Dunkle Wolken über Landor (1 - Dämonenopfer)
von Why-Not
Episode 1 – Dämonenopfer
Der Schweineheld
Er wartete jetzt schon seit einer Stunde auf der Lichtung. Die Dämmerung ging allmählich in die Nacht über, und Eric fragte sich, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, unbedingt „Held“ werden zu wollen. Nicht, daß er wirklich Angst vor der bevorstehenden Auseinandersetzung hatte. Aber mit zunehmender Dunkelheit wurden seine Chancen, unverletzt aus diesem Kampf hervorzugehen, immer schlechter. Und obwohl er am positiven Ausgang dieses Auftrags keine Zweifel hatte, würde er sich bei dem versprochenen Lohn eine längere Pause zur Verheilung von Wunden nicht leisten können. Beim Aushandeln seiner Belohnung war er wohl nicht sehr geschickt vorgegangen. Aber das war ja schließlich auch sein erster Auftrag als hauptberuflicher „Held“. Und es war auch kaum ein Auftrag, mit dem er später würde prahlen können. Statt dessen mußte er aufpassen, nicht zum Gespött der Leute zu werden, wenn er den Auftrag nicht auf Anhieb erledigen konnte.
Aber ein normales Leben wäre für ihn nie in Frage gekommen. Seine Pflegeeltern hatten ihn zwar nicht schlechter behandelt, als ihren eigenen Sohn, aber daß dieser und nicht Eric eines Tages die Schmiede des Vaters übernehmen würde, war Eric von Anfang an klar. Und er war froh, trotzdem ebenfalls als Schmied ausgebildet worden zu sein. Wobei er sich danach gesehnt hatte, auch die Schwertschmiedekunst erlernen zu können. Aber das konnte er von seinem Vater nicht lernen. Er träumte schon immer davon, eines Tages als Held durch die Lande zu ziehen und mit dem Schwert in der Hand große Taten zu vollbringen. Durch die Ausbildung zum Schmied war er ziemlich muskulös und kräftig. Und er hatte einen wesentlich stärkeren Tatendrang als sein etwas phlegmatischer Bruder. So zog er schließlich von zuhause fort und hoffte, irgendwo bei einem Schwertschmied in die Lehre gehen zu können, um sich eines Tages sein eigenes Schwert zu schmieden. Ein Rascheln riß Eric als seinen Erinnerungen. Fest umfaßte er den Schaft der Lanze, auf die er sich stützte und lauschte in die Dunkelheit. Dann sah er, daß nur eine Eule in der Nähe eine Maus geschlagen hatte und mit ihr davonflog. Jetzt war es wieder ganz ruhig. Und Eric versank erneut in seinen Erinnerungen.
Er hatte Glück gehabt, daß er bereits wenige Tage nach Beginn seiner Wanderschaft auf den alten Einsiedler namens Rudolf stieß. Wie er erfuhr, war dieser früher einmal ein großer Schwertkämpfer gewesen und hatte sich inzwischen in die Einsamkeit zurückgezogen. Rudolf konnte zwar selbst keine Schwerter schmieden, kannte allerdings theoretisch die wichtigsten Geheimnisse für die Herstellung von Damaststahl. Zusammen mit Erics praktischen Schmiedekenntnissen gelang es den beiden schließlich, die Geheimnisse der Schwertschmiedekunst auch praktisch zu lüften. Rudolf war zwar körperlich noch relativ rüstig, für die harte Schmiedearbeit allerdings doch schon zu alt. So beschränkte er sich darauf, den Blasebalg zu bedienen und Eric zu beschreiben, in welchen Farben die verschiedenen Eisensorten glühen mußten, damit sich aus einer harten, spröden und einer elastischen, weicheren Legierung der Damaststahl verschweißen und falten ließ. Nach dem vierten Versuch war der Stahl dann endlich schwerttauglich und Eric schmiedete sein erstes Schwert. Drei Versuche später entstand dann ein Schwert, daß nicht nur aus gutem Damaststahl bestand, sondern auch perfekt ausgewogen in der Hand lag. Bei Erics ersten Versuchen, das Schwert zu führen, rollte Rudolf sich vor lachen auf dem Boden. „Das ist ein Schwert, kein Schmiedehammer“, prustete er heraus. Und er brachte Eric in den folgenden Wochen bei, was man als Schwertkämpfer wissen mußte. Zum Üben der Kampftechniken nahmen sie zunächst Holzlatten und Eric war übersäht von blauen Flecken. Aber er war eifrig dabei und ließ sich nicht entmutigen. Schließlich konnte er mit den Holzschwertern besser umgehen als Rudolf, dessen Beweglichkeit dem Alter Tribut zollte. Dann ging es für Eric daran, seine Technik mit dem deutlich schwereren Schwert einzuüben. Und schließlich war Rudolf mit Erics Können zufrieden. „Mehr kann ich Dir nicht beibringen“, erklärte er Eric. Im folgenden Winter starb Rudolf an den Folgen einer schweren Erkältung. Und wenig später machte Eric sich auf, um als Held seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es gab allerdings wenig Aufträge für angehende Helden. Und so stand er jetzt hier auf einer Waldlichtung und wartete auf einen wilden Eber, der in dieser Gegend sein Unwesen trieb.
Er fühlte sich etwas unwohl dabei, nicht sein Schwert, sondern eine Lanze benutzen zu müssen, aber ein Schwert war wirklich nicht die geeignete Waffe, um einen Eber zu erlegen. Schließlich hörte er ein Rascheln vom anderen Ende der Lichtung. Und der Eber kam endlich in Erics Blickfeld. Glücklicherweise war der Mond zwischenzeitlich aufgegangen und füllte die Lichtung mit seinem fahlen, silbernen Licht. Dadurch konnte Eric den Eber genau erkennen. Und er bekam fast Mitleid mit dieser Kreatur. Die Bewohner des Dorfes, die ihm den Auftrag gegeben hatten, waren offenbar selbst bereits mit dem Versuch gescheitert, den Eber zu erlegen. Jedenfalls ragten mehrere abgebrochene Pfeile aus dessen Körper heraus. Und so wie es aussah, war der Eber inzwischen mit seiner Kraft am Ende. Er trottete noch ein paar Schritte auf Eric zu und brach dann in die Knie. Vorsichtig näherte Eric sich dem Eber, der nur noch mühsam röchelte und gab ihm schließlich mit der Lanze den Gnadenstoß. Eine Heldentat war das nicht gerade, aber das brauchte er ja den Dorfbewohnern nicht zu sagen. Jedenfalls war es leicht verdientes Geld. Mit seinem Schwert schlug er dem toten Eber noch die Hauer als Beweis ab und machte sich auf den Rückweg zum Dorf. Im Gasthaus war noch immer etwas los und so begab er sich dorthin. Auch der Dorfschulze, der ihm den Auftrag gegeben hatte, saß noch im Gasthaus und sprach fröhlich dem Bier zu. Eric setzte sich zu ihm und legte die Hauer auf den Tisch. Er wollte seine Belohnung von zwei Goldstücken gleich abholen.
Der Dorfschulze grinste ihn bierselig an und erklärte ihm, daß es jetzt ja keinen Grund mehr gäbe, ihn auszuzahlen. Zuerst traute Eric seinen Ohren nicht, dann glaubte er, daß der Schulze einen Witz machte. Aber nachdem ihm auch einige andere Gäste aus dem Dorf zustimmten und der Schulze keine Anstalten machte, ihn bezahlen zu wollen, packte Eric die Wut. Er riß den Schulze am Kragen hoch und schüttelte ihn durch. Als daraufhin der Schmied und einige weitere, kräftige Gestalten des Dorfes auf ihn zukamen, zog Eric sein Schwert und zertrümmerte als Warnung mit einem Schlag die Theke des Gasthauses. Totenstille senkte sich über das Geschehen. Und Eric richtete sein Schwert auf den dicken Bauch des Dorfschulze. Die anderen erstarrten und der Dorfschulze meinte kleinlaut, daß er gar keine Goldstücke hätte. „Vielleicht sollte ich mir dann ersatzweise deine beiden Hände als Trophäe holen“, drohte Eric ihm. Obwohl er das nicht wirklich vorhatte, kam seine Wut doch so glaubwürdig an, daß der Dorfschulze ganz blaß wurde. Er stammelte noch etwas davon, daß ihm jetzt einfiel, wo er doch noch zwei Goldmünzen hätte. Eric antwortete, daß er nach diesem Versuch, ihn um seine schwer verdiente Belohnung zu bringen, auf drei Goldmünzen bestehen würde. Um seine Forderung zu unterstreichen, drückte er dem Schulze sein Schwert noch etwas fester an den Bauch. Dieser versicherte ihm, gleich mit den Münzen wiederzukommen. Aber da Eric überhaupt kein Vertrauen mehr in diesen Menschen hatte, folgte er dem Schulze mit gezücktem Schwert.
Sie gingen zum zentralen Haus des Dorfes und der Schulze holte drei Münzen aus einer Truhe und gab sie Eric. Da die Beleuchtung sehr schlecht war, konnte Eric die Farbe des Metalls nicht richtig erkennen. Und weil er inzwischen sehr mißtrauisch geworden war, zwang er den Schulze, eine helle Karbid-Lampe anzumachen. Und tatsächlich, die Münzen waren aus Kupfer und nicht aus Gold. Eric war jetzt sehr verärgert und schlug dem Schulzen mit der flachen Seite des Schwertes fest gegen den linken Arm, so daß der Schulze die nächsten Tage noch einen großen blauen Fleck als Andenken haben würde. Der Schulze schrie auf und jammerte, er habe keine Goldmünzen. Daraufhin kippte Eric den Inhalt der Truhe auf den Tisch. Unter den Münzen waren mindestens zwanzig Goldstücke. Eric nahm sich unter den lauten Protesten des Schulzes vier davon und kippte den Tisch um, so daß der Schulze die verbliebenen Münzen bei Lampenschein alle wieder vom Boden aufsammeln mußte. Eric dagegen verließ das Dorf mit vier Goldmünzen in der Tasche und der Erkenntnis, daß nicht alle Menschen ehrlich sind. Aber immerhin hatte er jetzt seine erste „Heldentat“ vollbracht und sie sogar noch besser bezahlt bekommen, als er erwartet hatte. Daß seine Heldentat eigentlich nur darin bestanden hatte, sich zu trauen, auf den Eber zu warten, schmälerte seine aufkommende gute Laune überhaupt nicht.
Die Räuber
Geschickt duckte Lucius sich unter dem heransausendem Schwert hinweg und wirbelte an die Seite des Angreifers. Aus dieser Bewegung heraus zuckte das linke seiner beiden Schwerter hervor und enthauptete den Angreifer, der wie in Zeitlupe zusammenbrach. Lucius schaute sich um. Soweit er in dem Nebel sehen konnte, regte sich nichts mehr. Der Boden war übersäht mit getöteten Feinden. Und er selbst war von Kopf bis Fuß mit Blut bespritzt. Allerdings nicht mit dem eigenen. Auch seine beiden Schwerter waren blutrot eingefärbt. Er fühlte sich müde und erschöpft. Es wurde Zeit, dieses Schlachtfeld zu verlassen. Der Geruch des Todes würgte ihn, als er über die erschlagenen Feinde stieg. Aber das Feld mit den toten Gegnern schien gar kein Ende zu nehmen. Dann hörte er ein Raunen durch den Nebel zu sich herüberwehen. Und schließlich zeichneten sich Silhouetten in den Nebelschwaden ab. Sie kamen von allen Seiten auf ihn zu. Dann erkannte er, daß es sich um alte Männer, Frauen und Kinder handelte. Sie alle klagten ihn an. „Du hast meinen Sohn getötet“, kam von einem alten Mann. „Du hast meinen Vater getötet“, sagte ein kleines Kind. „Du hast meinen Mann getötet“, klagte eine Frau. Lucius wollte zurückweichen, wußte aber nicht, wohin. Von überall her kamen diese Menschen. Dann hörte er leise eine Glocke.
Schlagartig wachte er auf und schüttelte den Albtraum aus seinem Kopf. Wann würde dieser Albtraum endlich aufhören, ihn zu quälen. Er hatte deshalb bereits vor sieben Jahren aufgehört, sich als Söldner zu verpflichten, obwohl er dank seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten viel Geld damit verdient hatte. Aber der Traum blieb. Noch einmal ertönte leise die Glocke, die Lucius aus seinem Schlaf gerissen hatte. Es war sehr leichtsinnig von ihm gewesen, überhaupt einzudösen, schimpfte er sich selbst. Und er fragte sich, ob er sich wohl unbewußt nach seinem Tod sehnte, wenn er in so einer gefährlichen Situation einschlief. Aber glücklicherweise waren die Räuber auf seinen Signalfaden getreten und hatten das kleine Glöckchen an dessen Ende zum Klingen gebracht. Dadurch dürften allerdings auch die Räuber gewarnt sein, in deren Versteck er hier wartete. Lautlos nahm er seine beiden geschwungenen Schwerter vom Tisch und machte sich bereit. Und da stürmten die Räuber auch schon in den großen Raum, in dem Lucius sie erwartet hatte. Sie wußten, daß es bei ihrer Rückkehr einen Kampf auf Leben und Tod geben würde, waren aber nicht bereit gewesen, sich in eine andere Gegend zu verziehen. Und da sie zu zwölft waren, rechneten sie mit einem schnellen Sieg. Das war allerdings eine grobe Fehleinschätzung. Die ersten beiden Räuber starben bereits, bevor sie den Raum richtig betreten hatten. Und Lucius zeichnete mit seinen beiden Schwertern ein todbringendes Geflecht in die Luft. Die Räuber hatten nicht die Spur einer Chance gegen ihn. Als ihnen das bewußt wurde, war es allerdings bereits zu spät. In rascher Folge wurden sie von Lucius’ Schwertern niedergestreckt. Der Kampf hatte keine Minute gedauert und in den Augen unbeteiligter Beobachter hätten Lucius’ Bewegungen eher einem Tanz als einem Kampf geglichen. Es war allerdings niemand anwesend, der Lucius’ Fähigkeiten angemessen hätte würdigen können.
