Hausstand, als er angenommen hatte. Sie hatte keine Knoblauchpresse, keinen Mörser, keinen Messerblock. Wie sollte man da kochen? Sie hatte Bücher, aber keine Bilder, keine Wohnaccessoires, keine Teppiche.
Was ihren Geschmack betraf, man konnte das nicht anders ausdrücken, war sie eine Barbarin. Ihre Ausstattung war nicht minimalistisch, sondern einfach nur spärlich. Oder erbärmlich. Die verschiedenen Stile ihrer wenigen Möbel waren eklektisch zusammengewürfelt. Michael konnte nicht verstehen, wie sich einige Leute so wenig über den Stil ihrer Wohnung Gedanken machen konnten. Wo man doch so viel Zeit darin verbrachte! Stattdessen hausten viele in stilistischer Anarchie mit Möbeln, die nicht zusammenpassten in Räumen, die unvorteilhaft eingerichtet waren und einfach keinen Stil hatten.
Michael konnte beim besten Willen kein Verständnis für solch unzivilisierte Menschen entwickeln, und er traf recht viele davon. Vor allem in seinem Beruf. Sie kamen zu ihm, um seinen Rat zu suchen und sich von ihm ihre Wohnung oder ihre Geschäftsräume einrichten zu lassen, und wenn er ihnen dann Ratschläge gab, dann wollten sie seine Expertise nicht annehmen und begannen zu diskutieren. Am Anfang hatte Michael das sehr gestört, und er hatte sich in seiner Ehre verletzt gefühlt. Wie konnte irgendwer seine Kompetenz anzweifeln? Michael konnte es einfach nicht ertragen, sich mit seinen Klienten herumzuschlagen. Wenn er merkte, dass jemand seine Kompetenz nicht anerkannte oder irgendwelche Schwierigkeiten machte, dann schob er diese Person einfach auf eine Warteliste oder fand eine Ausrede, um nicht mehr mir ihr zusammenzuarbeiten. Er hatte es nicht nötig, Kompromisse zu machen. Seine berufliche Integrität kam vor dem Profit. Dieses Prinzip führe er so konsequent zu Ende, dass er es immer noch nicht geschafft hatte, auf einen grünen Zweig zu kommen und schwarze Zahlen zu schreiben. Sein Vater musste immer noch eine Menge zuschießen, damit er über die Runden kam.
Michael ging also eine Etage hinunter in sein Büro, das eigentlich eine Wohnung auf der Etage gegenüber seiner Wohnung war, und legte die Beine auf den Schreibtisch, vorher legte er sich aber noch ein weiches Kissen auf seinen Sessel und blätterte in den Fachzeitungen. Nach einem Bad war ihm nicht mehr.
Aber es gelang ihm nicht. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Das lag sicherlich nicht zuletzt an seinem schmerzenden Hintern. Immer wieder fand er seine Gedanken bei der Domina, die er am Tag zuvor besucht hatte.
Es war eine Schnapsidee gewesen. Das gab er gerne zu.
„Mistress Jasmin“, so nannte sie sich im Internet. Sie betrieb eine altmodisch anmutende Internetseite, die noch mit der Hand gemacht schien. Der Besucherzähler stand auf 218. Das war ihm irgendwie sympathisch. Offensichtlich hatte er es mit einer Anfängerin zu tun. Der Gedanke an eine sechzigjährige Oma mit Kriegserfahrung lag ihm überhaupt nicht. Er fühlte sich zu jüngeren Frauen hingezogen, und wenn diese Jasmin noch nicht so abgebrüht war, umso besser!
In seiner Stadt gab es eine Handvoll Dominas, aber er wollte seinen Ruf und die Familienehre nicht aufs Spiel setzen, und so suchte er ein wenig weiter weg. Mistress Jasmin lebte 50 Kilometer entfernt in einer kleinen Stadt, die er nur dem Namen nach kannte. Da er selbst auch Anfänger war, und er das alles nur einmal ausprobieren wollte, sagte ihm das Provinzielle zu. Eine Anfängerin würde mit ihm auch nur Anfänger-Sachen machen, so stellte er sich das zumindest vor. Keine Schweinereien wie all die ekelhaften Dinge, von denen er im Internet gelesen hatte. Er wollte quasi nur einmal schnuppern, und was konnte da schiefgehen mit jemandem, der bisher nur 218 Besucher auf seiner Internetseite verbuchen konnte? Er suchte ein Foto, fand aber nur eines, das ihre Beine zeigte. Sie steckten in langen Lederstiefeln mit sehr hohen Absätzen. Es musste unangenehm sein, in solchen Stiefeln den ganzen Tag zu laufen, hatte er noch gedacht. Ergonomie war sein Spezialgebiet an der Uni gewesen, als es in einem Seminar um die Einrichtung von Arbeitsplätzen ging. Ergonomie war wichtig. An gut eingerichteten Arbeitsplätzen arbeitete man effektiver, produktiver und man verringerte Ausfallzeiten wegen Krankheit um bis zu 20%. Das hatte er alles gelernt!
Er überlegte, wie es sein mochte, ein Studio für eine Domina einzurichten. Vielleicht konnte er ihr ja einige Tipps geben. Vielleicht konnten sie irgendeine Vereinbarung zur beiderseitigen Zufriedenheit schmieden. Er konnte sich das vorstellen.
Ihre Webseite war voller Rechtschreibfehler, aber gerade das Dilettantische daran zog ihn an und verleitete ihn dazu, ihr eine Mail zu schreiben.
„Sehr geehrte Frau Mistress Jasmin“, so hatte er begonnen. „Von ihrer Webseite habe ich erfahren, dass Sie eine strenge Domina sind. Gerne würde ich Ihre Dienste in Anspruch nehmen und mich von Ihnen dominieren lassen…“
Es war ihm nicht klar, wie man solch eine Nachricht am besten verfasste, und so dachte er sich, dass ein formelles, respektvolles Auftreten angemessen wäre. Er entschied sich für die Förmlichkeit und Distanz eines Bewerbungsschreibens.
Sie hatte noch am gleichen Nachmittag geantwortet und einen Termin vorgeschlagen. Auch ihre Mail war voller Rechtschreibfehler, und die Komma-Taste an ihrer Tastatur, sowie die Hochstelltaste mussten kaputt sein, denn in ihrem kurzen Text fanden sich keine Satzzeichen und keine Großbuchstaben. Nein, das stimmte nicht ganz. Ihr Abschluss war komplett in Großbuchstaben (Allcaps, wie der Fachmann sagt) und mit zu vielen Ausrufezeichen versehen:
„UNTERWERF DICH MIR!!!!!“
Es hätte natürlich „unterwirf“ heißen müssen, aber er gestand ein, dass Imperative schwer zu handhaben waren. Der Gedanke, sich von einer Frau dominieren zu lassen, die ihm intellektuell unterlegen war, reizte ihn sogar noch mehr. Während er vor seinem Rechner saß, malte er sich aus, wie eine unvorteilhaft in Leggins mit Leopardenmuster gekleidete junge Frau, die so eben ihren Hauptschulabschluss gemacht hatte, mit zu viel Makeup in ihren unbequem hochhackigen Schuhen ihn zurechtwies und vor ihr knien ließe. Es erregte ihn, das konnte er nicht bestreiten. Er stellte sich vor, wie sie sich in ihrem geschmacklos eingerichteten Wohnzimmer über ihn lustig machte und ihn übel beschimpfte. Der Gedanke, dass jemand, der offensichtlich so weit unter ihm stand, die Kontrolle über ihn hatte, ihm sagte, was er zu tun hatte, machte ihn nun doch so geil, dass es angenehm unangenehm eng in seiner Hose wurde. Es bestätigte den Termin gleich, und achtete darauf, seinerseits ein paar Rechtschreibfehler in seine Mail einzubauen. Quasi als Test, ob es ihr auffiele und sie dies als Respektlosigkeit auffasste. Aber sie antwortete nicht mehr. Vielleicht war es ihr nicht aufgefallen, vielleicht war es ihr egal. Vermutlich hatte er zu viel von ihr erwartet.
Michael fuhr am nächsten Tag rechtzeitig los. Seinen Termin hatte er um 15:30 Uhr. Er fragte, sich, der wievielte Freier er an diesem Tag wohl sein würde. Doch die Antwort auf diese Frage erschien ihm umso unangenehmer, je länger er darüber nachdachte. Er wollte nicht wie am Fließband von einer kalten und anteilslosen Frau dominiert werden. Er wollte, dass sie ihn trotz allem, was sie mit ihm anstellte, irgendwie mochte und respektierte- auch wenn er das gerade von einer Prostituierten nicht erwarten konnte und es widersprüchlich schien Respekt zu wollen, wenn es eigentlich darum ging, diesen versagt zu bekommen.
Das Navi führte ihn über die Landstraße in eine heruntergekommene Ecke der Stadt zu einem Wohnblock mit vierstöckigen Mietskasernen. Es war kein schöner Ort.
Er stellte seinen SLK ab, der zwischen all den Rostlauben deplatziert wirkte, und steuerte auf die Hausnummer 8 zu. Mistress Jasmin hieß eigentlich Jasmin Schröder, wie er der Klingel entnahm. Was immer geschah, würde wohl in ihrer Wohnung stattfinden. Er klingelte, stellte sich über die Sprechanlage vor und glaubte, im Hintergrund das Geschrei eines Babys zu hören. Aber er konnte sich auch irren. Vielleicht war es das Radio oder das Fernsehen. Eine weibliche Stimme sagte ihm, er solle einen Moment warten, und er fragte sich, ob das schon Teil des Spiels wäre: Dass er dumm vor der Tür zu warten hatte. Da sie ihn recht lange warten ließ, beschloss er, es als Beginn ihrer Session aufzufassen. Mit dieser Entscheidung bemerkte er augenblicklich, wie es sich in seinem Schritt regte. Das also war der Beginn! Die Vorfreude bahnte sich ihren Raum in seiner Hose.
Doch als es länger und länger dauerte, seine Uhr dokumentierte fünf Minuten des Wartens, legte sich die Freude wieder. Er sah sich um. In einiger Entfernung standen drei Jugendliche in Jogginganzügen. Sie hatten Bierdosen in der Hand und sahen immer wieder zu ihm und dann zu seinem Wagen herüber. Michael wurde etwas mulmig, und als sie anfingen laut zu lachen, empfand er Peinlichkeit. Wussten sie, zu wem er wollte? War einer von diesen Typen vielleicht sogar Mistress Jasmins Zuhälter? Er hätte kein so großes Problem gehabt, wenn diese Männer geglaubt hätten, er würde zu einer normalen Prostituierten gehen. Aber eine Domina? Das war ihm peinlich, weil es als unmännlich galt. Seine ganze Neigung war ihm zutiefst peinlich. Es war einfach nicht männlich. Aber was konnte er tun? Starke Frauen machten ihn nun einmal an. Sie hatten es vielleicht schon immer getan, auch wenn es ihm erst kürzlich so richtig bewusst geworden war.
Er wusste auch nicht, wo das herkam. Irgendwo hatte er etwas davon gelesen, dass das etwas mit einer dominanten Mutter zu tun haben musste, aber Michael fand sich in dieser Theorie nicht wieder. Seine Mutter war alles andere als dominant gewesen. Sie war sogar ganz das Gegenteil gewesen. Zurückhaltend, vor allem im Vergleich zu seinem Vater, der immerzu unglaublich ambitioniert und ehrgeizig war, eine Charaktereigenschaft, die er selbst nicht geerbt hatte, und darüber war er auch ganz froh, denn sein Vater und auch sein Großvater waren für seine Begriffe zerfressen von Ehrgeiz und dem Streben nach Macht. Er selbst genoss lieber. Interessanter fand er in diesem Zusammenhang die Theorie, dass vor allem außerordentlich erfolgreiche Managertypen sich häufig von Frauen dominieren lassen wollten. Weil sie im Beruf so viel zu entscheiden hatten, mochten sie es, in ihrer Freizeit die Zügel aus der Hand zu geben. Aber wenn Michael ehrlich war, dann passte auch diese Theorie nicht so richtig auf ihn. Er musste zugeben, dass sein Job ihn nicht so sehr forderte, obwohl er natürlich ein Manager war. Ein Manager der Inneneinrichtung!
Er vermittelte ihm nicht den Wunsch, die Zügel aus der Hand zu geben. Küchenpsychologie half ihm nicht weiter, und eigentlich akzeptierte er seine Neigung ja auch. So lange eben niemand sonst davon wusste. Schon gar keine Jugendlichen in Ballonseide mit Bierdosen, die in ihrer Bewerbung unter Hobbys auch das Ableisten von Sozialstunden aufführen konnten.
Michael wartete also. Nachdem zehn Minuten verstrichen waren, kam er sich allmählich dumm vor. War das ein Test? Erwartete sie etwas von ihm? Sollte er noch einmal klingeln? Hatte sie ihn gar vergessen? War sie noch mit einem weiteren Klienten beschäftigt? Würden die beiden sich begegnen, wenn der aus der Wohnung kam und er hineinginge? Das war genau das, worauf er keinen Bock hatte. Als die ersten Gedanken in ihm hinaufkrochen, das ganze abzublasen, zurück in seine Wohnung zu fahren, eine Pornoseite im Internet zu öffnen und es sich vor dem Rechner bequem zu machen, da ertönte die weibliche Stimme in der Gegensprechanlage wieder:
„Komm rauf!“
Der Summer wurde betätigt und Michael stieg durch das Treppenhaus, hinauf in den zweiten Stock. Schon bevor er die Wohnung erreichte, überdeckte der Gestank kalten Zigarettenrauchs den Mief des Treppenhauses.
„Mach schneller!“, blaffte die Stimme der Frau ihn an, bevor er sie überhaupt sehen konnte, und er beeilte sich, ihrem Befehl nachzukommen.
Schließlich stand er vor der Frau, die wie Ende zwanzig aussah. Sie lehnte im Türrahmen und schaute ihn abweisend an. Sie war relativ klein mit einer unvorteilhaften Lockenfrisur in Straßenköterblond. Sie trug eine schwarze Korsage, die ihre nicht sehr großen Brüste ein wenig anhoben. Ein kurzer Rock aus Kunstleder und eine schwarze Strumpfhose rundeten das Bild ab. Ihre Füße steckten in schwarzen Stiefeln, die bei weitem nicht so gefährlich aussahen wie die im Internet. Sie war sicherlich nicht seine Traumfrau, aber sie war auch nicht abstoßend anzusehen. Michael hatte sich schon auf ein billiges Erlebnis eingestellt, und er wurde offensichtlich nicht enttäuscht. Eine Prekariatsdomina. Der Begriff fiel ihm spontan ein, und ihm war auch bewusst, dass der nicht gerade politisch korrekt war. Aber er passte irgendwie.
„Komm rein, du perverse Sau!“, raunzte sie ihn an.
Sie machte ihm Platz, und er betrat den Flur der kleinen Wohnung, die penetrant nach kaltem Zigarettenrauch stank. Aber je abstoßender die Szenerie war, die vergilbte Tapete, der fleckige Teppich, die Nippesfiguren aus Pressglas auf der Kommode, desto mehr erregte es ihn auch. Er sollte sich dieser Frau unterwerfen? Er sollte sich von ihr sagen lassen, was er zu tun hatte? Er sollte sich ihr ausliefern? Der Gedanke beflügelte seine Phantasie. In seinem Kopf spielten sich großartige Szenarien ab.
„100 Vorkasse!“
Michael holte sein Portemonnaie heraus und gab ihr zwei Fünfziger, die sie sich wie in einem schlechten Western ins Dekolletee steckte. Das Klischee dieser Geste machte ihn nur noch schärfer. Es war alles so billig und stillos, so unter seinem Niveau, wenn das auch arrogant klingen mochte. Es machte ihn geil. Dass er, der Feinsinnige und Gebildete sich dieser billigen Frau auslieferte.
„Komm mit!“ Sie und ging vor, und er folgte ihr durch den engen und dunklen Flur.
Alle Türen waren verschlossen, sodass er nicht in die restlichen Zimmer schauen konnte. Aber es bestand kein Zweifel, dass er in einer Wohnung war. Als er hinter ihr herging, vermeinte er den ranzigen Geruch trockenen Schweißes zu riechen. Er stellte sich vor, wie sie sein Gesicht in ihre Achselhöhle pressen würde und er von diesem bitteren Geruch gepeinigt würde, der aber doch so erregend wäre, weil er ihre geronnenen Hormone verteilte.
Sie öffnete die Tür am Ende des Flurs und ging in das Zimmer. Er folgte ihr. Der Raum war vollkommen dunkel, die Rollläden waren heruntergelassen. Sie schloss die Tür hinter ihm, und für einen Moment standen sie beide in kompletter Dunkelheit.
Er stellte sich vor, dass sie sich auf ihn stürzen würde, vielleicht mit einem Tritt in die Kniekehle aus dem Selbstverteidigungskurs zu Boden bringen würde. Er stellte sich vor, wie sie sich auf ihn werfen würde, bevor er es sich versah, ihn irgendwie fixierte, vielleicht mit Handschellen, die sie ihm schnell umlegte. Wie sie sich auf seine Brust setzen würde, ihr Geschlecht nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Er stellte sich vor, wie er sich gegen die Fesseln sträubte, worüber sie aber nur lachte. Denn er mochte eine Uni besucht haben, sie aber die Schule des Lebens, und die hatte sie gelehrt, wie man mit Männern umging, wie man sie überwältigen konnte.
Über ihn gebeugt schaute sie auf ihn herab, und er würde in ihren Augen für einen Moment eine Schönheit entdecken, der sie sich selbst nicht bewusst war. Es wäre vielleicht nur ein Aufblitzen eines Moments, während ihr schaler Atem auf ihn niedersank.
Aber nichts dergleichen geschah. Keine Überraschung, kein sexueller Überfall.
Sie kramte hinter ihm, und seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Ein wenig Licht fiel durch den Türspalt und die Rollläden. Doch bevor er die Umrisse identifizieren konnte, war ein Licht angeknipst worden. Mistress Jasmin saß in einem Ohrensessel. Später fiel Michael ein, dass er den aus dem Ikea-Katalog kannte. Aber in diesem Augenblick ließ er sich von seiner Phantasie leiten. Neben all dem Billigen, das die ganze Situation prägte, strahlte sie nun etwas Majestätisches aus, wie sie in ihrem Sessel saß mit übergeschlagenen Beinen, die lang und einladend wirkten. Er hätte gerne zu ihren Füßen die Schuhe abgeleckt, obwohl er bislang nie einen Fußfetisch gehegt hatte. All diese Eindrücke überraschten ihn, erwischten ihn auf dem falschen Fuß.
In ihrer Hand hielt sie eine Reitgerte, die sie spielerisch hin und her schwenkte. Auch diese Geste war zu klischeehaft.
Nebenbei nahm er die restliche Einrichtung des schwach beleuchteten Zimmers wahr. An den ansonsten leeren Wänden hingen Peitschen, Gerten, Ruten, Paddel und andere Schlaginstrumente. Er sah einige Utensilien, die er mit Namen nicht benennen konnte, aber aus Pornovideos kannte. Sie verfehlten ihre Wirkung nicht und machten ihn nervös wie die Folterwerkzeuge, die beiläufig auf einem kleinen Tisch ausgelegt waren wie in einem Horrorfilm. In der Ecke stand ein geschlossener Kleiderschrank, den er auf die früher Achtziger taxierte. Schließlich befand sich in dem Zimmer noch ein altes Bett mit einem Stahlgestell, an dessen Ecken Ledermanschetten zu finden waren.
„Zieh dich aus!“, blaffte die Frau ihn an und wedelte ungeduldig mit der Gerte hin und her.
Michael zögerte. Nun wurde es ernst.
„Mach schon!“, trieb sie ihn an. „Die Zeit läuft, du perverse Sau!“
Er schluckte, zog seine Jacke aus und ließ sie zu Boden fallen. Dann öffnete er langsam den obersten Knopf seines Hemdes. Die hinterher geschobene Beleidigung kam bei ihm nicht gut an. Er hätte darauf verzichten können, vor allem, weil er in ihren Worten eine ernst gemeinte Abneigung gegenüber seinen Wünschen festzustellen glaubte, und die wollte er nicht unter die Nase gerieben bekommen. Aber Michael redete sich ein, dass das wohl zu dem Spiel gehörte. Immerhin war sie so etwas wie ein Profi.
Sie sah ihn gelangweilt an, bedeutete mit der Gerte weiterzumachen, und er gehorchte. Seine Erregung war nun nicht mehr zu steigern. Er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals so etwas gefühlt hatte, wann er jemals so geil gewesen war. Michael hatte das Gefühl, seiner Bestimmung nahe zu sein. Und es hatte noch nicht einmal richtig angefangen!
Er genoss diesen Augenblick. Die Arroganz dieser fremden Frau, die sich so plump verhielt, ihre abschätzigen und gelangweilten Blicke. Jeder Knopf, den er öffnete, entblößte ihn mehr und zeigte seine Unterlegenheit. Er gab sich ihr hin, lieferte sich ihr aus. Ihr, einer wildfremden Frau! Sie konnte befehlen, und er würde gehorchen, würde ihre Führung anerkennen.
Er ließ das Hemd von den Schultern gleiten und zog das T-Shirt aus. Nun stand er mit bloßem Oberkörper vor ihm.
„Schneller, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, du Wichser!“ Die letzten Worte spuckte sie aus. Sie lachte über ihre eigenen Worte, und da war wieder dieses Gefühl, dass er sich rechtfertigen musste.
Er öffnete den Gürtel seiner Jeans, dann den Knopf, stieg etwas ungelenk und sicher nicht sehr erotisch aus der engen Hose. Vorher kickte er noch die Slipper von den Füßen. Er hielt einen Moment inne und sah sie flehentlich an, als würde er sie mit den Augen bitten, nicht noch mehr von ihm zu fordern und Mitleid zu haben. Aber sie reagierte nicht darauf, sah ihn nicht an, und so konnte er diesen Augenblick der Erniedrigung nicht genießen. Gerade wollte er sich bücken, um die Socken auszuziehen, da unterbrach Mistress Jasmin ihn:
„Komm, reicht schon! Die Unterhose bleibt an, dass du kleiner Spinner scharf bist, kann ich sehen!“ Sie zeigte auf die Beule in seinen Shorts. „Ich will keine Schweinereien auf dem Bett! Wenn es dir zu viel wird, spritz mal schön in deine Unterhose!“
Michael ließ die Bemerkungen über sich ergehen. Er hätte ihr gerne gesagt, dass er auf diese Art von verbaler Erniedrigung nicht stand. Aber durfte er das? Vermutlich gab es für so etwas Regeln. Er kannte sich da nicht aus, und so schwieg er lieber. Er wollte sich nicht auch noch als Anfänger outen, der keine Ahnung hatte.
Vielleicht hätte er es besser tun sollen. Denn von diesem Moment an ging so ziemlich alles schief, und der bis dahin fast gelungene Augenblick zerbrach. Im Nachhinein war ihm klar, dass er vorher hätte stutzig werden müssen. Er hätte vorher mit ihr absprechen sollen, was er wollte und was nicht, wo seine Grenzen lagen, worauf er stand. In seiner Internetrecherche hatte er gelesen, dass Dominas das eigentlich so machten.
Mistress Jasmin nicht.
In diesem Moment war der Großteil seines Blutes leider nicht in seinem Hirn, sondern damit beschäftigt, seinen kleinen Freund steif zu halten.
Und so legte er sich bäuchlings auf das Bett, ließ sich von Mistress Jasmin an Armen und Beinen fesseln und auch noch einen Gummiknebel anlegen. Es war ein ekliges Teil, das nach billigem Plastik roch. Er fing sofort an zu sabbern, und der Speichel lief ihm bald aus den Mundwinkeln. Aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass die Domina nun begann, seinen Hintern und seinen Rücken mit der Reitgerte zu malträtieren, und das mit einer Wucht, die ihm vom ersten Schlag an schon Sorgen machte, denn es tat verdammt weh!
Wie sie die Gerte zischend auf seinen Hintern niedergehen ließ!
Vorher hatte sie ihm die Boxershorts noch halb heruntergezogen, damit ihre Schläge noch mehr Wirkung erzielten.
Michael stöhnte laut auf, doch der Knebel in seinem Mund ließ nur unartikulierte Geräusche aus seinem sabbernden Mund nach draußen. Die nächsten Minuten sollte er so richtig bereuen, dass er ihr nicht gesagt hatte, wie wenig er auf Schmerzen stand, dass er gerne dominiert, aber nicht verprügelt werden wollte. Er bereute, dass er sich eine unerfahrene Domina ausgesucht hatte, die nur 218 Besucher auf ihrer Webseite vorzuweisen hatte. Er bereute selbst Dinge, an denen er keine Schuld hatte. Er bereute seine Arroganz ihr gegenüber, seine Überheblichkeit, er bereute sogar Jugendsünden: dass er Sarah in der dritten Klasse gemobbt hatte, dass er seiner Lehrerin einen klitschnassen Schwamm auf den Stuhl gelegt hatte, und sie sich darauf gesetzt hatte.
Während ein Schlag nach dem nächsten, auf seinem Hintern landete, mittlerweile nicht mehr mit der Reitgerte, sondern mit einem hölzernen Paddel ausgeführt, bereute er wie noch nie zuvor.
Er riss an seinen Fesseln, die natürlich bombenfest saßen, schrie in den Ball Gag. Die Tränen liefen ihm das Gesicht herunter und mischten sich mit seinem Speichel auf dem Bettlaken. Er fragte sich, wie er sie zum Aufhören bringen konnte. Sollte er noch lauter schreien, sich noch mehr gegen die Fesseln stemmen? Aber das würde sie vielleicht als Zeichen von Erregung interpretieren. Oder sollte er still halten? Aber das könnte sie so deuten, dass er noch mehr wollte.
Er konnte nichts tun, musste also da durch.
Nur weit in seinem Hinterkopf war da noch etwas anderes. Wie ein Riese, der sich vorsichtig im Sturm am Horizont zeigt. Ein verschämter Gigant. Michael spürte die Kraft, die hinter dem Gedanken stand, ihr ausgeliefert zu sein. Er konnte sich nicht wehren, war ihr ausgeliefert, dieser fremden Frau. Sie konnte tun mit ihm, was sie wollte, und das tat sie auch. Hinter dem Sturm des Schmerzens stand er dort. Dieser Wunsch zu leiden, zu dienen, ihr zu Füßen zu liegen und eben auch mit den Konsequenzen zu leben. Das war es, was er wollte. Es war nur der Schmerz, den er nicht wollte. Aber da war etwas, da war dieser Gigant, und den konnte er nicht ignorieren, er wollte es auch nicht. Er wollte wissen, wie mächtig er in ihm war, auch wenn er sich bislang versteckt hatte und sich nun verschämt zum ersten Mal heraus traute. Er wollte das. Aber er wollte es nicht so. Beileibe nicht. Es waren die längsten Minuten in seinem Leben, und er war unendlich dankbar, als sie endlich von ihm abließ.
„Hast du genug, du Sau?“, fragte sie, und er nickte mit letzter Kraft.
„Du bist eine Schwuchtel, weißt du das?“
Er war keine Schwuchtel.
Wie ihm seine vorherige Arroganz Leid tat, nahm er auch Anstoß an dem Begriff „Schwuchtel“. Das sagte man nicht, und es traf nicht auf ihn zu!
Er nickte trotzdem, weil es wahrscheinlich besser war.
Er spürte, wie sie seine Fesseln löste.
„Wenn du noch abspritzen willst, dahinten sind Kleenex und ein Mülleimer. Wehe, du spritzt auf meine Laken! Die sind frisch gewaschen! Wenn du fertig bist, verschwinde!“
Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Wie konnte sie nur glauben, dass er noch zu irgendeinem sexuellen Akt in der Lage war?
Michael war froh, als sie weg war. Er blieb noch einen Augenblick liegen, dann raffte er sich auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und den Sabber vom Mund. Er versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen und stand vorsichtig auf. Sein Hintern brannte wie Feuer, als er die Shorts hochzog. Er zog sich, so schnell es ging, an, doch die Jeans hochzuziehen war verdammt schwierig und tat höllisch weh. Ohne sich zu bücken, schlüpfte er in seine Schuhe. Er atmete noch einmal tief durch und verließ dann wie auf rohen Eiern relativ schnellen Schrittes das Zimmer.
Der Flur war leer, von Jasmin war keine Spur zu sehen. Aus einem Raum ertönte leise das Radio. Michael kümmerte sich nicht drum. Er ging weiter, öffnete die Wohnungstür, wankte hinaus, das Treppenhaus hinunter zu seinem Wagen.
Die Jugendlichen standen immer noch an ihrem Platz. Er beachtete sie nicht, und es war ihm auch egal, als sie lachten, als wüssten sie, was ihm widerfahren war. Er stieg vorsichtig in seinen Wagen, sein Arsch brannte, als er sich setzte.
Er machte, dass er wegkam.
So schnell es nur ging.
Er fuhr eine ganze Weile, bis er sich gefangen hatte. Er fluchte laut über das verdammte asoziale Miststück, das ihn so malträtiert hatte!
Er beschimpfte sie, und nun fielen ihm all die klugen Worte ein, die er ihr in ihrer Wohnung noch hätte mitgeben sollen. Er hätte ihr sagen wollen, was für eine lausige Domina sie war, dass sie keine Ahnung hatte, keinen Stil und keine Manieren. Er hätte ihr sagen sollen, dass seine Geilheit nur auf Mitleid für sie aufgebaut war. Er hätte ihr ihren beschissenen Geschmack vorwerfen sollen. Und vor allem hätte er ihr sagen wollen, dass er ihr eine beschissene Kritik hinterlassen würde auf dieser Seite, von der er gehört hatte, auf der man Prostituierte bewerten konnte.
