Dunkle Wolken über Landor (2 - Wolfsreiter)
von Why-Not
Episode 2 – Angriff der Wolfsreiter
Die Amazone
Es war bereits das dritte Mal, seit sie die Grenze passiert hatte, daß sie einer Patrouille ausweichen mußte. Da sie bemüht war, das sehr weiträumig zu tun, hatte sie auch noch keine Gelegenheit gehabt, diese Soldaten näher in Augenschein zu nehmen. Aber es schien hier regelrecht von ihnen zu wimmeln. Und da es nicht in ihrem Interesse war aufzufallen, setzte sie erneut zu einem Umweg an. So würde es schwierig werden, die Stadt Westhoven noch an diesem Tag zu erreichen. Sie hatte sich zwar schon gefreut, mal wieder eine Nacht in einem richtigen Bett zu verbringen, aber ihr Auftrag war zu wichtig, um aus solchen Gründen gefährdet zu werden. Wahrscheinlich würden die Soldaten zunächst gar keinen Verdacht schöpfen, daß sie mehr war, als eine gewöhnliche Reisende. Andererseits waren alleinreisende Frauen in diesen Zeiten aber schon ungewöhnlich genug. Und wenn die Soldaten dann auf die dumme Idee kämen, sich mit ihr vergnügen zu wollen, wäre sie endgültig gezwungen, ihre Tarnung aufzuheben. Dann eben noch eine Übernachtung im Wald, seufzte sie in Gedanken und zog ihren Umhang enger um die Schultern. Eigentlich war ihr der Umhang bei dem milden Klima zu warm, aber ihre Kleidung darunter war einfach zu aufsehenerregend. Sie begann sich zu fragen, ob es für den ersten Teil ihrer Mission nicht sowieso schon zu spät war. Die häufigen Patrouillen deuteten jedenfalls darauf hin. Denn, soweit sie das bis jetzt hatte erkennen können, waren diese Soldaten nicht aus Westhoven. Das konnte eigentlich nur bedeuten, daß der Angriff auf diese Stadt entweder unmittelbar bevorstand oder bereits stattgefunden hatte. Sie fluchte leise über das Unwetter, das ihre Anreise um Tage verzögert hatte. Das Wetter hatte sich vier Tage lang förmlich gegen sie verschworen und das Grenzland fast unpassierbar gemacht.
Nachdenklich fragte sie sich, ob bei den schweren Stürmen nachgeholfen worden war. Zumal sie wußte, daß Magier ab der vierten Stufe dazu in der Lage waren. Bei der Heftigkeit der Stürme müßten aber schon mehrere Magier zugange gewesen sein. Und es gab insgesamt nur 15 Magier, die sich auf der vierten oder einer höheren magischen Stufe befanden. Aber bisher kannte sie ohnehin nur wenige Magier persönlich. Und einigen, von denen sie bisher nur gehört hatte, wollte sie lieber nicht persönlich begegnen. Sithar, der zwielichtige Ratgeber von König Kronos von Manitien, war so einer. Über diesen Magier der Stufe 6 gab es nur furchterregende Geschichten. Trotz der Wärme fröstelnd dachte sie wieder an ihre Aufgabe. Egal, ob die Stürme jetzt natürlich entstanden oder magisch herbeibeschworen worden waren, so wie es aussah, kam sie für den ersten Teil ihrer Mission zu spät. Da allmählich die Dämmerung einsetzte, stieg sie schließlich von ihrem Pferd. Sie wollte nicht, daß es sich verletzt, wenn sie abseits der Wege im Halbdunkel durch den Wald ritt. Also ging sie voraus und führte das Pferd am Zügel hinter sich her. Auf diese Weise kam sie allerdings nur noch langsam voran. Und schließlich entschied sie, daß es Zeit für ihr Nachtlager wurde. Sie ging noch etwas weiter, hielt aber die ganze Zeit Ausschau nach einer geeigneten Stelle. Ideal wäre eine Senke, in der sie unbemerkt ein kleines Feuer anmachen könnte. Sie hatte im Laufe des Tages ein Rebhuhn erlegt und wollte es nicht roh essen müssen. Aber sie wollte auch nicht von den Patrouillen gesehen werden. Andererseits würden diese Soldaten sicher nicht noch mitten in der Nacht im Wald Streife laufen. Auch tagsüber waren sie immer beritten und nur auf den Wegen unterwegs gewesen. Sie würde das Feuer riskieren, entschied sie sich.