Er säuberte seine Schwerter geschäftsmäßig an dem Mantel eines toten Räubers, nahm dann eine Axt von der Wand und schlug den Toten die Köpfe ab, soweit er sie nicht bereits im Kampf enthauptet hatte. Die Köpfe wickelte er in ein grobes Tuch, das er in der Höhle gefunden hatte. Sie würden ein stummer Beweis für seine Arbeit werden und hoffentlich weitere Mordbuben aus der Gegend fernhalten. In aller Ruhe und mit großer Gründlichkeit durchstöberte er noch einmal die Räuberhöhle. Nachdem Lucius sich vergewissert hatte, daß es in der Höhle keine weiteren Überlebenden – auch keine Gefangenen – gab und er alle Wertsachen und das Tuch mit den Köpfen nach draußen geschafft hatte, legte er Feuer. So würde die einstürzende Höhle auch gleich zum Grab der Räuber werden. Das ersparte ihm nicht nur, sich als Totengräber betätigen zu müssen, es verhinderte auch, daß die Höhle später anderen Räubern als Unterschlupf dienen konnte. Dann ging er mit den toten Köpfen der Räuber zu dem in die Stadt führenden Weg und spießte sie der Reihe nach auf kleine Holzpfähle auf, die er dafür bereits zurechtgelegt hatte. Er konnte sich nur schwer vorstellen, daß jemand diese Warnung nicht verstand. Schließlich brachte er die Beute der Räuber ebenfalls an den Ort seiner ebenso unmißverständlichen wie makaberen Warnung, entnahm ihr nur einige wenige Gegenstände, die er brauchen konnte und machte sich auf den Weg zu seiner Behausung. Es war keine schöne Arbeit, die er hier erledigte, aber einerseits entsprach sie seinen besonderen Fähigkeiten und andererseits richtete sie sich nun nur noch gegen solche, die ihr Schicksal verdient hatten. Lieber hätte er eine Aufgabe übernommen, bei der er nicht mehr töten brauchte, aber die Kunst des Tötens war die einzige, die er wirklich beherrschte, diese allerdings in Perfektion.
So, wie es aussah, würde die Arbeit des heutigen Tages ihn nicht von seinem Albtraum entfernen. Im Gegenteil – der Kampf hatte seine Erinnerungen an vergangene Schlachten wieder deutlich ins Bewußtsein gerufen. Und aus diesen Erinnerungen schienen sich seine Albträume zu nähren. Schon oft hatte er sich überlegt, ob er sich nicht als Einsiedler zur Ruhe setzen sollte. Viel einsamer als sein jetziges Leben wäre das auch nicht. Allerdings war er dafür einfach zu aktiv. Es paßte nicht zu seiner Persönlichkeit, ohne eine Aufgabe vor sich hinzuleben. Demnächst stand allerdings eine Änderung seines Lebens bevor, von der er sich zumindest Linderung seiner Albträume erhoffte. Aber sie brachte ihm auch gewisse Unsicherheiten und Probleme, bei denen ihm seine Fähigkeiten nicht helfen würden. Aber auch diese Herausforderung würde er meistern, war er sich sicher. Er riß sich aus seinen Grübeleien und dachte erst einmal an die naheliegenden Aufgaben. Morgen müßte er dafür sorgen, daß die Bewohner der nahegelegenen Stadt die Beute der Räuber fanden und wenn möglich den Opfern oder deren Hinterbliebenen zurückgaben.
Die Verlosung
Morgen war es endlich soweit. Seit drei Jahren trugen Katharina und ihre Altersgenossinnen bereits einen Keuschheitsgürtel. Und morgen, nach der großen Verlosung, würde sie dieses Teil für immer loswerden. Selbstverständlich hatten alle achtzehn bis zwanzig Jahre alten Mädchen, die seit dem sechzehnten Lebensjahr einen Keuschheitsgürtel tragen mußten, ein flaues Gefühl beim Gedanken an die morgige Verlosung. Schließlich würde es eine von ihnen erwischen. Eine würde als Opfer ausgewählt werden. Aber alle anderen hätten es überstanden. Natürlich hätten die Mädchen die Stadt mit ihren Familien bereits vor dem sechzehnten Lebensjahr verlassen können. Allerdings sie hätten dann niemals wieder zurückkommen dürfen. Und bis auf eine einzige, die Ausgeloste, würden alle von der Sicherheit profitieren, die das Opfer ihnen brachte. Es waren schlimme Zeiten. Überall trieben Räuber und Plünderer ihr Unwesen. Und die anderen Gebiete Landors, die unter dem Schutz eines der Fürsten standen, waren nicht nur durch hohe Steuern belastet, sie litten auch unter der Willkür dieser lokalen und unter einander zerstrittenen Herrscher und ihrer Soldaten. Auch die Nachbarländer von Landor wirkten für die Einwohner der Kleinstadt bedrohlich. Das karge Manitien mit seinen Sümpfen und gefährlichen Kreaturen wäre ebensowenig eine erstrebenswerte Heimat, wie das geheimnisvolle Kartun, das angeblich von einer mächtigen Zauberin beherrscht wurde, die jeden Mann um den Verstand brachte, der sie ansah. So gesehen war es für die kleine Stadt Fendrich ein Glücksfall gewesen, mit einem Walddämon einen Handel abzuschließen. Der Dämon sorgte dafür, daß die umliegenden Wälder und Auen frei von Gesindel blieben und dafür opferte die Stadt ihm alle fünf Jahre eine Jungfrau von achtzehn bis zwanzig Jahren. Natürlich kam es trotzdem schon einmal vor, daß Räuber und wilde Tiere in der Gegend ihr Unwesen trieben. Aber der Dämon sorgte schnell dafür, daß dieses Treiben ein Ende hatte. Dafür, daß es genug Jungfrauen gab, sorgten die Keuschheitsgürtel, die alle Mädchen mit sechzehn Jahren verpaßt bekamen.
Und jetzt war es soweit. Die ersten fünf Jahre seit dem Vertragsabschluß mit dem Dämon waren abgelaufen und die erste Jungfrau mußte ihm geopfert werden. Niemand wußte so genau, was das eigentlich bedeutete. Und Katharina fragte sich, ob das eher ein Fluch oder ein Segen war. Einerseits stellten sich die jungen Frauen dieses Opfer je nach Phantasie schrecklich vor, andererseits könnte die Wirklichkeit noch schrecklicher werden. Jedenfalls war es unwahrscheinlich, daß noch jemand, außer dem ausgelosten Opfer je erfahren würde, was dann wirklich geschah. Während die meisten ihrer Altersgenossinnen eher Angst davor hatten, malte Katharina es sich manchmal auch romantisch aus. Und manchmal fragte sie sich, ob sie sich freiwillig melden sollte. Diese Möglichkeit gab es, allerdings würde es ihren Eltern das Herz brechen. Wenn sie ausgelost würde, wäre es schon schlimm genug. Aber freiwillig, nein, das konnte sie ihnen nicht antun. Ihre Schwester Sandra, die ein Jahr älter war als sie, hatte vor der morgigen Verlosung furchtbare Angst und konnte schon seit drei Wochen kaum noch schlafen. Und es war ihr unbegreiflich, daß Katharina der Verlosung so ruhig und gelassen entgegen sah. Allerdings hatte Sandra auch schon einen festen Freund, den sie nach der Befreiung aus dem Keuschheitsgürtel heiraten wollte. Katharina dagegen war irgendwie zu verträumt, als daß sie sich in einen der eher praktisch orientierten jungen Männer hätte verlieben können. Überhaupt hatte man manchmal das Gefühl, sie würde in anderen Sphären schweben. Sie jedenfalls schlief auch diese Nacht ganz ausgezeichnet, während die meisten anderen jungen Frauen es wohl eher ihrer Schwester gleichtaten.
Am nächsten Morgen versammelten sich alle opferfähigen Jungfrauen auf dem Rathausplatz der Stadt. Von dem Kichern und Albern, daß normalerweise bei jeder Ansammlung junger Frauen zu hören war, vernahm man nichts. Die gelegentlichen Lacher klangen eher hysterisch als fröhlich. Allmählich stellten sich alle Frauen hintereinander in einer Reihe auf. Dieses Ritual hatten sie schon früher unzählige Male geübt. Die Reihe schlängelte sich mehrere Male über den Platz. Dann kam schließlich der Bürgermeister und brachte eine große Urne mit vielen weißen und einer schwarzen Kugel. Es waren insgesamt so viele Kugeln wie Jungfrauen. Und jede von ihnen mußte in die Urne greifen und eine Kugel herausholen. Alle Frauen, die hinterher eine weiße Kugel in der Hand hatten, durften zum Schmied gehen und sich den Keuschheitsgürtel abnehmen lassen. Und für die eine, die die schwarze Kugel zog, würde es ein kleines Fest geben, bevor sie am darauffolgenden Tag dem Dämon geopfert würde. Katharina konnte ihre Schwester weiter vorne in der Reihe sehen. Sie unterhielt sich mit einer ihrer Freundinnen. Langsam rückten die Frauen in der Schlange nach vorne. Manche schauten sofort auf die Kugel, die sie gezogen hatten und jubelten, wenn sie sahen, daß es eine weiße war. Andere hielten sie fest in ihrer geschlossenen Hand und trauten sich erst nach einiger Zeit, zaghaft einen Blick auf die Kugel zu werfen.
Auch Sandra hatte ganz offensichtlich Angst, sich die Farbe ihrer Kugel anzusehen. Schließlich kam auch Katharina an die Reihe. Mit einem flauen Gefühl griff sie in die Urne, ertastete eine Kugel und nahm sie heraus. Dann ging sie zunächst ein kleines Stück weiter und schaute sich kurz die Kugel an. Sie war weiß und Katharina seufzte. Dann fiel ihr Blick auf Sandra. Ihre Schwester hatte ein kalkweißes Gesicht und rang mit der Fassung. Katharina ging zügig auf sie zu und schaute sie direkt an. Wortlos öffnete Sandra ihre zitternde Hand und ließ die schwarze Kugel erscheinen. Katharina wußte nicht, was sie sagen sollte. In den Augen ihrer Schwester sah sie die blanke Panik. Beherzt griff sie zu und nahm die schwarze Kugel an sich und drückte ihrer verblüfften Schwester ihre weiße in die Hand. Dann umarmte sie Sandra und flüsterte ihr ins Ohr, sie solle bloß den Eltern nichts davon erzählen. Und sie solle kein schlechtes Gewissen haben, schließlich sei es ihr, Katharinas, freier Entschluß gewesen. Katharina konnte erkennen, wie in ihrer Schwester ein Kampf zwischen Erleichterung und Schuldgefühl tobte. Sie wartete nicht ab, wie dieser Kampf ausgehen würde, sondern ging mit der schwarzen Kugel direkt auf den Bürgermeister zu und zeigte sie ihm – nicht zuletzt, um nicht doch noch von Angst über ihren Entschluß übermannt zu werden. Und der Bürgermeister verkündete lautstark und mit salbungsvollen Worten, daß das Opfer bestimmt sei und die restlichen Frauen keine Kugel mehr zu ziehen brauchten. Ein erleichtertes Raunen ging über den Platz. Und alle außer Katharina und Sandra stellten sich in beim Schmied an, um sich des Keuschheitsgürtels entledigen zu lassen. Während sich zwei Büttel neben Katharina stellten, damit sie nicht fliehen konnte, stand Sandra immer noch fassungslos auf dem Platz herum. Ihre Eltern, die die Verlosung vom Rand des Rathausplatzes verfolgt hatten, kamen auf die beiden Schwestern zu. Während ihre Mutter Sandra in den Arm nahm, die jetzt hemmungslos weinte, kam ihr Vater auf Katharina zu. „Ich habe es gesehen“, flüsterte er ihr zu. „Es ist sehr mutig von dir, dich für deine Schwester zu opfern. Ich finde es zwar sehr traurig, daß wir dich verlieren werden, aber du sollst wissen, daß ich sehr stolz darauf bin, was du getan hast.“
Das Opferritual
Eric war froh, als endlich die Kleinstadt in Sicht kam. Er wollte es sich zunächst ein paar Tage mit einem Teil des Geldes seines ersten Auftrags gut gehen lassen. Dazu sollte es in Fendrich, so der Name der Stadt, genug Gelegenheit geben. Danach würde er sich nach neuen Aufträgen umsehen. Kaum war er in der Stadt angekommen, da sah er überall Menschen herumstehen, die über eine Verlosung redeten. Er erkundigte sich, was es denn mit dieser Verlosung auf sich hatte und war schockiert, als er begriff, daß eine junge Frau einem Dämon geopfert werden sollte. Da müßte doch ein lukrativer Auftrag für einen Helden drin sein, dachte er sich. Er hatte zwar keine Ahnung, was für ein Gegner ein Dämon sein könnte, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß es jemanden gab, mit dem er nicht fertig werden würde. Er bekam noch das Ende er Verlosung mit und bahnte sich einen Weg durch die Menge, um den Bürgermeister anzusprechen. Dieser hatte die Verlosung soeben für beendet erklärt und begab sich bereits auf den Weg zu seiner Amtsstube, als Eric ihn abfing. Zu seiner Verblüffung wollte der Bürgermeister aber überhaupt nichts von einem Auftrag zur Rettung der Jungfrau und zur Befreiung der Stadt von dem Dämonen wissen. Er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und seine Nase nicht in Dinge stecken, die er nicht verstehe, erklärte ihm der Bürgermeister kurz angebunden. Dann ließ er Eric stehen. Auch die Passanten, die Eric ansprach, erklärten ihm, er solle die Sache auf sich beruhen lassen. Es sei für alle das Beste so, wie es sei.