Natürlich hätte er diese Seite eigentlich vor seinem Besuch konsultieren müssen, das war ihm nun auch klar.
Michael regte sich also lange und ausgiebig auf. Als er wieder zuhause angekommen war, hatte er das Erlebnis einigermaßen verarbeitet. Aber sein wunder Hintern sollte noch ein paar Tage brennen.
Kapitel 4 RECHERCHEN
Als Michael am Tag nach dieser Begegnung in seiner teuren, großen Badewanne saß, und das warme Wasser und das eingebaute Luftsprudelbad die Schmerzen an seinem Hintern linderten, hatte er das Erlebnis mit der Domina schon wieder mehr oder weniger verarbeitet, und er ließ sein Treffen Revue passieren. Mittlerweile war seine Bewertung nicht mehr so eindeutig.
Offensichtlich war er an eine so richtig inkompetente Domina geraten, die nicht den geringsten Plan hatte. Er wollte definitiv nicht wieder zu ihr zurück. Aber er musste sich auch eingestehen, dass abgesehen von der Trachtprügel, die er hatte einstecken müssen, er schon geil geworden war und einige Erfahrungen gemacht hatte, die er auf jeden Fall wieder erleben wollte.
Er wollte mehr davon. Nur eben nicht so.
Wie hatte all die Jahre so etwas in ihm schlummern können, ohne dass er so richtig wusste, was das war? Er hatte wohl schon immer starke Frauen gemocht, aber es war vage und unspezifisch geblieben. Michael hatte sich nie so richtig Gedanken darüber gemacht. Stattdessen war er in seinen zahlreichen Beziehungen immer mehr oder weniger damit beschäftigt gewesen, den Macho zu geben und den starken Mann zu markieren. Und plötzlich entdeckte er diese ziemlich neue Seite an sich. Allmählich war ihm das bewusst geworden, und nun war es aus ihm herausgebrochen. Und das in den wenigen Minuten, die er vor der Tür der Domina gewartet hatte und seinen Gedanken freien Lauf gelassen hatte. Noch mehr als in den wenigen Augenblicken, in denen er in ihrem Spielzimmer gewesen war und die Dinge den Bach runter gegangen waren.
Er wollte jetzt jedenfalls mehr!
Michael musste nur eine Domina finden, die etwas einfühlsamer war, die auf seine Bedürfnisse einging, die sich nicht in Klischees erschöpfte. Wie schwer konnte das sein?
Er stieg aus der Wanne, wickelte sich in seinen Bademantel und setzte sich mit dem Laptop auf sein Barcelona-Sofa.
Nach einigen Stunden der Recherche im Internet wusste er, dass es verdammt schwer war, seine persönliche Domina zu finden. Er hatte sich in diversen Sado-Maso Seiten eingeschrieben, Profile angelegt, Kleinanzeigen gelesen. Aber 97 Prozent der Mitglieder dort schienen Männer zu sein, die alle auf der gleichen Suche wie er waren. Er setzte seinerseits eine Anzeige auf, die ziemlich ähnlich klang wie all die anderen vor ihm von all den anderen Männern. Er rechnete sich keine großen Chancen aus, eine sinnvolle Antwort zu erhalten, und er sollte auch keine bekommen.
Zudem schreckte ihn diese ganze Szene ab. Nicht nur erschien ihm das alles sehr kompliziert, es gab auch einen Haufen zu wissen über all die Spielarten, Fetische, Interessen, die man haben und ausleben konnte. Es wimmelte von Abkürzungen. Code-Wörtern, Fachbegriffen. Am Ende verbrachte er die meiste Zeit damit, sich in einem SM-Lexikon mit Begriffen wie Natursekt und Abkürzungen wie CBT zu beschäftigen.
Ihm war das alles irgendwie unangenehm. Es klang schmuddelig, und Michael war schnell ernüchtert. Er wollte nur ein wenig Spaß und nicht Teil dieser Subkultur werden.
Je mehr er über diesen Lifestyle las, desto weniger wollte er Teil davon sein. Nicht, dass Michael besonders prüde war, aber er wollte auch nicht mit Leuten in einen Topf geworfen werden, die es mochten, Windeln zu tragen, in Frischhaltefolie eingewickelt zu werden oder mit Fäkalien zu hantieren.
Seine Neigung war im Vergleich dazu vollkommen banal. Er wollte sich doch einfach nur von einer Frau unterwerfen lassen. Konnte es so schwer sein, jemanden zu finden, der solche Interessen teilte? Offensichtlich sehr schwer, und dass auf jeden Topf ein Deckel passt, wie man sagte, das sah er zumindest in dieser Angelegenheit noch nicht.
Als er den Rechner zuklappte, war sein Enthusiasmus jedenfalls wieder ein wenig erkaltet. Das Internet schien ihm außer Pornografie in der Beziehung nicht viel bieten zu können.
Er würde sich also wieder eine professionelle Domina suchen müssen.
Michael war frustriert. Er überquerte den Flur und ging in sein Büro, um noch ein wenig zu arbeiten. Aber obwohl er einige Aufträge hatte, die seine Zeit erforderten, war ihm in diesem Moment nicht nach Arbeit.
Man hatte Michael noch nie vorgeworfen, zu ehrgeizig zu sein. Im Gegenteil, er galt in seiner Familie als das schwarze Schaf, weil er einfach nicht den Biss hatte, den sein Vater und sein Großvater verspürt hatten. Er hatte halt das Pech, in ein gemachtes Bett geboren zu sein und mit goldenen Löffeln gefüttert worden zu sein. Wie konnte er ehrgeizig sein, wenn er doch alles hatte? Er hatte sich nie etwas richtig erarbeiten müssen. Es war immer alles da gewesen, was er brauchte. Michael kannte keinen Mangel. Er empfand seine Antriebslosigkeit daher auch nicht als seine eigene Schuld. Vielmehr machte er seinen Vater und seinen Großvater verantwortlich. Die waren so gierig gewesen, hatten sich so reingehängt, dass es nichts mehr für Michael zu gewinnen gab. Sie waren so erfolgreich gewesen, dass es für ihn nichts mehr zu tun gab. Er konnte die Früchte ernten, und auf den Lorbeeren der anderen saß es sich auch ganz bequem. Was konnte er dagegen tun? Sein Abitur hatte er gerade so bestanden. Sein Studium hatte länger gedauert als notwendig. Seine Selbständigkeit hatte er mit dem Geld seiner Familie finanziert. Seine ersten Klienten waren die Kunden seines Vaters. Sein Vater hatte gemeint, er könne die Kosten absetzen, wenn das mit seiner Firma nicht klappen sollte. Sein Vater hatte das ganze Unterfangen von Michaels Selbstständigkeit schon vor Beginn als Verlust abgeschrieben. Sein Großvater hatte noch nie viel von Innenarchitekten gehalten.
„Die haben einen Haufen Schnapsideen, aber keinen Plan von irgendwas. Alles Scheiße! Ich brauche nur einen Bauingenieur, der mir ein stinknormales Haus mit Satteldach plant. Mehr braucht kein Mensch!“ Das war seine Haltung. Sein Großvater war da eindeutig konservativ.
Dass Michael aber von Beginn an einigermaßen erfolgreich war, wurde in der Familie nicht weiter kommentiert. Sicherlich spielte sein Nachname eine Rolle bei der Akquise von Kunden, denn man riss sich teilweise darum, mit der Familie Geschäfte zu machen, und wenn man den Sohn engagierte, hoffte man, einen Fuß in die Tür zu bekommen, um größere Projekte anbahnen zu können. Aber zunehmend machte Michael sich auch einen Ruf für seinen modernen, frischen Geschmack, für seine guten Ideen und alles Mögliche sonst noch, und sein Umsatz stieg. Fast konnte er schon jetzt davon leben, und lange würde er nicht mehr auf die monatlichen Zuzahlungen angewiesen sein. Bald wäre es soweit. Nur eben im Moment noch nicht.
Kapitel 5 DOMINANZ-IGNORANZ
„Diese verdammte Domina!“
Alina musste schmunzeln. Sie hatte den Transporter abgegeben und fuhr nun mit dem Bus zurück in ihre neue Wohnung.
So richtig hatte sie sich noch kein Bild von Michael gemacht. Er war ihr sympathisch. Er war sicherlich nicht der große Unternehmer, als der er sich selbst darstellte. Aber er musste gut sein in seinem Job, sonst konnte er es sich bestimmt nicht leisten, so wenig zu arbeiten.
Michael schien hilfsbereit, wenn auch ein wenig unmotiviert. Mitdenken war nicht seine Stärke. Öfters mal hatte er während des Umzugs mit einer Kiste unschlüssig im Flur gestanden, obwohl Alina klar und deutlich „Küche“ darauf geschrieben hatte und die Teller darin klapperten. Trotzdem fragte er, wo die Kiste hinsollte.
„Wenn da Küche draufsteht und es in der Kiste klappert, als wären da Teller und Tassen drin: Wo mag die wohl hinkommen?“
„In die Küche?“
„Man merkt sofort, dass du studiert hast.“
„Könnte ja auch das gute Geschirr sein, das in den Wohnzimmerschrank kommt.“
„Du meinst, wenn ich mal ein Gala-Dinner mit fünfzig Gästen abhalte.“
„Zum Beispiel.“
„In einer dreißig Quadratmeter Dachgeschosswohnung.“
„Wenn du wüsstest! Ich designe dir ein Wohnzimmer, da kriegst du 50 Leute rein!“
„Hier rein, meinst du? In diesen Schuhcarton?“
„Natürlich nicht hier rein, aber du würdest dich wundern, welche Möglichkeiten es gibt, effiziente Raumkonzepte zu gestalten.“
„Und was bringt mir das jetzt?“
„Nicht viel.“
„Nicht viel. Weißt du, was mir viel bringen würde?“
„Wenn ich die Kiste in die Küche stellen würde?“
„Und dann gleich die nächste holen gingst.“
„Bringe ich die auch in die Küche?“
„Nur wenn da Küche drauf steht!“
„Okay, dann werde ich mal sehen!“
„Überrasch mich!“
Aber Alina konnte sich eigentlich nicht beschweren, auch wenn er manchmal etwas zu kompliziert war. Während er mehr oder weniger ohne zu klagen die Kisten herauf schleppte, konnte sie schon auspacken.
Zusammen hatten sie am Ende dann noch ihr Bett aufgebaut und ein paar Regale an die Wand gedübelt.
„Müsste sich so ein Innenarchitekt nicht geschickter bei sowas anstellen?“, fragte sie, weil er sich nun wirklich ungeschickt angestellt hatte.
„Ich bin Innenarchitekt, kein Handwerker!“, hatte er gemeint und schien ein wenig beleidigt. Seine stoische Haltung jedenfalls war in diesem Moment verschwunden. „Das ist ein riesiger Unterschied!“, fügte er nach einer kleinen Pause noch zu. Sie hatte wohl einen wunden Punkt erwischt.
Statt sich aber zu entschuldigen, was sie im Übrigen als albern empfunden hätte, wechselte sie das Thema. Ein bisschen empfindlich, gar weibisch, war er schon. Das hatte sie nach der kurzen Zeit, da sie sich kannten, schon bemerkt.
Aber sie ignorierte dies, wie auch das etwas zu theatralische „Oh!“ und „Ah!“, das Gejammer wegen seines Hinterns.
Als es ihr dann doch einmal zu viel war, gab sie ihm die passende Antwort:
„Jetzt hör doch endlich auf zu Jammern! Du bist ja wie ein kleines Mädchen!“
„Du hast gut reden!“, gab er beleidigt zurück.
„Wenn du dir den Arsch versohlen lässt, weil du auf so einen Scheiß stehst, dann brauchst du nachher auch nicht herum zu jammern!“
Aber das war wohl zu viel für Michaels geschundenes Ego.
„Auf so einen Scheiß stehe ich überhaupt nicht!“, blaffte er zurück. „Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt, das kannst du mir aber glauben!“
Nun wurde es plötzlich interessant: „Ach ja?“
„Ach ja! Wenn du wüsstest, wie mein Arsch aussieht, dann hättest du etwas mehr Mitleid!
„Sag bloß! Lass mal sehen!“
„Was?“
„Deinen Arsch! Wenn der wirklich so schlimm zugerichtet ist und du Mitleid willst, dann zeig ihn mir doch mal!“ Sie schaute herausfordernd, und Michael war sich nicht sicher, ob sie das nun ernst meinte.
„Komm schon! Zeig mir deinen Arsch! Zeig mir deine Striemen! Komm schon! Du willst es doch auch!“
Aber für Michael war das ein Satz zu viel, und er zog sich zurück: „Schon gut. Geht schon.“
„Bist du sicher? Ich sehe mir das gerne mal an! Vielleicht kann ich ja was für dich tun. Ein bisschen Penaten-Creme drauf? Für den geschundenen Popo? Oder vielleicht noch ein paar Schläge. Für die Durchblutung? Soll den Heilungsprozess unterstützen.“
Michael ging nicht darauf ein und meinte nur schmallippig und verschämt:
„Es wird schon gehen! Ich hole noch eine Kiste!“
„Aber nur, wenn es nicht zu viel verlangt ist!“
„Nein. Schon gut.“
Damit war er verschwunden, und Alina musste schmunzeln, hatte aber auch ein schlechtes Gewissen, ob sie ihn zu hart rangenommen hatte.
Michael benahm sich ein bisschen wie ihr kleiner Bruder. Der litt unter allerlei Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, war ständig hyperaktiv und oft unerträglich. Dem konnte sie auch nur beikommen, wenn sie sich die Butter nicht vom Brot nehmen ließ. Da musste man klare Ansagen machen, auch mal drohen und Drohungen wahr machen. Vielleicht tat sie Michael unrecht, wenn sie ihn so scheuchte. Immerhin musste er ihr ja nicht helfen. Er tat es sicherlich mehr aus Verlegenheit.
Eigentlich war er ja ganz nett. Sie verstanden sich. Er war ja auch irgendwie charmant, wenn auch etwas verwöhnt.
Ein wenig empfand sie ihre Sado-Maso-Ignoranz sogar als Wissenslücke. Immerhin war das Thema überall präsent. Auf den Kabelkanälen im Fernsehen ließen Telefon-Sex-Dominas die Peitschen knallen, auf Werbeplakaten sah man Frauen in schwarz böse gucken. Man machte sich lustig darüber und 50 Shades of Grey war scheinbar der neue Harry Potter.
Nichts davon konnte sie so richtig verstehen. Wie konnte man Schmerz, Unterdrückung oder die Unterwerfung von jemand anders gut finden? Sex und Liebe waren in ihrer Welt etwas Schönes, das Spaß machte. Freude, Befriedigung, Sanftheit, Nähe. Wie konnte man Spaß daran haben, andere zu quälen oder gequält zu werden? Sie verstand das nicht. Es war ihr vollkommen fremd. Nicht einmal im Ansatz. Sie verstand es einfach nicht.
Aber noch bevor dieser Gedanke sich geformt hatte, hatte Alina ihn schon wieder zurückgewiesen. Sie wollte nicht so denken, nicht so sein. Sie wollte nicht vorschnell urteilen und nicht so kleingeistig sein. Sie wollte Leute nicht verurteilen, nur weil sie nicht verstand. So dachte man in der Kleinstadt, so dachte man im Dorf. Doch nun war sie in der Stadt, wo die Menschen keine Bretter vor dem Kopf hatten. Sie war nun da, wohin all diejenigen aus der Provinz flohen, wenn sie in der Kleinstadt nicht akzeptiert waren. Sie kannte ein paar Leute, die in die Stadt gezogen waren, weil sie schwul waren und sich nicht immer dafür rechtfertigen wollten.
Sie selbst war in die Stadt gezogen, weil dort die Filme gezeigt wurden, die man im Multiplex ihrer Stadt nie zeigte, von denen sie nur las und die sie sich lediglich als DVD bestellen konnte. Sie wollte auch einmal ins Theater und in die Oper, in ein richtiges Museum. Dafür war sie in die Stadt gekommen. Und in der Stadt lebten halt auch Leute, die gerne zu Dominas gingen. Sie fand das also in Ordnung.
Diese Leute gab es sicherlich auch in der Kleinstadt. Aber sie gingen damit nicht so offen um. Sie fluchten nicht öffentlich in Treppenhäusern. Dass Michael sein Geständnis peinlich war, empfand sie damit auf der anderen Seite fast schon als schade. Es war doch seine Sache, da konnte er auch dazu stehen!
Aber so kosmopolitisch, wie Alina gedacht hatte, war die Stadt dann doch wohl nicht.
So borniert jedenfalls wollte Alina nicht sein. Sie wollte offen und tolerant sein. Sie wollte im Café sitzen, wo Schwule offen Händchen halten konnte, wo sie sich küssen konnten. Sie wollte mit einem schwulen Freund im Starbucks sitzen und die vorbeilaufenden Männer auschecken. Das musste doch witzig sein! In Filmen war es das jedenfalls.
Sie wollte verstehen. Sie wollte neugierig sein. Sie wollte keine Vorurteile haben. Selbst zu Sado-Maso nicht.
Wenn ihr jemand sanft ins Ohrläppchen biss beim Liebesspiel, das mochte sie durchaus. Wenn ein Mann ihr Ohrläppchen zwischen seine Zähne nahm und ein wenig zudrückte. Sie mochte es, ihre Fingernägel über den nackten Rücken eines Mannes fahren zu lassen. Ihr letzter Freund hatte immer eine Gänsehaut bekommen, wenn sie das tat, und er hatte dann immer besonders intensiv gestöhnt. Einmal hatte ihr ein anderer Exfreund die Augen verbunden, und sie dann überall gestreichelt und mit Küssen verwöhnt. Das war geil gewesen, weil sie nie wusste, was als Nächstes kam. Sie hatte ihm in diesem Augenblick vertraut, und es schön gefunden, dass sie das konnte. Ein anderes Mal hatte sie die Hände ihres Freundes mit einem Tuch hinter seinem Rücken gefesselt. Und dann hatte sie ihn geneckt, hatte ihm erlaubt, sie zu küssen, und wenn er zu wild wurde, hatte sie sich einfach zurückgelehnt, und er konnte sie nicht mehr erreichen. Er hatte sie angebettelt. Natürlich nur spielerisch. Sie hatte genossen, dass sie das Sagen hatte, dass sie mit ihm spielen konnte und er ihr ausgeliefert war.
Aber das war alles kein Sado-Maso. Das waren harmlose Spielereien. Peitschen und Handschellen und Keller mit Folterwerkzeugen waren ganz andere Kaliber. Das hatte nichts mit dem zu tun, was sie so gemacht hatte.
Vom Ohrläppchenbeißen zu Peitschenhieben im Lederkorsett war es ein weiter Weg. Zu weit für sie.
Kapitel 6 VORBEREITUNGSZEIT
„Zu dir oder zu mir?“
Michael fragte sich, ob Alina die Anspielung bewusst war, die sie da gerade gemacht hatte.
Michael war davon ausgegangen, dass es in ihrer Wohnung stattfinden würde. Aber er hatte auch nichts dagegen, es bei sich zu machen. Er hatte seine Wohnung gerade neu eingerichtet, hatte einen großen Esstisch aus rustikalen Schiffplanken gekauft, der richtig teuer gewesen war. Der Designer hatte ihm sogar den Namen des Schiffs genannt, von dem es stammte und das jahrelang im karibischen Meer gefahren sein sollte. Passend dazu sechs antike Stühle, die er aus Portugal hatte importieren lassen. Ebenfalls sündhaft teuer. Der Rest des Zimmers (Wände, Decke, Fliesen, Teppich) war komplett in dem gehalten, was seine Putzfrau „weiß“ nannte.
„Weiß? Weiß nennen Sie das? Das ist doch nicht weiß!“, hatte er sich echauffiert, als sie das Ensemble zum ersten Mal gesehen hatte und nicht in Ehrfurcht erstarrt war. Michael hatte sich so auf ein ehrliches Feedback, also ein überschwängliches Lob gefreut. Er hatte wochenlang nach der perfekten Kombination gesucht.
„Ist das nicht weiß? Was dann?“
„Das ist Elfenbein!“
„Elfenbein? Wie der Zahn vom Elefanten?“
Michael war ernüchtert. „Genau. Wie der Zahn vom Elefanten. Oder wie Perlen vor die Säue!“
Seine Putzfrau wusste das alles immer noch nicht zu schätzen. Sie zeigte auf den ebenfalls elfenbeinfarbenen Teppich, der von glücklichen Kindern in Pakistan in einer Manufaktur handgeknüpft worden war, wie ihm ein Zertifikat versicherte, und meinte:
„Wenn Sie mit Ihren Schuhen darüber laufen, ist der nicht lange elefantenweiß.“
„Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen!“
Michael hatte noch nie an diesem Tisch gegessen. Er selbst kochte nicht, aß außerhalb oder ließ sich von allen Lieferservices der Umgebung sein Essen bringen. Er schmierte sich manchmal ein Butterbrot mit Käse oder Wurst, aber das aß er in seiner sündhaft teuren Küche.
Er hatte also noch keine Gelegenheit gehabt, sein Esszimmer irgendwem zu zeigen. Eigentlich hatte er nicht so viele Freunde. Schon gar nicht solche, die man zum Essen einlud oder solche, die seinen Geschmack zu schätzen gewusst hätten. Und selbst wenn er solche Freunde gehabt hätte und sie ein Seminar belegt hätten, um zu erkennen, was er da gezaubert hatte, dann hätte er für sie nicht kochen können. Weil er das einfach nicht kochen konnte.
Er war kein Eremit und nicht unbedingt ein Einzelgänger, aber nachdem er seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, war ihm bewusst geworden, dass er langsam zu alt war für Nächte in Clubs und Saufereien. Dazu kam, dass seine Freunde einer nach dem anderen Familien gegründet hatten, heirateten, Väter wurden. Die Saufkumpane waren ihm abhandengekommen. Neue wollte er sich keine suchen, und so hatte er den Entschluss gefasst, sich auf seine Karriere zu konzentrieren. Also arbeitete auch er mehr. Wobei Arbeit bei ihm eben darin bestand, sich im Internet über die neuesten Trends in der Ausstattung von Räumen zu informieren. Das war das A und O in seinem Gewerbe. Man musste wissen, was gerade in war und welche neuen Entwicklungen es gab. So vergingen schon mal ein paar Tage, in denen er sich mit nichts anderem beschäftigte als ultraflachen Membran-Lautsprechern, die man unsichtbar in den Wänden versenken konnte. Und dann vergingen noch einmal Tage damit, diese mit Soundbars zu vergleichen. Um wirklich kompetent zu sein in diesen Dingen, musste er natürlich Erfahrungen aus erster Hand sammeln. Also ging auch schon mal ein Nachmittag beim Hi-Fi-Spezialisten drauf, um sich beraten zu lassen, und ein weiterer, wenn die Boxen dann in seine Wohnung eingebaut wurden. Michael hatte nicht das Gefühl, seine Zeit zu vertrödeln. Er kam allein ganz gut zurecht. Das bezog sich nicht nur auf seine Freunde, sondern auch auf Freundinnen und Beziehungen. Sie waren ihm einfach zu kompliziert geworden. Viele Frauen in seinem Alter hatten bereits so schrecklich konkrete Vorstellungen vom Leben, vom beruflichen Erfolg und von der Familie. Die Frauen waren nicht mehr so locker wie mit Anfang zwanzig. Sie entschlossen sich nicht mehr spontan, mit ihm eine Weltreise zu machen. Stattdessen hatten sie ausgearbeitete Pläne in der Tasche, bis wann sie was erreicht haben wollten, damit sie das nächste Ziel in Angriff nehmen konnten. Und wenn sie ihn aufforderten, seine Pläne für das Leben zu benennen, dann fühlte er sich jedes Mal hilflos. Denn er hatte einfach keine konkreten Pläne. Klar wäre es schön, wenn er erfolgreich wäre. Aber das konnte er ja schlecht sagen. Laut der Biographie, die er anderen erzählte, leitete er ja schon eine erfolgreiche Agentur. Aber Frauen reichte das nicht mehr. Heutzutage war es nicht genug, Carpe Diem als Lebensmotto zu formulieren. Man musste als Frau drei Kinder wollen und gleichzeitig die Karriere managen. Und die passenden Männer mussten auch schrecklich erfolgreich sein.
Auch in sexuellen Belangen stand er nicht unter Druck. Er hatte das Internet, zwei gesunde Hände, und wenn er mal so richtig viel Verlangen hatte, dann ging er zu einer Prostituierten. Oft war das noch nicht vorgekommen, aber er hatte es ein paarmal versucht. Andern gegenüber würde er das allerdings vehement abstreiten. Darauf gekommen war er nach der Lektüre eines Zeitungsartikels, in der es um Zwangsprostitution ging. Hängen geblieben war bei ihm, wie viele Männer gemäß der Statistiken einer Frauenrechtlerin diese Dienste in Anspruch nahmen: Jeder dritte Mann, hatte er gelesen! Da kam er sich fast als Versager vor, dass er in dieser Hinsicht keine Erfahrung hatte. Also war er mal zu eines der besseren Bordelle in der nächsten Stadt gefahren. Es war ungewohnt, vor allem der Gedanke, dass man es mit einer Frau trieb, die das alles nur für Geld tat und für ihn nichts übrig hatte. Aber wenn er ehrlich war, hatte er als reicher Sohn einer Bau-Dynastie auch schon Frauen in der Disko aufgegabelt, die auch nichts anderes von ihm wollten als sein Geld. Den großen Unterschied sah er da nicht. Die Prostituierte machte ihm in der Beziehung jedenfalls nichts vor.
Allerdings hatte er sich bisher nur Blümchen-Sex gekauft, wie man so sagte. Seinen missglückten Versuch mit dieser Mistress Jasmin verbuchte er nicht unter Sex, sondern unter totalem Reinfall.
Sein neues Leben weitgehend ohne Frau und Freunde war also kein Trauriges. Er war mit sich vollkommen im Reinen. Was er vermisste, war der Zuspruch für seine innenarchitektonischen Meisterwerke wie die elfenbeinfarbene Essecke mit dem Schiffswrack-Tisch.
Michael dachte an die reichen Familien, die sich von ihm ihre Wohnung einrichten ließen, und die er zum Essen zu sich einladen würde. Denen musste er etwas bieten. Oder wenn er seine eigene Familie einlüde, um ihr zu verkünden, dass er das erste Mal so richtig schwarze Zahlen geschrieben hatte mit seinem Unternehmen. Seiner Familie würde er etwas bieten müssen. Natürlich waren diese schwarzen Zahlen mit der Anschaffung der Essecke in weitere Ferne gerückt, denn das alles war ihm dann doch etwas teurer gekommen, als er sich das ausgerechnet hatte. Aber man musste ja vorsichtig sein.
Michael war also einverstanden damit, das Essen bei ihm abzuhalten. Alina hatte versprochen, sich um alles zu kümmern, und Michael hatte seinen Nachmittag damit verbracht, bei Villeroy und Bosch nach einem Ess-Service zu suchen, das zu dem Tisch passte. Porzellan in Elfenbein hatte Villeroy und Bosch allerdings nicht im Programm, und so musste er mit Eierschalen-Grau vorlieb nehmen. Er hoffte, dass diese winzige abweichende Farbnuance nicht zu sehr auffallen würde. Für seinen geschulten Blick hingegen war es ein Dorn im Auge. Aber die meisten seiner Bekannten bezeichneten alles als weiß, was nicht grau war.
Michael freute sich auf den Abend. Er mochte Alina. Kein Zweifel. Sie war keck, vorlaut, charmant. Er hätte sie nicht unbedingt als schön bezeichnet, aber definitiv als hübsch. Er kannte Frauen, die gebildeter waren, aber sie war ja auch noch jung. Sie schien ihm unerfahren, vielleicht sogar provinziell, aber daraus machte sie ja auch keinen Hehl. Sie war jung. Das war sie in der Tat. Zu jung für ihn? Circa zehn Jahre jünger.
Er fand, dass sie miteinander noch kompatibel waren. Ältere Männer und jüngere Frauen, das passte.
Als sie schließlich bei ihm klingelte, da war er schon ein wenig aufgeregt, als hätte er ein richtiges Date. Dabei war es ja nur diese kleine, vorlaute Studentin, der er in seiner großherzigen Hilfsbereitschaft beim Umzug geholfen hatte.
Er fühlte sich ein wenig overdressed in seinem weißen Hemd (nicht in Elfenbein und auch nicht in Eierschalen) und dem Boss-Anzug, als er ihr öffnete. Sie stand da in Jeans und T-Shirt mit einem Korb voller Lebensmittel.
„Gerade noch einen Termin gehabt oder hast du dich für mich so in Schale geworfen?“ fragte sie. Michael nahm die Gelegenheit gerne wahr, seine übermäßig schicke Kleidung herunterzuspielen und meinte:
„Komme gerade von einem Unternehmer, der sich sein Haus von mir einrichten lassen will! Puh“, seufzte er. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie anstrengend manche Leute sind! Die Leute wollen einfach keinen guten Geschmack entwickeln, egal wie sehr man versucht ihnen zu erklären, warum dies oder das ein No Go ist!“
„So schlimm?“, fragte Alina, und Michael glaubte, aufrichtiges Mitleid herauszuhören. Er war froh, dass die Geschichte nicht ganz erfunden war, denn in der Tat gab es diesen Unternehmer, der keinen Geschmack hatte und beratungsresistent war. Die Geschichte war nur schon ein paar Monate her und so schlimm war es dann auch nicht gewesen. Aber immerhin: Michael war bereit, diese Anekdote in all ihren schillernden Details zu erzählen. Zu wenige Leute zeigten Interesse für seine Sorgen und die Probleme, die er zu lösen hatte.