Als sie endlich eine geeignete Stelle gefunden hatte, brannte dort bereits ein Feuer. Innerlich fluchte sie heftig. Sie wollte nicht noch länger nach einem Nachtlager suchen. Zuerst band sie ihr Pferd an einen Baum, dann schlich sie sich langsam auf das Lagerfeuer zu. Es schien verlassen zu sein. Aber wer schichtet ein Feuer auf und verläßt es dann? Oder war es eine Falle? Aber für wen? Von ihr sollte eigentlich niemand etwas wissen. Katzengleich umrundete sie das Lagerfeuer zweimal in kleiner werdenden Kreisen, aber es war niemand zu sehen. Und sie konnte auch nichts entdecken, was auf eine Falle hinwies. So ging sie wieder zurück zu ihrem Pferd und band es los. Immer noch sehr wachsam ging sie jetzt direkt auf das Feuer zu. Sie versorgte ihr Pferd, setzte sich am Feuer nieder und begann, ihr Rebhuhn zuzubereiten. Dann hörte sie zwischen dem Knistern des Feuers das leise Knacken von Ästen. Es schien sich jemand anzuschleichen, war dabei allerdings nicht sonderlich geschickt. Vorsichtig griff sie mit einer Hand unter ihren Umhang und umschloß ihr Schwert. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Wer immer sich näherte, er stand jetzt bereits höchstens drei Meter hinter ihr. Wenn sie noch länger zögerte, war es womöglich zu spät. Blitzschnell sprang sie auf, drehte sich herum und zog ihr Schwert. Ihr Umhang fiel dabei neben dem Feuer auf die Erde.
Überraschende Gefährten
Irgendwann sollte er einmal lernen, mit Pfeil und Bogen umzugehen, dachte Eric, als er versuchte, mit einer kleinen Lanze den Hasen zu erlegen, dem er jetzt schon seit zehn Minuten auf den Fersen war. Hoffentlich war sein Lagerfeuer nicht heruntergebrannt, bis er sich etwas zum Grillen erlegt hatte. Zu allem übel wurde es allmählich dunkel und so gab Eric es schließlich verärgert auf, den Hasen noch zu erwischen. Mit knurrendem Magen machte er sich auf den Rückweg zu seinem Feuer. Immerhin hatte sich das Wetter heute wieder deutlich gebessert. Die letzten Tage schien es, als wolle die Welt untergehen. Solche Stürme hatte er noch nie erlebt. Und er fragte sich, ob da alles mit rechten Dingen zuging. Andererseits wußte er auch so gut wie nichts über die Magier, die hin und wieder in Legenden vorkamen, daher verwarf er den Gedanken wieder, ob das Unwetter durch Magie herbeigerufen sein könnte. Er hatte schon vor Tagen in Westhoven eingetroffen sein wollen, statt hier durch den Wald zu irren und vergeblich Hasen zu jagen. Lucius hatte ihm den Tip mit Westhoven gegeben. Da dieses Fürstentum in unmittelbarer Nähe zu den Ländern Kartun und Manitien lag, hatte es durch Handel einigen Wohlstand angehäuft. Besonders der Handel mit dem reichen Kartun war wohl sehr gewinnbringend. Gleichzeitig gab es dort natürlich auch große Probleme mit Räubern, so daß er sich mit dem Schutz von Handelskarawanen oder Handelsstationen einiges verdienen konnte. Westhoven war Lucius zufolge Fürstentum und Stadt in einem, wie eigentlich jedes Fürstentum in Landor. Der Machtbereich der kleinen Fürstentümer erstreckte sich selten über das direkte Umland der Stadt hinaus, in der die Fürsten residierten. Deswegen hatte es ihn auch sehr erstaunt, als er bereits vor zwei Tagen Patrouillen auf den Wegen nach Westhoven gesehen hatte. Und da er bei deren Anblick ein seltsam bedrohliches Gefühl gehabt hatte, war er lieber abseits der Wege unterwegs gewesen.
Als er sich mißmutig wieder seinem Lagerfeuer näherte, sah er, daß es sich bereits jemand an seinem Feuer gemütlich gemacht hatte. Es roch nach gebratenem Fleisch und Eric lief das Wasser im Munde zusammen. Gleichzeitig ärgerte er sich, das sich jemand, ohne zu fragen, seines Feuers bemächtigt hatte. So leise er konnte, näherte er sich der Gestalt. Sie sollte sich wenigstens etwas erschrecken, für diese Unhöflichkeit. Aber vielleicht war sie ja sogar gefährlich. Sicherheitshalber nahm er die kleine Lanze in die linke Hand und umschloß mit der rechten fest den Griff seines neuen Schwertes. Seit Lucius ihm gezeigt hatte, wie man damit umging, hatte es für ihn noch keine Gelegenheit gegeben, diese besondere Waffe einzusetzen. Allerdings wollte er sich auch nicht duellieren, bloß weil sich jemand unaufgefordert an sein Lagerfeuer gesetzt hatte. Als er näher kam, erkannte er verwundert, daß es eine Frau war, die sich seines Feuers bemächtigt hatte. Er konnte sie in ihrem Umhang zwar nur schemenhaft erkennen, aber die Art, wie sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, ließ kaum eine andere Deutung zu. Kaum war er in die Senke getreten, sprang sie blitzschnell auf und hatte zu Erics Verblüffung ein Schwert in der Hand. Ihr Umhang war zu Boden gefallen. Und sie stand vor ihm in einem Lederharness, der ihm erst einmal den Atem raubte. Er fragte sich, ob diese Bekleidung wohl irgendwo noch als angezogen durchgehen würde. Zwar waren ihre Scham und ihre Brüste bedeckt, doch schien die „Kleidung“ ihre Körperformen viel mehr zu betonen als zu verhüllen. Nackt hätte sie jedenfalls angezogener ausgesehen. Der Anblick war ihm allerdings keineswegs unangenehm. Es fiel ihm im Gegenteil schwer, seine Augen wieder loszureißen.