Waren diese Städter denn alle Feiglinge? Oder warum opferten sie lieber ihre Kinder, als sich von dem Dämon befreien zu lassen? Da Eric die Eltern der ausgelosten, jungen Frau aus den Augen verlor, konnte er auch ihnen seine Dienste nicht anbieten. Schließlich setzte er sich deprimiert in ein Gasthaus, gönnte sich von seinem letzten Verdienst das eine oder andere Bier und nahm schließlich noch ein einfaches Zimmer, um sich auszuschlafen. Er hörte noch etwas von einem Fest, das für das Dämonenopfer gegeben wurde, schüttelte nur angewidert den Kopf und begab sich zur Ruhe. Am nächsten Morgen erwachte er mit einem leichten Brummschädel und nahm sich vor, demnächst etwas weniger Bier zu trinken. Dann streifte er durch die Straßen und schaute sich nach einem Auftrag um. Viele Leute waren allerdings nicht unterwegs. Die meisten waren zum Opferritual gegangen. Und so ging auch Eric vor die Stadt, teils aus Neugier, teils, weil er doch noch auf einen Auftrag zur Rettung der Jungfrau hoffte. Schließlich erreichte er die Menschenmenge, die sich vor einer Felswand versammelt hatte. Ein schmiedeeisernes Tor sperrte eine Öffnung in der Wand ab, von der aus ein sehr steiler Gang in den Fels hinein führte. Aus der Entfernung konnte Eric kaum Details erkennen. Die Jungfrau war ganz in weiß gekleidet und hatte einen Blumenkranz im Haar. Sie schien sehr gefaßt zu sein. Sie verabschiedete sich herzlich von ihren Eltern und von einer weiteren, jungen Frau – ihrer Schwester, wie ein anderer Zuschauer Eric erklärte. Dann wurde das Tor geöffnet und die junge Frau ging durch die Öffnung. Sie setzte sich mit einem kleinen Brett auf den steil abwärts führenden Boden und rutsche innerhalb von Sekunden außer Sicht in den Felsen hinein. Der Bürgermeister sprach noch ein paar Worte, die Eric nicht verstand und verschloß das Tor wieder. Dann löste sich die Menge auf.
Eric blieb noch eine Weile stehen und näherte sich dann langsam dem Tor, als die anderen Zuschauer bereits alle wieder gegangen waren. Das Tor ragte nicht ganz bis zum oberen Teil der Felsöffnung. Ein Hinüberklettern würde allerdings nur unter größter Anstrengung möglich sein. Öffnen konnte er das Tor auch nicht. Und er überlegte, ob er sich nicht lieber eine andere Aufgabe suchen sollte, zumal ja offensichtlich niemand daran interessiert war, daß er hier tätig wurde. Es sah im Gegenteil danach aus, als würde er statt einer Belohnung vor allem Ärger bekommen, wenn es ihm tatsächlich gelang, die Frau aus den Fängen des Dämons zu befreien.
Während Eric noch darüber nachdachte, ob er sich zu einer undankbaren Heldentat durchringen sollte, rutschte Katharina immer weiter in den Fels. Es war inzwischen stockdunkel und sie hatte Angst, gegen irgendwelche Hindernisse geschleudert zu werden. Über ihr weiteres Schicksal machte sie sich während der rasanten Rutschpartie noch keine Gedanken. Schließlich wurde der Boden weniger steil und Katharina verlor allmählich an Geschwindigkeit. Dann kam sie auf dem Brett sitzend zum Stillstand. Zunächst lauschte sie in die schwarze Stille, konnte aber nichts hören, was ihr irgendwie weiterhalf. Sie ertastete vorsichtig ihre Umgebung. Der Gang, der sie steil hinuntergeführt hatte, schien weiterzugehen. Und langsam, während Katharinas Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, begann sie ein schwaches Leuchten wahrzunehmen, das von den Wänden kam. Vorsichtig näherte sie sich einer Wand und schaute ganz genau hin. Von Teilen des Mooses, das in einem weitmaschigen Netz die Wände überzog, ging dieses schwache Leuchten aus. Je besser sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, desto deutlicher konnte sie ihre Umgebung erkennen. Zu sehen gab es allerdings nicht sonderlich viel. In der einen Richtung führte der Gang steil nach oben und das Leuchten wurde schwächer. Dort war sie hergekommen. In der anderen Richtung erstreckte sich der Gang etwa 20 Meter weit. Mehr konnte sie nicht erkennen.
Nachdem die rasante Rutschpartie zuende war, fing Katharina an, sich über ihre Situation Gedanken zu machen. Einerseits war sie erleichtert, daß offenbar die Geschichte mit dem Dämon nicht nur ein großer Humbug war. Sie hatte schon befürchtet, daß sie einfach in ein verlassenes Höhlensystem gerutscht wäre und jetzt hier verhungern müßte. Aber so wie es aussah, war zumindest der Gang, den sie jetzt langsam beschritt, von irgend jemandem frei von Unrat gehalten worden. Demnach müßte sie bald auf den Bewohner, den Dämon, stoßen. Andererseits, kam es ihr in den Sinn, war es doch sehr unwahrscheinlich, daß es sich bei dem Dämon um die liebenswerte Kreatur handeln könnte, die sie sich manchmal in ihren romantischen Träumen ausgemalt hatte. Und was wollte er eigentlich von ihr, von der Jungfrau, die ihm geopfert wurde? Weder bei der gestrigen Verlosung, bei der doch alles sehr schnell und spontan passiert war, noch bei der extra für sie veranstalteten Feierlichkeit, war sie in Ruhe zum Nachdenken gekommen. Und jetzt war sie hier. Sie hatte inzwischen die Stelle erreicht, bis zu der sie vorher hatte sehen können. Der Gang machte eine Biegung und führte nach weiteren 20 Metern in eine größere, hellere Höhle. Für einen Moment setzte ihr Herz aus. Auf halbem Weg zwischen sich und der Höhle stand jemand – oder etwas. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Mensch, aber die Proportionen stimmten irgendwie nicht. Einerseits schien das Wesen gedrungen zu sein und einen relativ breiten Körper zu haben, andererseits ragte es mindestens genauso hoch in den Gang wie Katharina. Und es kam auf sie zu. Sie unterdrückte den Impuls, wegzurennen, da es sowieso keinen Ort gab, zu dem sie fliehen konnte. So stand sie wie angewurzelt in der Biegung des Gangs. Und etwa fünf Meter vor ihr blieb auch das Wesen stehen. „Komm her“, sagte es mit dumpfer, hohler Stimme. Und Katharina, die nicht wußte, was sie sonst tun sollte, ging mit weichen Knien auf die Gestalt zu. Diese ergriff ihr Handgelenk, drehte sich um und führte sie in die helle Höhle. Der Griff um ihr Gelenk war nicht schmerzhaft, ließ ihr aber auch keinen Spielraum. Es war, als hätte sie einen metallenen Armreif um, an dem sie vorwärts gezogen wurde. Schließlich kamen sie ins Licht und sie konnte das Wesen betrachten. Ganz offensichtlich ist das der Dämon, dachte sie nicht ohne Angst, als sie seinen behaarten Körper sah und in sein Gesicht blickte.
Gefangene des Dämons
Eric hatte sich schließlich entschieden, über das schmiedeeiserne Tor zu klettern und den selben Weg hinunterzurutschen, den Katharina bereits genommen hatte. Da er gesehen hatte, wie sie auf einem Brett sitzend hinuntergerutscht war, wollte er es ihr gleich tun, um sich keine Abschürfungen zuzuziehen. Leider lag kein weiteres Brett vor dem Tor herum. Daher nahm er das kleine Schild, das bereits von Anfang an zu seiner Ausrüstung gehörte und verkleidete es mit einigen Ästen, die er notdürftig befestigte. Er wollte sein Schild nicht durch die Rutschpartie zerkratzen. Dann überkletterte er das Tor, nicht ohne mehrere Male mit seiner Ausrüstung darin hängen zu bleiben. Nach zehn Minuten kam er sichtlich angestrengt auf der anderen Seite des Tors an und überprüfte noch einmal seine Ausrüstung. Glücklicherweise hatte sie die Kletterpartie gut überstanden. Nachdem er sich einen Moment ausgeruht hatte – er mußte ja anschließend damit rechnen, einem gefährlichen Dämon gegenüberzustehen – setzte er sich schließlich auf sein mit Ästen verkleidetes Schild und rutschte scheppernd in die Tiefe. Während er immer mehr an Fahrt gewann, fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, sich langsamer an einem langen Seil herunterzulassen. Zumal er diesen steilen Gang ohne Hilfsmittel nicht wieder hinaufgehen konnte. Aber nach einiger Zeit war ihm klar, daß er kein ausreichend langes Seil hätte bekommen können. Der Gang war wirklich sehr lang. Und schließlich erreichte auch er die Stelle, an der Katharina von ihrem Brett heruntergestiegen war. Die Äste vor seinem Schild waren fast komplett durchgescheuert, das Schild selbst war aber intakt, wie er erkennen konnte, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit und das schwache Leuchten hatten gewöhnen können. Er zückte sofort sein Schwert, da er bei dem Lärm, mit dem er heruntergerutscht war, keinen Zweifel daran hatte, daß er bereits erwartet werden würde.
Katharina schaute immer noch gebannt in das Gesicht des Dämons. Eigentlich war es kein Gesicht, sondern eine verzerrte Fratze, auf der sich keinerlei Emotionen zeigten. Auch er musterte sie offensichtlich. Sie konnte zwar seine Augen in den tiefliegenden Höhlen nicht sehen, aber er starrte sie unverwandt an. Dann schob er sie zu einer Ecke der Höhle, an der eine Kette in die Wand eingelassen war. Am anderen Ende der Kette war ein Halsreif angebracht, und Katharina ahnte bereits, was jetzt passieren würde. Der Dämon ergriff den Halsreif und legte ihn ihr um. Das kalte Metall um ihren Hals ließ sie frösteln. Instinktiv betastete sie den Reif mit ihren Händen, konnte aber nicht herausfinden, wie man ihn öffnete. Fragend schaute sie den Dämon an. Dann kam plötzlich ein lautes Scheppern aus dem Gang, aus dem auch sie vorhin gekommen war. Der Dämon drehte sich abrupt um und ging zur anderen Seite der Höhle. Ein großer Mann mit Schwert und Schild kam aus dem Gang getreten und schaute sich suchend um. Dann erblickte er den Dämon und kam mit erhobenem Schwert auf diesen zu. „Was suchst du hier in meiner Höhle?“, fuhr ihn der Dämon an. „Glaubst du, es gibt hier Schätze, die du rauben kannst?“ Der Schwertkämpfer blieb irritiert stehen. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, von dem Dämon angesprochen zu werden. „Vielleicht gibt es hier keinen Schatz zu rauben, aber zumindest eine Jungfrau zu retten“, antwortete er. Der Dämon legte seinen Kopf schräg und betrachtete den Schwertkämpfer. „Ich nehme an, du bist nicht aus Fendrich. Wie heißt du?“, fragte er ihn. „Ich bin Eric und woher ich komme, geht dich nichts an“, war die Antwort des Recken. Von dem Dämon kam ein dumpfes Lachen. „Hat es tatsächlich einen Idioten in Fendrich gegeben, der dich für diese Arbeit bezahlt?“, wollte er wissen. „Notfalls kämpfe ich auch ohne Bezahlung für eine gerechte Sache“, antwortete Eric irritiert. Woher wußte der Dämon, daß sich von den Städtern niemand traute, etwas gegen ihn zu unternehmen? „Interessant“, meinte der Dämon, „dazu werde ich dich nachher ausführlich befragen.“
Soweit wollte Eric es nicht kommen lassen und stürmte mit seinem Schwert vor. Der Dämon wich lässig aus. Dann sprang er behende auf einen großen Tisch, schnappte sich eine lange Eisenstange von der Wand und kam fast tänzelnd auf Eric zu. Dieser hatte sein Schild gehoben und holte mit dem Schwert aus. Der Dämon parierte das Schwert mit der Eisenstange, die er in der Mitte hielt und ließ das andere Ende gegen Erics Schild prallen. Noch bevor Eric erneut mit seinem Schwert ausholen konnte, wirbelte der Dämon um Eric herum und schlug ihm die Eisenstange gegen den Kopf. Eric stürzte um, wie eine gefällte Eiche. Der Dämon fing ihn zu Katharinas Erstaunen sogar auf und federte seinen Sturz damit ab. Dann hob er das Schwert auf und begutachtete es eine Weile im Licht der Höhle. Katharina hatte den Kampf gespannt verfolgt und konnte sich eine gewisse Bewunderung für den Dämon nicht verkneifen. Nicht nur die geradezu tänzerische Art, mit der er Eric überwältigt hatte, beeindruckte sie. Auch die Tatsache, daß er, obwohl er Eric ohne Probleme hätte töten können, dessen Leben verschont hatte, ließ Hoffnung in ihr aufkeimen, daß der Dämon nicht so schrecklich war wie sein Aussehen. Dann sah sie, wie er Eric über die Schulter nahm und mit ihm die Höhle durch einen anderen Gang verließ. Sie schaute sich jetzt in Ruhe in der Höhle um. Das relativ helle Licht kam von Kristallen, die sie noch nie gesehen hatte. Sie erhellten die ganze Höhle, ohne dabei harte Schatten zu werfen. An einer Seite – innerhalb der Reichweite ihrer Kette – gab es eine Feuerstelle, die sich zum Kochen eignete. Am anderen Ende stand ein stabiles Bett. Und dazwischen ein Tisch mit mehreren Stühlen. An den Wänden hingen Teppiche und mehrere Waffen. In der Nähe der Stelle, an der der Dämon vorhin die Eisenstange herabgenommen hatte, hingen zwei leicht gebogene Schwerter gekreuzt an der Wand. Auf eine gewisse Weise war diese Höhle sogar gemütlich.