Sie gingen in die Küche und Alina übernahm die Initiative, als wäre das ihre eigene Küche. Sie packte die Zutaten aus, kramte in seinen Schubladen nach Messerchen und Schüsseln. Michael ließ sie machen.
Erst einmal allerdings wechselte Alina das Thema:
„Ich hoffe, du magst vegetarisch. Ich habe nämlich vegetarisch geplant.“
Das fing ja schon gut an, dachte Michael, sagte aber:
„Vegetarisch ist super. Ich esse auch immer weniger Fleisch. Und wenn dann nur bio. Ich wusste gar nicht, dass du Vegetarierin bist!“
„Bin ich eigentlich auch nicht. Aber ich will’s mal ausprobieren.“
„Klar, absolut. Ich kann auch nicht ertragen, wie die Tiere behandelt werden. Antibiotika im Fleisch, und dann all das Methan in der Luft, das das Klima kaputt macht!“
„Ehrlich gesagt esse ich schon ziemlich gern so ein richtiges Steak. Das ist doch was Geiles, wenn es noch so ein bisschen rosa ist!“
„Medium rare!“, warf Michael ein. „So mag ich es auch am liebsten…“, und bremste augenblicklich seinen Enthusiasmus, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden: „Also, wenn ich mir mal eines gönne. Passiert aber immer seltener!“
„Ganz genau! Aber ich dachte mir, jetzt wo ein neuer Lebensabschnitt anfängt hier in der Stadt, da versuche ich mal was Neues. Kein Fleisch! Zumindest manchmal. Versuche ich zumindest. Was meinst du?“
Michael meinte eigentlich nichts dazu. Es war so eine Sache, die man eigentlich machen könnte. Aber es würde ein zu großes Opfer erfordern. Aber er spielte politisch korrekt mit:
„Ich versuche mich auch zu ändern. Ich esse beispielsweise keinen Thunfisch mehr, seit sich eine Dokumentation gesehen habe, was die mit den Delfinen machen!“ Das war sogar nur zum Teil gelogen. Michael aß keinen Thunfisch, weil er den schon als Kind nicht gemocht hatte.
Michael aß einfach zu gerne und alles, was ihm der Lieferservice brachte. Aber er kannte natürlich auch die Regeln, und die besagten, dass man sich mittlerweile um die Herkunft der Lebensmittel und das Leid der Rinder, Thunfische und Hühner Gedanken machte.
„Thunfisch liebe ich! Da werde ich immer schwach!“, meinte Alina, und Michael, der zwar einen guten Eindruck machen wollte, aber auch nicht zu sehr wie ein Moralist rüberkommen wollte, war froh, dass er nicht den Öko-Aktivisten mimen musste.
„Es gibt ja immer noch diesen Thunfisch, der an der Leine geangelt wird. Für den muss kein Delfin sterben.“
„Ach wirklich? Wusste ich gar nicht“, meinte Alina, und Michael war zufrieden, dass er in dieser Sache einen Wissensvorsprung hatte.
„Der ist was teurer, aber den gibt’s auch in Dosen. Musst du mal drauf achten!“
„Mache ich!“
Damit war das Thema fürs erste durch.
Aline verlangte von Michael irgendwelche Schüsseln, und er stellte ihr die hin. Er nahm ihr Lob für seine tolle Küche dankbar zur Kenntnis, auch wenn Alina offensichtlich keine Ahnung hatte und die exklusive Arbeitsplatte aus lombardischem Schiefer nicht würdigte, dafür aber den Dampfgarer, den er noch nie benutzt hatte, und der ihm nichts bedeutete. Ideal war ihr Sachverstand also nicht, und so eine tolle Köchin konnte sie nicht sein, wenn sie die Utensilien nicht einmal genau kannte.
Kapitel 7 VORLAUTES DINNER
Alina freute sich auf den Abend. Im Moment lief alles nach Plan. Der Umzug war reibungslos abgelaufen, besser als sie erwartet hatte. Sie war noch nie umgezogen. Umso zufriedener war sie mit der Reibungslosigkeit, mit der ihr Umzug vonstattengegangen war. Sie hatte das alles gut geplant. Monate vorher hatte sie schon Pläne gemacht, hatte Listen angefertigt, was sie mitnehmen wollte, was sie in welcher Kiste verstauen wollte und in welcher Reihenfolge sie die Dinge ein- und auspackte. Sie hatte sich gut vorbereitet. So gut, dass ihre ganze Familie sich über sie lustig gemacht hatte.
Überhaupt ihre Familie. Sie war froh, von der wegzukommen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die um die Ohren gehabt. Mit zwei kleinen Brüdern, die sie zwar oft mochte, die öfter aber vollkommen unerträglich waren. Sie bezeichnete ihre Brüder als ADHS-Monster.
Alina hatte ihre Schulkameradinnen beneidet, die sofort nach dem Abi weggezogen waren und sich eigene Wohnungen gesucht hatten. Für sie selbst hatte das keinen Sinn gemacht, denn ihr Arbeitgeber lag drei Straßen weiter. Warum hätte sie da umziehen sollen? Ihre Eltern waren froh, dass sie blieb. Nicht zuletzt, weil Alina damit auf die beiden kleinen Brüder aufpassen konnte. Im Gegenzug musste sie kein Kostgeld abgeben. Es war ein Arrangement, mit dem beide leben konnten. Zu Beginn zumindest. Irgendwann hatte es Alina aber nur noch genervt. Dass sie nie ihren Frieden hatte, kein bisschen Privatsphäre, weil ihre kleinen Brüder nervten, Krach machten, immer wieder ungefragt in ihr Zimmer platzten. Zu den unpassendsten Zeiten.
Es ging einfach nicht mehr. Am Ende zählte sie die Tage bis zum Ende ihrer Ausbildung und zum Beginn ihres Studiums.
Und schließlich war da noch ein weiterer Punkt, der wie ein Klotz an ihrem Bein hing. Ihr Freund, mittlerweile Ex-Freund. Der war ein lieber Kerl, immer gut zu ihr gewesen, immer nett und freundlich. Für ihren Geschmack und nach den mittlerweile fast drei Jahren, die sie zusammen waren, zu lieb, zu nett, und zu freundlich.
Wenn sie schon als spießig galt, dann war er eine Wohnzimmerschrankwand aus Eichenholzimitat. Sie hatte das mal gut gefunden. Dass er so beständig und berechenbar war. Dann aber nervte er sie nur noch.
Sie hatte also Schluss gemacht. Es hatte ihn hart und unerwartet getroffen, aber so war das Leben halt. Es bot keine Sicherheit. Egal, wie wenig man im Leben riskierte, man konnte sich nie sicher sein, dass einen nicht die Freundin verließ, weil sie die Langeweile nicht mehr ertrug.
Sie hatte sich dabei definitiv nicht gut gefühlt.
Er hatte ihr die Schuld gegeben, und sie hatte das akzeptiert. Ihre Worte „liegt nicht an dir, ich habe mich verändert. Lass uns nicht so auseinandergehen. Wir können ja Freunde bleiben“ klangen blöd und waren ihr im Nachhinein selbst peinlich. Aber was anderes als Floskeln fiel ihr auch nicht ein.
Nun war Alina also frei von ihrem ganzen Ballast. Kein trauriger Job, keine neurotische Familie, kein einschläfernder Freund mehr. Sie war frei. Frei in der großen Stadt zu tun, was sie wollte, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen.
So stand sie nun in der schicken Küche ihres neuen Nachbarn, der zu verkörpern schien, was ihr fremd war. Und sie lobte seinen Dampfgarer. In ihrer Familiengeschichte spielte der Dampfgarer eine kleine Rolle. Nach einem Asienurlaub hatte ihre Mutter so von Reis und gedünstetem Essen geschwärmt, dass sie unbedingt einen Dampfgarer anschaffen wollte. Ihr Vater hingegen empfand das als herausgeschmissenes Geld und ein weiteres unnützes Gerät, das nur Platz wegnahm. Am Ende hatte dieser Disput sich ausgeweitet, war eskaliert und so lange angedauert, bis das Verlangen nach Reis aus dem Dampfgarer erloschen war, aber bleibende Schäden in der Familiengeschichte angerichtet waren. Es war lächerlich.
Das war so eine kleine Anekdote der Spießigkeit ihrer Familie. Aber Alina hatte daraus gelernt, was ein Dampfgarer war und welche Vorteile er bot. Zwischenzeitlich hatte ihre Mutter so sehr die Vorzüge für ihre Gesundheit hervorgehoben, dass die Frage nach dem Dampfgarer eine um Leben und Tod wurde. Scheinbar gab es keinen besseren Weg, die flüchtigen Vitamine im Gemüse am Leben zu erhalten. Und ihr Vater hatte daraufhin, um nicht weniger lächerlich zu sein, jedem Familienmitglied ein Röhrchen mit Multivitamintabletten auf den Tisch gestellt. Es war hoch hergegangen, und Alina hatte an diesen Diskussionen sogar teilgenommen. Heute war ihr das peinlich.
Nun war sie in der neuen Welt, stand in einer Küche, in der ganz beiläufig ein Dampfgarer sogar in die Einbauküche integriert war. Wenn das nicht der Unterschied zwischen ihrem kleinbürgerlichen Leben und der kosmopolitischen Offenheit des Großstädters war!
Sie erzählte Michael diese Anekdote, und er schmunzelte:
„Ich habe das Ding noch nie benutzt! Hab’s mir aufschwatzen lassen. Im Nachhinein hätte ich lieber ein Weinregal an der Stelle gehabt.“
Sie konnte es nicht glauben.
„Du hast das Ding noch nie benutzt? Wahnsinn! Wir müssen unbedingt mal zusammen Reis und Gemüse dünsten!“
„Auf jeden Fall!“, stimmte Michael enthusiastisch zu, und da wurde Alina bewusst, dass sie schon ihre gemeinsame Freizeit plante. Aber Michael schien daran keinen Anstoß zu nehmen:
„Ich kenne einen großartigen Asia-Laden, da gibt es handgemachtes chinesisches Porzellan! Und du bekommst dort die beste Fischsauce.“
Okay, warum nicht? Einen Insider, der ihr die Geheimtipps der Stadt zeigen konnte, das war genau das, was Alina brauchte. Michael schien in dieser Hinsicht hilfsbereit. Er schien entspannt zu sein, ein wenig unkonventionell, für ihren Geschmack etwas zu materiell. An Statussymbolen schien er Gefallen zu finden. Seine Wohnung war geschmackvoll eingerichtet, das musste man ihm lassen. Es fanden sich nicht viele Möbel oder Einrichtungsgegenstände darin, aber die wenigen kamen umso mehr zur Geltung. Das war anders als die Wohnungseinrichtung, die sie kannte. Die Dinge schienen hier zusammenzupassen. Ihre Eltern hatten auf so etwas nie geachtet. Da wurden Möbel einfach irgendwohin gestellt. Was zusammenpasste und was nicht, war nie eine Frage. Hier lag auf jeden Fall eine Idee zugrunde.
Ein wenig verursachte er ihr Minderwertigkeitskomplexe, denn sie musste erkennen, dass sie außer „schön“ keinen klugen Satz zu dem Stil der Wohnung sagen konnte. Sie hatte einfach keine Ahnung.
Es half auch nichts, dass er ihr drei verschiedene Weine vorschlug, und sie keinen Plan hatte, für welchen sie sich entscheiden sollte. Sie wählte am Ende den Merlot, und Michael meinte, dass das eine sehr gute Wahl gewesen sei, und dass sie offensichtlich etwas von Wein verstünde. Sie nahm an, dass er ihr schmeicheln wollte, und sie fand das in Ordnung.
Alina hatte einen grünen Salat geplant, eine vegetarische Bolognese und zum Dessert einen Fruchtquark. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Bio-Supermarkt und begeistert gewesen.
Es gab also viel zu tun. Alina kochte gerne, und wenn ihre Brüder sich einigermaßen benahmen, dann kochte sie auch mit denen zusammen. Sie übernahm dann immer das Heft des Handelns und dirigierte. Knapp, präzise, auf den Punkt. Nur so konnte das gehen.
Da Michael ziemlich offen zugegeben hatte, dass er keine Ahnung vom Kochen hatte und die ganze beeindruckende Kücheneinrichtung nur Fassade war, übernahm sie also das Kommando und dirigierte Michael in dieser fremden Küche.
Es stellte sich schnell heraus, dass Michael sich ungeschickter anstellte als ihre jüngeren Brüder.
Es reichte nicht, ihm zu sagen, er solle das Nudelwasser aufsetzen. Sie musste ihm auch den Topf zeigen und erklären, wie viel Wasser er einfüllen musste. Die Tomaten schnitt er zu klein, die Möhren zu groß. Die Zwiebeln schnitt sie lieber sofort selbst.
Schon bald kommunizierte sie nur noch in der Befehlsform.
Michael machte es nichts aus, dass das so Mädchen, das ein Jahrzehnt jünger als er war, ihm sagte, was er tun solle. Im Gegenteil, er war sogar sehr folgsam, widersprach nie, tat, wie ihm geheißen.
Das war Alina schon fast ein wenig unheimlich, denn sie war es nicht gewohnt, so reibungslos zu kochen. Ihre Brüder stellten doch immer ihre Kompetenz in Frage, spielten mit dem Essen oder fuchtelten mit den Küchenmessern vor dem Gesicht des anderen herum.
Michael hingegen war friedlich, gehorchte, widersprach nicht. Er akzeptierte, dass sie das Sagen hatte.
Eigentlich nett, dachte Alina. Ein Typ, der einfach den Mund hält, wenn es angebracht ist, und tut, was er soll! Diesen Gedanken hatte sie allerdings formuliert, bevor sie bemerkte, dass sich in Michaels Schritt eine ziemliche Beule gebildet hatte. Doch bevor sie sich darüber empören konnte, hatte ihr loses Mundwerk dazu schon einen Kommentar abgelassen:
„Sag mal, hast du die Salami gesehen?“
Michael war verwirrt. „Welche Salami? Ich dachte, hier ginge alles vegetarisch zu. Gibt es vegetarische Salami?“
Nun war es zu spät. Sie hatte es angesprochen, jetzt musste sie es auch durchziehen. Alina zog es nun durch. Alina kramte zwischen dem Gemüse, öffnete den Kühlschrank, suchte in den Schränken, während Michael ihr perplex zusah.
„Was für eine Salami?“
Michael wusste wirklich nicht, was Alina meinte. Sie hatte keine Salami mitgebracht, Salami war nie ein Thema gewesen.
Vielleicht war das eine Metapher. Wie die Salamitaktik zum Beispiel. Vielleicht eine Anspielung. Er kratzte sich am Kopf.
„Ach, da ist sie ja!“
Alina zeigte auf seinen Schritt, in dem es in der Tat lang und hart geworden war.
„Naja, eher ein kleines Würstchen, aber immerhin!“ Sie lachte.
+ + +
Michael wurde erst bleich und im nächsten Moment knallrot.
Er war ertappt!
Verdammt!
Aber wie war es dazu gekommen?
Während Alina ihm all diese Koch-Anordnungen gab, hatten seine Gedanken sich selbständig gemacht. Was sollte man bei solch banalen Aufgaben wie dem Schneiden von Tomaten auch anders machen? Er hatte sich stattdessen seine eigenen Gedanken gemacht und sich vorgestellt, wie sie lautlos in seine Küche gekommen war, als er sich gerade eine Pizza aus dem Tiefkühlfach in die Mikrowelle stellen wollte.
„Du willst mir so einen Fraß anbieten?“, rief sie, und er zuckte vor Überraschung zusammen und drehte sich schuldbewusst zu ihr um.
„Natürlich nicht!“, hatte er gestammelt. „Die Pizza war für mich!“ Es war eine abwegige Fantasie, das gab er gerne zu. Aber auf die Schnelle fiel ihm nicht mehr ein. Es waren einfach diese ganzen Befehle, die sie ihm um die Ohren haute. Er konnte ja auch nichts dafür!
Sie sah atemberaubend aus, wie sie da stand in einem knappen schwarzen Rock, schwarzen Strümpfen, die in hochhackigen schwarzen Pumps steckten. Darüber eine glänzende schwarze Bluse, die gefährlich viele Knöpfe geöffnet hatte. Darunter konnte er einen spitzenbesetzten BH ausmachen. Ihre blonden Haare waren streng zu einem Dutt gebunden. Die Lippen in einem kräftigen Rot angemalt.
Sie strahlte Autorität und Überlegenheit aus. Aber leider nur in seinen Vorstellungen.
In der Realität trug Alina Jeans, ein T-Shirt und Chucks. Nicht sehr erotisch.
„Du wolltest dir also irgendeinen Fertigdreck reinpfeifen, bevor du mir was anbietest?“
„Nein, natürlich nicht. Das wollte ich nicht.“
„Und warum hast du dann diese Plastikpizza in der Hand?“
„Naja… die… ist… ich weiß auch nicht!“
„Du weißt auch nicht?“
Ihre Schuhe knallten auf seinen Küchenfliesen aus Naturstein, als sie mit ausladenden Schritten und einem kriminell scharfen Hüftschwung in die Küche kam und sich auf einen Barhocker aus massivem, gebürstetem Edelstahl schwang.
Er starrte Alina mit offenem Mund an.
„Du wirst mir jetzt was zu essen machen! Und ich werde dich beaufsichtigen. Offensichtlich kann man dich ja nicht allein lassen, oder?“
Er senkte den Kopf schuldbewusst.
„Oder?“, blaffte sie. „Kannst du nicht antworten?“
„Doch, natürlich!“
„Na also! Und wie lautet jetzt die Antwort?“
Er sah sie fragend an.
„Auf meine Frage!“
„Oh… Nein, man kann mich nicht allein lassen.“
„Man kann dich nicht allein lassen! Du sagst es ja selbst!“
Sie schlug die Beine übereinander, und Michael starrte mit offenem Mund auf sie. In seiner Hose war es eng geworden, und sie hatte das bemerkt.
„Du stehst auf sowas, habe ich Recht?“
Er reagierte nicht.
„Antworte gefälligst!“
Er nickte.
„Du lässt dich gerne herumkommandieren! Du bist so einer von denen!“
Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, also nickte er wieder stumm mit gesenktem Kopf. Anblicken konnte er sie nicht. Sie hatte einfach zu viel Autorität.
„Du bist so eine armselige Gestalt!“
Sie lachte ihn aus, und er stand da wie ein kleiner Schuljunge.
„Mir ist nach einem Salat. Den machst du mir jetzt! Da ist eine Salatgurke im Kühlschrank. Außerdem zwei mittelgroße Tomaten.“
„Jawohl“, murmelte er, holte die verlangten Teile und stand unschlüssig vor ihr.
„Küchenbrett, Messer, und dann hockst du dich hier vor mir auf den Boden!“
„Sofort!“, murmelte er und kam sich wie ein Dienstbote vor.
Dann stand er da, immer noch mit seiner gefrorenen Pizza, einem Holzbrettchen, einem Küchenmesser, der Salatgurke und den zwei Tomaten.
„Hier auf den Boden, vor mir!“, befahl sie ihm. Mühselig stellte er die Sachen vor sich auf den Boden.
„Weißt du was, deine Pizza, die macht doch ein wunderbares Sitzkissen!“
Er sah sie entgeistert an.
„Aber die ist doch noch gefroren!“
„Umso besser!“
Er konnte es nicht fassen.
„Los jetzt! Wenn du dich nicht beeilst, dann lasse ich dich deine Hose ausziehen, und dann kannst du mit deinem nackten Arsch drauf sitzen!“
Er nickte konsterniert, legte die Pizza auf den Fußboden und setzte sich darauf. Er spürte die Spitzen des gefrorenen Gemüses und die Kälte, die durch seine dünne Stoffhose drang. Er war froh, dass er seine Hose anbehalten hatte. Wie demütigend! Mühsam schnitt er das Gemüse, hockte da wie ein Idiot auf dem Boden und über ihr saß auf dem Hocker mit übereinandergeschlagenen Beinen Alina.
Wenn er den Kopf ein wenig hob, sah er ihre Beine. Die schwarzen Strümpfe ließen sie umso attraktiver aussehen, und würde er seinen Kopf noch etwas weiter heben, könnte er unter ihren Rock sehen. Aber er traute sich nicht, denn Alina ließ ihn nicht aus den Augen, und so blieben ihm nichts als seine Phantasien, und er musste sich vorstellen, was sie unter dem Stoff wohl verbarg.
Je länger er auf der Pizza saß, desto mehr weichte sie auf. Er spürte den mittlerweile matschigen Teig unter sich. Was für kranke Ideen hatte sie nur?
„Schneid das kleiner! Und gerade! Schneller! Wie du das Messer hältst! Wie ein totaler Anfänger!“
Als er alles geschnitten hatte und Alina einigermaßen zufrieden war, ließ sie ihn aufstehen. Die Abdrücke seiner Pobacken waren in dem matschigen Brei unter der Plastikfolie eindeutig zu erkennen.
Sie ließ ihn das geschnittene Gemüse in eine Schüssel geben und setzte ihre Anweisungen fort:
„Ich will Croutons. Also toastest du mir Brot! Aber vorher schneidest du die Kruste ab!“
„Jawohl!“
Michael tat, wie ihm geheißen.
„Mach mir eine Vinaigrette!“
Er sah sie fragend an.
„Du weißt nicht, wie man die macht, richtig?“
„Nein, leider nicht!“, musste er zugeben.
Sie seufzte: „Du bist so ein Nichtsnutz!“
Er zuckte hilflos mit den Schultern.
„Also muss ich dir das auch noch zeigen! Aber vorher will ich, dass du diese Pizza da loswirst!“
Er sah auf den traurigen, matschigen Klumpen am Boden.
„Heb sie auf!“
Er hob sie auf.
„Gib sie mir!“
Er reichte ihr das labberige, matschige Teil.
„Mach das Fenster auf!“
Er öffnete das Küchenfenster und war froh, dass er ein wenig Distanz zwischen sich und ihr bekam.
„Komm her!“
Er ging zurück zu ihr. Mit spitzen Fingern hielt sie ihm die halb aufgetaute Pizza vor.
„Weißt du, was das ist?“
Er schüttelte den Kopf.
„Das ist deine Selbstachtung! Sieht ziemlich erbärmlich aus. Was meinst du?“
Er nickte und schaute beschämt zu Boden.
Michael wäre am liebsten im Boden versunken. Wie sie ihn demütigte und erniedrigte! Und er war gleichzeitig vollkommen scharf darauf.
Mit einer schwungvollen Bewegung warf sie das schwabbelige Teil wie eine Frisbee Scheibe aus dem Fenster. Ein paar Sekunden lang geschah nichts, dann hörte er das Quietschen von Fahrradreifen und entfernt eine wütende Stimme: „Was soll der Scheiß?“
„Da geht‘s hin!“ Sie lachte. Michael wusste nicht, was sie meinte. „Der letzte Rest deiner Männlichkeit!“
Noch nie hatte eine Frau so etwas zu ihm gesagt. Noch nie war er so scharf gewesen. Er war bereit sich vor ihr in den Schmutz zu werfen. Er war bereit, ihre Füße zu küssen, wenn sie nur damit aufhörte, oder vielleicht besser, wenn sie weitermachte.
„Das macht dich an, was?“ Sie lachte abschätzig. „Weißt du, was meinem Salat noch fehlt? Ich will eine Salami.“
Was sollte das jetzt? War sie nicht Vegetarierin?
„Hast du die Salami gesehen?“
„Was für eine Salami?“
Michael war total verdutzt.
„Ach, da ist sie ja! Eher ein kleines Würstchen, aber immerhin!“
Sie lachte.
Mit einem Paukenschlag, Theaterdonner und einem Eimer eisigen Wasser ins Gesicht war Michael wieder in der Realität.
So schön seine Fantasie gewesen war, so schrecklich peinlich war ihm nun, dass er ertappt war. Er musste sich erst orientieren. In der Realität war es nicht mehr in Ordnung, dass er einen Steifen hatte. Es war nicht mehr okay, dass sie ihn scharf machte. Es war alles andere als okay oder in Ordnung. In der Realität musste er sich benehmen.
„Muss dir nicht peinlich sein!“
Es war ihm nur peinlich.
„Ist doch schön, dass du dich freust, mich zu sehen!“
Sie lachte, und er war verwirrt. Er spürte, dass sein Kopf knallrot wurde. Immerhin war sein Blut nun nicht mehr in seinem Schritt. Dort war ganz schnell wieder alles zusammengeschrumpft. Trotz der netten Worte, hatte Michael Probleme, seine Fassung zurückzugewinnen. Was eben noch seine Fantasie gewesen war, die Überlegenheit dieser Studentin, die ihn winzig und klein machte, das war plötzlich real geworden. Aber statt sich unterwerfen zu können, musste er sich mit einer extrem peinlichen Situation auseinandersetzen. Was sollte er darauf erwidern? Schon wieder war er in ein Fettnäpfchen getreten. Ein richtig tiefes, schmieriges, glitschiges Fettnäpfchen. Und es war ihm bis ins Gesicht gespritzt.
+ + +
Alina musste schmunzeln. Da hatte sie ihn erwischt! Sie hatte zwei Brüder, die mittlerweile in der Pubertät und auch ständig irgendwie scharf waren. Alina hatte sich daran gewöhnt, dass Männer so waren. Sie hatten sich nie so richtig unter Kontrolle. Hätte sie es gestört, sie hätte es nicht erwähnt. Aber da war dann noch der Merlot, der ihre Zunge gelockert hatte. Vielleicht hätte sie doch einen anderen Wein wählen sollen.
Dass Michael das so peinlich war, hätte sie allerdings nicht gedacht. Sie hätte vermutet, dass er mit der Sache entspannter umgegangen wäre. Immerhin war er der Domina-Mann.
Sie hätte auch gerne gewusst, was da in seinem Kopf vorgegangen war. Sie waren beim Kochen. Was konnte ihn da zu einem Steifen treiben? Alina war sich sicher, dass nicht sie es war, denn sie hatte ja nichts getan. Wahrscheinlich hatte er an irgendwelche Erinnerungen aus seiner Vergangenheit gedacht, an irgendeinen Sex mit einer Verflossenen oder so. Sie hätte es gerne gewusst. Aber der Satz: „Woran denkst du gerade?“ war total doof und in dieser Situation sowieso.
So musste sie nun ihrerseits zur Deeskalation schreiten.
„Nichts passiert, alles gut!“ Den Hinweis auf ihre pubertierenden Brüder unterließ sie besser, obwohl sie ihn auf den Lippen hatte.
Michael brauchte eine Weile, um sich wieder zu fangen.
Eine Weile schwiegen sie und arbeiteten weiter.
+ + +
Alina und Michael verfielen wieder in diese Routine, dass Alina die Anweisungen gab, aber dieses Mal ließ Michael seine Gedanken nicht frei laufen. Stattdessen hing er dieser Phantasie nach, die ihm diesen Ärger bereitet hatte. Die waren schon geil gewesen, das konnte er nicht leugnen. Wollte er auch nicht. Aber was war das mit dieser gefrorenen Pizza gewesen? Was da in seinem Kopf vorging. Er wusste nicht, ob das kreativ oder krank war. Er konnte Alina schlecht nach ihrer Meinung fragen. Aber er hätte es gerne. Er hätte sich ihr gerne geöffnet, vor ihr alle Geheimnisse ausgebreitet.
Er hätte sich gerne in ihre Hände begeben.
„Während sie weiter diese banalen Sachen machten wie eben Gemüse zu schneiden und zu kochen, etwas, das richtige Köche sehr viel besser konnten, weshalb man ihre Dienste in Anspruch nehmen sollte, beschäftigte er sich mit einer anderen Frage.
Aber er sprach sie erst aus, als sie ihr Essen beendet hatten.
Es war köstlich gewesen, das mussten beide zugeben. Michael hatte das vegetarische Hauptgericht erstaunlicherweise genossen, auch wenn ihm zwischendrin das Fleisch ein wenig gefehlt hatte. Aber er war satt geworden.
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Alina hatte die Vorspeise als etwas fad empfunden. Sie fand, dass Michael mit Essig und Öl zu sparsam gewesen war. Aber wenn man nicht alles selbst machte, durfte man sich auch nicht beschweren. Zudem war Michael erstaunlich amüsant gewesen. Er hatte eine seltsame Sicht der Welt, die ihr manchmal naiv schien, manchmal kriminell sorglos. Ihn schien nichts zu bekümmern, nichts bereitete ihm Sorgen. Er war entspannt, was das Leben anging und von sich überzeugt. Nicht immer auf eine arrogante Weise. Sie konnte es nicht genau beschreiben. Er schien von den Problemen der Welt wenig zu wissen. Dafür lebte er ganz gut in seiner eigenen Welt mit ihren eigenen Gesetzen.
Sie musste einige Male an den Spruch denken, den man Marie Antoinette zusprach: „Wenn die Armen kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen!“ Der passte irgendwie, auch wenn Michaels Ignoranz sicher nicht so groß war und sie ihm unrecht tat.
Aber er war in einem goldenen Käfig aufgewachsen, was sollte man da erwarten? Man konnte ihm schlecht vorwerfen, dass er das wahre Leben nicht kannte als Sohn einer viel zu reichen Familie.
Alina hatte ein wenig befürchtet, dass ihre unbedachte Salami-Bemerkung den Abend zerstört hatte. Eine ganze Weile danach war er nämlich recht still gewesen. Dass er an einem Plan brütete, war ihr nicht bewusst.