Von dem Gang, in dem der Dämon mit Eric über der Schulter verschwunden war, hörte Katharina Ketten rasseln. Offenbar wurde auch Eric angekettet. Was würde als nächstes passieren? Sicher käme der Dämon gleich zu ihr zurück. Den Zwischenfall mit Eric hatte er ja nicht eingeplant. Was würde dann mit ihr passieren? Es konnte natürlich sein, daß sie für den Dämon nur eine appetitliche Mahlzeit war. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, daß der Dämon ihr nichts tun würde. Und zu ihrer Verwunderung spürte sie eine seltsame Erregung in sich aufsteigen, während sie hier angekettet auf seine Rückkehr wartete. Wobei sie die Erregung auch wieder an ihren Keuschheitsgürtel denken ließ. Die anderen Frauen hatten ihn nach der Verlosung ja abgenommen bekommen. Aber sie trug ihn noch immer. Ob sie ihn jemals loswerden würde? Wohl nur, wenn der Dämon diesbezügliche Pläne mit ihr hätte. Und sie fragte sich, ob sie sich davor fürchtete oder es sich herbeisehnte. Sein Äußeres war zwar nicht direkt von der Art, die jede Frau schwach werden ließ, aber er hatte sich beim Kämpfen auf eine Weise bewegt, als ob dieser Körper nicht wirklich zu ihm gehörte. Und es hatte sie auch beeindruckt, daß er nicht kommentarlos auf Eric losgegangen war, auch wenn dieser sich einem vernünftigen Gespräch erst einmal entzogen hatte. Dann hörte sie wieder seine Schritte und er betrat die Höhle. Zunächst nahm er die Eisenstange wieder vom Boden und hängte sie an die Wand. Dann legte er Erics Schwert und Schild auf einen der Stühle und kam auf Katharina zu. „Ich hoffe, die Vorstellung hat dir gefallen“, tönte seine dumpfe, hohle Stimme, als er sie ansah. Dann griff er mit beiden Händen an seinen Kopf und nahm ihn unter den Arm. Katharina überlegte, ob das jetzt der richtige Moment sei, um ohnmächtig zu werden.
Katharinas Erkenntnis
Es stellte sich allerdings keine Ohnmacht ein. Aber das war ihr ohnehin noch nie passiert. Und als sie genauer hinsah, erkannte sie, daß der Dämon gar nicht seinen Kopf unter den Arm genommen hatte, sondern einen Helm. Die dämonische Fratze war Bestandteil des Helmvisiers gewesen. Und erst jetzt fiel ihr auf, daß sie nie gesehen hatte, wie sich der Mund des Dämons bewegte, wenn er zu ihr sprach. Dann nahm er auch seine Arme ab. Offenbar steckte er in einer Art Kostüm. „Enttäuscht?“, fragte er sie, während er sich komplett aus der Dämonen-Erscheinung herauspellte. Die Teile schienen aus schwerem Metall zu bestehen und nur außen mit einem haarigen Fell überzogen zu sein. Nachdem er seine eigentümliche Rüstung ausgezogen hatte, stand kein Dämon mehr vor Katharina, sondern ein muskulöser, drahtiger Mann schwer bestimmbaren Alters. Er war nur wenig größer als sie und wirkte nicht sonderlich furchteinflößend. Wobei sie sich in Erinnerung rief, mit welcher Leichtigkeit er Eric überwältigt hatte. Er war also wesentlich gefährlicher, als es seine Erscheinung vermuten ließ. „Ich habe dich gerade etwas gefragt“, riß er Katharina aus ihren Gedanken. Sie brauchte einen Moment, bis sie verstand, was er meinte. Und sie war überrascht von seinem fordernden Tonfall. „Nein, ich bin nicht enttäuscht. Dann ist es also gar kein Dämon, der uns in Fendrich beschützt“, antwortete sie. „Stimmt. Es ist allerdings hilfreich, wenn die Leute das glauben. Als Mensch hätte mir auch niemand zugetraut, die Gegend alleine von Gesindel freihalten zu können.“ „Und“, fügte er mit einem Lächeln hinzu, „ich hätte wohl kaum eine Jungfrau geopfert bekommen.“ „Ich heiße übrigens Lucius“, fügte er nach einer Pause hinzu, „und wie ist dein Name?“ „Katharina“, antwortete sie unsicher. Was sollte sie von jemandem halten, der sich als Dämon ausgab und sich Jungfrauen opfern ließ? Und was hatte er jetzt mit ihr vor? „Wer war eigentlich die junge Frau, mit der du die schwarze Kugel getauscht hattest?“, riß Lucius sie aus ihren Überlegungen. Sie schaute ihn erstaunt an. „Das wißt Ihr?“, fragte sie entgeistert. Er nickte. „Das war meine Schwester. Sie hatte große Angst.“ „Das habe ich gesehen. Und du, hattest du keine Angst?“ „Doch, schon, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es so richtiger ist.“ „Es war sehr mutig von dir. Und es war sehr anständig, deiner Schwester gegenüber. Ich bin froh, daß du es bist, die mir geopfert wurde.“
Sie schaute ihn fragend an. „Ich möchte keine Frau an meiner Seite haben, die sich vor mir fürchtet. Demütig soll sie sein, aber nicht ängstlich. Und ich denke, daß du dieser Vorstellung viel näher kommst, als deine Schwester.“ Sie wußte nicht, woran sie bei ihm war, aber ihre Angst vor ihm hatte deutlich nachgelassen. „Was werdet Ihr eigentlich mit dem Krieger machen, der hier vorhin hereingestürmt ist? Eric hieß er, glaube ich.“ „Du wirst mich ganz normal mit „du“ anreden. Und Eric – mit dem werde ich mich erst einmal unterhalten. Ich bin ihm nicht böse, da er mit lauteren Absichten kam. Aber ich werde nicht erlauben, daß er in Fendrich erzählt, daß es hier keinen Dämon, sondern nur einen guten Kämpfer gibt.“ „Warum bin ich eigentlich an der Wand angekettet?“, wollte Katharina weiter wissen. „Wenn ich sicher bin, daß du nicht versuchst, zu fliehen oder mich im Schlaf mit einem der Schwerter zu erschlagen, werde ich dir den Halsreif wieder abnehmen. Ich finde, du könntest uns etwas zu essen machen.“ Er reichte Katharina ein Reh, daß er erlegt hatte, holte etwas Gemüse aus einer sehr kühlen Nachbarhöhle und zeigte ihr, wo die Gewürze standen. Dann setzte er sich an den Tisch und beobachtete sie, wie sie sich daran machte, das Essen zuzubereiten. Zwischendurch ging er noch einmal in die kühle Nachbarhöhle und holte eine Flasche leichten Weines. Sie gab sich alle Mühe, ein schmackhaftes Essen zuzubereiten und setzte es ihm schließlich nicht ohne Stolz vor. Er probierte zunächst vorsichtig, dann begann er, mit großem Genuß zu essen. Er forderte Katharina auf, sich zu ihm zu setzen und ihm Gesellschaft zu leisten. Nachdem beide ihre Portionen aufgegessen und einiges von dem Wein getrunken hatten, lobte Lucius noch einmal das Essen. Sie strahlte. Er stand auf und Katharina schaute ihn fragend an. „Ich werde mich jetzt zu Eric begeben. Deine Aufgabe wird es in der Zwischenzeit sein, hier für Ordnung zu sorgen.“ Mit diesen Worten, die keinen Widerspruch zuließen, nahm er etwas von dem übrig gebliebenen Essen und verließ den Raum. Katharina schaute ihm verstört hinterher. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wider. Irritiert bemerkte sie ein unbekanntes Kribbeln in sich. Er hatte sie nicht gebeten, abzuräumen. Seine Worte klangen nach einem Befehl, dem sie sich zu fügen hatte. Sie fragte sich im Stillen, was Lucius wohl tun würde, wenn sie seinem Befehl nicht Folge leistete. Zunächst rang sie mit sich, ob sie gehorchen sollte, dann erhob sie sich mit einem Seufzer und begann, sich der übertragenen Aufgabe zu widmen. Lucius stand verborgen hinter einer Wand und beobachtete lächelnd, wie sie zögerte. Er sah, wie sie um ihre Fassung rang und hörte den tiefen Seufzer, der aus ihrer Kehle kam. Offenbar hatte er sie richtig eingeschätzt und war froh, daß sie die Auserwählte war. Mit einem Lächeln drehte er sich nun endgültig um, ging einen schmalen Gang entlang und trat auf die schwere Tür zu, hinter der sich Eric befand. Seine Dämonenrüstung hatte Lucius wieder angelegt, damit Eric seine wahre Identität nicht erkannte.
Dieser war ebenfalls mit einem Halsreif an die Wand gekettet. Doch im Gegensatz zu Katharina trug er auch noch geschmiedete Armreifen, die mit einer massiven Kette verbunden waren. Eric war inzwischen wieder bei Bewußtsein und hielt sich seinen schmerzenden Kopf. Als der Dämon auf ihn zutrat, wollte Eric eine Verteidigungshaltung einnehmen. Dabei wurde ihm jedoch sofort bewußt, wie unsinnig sein Verhalten war. Er hatte keine Waffen, seine Hände waren durch die verbundenen Armreifen kaum nutzbar und er war an der Wand angekettet. Es gab für ihn einfach keine Möglichkeit, sich zu wehren. „Ich habe hier etwas für dich zu essen“, hörte er die dumpfe Stimme und bemerkte den Teller, den der Dämon ihm hinhielt. Eric schaute irritiert und argwöhnisch auf. „Du kannst es ruhig essen. Oder glaubst du, ich hätte dich am Leben gelassen, um dich jetzt zu vergiften?“, versuchte das vermeintliche Höllenwesen Erics Mißtrauen zu entkräften. Dieser hatte jedoch noch starke Zweifel. Er rührte das Essen nicht an, obwohl er großen Hunger hatte und ihm durch die verlockend duftenden Speisen das Wasser im Munde zusammenlief. Die furchterregende Gestalt zuckte mit den Schultern, und Eric sah, wie der Dämon sich ihm gegenüber auf den Boden setzte. Zwar außerhalb der Reichweite seiner Ketten, aber doch ohne jede zur Schau gestellte Überlegenheit. Den Teller mit dem Essen stellte er zwischen Eric und sich selbst. Abwesend nahm er ein kleines Stück Fleisch und ließ es in seiner teuflischen Fratze verschwinden. Er gab ein genüßliches „Hmm“ von sich und lachte auf, als sich der Magen seines Gegenübers mit lautem Knurren in Erinnerung brachte. Daraufhin schob er den Teller mit dem Fuß in Erics Richtung – gerade so weit, daß dieser ihn noch erreichen konnte. Der Hunger nagte immer heftiger in Erics Eingeweiden. Und schließlich sagte er sich, daß er wenigstens mit vollem Magen sterben wollte, wenn der Dämon wirklich vorhatte, ihn umzubringen. Nach diesem Entschluß griff er gierig zu. Jetzt genoß auch er Katharinas vorzügliches Mahl. Eine Weile aß er schweigend, während der Dämon ihm gegenüber saß und ihn beobachtete. „Kennst du eigentlich die Abmachung, die ich mit der Stadt Fendrich habe?“, wollte dieser wissen. Eric unterbrach das Essen und schüttelte mit vollem Mund den Kopf. Und der Dämon erklärte ihm, daß er Fendrich beschützte und deswegen eine Frau „geopfert“ bekam. Jetzt verstand Eric auch endlich, warum niemand in Fendrich an der bestehenden Abmachung etwas ändern wollte.
Ungehorsam
Katharina war mit dem Aufräumen fast fertig, als sie die Unterhaltung der beiden leise mitbekam. „Aber was machst du mit der Frau?“, wollte Eric gerade wissen. Sie hatte sich neugierig dem Verlies genähert, soweit ihre Kette es zuließ, und lauschte gespannt der Unterhaltung. „Sie wird mir Gesellschaft leisten, für mich kochen, die Höhle in Ordnung halten und ...“, Lucius macht eine kleine Pause, bevor er ergänzte, „... und mir auch ansonsten zu Diensten sein.“ Die letzten Worte führten bei Katharina erneut zu diesem eigenartigen Kribbeln im Bauch. „... auch ansonsten zu Diensten sein ...“, hatte Lucius gesagt. Sie hatte keinen Zweifel, was er damit meinte. Und für sie stand fest, daß sie es eher herbeisehnte als fürchtete. „Vielleicht will die Frau ja gar nicht ‚dir zu Diensten sein’“, hakte Eric nach. Lucius schwieg und Katharina war versucht, mit „Ich will es“ zu antworten. Aber sie wollte nicht, daß die beiden mitbekamen, daß sie gelauscht hatte. „Und was passiert dann in fünf Jahren, wenn die nächste Jungfrau für dich ausgelost wird?“, hörte sie Eric weiter fragen. Diese Frage gab ihr einen Stich. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Und auch sie war brennend an der Antwort interessiert. „Das hängt von Katharina ab“, antwortete Lucius mit einem Lächeln in der Stimme. Sie fragte sich, wie es wohl von ihr abhängen würde. Was würde er von ihr erwarten? Würde sie seinen Anforderungen gerecht werden können? Und wollte sie das überhaupt? Sie rief sich in Erinnerung, was er vorhin zu ihr gesagt hatte. „Ich möchte keine Frau an meiner Seite haben, die sich vor mir fürchtet. Demütig soll sie sein, aber nicht ängstlich.“ Das waren seine Worte gewesen. Nun, etwas Angst hatte sie immer noch vor ihm. Und was er wohl unter demütig verstand? Sie war zwar in der Vergangenheit nicht direkt vorlaut oder aufsässig gewesen, hatte aber immer ihren eigenen Kopf gehabt und ihn häufig auch durchsetzen können. Erwartete er von ihr, daß sie einfach nur schwieg und gehorchte? Das ginge entschieden gegen ihre Natur. Andererseits hatte sie auch dieses erregende Kribbeln gespürt, als er ihr in strengem Ton eine Aufgabe gegeben hatte. Das erinnerte sie daran, daß sie mit dem Aufräumen noch nicht ganz fertig war, und sie ging rasch zurück, um ihre Arbeit zu beenden.
Unmittelbar danach kam auch Lucius wieder in die große Höhle und sah, daß die Arbeit noch nicht erledigt war. Er bemerkte auch einen zertretenen Krümel kurz vor dem Gang zum Verlies und zog daraus sofort den richtigen Schluß, daß sie zwischenzeitlich gelauscht hatte. Es war keine Überraschung für ihn – er wäre im Gegenteil erstaunt gewesen, wenn sie sich anders verhalten hätte. Allerdings bewies ihm ihr Verhalten, daß er ihr schnellstmöglich klare Grenzen setzen mußte. Einen Moment überlegte er, wie er sie bestrafen sollte, ohne sie dabei völlig zu verschrecken. Dann breitete sich ein Lächeln unter seinem Dämonenvisier aus. Er ging auf sie zu und packte sie bei den Armen. Erschreckt schaute sie zu ihm auf. „Warum bist du mit dem Aufräumen noch nicht fertig?“, wollte er in strengem Ton von ihr wissen. Sie wußte zunächst nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte ihm ja nicht erzählen, daß sie ihn belauscht hatte. Er ließ sie wieder los und legte seine Dämonenrüstung wieder ab. „Jetzt beeil dich mit der Arbeit. Ich habe den Eindruck, du glaubst, ich würde es dir durchgehen lassen, wenn du herumtrödelst.“ Hastig setzte sie ihre Arbeit fort. Dabei stellte sie sich etwas ungeschickt an und ließ einige Kochgerätschaften mit lautem Klappern zu Boden fallen. Sein Gesicht zeigte deutliche Mißbilligung, was dazu führte, daß sie noch nervöser und ungeschickter wurde. Schließlich war sie mit dem Aufräumen fertig und schaute ihn fragend und etwas ängstlich an. „Wenn ich dir etwas auftrage, hast du es sofort und ordentlich zu erledigen“, teilte er ihr in ruhigem aber bestimmten Ton mit. „Und wenn ich dich etwas frage – so wie eben nach dem Grund für dein langsames Arbeiten – möchte ich sofort eine ehrliche Antwort haben“, fuhr er im gleichen Tonfall fort. Sie fühlte sich sehr unwohl und schaute verlegen vor sich auf den Boden. Er stand vor ihr und wartete. Diese Stille wurde ihr unerträglich. „Entschuldigung“, begann sie, immer noch auf den Boden schauend. „Sieh mich an, wenn du mit mir sprichst“, unterbrach er sie barsch. Es kam ihr vor, als koste es ihre gesamte Kraft, ihre Augen zu ihm zu heben und seinem strengen Blick standzuhalten. Er wartete noch immer auf ihre Antwort und sie rang mit sich, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. „Es tut mir leid“, begann sie schließlich, und es kostete sie große Mühe, die Augen nicht wieder zu senken, „ich habe Euch belauscht, wie Ihr mit Eric gesprochen habt.“
„Dann werde ich dich wohl bestrafen müssen“, entgegnete er ganz ruhig. Es war, als spreche er mehr mit sich selbst als mit ihr. Ihr Magen verkrampfte sich, während sie ihn gebannt und ängstlich anschaute. „Übrigens sagte ich dir bereits, daß du mich nicht mit ‚Ihr’, sondern mit ‚du’ anreden sollst.“ „Es tut mir leid“, kam es erneut gequält von ihr. Er entfernte die Kette von ihrem Halsreif und zog sie am Arm zu einem weiteren Ausgang der Höhle. Dort schob er sie in eine kleine Kammer mit einer schweren Tür und kettete sie an der Rückwand an. Ihre Hände fesselte er mit Handeisen hinter ihren Rücken. Dann wandte er sich wieder zum Ausgang. Bevor die massive Tür zuschlug, sagte er ihr noch: „Es war eine gute Entscheidung von dir, mich nicht zu belügen. Damit hast du dir eine schlimmere Strafe erspart.“ Dann schlug er die Tür zu und Katharina blieb gefesselt und in völliger Dunkelheit zurück. Sie fühlte sich elend und verlassen. War es denn so schlimm gewesen, was sie getan hatte? Während sie so dasaß und über ihre Lage nachdachte, spürte sie wieder diese seltsame Erregung in sich aufsteigen. Konnte es sein, daß sie nicht nur Furcht fühlte, sondern von Lucius’ Verhalten auch erregt wurde? Sie spürte den dringenden Wunsch, er möge ihr nicht böse sein. Und gleichzeitig sehnte sie sich danach, von ihm streng behandelt zu werden. Es war sehr verwirrend für sie. So hatte sie noch nie für jemanden empfunden. Andererseits fand sie es auch gemein, wie er auf diese Kleinigkeit reagiert hatte. Sie war schließlich mit dem Aufräumen schon fast fertig gewesen. Und daß sie in ihrer Situation neugierig war, konnte er ihr doch wohl kaum verübeln. Wie sollte sie sich verhalten, wenn er wiederkäme. Er wollte sie doch hier nicht einfach verhungern lassen, fuhr es ihr in die Glieder. Nein, das war unwahrscheinlich, beruhigte sie sich gleich wieder. Aber was wollte er dann? Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sollte sie versuchen, sich so demütig zu verhalten, wie einige Freundinnen ihrer Schwester? Sie hatte es immer idiotisch gefunden, wenn diese sich verhielten, als hätten sie keinen eigenen Willen. Aber auch Lucius hatte etwas von Demut gesagt. Und sie wollte, daß er mit ihr zufrieden war. Nein, das war nicht, was sie wirklich wollte. Sie wollte, daß er sich über ihr Verhalten freute und glücklich war. Wieder spürte sie dieses Kribbeln.
Eric saß im Dämmerlicht seines Verlieses und fragte sich, was wohl als nächstes kommen würde. Die Unterhaltung hatte der Dämon vorhin ziemlich abrupt abgebrochen, nachdem er ein Knirschen aus dem Gang gehört hatte. Viel hatte er bei dieser Unterhaltung ohnehin nicht erfahren. Allerdings schien der Dämon ihm lange nicht mehr so „dämonisch“. Er schien weder an der Seele der Frau noch an seiner interessiert zu sein. Und er hatte wohl auch nicht vor, sie zu fressen. Irgendwie verhielt er sich viel eher wie ein Mensch. Nur die lässige Überlegenheit, mit der er Eric besiegt hatte, ließ ihn noch zweifeln. Sicher, es war schon möglich, daß es bessere Kämpfer gab als ihn. Aber jemand, der nur menschliche Kräfte hatte, konnte ihm nicht dermaßen überlegen sein. Andererseits hatte Rudolf, sein Lehrmeister, einmal von einem Söldner erzählt, der gemeinsam mit ihm gekämpft hatte und dabei so furchteinflößend mit den meisten Waffen umgehen konnte, daß er es mit zehn der besten Schwertkämpfer gleichzeitig aufnehmen konnte. Eric hatte das für schiere Übertreibung gehalten. Aber Rudolf hatte darauf bestanden, daß es die reine Wahrheit wäre. Er hatte Eric auch den Namen dieses Ausnahme-Kämpfers genannt, doch der war ihm bald wieder entfallen. Was Rudolf wohl sagen würde, wenn er ihn hier sehen könnte? Aber er hatte wahrhaft größere Probleme als den Eindruck, den er auf seinen verstorbenen Lehrmeister machen würde. Während Eric diesen Gedanken nachhing, öffnete sich die schwere Zellentür und der Dämon erschien wieder. Erneut setzte er sich Eric gegenüber auf den Boden und schaute ihn an, sagte aber nichts. Eric wurde zunehmend nervöser. „Was hast du eigentlich mit mir vor?“, wollte er schließlich von dem Dämon wissen. „Willst du mir meine Seele rauben oder mich auffressen?“ Es war nicht Angst, die Eric fragen ließ. Lediglich die Ungewißheit nagte an ihm, ebenso wie die Stille, die von dem ihm gegenübersitzenden Monstrum ausging. Von diesem kam ein hohles Lachen. „Nein, ich bin weder an deiner Seele noch an deinem Fleisch interessiert“, antwortete er schließlich. Dann schwieg er wieder. Und nach einiger Zeit war es erneut Eric, der das Gespräch wieder aufnahm. „Was willst du dann von mir? Warum hältst du mich gefangen?“
„Eigentlich“, entgegnete das vermeintliche Höllenwesen, „will ich gar nichts von dir. Du bist es, der in meine Behausung eingedrungen ist und versucht hat, mich umzubringen. Und ich habe kein Interesse daran, Dir noch einmal die Gelegenheit dazu zugeben, indem ich dich einfach freilasse.“ Eric schaute ihn betroffen an. Alles, was der Dämon gesagt hatte, war zutreffend. Wenn jemand Schuld an seiner mißlichen Lage hatte, dann er selbst. Und er konnte es seinem Gegenüber nicht verübeln, ihn hier gefangen zu halten. Aber wie sollte es jetzt weitergehen? Würde er für immer ein Gefangener bleiben müssen? Natürlich würde er dann versuchen zu fliehen. Die Chancen standen allerdings sehr schlecht. „Du willst wissen, wie es mit dir weitergeht?“, fuhr die furchterregende Kreatur fort, „Dann mach du mir Vorschläge, was ich mit dir tun soll.“ Wieder schwieg Eric betroffen. Was sollte er denn schon für Vorschläge machen können? Er hatte keine Idee. Nach einer längeren Pause sprach der Dämon wieder zu ihm. „Erzähle mir, was du bisher erlebt hast. Vielleicht bekomme ich dann eine Idee, wofür du mir nützlich sein kannst.“ Und Eric erzählte dem Dämon sein ganzes Leben. Anfangs eher stockend und vorsichtig. Später sprudelte es nur so aus ihm heraus. Sein Gegenüber hörte aufmerksam zu, ohne Eric zu unterbrechen. Erst als Eric von Rudolf, dem Einsiedler und seinem Lehrmeister erzählte, wurde er unterbrochen und nach Details gefragt. Dann nahm der Dämon seinen Kopf ab und Eric erkannte, daß es sich nur um einen Helm mit Visier handelte. Zuerst konnte er gar nicht glauben, was er sah, doch dann begann für ihn auch das menschliche Verhalten dieses Dämons einen Sinn zu ergeben. Er war also gar kein Dämon, sondern ein Mensch. „Ich nehme an, dir ist klar, daß ich auf keinen Fall möchte, daß man in Fendrich erfährt, was es mit dem Dämon wirklich auf sich hat“, begann dieser. „Aber ich möchte demjenigen direkt in die Augen blicken können, der meinen alten Freund Rudolf auf seiner letzten Lebensphase begleitet hatte. Mein Name ist übrigens Lucius.“ Und Eric erinnerte sich schlagartig wieder, wie jener Ausnahme-Kämpfer hieß, von dem Rudolf ihm erzählt hatte: Lucius! „Ich glaube“, sagte Lucius zu ihm, „ich habe eine passende Verwendung für dich. Und wenn ich mit dir zufrieden bin, finden wir vielleicht auch einen Ausweg für dich.“ Lucius erhob sich und verließ die Zelle, ohne die Zellentür zu schließen. Zwar konnte Eric die Zelle nicht verlassen, da er ja an der Wand angekettet war, aber es war trotzdem eine Geste des Vertrauens und guten Willens. Und Eric nahm sich vor, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen.