Sie hatten sich kurz über seinen Beruf unterhalten. Alina konnte es nicht glauben, dass Menschen sich Leute holten, die ihnen die Wohnung oder was auch immer einrichten ließen. Ihrer Meinung nach musste es einem selbst doch gefallen, wie man wohnte. Konnte man das anderen überlassen? Man musste schon ziemlich reich sein, wenn man solche Dinge nicht selbst in die Hand nehmen wollte.
Danach hatten sie sich über Alinas Studium unterhalten und ihre Ausbildung zur Industriekauffrau zuvor. Sie hatte ihm ihre Gründe erläutert, warum sie ihre Ausbildung gehasst hatte, und die konnte er vollkommen nachvollziehen, Alina seine Begründung hingegen nicht:
„Ich könnte auch nicht für andere Leute arbeiten! Man muss einfach sein eigener Chef sein. Wenn man mal keinen Bock hat zu arbeiten, dann muss man auch mal zuhause bleiben können. Dafür muss man selbstständig sein! Dann kann man das!“
Alina kannte ein paar Leute, die selbständig waren, und die arbeiteten weitaus härter, länger und für weniger Lohn als viele Angestellte. Aber Michael verstand unter Selbständigkeit eben etwas Anderes.
Dabei war er kein Idiot und kein Macho. Er stimmte ihr zu, dass Frauen heutzutage arbeiten und Karrieren haben wollten. Er war einsichtig, wenn sie ihm ihre Argumente nannte. Er lebte nur eben ein wenig hinterm Berg, was das wahre Leben betraf.
+ + +
Ironischer Weise dachte Michael ähnlich über Alina. Ziemlich schnell spürte er das latente Minderwertigkeitsgefühl, das an ihr nagte, weil sie eben aus einer Kleinstadt kam und sich dem Großstadtleben unterlegen fühlte. Dabei hatte er Schwierigkeiten, die Vorzüge einer großen Stadt zu anzuerkennen. Die Leute waren unhöflicher zueinander, alles war schmutziger, egoistischer und komplizierter.
Natürlich gab es Museen und eine Oper, aber wer ging schon dahin? Oder in den Zoo? Brauchte man auf dem Land ja auch nicht, da gab es genug Tiere. Man musste nicht mal Eintritt bezahlen.
Er mochte Alinas Entdeckerdrang und die vielen Fragen, die sie stellte. Das hatte etwas, und da war diese Entschlossenheit, etwas aus sich zu machen. Aber sie war noch am Anfang ihres Studiums, und da waren ihre Vorstellungen noch vage. Sie schien noch offen sein, sprach noch nicht von Kindern oder Ehe. Den ganzen Abend schien das nicht für sie zu existieren. Er mochte das. Sie waren sich in der Beziehung ähnlich.
Und sie sah süß aus. Etwas kleiner, natürlich blond, nicht so aufgetakelt wie viele Frauen in seinen Kreisen. Auch das mochte er.
Schließlich ging es um Alinas Lebensunterhalt. Sie wollte kellnern, um zu Geld zu kommen, weil das Studenten eben machten. Sie konnte sich aber auch vorstellen, irgendwas in der Buchhaltung zu machen. Sie hatte das ja alles gelernt.
Obwohl Michael sich mit dem Wein zurückgehalten hatte, weil er sich nicht noch einen Fauxpas leisten wollte und der Merlot ihm sowieso nicht so gut schmeckte, war es dann wohl doch der Alkohol, der seine Zunge so weit lockerte, ihr den Vorschlag zu machen, der den ganzen Abend schon in seinem Kopf herum gespukt war.
„Wie wäre es, wenn du meine Domina wirst?“
Für ein paar Sekunden war es still, und Michael dämmerte, was er da gerade vorgeschlagen hatte.
Es wurde ihm verdammt klar, dass da ein weiteres Fettnäpfchen war, in das er mit beiden Beinen reingesprungen war. Aber diese Salami-Sache hatte ihn nicht losgelassen. Sie war das alles schuld gewesen.
„Was?“ Sie prustete laut lachend heraus. „Ich? Du spinnst!“
Michael wurde ziemlich schnell klar, dass das vielleicht nicht die beste Idee gewesen war. Aber er hatte schon ein paar Rückschläge einstecken müssen, irgendwann musste er doch auch mal erfolgreich sein. Also gab er dieses Mal nicht so schnell auf:
„Warum nicht?“
„Ruf! Patschuu! Mich! Patschuu! An! Patschuu!“ Jedes überdramatisierte Wort war gefolgt von dem alkoholisiert generierten Geräusch eines Peitschenhiebs. Sie lachte laut, aber er sah sie nur aufmerksam an. Es war ihm ernst, kein Witz.
Alina hatte schon ein wenig getankt, und durch die geschürzten Lippen flogen bei jedem Geräusch kleine Speicheltropfen umher.
Michael suchte sie beiläufig auf seinem teuren Tisch aus rustikalen Schiffsplanken und tippte mit seinem Zeigefinger auf jede, wie man Brotkrumen aufsammelt.
„Ich meine das ernst!“, sagte er, als sie sich etwas beruhigt hatte, schließlich.
„Sicher!“
„Ich würde dich auch bezahlen!“
Sie lachte wieder.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass man das als Prostitution bezeichnet!“ Sie hielt einen imaginären Telefonhörer ans Ohr und sagte: „Hallo Mama! Ich habe einen neuen Job! Ich bin die Domina von so einem berühmten Innenarchitekten!“ Sie schwieg, als hörte sie einer imaginären Antwort zu.
Das „berühmt“ schmeichelte Michael, auch wenn es nicht so gemeint war.
„Ja, ich werde dafür bezahlt!“ Pause „Genau, wie eine Nutte!“
„Nutte würde ich das nicht nennen!“, meinte Michael nun und unterbrach die Einlage. Er musste sich ein wenig am Riemen reißen, um nicht gekränkt zu klingen.
„Wie würdest du es dann bezeichnen?“
„Naja, eine Nutte, die macht, was der Freier von ihr verlangt. Eine Domina bestimmt selbst, was sie tut und wann und wie. Du wärst die Chefin. Das ist ja gerade der Gedanke einer Domina!“
„Ich würde jemanden, der für sexuelle Dienstleistungen bezahlt wird, eine Prostituierte nennen.“, meinte sie, und diese Logik hatte natürlich etwas, das musste Michael zugeben.
„Ich würde das anders nennen.“ Aber Michael wusste auch nicht so genau, wie er es nennen sollte. „Du müsstest nichts tun, was du nicht willst! Du bist total selbstbestimmt.“
„Außer, wenn es mit dir durchgeht? So wie eben?“ Sie schmunzelte. „Und ich mit dir in die Kiste steigen soll.“
„Nein, nein, nein! Um Gottes Willen! Eine Domina steigt doch nicht mit ihrem… mit ihrem…“ er suchte nach dem richtigen Wort.
„Freier?“, bot sie an.
„Nein, eben nicht. Mit dem… Mann.“
„Mit dem Mann?“
„Ja, mit dem Mann!“
„So wie in: Jeder Mann ist ein Freier?“
„Du willst mich einfach nicht verstehen!“
„Was ich nicht will, ist, eine Nutte zu sein!“
„Ehrlich gesagt, dieser Feminismus steht dir nicht!“
„Okay.“
+ + +
Das hatte gesessen. Alina wollte keine Feministin sein. Sie nahm auch nicht so sehr an dem unmoralischen Angebot Anstoß. Es wirkte nur so vollkommen absurd. Sie war keine Domina, sie scheuchte vielleicht ihre Brüder herum, aber das hatte natürlich nichts Sexuelles.
Igitt!
Allein der Gedanke!
Sie stellte sich in Lederklamotten vor mit der Peitsche in der Hand und mit hochhackigen Schuhen, auf denen sie nicht laufen konnte. Also würde sie ständig umknicken und stolpern, dabei aber ein ernstes Gesicht bewahren, denn sie war ja die feine Dame. Es war zu komisch.
Sie musste unvermittelt losprusten.
„Was ist so witzig?“, fragte Michael nicht sauer, sondern ehrlich interessiert.
„Ich stelle mir nur gerade vor, wie ich hier deine Herrin gebe!“ Sie musste wieder ausgelassen lachen. „Du musst mich mal auf hochhackigen Schuhen sehen!“ Michael konnte es sich vorstellen, aber Alina war noch nicht fertig: „Wie ein Elefant auf Rollschuhen!“
+ + +
Michael lächelte unverbindlich wie jemand, der den Witz eines anderen nicht goutiert, aber höflich bleiben will.
Stattdessen arbeitete er an dem Prostitutions-Problem, das er durchaus nachvollziehen konnte. Wenn er sie für so etwas bezahlte, dann prostituierte sie sich für Geld, egal was sie dafür tat. Das verstand er durchaus. Auf der anderen Seite konnte man das Ganze ja auch als Therapie sehen. Wäre sie seine Psychiaterin, wäre nichts auszusetzen gewesen an solch einem Arrangement. Aber nun war es zu spät, ihr das zu verkaufen, und es widerstrebte ihm auch, sich als jemand darzustellen, der therapiert werden musste.
„Ist das nicht sowieso alles ziemlich albern?“ Alina ergriff die Chance, ihre Neugierde zu stillen.
„Was meinst du?“
„Dominas in Leder mit Peitschen! Stehst du echt auf sowas? Das ist doch ein Witz oder?“
Es war ihm peinlich, dass sie das ansprach, obwohl er das ganze Thema ja begonnen hatte.
„Ich finde diese ganze Latex, Leder-Sache auch abgedroschen, sagen wir klischeehaft und meinetwegen auch lächerlich.“ Er wollte ehrlich sein.
„Wie geht das denn? Du findest, das ist alles abgedroschen, aber willst, dass ich mich für dich ins kleine schwarze Lederkleidchen zwänge?“
Nun wurde es ihm wirklich peinlich, so in die Mangel genommen zu werden. Wie kam sie dazu, ihn so auszufragen und seine Vorlieben zu hinterfragen, sich darüber lustig zu machen? Es war natürlich der Alkohol! Musste sie so verdammt offen sein? Das war ihm peinlich. Sah sie das nicht? Sie hatte im Vergleich zu ihm kräftig zugelangt. Aber trotzdem! Er hätte in der Sache so eine Art Verhört sehen können, indem er ihr seine geheimsten Wünsche offenbaren müsste. Aber so weit waren sie nicht, und wenn man ihre Reaktion betrachtete, dann schwand die Hoffnung.
Er sah das Ganze schon den Bach runtergehen, so ähnlich wie mit der Prekariatsdomina.
„Okay, okay! Schon gut! Ich will mich nicht über dich lustig machen!“, lenkte sie ein und versuchte sich ein wenig unter Kontrolle zu bekommen.
„Oh, Danke!“, meinte Michael sarkastisch. „Nett, dass du ein wenig Rücksicht auf mich nimmst.“
„Es ist nur, dass dein Vorschlag so unglaublich doof ist!“ Sie prustete augenblicklich wieder los, fing sich dann aber wieder, legte beide Hände über den Mund und schaute ihn mit ihren großen Augen an.
Er fand es süß.
+ + +
Alina fand, dass ihr Verhalten langsam peinlich wurde, und sie bemühte sich, die Kontrolle nicht zu verlieren.
„Ich bin einfach nicht der Typ für Leder und Peitschen.“ Und nach einer kleinen Pause: „Tut mir leid! Hast du vielleicht einen Schluck Wasser für mich? Ich glaube, ich muss mal ein wenig Pause machen.“
Michael stand auf, um ihr ein Wasser zu holen und fand, dass er schon ganz schön gehorchte. Aber im Moment war er eben nur ein guter Gastgeber, und das war nicht das, was er sein wollte. Er war schon wieder mit dem Wasser zurück, als ihm etwas einfiel. Er goss ihr aus der Karaffe ein und ging dann an sein Bücherregal, um einen schweren Bildband zu holen.
„Kennst du Helmut Newton?“
Alina kannte ihn nicht.
„Ein Fotograf. Ist jetzt tot. Der ist vor allem für seine Frauenporträts berühmt.“
„Und?“
„Sieh dir die Bilder an! Und ich mache uns in der Zwischenzeit einen Espresso.“
Michael räumte den Tisch ab und Alina blätterte in dem Bildband. Schon wieder war ihre Dummheit deutlich geworden. Sie kannte den Namen Helmut Newton nicht. Einige der Fotos allerdings kamen ihr bekannt vor.
Es waren vor allem Schwarzweißfotos und viele zeigten starke Frauen. Teilweise waren sie nackt, aber sie schienen keine von diesen blonden Dummchen und Sexsymbolen zu sein. Die rational Denkende in ihr erkannte in den Fotos ungefähr das gleiche Dilemma, das das Angebot von Michael vergiftet hatte. Egal, wie stark sie aussahen, sie zogen sich halt für die Kamera aus.
Aber diesen Gedanken wischte Alina schnell beiseite. Die Fotos waren spannend und interessant, und die Frauen schienen mysteriös. Manche kannte sie. Catherine Deneuve war häufiger zu sehen. Marilyn Monroe hatte sich ablichten lassen von ihm. Aber in erster Linie waren es Frauen, die souverän und selbstbewusst waren, selbst - oder vielleicht gerade - ohne Kleidungsstücke.
Das also wollte Michael? Solche stolze, starke Frauen? Okay, Dominas waren das nicht. Aber so war Alina nicht. Sie hatte nicht diese Beine, sie hatte nicht diese Figur, sie hatte nicht diese Ausstrahlung! Sie war ein bisschen zu klein, ihr Bauch war ein wenig zu rund, sie hatte ein paar zu viele Kilos. Manche ihrer Körperteile hätten etwas straffer sein können. Sie hatte kein großes Problem damit, ihr Aussehen gehörte nicht zu ihren Unsicherheiten. Aber sie war eben nicht so wie die Frauen in den Fotos. Obwohl sie was hatten, das gab sie gerne zu.
Michael kam zurück mit zwei Espressos.
„Und?“
„Und was?“
„Die Fotos.“
„Sind nett.“
„Nett?“
„Gut sind sie.“
„Und?“
„Und? Was willst du hören?“
„Sind das nicht großartige Fotos von großartigen Frauen?“
„Bist du Fotograf? Willst du von mir solche Fotos machen?“
„Was, wenn du so eine Frau wärst?“
„Meinst du das ernst?“
„Warum nicht?“
„Du willst, dass ich so werde?“
„Warum nicht?“
„Gerade noch habe ich gedacht, dass du doch nicht so seltsam bist, und jetzt kommst du mit so einem Vorschlag? Meine Beine sind halb so lang, ich bin doppelt so schwer!“
„Es geht doch nichts ums Aussehen!“
„Sondern?“
„Es geht um die Haltung. Du kannst so sein! Du musst nur so sein wollen! Es liegt an dir.“
„Just do it? Ich bin aber nicht so. Du kannst doch nicht Leute so einfach ändern!“
„Aber du kannst dich ändern! Es geht doch um dich, nicht um mich!“
„Ich bin zufrieden, wie ich bin!“
„Mit deiner ganzen Unsicherheit und diesem Schwärmen für die große Stadt?“
Alina schwieg. Michael konnte nicht sagen, was das bedeutete. Er war sich sicher, dass er sie nicht überzeugt hatte, aber vielleicht hatte er sie zum Grübeln gebracht.
Und das hatte er. Alina dachte nach. Nicht darüber, zur Domina zu werden, sondern über ihre eigene Unsicherheit. Sie hatte das eigentlich kaschieren wollen. Zumindest vor so einem eher oberflächlichen Menschen wie Michael. Und jetzt das!
Sie schwieg und blätterte noch etwas in dem Buch herum. Die Frauen darin hatten schon etwas Mysteriöses, gar etwas Mystisches. Sie sah sich nicht so. Aber nicht nur ihr Verstand hatte in der Angelegenheit etwas zu sagen, der Alkohol wollte mitspielen, und der Alkohol war keck, verspielt und mutig, und Alinas Verstand taumelte ein wenig träge hinterher.
Sie beugte sich vor, ihre Augen funkelten frech, und ihre Stimme klang herausfordernd:
„Dann will ich jetzt einen Cognac. Aber mit Eis!“
Sie lächelte ihn erwartungsvoll an, lehnte sich zurück und trank mit abgespreiztem kleinem Finger ihren Espresso.
Michael unterdrückte ein Lächeln. Cognac mit Eis? Sie war süß, wie sie da saß, ihn anlächelte, aber nicht so richtig viel Ahnung hatte.
Sofort regte es sich wieder in seiner Hose.
Dieses maliziöse Lächeln, wie sie ihr Kinn in die Hand stützte und keck schaute! Vor allem aber stieg sie auf seine Avancen ein, spielte mit.
„Sehr wohl, die Dame!“, meinte Michael, stand auf, verbeugte sich leicht und ging an seine Bar. Er hatte diesen richtig teuren Cognac. VSOP, zwanzig Jahre alt. Er hatte ihn noch mit seiner letzten Verflossenen gekauft, und das war auch schon einige Jahre her. Aber auch wenn Michael selbst nicht in der Lage gewesen wäre, die Qualität des Cognacs zu beurteilen, so griff er trotzdem an der Karaffe vorbei zu dem vergleichsweise billigen Hennesy aus dem Supermarkt. Sie würde den Unterschied nicht merken, schon gar nicht, wenn er den Branntwein in den teuren und überdimensionierten Cognacschwenkern aus Irland servierte. Es brach ihm ein wenig das Herz, als er drei Eiswürfel in das Glas warf, aber wenn sie das so wollte, dann sollte sie es bekommen.
„Bitte sehr!“, sagte er, verbeugte sich und stellte den Schwenker vor ihr auf den Tisch.
Sie nahm es, schwenkte das Glas, als wüsste sie, was sie tat. Die Eiswürfel klimperten.
Michael stand derweil etwas steif und unschlüssig da. Er wollte sich nicht mehr setzen. Also stand er da und kam sich dabei deplatziert vor, als er sah, wie Alina sich in ihrem Stuhl räkelte, ihre Lippen um das Glas legte und an dem Cognac nippte. Dabei ließ sie Michael nicht aus den Augen.
Ihr Blick war anzüglich, von sich selbst überzeugt und vom Alkohol ein wenig glasig.
Michaels Fantasie setzte sich wieder in Bewegung. Er fand sich hilflos, wie er vor ihr dastand, sich ihren Blicken ausgeliefert sah, die ungeniert über seinen Körper glitten und ihn musterten. Wie hypnotisiert starrte er sie an. In diesem Moment konnte sie mit ihm machen, was sie wollte. Seine Spannung wuchs zusammen mit dem Druck in seiner Hose.
Wie sie dort saß, war sie das Ziel seiner Träume. Eine entschlossene Frau, die mit ihm spielte. Er wollte ihr Spielzeug sein, ihr Objekt, mit dem sie tun oder lassen konnte, was sie wollte. War das nicht ein großartiges Geschenk, das er ihr machte? Er war bereit, sich ihr hinzugeben. Sie müsste sein Geschenk nur annehmen.
Alina musterte ihn, wie er da vor ihr stand.
+ + +
Er war schon süß, ein wenig hilflos und sichtlich nervös. Sie spürte ihre Rolle wie in einem Rausch, und zwar neben dem Alkoholrausch, den sie empfand. Es störte sie nun ein wenig, dass der Alkohol ihre Sinne benebelte, auch wenn er dazu geführt hatte, dass sie überhaupt so weit gegangen war.
Sie mochte seine Unsicherheit, dass er nicht wusste, was sie vorhatte, was sie mit ihm anstellen konnte.
Es waren nie zuvor gedachte Gedanken, und Alina erkannte, dass sie unglaubliche Möglichkeiten hatte. Sie wusste nur nicht, wie sie damit umgehen sollte.
„Dreh dich um!“, befahl sie und winkte beiläufig mit dem Zeigefinger.
Michael gehorchte.
+ + +
Nun stand er mit dem Rücken vor ihr, konnte nicht sehen, was sie tat. Er fügte sich in seine Rolle, hörte, wie sie sich in ihrem Stuhl regte. Vielleicht um besser zu sehen? Was dachte sie von ihm? Wurde er ihren Erwartungen gerecht? Gefiel er ihr? Michael fand, dass er sich ganz gut gehalten hatte. Er hielt sich in Schuss, trainierte ein wenig, joggte.
Aber natürlich war das subjektiv, und Alina als viele jüngere Frau hatte vielleicht andere Standards. Michael hatte seine erste Midlifecrisis, wie er das Überschreiten des dreißigsten Lebensjahres nannte, gut überstanden. Aber er war natürlich keine Zwanzig mehr.
Allein die Tatsache, dass er sich begutachten lassen musste! Er hatte das nicht nötig, und doch setzte er sich dieser erniedrigenden Prozedur aus, und er war ernsthaft besorgt, ob er ihren Anforderungen gerecht werden könnte. Das war ein neues Gefühl für ihn. Bisher hatte er sich im Umgang mit Frauen immer selbstbewusst gefühlt. Nun war das plötzlich anders.
„Kannst du mit gestreckten Beinen deine Zehen berühren?“, fragte Alina kühl.
Michael bückte sich und schaffte es mit wenig Mühe. Zwar hatte er nicht so viel getrunken, aber trotzdem schoss der Alkohol nun in seinen Kopf, und er musste sich ein wenig konzentrieren, dass er nicht das Gleichgewicht verlor.
„Klappt ja schon ganz gut!, kommentierte Alina selbstgefällig, und Michael empfand einerseits Genugtuung über das Lob, war gleichzeitig aber indigniert über den arroganten Tonfall. Was immer aber gerade passierte, es war geil. Total sexuell, obwohl nichts passierte. Er tat nur, was sie sagte. Aber allein die Tatsache, dass sie es ihm befahl, und er sich ihr unterwarf, er ihren Befehlen nachkam, nur um ihr zu gefallen. Die Prekariatsdomina hätte sich davon eine Scheibe abschneiden können!
„Du hast einen knackigen Arsch! Wackle mal was damit!“
Michael tat es. Umständlich wackelte er mit den Hüften hin und her. Was für ein peinliches Bild er da abgab!
„Schüttel dein‘ Arsch für mich!“, sang sie dazu mit einer erstaunlich hellen Stimme.
Wieder so ein Stich! Michael nahm es hin und ertrug auch ihr mädchenhaftes Lachen.
„Du machst ja echt, was ich will! Du bist mir ja ein kleiner Arschwackler!“
Michaels Selbstachtung war im Keller, aber er machte weiter, bis sie ihn aus der peinlichen Lage entließ und er sich wieder aufrichten konnte.
„Kannst dich wieder umdrehen!“
Sein Kopf war rot und er schwitzte auch ein wenig, als er sich ihr wieder zuwandte. Auch das war ihm peinlich, er hatte sich so eine Mühe gegeben, souverän zu sein.
„Du machst ja echt, was man dir sagt!“, lachte sie. Alina hatte die Füße keck auf den Tisch gelegt.
„Gefällt mir!“
Michael kommentierte das nicht. Er betrachtete sie stattdessen mit gesenktem Kopf. Sie erschien plötzlich so unglaublich schön, wie sie sich in ihren Stuhl geräkelt hatte, mit geröteten Bäckchen und leicht glasigen Augen. Dazu der Pferdeschwanz, der sie unschuldig wirken ließ, und trotzdem gab sie ihm all diese Befehle, die er dankbar aufleckte wie ein Kater die ihm hingestellte Milch.
Alina goss sich noch etwas von dem Cognac ein und leerte das Glas in einem Zug. Dann nahm sie einen Eiswürfel und lutschte schmatzend daran.
Michael beobachtete neidisch, wie das gefrorene Wasser langsam zwischen ihren roten, weichen Lippen schmolz.
Wusste sie, was sie da tat? Wie erotisch das wirkte? Oder war sie wirklich so unschuldig?
+ + +
Alina hatte in diesem Moment keine so tiefen Gefühle. Sie amüsierte sich darüber, dass er tat, was sie sagte. Sie war das von ihrem Ex nicht gewohnt. Sie war das von Männern generell nicht gewohnt.
Ihr wurde das Ganze allerdings auch unheimlich. Sie war nicht mehr ganz nüchtern, nicht mehr ganz zurechnungsfähig, und was sie da machte, könnte sie am nächsten Tag bereuen. Sie war sich nicht sicher. Es war Zeit, sich zu verabschieden, über alles nachzudenken und am nächsten Morgen eine Liste mit Pros und Kontras zu machen. Auch wenn sie im Moment nicht so genau wusste, worüber. Einfach pro und kontra. Einfach versuchen, es zu strukturieren und zu verstehen.
„Es ist spät. Ich sollte gehen, bevor wir hier noch Sachen machen, die nicht so gut wären!“
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, was aus dieser Situation nicht gut werden könnte!“, meinte Michael süffisant, und nun wurde Alina erst bewusst, dass er lange nichts gesagt hatte. Sie hoffte, dass sie selbst nicht zu viel Unsinn von sich gegeben hatte.
„Okay, das Spiel ist beendet! Du darfst mir noch die Füße küssen, und dann bin ich weg!“
+ + +
Was hatte sie da gerade gesagt? Es war wirklich Zeit, sich zu verabschieden. Sie redete sich um Kopf und Kragen!
Alina konnte es nicht fassen, Michael konnte es auch nicht fassen.
Er sah, wie sie sich über ihre eigenen Worte erschrak und platzierte nur einen kurzen Kuss auf die Spitze ihrer Chucks. Ihm schien das der Weg zu sein, der zu den wenigsten Komplikationen führte. So entstünde keine total unangenehme Situation. Er signalisierte nicht, dass er zu weit gegangen war, und er ließ sich nicht gehen, indem er sich vor ihr auf die Knie warf und mit seiner Zunge ihre Sohle ableckte.
Sie wollte die Füße vom Tisch nehmen, aber verlor die Koordination, und so endete die Bewegung, die schwungvoll und dynamisch hätte sein sollen, in einem ungelenken und dumpfen Hinunterfallen ihrer Füße auf die Holzdielen.
„Uups!“, kicherte sie.
Es lag wohl nun an Michael, sich um Alina zu kümmern.
Er half ihr auf, aber ihre Schritte waren unsicher.
„Hab wohl was zu viel getankt!“, meinte sie.
Michael versuchte sie, zu stützen, da das aber nicht so richtig half, hob er sie schließlich kurzerhand hoch und trug sie aus seiner, durch das Treppenhaus hinauf zu ihrer Wohnung.
„Du bist mir ja ein Gentleman!“, rief sie laut, und ihre Stimme hallte durch das Treppenhaus.
„Psst!“, machte er, und Alina lachte erst laut auf, dann äffte sie ihn lautstark nach.
Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, und Michael konnte nicht anders, als seine Nase einmal kurz in dem warmen Duft ihrer Haare zu ertränken. Er hätte darin wirklich baden können, so warm, so weich, so betörend. Er hatte das vermisst: Den Duft der Haare einer Frau.
Als sie schließlich an ihrer Wohnung angekommen waren, richtete sie sich auf und drehte den Kopf so schnell, dass ihr Pferdeschwanz über sein Gesicht strich wie eine unglaublich weiche neunschwänzige Katze. Die Berührung elektrisierte ihn, und seine Nerven erinnerten sich lange an diesen Augenblick.
„Okay, mein kleiner Hengst. Den Rest schaffe ich allein. Lass mich mal runter!“
Er kam dem Wunsch nach, und Alina kramte in ihrer Hosentasche nach dem Schlüssel, fand ihn, schaffte es mit Michaels Hilfe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen.
„Jetzt weiß ich auch, warum ihr Männer es besoffen nicht hinkriegt! Ihr findet den Eingang nicht!“
Sie lachte über ihren eigenen Witz, schlüpfte durch die Tür und knallte sie hinter sich zu.
Wenn Michael sich noch einen Abschiedskuss erhofft hatte, war er enttäuscht worden.
Er hatte zu Beginn des Abends mit diesem Verlauf nicht gerechnet.
In Alinas Wohnung rumpelte es noch einmal kräftig, irgendwas fiel auf den Boden, und es klang, als wäre etwas kaputt gegangen. Aber bevor Michael fragen konnte, rief sie hastig durch die geschlossene Tür:
„Alles gut, nichts passiert!“
Süß war sie, das musste man ihr lassen!
Kapitel 8 KATERFRÜHSTÜCK
Alina stöhnte.
Ihre Kopfschmerzen waren schlimm. Ihr Hirn schien aufgequollen und drückte gegen die Schädeldecke.
Sie hatte zu viel getrunken.
Sie hätte nicht so viel trinken sollen!
Ihre zweite Nacht in der Stadt war schon eine Nacht mit zu viel Alkohol gewesen.
Als sie zum Bad tapste, um sich kalt oder zumindest lauwarm zu duschen und wieder Herrin über ihren Kopf zu werden, sah sie unter ihrer Wohnungstür hindurch geschoben einen Zettel.
„Mach die Tür auf!“
Was für ein Ton!
Sie tat es trotzdem. Auf der Fußmatte stand ein Tablett. Darauf ein Sektkübel gefüllt mit Eis, in dem eine Flasche Orangensaft steckte. Daneben eine Packung Aspirin und ein Zettel: „Kaffee und Croissants gibt’s bei mir!“.
„Wie aufmerksam“, dachte sie sich, nahm das Tablett hinein. Sie warf sich zwei Tabletten ein und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Danach kam die Dusche, die sie dann doch nicht ganz so kalt nahm, wie sie sich vorgenommen hatte.
Langsam erinnerte Alina sich an den vergangenen Abend. Es war nett gewesen. Sehr nett. Michael war interessanter, als sie gedacht hätte. Sicherlich ein wenig seltsam in seinen Ansichten, aber nicht unbedingt das arrogante Arschloch, für das man ihn hätte halten können. Sie verstand, dass er einfach ein wenig zu reich war für sein eigenes Wohl.
Langsam kam ihr die kleine Spielerei am Ende des Abends auch wieder in den Sinn.
Gott, sie hatte wirklich zu viel getrunken, dass sie ihn da für sich hatte posieren lassen! Es war ihr zuerst schrecklich peinlich, wie sie sich da verhalten hatte. Aber dann fand sie, dass sie sich nicht wirklich schämen müsste. Wofür auch?
Während sie ihren Körper einseifte, kam ihr der Gedanke, dass sie schon länger keine fremden Hände mehr berührt hatten. Ihr erster Freund hatte fast ein Ritual daraus gemacht, ihr die Haare zu waschen. Eine Zeitlang hatten sie jeden Samstag zusammen gebadet. Er hatte hinter ihr in der Wanne gesessen und ihre Haare shampooniert. Dabei war es dann fast immer zum Sex gekommen. Sie erinnerte sich noch gut an seine Hände, die ihre Brüste von hinten umfasst hatten und dann langsam tiefer wanderten. Sie hatte sich dann zurückgelehnt an die Brust ihres Freundes und sich verwöhnen lassen. Das war schon geil gewesen.
Lange hatte diese Beziehung allerdings nicht gedauert, denn außer dem Sex hatte dieser Typ nicht viel zu bieten gehabt. Er war ein richtiges Arschloch, um es genau zu sagen, und diese Bade-Sache war auch eigentlich die einzige Qualität, die er zu bieten hatte. Im Bett konnte er nicht so viel reißen. Aber da er Alinas erster war, konnte sie seine mangelnde Qualität erst im Nachhinein beurteilen. Alina hatte irgendwann das Gefühl, dass er diese Bade-Sache irgendwo aufgegabelt hatte, vielleicht in einem Pornofilm, und dass er nun sein winziges Repertoire immer wieder mit leichten Variationen abspulte. Sie warf ihm das allerdings nicht wirklich vor, denn so wahnsinnig experimentierfreudig war sie in sexuellen Angelegenheiten bisher auch nicht gewesen. Zumindest war die Welt, in der Michael sich bewegte, ihr vollkommen fremd, und auf „23 Positions in a One Night Stand“, wie Prince gesungen hatte, war sie auch noch nie gekommen. In ihrem ganzen Leben war sie noch nicht annähernd an diese Zahl gekommen. Wenn sie richtig ehrlich war, konnte sie die unterschiedlichen Positionen an den Fingern einer Hand abzählen. Allerdings bedeutete ihr das auch nicht viel.
Aber dieses gemeinsame Baden, das hatte sie in guter Erinnerung. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie dergleichen wieder haben könnte, wenn sie auf Michaels Angebot einstieg. Sie könnte ihm einfach befehlen, zu tun, was sie wollte, und er würde gehorchen. Der Gedanke hatte in der Tat etwas. Ein Sexspielzeug zu haben, das ihr die Haare wusch, ihr nach einem langen Tag die Füße oder den Rücken massierte, ihr Arbeit abnahm.
Sie hätte so einen kleinen Lakaien schon gebrauchen können!
Aber natürlich war ihr auch klar, dass er eine Gegenleistung erwartete, und die konnte sie nicht akzeptieren.
Sie stieg schließlich aus der Dusche und fühlte sich besser. Die Kopfschmerzen waren einigermaßen verschwunden. Alina überlegte, ob sie Michaels Angebot mit Kaffee und Croissants annehmen sollte, aber sie entschied sich dagegen. Sie hatte noch Brot da, das weg musste, und sie wollte ihm auch nicht den Anschein vermitteln, dass sie beide jetzt irgendwie in einer engeren Beziehung zueinander stünden. Immerhin war er immer noch mehr als zehn Jahre älter, führte ein anderes Leben und war überhaupt nicht ihr Typ. Und dann war da auch noch das mit der Domina.
Alina machte sich also ihr Frühstück und surfte auf ihrem Tablet, während sie das doch schon etwas trockene Brot kaute. Es erinnerte sie an zuhause. Ihre Mutter kaufte auch immer zu viel Brot, das dann alt und trocken wurde. Sie hatte jetzt die Gelegenheit, ihre Gewohnheiten zu ändern. Es war jetzt ihr Leben.
Einfach mal weniger Brot kaufen!
Nachdem sie herausgefunden hatte, dass Spiegel Online keine interessanten Neuigkeiten zu vermelden hatte, surfte sie ein wenig herum, bis sie irgendwie bei dem Begriff „Domina“ landete. Aber die Bildersuche brachte nur Frauen in schwarzen Latexklamotten, die Peitschen oder andere Utensilien schwangen. Sie fand sich darin nicht wieder. Daher tippte sie „Helmut Newton“ ein und stöberte in den Fotos all der Frauen (und Männer), die alle etwas anderes ausstrahlten. Mehr noch als die Fotos, die er am Tag zuvor gesehen hatte, wurde sie jetzt aufmerksam auf die unterschiedlichen Menschen, und bald schon interessierten sie die nicht erotischen oder pornografischen Fotos viel mehr, denn sie sagten etwas über die abgebildete Person aus.
Sie wollte auch in Schwarzweiß abgelichtet werden. Sie wollte auch interessant und nicht so spießig sein. Doch bevor sie anfing, eine Liste zu machen, was nötig wäre, ihren Charakter spannender zu machen, schob sie Block und Bleistift beiseite. Ihre Listen waren eher Teil des Problems als der Lösung.
Kapitel 9 STELLENANGEBOTE
Michael stöhnte.
Er saß in seinem Büro, das auf der gleichen Etage gegenüber seiner Wohnung lag. Es war in kühler Sachlichkeit eingerichtet. Hier empfing er seine Klienten, hier erstellte er seine Pläne für Designs. Es war ein Luxus, sich ein so großes Büro zu leisten, aber er musste ja schließlich repräsentieren.
Michael wollte arbeiten, aber er konnte sich auf nichts konzentrieren. Immerzu drehten sich seine Gedanken um den vergangenen Abend. Vor allem um die letzte Stunde, in der er sich Alina, wenn auch nur kurz, ausgeliefert hatte. Es war ein winziges Spielchen gewesen, das nicht mehr als ein paar Minuten gedauert hatte, aber es hatte eine Welt an Möglichkeiten eröffnet.
Genau das war es gewesen, was er suchte, was er bei dieser Mistress Jasmin nicht bekommen hatte. Er brauchte keine Schmerzen und nicht diese Verachtung, die sich wie kalter und schaler Zigarettenrauch überall breit gemacht hatte.
Er wollte diese Spiele von einer Frau, die nicht mit routinierter Geringschätzung einem Geschäft nachging. Was er wollte, war eine Frau, die ihn mochte, während sie ihn herumkommandierte.
Michael wusste nicht, ob der Wunsch unrealistisch war. Aber er war plötzlich in greifbare Nähe gerückt.
Alina war sicherlich die unwahrscheinlichste Domina, die man sich vorstellen konnte, aber hinter all ihrer Unbedarftheit und ihrer latenten Unsicherheit steckte eben Potenzial.
In der vergangenen Nacht hatte sie das bewiesen.
Das Posieren vor ihr, die Übungen, die sie ihn hatte machen lassen, schließlich der Kuss auf ihren Schuh. All das waren ihre Ideen gewesen, die einfach so aus dem Nichts gekommen waren. Was wäre da erst drin, wenn sie sich ein wenig in ihre Rolle eingefunden hätte?
Er musste sie für sich gewinnen.
Michael musste sie nur noch überzeugen, dass sie das auch wollte.
Daran arbeitete er gerade.
Denn nicht nur seine Erektionen hatten ihn in der Nacht wach gehalten, sondern auch die Ideen, sie stärker an sich zu binden. Ihren Hinweis darauf, dass sie keine Prostituierte sein wollte, konnte er nur vage nachvollziehen. Angestellte bezahlte man schließlich auch, und die hatten auch zu tun, was man von ihnen verlangte. Waren das nicht die Spielregeln am Arbeitsmarkt? Mussten sich nicht alle Arbeitnehmer irgendwie prostituieren? Man bezahlte jemanden, und im Gegenzug bekam man Gegenleistungen in Form von Arbeit.
Die Lösung lag also so nah. Wenn er Alina bezahlen sollte, dann eben für Leistungen, die nicht verfänglich waren. Der Rest käme dann von selbst, quasi als Überstunden oder Nebenleistungen. Er würde höchstens den Wunsch danach aussprechen, den hatte er ihr ja bereits mitgeteilt. Die Lösung war also einfach. Er musste ihr nur einen Job anbieten.
Eigentlich hätte er einen Termin mit einem Klienten vorbereiten sollen, der unbedingt Informationen über Terrazzo-Böden haben wollte. Terrazzo fand man häufig in Museen und es gab das Zeugs schon seit Tausenden von Jahren. Kurz gesagt mischte man bunte Steinchen mit Zement an, kippte das flüssige Zeugs auf den Boden, ließ es trocknen und schliff es dann ab, bis es glänzte und nett aussah. Michael hielt nichts davon. Es war eine ziemliche Sauerei und neigte dazu, Risse zu bekommen. Aber es war auch extravagant, und Michael versprach sich einen netten Profit, wenn er einen Terrazzo-Gießer fand, der all die Wünsche erfüllen konnte, die sein Klient geäußert hatte. Der wollte beispielsweise das Familienwappen als Mosaik mit Glitzersteinen.
Schrecklich!
Einflussreiche Klienten waren das, die ihm viele Aufträge verschaffen konnten, wenn er mit diesem Auftrag erfolgreich wäre. Es war nicht das, was Michael sich vorstellte. Als besserer Fliesenleger seinen Ruhm zu begründen.
Aber immerhin!
Aber statt herumzutelefonieren, feilte er an der Stellenanzeige, die er sich ausgedacht hatte, um Alinas moralische Probleme mit seinem Angebot auszuräumen.
Es war eigentlich ganz einfach: Er brauchte sie nur einzustellen!
Er würde sie für ihre Arbeit bezahlen. Fürstlich fügte er hinzu. Sie würden zusammen Zeit verbringen, und wenn Alina wollte, und nach dem vorhergegangenen Abend hatte er da keine Zweifel, könnten sie ein wenig miteinander spielen.
Michael hatte schon lange nach jemandem gesucht, der die Buchhaltung für ihn machte. Er war es einfach Leid, diese Arbeit über die Firma seines Vaters laufen zu lassen. Er wollte nicht, dass so ein Buchhalter der Firma seines Vaters ihn ständig hinterfragte, warum er dies oder das gekauft hatte, und ob Jenes oder Welches unbedingt nötig gewesen wäre. Herr Well, der oberste Buchhalter seines Vaters war da ziemlich penetrant und manchmal auch richtig impertinent. Was bildete der Mann sich ein, in seine Ausgabe reinzureden?
Also hatte Michael mit dem Gedanken gespielt, die Buchhaltung selbst zu übernehmen. Na gut, der Gedanke war ihm eigentlich erst am Tag zuvor gekommen, als Alina von ihrer Ausbildung erzählt hatte. Aber nichtsdestotrotz war das ein guter Vorschlag. Er würde sie offiziell als geringfügig Beschäftigte oder so führen und ihr die Miete erlassen. So genau hatte er nicht darüber nachgedacht, was genau er ihr anbieten sollte oder wie viel eine Buchhaltungs-Domina so verlangte. Er war sich ziemlich sicher, dass er im Internet dazu nichts finden würde. Keine Lohntabellen oder so.
Aber was machte das schon?
Er spielte an dem Text herum. So weit war er schon:
Buchhalterin gesucht. Sind Sie jung, attraktiv, haben einen blonden Pferdeschwanz und Durchsetzungsvermögen? Dann haben wir die richtige Stelle für Sie. Bestimmen Sie Ihre Arbeitszeit nach eigener Wahl! Ein Ihnen untergebener Chef wird Ihnen stets zu Diensten sein.
Freie Kost und Logis, sowie ein Gehalt nach Vereinbarung. Melden Sie sich noch heute!
Er las seine Anzeige noch einmal und war zufrieden. Es wäre ein Angebot, das sie nicht ausschlagen könnte!
Michael feilte noch ein wenig am Design und dann druckte er die Anzeige aus.
Nachdem er Alina am vergangenen Abend zu ihrer Wohnung gebracht hatte war er… verliebt wollte er es nicht nennen, aber es ging schon so in diese Richtung. Wenn er an Alina dachte, dann regte es sich in erster Linie in seiner Hose, das aber ständig. Keine andere Frau hatte ihn seit Langem so sehr umgetrieben. Und dabei kannte er sie erst seit wenigen Tagen! Verrückt, wie die Dinge so liefen.
Eine wahre Femme Fatale, wie er fand.
Seit dem letzten Abend hatte er nicht viel geschlafen. Er hatte sich in seinem Bett gewälzt mit einer nicht enden wollenden Erektion. Gleich zweimal hatte er sich befriedigt. So sehr hatte ihn lange keine Frau mehr erregt!
Durch die angelehnte Tür hörte Michael, dass auf der Etage über ihm die Tür geöffnet wurde. Das musste Alina sein. Das Treppenhaus war ziemlich hellhörig. Michael stand auf, packte seine Stellenanzeige und den Mülleimer, den er sich vor der Tür bereitgestellt hatte. Er wollte das Treffen nach Zufall aussehen lassen und nicht aufdringlich rüberkommen. Also trat er vor die Tür und hantierte im Treppenhaus mit dem Mülleimer herum, bis sie die Treppen hinunter kam.
„Morgen! Wie geht’s?“
„Miau!“ antwortete sie mit kratziger Stimme.
Michael schaute verdutzt.
„Miau!“ wiederholte sie in der gleichen Stimmlage. Aber Michael verstand immer noch nicht und zuckte ratsuchend die Schultern. „Tut mir leid!“
„Kater!“
„Oh, verstehe!“ Er lachte. „Sehr schlimm?“
„Der O-Saft und die Tabletten haben geholfen. Danke dafür.“
„Nichts zu danken!“
Sie sahen sich an.
„Müll?“, meinte sie schließlich, als die Stille etwas lang zu werden drohte.
Michael musste nachdenken, dann verstand er und hob den Mülleimer.
„Ja, genau, ich wollte den Müll runterbringen!“
„Sehr schön! Ist immer gut, den Müll runterzubringen. Vor allem, wenn man dabei zufällig andere Leute trifft.“
Er fand, dass die Gelegenheit gut war, sein Angebot an die Frau zu bringen:
„Genau. Und ich wollte dir noch etwas zeigen!“
„Na, da bin ich aber gespannt!“
Er drückte ihr den Zettel in die Hand.
„Was ist das?“
„Lies!“
Das tat sie.
„Du bietest mir einen Job an.“
„Als meine Buchhalterin!“
„Mit freier Kost und Logis? Ich soll also bei dir einziehen?“
„Natürlich nicht! Du bleibst in deiner Wohnung! Aber ich erlasse dir die Miete. Und darüber hinaus könnten wir ja sowas wie einen 400-Euro-Job abmachen.“
„Für die Buchhaltung.“ Sie klang skeptisch.
„Ich brauche eine Buchhalterin!“
„Das ist ja gut, dass ich dir gerade über den Weg gelaufen bin!“
„Habe ich auch gedacht!“ Er ignorierte ihre Ironie. „Was sagst du?“
„Aber eigentlich zeige ich dir, wo der Hammer hängt und peitsche dir die Scheiße aus dem Arsch.“
„Ganz so drastisch müsstest du es nicht ausdrücken. Außerdem sind Peitschen nicht so mein Ding. Ich dachte, wir hätten das gestern klargestellt.“
„Oh, hatten wir das? Tut mir leid!“
„Ich weiß schon. Der Alkohol war‘s!“
„Da hast du Recht. Aber mein Suff hat dir auch ein paar schöne Augenblicke beschwert. Wenn ich so an den Balken denke, den du da in der Hose mit dir herumgetragen hast!“
„Mir schien, dass du aber auch ganz motiviert bei der Sache warst!“
„Meinst du?“ Alina lachte, und Michael war froh, dass sie es tat, denn es klang schön, und er fand, dass sie auf dem richtigen Weg waren, wenn sie so miteinander flirteten.
„Wie wäre es also mit dem Job?“
„Meinst du, ich könnte jemanden vertragen, der mir die Schuhe küsst?“
„Ich leck‘ auch!“
Sie sah ihn plötzlich erstaunt an und machte einen demonstrativen Schritt zurück.
„Deine Schuhe, meine ich!“, beeilte Michael sich.
„Ich denke, wir sollten es mit den Anspielungen für heute belassen! Ich brauche niemanden, der mir meine Schuhe leckt, und was anderes schon gar nicht!“
„Kein Problem. Das ist ja das Gute an dem Arrangement! Du bist die Chefin, du bestimmst, wie weit es geht oder ob überhaupt was geht. Wenn du nicht willst, dann passiert nichts! Dann hast du einen Job, ich eine Buchhalterin, und das war‘s. Ich suche mir irgendwo anders eine Domina. Aber wenn du willst, dann…“
„Dann?“
„Dann steht dir eine Welt offen, von der du bisher nicht mal geträumt hast!“
„Warum sollte ich jetzt anfangen, davon zu träumen?“
„Ich glaube, dass du ziemlich wissbegierig bist!“
„Meinst du?“ Sie lachte wieder, wechselte dann aber zu Michaels Enttäuschung das Thema: „Wer macht eigentlich jetzt deine Buchhaltung?“
Michael wollte nicht sagen, dass dies ein tyrannischer Lakai im Betrieb seines Vaters machte.
„Im Moment wird das im Betrieb meiner Eltern gemacht. Aber das ist nur eine Notlösung.“
„Aha. Aber jetzt hast du mich ja! Wenn ich träumen will.“
„Genau. Überleg’s dir! Wäre für uns beide ein gutes Geschäft. Du sparst die Miete, verdienst was, kannst dich auf dein Studium konzentrieren und verlierst nicht unnötig Zeit, weil du irgendwelche Jobs machen musst. Über die Arbeitszeiten können wir uns verständigen. Ist doch perfekt oder nicht?“
Sie dachte nach.
Michaels letzte Sätze hatten gute Argumente gebracht. Trotzdem war sie skeptisch.
„Ich wollte gerade in die Stadt. Ich muss zur Uni und wollte mich nach Jobs umsehen.“
„Als Kellnerin?“
„Das war mein Plan!“
„Hast du schon was in Aussicht?“
„Muss mal schauen!“
Michael zeigte auf die Anzeige: „Okay. Du kannst es dir ja überlegen.“
„Mache ich… übrigens, ganz witzig gemacht!“
„Kleinigkeit. Aber trotzdem danke!“
Eine Kleinigkeit war es nicht. Michael war von Alinas Reaktion ein wenig enttäuscht. Er hatte sich mehr erhofft. Das Lob am Ende besänftigte ihn nur gering.
„Okay, ich mache mich mal auf den Weg!“, meinte sie.
„Alles klar. Bis dann!“
„Musst du nicht auch runter?“
„Wieso?“
„Der Müll?“
„Oh, richtig!“
Zusammen gingen sie die Treppen hinunter.
„Aus was für einer Wohnung bist du da eigentlich gekommen?“
„Das ist keine Wohnung. Das ist mein Büro.“
„Du hast noch eine zweite Wohnung als Büro?“
„Das ist keine Wohnung, das ist einfach ein Büro.“
„Ich glaube, ich wäre auch gerne das Kind eines Bauunternehmers, der genug Häuser hat, dass er in Wohnungen baden kann!“
„Ganz so toll ist es nicht.“
„Du hast eine Wohnung, du hast eine zweite, die du als Büro nutzt, und meine Wohnung willst du mir umsonst überlassen!“
„Im Gegenzug arbeitest du für mich.“
„Ja, das auch.“, meinte Alina vage.
„Was soll das heißen?“
„Ist ja auch egal! Ich bin mal weg! Wünsch mir Glück, dass ich einen Job finde!“
„Viel Glück bei der Jobsuche!“
Er meinte es nicht so.
Sie winkte noch, und dann verabschiedeten sie sich im Flur.
Auf dem Weg zurück in seine Wohnung überlegte Michael, ob er alle Wirte der Stadt anrufen sollte (ein paar kannte er), um ihnen zu sagen, sie sollten auf keinen Fall eine blonde Studentin mit Pferdeschwanz einstellen, wenn die sich bei ihnen heute bewerben sollte. Aber das war eine arschige Idee. Und außerdem war es zu viel Arbeit, und der Erfolg einer solchen Aktion schien auch begrenzt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder in sein Büro zu gehen und da den Terrazzo zu recherchieren. Wenn er schon keinen Erfolg im Suchen einer Buchhaltungs-Domina hatte, dann vielleicht im Beruf.
Kapitel 10 SEIN ODER NICHT SEIN.
Die junge Frau fummelte an der riesigen Maschine herum. Sie hatte gerade eine andere Bedienung abgelöst, die schnell im Personalbereich des Cafés verschwunden war. Ein rotes Licht blinkte penetrant an der Maschine, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie sah freundlich aus, hatte ein paar Sommersprossen und eine spitze Nase. Alina konnte sich vorstellen, dass die Bedienung ein nettes Lachen hatte. Sie hatte runde Wangen und funkelnde Augen. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Sympathisch.
Aber eben überfordert mit der Maschine. Die kleine Frau blies sich gestresst eine Strähne aus dem Gesicht, drückte hilflos ein paar Knöpfe, aber nichts passierte. Sie fluchte, stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Aber es half nichts. Der Kaffeeautomat blinkte stoisch weiter. Die junge Frau öffnete allerlei Klappen an der Maschine. Aber sie konnte den Fehler nicht finden.
„Was macht mein Latte Macchiato?“, rief jemand hinter Alina unhöflich und nun schon zum wiederholten Male.
„Kommt sofort!“, antwortete die Frau, aber sie klang nicht überzeugt.
Alina tat, als sähe sie auf ihren Block, aber sie betrachtete aufmerksam, wie die Frau sich erfolglos mühte und hilflos herumhantierte. Sie hatte Mitleid mit der Frau, die offensichtlich neu war und keine Ahnung hatte, wie diese riesige Maschine zu bedienen war, die doch eigentlich nichts anderes machen sollte, als ein wenig Kaffee zu brühen. Aber so einfach war es natürlich nicht, und einfacher Kaffee war bestimmt auch nicht Bestandteil eines Latte Macchiato.
„Ich habe nicht ewig Zeit!“ Alina drehte sich zu dem Mann um, der so penetrant forderte. Es war ein dürrer, bleicher, schwarz gekleideter Mann mit Pferdeschwanz. Er war Alina sofort unsympathisch. Offensichtlich ein Computerfreak und dazu ein Arsch.
„Sofort!“, antwortete die Bedienung leise. Aber alle Zuversicht war nun aus ihrer Stimme gewichen. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, das rote Blinken zu beseitigen. In einem letzten Akt zog sie den Stecker, und stöpselte ihn einen Augenblick später wieder ein. Die Maschine startete neu, allerlei Lichter gingen an und aus, die Maschine machte seltsame Geräusche. Die Augen Alinas und der Bedienung waren auf die rote Lampe gerichtet, die sich noch nicht gemeldet hatte. Solange dies nicht anging und die Maschine immer noch werkelte und Geräusche machte, war alles gut.
Alina hielt den Atem an und hoffte mit der Bedienung, dass das Blinken nicht wieder einsetzte. Die Maschine beendete ihre Geräusche, und die Hoffnung der beiden stieg, dass der Automat nun betriebsbereit war. Sekunden vergingen. Nichts geschah. Die Hoffnung stieg. Doch dann begann das rote Blinken wieder, und alle Hoffnung zerstob. Alina sah, wie die Schultern der Bedienung zusammensackten. Sie hatte Alina den Rücken zugedreht, aber Alina sah, wie sie sich die Augen wischte. Kein Grund zu heulen, dachte Alina, aber sie konnte es durchaus verstehen. Doch im nächsten Moment kam die Rettung. Die Kollegin, die sie gerade abgelöst hatte, kam zurück, hatte schon ihre Jacke an und sah routiniert, was mit der Maschine los war. Die weinende Bedienung musste nichts sagen, bekam nicht die Gelegenheit, ihren Frust auszudrücken. Stattdessen meinte ihre Ablösung nur:
„Das Scheißteil spinnt andauernd. Nicht deine Schuld!“, und dann tippte sie, leider viel zu schnell, als dass die Bedienung es hätte nachvollziehen können, ein paar Tasten. Das rote Blinken verschwand augenblicklich und im gleichen Moment setzte die Maschine sich in Gang und spuckte das Gewünschte aus.
„Du kriegst das schon hin! Bis dann!“, meinte die Ablösung und war auch schon verschwunden.
Alina konnte die Bedienung gut verstehen, die zwar nun einen Kaffeeautomaten hatte, der wieder funktionierte, aber keine Ahnung, wie sie ihn wieder richten konnte, wenn er wieder spinnen sollte. Alina beobachtete, wie die Bedienung dem dürren, bleichen, schwarzhaarigen Mann den Latte Macchiato brachte.
„Na endlich!“, raunzte er nur, widmete der Frau aber keinen Blick.
Alina reichte es nun. Was für ein Arsch! Ihr schoss eine Fantasie durch den Kopf:
Wie sie von ihrem Platz aufstand, zu dem Mann ging, der sich hinter seinem Laptop verkrochen hatte und ohne aufzublicken nach dem Latte Macchiato griff und gedankenverloren daran nippte, ohne ihn zu genießen. Und das, obwohl die Bedienung so viel Mühe damit gehabt hatte!
Alina stemmte eine Hand in die Hüften und sprach ihn an:
„Hey, du!“
Er sah auf und antwortete schroff:
„Was ist?“
„Du bist ein ziemliches Arschloch!“
„Was?“, fragte er irritiert. Er achtete nicht richtig auf sie. Sein Blick sprang immer wieder auf den Bildschirm zurück.
„Wie du die Bedienung behandelst!“
„Was geht Sie das an?“
„Sie ist neu. Hast du das nicht gesehen? Sie kennt sich noch nicht so aus!“
Wieder sprang sein Blick auf den Monitor, und er tippte schnell drei Tasten.
„Ist doch ihr Job, mich zu bedienen. Was soll das also?“
„Es ist aber nicht dein Job, andere Leute mies zu behandeln!“
„Nochmal: Was geht Sie das an?“
Wieder dieser Blick auf den Monitor. Nun tippte er einen ganzen Satz und ließ Alina dastehen.
Ihr platzte der Kragen.
Mit einer schnellen Bewegung klappte sie den Bildschirm zu, wie eine Mausefalle schnappte er zu. Der Mann konnte gerade noch seine Finger wegziehen, sonst hätte Alina ihm die zerquetscht.
„Hey, was fällt Ihnen ein?“
Er versuchte, den Laptop wieder zu öffnen, aber sie schlug mit der flachen Hand darauf.
„Was fällt DIR ein!“, blaffte sie zurück. „Wo hast du deine Manieren her? Ich sag dir jetzt was: Du wirst dich bei der Frau entschuldigen.“
„Niemals!“, er lachte empört.
Der Mann kam sich immer noch ziemlich überlegen vor, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, lächelte sie überheblich an, kreuzte die Arme herausfordernd vor der Brust und wippte auf den hinteren Beinen des Stuhls
„Das ist ihr Job, mich zu bedienen, und sie macht ihn ziemlich beschissen, wenn ich das sagen darf!“
Alina hatte genug. Mit einer flinken Bewegung trat sie gegen die Sitzfläche des Stuhls, genau zwischen die gespreizten Beine des Mannes.
Er verlor das Gleichgewicht und kippte nach hinten um.
Seine Beine zappelten nun in der Luft wie die eines Käfers auf dem Rücken.
„Was fällt Ihnen ein!“, rief er erschrocken.
Sie griff den Latte Macchiato, trat ganz nah an den Mann heran, dann kippte sie ihn über ihm aus. Schön langsam. Über das Gesicht, über sein Hemd und ganz viel goss sie in seinen Schritt.
„Verdammte Scheiße!“, rief er empört.
Alina stellte ihren Fuß auf seine Kehle und drückte ihm langsam die Luft ab.
Seine Augen weiteten sich in Panik. Jetzt verstand er. Das war kein Spiel!
„Ich werde jetzt die Bedienung rufen, und dann wirst du dich bei ihr entschuldigen. Ganz höflich. Und dann wirst du die Sauerei hier aufwischen. Ist das klar?“
Sie drückte auf seine Kehle. Er röchelte, sah sie angsterfüllt an und winselte.
„Schön, dass wir uns verstehen!“
Sie drehte sich zur Theke um und sprach die Bedienung an, die das ganze Schauspiel ungläubig verfolgt hatte.
„Könnten Sie mal bitte herkommen und einen Lappen mitbringen? Dem Mann hier ist ein Malheur passiert.“
Die Frau nickte und kam.
„Und jetzt schön nett!“, ermahnte Alina den Mann. Dann hob sie ihren Fuß ein wenig von seiner Kehle.
Er schluckte, sah die beiden Frauen angsterfüllt an, dann stotterte er:
„Es tut mir leid, dass ich Sie so unhöflich behandelt habe.“
Die Bedienung nickte.
„Na gut. Entschuldigung angenommen!“
Alina war fast ein wenig enttäuscht, dass die Bedienung das Spielchen so schnell beenden wollte.
„Und jetzt wischst du hier die Sauerei weg!“
Sie nahm der Bedienung den feuchten Lappen aus der Hand und warf ihn dem Mann ins Gesicht. Dann nahm sie ihren Fuß von seiner Kehle. Die beiden Frauen sahen amüsiert zu, wie er die Pfütze wegwischte.