Katharina wußte nicht, wie lange sie allein in dem dunklen Verlies zugebracht hatte. Und sie war sich noch immer nicht darüber im Klaren, wie sie sich Lucius gegenüber verhalten sollte, als die Tür quietschend aufging. Zunächst konnte sie nur in den helleren Gang hinein blinzeln, so hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Danach befreite Lucius sie von der Kette, die ihren Halsreif mit der Wand verband und führte sie aus dem Verlies heraus. Das Licht in der hellen Haupthöhle biß in ihre Augen. Dann stellte sich Lucius dicht vor sie und griff ihr unter das Kinn. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als ihm in die Augen zu schauen. „Höre mir jetzt genau zu“, eröffnete er ihr in sanftem, leisen Tonfall, in dem allerdings unterschwellig auch eine Drohung mitschwang, „es liegt an dir, wie dein Leben bei mir ablaufen wird. Du wirst mir bedingungslos und sofort gehorchen. Entweder freiwillig und aus eigenem Willen oder ...“ Er beendete den Satz nicht, aber ihr war völlig klar, was er meinte. „Was ist“, wollte sie wissen, „wenn ich das nicht kann, was ich tun soll?“ Für einen Moment überlegte Lucius, ob ihre Frage in Wirklichkeit trotzige Widerworte sein sollten. Aber so wie es aussah, war sie sich wirklich nicht sicher, ob sie alles tun könnte, was er von ihr verlangen würde. „Wenn du gehorchen willst, werde ich dir helfen, daß du es auch kannst.“ Nach einem Moment fügte er noch mit einem Lächeln hinzu: „Das heißt allerdings nicht, daß dir diese Hilfe immer angenehm sein wird.“ „Und was ist, wenn ich ...“, setzte sie erneut an. Lucius legte ihr einen Finger auf den Mund. „Still jetzt. Ich möchte nicht, daß du mich mit Fragen nervst, wie ein kleines Kind.“ Sie schaute ihn trotzig an. „Aber ich ...“ Er schaute sie streng an und sie verstummte. „Ich hatte dir doch gerade gesagt, daß du still sein sollst. Willst du nicht gehorchen? Oder kannst du es nicht?“ Sie blickte ihn stumm an und wußte nicht, ob sie jetzt reden durfte. „Wenn ich dir eine Frage stelle, darfst – oder genauer: mußt – du sie auch beantworten.“ „Ich will schon gehorchen“, antwortete sie leise, „aber es fällt mir manchmal schwer, den Mund zu halten.“ „Wenn das so ist“, entgegnete er mit einem Lächeln, „dann werde ich dir natürlich helfen.“ Mit schnellen Schritten durchquerte er die Höhle und nahm etwas aus einer Truhe. Dann kam er wieder zu Katharina zurück und schaute sie an. „Mach den Mund auf.“ Ängstlich tat sie es. Und er schob ihr einen Knebel hinein, den er hinter ihrem Kopf festband. „Jetzt fällt es dir doch bestimmt leichter, den Mund zu halten, oder?“, fragte er sie. Sie schaute ziemlich gequält, nickte aber mit dem Kopf. Der Knebel war ihr sehr unangenehm. Und da sie ihre Hände noch immer auf dem Rücken fixiert hatte, konnte sie sich auch nicht selbst befreien. Aber das hätte sie auch bestimmt nicht gedurft. Und sie wollte ihm ja gehorchen.
Kleine Freiheiten
Später befreite er ihr dann die Hände. Den Knebel mußte sie allerdings weiter anbehalten. Während sie von ihm wieder in der Nähe der Kochstelle an die Wand gekettet wurde, ging Lucius zu Eric. „Bist Du bereit, für mich Schmiedearbeiten zu erledigen und mir die Grundzüge dieses Handwerks beizubringen?“, wollte er von Eric wissen. Dieser war einverstanden, wohl wissend, daß Wohlverhalten für ihn die einzige Chance war, seine selbst verschuldete Gefangenschaft irgendwann einmal zu beenden. „Du bist dir natürlich im Klaren darüber, daß jeder Fluchtversuch und erstrecht jeder Versuch, mich anzugreifen, deine Lage drastisch verschlimmern würde.“ Das war Eric sehr wohl klar. Und nach seinem deklassierend gescheiterten Angriff auf Lucius machte er sich auch keine Hoffnungen, daß er ihn mit dem Schmiedehammer auch nur ernsthaft in Bedrängnis bringen könnte. So führte Lucius Eric in eine Art Hof, der rings herum von Felswänden umgeben war. In der Mitte stand eine einfache Schmiede. Eric wurde mit einer langen Kette an einer der Wände befestigt, hatte aber genug Bewegungsspielraum, um in der Schmiede zu arbeiten. „Ich hole jetzt die Waffen, die du ausbessern sollst“, meinte Lucius und verließ den Hof. Ein versonnenes Lächeln glitt über Erics Gesicht, während er die Kette durch die Hand gleiten ließ, die ihn mit der Felswand verband. Es sollte mit dem Schmiedehammer kein Problem sein, diese Kette zu zertrennen. Aber einerseits war ihm klar, daß er eine anschließende Auseinandersetzung mit Lucius nicht gewinnen konnte, anderseits begann er auch Vertrauen zu diesem Ausnahmekämpfer zu fassen, von dem sein Mentor Rudolf bereits geschwärmt hatte. Lucius hatte Eric durch eine Felsspalte beobachtet. Ihm war natürlich klar, was Eric durch den Kopf ging. Und er war froh, daß sein Gefangener sich beherrschte und keinen Versuch unternahm, die Kette mit dem Schmiedehammer zu zertrennen. Auch wenn dieser Versuch für Eric mit einer Überraschung geendet hätte. Dann wandte er sich ab, um Eric nicht zu lange in Versuchung zu führen. Während dieser das Feuer anheizte, brachte Lucius einige Blankwaffen, die vom vielen Gebrauch bereits tiefe Scharten hatten. Dann begann Eric mit der Ausbesserung der Schwerter. Es erstaunte ihn, wie unterschiedlich und teilweise auch exotisch die Hieb- und Stichwaffen aussahen. Und er fragte sich, wie lange man wohl braucht, um mit all diesen Waffen gut umgehen zu können. Daß Lucius mit all diesen Werkzeugen des Todes umzugehen wußte, stand für Eric außer Frage, zumal alle Klingen deutliche und frische Gebrauchsspuren zeigten.
Nachdem die ersten Schwerter wieder ausgebessert waren, nahm Lucius zwei von ihnen auf und übte im Hof mit ihnen. Eric schaute ihm mit offenem Mund zu und verbrannte sich die Hand am Schmiedeofen. So etwas hätte er nie für möglich gehalten. Lucius führte die Klingen nicht, er wurde Teil von ihnen. Und dies mit einer Geschwindigkeit, Perfektion und Grazie, die Eric überdeutlich vor Augen führte, wie chancenlos er bei seiner ersten Begegnung mit Lucius gewesen war. So dauerte es einen Moment, bis Eric den Schmerz seiner verbrannten Hand überhaupt wahrnahm. Unter leisem Fluchen kühlte er sie wieder in dem Wasser, daß er zum Ablöschen seiner Schmiedearbeiten bereitstehen hatte. Glücklicherweise hatte er sich nicht ernsthaft verletzt und nahm seine Arbeit gleich wieder auf. Lucius war dieser Vorfall natürlich nicht entgangen und er unterdrückte nur mühsam ein Grinsen. Als alle Klingen wieder gerade, scharf und schartenfrei waren, wollte Eric das Schmiedefeuer schon löschen, wurde aber von Lucius aufgehalten. „Ich möchte, daß du gleich noch Katharinas Keuschheitsgürtel entfernst. Und daß du für sie einen weiteren schmiedest, der bequemer für sie zu tragen ist und von mir jederzeit aufgeschlossen werden kann.“ Eric sah ihn erstaunt an. „So ein Keuschheitsgürtel“, erläuterte Lucius ihm lächelnd, „eignet sich hervorragend als Erziehungsinstrument. Er ist nicht brutal oder schmerzhaft, zeigt aber trotzdem normalerweise schon nach sehr kurzer Zeit Wirkung.“ Nur sehr widerwillig gestand Eric sich ein, daß der Gedanke an einen Keuschheitsgürtel auch ihn irgendwie erregte.
Lucius brachte die Waffen weg und kam kurze Zeit später mit Katharina wieder. Eric fiel auf, daß sie den Mund etwas verkrampft geschlossen hielt. So als wolle sie verhindern, aus versehen etwas zu sagen. Er wußte nicht, daß sie gerade erst den Knebel hatte ablegen dürfen – und das erst nach der Klarstellung, daß sie ihn sofort wieder anbekäme, wenn sie ungefragt sprechen würde. „Eric ist gelernter Schmied. Er wird dir jetzt deinen Keuschheitsgürtel abnehmen.“ Katharina nahm das mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits war sie froh, endlich aus diesem Ding herauszukommen, andererseits war es ihr peinlich, daß zwei Männer dabei anwesend waren. „Und“, fuhr Lucius fort, „er wird dir einen neuen Gürtel schmieden, der zwar etwas leichter und bequemer sein wird und den ich jederzeit aufschließen kann, der es dir aber nicht mehr erlauben wird, dich darunter zu berühren.“ Entsetzt schaute sie ihn an. Der Bewahrer ihrer Unschuld, den sie trug, verhinderte zwar jeden Geschlechtsverkehr, ließ ihr ansonsten aber genug Freiheiten, um sich darin zu befriedigen. Sie wollte protestieren, wurde aber mit einem strengen Blick von Lucius zur Ordnung gerufen. Und da sie nicht gleich wieder den Knebel bekommen wollte, schwieg sie und schaute Lucius nur gequält und flehend an. Doch dieser ließ sich nicht erweichen. Zunächst entfernte Eric ihr mit wenigen, geschickten Griffen und Schlägen des Schmiedehammers den alten Gürtel, während sie ihr Kleid hochhielt. Dann nahm er mit einigen flexiblen Eisenbändern bei ihr Maß, während sie vor Scham am liebsten im felsigen Boden versunken wäre. Schließlich machte Eric sich ans Werk und begann, einen sehr speziellen Bewahrer ihrer Lust zu schmieden. Katharina mußte zuschauen, während ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.
Sie warteten eine ganze Weile, während Erics Schmiedehammer in dem Hof dröhnte. Dann hatte er sein Werk soweit beendet, daß sie es anprobieren mußte. Das Unbehagen war ihr mehr als deutlich anzusehen, während sie den Keuschheitsgürtel anlegte. Nachdem Eric noch ein paar Korrekturen angebracht hatte, saß der Gürtel perfekt. Lucius nahm den Gürtel an sich und verließ mit Katharina den Hof, während Eric das Feuer löschte und die Schmiede wieder aufräumte. Katharina wurde in eine Felsenkammer geführt, in der ein unterirdischer Bach an einer Wand austrat und in einer gegenüberliegenden wieder verschwand. Sie mußte sich vor Lucius’ Augen waschen, was ihr sehr unangenehm war. Er bestand auch darauf, daß sie ihre Scham besonders gründlich reinigte, während sie sich in Grund und Boden schämte. Dann mußte sie sich breitbeinig vor ihn hinstellen und er schlang ihr ein Seil um die Hüften. Ein Ende zog er noch zwischen ihren Beinen durch, wobei er einen mittelgroßen Knoten genau auf Höhe ihrer Klitoris machte. Sie verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Zum Schluß legte er ihr den neuen Keuschheitsgürtel an und ließ ein kleines aber stabiles Schloß daran einrasten. Es fehlte nicht viel und Katharina wäre in Tränen ausgebrochen. „So“, begann Lucius zu ihr, „das wäre geschafft. Du wirst gleich aus einer etwas weiter entfernten Höhle Kleidungsstücke für dich holen und in die Haupthöhle bringen. Den Weg zeige ich dir. Allerdings wirst du dabei jeweils nur ein Kleidungsstück mitnehmen.“ Sie begriff nicht, worauf er hinauswollte, schwieg aber. Und er führte sie durch die Haupthöhle zu dem Kleiderdepot. Dort lagen mindestens fünfzig Frauenkleider unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Schnitts. Sie nahm das erste auf und folgte ihm zurück in die zentrale Höhle. Er sagte ihr, sie solle das weiße Kleid, das sie noch vom Opferritual anhatte, ablegen und das gerade geholte anprobieren. Er würde nur noch Eric in seine Zelle zurückbringen und käme es dann anschauen. Nachdem Eric – diesmal ohne Handeisen – zurück in seiner Zelle war, betrachtete Lucius ausführlich, wie ihr das Kleid stand. Sie mußte sich um die eigene Achse drehen, etwas hin und herlaufen, sich setzen und hinknien. Anschließend mußte sie das Kleid wieder vor seinen Augen ausziehen und auf einen der Stühle legen. Nur mit dem Keuschheitsgürtel bekleidet und dem Halsreif, den sie seit ihrer Ankunft ununterbrochen trug, hatte sie jetzt das nächste Kleid zu holen und vor ihm anzuziehen.
Vor allem bei ihren Gängen zu dem Raum mit den Kleidern und zurück spürte sie deutlich den Knoten des Seils, das Lucius ihr zwischen den Beinen befestigt hatte. Dieser Knoten stimulierte bei jeder Bewegung ihre Klitoris. Instinktiv faßte sie sich bei ihrem zweiten Weg an ihre Scham, berührte aber nur das harte Metall des neuen Keuschheitsgürtels. Schlagartig wurde ihr das Perfide der Kombination aus Seil und Gürtel bewußt. Mit jeder Bewegung steigerte sich ihre Lust, während sie keine Chance hatte, sie zu befriedigen. Als sie – bis auf den Gürtel nackt – mit dem zweiten Kleid bei Lucius ankam, standen ihre Brustwarzen bereits deutlich hervor. Und seinem Grinsen entnahm sie unmißverständlich, daß er genau das beabsichtigt hatte. Deswegen schickte er sie auch für jedes Kleid einzeln den Gang entlang. So wurde ihre Erregung immer stärker. Unbewußt bekam dadurch auch jede ihrer Bewegungen eine immer stärker werdende erotische Ausstrahlung. Die Vorführung der Kleider glich mehr und mehr einem lasziven Tanz. Zweimal setzte sie an, ihn darauf anzusprechen. Und beide Male ließ sie ein strenger Blick von ihm verstummen. Schließlich hatte sie ihm alle Kleider vorgeführt. Einige hatte er ausgewählt, den Rest mußte sie – auch diesmal wieder jedes Kleid einzeln – zurück in den Aufbewahrungsraum bringen. Nachdem sie dies erledigt hatte, wußte sie kaum noch wohin mit ihrer Lust. Flehend schaute sie ihn an. Er saß auf einem Nachtlager, winkte sie zu sich und begann, ihre Brüste zu streicheln. Am Morgen noch wäre sie dabei völlig verkrampft gewesen, jetzt jedoch reckte sie ihm ihren Körper förmlich entgegen. Sie schloß ihre Augen und verging fast vor Verlangen. So bekam sie im ersten Moment gar nicht mit, daß er ihren Halsreif wieder an der Wand festgekettet hatte. Als sie es merkte, war es ihr zunächst auch egal. Hauptsache, er hörte nicht auf, sie zu streicheln. Dann erhob er sich und verließ die Haupthöhle. Sie hätte am liebsten vor Enttäuschung geschrieen. Kurz darauf erschien er noch einmal, brachte ihr eine Decke und legte sie ihr um die Schultern. Sie zitterte vor Erregung und Frustration. Er nahm die in die Decke gehüllte Katharina in den Arm und streichelte ihr Haar. „Ist dir inzwischen klar geworden, was deine Aufgabe bei mir sein wird?“, fragte er sie in sanftem Tonfall. Sie nickte. „Ich werde Ihre – Entschuldigung – deine Dienerin und Geliebte sein“, antwortete sie mit leiser Stimme. Jetzt nickte er. „Wobei du meine Geliebte nur sein wirst, wenn du es von dir aus willst“, stellte er noch klar. Ich will es, schrie alles in ihr. Aber sie nickte nur und schaute ihm dabei tief in die Augen. Und sie glaubte darin etwas sehr Verletzliches und auch Verletztes zu sehen. Sie war so erstaunt darüber, daß sie kein weiteres Wort mehr herausbrachte. Dieser gefährliche, überlegene Kämpfer trug eine schmerzende, innere Last mit sich herum und litt offenbar Höllenqualen. Er gab ihr noch einen Kuß auf die Stirn und sagte ihr, daß sie jetzt schlafen solle. Dann verließ er sie und brachte auch Eric ein paar Decken, damit dieser sich die Nacht über bequemer zur Ruhe betten konnte.
Innere Dämonen
Katharina wälzte sich noch lange unruhig hin und her. Sie konnte keinen Schlaf finden. Zum einen, weil sie von Lucius’ Liebkosungen noch sehr erregt war, zum anderen, weil sie der Ausdruck in seinen Augen nicht mehr losließ. Es war, als habe sie einen so starken inneren Schmerz in ihm gespürt, daß er jetzt auch ihr zuschaffen machte. Sie kannte dieses Phänomen bereits von früher. Schon immer konnte sie mitfühlen, wenn jemand anderer an Schmerzen litt, egal, ob es körperliche oder seelische waren. Und häufig hatte sie auch – auf eine selbst für sie unverständliche Weise – diese Schmerzen lindern können. Gerne hätte sie Lucius jetzt geholfen. Aber er hatte sich auf der anderen Seite der Haupthöhle sein Nachtlager aufgeschlagen und war eingeschlafen. Vorher hatte er die leuchtenden Kristalle abgedunkelt, so daß jetzt nur noch ein schwaches Dämmerlicht herrschte. Katharina war froh, daß es nicht völlig dunkel war. Während sie noch versuchte, endlich einzuschlafen, hörte sie aus Lucius’ Richtung ein immer schwerer werdendes Atmen. Zuerst hielt sie es erschreckt für ein Tier, daß sich in die Höhle geschlichen hatte. Doch dann erkannte sie, daß es Lucius war, dessen Atmen immer lauter wurde. Schließlich wurde daraus ein gequältes Stöhnen und dann ein heftiges Luftholen. Sie hörte, wie er aufwachte, sich aufrichtete und erhob. Im Dämmerlicht sah sie, daß er sich noch kurz an die Wand lehnte und dann die Haupthöhle verließ. Offenbar wurde er von Albträumen geplagt. Und Katharina nahm sich vor, ihn darauf anzusprechen. Auch wenn sie ihn dabei ungefragt ansprechen müßte. Sie konnte zwar nicht erklären warum, aber sie war sich sicher, ihm helfen zu können. Schließlich fiel sie doch noch in einen tiefen Schlaf. Und sie träumte davon, mit Freude die demütige Dienerin und Geliebte von Lucius zu sein.
Auch Eric erwachte plötzlich mitten in der Nacht. Nach einem Moment der Orientierung wußte er wieder, wo er war. Und er sah, daß Lucius ihn von der Tür her beobachtete. „Paßt du auf, daß ich nicht im Schlaf fliehe?“, fragte er scherzhaft. Lucius lächelte schwach. „Ich wache nur über deine Träume“, gab er genauso wenig ernst zurück. Und so kamen die beiden mitten in der Nacht ins Gespräch. Eric erzählte Lucius davon, daß er schon immer davon geträumt hatte, als strahlender Kämpfer von Heldentat zu Heldentat zu ziehen. Und daß er Lucius um seine Fähigkeiten mit den Waffen beneidete. „Solche Fähigkeiten sind nicht nur ein Segen. Sie sind auch ein Fluch“, klärte dieser ihn auf. „Die Fähigkeit, stets siegreich zu kämpfen führt fast zwangsläufig dazu, viele Menschen zu töten.“ Und er erzählte Eric von seinen Albträumen, die ihn dazu gebracht hatten, sein Leben als Söldner aufzugeben und die er trotzdem noch immer nicht losgeworden war. Es wurde eine lange und nachdenkliche Unterhaltung, die die beiden Männer zu nachtschlafender Zeit führten. Und im Laufe dieses Gesprächs entwickelte sich ein unerwartet starkes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden. Schließlich merkten sie, wie trotz der anregenden Unterhaltung die Müdigkeit nach ihnen griff. Lucius ging wieder zu seinem Nachtlager und Eric schlief in seiner Zelle ein.
Als Katharina am nächsten Morgen erwachte, stellte sie fest, daß sie nicht mehr an der Wand festgekettet war. Sie hatte zwar noch immer den stählernen Halsreif an, die Kette zwischen diesem und der Wand fehlte allerdings. Während sie sich noch fragte, ob sie jetzt einfach aufstehen dürfe, kam Lucius zu ihr und wies sie an, sich um das Frühstück zu kümmern. Sie solle es für drei Personen vorbereiten. Unverzüglich machte sie sich an die Arbeit und fragte sich, ob Eric gemeinsam mit ihnen frühstücken dürfe oder ob ein Gast zu Besuch käme. Lucius verschwand für einen Moment und kam dann mit Eric wieder in die Haupthöhle. Auch dieser hatte zwar noch das Halseisen um, war ansonsten aber nicht mehr gefesselt. Beim Frühstück erzählte Lucius Katharina, daß er sich entschieden habe, Eric zu erlauben, sich außerhalb der Zelle aufzuhalten. Ein freies Herumlaufen in den Gängen war ihm allerdings verboten. Später gingen die beiden Männer wieder auf den Hof und Eric wies Lucius in die Schmiedekunst und die des Schmiedens von Damaststahl und Schwertern ein. Lucius stellte sich dabei sehr geschickt an, auch wenn ihm deutlich die Routine und die Erfahrung von Eric fehlte. Nachdem Katharina die Haupthöhle wieder auf Vordermann gebracht hatte, gesellte sie sich zu den beiden und beobachtete sie. Etwas erstaunt war sie schon von der Vertrautheit, die die beiden inzwischen verband. Und sie wünschte sich mit einer Spur von Neid, daß auch sie bald solch ein vertrauensvolles Verhältnis zu Lucius haben würde.
Sowohl Katharina als auch Eric waren allerdings sehr erstaunt, als Lucius anbot, Eric auch ein paar Tricks der Schwertkunst zu zeigen. Allerdings zeigte sich sehr schnell, daß Eric wohl noch Jahrzehnte brauchen würde, um auch nur annähernd an die Fähigkeiten von Lucius heranzukommen. Trotzdem verbesserte sich seine Kampfkunst deutlich und er lernte eine Menge dazu. Am Nachmittag hatten sie von der intensiven körperlichen Bewegung großen Hunger, und Katharina beeilte sich, ihnen allen ein schmackhaftes Essen zu bereiten. In die Unterhaltung, die sich während des vorzüglichen Essens entspann, wurde auch Katharina einbezogen, und es war, als säßen drei Freunde zusammen, die sich schon seit ewigen Zeiten kennen. Ganz offensichtlich fühlten sich alle wohl dabei, denn obwohl die Mahlzeit schon längst eingenommen war, saßen sie noch lange zusammen. Schließlich zog sich Eric in seine Zelle zurück, die jetzt die Aufgabe eines Gästezimmers übernommen hatte. Er wurde von Lucius nicht mehr festgekettet und auch die Zellentür blieb unverschlossen. Als Lucius Katharina zu ihrem Nachtlager brachte, fand sie endlich Gelegenheit, ihn auf seine Albträume anzusprechen. Erleichtert stellte sie fest, daß er ihr deshalb überhaupt nicht böse war, obwohl es ihm nicht ganz leicht fiel, ihr davon zu erzählen. „Bitte laß mich versuchen, dir zu helfen“, bat sie ihn. Sie schmiegte sich an seine Brust, schloß ihre Augen und begab sich in eine Art Trance. Und Lucius hatte plötzlich das Gefühl, als würden allmählich ganze Felsblöcke von seiner Seele genommen. Zärtlich streichelte er ihren Kopf. Nach einiger Zeit löste sie sich wieder von ihm und schaute ihm in die Augen. „Bitte laß mich auch deine Geliebte sein“, bat sie ihn. „Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll“, fuhr sie schüchtern fort, „aber ich wünsche mir von ganzem Herzen, dich glücklich machen zu können. Und ich werde mich bemühen, dir auch eine demütige Dienerin zu sein.“ „... auch wenn ich das wohl noch einige Zeit üben muß“, ergänzte sie lächelnd. Lucius blinzelte verlegen eine Träne der Rührung und Erleichterung weg und drückte sie fest an sich.
Eric wachte später noch einmal kurz in seiner Zelle auf und hörte lautes, ekstatisches Stöhnen aus der Haupthöhle. Grinsend, wenn auch mit einer Spur Neid, drehte er sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Sehr viel später lagen auch Lucius und Katharina erschöpft aber glücklich auf ihrem inzwischen gemeinsamen Nachtlager und schliefen schließlich ebenfalls ein. Katharina hatte zwar ihren Keuschheitsgürtel wieder anziehen müssen, das Seil mit dem Knoten hatte Lucius ihr aber erspart. Und es war die erste Nacht seit vielen Jahren, in der Lucius durchschlief, ohne von seinem Albtraum aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Bewährungsprobe
Am nächsten Morgen meinte Lucius, daß es für ihn wieder einmal Zeit würde, sich seinen Pflichten als Beschützer Fendrichs zu widmen. Eric bot sich spontan an, ihn zu begleiten. Als Lucius ihn etwas skeptisch ansah, meinte er: „Ich könnte etwas Bewegung gebrauchen. Und vielleicht habe ich ja Gelegenheit, das einzuüben, was du mir beigebracht hast.“ Nach einer kleinen Pause fügte er noch hinzu, daß Lucius ja wohl kaum Angst haben müsse, er könne fliehen oder ihn gar angreifen. „Ich weiß selbst, daß ich dabei chancenlos wäre“, ergänzte er noch. Lucius nickte und legte sich seine Dämonenrüstung an. Dann nahm er sich zwei Krummsäbel von der Wand und warf Eric dessen selbstgeschmiedetes Schwert aus Damaststahl zu. So ausgerüstet verließen sie das Gewirr aus Höhlen, in denen Lucius sich sein Zuhause geschaffen hatte. So streiften sie zu zweit durch die Wälder. Lucius wies Eric an, immer etwas seitlich versetzt hinter ihm zu laufen. „Sollten wir in einen Hinterhalt geraten, ist es viel schwieriger, uns beide gleichzeitig zu überraschen“, erklärte Lucius. Eric war überrascht von dieser Begründung. Für ihn hätte es sowieso nie eine Alternative zu einem Frontalangriff gegeben. Und er erkannte, daß er nicht nur beim Umgang mit der Waffe noch viel zu lernen hatte. Als sie bereits einige Zeit unterwegs waren, gab Lucius ihm plötzlich ein Zeichen, ganz still zu sein und stehen zu bleiben. Er verstand zwar nicht, warum, war jedoch überzeugt, sich auf das Urteil von Lucius verlassen zu können. Dieser bewegte sich jetzt praktisch lautlos vorwärts und hatte beide Hände an die Schwertgriffe gelegt. Jetzt, wo es ganz leise war, erkannte auch Eric, was Lucius mißtrauisch gemacht hatte. Ein leises Schnaufen und das dezente Klirren einer Kette war zu hören. Und plötzlich sprang eine riesige Gestalt aus einem Busch hervor und griff Lucius ohne Vorwarnung an.