Alina gab manchmal Anweisungen:
„Da hinten auch!“
„Hier ist noch was!“
„Vergiss die Ecke da nicht!“
Irgendwann fand sogar die Bedienung Gefallen an dem Spiel und machte mit:
„Mach das ja ordentlich! Wehe, ich sehe da noch Flecken!“
„Jawohl!“, murmelte der Mann, kroch auf allen Vieren herum und wischte die Brühe weg.
Die beiden Frauen sahen ihm mit viel Vergnügen zu.
Am Ende entließen sie den Mann. Er stand gedemütigt da und lief gesenkten Hauptes aus dem Café. Die junge Frau sah Alina an und sagte: „Danke!“
„Kein Problem!“, antwortete sie.
Ein komischer Gedanke war das.
Alina als Superheldin-Domina für die Rechte der mies behandelten Frauen.
Solche Phantasien hatte sie noch nie gehabt.
Dieses Domina-Angebot konnte sie nicht aus dem Kopf kriegen. Es war schon komisch. Aber sie mochte es. Sie mochte diese Fantasie.
Alina war von der Uni gekommen, wo sie eine Einführungsveranstaltung besucht hatte. Dann hatte sie sich noch ein paar Bücher besorgt und war schließlich in das Café gegangen. Sie wollte hier nach Jobs suchen. Kellnern hatte eigentlich recht weit oben auf ihrer Liste gestanden. Sie hatte das schon ein paar Jahre gemacht in einem Ausflugslokal in ihrer kleinen Stadt. Aber so richtig viel Lust hatte sie in diesem Moment zugegebenermaßen nicht. Das Problem der Bedienung, die nicht mit dem komischen Kaffeeautomaten umgehen konnte, hatte ihr den Rest gegeben. Alina konnte sich in die Nöte der Frau ziemlich gut einfinden. Es hätte ihr genauso ergehen können.
Da war immer noch das Angebot von Michael. Je länger es in ihrem Kopf umher kreiste, desto attraktiver wurde es. Es war ziemlich großzügig. So großzügig, dass sie eher das Gefühl hatte, ihn auszubeuten, wenn sie es annehmen sollte, als dass sie das Opfer wäre. Aber ohne eine gründliche Analyse und eine sorgfältig ausgefüllte Liste würde sie keine Entscheidung treffen.
Alina schaute auf zwei Spalten auf ihrem Block. Oben hatte sie säuberlich zwei Überschriften geschrieben. „Michaels Domina“ und „Anderer Job (Kellnerin)“. Mit einem dünnen Bleistiftstrich, der akkurat mit einem kleinen Lineal gezogen worden war, hatte sie die Überschriften unterstrichen und mit einem weiteren Strich hatte sie zwei Spalten voneinander abgetrennt. Nun hielt sie den blau schreibenden Füller in der Hand, um ihre Argumente für beide Punkte niederzuschreiben. Der Bleistiftstrich war deshalb so dünn, weil es Argumente gab, die sich nicht unbedingt einer Seite klar zuschreiben ließen, und die daher in die Mitte kamen. In einem nächsten Schritt würde sie mit einem lilafarbenen Füller die Argumente kommentieren und bewerten. Wenn es ganz kompliziert würde, hätte sie auch noch einen rot und einen grün schreibenden Füller, mit denen sie die Gewichtung der einzelnen Argumente festlegen könnte.
Sie hatte schon so oft Listen gemacht, um zu einer Entscheidung zu kommen, dass sie die Methode perfektioniert hatte. Alina war mittlerweile so professionell im Umgang mit den Listen, dass sie ihr bei allen schwierigen oder unüberschaubaren Entscheidungen halfen. In diesem Fall allerdings starrte sie auf die Überschrift der linken Spalte und war von dieser irgendwie hypnotisiert.
„Michaels Domina“.
Es klang lächerlich. So lächerlich, dass sie gar nicht wusste, was sie damit anfangen sollte. Es war ein Klischee. Es klang absurd, jedenfalls nicht nach ihr. Hätte sie aufgeschrieben: „Ein Alien als Haustier halten“, es wäre nicht weniger abwegig gewesen. Aber im Gegensatz zu dem Alien-Haustier, das einfach nur lächerlich war, zog sie dieser Domina-Gedanke mehr und mehr an.
Alina hatte Schwierigkeiten, über das Wort „Domina“ hinauszukommen. Es klang exotisch, nicht nach ihr, aber auch spannend.
Natürlich gab es Argumente dafür.
Sie müsste sich keinen anderen Job suchen. Sie hätte mehr Zeit für ihr Studium. So richtig war sie zu nichts verpflichtet. Sie konnte neue Erfahrungen machen und ihren Horizont erweitern (ein durchaus gewichtiges Argument in ihren Augen). Sie mochte Michael irgendwie, wenn sie sich ihn auch nicht als Freund vorstellen konnte.
Auf der anderen Seite stand da natürlich der Gedanke, dass das alles schmutzig war und dass sie sich verkaufte.
Aber hinter dem Schmutzigen hatte sie sofort ein Fragezeichen gesetzt. Ihr Mittel, um anzuzeigen, dass hier ein schwaches Argument war, das sie nicht greifen konnte. Blieb also, dass sie sich verkaufte. Aber auch dieses Argument war für sie nicht so richtig greifbar, denn sie hielt ja die Zügel in der Hand. Sie war im Zweifel nicht auf dieses Arrangement angewiesen. Sie war nicht wirklich finanziell abhängig von Michael. Sie könnte auch andere Jobs finden, wenn sie wollte oder musste. Sie war keine verklemmte Feministin, nicht prinzipiell abgeneigt. Sie wollte Neuem gegenüber offen sein. Sie konnte sich, wenn auch nur diffus und fern, auf einer „hormonellen“ Ebene eine sexuelle Entspannung vorstellen, die ja auch nicht zu verachten war. Und das ganz ohne die Verpflichtung einer Beziehung. Es sprachen erstaunlich viele Argumente dafür. Mehr als sie im ersten Moment gedacht hatte. Und trotzdem war da das Wort „Domina“, mit dem sie nicht umgehen konnte.
Es war ihr irgendwie peinlich.
Doch gerade diese Erkenntnis machte sie wütend.
Sie wollte nicht so spießig und kleingeistig sein!
Sie wollte was erleben und sich weiterentwickeln!
Sie wollte sich nicht reinreden lassen.
Sie wollte Domina werden!
Das bedeutete ja noch nicht, dass die ganze Welt davon erfuhr.
Sie konnte es ja auch diskret sein.
Und sie würde eine Probezeit vereinbaren.
Und in erster Linie wäre sie für die Buchhaltung zuständig.
Und wenn ihr dann der Sinn danach war und sie sich traute und sich dabei wohlfühlte, dann würde sie vielleicht noch was anderes in dieser Richtung übernehmen. Aber nur dann! Er sollte sich nicht zu viel versprechen von dieser Sache.
Buchhaltung! Das war die Priorität.
Alina nahm den vollgekritzelten Zettel, faltete ihn sauber und ordentlich zusammen und zerriss ihn dann in winzige Schnipsel. Normalerweise archivierte sie diese Listen, um später noch einmal überprüfen zu können, ob ihre Entscheidungsfindung richtig gewesen war.
Diese hier aber erschien ihr zu brisant für so etwas. Sie wollte nicht, dass jemand herausfand, was sie so trieb.
Kapitel 11 VORSTELLUNGSGESPRÄCH
„Ich bestimme, wie es läuft!“
„Natürlich!“
„Ich bestimme, wann und wie!“
„Absolut!“
„Es geht nur um die Buchhaltung!“
„Nur!“
„Freie Kost und Logis!“
„Freie Kost und Logis.“
„Plus geringfügige Beschäftigung!“
„So gering es geht!“
Alina sah Michael streng an.
„Ich bin nicht dein kleines Sexspielzeug!“
„Natürlich nicht!“
„Ich bestimme!“
„Über mich und alles andere!“
„Du darfst nichts erwarten als Arbeit!“
„Auf keinen Fall erwarte ich irgendwas anderes. Aber ich kann ja hoffen!“
Michael lächelte schelmisch und entschärfte so die barsche Art der Vertragsverhandlung, die Alina angestrengt hatte.
„Verarschst du mich?“
Michael besann sich. „Nein. Natürlich nicht!“
„Nur Buchhaltung!“
Michael nickte. „Wann fängst du an?“
„Morgen!“
„Okay. Ich kann’s nicht erwarten!“
„Du kannst es nicht erwarten, dass ich dir die Buchhaltung mache!“
„Genau so habe ich es gemeint. Ich kann es nicht erwarten, dass du mir die Buchhaltung machst.“
„Sehr gut! Dann verstehen wir uns also!“
Michael nickte.
„Zeig mir deine Buchhaltung!“, meinte Alina, und ihr fiel auf, dass der herrische Tonfall ihr schon ganz selbstverständlich über die Lippen kam.
Die beiden saßen sich in Michaels Büro gegenüber. Er hinter seinem großen Schreibtisch in seinem Designer-Chefsessel, sie davor in einem sicherlich auch teuren, aber deutlich weniger pompösen Bürostuhl.
„Kein Problem!“, meinte Michael, stand auf und holte eine große Kiste aus einer Ecke. Sie war Alina schon aufgefallen. Sie hatte aber geglaubt, dass darin Altpapier war.
Michael stellte die Kiste auf den Tisch.
„Hier ist alles drin!“, meinte er stolz. Meine gesamte Post ist hier drin! Alles, was in meinen Briefkasten kommt, bewahre ich hier auf! Natürlich nicht die Fachzeitschriften oder Werbung. Die nehme ich vorher raus.“
Alina konnte es nicht glauben. Die Kiste war wirklich voller Briefe. Die meisten waren nicht mal geöffnet.
Sie fischte mit spitzen Fingern ein wenig darin herum, als hätte sie einen Eimer mit Fischabfällen vor sich.
„Hier sind auch Rechnungen drin?“
„Da ist ausnahmslos alles drin!“ Nun war der Stolz in seiner Stimme nicht zu überhören.
„Bezahlst du deine Rechnungen denn nicht?“
„Ich finde, wenn man bis auf die zweite oder dritte Mahnung wartet, dann hat man länger sein Geld, und es kann für einen arbeiten. So mit Zinsen und so. Außerdem bringe ich die Kiste alle sechs bis acht Wochen in die Firma meines Vaters, und da geht die dann einer durch und bezahlt die Rechnungen und so.“
„Und was ist mit anderen wichtigen Schreiben?“
„Wenn es wichtig ist, mache ich die Briefe auf und antworte natürlich sofort!“
„Aber die meisten Briefe sind doch noch zu. Wie kannst du denn wissen, ob die wichtig sind?“
„Meist sieht man das doch schon am Umschlag, ob da Werbung drin ist oder nicht. Ich habe da mittlerweile Gespür für entwickelt.“
Alina schüttelte ungläubig den Kopf.
„Und das funktioniert?“
„Ich finde, das klappt sogar ganz gut!“
„Hast du dir nie Gedanken gemacht, wie sich das auf den Ruf deiner Firma auswirkt, wenn du deine Rechnungen immer zu spät bezahlst und auf Briefe nicht reagierst?“
„Es gibt ein paar Leute, die mit mir keine Geschäfte mehr machen wollen.“
„Ach?“
„Aber es sind ganz wenige. Die meisten sind darauf angewiesen, mit meinem Vater zusammenzuarbeiten. Die sehen darüber hinweg. Und wenn jemand nicht mit mir zusammenarbeiten will, dann will ich mit dem auch nicht. Das ist ganz einfach, finde ich!“
„So, so.“
Alina schüttelte den Kopf.
„Ich habe mir auch schon gedacht, dass es besser wäre, wenn ich da etwas disziplinierter wäre. Aber ich bin nicht so der Typ für Büroarbeit. Ich bin halt Künstler, mit der Buchhaltung habe ich es nicht so!“
„Das sehe ich auch.“
„Aber jetzt habe ich dich ja!“, meinte Michael arglos und lächelte.
Alina erwiderte darauf nichts, sondern stand auf. Sie musste sich zügeln. Wie konnte jemand nur so unorganisiert sein?
Künstler! Pah! Mit Buchhaltung hat er es nicht so. Als ob das eine Lappalie wäre! Dieser Idiot!
„Morgen um sechzehn Uhr dreißig.“
„Halb fünf, okay!“, meinte Michael. „Passt mir gut!“
Sie sah ihn kühl an, stand auf und verabschiedete sich recht schnell.
+ + +
Michael verstand nicht, was sie so auf die Palme gebracht hatte, aber sie schien sauer zu sein.
Er war verdammt guter Dinge. Dass Alina das Angebot so schnell angenommen hatte, hätte er nicht gedacht. Um ehrlich zu sein, war sie sogar etwas zu schnell gewesen. Er war durchaus willens gewesen, ihr mehr zu bezahlen, wenn sie versucht hätte zu handeln.
Aber so war es ihm lieber. Denn wenn er seinem Vater gegenübertreten müsste, und mal wieder Kosten gelten machen müsste wie die ausbleibende Miete für Alinas Wohnung und ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, dann musste er sich einstellen auf eine weitere Lektion in Geschäftsmoral und Ausgabendisziplin. Immerhin hatte er ein gutes Argument. Alina hatte nicht ganz unrecht mit ihrer Kritik an seinem Karton. Auch Herr Well, der Buchhalter seines Vaters, hatte darüber schon wiederholt den Kopf geschüttelt, und sein Vater hatte ihm schon diverse Male mitgeteilt, dass es so nicht ginge. Man könne so kein Geschäft führen. Michael glaubte, eine gute Verhandlungsposition zu haben, wenn er argumentieren könnte, dass er seine Buchhaltung mit der Hilfe einer ausgebildeten Industriekauffrau auf Vordermann bringen könnte.
Sein Vater musste einfach einverstanden sein!
Natürlich wäre er es. Michael war der einzige Sohn einer richtig reichen Familie, und sein Vater war so um die Reputation des Familiennamens besorgt, dass er Michael lieber Geld in den Rachen warf, als zum Gespött der Stadt zu werden, indem er ihm den Geldhahn abstellte und so zugeben musste, dass sein Sohn nicht so perfekt war, wie er sich das erhofft hatte.
Michael war zufrieden.
Er nahm sich vor, noch ein wenig zu recherchieren, ob er einen Fliesenleger fand, der die Ansprüche an Terrazzo erfüllen konnte, wurde dann aber doch recht schnell abgelenkt.
Michael suchte nämlich nach „Buchhaltungsdomina“, „Buchhaltung + Domina“, „Sekretärin + Domina“. Laut der „Regel 34“ gab es zu jeder Sache, die man sich vorstellen konnte, auch Pornografie. Er hatte das probiert. Es gab Zombies, und wenn er nach „Zombieporno“ suchte, dann fand er dazu etwas. Nicht, dass ihn Zombiepornografie interessiert hätte, aber es war gut zu wissen, dass es zu jeder Neigung Interessensgenossen gab. In diesem Fall allerdings, das musste Michael erkennen, fand er auf die Schnelle nichts. Zumindest unter den Begriffen erhielt er keinen Treffen. Er suchte also mit seinen begrenzten Englischkenntnissen und wurde ein wenig fündig. So richtig aber auch nicht. Als er schließlich seine Suche abbrach, war es schon spät in der Nacht. Mit dem Terrazzo war er nicht weitergekommen, aber er hatte das gute Gefühl, etwas gelernt zu haben und einen schwarzen Fleck im Internet gefunden zu haben, zu dem es noch nicht ausreichend Material gab. Er beschäftigte sich eine Weile mit der Frage, ob er was gegen diesen Mangel unternehmen sollte.
Später im Bett gab er sich seiner Phantasie hin, und da gab es eine dominante Sekretärin.
Sie hieß Mercedes Maria, war eins achtzig groß. Ihre schlanken Beine steckten in schwarzen Nylons, eingerahmt von halsbrecherisch hohen Pumps mit Pfennigabsätzen. Der enge Rock, der gerade ihre Kniescheiben bedeckte, schmiegte sich um ihre Hüften und betonte die Wespentaille. In ihrem tiefen, braungebrannten Dekolletee glänzten Perlen. Sie war offensichtlich Spanierin, was nicht nur die langen schwarzen Haaren zeigten.
In seiner Fantasie hatte er an seinem Schreibtisch seinen Laptop geöffnet, surfte aber nur ziellos umher. Ihre Schritte auf den winzigen Absätzen hämmerten in kompromissloser Entschlossenheit über den Naturschieferboden. Sie baute sich vor ihm auf, lehnte sich auf die Schreibtischplatte und thronte nun über ihm wie eine Unwetterfront.
Michael klappte den Rechner gerade noch zu, bevor sie entdeckte, dass er wieder auf Pornoseiten surfte.
Mercedes Maria hatte die langen Haare zu einem strengen Dutt hochgesteckt. Ihre Augenbrauen waren gefährlich geschwungen, die kohleschwarzen Augen schauten aufmerksam und streng.
„Ich will einen Café con Latte!“, warf sie ihm entgegen in einer resoluten Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Ihrem spanischen Akzent war er vollkommen verfallen.
Seine Augen waren gefangen von dem üppigen Dekolletee, das sich mit jedem Atemzug hob und senkte, sich beim Einatmen weitete und beim Ausatmen verschloss. Immer wenn der Sauerstoff ihren Brustkorb hob, hielt Michael den Atem an, weil sich die Spalte ihrer Bluse für einen kleinen Augenblick weitete und den Blick auf ihre Brüste freigab. Es hatte etwas Hypnotisches.
„Café con Latte!“, wiederholte sie, weil er nicht sofort reagierte, sondern immer noch gefangen war von ihrem Ausschnitt.
„Natürlich!“, murmelte er unterwürfig und sah ihr in die Augen, die funkelten wie Kohle auf dem Weg zum Diamanten. Hart, scharfkantig, erbarmungslos.
Wie konnte eine Frau so schöne Augen haben? So dunkel, so tiefgründig?
Sie hatte sich aufgerichtet und zeigte auf die Küche.
„Soll ich den etwa selbst machen, que? Ich muss noch die Buchhaltung machen! Fürs Kaffeekochen bin ich nicht zuständig!“
„Natürlich nicht!“, murmelte Michael und stand auf.
„Was fällt dir ein?“ Wie sie das R in „dir“ rollte!
Michael sah sie entsetzt an. Was hatte er falsch gemacht?
„Du willst doch nicht etwa gehen oder?“
Ihre linke Augenbraue schoss hinauf wie das Beil des Henkers, das in jedem Moment auf seinen Hals herunter sausen konnte.
„Verzeihung!“
Er fiel auf seine Knie und kroch auf allen Vieren hinter ihr her in die Küche. Sein Blick war auf den wohlgeformten Hintern gerichtet, die ausladenden Hüften, die rhythmisch hin und her schwangen, wenn sie einen Schritt vor den anderen setzte.
Jede Bewegung schien sorgsam geplant, jeder Schritt, den sie machte, genau kalkuliert. Keine Regung ihres Körpers war unüberlegt. Es schien, als wäre alles Resultat langer Überlegungen, nichts Zufall, nichts unperfekt.
Ihre langen Beine, die so makellos waren! Was er geben würde, wenn er sie nur einmal berühren durfte! Einen sanften Kuss auf ihre Waden setzen durfte. Er würde sich auch benehmen!
Was er dafür tun würde!
Doch sie ließ es nicht zu.
Sie ließ ihn hinter sich her kriechen. Sie ließ ihn Kaffee kochen, sie ließ ihn für sich arbeiten.
Er hatte sie eingestellt, aber sie war es, die bestimmte.
Sie sagte, sie würde die Buchhaltung machen, aber er wusste, dass er die Arbeit machen würde. Sie würde derweil in ihrem Stuhl sitzen, die Beine hochgelegt haben und sich um ihre Fingernägel kümmern.
Und Michael würde sich wieder nicht konzentrieren können. Er würde versuchen, sich auf die Zahlen zu konzentrieren, aber eigentlich würde er nur versuchen, einen Blick auf ihre Beine und vielleicht unter den Rock zu riskieren.
„Glotz nicht! Arbeite, du Wurrrrm!“, würde sie lachen, mit ihrem spanischen Akzent und dem gerollten „Wurrrrm“.
Michaels Hände verschwanden unter der Bettdecke.
Er musste sich Erleichterung verschaffen!
+ + +
In genau diesem Moment hatte Alina ihr linkes Bein, das sehr viel kürzer und auch nicht so schlank war wie das der imaginären Mercedes Maria, auf den Rand der Badewanne gestellt und rasierte sich die Beine.
Es war mal wieder Zeit. Eigentlich war es sogar lange überfällig. Alina hatte lange nicht das Verlangen gehabt, sexy auszusehen, und da hatte sie diese Sache immer wieder aufgeschoben. Aber nun war es Zeit. Sie musste an ihre Fantasie in dem Café denken. Wenn sie irgendwem ihren Fuß auf die Kehle setzte, dann sollte der nicht unbedingt die Stoppel an ihren Beinen sehen. Das wäre irgendwie unprofessionell.
Und als ihr das bewusst wurde, da wurde ihr klar, dass es mit den Beinen nicht getan wäre. Stattdessen wäre danach die Pinzette dran und dann ginge es darum, die paar dunklen Härchen auf ihrer Oberlippe zu bekämpfen. Und auf ihrem Ohr wuchs auch immer ein einziges, dickes Haar. Auch das musste weg!
Sie musste innerlich schmunzeln. Diese Sache wurde größer, als sie zunächst gedacht hatte. Wenn man etwas anging, sollte man es ernsthaft machen. Das war so etwas wie ihr Motto. Langweilig und spießig, das wusste sie, aber so war sie halt. Alina hatte eine Liste mit allen Stellen an ihrem Körper, an denen es Haare zu entfernen galt. Sie hatte diese mittlerweile auswendig gelernt, aber irgendwo existierte dieser Zettel noch.
Auf ihrer Liste allerdings stand auch noch ihr Schambereich. Sollte sie auch daran? Es stand auf ihrer Liste. Daran gab es nichts zu rütteln. Aber sie erwartete nicht ernsthaft, dass es so weit gehen würde mit Michael, dass er bis an ihr Heiligstes käme. Alina hatte keine feste Meinung zu der Frage nach der Behaarung da unten. Ihr Ex-Freund hatte sie dort unten lieber glatt und weich wie ein Babypopo, und da er sehr viel aufgeschlossener war, was seine Zungenakrobatik betraft, wenn er sie da unten glatt und weich vorfand, hatte sie ihm und nicht zuletzt sich den Gefallen getan. Ihre Beine konnten ruhig ein wenig kratzen, aber dort unten gab es keinen Dschungel, weil er das wollte. Keine Landebahn. Nichts.
Doch als sie sich getrennt hatten, da hatte sie die Intimrasur ausgesetzt. Sie fand sich mit Haaren manchmal weiblicher, erwachsener, fraulicher. Wenn es ohne auch angenehmer und hygienischer sein mochte.
Doch an diesem Abend entschied sie sich dagegen, die Schere anzusetzen. Dominas schliefen nicht mit ihren Klienten. Das hatte sie irgendwo gelesen. Es war so ziemlich das Einzige, was sie wusste. Nein, sie küssten auch nicht. Das hatte sie auch irgendwo aufgeschnappt. Es war ein ehernes Gesetz. Und sie war nicht einmal eine Domina! Allein der Gedanke war absurd.
Sie klopfte sich einmal mit der flachen Hand auf den Venushügel, und spürte ihre Haarpracht unter dem Slip.
„Keine Sorge, meine Freunde! Ihr bleibt!“, murmelte sie und grinste. Damit beendete sie auch ihre Enthaarungskur. Man sollte es nicht übertreiben!
Es war nicht unbedingt so, dass sie so viele Erwartungen an den nächsten Tag hegte. Sie fühlte sich auch nicht erotisch, aber da war doch etwas versteckt in ihr, eine Ahnung, vielleicht auch eine Vorfreude. Sie wollte korrekt vorbereitet sein, und dazu gehörten nun einmal auch rasierte Beine. Alina wollte nicht in eine Situation kommen, in der sie sich für ihre Beine schämen müsste.
Dabei wusste sie gar nicht so genau, in welche Situation sie eigentlich vorhatte zu kommen.
Sie wäre ja schließlich diejenige, die das alles zu bestimmen hatte.
Alina brauchte einen Plan. Aber es war schon spät. Alina ging ins Bett, aber in ihren Fantasien kam keine rassige spanische Sekretärin vor. Sie musste noch etwas für die uni tun.
Sie ließ Revue passieren, was sie sich zuvor zur Kosten- und Leistungsrechnung angelesen hatte, weil sie wusste, dass man sich Lerninhalte besonders gut einprägen konnte, wenn man sie vor dem Einschlafen noch einmal rekapitulierte. Auch das hatte sie gelernt.
Zuvor hatte Alina den Abend ebenfalls produktiv verbracht.
Sie hatte ihren Haushalt gemacht, die Abläufe in ihrer neuen Küche justiert und optimiert, hatte sich etwas gekocht und dann bis spät in die Nacht Fachbücher gewälzt, um all die Defizite in BWL aufzuarbeiten, die sie glaubte zu haben.
Sie musste an Michaels Einstellung zur Buchhaltung denken. Auch wenn sie ihren Beruf nicht sonderlich mochte, hatte sie ihn stets respektiert. Buchhaltung war eine wichtige Aufgabe, und dass er diese so geringschätzte, konnte sie gar nicht haben. In ihrer Ausbildung hatte man ihr immer wieder gesagt, wie wichtig es war, präzise und genau zu arbeiten. Genau diese Präzision und Zuverlässigkeit lag ihr im Blut. Ihre Mitschüler mochten über sie lachen, aber Alina war immer diejenige gewesen, die die wenigsten Fehler gemacht hatte. Wenn sie etwas an dem Beruf der Industriekauffrau schätzte, dann die Tatsache, dass man eben genau sein musste. Das war ein hohes Gut in ihren Augen. Und wenn da so ein Innenarchitekt ankam und ihr was davon erzählte, dass er über diesen banalen Aufgaben stand, weil er ein „Künstler“ war, dann sollte er besser keine Arrangements eingehen, in denen er ihr irgendeine Macht über ihn gab! Überhaupt „Künstler!“ Was tat er denn schon? Er suchte die Tapeten für Leute aus, die dafür zu faul waren! Das machte ihn in ihren Augen noch nicht zu einem Künstler!
Sondern zu einem Tapetenaussucher.
Picasso war Michael jedenfalls nicht!
Kapitel 12 ÜBER UND UNTER DEM TISCH
„Okay, du hörst mir jetzt genau zu!“ Alina stürmte in Michaels Büro, bevor dieser die Tür auch nur vollkommen geöffnet hatte.
„Folgendermaßen wird das laufen! Ich mache deine Buchhaltung, aber ich bin nicht für deine Schlampigkeit zuständig! Du wirst jetzt schön die Kiste nehmen, und die ganzen Unterlagen darin sortieren. Ich will einen Stapel mit Rechnungen, und zwar erst alphabetisch und dann nach Rechnungseingang sortiert. Außerdem will ich den gesamten übrigen Schriftverkehr alphabetisch geordnet haben. Werbebriefe und ähnlichen Mist will ich nicht dabei sehen. Ist das klar?“
„Absolut!“ Michael war perplex. Aber es war ihm auch egal, was sie sagte, es ging ihm darum, wie sie es tat.
Sie war energisch, sie war stark, sie war resolut.
Das hatte er sich gewünscht! Wenn sie nur diesen Ton beibehielte, würde er auch die albernen Briefe ordnen. Auch wenn er sie ja genau genommen eingestellt hatte, um diese Arbeit für ihn zu machen. Aber am Ende ging es ja nur darum, mit ihr zusammen zu sein und dass die Arbeit gemacht wurde. Vielleicht war es nicht so wichtig, wer sie tat. Er konnte damit leben.
+ + +
Alina stand mit in die Hüften gestemmten Händen vor Michael. Ihre Beine schulterbreit auseinander. Diese kleine Rede hatte sie vor dem Spiegel einstudiert.
Sie war ihr beim Frühstück eingefallen, und sie hatte diese Idee den ganzen Tag über mit sich geschleppt und immer wieder überarbeitet.
Ein wenig besorgt war sie schon gewesen, wie er darauf reagieren mochte, dass er die Drecksarbeit machen musste, wo er sie doch engagiert hatte. Alina war nicht dazu da, den Laden herumzureißen und das Unternehmen profitabel zu machen. Sie hatte von Innenarchitektur keine Ahnung. Sie war keine Unternehmensberaterin. Sie wusste nur, dass man seine Arbeit gewissenhaft verrichten sollte, wenn man Erfolg haben wollte. Es war nicht ihre Aufgabe, ein Tochterunternehmen des großen Baulöwen (sie hatte ein wenig gegooglet) zu retten.
Was Michael brauchte, war eine harte Hand. Was die mit ihm machte, war bestimmt nicht so wichtig. Die Buchhaltung würde sie so nebenbei hinkriegen. Da war sie zuversichtlich.
Nun, all das hatte Alina sich in der Theorie überlegt. Aber sah sie das richtig? Das war die große Frage, die sie nervös machte. Auch noch als sie breitbeinig vor Michael stand und ihn streng ansah.
Aber Michael war butterweich und machte keine Zicken. Und er bemerkte auch nichts von Alinas Unsicherheit.
Alina war zufrieden.
Sie ließ Michael stehen, und anstatt sich auf den Stuhl zu setzen, auf dem sie am Tag zuvor gesessen hatte, ging sie um den Schreibtisch herum und fläzte sich in den riesigen Bürostuhl.
Michael stand immer noch da und starrte sie sprachlos an.
Sie fing seinen Blick ein und starrte streng zurück, bis er nach einer Weile unsicher die Augen sinken ließ und auf den Boden blickte, als hätte sie ihn besiegt.
Sie sah, wie es in seinem Schritt wuchs.
Wie einfach es doch war!
Sie wusste, dass Männer nicht die größte Selbstbeherrschung an den Tag legten und schnell zu erregen waren. Aber dass das so schnell ging! Durch ein paar Worte!
Sie kam langsam in Fahrt.
„Hol die Kiste!“
Er brachte sie still zu ihr.
„Stell sie auf den Boden!“
+ + +
Michael war wie hypnotisiert. Er hatte das Gefühl, dass die Welt plötzlich eine andere war. Er glaubte, es mit einem anderen Menschen zu tun zu haben. Alinas Augen hatten sich gewandelt. Sie waren auf einmal stählern. Sie duldeten keinen Widerspruch. Alinas Augen hatten magische Kräfte entwickelt. Sie zwangen seine Aufmerksamkeit in ihren Bann, und dann strahlten sie diese unglaubliche Kraft aus, der er sich nicht entziehen konnte. Es war fast unheimlich! Genau das war es, was er gewollt hatte, was er nicht bei der Prekariatsdomina gefunden hatte. Hier war es! Sie sollte befehlen, befehlen, befehlen und er würde ihr dienen!
In diesem Moment, in dem eigentlich nicht viel passierte, war er genau da, wo er schon immer hatte sein wollen. Er war in ihrer Hand. Sie konnte mit ihm anstellen, was sie wollte. Er würde vor ihr auf die Knie gehen, wenn sie das verlangte. Er würde sich vor ihr zum Affen machen, wenn sie es verlangte. Hier wollte er ein, hier war er am richtigen Fleck!
+ + +
Alina gefiel das Spielchen auch. Sie musste an ihre Fantasie in dem Café denken, hier wurde alles Realität.
Mit einer kühlen Bewegung schob sie die Kiste unter den Schreibtisch.
„Unter den Tisch! Ich will dich nicht sehen, wenn du das machst!“
Michael sah sie erstaunt an.
„Wirklich?“
War sie zu weit gegangen? Dieses Zögern Michaels erstaunte sie. Aber sie musste jetzt Durchsetzungskraft zeigen. Es war wie bei ihren Brüdern.
„Du sollst keine dummen Fragen stellen! Hättest du das gewissenhaft gemacht, bräuchten wir das alles nicht!“
„Natürlich.“ Michael sah sie mit großen Augen an, als würde er um Mitleid winseln. Aber Alina gab nicht nach und Michael ging auf alle Viere, um unter den Schreibtisch zu kriechen.
Alina lächelte innerlich.
Das war einfacher, als sie gedacht hatte! Und es machte sogar Spaß!
„Gut, dass du so einen großen Schreibtisch hast! Da ist es da unten nicht so eng!“
Sie beugte sich vor, um unter den Schreibtisch zu schauen.
So viel Platz hatte er dann doch nicht da unten.
Es war ihr egal. Im Gegenteil. Sie wollte sogar noch einen Schritt weitergehen.
„Rutsch mal was!“
Sie setzte sich auf den Stuhl und rollte an den Schreibtisch. Damit zwängte sie ihn noch mehr ein.
„Hey!“, protestierte er dann auch, als ihre Beine ihn noch mehr in die Ecke drückten.
„Ruhe da unten!“, meinte sie und trat einfach mal so unter dem Tisch ins Blaue.
Ihr Schuh traf ihn in die Rippen. Michael jaulte auf.
„Ruhe, sage ich!“
Sie trat noch einmal, diesmal traf sie ihn in den Bauch. Es war kein kräftiger Tritt, aber er war sicherlich unangenehm.
„Wie soll ich denn hier die ganzen Sachen ordnen? Hier ist kein Platz!“, jammerte er.
„Verdammt, du sollst einfach machen!“ Sie trat noch einmal, nun heftiger.
+ + +
„Uff!“, machte Michael, versuchte aber leise zu sein. Auf dem engen Platz versuchte er eine einigermaßen erträgliche Haltung zu finden und dann auch die Papiere auszubreiten.
Eng war es nicht nur unter dem Schreibtisch, es war es auch in seiner Hose.
Michael hatte nicht damit gerechnet, dass Alina solch ein Tempo an den Tag legen würde. Er hatte mit wochenlangen Annäherungen gerechnet, bevor etwas passieren würde. Und nun hockte er bereits am ersten Tag unter seinem eigenen Schreibtisch, machte die doofe Arbeit, für die er Alina eigentlich angestellt hatte und musste auch noch ihre Tritte einstecken.
Er liebte es jetzt schon!
Wohin mochte das alles noch führen?
+ + +
Alina wusste es auch nicht. Sie hatte das alles geplant, aber sie hatte sich das alles nicht plastisch vorstellen können. Nun war sie mitten drin. Sie hätte auf jeden Fall nicht die Chucks anziehen sollen, wenn sie ihm schon so nah kam. Die waren bequem, aber überhaupt nicht dominant. Sie trug ein langes Kleid. Es war nicht eng, es war nicht kurz, es war nicht sexy. Aber es hatte etwas Weibliches. Kleider und Röcken versprachen etwas. Sie deuteten an, betonten die Figur, die Taille, die Hüfte. Sie ließen die Frau wissen, dass sie einen Körper hatte, der schön sein konnte. Man konnte Röcke raffen, mit ihnen spielen. Männer trugen Hosen. Die waren praktisch. Röcke waren weiblich. Selbst wenn sie nicht viel zeigten.
Sie mochte ihre Beine. Sie waren nicht lang, aber sie waren schön geformt. Sie mochte die Luft an ihren Beinen, sie mochte vor allem, wenn dünner Stoff ihre Haut streichelte. Und manchmal, aber wirklich nur ganz selten, ein einziges Mal, um genau zu sein, da hatte sie ein ganz dünnes Kleid angezogen, und sie war in den Park gegangen, einfach nur, um die Sonne zu genießen. Es war an einem der ersten Sommertage des Jahres gewesen. Da war dieser alte Mann mit einem Gehstock. Er saß auf einer Bank und sie spürte seine Blicke auf sich. Er beobachtete sie. Es machte ihr nichts aus. Sie fand es sogar schmeichelhaft, dass der Mann sie attraktiv fand. Sie wollte ihm eine Freude bereiten und begann zu tanzen. Nicht für ihn. Natürlich eigentlich schon, aber sie tat so, als würde sie ihn nicht bemerken. Mit ausladenden Bewegungen tanzte sie zu einer eingebildeten Musik über den Rasen. Niemand sonst war weit und breit, außer ihr und dem alten Mann. Sie tat, als hätte sie ihn nicht gesehen, sprang in die Luft, dass ihr Rock hochrutschte und den Blick auf ihre Beine für einen Augenblick freigab. Auf ihre Beine, die sie mochte. Der dünne Stoff ihres Kleids wurde gedehnt, und sie wusste, dass das Licht hindurch fiel. Sie lieferte ihm ein kleines Schauspiel. Wie oft mochte der Mann noch Spaß haben?
Das Ganze dauerte nicht lange, nicht mal eine Minute, dann verschwand sie und ließ ihn auf seiner Parkbank sitzen. Aber sie musste noch lange daran denken, wie sie für diesen Fremden getanzt hatte. Sie war mutig gewesen, auch wenn es ihr nachher ein wenig peinlich war und sie es daher niemandem erzählte und es auch nie wieder getan hatte.
Was mochte Michael wohl von ihr denken? Da unten unter dem Tisch? Viel von ihr sah er nicht. Außer ihren Chucks, den weißen Söckchen, ein wenig ihrer Beine und dann ihr Kleid, das bis unter die Knie ging. Nichts Besonderes. Aber es ging ihm ja vermutlich um etwas Anderes.
Er war sicherlich nicht wegen ihrer Beine hinter ihr her.
Alina fragte sich, ob er sie attraktiv fand, ob er etwas von ihr wollte, oder ob es nur dieses Konzept war, dass eine Frau über ihn bestimmte. Eigentlich konnte es ihr egal sein, aber in diesem Moment wäre sie von ihm gerne begehrt worden. Als Frau, nicht als Domina.
Sie wollte nicht nur als Abziehbild für seine Fantasien dienen.
Er sollte sie, Alina, wollen. Nicht nur eine Domina.
Vielleicht war es das, was man meinte, wenn man davon sprach, dass Frauen zu Lustobjekten wurden.
Dass es nur um ein Konzept ging.
Sie wollte nicht sein austauschbares Lustobjekt sein.
In diesem Moment wollte sie sein Lustsubjekt sein.
Was immer das sein mochte.
Der Gedanke überraschte Alina. Warum lag ihr etwas daran, dass er sie als Mensch und nicht nur in ihrer Funktion mochte?
Alina hatte sich noch nie Gedanken gemacht, warum man jemanden mögen konnte. Konnte man jemanden mögen, weil man ihn dominierte? Weil er tat, was man von ihm verlangte?
Das alles war kompliziert.
Sie mochte den Moment, an dem Schreibtisch zu sitzen und Michael unter ihr zu haben.
Alina wollte eigentlich ein wenig studieren. Sie hatte sich Bücher mitgebracht, die sie durchackern wollte, während Michael seinen Job machte.
Aber das war Unsinn. Sie konnte sich nicht konzentrieren.
Es war zu spannend, was da gerade passierte!
„Geht’s dir gut da unten?“, meinte sie spöttisch, und als Antwort erhielt sie ein gedämpftes:
„Danke, geht schon!“ An Michaels Antworten musste sie noch arbeiten. Sie hätte da gerne ein bisschen mehr den Hinweis auf ihre Beziehung. Michael sollte wissen, mit wem er es zu tun hatte.
Statt sich mit BWL zu beschäftigen, kritzelte sie einige Namen auf ihren Block.
Amazing Alina, Herrin Alina, Domina Alina, Lady Alina, Alina die Große.
Aber die Namen gefielen ihr alle nicht. Sie klangen lächerlich. Sie strich sie wieder durch.
Sie könnte sich auch einen anderen Vornamen geben. Ein Pseudonym. „Alina“ war nicht gerade ein Name, der sich wahnsinnig nach Respekt und Überlegenheit anhörte. Er hörte sich auch nicht sehr erotisch an. Aber vielleicht war ihr Name auch nicht für sie wichtig, sondern für ihn. Für ihn musste sie sich keinen Namen zulegen. Sie hatte ja auch keinen für ihn.
Wie sollte sie ihn nennen?
Sklave?
Dabei dachte sie an Ägypter bei dem Bau der Pyramiden oder an Schwarze beim Baumwollpflücken, während sie den Blues sangen. Lächerlich.
Ein „Diener“ war Michael auch nicht. Er war auch kein Tier. Kein Hund. Ein Wurm war er nicht. Auch kein armseliger Wurm.
Adjektive halfen ihr auch nicht weiter.
Sie dachte zu viel nach. Mit langen Strichen vernichtete sie die dahingekritzelten Namen. Sie war keine Gräfin, keine Madame, keine Comtesse. Sie wusste nicht einmal, was eine Comtesse war oder tat, aber sie hatte gelesen, dass viele Dominas sich so nannten.
Als sie sich aus ihren Gedanken befreit hatte und wieder bei sich war, da fiel ihr auf, dass das Ganze sie doch nicht alles so unbeeindruckt ließ. Es kribbelte. Es kribbelte in ihrem Bauch, in ihrem Kopf, vor allem aber in ihrem Schoß.
Es wurde warm.
Sie spreizte ein wenig die Beine, unauffällig, nur einige Zentimeter.
Ihr war natürlich bewusst, dass sie Michael damit einen Anblick bot. Er wäre nun in der Lage, ein wenig unter ihr Kleid zu schauen. Sie stellte sich vor, wie seine Augen fixiert waren auf die Dunkelheit, die das Geheimnis verbarg. Er würde in dieses Dunkel starren in der Hoffnung, dass sie ihm mehr zeigte.
Und wenn sie wollte, konnte sie einfach ihre Beine noch ein wenig weiter auseinander stellen, und dann sah er mehr. Sie hatte es in der Hand.
War das schon Exhibitionismus?
Es fühlte sich zumindest aufregend an!
Wie mochte er nun da unter dem Schreibtisch sitzen? Hielt er den Atem an, starrte er wie gebannt, hoffend, dass sie ihre Beine weiter öffnete und den Blick auf ihren Slip freigab?
Sie trug einen ganz einfachen weißen Baumwollslip. Nichts Außergewöhnliches. Sie hatte nicht damit gerechnet, am ersten Tag schon so weit zu gehen. Es war nicht Teil ihres Plans gewesen. Aber es störte sie nicht. Sie hatte keine so richtig gewagte Unterwäsche, keine schwarze Spitzenunterwäsche. Nur ein paar Sachen, die so etwas andeuteten.
Sie hatte sich bisher nie so gesehen. Als jemand, der sich so aufbretzeln konnte. Mit ihrem Körper war sie einigermaßen im Reinen, aber zum Vamp hatte es nicht gereicht.
Sie fand es aber auch irgendwie passend, ihm die einfache Schießer-Unterwäsche zu präsentieren. Er unterwarf sich einer ganz normalen Studentin, keiner Göttin, keiner Femme Fatale.
Hatte sie gerade ein Keuchen vernommen und einen kleinen Hauch, warmer Atemluft an ihrem Knie? Sie musste schmunzeln.
War er da unten so geil?
Sie schloss die Beine wieder ein wenig.
Wie groß mochte seine Enttäuschung jetzt sein?
Ihr bereitete das Spielchen Spaß.
Sie spreizte die Beine wieder ein wenig, und gab wieder etwas mehr Blick frei.
Wie mochten ihre Schenkel in der Enge und Dunkelheit unter dem Schreibtisch aussehen? Sie mochte ihre Beine. Es fühlte sich weich an, wenn sie ihre Schenkel streichelte. Sie schloss die Beine wieder, und ihre Schenkel berührten sich. Sie rutschte ein wenig auf dem Stuhl hin und her, um ihre Haut zu spüren. Dann öffnete sie sie wieder.
„Wie geil bist du?“ Schrieb sie auf den Block.
„Wie geil bist du auf mich?“
„Wie geil?“
Sie öffnete die Beine weiter als zuvor. Nun war sie sich sicher, dass er ihren weißen Slip sehen konnte.
Konnte er sie sogar riechen?
Ihre Wärme zwischen den Schenkeln?
„Wie sehr willst du es?“, schrieb sie.
Sie wollte es wissen, aber sie wollte nicht fragen.
Alina genoss die Stille. Sie zeigte sich ihm, aber eigentlich ging es nicht um ihn, es ging um sie selbst. Sie machte ihn scharf, weil sie es konnte, und er konnte nichts anderes tun, als sich seiner Geilheit hinzugeben. Er musste nichts sagen. Seine Worte würden den Augenblick nur zerstören. Er musste nur genießen. Oder leiden, weil er nur schauen durfte. Er würde sie nicht berühren. Ihr Slip bliebe so unerreichbar, obwohl er so nah war.
„Wie weit wirst du gehen?“, schrieb sie.
Sie lehnte sich in dem Stuhl zurück und streckte die Beine aus. Ihre Schuhspitze traf seinen Arm. Er machte ihr Platz, rückte beiseite, und sie wusste nun, dass er wirklich zwischen ihren Beinen kauerte und sie ansah. Ihre Füße ruhten auf den Papieren, die er ordnen sollte.
Sie hatte seine Aufgabe vollkommen vergessen, wie er bestimmt seine auch.
„Wie weit wirst du gehen?“
Sie wollte es wissen. Sie setzte sich auf, schloss die Beine und sagte:
„Zieh dich aus! Komplett!“
Ihre Stimme klang nun rau.
„Ja …“ erklang von unter dem Schreibtisch seine Stimme. Er suchte nach einer Anrede für sie, und fügte schließlich hinzu: „Alina“.
„Halt den Mund! Ich will nichts von dir hören! Verstanden?“
Es blieb einen Augenblick still, und dann verstand sie, dass sie ihm einen widersprüchlichen Befehl erteilt hatte. Er konnte nicht gleichzeitig still sein und antworten. Trotzdem presste er ein kleines „Ja“ heraus, wie um ihrem Befehl nur halb nicht gehorchen zu müssen.
Alina merkte sich das. Unerfüllbare Befehle. Darin lag Potenzial.
Aber nicht in diesem Moment.
In diesem Moment war sie erst einmal zufrieden, dass er zustimmte. Er hätte auch ablehnen können, weil ihm das alles zu schnell ginge. Sie strich den Gedanken wieder. Er würde in diesem Moment vermutlich alles für sie tun.
Es blieb still unter dem Schreibtisch.
„Was ist jetzt? Ich höre nichts. Zieh dich aus. Da unten!“
Er begann sich zu bewegen. Es war verdammt eng da unten, aber das war sein Problem. Sie hörte, wie er sich an seinem Hemd zu schaffen machte, die Knöpfe langsam aufmachte. Sie hörte, wie er sein Hemd aus der Hose zog und die Ärmel auszog. Dabei berührte er sie.
„Wer hat dir erlaubt, mich anzutatschen?“, blaffte sie, und weil sie nicht wollte, dass er sich entschuldigte, fügte sie noch drohend hinzu: „Sag nichts!“
Sie wollte es nur genießen.
Alina spreizte die Beine wieder und gab den Blick auf ihre Schenkel frei. Aber sie tat es nicht, um ihn heiß zu machen, sondern weil ihr heiß war. Die Hitze in ihrem Schoß wurde immer stärker. Wenn er schaute, würde er vielleicht sehen, wie sich ihr Slip von ihrer eigenen Erregung verfärbte. Vielleicht konnte er gar ihre Erregung riechen. Sie stellte sich vor, wie ihre Hormone in seine Nasen stiegen und ihn noch geiler machten. Wie potent mochte dieses Aphrodisiakum auf ihn wirken?
Sie wollte es herausfinden.
Nicht heute.
Es gab noch viele Tage.
Sie hörte, wie er dort unten in seinem Gefängnis rumorte, sich die Schuhe abstreifte, den Gürtel öffnete und dann den Reißverschluss hinunterzog. Sein Kopf knallte hart gegen den Schreibtisch, als er die Hose auszog.
Alina verkniff sich einen hämischen Kommentar. Sie wollte das alles still genießen. Sie könnte ihm mehr Platz zugestehen, wenn sie ein wenig von dem Schreibtisch zurück rutschte. Aber warum sollte sie das tun? Er sollte sich gefälligst ein wenig anstrengen!
Und anstrengend war es wohl. Denn er mühte sich, stöhnte ein wenig.
Sie hätte gerne gesehen, wie er sich aus seiner Hose befreite, das Hemd auszog. Es musste richtig mühselig sein.
„Brav!“, schrieb sie auf den Block.
Er schob langsam seine Schuhe heraus. Die Socken hatte er säuberlich hineingesteckt. Dann zusammengelegt zum Rest seiner Klamotten.
„Brav bist du!“, schrieb sie wieder.
Unter dem Schreibtisch kauerte nun ein nackter Mann, der tat, was sie von ihm verlangte.
Sie könnte ihm befehlen, ihr den Slip auszuziehen, und er würde gehorchen. Sie könnte die Beine noch weiter spreizen. Sie müsste nicht einmal ein Wort sagen, er würde es tun, wenn sie es nur andeutete.
Sie könnte das jetzt einfach so haben.
Wann hatte sie zum letzten Mal eine Zunge zwischen ihren Schenkeln gespürt?
So genau wusste sie es nicht mehr. Ihr letzter Freund hatte das eklig gefunden. Nun könnte sie das einfach anordnen, und sie würde es bekommen. Sie brauchte sich darüber keine Gedanken zu machen.
Alina kämpfte mit sich.
Doch am Ende gewann ihr Hirn über ihre Hormone.
Sie schloss die Beine, rollte von dem Schreibtisch weg und stand auf. Die Wärme ihres Schoßes fühlte sich angenehm an, ebenso wie die Feuchtigkeit in ihrem Schritt. Sie drehte ihm den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
Was mochte Michael jetzt denken?
War er enttäuscht, dass es nicht weiterging?
Sie dachte daran, sich umzudrehen, ihn zu mustern, das Spiel weiterzudrehen.
Aber so mutig war Alina nicht. Sie war vorsichtig und überlegt. Sie müsste eigentlich an den Schreibtisch zurückkehren und eine Liste erstellen. Aber dazu brauchte sie einen klaren Kopf und nicht diese Hormone, die wie elektrifiziert durch jede Faser ihres Körpers jagten und ihre Sinne benebelten.
Alina schaute nach draußen, aber sie nahm nicht wahr, was dort passierte. Sie hörte, wie er sich hinter ihr unter dem Schreibtisch bewegte.
Er wurde ungeduldig.
Er wollte, dass das Spiel weiterging. Er wollte, dass sie sich seiner annahm.
Am Ende wollte er seine Erlösung.
War es so einfach?
Man sagte immer, dass Männer so einfach gestrickt waren.
War Michael das auch?
Sie verstand es immer noch nicht.
Wie er sich ihr so auslieferte, wie er sich auf ihren Befehl auszog. Sie war viel jünger als er, und er unterwarf sich ihr, einer jungen Frau, die selbst nicht so recht wusste, was sie in der Welt sollte.
Sie war sicher, er würde noch viel mehr tun, wenn sie ihm noch mehr befahl.
Aber sie bekam langsam eine Ahnung, warum er dieses Machtspiel spielte.
Es machte sie jedenfalls an, dass er da nackt unter dem Tisch hockte und auf den nächsten Befehl von ihr wartete.
Ein neues Gefühl.
Sie hatte so etwas noch nie erlebt.
Sie hätte sich gerne angefasst.
Ihre Arme hatte sie um die Taille geschlungen, als wäre ihr kalt. Aber sie wollte sich nur fühlen, sie wollte ihren Körper festhalten. Am liebsten hätte sie sich gestreichelt, am liebsten hätte sie ihre Hand nach unten wandern lassen, zwischen ihre Schenkel.
Aber auch das tat sie nicht. Sie wusste, dass er sie aufmerksam betrachtete, und sie wollte ihm dieses Schauspiel nicht liefern. Sie schämte sich für ihre Gefühle.
Dabei war das doch lächerlich!
Immerhin war Michael nackt.
Sie könnte ihn von unter dem Schreibtisch herauszerren.
Sie könnte ihn mustern mit kritischem Blick. Er war es, der sich vor ihr erniedrigte.
Warum war ihr das alles peinlich?
Alina fühlte sich dem Moment unterlegen. Er hatte sich mit der ganzen Sache viel weiter beschäftigt. Er hatte gottweißwielange diese Phantasien gesponnen. Und sie war da plötzlich hineingestolpert. Sie wollte hinaus aus seiner Wohnung.
Sie wollte die Kontrolle zurückerlangen, und sie wollte sich auf ihre Couch werfen und mit sich spielen.
Es würde sicherlich nicht lange dauern. Sie war reif.
Aber dazu musste sie das Spielchen hier angemessen beenden.
Er sollte nicht merken, wie unsicher sie sich fühlte.
„Wie geil bist du gerade?“
Sie drehte sich nicht zu ihm um, sondern sah immer noch aus dem Fenster. Ihre Stimme sollte kühl und ein wenig gelangweilt klingen. Sie wusste nicht, ob ihr das gelang.
„Sehr geil! Total geil!“, gestand Michael.
Alina fand die Antwort geistlos.
Aber was sollte Michael auch sagen?
Was hätte sie gesagt?
Eine dumme Frage konnte nichts als eine dumme Antwort hervorbringen.
„Hast du Eis da?“
„Natürlich.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Für gelungene Geschäftsabschlüsse muss man ja gerüstet sein. Whiskey habe ich auch da. Natürlich auch Champagner!“
Sie musste schmunzeln.
Er dachte nicht in ihre Richtung.
„Auch einen Sektkühler?“
„Ja!“
„Du kriechst jetzt in die Küche, füllst den Sektkühler ganz voll mit Eis und stellst den Champagner da rein. Aber den teuersten, den du hast!“
„Verstanden!“
Sie drehte sich nicht um, als er unter dem Schreibtisch hervorkroch. Sie hörte, wie er sich schnell bewegte.
Sie wollte ihm die Ehre nicht schenken, ihn zu mustern.
Ein wenig neugierig war sie schon, wie er aussehen mochte.
Nackt und beschämt, aber wahrscheinlich steinhart. Aber sie schaute weiter aus dem Fenster, als wäre das interessanter. Sie wollte ihn nicht noch weiter treiben. Die Inspektion würde sie sich für ein anderes Mal aufsparen.
In der Küche hörte sie es rumoren. Eiswürfel klirrten in den Sektkühler. Dann das Geräusch, als die Flasche hineingestellt wurde. Für einen Moment fühlte sie sich sicher. Sie öffnete ihre eigene Umklammerung und griff einmal zwischen ihre Beine. Sie rieb einige Mal ihren Schoß, und das nicht zart und sinnlich, sondern recht rau und grob. Dies war keine Zeit für Sanftheit und Nuancen.
Widerwillig zog sie ihre Hand zurück und umarmte ihre Taille wieder, als sie hörte, wie er zurückkam. Der Sektkübel wurde immer wieder kurz über den Boden geschoben. Anders konnte Michael ihn auf allen Vieren nicht transportieren.
Alina blieb am Fenster stehen und hörte das Geräusch langsam näher kommen, bis es neben dem Schreibtisch verstummte.
„Sag kein Wort mehr! Nimm die Flasche aus dem Kübel.“
Sie hörte, dass er gehorchte.
Alina schwieg einen Augenblick, um die Spannung zu erhöhen. Sie musste lächeln.
„Stell sie auf den Boden!“
Er gehorchte.
„Und jetzt steck deinen Schwanz in den Kübel richtig tief rein!“
Einen Augenblick lang war es still, dann kam er ihrem Befehl nach.
Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, als die Kälte sein Geschlechtsteil umfing.
Es musste dümmlich aussehen, wie er da über dem Kübel hockte.
Aber Alina wollte es nicht sehen.
Sie drehte sich um, und erhobenen Hauptes, ohne dass sie ihn ansah, ging sie an ihm vorbei. Nur aus den Augenwinkeln konnte sie seinen gekrümmten Körper erkennen, der grotesk über dem Sektkübel kauerte.
„Ich will nicht, dass du an dir herumspielst!“, sagte sie nüchtern. „Von jetzt an musst du mich dafür um Erlaubnis bitten! Hast du das verstanden?“
„Verstanden!“ Seine Stimme klang gequält. Alina wusste nicht, ob es an dem Eis an seinem Genital oder ihrem Befehl lag.
„Wenn es dir zu heiß wird, dann geh kalt duschen!“
Damit verließ sie das Büro und ging in ihre kleine Wohnung hoch. Sie war kaum angekommen, da zerrte sie ihren Slip von den Hüften, ließ sich auf die Couch fallen, und ihre Hände verschwanden unter ihrem Kleid.
Sie brauchte wirklich nicht lange.
Kapitel 13 DAS PROBLEM MIT DEM VERLANGEN
Michael hockte noch eine Weile über dem Sektkühler. Von seiner Erregung war nichts mehr übrig. Die Eiseskälte hatte seinen Unterleib in einem metallenen Griff gefangen. Er hätte nicht dort kauern müssen. Es musste sowieso lächerlich wirken. So nackt in seinem Innenarchitektenbüro auf dem Boden. Sein Schwanz in einem Sektkübel voller Eis. Sein Unterleib schmerzte dumpf, und seine Knie taten ihm weh. Schmerz war nicht seine Sache. Immer noch nicht. Aber das hier war etwas anderes. Er wollte das alles auskosten, weil es sich einfach richtig anfühlte.
Damit hatte er wirklich nicht gerechnet, als sie zu ihm gekommen war. Er hatte gedacht, dass sie eine Zeit brauchen würde, um sich für das Spiel zu erwärmen.
Und dann hatte sie so losgelegt und ihn auf dem falschen Fuß erwischt!
So souverän war sie gewesen, so überlegen und so kalt!
Alina war eine Meisterin im Vergleich zu der Prekariatsdomina Mistress Jasmin.
Es war klar, dass Alina es faustdick hinter den Ohren hatte.
Als der Schmerz zu stark wurde, erhob er sich auf wackeligen Beinen. Seine Knie waren rot, und brannten. Er war das nicht gewöhnt. Seine Hoden waren taub.
Er stand in seinem Büro.
Sie war verschwunden.
Wie gerne hätte er noch etwas von ihr gehabt, ein Kleidungsstück, ihren Duft.
Er ging langsam ans Fenster, vor dem sie gestanden hatte, um zu sehen, was sie betrachtet hatte. Aber was immer dort draußen Interessantes gewesen war, war nun verschwunden, wie sie.
Michael stand eine Weile unschlüssig da. Er fühlte sich leer und unerfüllt. Nun war es vorbei. Zu schnell, zu abrupt war es zu Ende gegangen. Michael stellte die Champagnerflasche zurück in den Kühlschrank und kippte den Sektkühler in der Spüle aus. Er schob das Eis in der Spüle ein wenig hin und her und sah ihm beim Schmelzen zu.
Nach einer Weile griff er sich zwei Küchenhandtücher, ging zurück ins Büro und kroch zurück unter den Schreibtisch.
Er breitete die Handtücher vor sich aus, damit seine Knie ein wenig weicher lagen. Dann setzte er seine Arbeit fort und ordnete die Papiere unter dem Schreibtisch, wie es seine Aufgabe war.
Er bekam eine ganze Menge geschafft, bis sein Körper sich von der Kälte an seinen Genitalien erholt hatte und die Erinnerung an das zuvor Erlebte ihn wieder in den Griff nahm.
Bald schon wurde er wieder steif und merkte, wie seine Konzentration schwand. Er griff seinen Schwanz und streichelte ihn.
Sie hatte es ihm verboten, und er wollte sich an das Verbot halten.
Er wollte ihr gehorchen.