Der Angreifer war mit einem groben, aber sehr dicken Holzschild und einem Morgenstern bewaffnet. Die Kette, an der die dornenbewehrte Kugel hing, hatte wohl vorhin die leise klirrenden Geräusche verursacht. Jetzt ließ der Angreifer diese gefährliche Kugel schnell rotieren und schlug damit nach Lucius. Dieser hatte einen großen Satz zur Seite gemacht, als der Recke aus dem Gebüsch hervorgebrochen war. Da der Angreifer vor allem auf brachiale Gewalt und schiere Kraft setzte, konnte Lucius seinen Attacken recht gut ausweichen. Allerdings kam er seinerseits nur schwer an diesen Riesen heran. Dessen Reichweite ließ Lucius nur wenig Spielräume für Angriffe. Und auch seine Versuche, schnell in den Rücken des Angreifers zu kommen, waren nicht von Erfolg gekrönt, da dieser sich blitzschnell umdrehte und Lucius’ Schwerthiebe mit dem groben Schild abwehrte. Eric trat jetzt ebenfalls vor, um sich in den Kampf einzumischen und Lucius zu unterstützen. Je näher er kam, desto verwirrter war er über die Größe des Angreifers. Es schien wirklich ein Riese zu sein. Und er war nicht nur groß, sondern auch muskelbepackt. Eric war ja wirklich nicht gerade schmächtig gebaut, aber gegen diese Gestalt kam er sich wie ein Kind vor. Als sich Lucius eben unter dem sirrenden Morgenstern und dem Schild des Riesen hinwegduckte und nach dessen Beinen schlug, zerbrach plötzlich das Schwert, mit dem er den Schlag ausgeführt hatte. Es war, als habe er auf Fels oder Metall geschlagen. Gerade noch rechtzeitig rollte er sich zur Seite, als die Stachelkugel die Erde an der Stelle zerfetzte, die er eben erst verlassen hatte. Diesen Moment wollte Eric ausnutzen, wurde aber von dem Riesen mit dessen Schild getroffen und einige Meter weit weggeschleudert.
Der Kampf tobte noch einige Zeit weiter. Eric tat schon jeder Muskel weh. Der Riese schien dagegen überhaupt nicht müde zu werden. Auch Lucius war keine Ermüdung anzusehen. Allerdings geriet er zunehmend in die Defensive. Sein verbliebenes Schwert schien den Angreifer nicht ernsthaft verletzen zu können. Eric schoß durch den Kopf, daß das genau das Problem war. Lucius’ Schwert war zwar aus einem recht guten Stahl, konnte aber mit Erics Damaszener Schwert nicht mithalten. Er wartete, bis Lucius wieder in seiner Nähe war und warf ihm sein Schwert zu. Dieser fing es geschickt auf und griff sofort wieder mit zwei Schwertern an. Erneut schlug er nach den Beinen des Riesen, diesmal allerdings mit Erics Waffe. Und diesmal zeigte der Schlag Wirkung. Der Riese brach in die Knie und wurde von Lucius mit einem weiteren Schlag enthauptet. Jetzt nahm Lucius seinen Helm ab und schnaufte schwer. Er warf Eric sein Schwert wieder zu. „Danke. Das war die entscheidende Hilfe“, meinte er zu Eric, während er sich an einen Baum lehnte. Nachdem er wieder ruhig atmete, ging er auf den Riesen zu und schaute ihn sich genau an. „Ein Bergtroll“, wunderte er sich. „Eigentlich gibt es die hier gar nicht. In einem entlegenen Teil von Manitien sollen welche leben.“ Jetzt schaute er sich auch die Stiefel und Beinschienen des Trolls an. Sie waren aus Schwertstahl gefertigt. Kein Wunder, dachte er sich, daß das Schwert zerbrochen war. Aber wie kommt ein Bergtroll an eine stählerne Rüstung? Diese Wesen waren zwar für ihre Aggressivität und ihre Kraft bekannt, nicht aber dafür, guten Stahl zu verarbeiten oder Handel zu treiben. Aber dieser Troll war sehr gut ausgerüstet. Eric nahm den Morgenstern auf und konnte ihn kaum heben. In seiner Hand sah dieses Mordinstrument noch monströser aus, als in der Pranke des Trolls. Fast drei Meter war der Angreifer groß, der jetzt tot vor ihnen lag. Erschöpft kehrten sie zur Höhle zurück.
Im ersten Moment erschrak Katharina, als sie die beiden zurückkommen sah. Sie schienen sehr erschöpft zu sein. Aber – wie sie erleichtert feststellte – waren beide unverletzt. Dann sah sie mit ungläubigen Augen das zerbrochene Schwert, das Lucius mitgenommen hatte und den Morgenstern, mit dem Eric sich abschleppte. Die beiden erzählten ihr von der Begegnung. Dann meinte Lucius zu Eric, daß er unbedingt Schwerter aus einem besseren Stahl bräuchte, um bei weiteren Begegnungen mit solchen Unholden eine Chance zu haben. Und die nächsten Tage schmiedete Eric einige Schwerter aus Damaststahl nach Lucius’ Vorgaben. Es war für ihn nicht wichtig, ob er damit einem Wunsch oder einem Befehl von Lucius nachkam. Es war richtig, Lucius mit den besseren Waffen auszustatten, also tat er es. Als Eric schon ein paar Schwerter geschmiedet hatte, kam Lucius mit der Kette auf ihn zu, mit der er ihn das erste Mal in der Schmiede festgekettet hatte. Und Eric fragte sich, ob Lucius etwa wieder anfing, ihm zu mißtrauen. „Ich nehme an, du erkennst diese Kette“, meinte Lucius lächelnd. „Da du gerade so richtig in Schwung bist, versuche doch mal, sie zu durchtrennen.“ Mit einer lässigen Bewegung schlug Eric mit dem Schmiedehammer auf die Kette. Doch zu seinem Erstaunen passierte überhaupt nichts. Dann schlug er noch einmal mit ganzer Kraft zu. Wieder bekam die Kette nicht einmal einen Kratzer. Dann versuchte er, die Kette zuerst im Schmiedefeuer zum Glühen zu bringen. Sie wurde zwar heiß, glühte aber kein bißchen. Nach einem letzten Hammerschlag, in den Eric seine ganze Kraft legte, gab er auf. Lucius lachte schallend. „Das ist eine Kette aus Mitril. Ich habe keine Ahnung, wie man das herstellt oder verarbeitet. Vor langer Zeit habe ich sie bei einem Würfelspiel gewonnen.“ Eric schaute die Kette immer noch verwundert an. „Aus diesem Material müßte man Schwerter schmieden können“, sinnierte er. „Dagegen dürfte sich auch der 300-fach gefaltete Damaststahl, den ich hier schmiede, wie Butter verhalten.“ Dann wandte er sich wieder den Blankwaffen zu, die er für Lucius herstellen sollte. Von einem besonders raffinierten Typ mußte Eric sogar drei Exemplare schmieden. Als die Arbeit vollbracht war, nahm Lucius eins davon in die Hand und gab es Eric. „Dieses hast du für dich selbst hergestellt. Ich zeige dir, wie du damit richtig kämpfst“, eröffnete er ihm. Dann wies er Eric in den Gebrauch dieser Waffe ein. Eric konnte nicht beidhändig kämpfen wie Lucius, so daß es auch keinen Sinn gemacht hätte, sich noch ein weiteres Schwert dieser Art zu schmieden. Aber Eric stellte fest, daß er das neue Schwert in den meisten Situationen besser einsetzen konnte, als sein altes. Natürlich würde er sein erstes Schwert behalten. Aber das neue würde für ihn fortan die erste Wahl sein. Nach dem Abendessen eröffnete Lucius ihm, daß er ab sofort kein Gefangener mehr wäre. Er nahm Eric das Halsband ab. „Und ich würde mich freuen, dich zum Freund zu haben“, ergänzte er und reichte Eric die Hand, die dieser sofort ergriff. „Du kannst gerne noch etwas bleiben, es steht dir allerdings frei, deine Wanderung jederzeit fortzusetzen. Und du wirst hier stets willkommen sein.“ Dann wandte er sich auch Katharina zu. „Ich denke, dich kann ich jetzt auch von dem Halsband befreien“, sagte er. „Ich würde es gerne als Zeichen dafür anbehalten, daß ich mit Freuden deine Dienerin und Geliebte bin“, antwortete sie leise. Und sie sah in Lucius’ Gesicht, daß sie ihm damit eine große Freude gemacht hatte. „Dann gebe ich dir ein etwas schmaleres, das angenehmer zu tragen ist“, sagte er und tauschte ihr Halsband gegen ein schmales, mit Ornamenten graviertes Exemplar aus.
Einige Tage später verabschiedete Eric sich von Lucius und Katharina. Lucius brachte ihn zum Ausgang der Höhle und wandte sich noch einmal kurz an ihn. „Du könntest mir noch einen Gefallen tun“, sagte er und bat ihn um einen kleinen Botengang. Dann verabschiedeten sie sich, und Eric folgte dem Weg in Richtung Fendrich, um später von dort aus seine Wanderung wieder aufzunehmen. Katharina ging allmählich ganz in ihrer Rolle als Dienerin und Geliebte von Lucius auf. Allerdings litt sie etwas unter der Einsamkeit, in der Lucius lebte. Vor allem mit ihren Eltern hätte sie gerne gelegentlich gesprochen. Eines Tages kam Lucius von einem seiner Rundgänge zurück in die Höhle und forderte Katharina auf, ihm gleich wieder nach draußen zu folgen. Seine Dämonenrüstung legte er noch schnell vorher ab. Katharina fragte sich, worum es denn eigentlich ging, hatte aber gelernt, Lucius nicht mit Fragen zu nerven, wenn er sie erkennbar nicht beantworten wollte. Als sie auf eine kleine Lichtung kamen, traute sie ihren Augen nicht. In der Mitte der Lichtung waren ihre Eltern dabei, ein Wildschwein an einem Lagerfeuer zu grillen. Später erfuhr sie von Lucius, daß er Eric gebeten hatte, ihrer Familie diesen Treffpunkt mitzuteilen. Am liebsten wäre sie sofort auf ihre Eltern zugestürmt, aber sie würde Lucius nicht durch ungebührliches Benehmen bloßstellen. Der schaute sie an, lächelte und gab ihr einen Klaps. „Laß dich nicht aufhalten“, raunte er ihr zu. Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten groß. Später erklärte Lucius den Eltern unter dem Siegel der Verschwiegenheit, was es mit dem Dämon und ihrer Tochter auf sich hatte. Katharinas Vater wunderte sich, wie Lucius es geschafft hatte, Katharina ihr zeitweise aufmüpfiges Verhalten abzugewöhnen. Er habe das nicht einmal in vielen Ehejahren bei seiner Frau geschafft. Als Lucius es ihm erzählte, lachte er lauthals auf. Und er fragte Lucius, ob er ihm nicht auch einen Keuschheitsgürtel für seine Frau schmieden könnte. Diese schaute ihn entrüstet und erschreckt an. Dann mußten alle lachen. Es wurde ein schönes Treffen und sie vereinbarten, es öfter zu wiederholen. Später saß Katharina wie so oft zu Lucius Füßen, während er ihr das Haar streichelte. „Darf ich dir eine Frage stellen?“, kam es zaghaft von ihr. „Natürlich darfst du“, antwortete er. „Es gibt da etwas, daß mich schon lange beschäftigt.“ Sie holte tief Luft und fragte schließlich: „Was passiert eigentlich in fünf Jahren, wenn die nächste Jungfrau für dich ausgelost wird?“ Einen Moment antwortete er nicht. Dann holte er sie zu sich hoch und setzte sie auf seinen Schoß. Er schaute ihr tief in die Augen und las darin eine starke Verunsicherung. „Das hängt von dir ab, Katharina. Wenn du dann immer noch bei mir bleiben willst, wird es keine neue Verlosung geben.“ Sie fiel ihm um den Hals und schluchzte vor Erleichterung. „Ich will bei dir bleiben – für immer.“
Alles schien sich geradezu unheimlich harmonisch zu entwickeln. Und so kam es um so überraschender, als das Unglück nicht nur über Fendrich, sondern über ganz Landor hereinbrach.
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(AutorIn)
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Apropos "Episode": Die Story ist wesentlich länger als alle bisherigen von mir. Sie ist in sechs Episoden unterteilt, die mehr oder weniger abgeschlossen sind, aber auf einander aufbauen.
Viel Spaß.
Why-Not«
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Freue mich schon auf die angekündigten Episoden!
Mein ganz großes Kompliment!
Michael«
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Hab gerade den zweiten Teil gelesen.
Danke «
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Also muß sagen, da ist euch eine wirklich Klasse Geschichte gelungen. Lese ja gerne Wolfgang Hohlbein und so, und da muß sich eure Geschichte nicht hinter verstecken.
Ist wirklich ne Klasse Story, wirklich spannend geschrieben, und man will wissen wie es weiter geht und saugt die Geschichte in sich hinein.
OK ganz so erotisch ist sie nicht, wie die meisten Geschichten hier und wie ich es auch eher erweartet hätte. Aber das macht die Spannung und der gute Schreibspiel wett.
Klar kleine erotische Passagen sind stellenweise eingebaut, stellenweise hätte man meiner Meinung vielleicht etwas mehr ins Detail gehen können. Aber trotzdem eine super Geschichte «
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Leider kommt die Erotik zu kurz!!!
Trotzdem super.
«
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Viele Grüße«
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