Aber er konnte nicht anders!
Er brauchte Erlösung!
Er musste sich erleichtern. Sonst könnte er den ganzen Tag an nichts anderes denken. Und so besorgte er es sich unter dem Schreibtisch zwischen den Papieren. Vor seinen Augen spielte sich noch einmal die Situation ab. Er erinnerte sich an seinen Blick unter ihren Rock, wie sie ihn mit ihren Beinen immer wieder provozierte, sie immer wieder öffnete und schloss. Wie er ihr ausgeliefert war, vollkommen nackt und schutzlos, während sie bekleidet war. Und sie wollte ihn noch nicht einmal ansehen. Sie hatte ihn so geringgeschätzt, dass sie ihm sogar ihre Verachtung vorenthielt.
Er spritzte schließlich auf die Küchentücher ab und keuchte voller Enttäuschung.
Michael konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal solch einen intensiven Orgasmus erlebt hatte, und dabei hatte er es sich selbst besorgt! Er hatte nicht einmal mehr Sex gebraucht, sondern nur den Gedanken an sie.
Er beendete die Arbeit unter dem Schreibtisch noch, nunmehr widerwillig, dann kroch er darunter hervor und legte die geordneten Stapel säuberlich und akkurat auf den Schreibtisch.
Er wollte, dass Alina auf ihn stolz war.
Über diesen Gedanken stolperte er allerdings. War es nicht lächerlich, dass sie auf ihn stolz sein sollte deswegen? Er hatte sie schließlich angestellt für die Arbeit, die er nun selbst machen musste.
Michael machte sich nicht die Mühe sich anzuziehen. Er nahm seine Kleidungsstücke, die immer noch auf dem Boden lagen, und die Küchenhandtücher. Dann ging er zur Eingangstür, lauschte kurz, ob er im Treppenhaus etwas hörte. Als das nicht der Fall war, huschte er nackt über den Flur in seine Wohnung.
Dort ging er direkt ins Badezimmer, verstaute die beiden besudelten Handtücher ganz unten in der Wäschekiste. Ganz eindeutig aus schlechtem Gewissen. Da ihm fröstelte, ließ er sich ein heißes Bad ein. Die sprudelnden Luftbläschen und die Wärme fühlten sich gut an.
Aber auch die Hoffnung, dass er nach seinem Abspritzen nun den Kopf etwas freier hatte, erfüllte sich nicht. Seine Gedanken kreisten wieder nur um die erlebte Szene und um Alina.
Wäre er halb so alt wie jetzt, er hätte gesagt, er wäre verliebt in sie. Aber vielleicht war er nur in die Szenerie verliebt, die sie ihm geboten hatte. Er konnte es nicht sagen.
Da er bald schon wieder so erregt war, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte, masturbierte er ein weiteres Mal.
Wann war er das letzte Mal so geil gewesen?
Er wusste es nicht.
Als er aus dem mittlerweile erkalteten Bad stieg, war er jedenfalls erfüllt von Tatendrang. Er hüllte sich in seinen Bademantel, öffnete eine Flasche guten Merlots, von der Sorte, die er Alina am Tag zuvor bereits serviert hatte, und machte sich an einige lange aufgeschobene Arbeiten. Zunächst recherchierte er den Terrazzo-Auftrag, schrieb einige Mails und bat um Angebote. Als er damit durch war, nahm er sich einiger lange schon ausstehender Aufgaben an.
Seine Motivation für all den Arbeitseifer war ihm zunächst nur vage bewusst. Aber er redete sich ein, dass Alina, wenn sie einen tieferen Einblick in seine Bücher bekäme, herausfände, dass er sein Geschäft eher locker führte. Diese Erkenntnis war ihm nicht neu, sein Vater, sein Großvater, der Buchhalter seines Vaters und diverse andere hatten ihm das immer schon zum Vorwurf gemacht. Er hatte diese Einwände aber stets ignoriert, hatte damit argumentiert, dass das Gewerbe des Innenarchitekten ein anderes wäre als das Baugewerbe, dass es da um mehr ginge, als Steine aufeinandersetzen, vier Wände zu errichten und am Ende ein Dach draufzusetzen.
Michael war mit dieser Einstellung stets allein geblieben. Er hatte sich damit getröstet, unverstanden zu sein. Nach dem Motto: Der Prophet gilt im eigenen Lande nichts. Aber nun, da er Alina hatte, der er gefallen wollte und die sicherlich einen Haufen Motivation für ihn parat hatte, wollte er sich nicht mehr unverstanden fühlen. Michael hatte das Gefühl, dass die sexuellen Erniedrigen, die er sehr bereit war zu empfangen, nicht auch noch durch persönliche Erniedrigungen verstärkt werden mussten. Alina konnte seine Männlichkeit infrage stellen. Aber seinen Einsatz, seine Kompetenz, seine Expertise in seinem Fachbereich und sein beruflicher Erfolg, die waren tabu.
Wenn er also bislang das Gefühl, mehr tun zu können, immer schön beiseitegeschoben hatte, so war er zumindest in diesem Augenblick davon überzeugt, sein Leben ändern zu müssen und den Müßiggang ein wenig einzuschränken.
Allerdings war Michael nicht naiv. Er wusste durchaus, dass solch eine Gemütswandlung nicht unbedingt nachhaltig sein musste. Schon in der Vergangenheit hatte er einige Male den Anlass verspürt, sein Leben radikal zu ändern. Mehr als ein paar Tage hatte der Entschluss aber nie überdauert, und dann war Michael wieder in sein altes Leben zurückgeglitten, welches, wie er unumwunden zugab, schon ziemlich genial war.
Aber für den Augenblick hatte Michael der Tatendrang ergriffen, was so weit führte, dass er ein paar potentiellen Kunden antwortete, die ihm eigentlich nicht zusagten, weil sie zu traditionell eingestellt waren und ihm keine künstlerische Herausforderung boten. Sie waren nur dadurch interessant, dass sie Geld hatten und bereit waren, ihn zu engagieren, um mit seinem Vater Geschäfte machen zu können. Für Michael war Umsatz bislang keine große Motivation gewesen. Aber für den Augenblick fühlte er sich so gestählt, dass er auch bereit war, die ausgestopften Hirschgeweihe in seine Planungen einzubeziehen, die diesen Leuten so wichtig waren.
+ + +
So geschäftig Michael war, so sehr war Alina eine Etage über ihm nicht in der Lage, sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Eigentlich hatte sie vor, einige Grundlagen der BWL zu wiederholen, aber ihre Gedanken konnten sie nicht auf diese langweiligen Themen fokussieren. Stattdessen war sie immer wieder bei dem vergangenen Nachmittag.
Während Michaels Hormonhaushalt sich nach der ausgiebigen Beschäftigung mit sich selbst wieder eingepegelt hatte, war Alina immer noch aufgewühlt. Ihr war klar geworden, welche sexuellen Möglichkeiten sich ihr durch Michael erschlossen. Immerhin konnte sie von ihm eine Menge verlangen, und er wäre mehr als willig, ihr bei der Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche behilflich zu sein. Sie hatte immer schon das Gefühl gehabt, in sexuellen Dingen abenteuerlicher sein zu müssen. Ihr Exfreund war dabei stets auf der konservativen Seite geblieben. Damals hatte sie das überhaupt nicht gestört. Aber als sie sich von ihm getrennt hatte, sah sie ihren Weg in die Stadt zum Studium auch vage als eine Chance zu ihrer sexuellen Emanzipation, was immer das auch bedeuten mochte.
Michael schien bereit, sich ihr vollkommen auszuliefern, sich ihr vollkommen zu öffnen und ihre Wünsche widerstandslos zu befolgen. Zumindest hatte er das an diesem Nachmittag angedeutet. Wenn er also so schamlos war, konnte sie es dann auch sein?
Immerhin musste sie ihm keine Rechenschaft ablegen. Sie musste sich auch nicht schämen für die Dinge, die sie anmachten. Sie musste ihm nur befehlen, sie zu befriedigen, und er würde das tun, sogar mit größter Freude. Darüber hinaus war sie diejenige, die zu bestimmen hatte, wann was wie passieren würde. Sie musste sich nicht mit einem nervenden Freund abgeben, der immer zur falschen Zeit erregt war. Sie bestimmte die Zeit, den Ort und die Art und Weise.
Zumindest theoretisch.
Alina war sich nicht sicher, ob es wirklich so laufen würde.
Eine neue Welt tat sich ihr auf, aber es sorgte sie auch. Denn sie wäre ja auch irgendwie verantwortlich für ihn. Sie würde über ihn bestimmen, sie hätte ihn in der Hand. Aber was würde sie mit ihm machen? Sie wusste es ehrlich nicht.
Er stand nicht auf Schmerzen. Das hatte sie schon verstanden. Aber auf Erniedrigung scheinbar. Zumindest hatte sie das so gesehen.
Aber was konnte sie mit ihm anstellen und was nicht?
Ohne nachzudenken und ganz automatisch nahm sie sich ihren Notizblock vor und machte eine Liste.
Es fielen ihr ein paar Dinge ein, wie sie über sein Leben Kontrolle erlangen könnte und ihm zeigen könnte, wer die Herrin im Haus war. Sie kritzelte diese nieder, aber schnell war sie am Ende ihrer Weisheit.
Am Ende aber musste sie sich eingestehen, dass sie schrecklich wenig wusste. Anstatt noch ein wenig in ihrem BWR-Buch zu lesen, ging sie ins Netz und recherchierte Dominas und Sado-Maso.
Was sie an diesem Abend recherchierte, war spannend, interessant, es war aber auch abstoßend und ekelhaft. Einige Dinge, die sie sah, machten ihr gar Angst. Sie verstand nicht, wie Menschen so sein konnten.
Aber immer, wenn es ihr zu viel wurde, dann erinnerte sie sich an den vergangenen Nachmittag, wechselte die Internetseite und suchte nach Dingen, die sie machen könnte, die sie gemeinsam machen könnten und mit denen sie beide Spaß haben könnten.
Am Ende drehte sich ihr Kopf voller Ideen und ihre Liste war voll mit Begriffen, die sie vor wenigen Stunden noch nicht gekannt hatte. Ihr schien sich eine neue Welt aufgetan zu haben. Nicht unbedingt nur eine positive, aber ihr wurde bewusst, wie wenig sie zuvor von dieser Art von… was war es eigentlich… Sex nannte sie es, aber es war wohl mehr, gewusst hatte.
Es war eine neue Welt, und sie wollte mehr davon.
Als sie im Bett lag, sortierte sie die Ideen zusammen und erstellte eine Choreographie für ihre nächste Begegnung, und das bescherte ihr wieder dieses warme Gefühl im Schoß, das sie mit ihren Fingern wegstreicheln musste.
Kapitel 14 UNERWARTETE EREIGNISLOSIGKEIT
„17 Uhr in deinem Büro!“
Michael schlug das Herz schneller, als er diese Nachricht in seinem Briefkasten fand.
Die übrige Post interessierte ihn nicht mehr. Er packte die Briefe zusammen und ging wieder in seine Wohnung. Im Treppenhaus musste er sich an die Wand drücken, denn seiner Nachbarin aus dem zweiten Stock wollte er den Anblick seiner Erektion unter seiner Hose ersparen.
Als er die Tür seiner Wohnung hinter sich geschlossen hatte, musste er seinen ersten Impuls unterdrücken. Er hatte schon die Schnalle seines Gürtels in der Hand. Doch er ließ die Finger von sich.
Alina hatte ihm befohlen, nicht ohne ihre Zustimmung an sich herumzuspielen, und er war gewillt, zumindest an diesem Tag diesem Wunsch nachzukommen. Es war ja nicht so, dass er nicht wollte, es war nur eben am vorangegangen Tag unmöglich gewesen, ihr zu gehorchen. Aber an diesem Tag, das nahm er sich vor, würde er folgsam sein!
Sie wollte es so, dann sollte sie es so bekommen!
Allerdings musste er schnell feststellen, dass das schwerer war, als er gedacht hatte. Er konnte seine Gedanken einfach nicht von diesen verdammten 17 Uhr in seinem Büro bekommen. Es war verflixt.
Sein ganzer Körper war auf diese 17 Uhr fixiert. Es war wie das Warten auf die Bescherung zu Weihnachten.
Michael beschloss zu arbeiten. Er machte sich einen Kaffee und setzte sich an den Schreibtisch. Aber der Elan vom vergangenen Abend war verschwunden. Nur mit Mühe erinnerte er sich all der guten Vorsätze, wie er sein Geschäft voranbringen konnte, um bei Alina ein wenig Eindruck zu schinden. Er schrieb einige Mails, machte eine Präsentation für einen Kunden fertig. Es waren mechanische Arbeiten, die er verrichtete, um die Zeit zu töten, die so gemein langsam bis 17 Uhr dahin kroch.
+ + +
Im Vergleich dazu verging Alinas Tag an der Uni wie im Flug. Sie hatte einigen Ärger, schlug sich mit einer renitenten Bibliotheksdame herum, die ihr keinen Bibliotheksausweis geben wollte, weil sie den Antrag nicht richtig ausgefüllt hatte. Dann hatte sie verzweifelt und vergebens nach einem bestimmten Buch gesucht, bis sie nach zwei Stunden herausfand, dass sie an der falschen Stelle suchte. Das Essen in der Mensa (ihr erstes) war fad und matschig und dazu noch vegetarisch, weil sie sich in der falschen Schlange angestellt hatte. Sie kam sich ziemlich doof vor, wie so ein Grünschnabel, der ganz offensichtlich alles falsch machte, weil er ganz offensichtlich neu war. Aber sie wollte nicht neu sein. Sie wollte dazu gehören!
Alina war also froh, als sie wieder zuhause war. Es war bereits halb fünf. Sie hechtete die Treppen bis in das Dachgeschoss hinauf, zog sich um, machte sich etwas frisch, legte für fünf Minuten die Beine hoch, um so etwas wie einen Powernap zu machen (davon hatte sie in einer Unizeitschrift gelesen), und dann ging sie pünktlich zu ihrem 17 Uhr Termin hinunter zu Michael.
Es war nicht der Powernap, der sie wach gemacht hatte, als sie Michaels Klingel drückte. Es war die Erwartung und die Spannung.
Das Läuten war noch nicht verklungen, da hatte Michael schon die Tür geöffnet, als hätte er hinter der Tür auf sie gewartet.
„Hallo!“, meinte er. „Schön dich zu sehen!“
Sie nickte nur, sah ihn kühl an und trat an ihm vorbei in sein Büro, ohne ihn weiter zu beachten.
Aber als sie an ihm vorbeiging, roch sie, dass er sich frisch geduscht hatte, und Aftershave hatte er auch aufgelegt.
Sie lächelte innerlich. Es gefiel ihr, dass er sich so um sie bemühte, dass er sich für sie in Schale warf. Männer machten das für sie nicht oft. Offensichtlich erwartete er eine Belohnung. Er wollte sich in seinem besten Licht darstellen. War doch nett!
Zielstrebig setzte sie sich an seinen Schreibtisch. Er folgte ihr und blieb davor stehen.
Es gefiel ihr, dass er verunsichert war.
Das sollte das Motto für diese Session werden!
Alina ignorierte ihn. Auf dem Schreibtisch lagen schön säuberlich gestapelt einige Packen mit Schriftstücken.
Sie sah aus den Augenwinkeln, dass Michael etwas sagen wollte, aber sie bedeutete ihm mit einem Fingerzeig, dass er still sein sollte.
Stattdessen zog sie einen Stapel an sich heran und blätterte diesen durch. Es fiel ihr nicht ganz einfach, sich zu konzentrieren, da sie aus den Augenwinkeln immer wieder auf Michael schaute und seine Reaktion sehr viel spannender fand als die Rechnungen.
Sie ließ sich dennoch Zeit und zwang sich zur Konzentration. Gerne hätte sie einen Fehler gefunden, aber die Schriftstücke waren säuberlich geordnet, wie sie das angeordnet hatte.
Es wäre Haarspalterei gewesen, etwas an der Arbeit auszusetzen. Aber natürlich wäre das ihr gutes Recht. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Wenn ihr danach war, konnte sie die Papierstapel in die Luft werfen und damit seine ganze Arbeit zunichtemachen. Schließlich war das ihre Rolle. Aber sie verzichtete darauf.
+ + +
Michael stand derweil immer noch da wie so ein Schuljunge. Sollte er sich setzen? War Alina mit der Arbeit beschäftigt oder spielten sie? Sie prüfte seine Unterlagen, also war es Arbeit. Also konnte er sich zu ihr setzen, und er konnte sich erkundigen, was sie von seiner Arbeit hielt. Aber beim letzten Mal hatte sie auch Arbeit und Spiel verknüpft. Warum sollte das jetzt anders sein? Also wollte er gehorchen, und da sie ihm keinen Befehl gegeben hatte, weder sich zu setzen, noch es nicht zu tun, entschied er sich, zu warten, bis sie es ihm gestattete sich zu setzen. Also stand er da und wusste nicht, was er machen sollte, nicht einmal, wie er sich hinstellen sollte. Sollte er vielleicht Haltung annehmen wie ein Butler? Das wäre ihm dann aber doch zu albern erschienen.
Er sah Alina aufmerksam zu, wie sie in den nunmehr geordneten Unterlagen blätterte. Er suchte nach einer Reaktion in ihrer Haltung. Gerne hätte er ein Lob von ihr erhalten. Immerhin hatte er sich ziemliche Mühe gegeben.
Aber sie ließ sich nichts anmerken, und so stand er da und wartete. Die Zeit verrann, er kam sich ziemlich doof vor, wie bestellt und nicht abgeholt, und sie tat das, was sie eigentlich nicht sollte. Sie machte ihre Arbeit, für die er sie bezahlte.
Dabei sollte sie ihn doch quälen!
Und nun quälte sie ihn durch ihre Missachtung, quasi durch ihr Nichtquälen. Er fragte sich, ob sie das so geplant hatte, ob das ihr Spielchen war.
Qual durch Nichtqual.
Sein Körper war voller Adrenalin, voller Testosteron. Er war angespannt, sein Herz schlug, und sie tat nichts als das, was sie sollte: ihre Arbeit.
Er konnte sie schlecht fragen, und so blieb er in dieser Frustration gefangen.
Er hatte mit dem Verlauf der Dinge jedenfalls nicht gerechnet.
Was ihm eigentlich fremd war, begann nun an ihm zu nagen: Selbstzweifel. Hatte er etwas gesagt, was er nicht hätte sagen sollen? Hatte er etwas getan, was er nicht hätte tun sollen?
Kühl war sie am vorangegangenen Tag schon gewesen, aber nun ignorierte sie ihn vollkommen.
Es war nicht seine Art, an sich zu zweifeln. Er war mit sich im Reinen. Manches Mal hatte man ihm gar bescheinigt, zu selbstbewusst zu sein, sich zu überschätzen. Er hatte über diese lächerlich weit hergeholten Anschuldigungen nur lachen können.
Hatte er also etwas gesagt, etwas getan, das sie wütend gemacht hatte? Worüber konnte sie wohl sauer sein? Das Einzige, das ihm einfiel, war vielleicht, dass er sich ein, zwei oder mehrere Male einen heruntergeholt hatte, obwohl sie ihm das verboten hatte. Aber woher konnte sie wissen, dass er das getan hatte? Sie konnte das nicht wissen, und sie hatte auch nicht gefragt.
Es ergab alles keinen Sinn.
Ihr einiger Satz bislang:
„Bring mir mal die Bilanzen vom letzten Jahr!“
Natürlich kam er dem Wunsch nach. In einem kleinen Zimmer, das einmal ein Kinderzimmer gewesen war, hatte er sich eine Art Bibliothek eingerichtet, und da standen auf einem ziemlich leeren Regel auch ein paar Aktenordner, die der Buchhalter seines Vaters angelegt hatte, und in die er noch nie geschaut hatte. So richtig wusste er nicht, welchen Ordner er bringen sollte, und so riet er einfach.
„Bitte schön!“, sagte er, als er ihr den Ordner auf den Schreibtisch legte. Aber seine Hoffnung auf eine Antwort, die er irgendwie interpretieren konnte, erfüllte sich nicht. Nicht einmal durch eine Kopfbewegung dankte sie ihm. Ohne aufzusehen öffnete sie den Ordner, scheinbar war es der richtige, und blätterte darin.
Und so stand Michael wieder da und kam sich dumm vor. Genau das war es, was er so hasste! Aus diesem Grund wollte er immer sein eigener Chef sein. Dass man ihn nicht dumm dastehen lassen konnte, dass man so nicht mit ihm umgehen konnte.
Und nun saß da so eine kleine Studentin, die noch nichts geleistet hatte, und einfach nur weiblich war. Das reichte scheinbar schon, um sich über ihn zu erheben!
Sie war schön, wie sie da saß, das Kinn auf ihre kleine Hand gestützt und mit der anderen Hand umblätternd. Sie war keine umwerfende Schönheit, aber sie gefiel ihm.
Und dann schließlich sagte sie doch noch etwas.
Sie klappte den Aktendeckel zu, schob den Ordner von sich und meinte:
„So wie ich das sehe, machst du seit Jahren Verlust.“
Sie sah ihn herausfordernd an.
Was sollte er sagen? Sie hatte Recht. Aber es dauerte eben, wenn man sich eine Existenz aufbauen wollte, und er hatte es nicht so einfach wie irgendein mittelloser Innenarchitekt, der klein anfangen konnte. Michael hatte einen Namen, dem er gerecht werden musste. Er hatte einen Ruf zu verlieren. Nicht nur seinen eigenen, sondern auch den seiner Familie. Da konnte man nicht kleckern!
Aber schließlich hatte er am vergangenen Abend ja geackert, hatte ein paar neue Aufträge klar gemacht. Er war auf dem besten Weg, auch den Breakeven noch hinzubekommen.
Doch bevor er seine Argumente vorbringen konnte, unterbrach sie ihn mit der bereits bekannten angedeuteten Bewegung ihres Fingers.
„Du musst dich nicht rechtfertigen, aber du wirst härter daran arbeiten müssen, profitabel zu werden. Das versteht sich von selbst! So geht es nicht weiter! Ich kann so nicht arbeiten!“
Er war baff.
Was nahm sie sich heraus?
Wie sprach sie mit ihm?
Wut stieg in ihm auf. Er, der erfolgreiche Geschäftsmann, musste sich doch nicht von so einer kleinen Studentin belehren lassen! Er brauchte sich beim besten Willen nicht zu rechtfertigen!
Aber dieser Augenblick der Empörung verschwand schnell wieder, denn natürlich spielte sie mit ihm. Das tat sie doch, oder?
Michael hoffte es.
Und deshalb sagte er nichts, sondern nickte nur, und nachdem die Wut verschwunden war, tat es ihm gar leid, dass er sie enttäuscht hatte. Dieses Mädchen, das gerade erst in seinem Leben erschienen war. Es tat ihm leid, dass er sie enttäuscht hatte. Was ging da gerade in ihm vor? Er schämte sich dafür, ihren Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein.
Stattdessen brannte ihm auf den Nägeln, ihr zu erzählen, was er noch alles erreicht hatte, dass er auf potentielle Klienten zugegangen war, dass er auch schon Antworten erhalten hatte. Vielversprechende Antworten! Dass sich alles ändern würde, sein gesamtes Leben. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit, bis sein Umsatz die Millionengrenze überschreiten würde!
Aber davon wollte sie nichts hören. Sie wollte nicht, dass er sprach, und so schwieg er und starrte peinlich berührt auf den Boden und war verunsichert, weil so viele widersprüchliche Dinge in seinem Kopf kursierten.
+ + +
Alina musste innerlich grinsen. Es lief gut. Sie hatte sich das so vorgestellt. Es war so etwas wie ein Test gewesen. Der vergangene Nachmittag war spannend gewesen, aber es war auch alles schwindelerregend schnell gegangen. Sie hatte das Tempo aus der ganzen Sache herausnehmen wollen. Er sollte nicht den Eindruck bekommen, dass sie seine Sexgespielin wäre. Frau gewordene plüschummantelte Handschellen, die immer verfügbar waren.
Also hatte sie sich vorgenommen, an diesem Tag in erster Linie zu arbeiten und ihn zappeln zu lassen. Sie fand, dass ihr das ziemlich gut gelungen war. Wie er da stand, wie bestellt und nicht abgeholt, unsicher, wartend, ungeduldig aber folgsam. All das sah sie aus den Augenwinkeln, während sie sich wirklich am Riemen reißen musste. Er war total auf sie fixiert, nervös, wartete, wusste nicht, was mit ihm passierte.
Es war interessant, und es schmeichelte ihr. Andere Männer waren nie so aufmerksam gewesen.
Zum Ende dieser Begegnung änderte sie kurzerhand ihren Plan. Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, quasi als Abschluss ihrer Hinhaltetaktik, ihn zurechtzuweisen, ein wenig zu demütigen, sich lustig zu machen über seine Erfolglosigkeit. Sie wollte oberlehrerhaft dozieren, wie schlecht er als Geschäftsmann war, wie wenig er verstand von der Leitung eines Unternehmens. Alina hatte ihm eigentlich klarmachen wollen, wer das Sagen hatte, wenn es um die betriebswirtschaftliche Seite eines Unternehmens ging. Aber sie verschob das auf einen anderen Zeitpunkt.
Stattdessen hakte sie das Thema mit einem knappen Satz ab:
„Naja, es gibt noch viel zu tun. Aber lassen wir das mal! Ich will was anderes wissen:“
Sie machte eine effektvolle Pause.
„Ich will wissen, wie scharf du auf mich bist. Wie lange brauchst du, um einen Steifen zu bekommen?“
Der Satz haute Michael um. Er hatte nicht mit so etwas gerechnet. Er hatte sich einlullen lassen von der stumpfen Langeweile Alinas Buchprüfung. Michael hatte längst aufgehört, sich von diesem Tag irgendwas zu erhoffen, und dann das!
Noch bevor sein Verstand den Inhalt des Satzes verarbeitet hatte, regte es sich schon in seiner Hosen, und sein gutes Stück richtete sich auf.
Fast gegen seinen Willen. Zumindest musste er keinen Befehl geben, er musste sich nicht anstrengen. Es war fast schon erschreckend, wie schnell das ging, wie geil er war, aber auch, wie sehr er in ihrer Hand war. Dass sie einfach so mit einem knappen Satz über seinen Körper verfügen konnte.
Es war ihm peinlich, dass er sich so einfach manipulieren lassen konnte, und er schaute ein wenig beschämt, dann aber auch wieder irgendwie stolz zu Boden, während die Beule in seiner Hose immer größer wurde.
„Brav!“, meinte Alina trocken und lächelte süffisant. „Wir werden gut miteinander auskommen! Wenn du schon jetzt so folgsam bist!“
Diese Sätze!
Wenn er schon jetzt so folgsam war?
Er hatte diese Sätze gewollt.
Er hatte sie darum gebeten.
Er bezahlte sie sogar dafür, dass sie sich über ihn lustig machte! Aber trotzdem stachen sie wie Dornen, und genau das machte ihn nur noch geiler. Sie sollte weitermachen! Sie sollte ihm befehlen, er würde gehorchen!
Ja, er wäre folgsam!
Er würde sich vor ihr entblößen, ihr vor die Füße fallen, ihre Schuhe küssen. Sie musste es nur befehlen. Er würde sich ihr unterwerfen. Er würde ihr zeigen, wie ergeben er war, wie sehr er ihr verfallen war.
Aber sie schwieg.
Sie saß einfach da, sah ihn an, lächelte überlegen.
Ihr Blick fiel dabei auf seinen Schritt.
Sie sollte es nur sagen, und er würde sich vor ihr entblößen. Schließlich konnte sie über ihn verfügen, über ihn befehlen.
Aber sie tat nichts dergleichen.
Lange Augenblicke verg
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Kommentare
(AutorIn)
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NaSchmi
in der Tat ist unter anderem diese Geschichte auch bei Amazon und anderweitig veröffentlicht. Ich hoffe, dass das kein Problem ist. Ich habe nichts dazu gefunden, ob Geschichten bei Sevac nur exklusiv veröffentlicht werden dürfen. Als Autorin möchte man natürlich möglichst viele Leser und sucht geeignete Plattformen.
@big1lilly: Mich würde interessieren, wo diese Geschichte und unter welchem Namen hier bereits erschienen ist, denn es passiert, dass Geschichten ohne Wissen des Autors unter anderem Namen veröffentlicht werden, was sehr ärgerlich ist. Daher freue ich mich über solche Hinweise.«
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Hoppala! Da hoffe ich auf weitere Geschichten, denn diese hier ist eine echter Knaller! :-)
Anmerkung:
Die Geschichte gibt es auch auf Amazon, und dort ist der Name der Autorin sehr ähnlich!:-)
Also nicht meckern, sondern dankbar genießen, wenn uns eine Autorin ihr Werk umsonst offeriert!«
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Aber die Geschichte wurde in diversen Folgen auf einer gerade wieder online gegangenen Storyseite veröffentlicht....«
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Ich wünsche mir weitere Geschichten von dieser AutorIn oder auch eine Fortsetzung«
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aweiawa
Mir hat sie ausgezeichnet gefallen, manche Passagen sind schlicht grenzgenial.
Würde mich über weitere Texte von dir freuen.
LG
Elmar«
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für mich ist dies die beste Geschichte seit langem. Du hast es geschafft beide Sichtweisen richtig gut rüberzubringen. Ich habe es verschlungen. Weiter so, ob Du nun eine Fortsetzung schreibst oder eine andere Geschichte - ich freu mich schon jetzt. Meienen Dank und volles LOB Jeremiah«
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Vielen Dank für's Hochladen.«
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Vielen Dank an den Autor für diese tolle Geschichte.«