„Wenn du mich weiter so anstarrst, fallen dir noch die Augen aus den Höhlen“, riß sie ihn mit einem arrogant herablassenden Grinsen aus seiner Verblüffung. „Und erwarte nicht von mir, daß ich dir dann suchen helfe.“ Allmählich gewann er seine Fassung wieder. „Dafür, daß du dich ungefragt an mein Feuer gesetzt hast, hast du ein ziemlich loses Mundwerk. Oder glaubst du, daß es mich beeindruckt, wenn eine Dirne mit dem Schwert herumfuchtelt?“, gab er verärgert zurück. Bei der Anrede „Dirne“ verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck, und als er vom Herumfuchteln mit dem Schwert sprach, zuckte ihres in Richtung seiner Brust. Instinktiv schlug er es mit seiner Waffe zur Seite und wirbelte herum und hinter sie, wie er es von Lucius gelernt hatte. Seine Klinge raste dabei wie von selbst auf ihren Rücken zu. Im letzten Moment entschärfte er diesen Angriff, da er nicht vorhatte, ihr ernsthafte Verletzungen zuzufügen. Statt dessen traf sein Schwert mit der Breitseite laut klatschend auf ihren Hintern. Im ersten Moment war sie von diesem Manöver so überrascht, daß sie sich nicht mehr rechtzeitig vor seinem Angriff in Sicherheit bringen konnte. Und der schmerzende Hintern machte sie wütend. Nach einigen, eher unkoordinierten Angriffen auf Eric hatte sie sich allerdings wieder unter Kontrolle. Und sie griff ihn nun so geschickt an, daß er das ganze Können aufbieten mußte, das Lucius ihm in letzter Zeit beigebracht hatte, um nicht seinerseits einige Male schmerzhaft mit ihrer Klinge Bekanntschaft zu machen. Beide legten es allerdings nicht darauf an, dem anderen ernsthafte Verletzungen zuzufügen. Und so umkreisten sie sich nach einiger Zeit lauernd, um eine Schwachstelle des Gegners zu erkennen und ihre Überlegenheit zu beweisen. Dabei bemerkten beide, daß sie einen gefährlichen Gegner vor sich hatten, der sich jedoch zurückhielt.
Als das Rebhuhn auf dem Feuer begann, leicht verbrannt zu riechen, meinte Eric schließlich, daß sie ihren Streit wohl besser begraben und sich gemeinsam dem Rebhuhn zuwenden sollten. „Zuerst nimmst du die Dirne zurück“, antwortete sie. „Da ich noch keine Dirne gesehen habe, die so wie du mit dem Schwert umgehen kann“, gab Eric grinsend zurück, „muß ich mich wohl getäuscht haben.“ Und er erfuhr, daß sie eine Amazone – also eine spezielle Kriegerin – war und Melissa hieß. In diesem Moment kamen drei Leute in die Senke gestürmt, zwei Frauen und ein Mann. Alle drei schauten sich gehetzt und panisch um. Hinter ihnen krachten einige Äste und sie rannten an dem Feuer vorbei auf die andere Seite der Senke. Kurzzeitig schienen sie nicht zu wissen, ob sie mehr Angst vor ihren Verfolgern oder vor Eric und Melissa haben sollten, die mit gezückten Waffen vor dem Feuer standen. Aber die Angst vor den Verfolgern war offensichtlich stärker. Dann brach etwas aus dem Unterholz heraus, was Eric zunächst nicht einordnen konnte. Erst dachte er, die Leute seien vor einem gefährlichen Tier geflüchtet, da er zunächst einen riesigen Wolf mit etwa einem Meter Schulterhöhe sah. Dann erkannte er allerdings, daß ein kleiner Reiter auf dem Wolf saß und einen Bogen in der Hand hatte. Wahrscheinlich wäre es in diesem Moment bereits um die Flüchtenden geschehen gewesen, wäre der Wolfsreiter nicht ebenfalls von dem Feuer und den beiden Kriegern mit gezückten Schwertern irritiert gewesen. Er schien unschlüssig zu sein, wen er zuerst töten solle. Dann entschied er sich für Eric, dem es gerade noch gelang, sich hinter den Baum zu werfen, hinter dem er auch seine Ausrüstung in einem Laubhaufen versteckt hatte. Zuerst zog Eric sein Schild aus dem Haufen, um sich gegen die Pfeile des Wolfsreiters schützen zu können. Dann nahm steckte er das neue Schwert weg und zog sein altes aus dem Versteck hervor. Ihm war aufgefallen, daß sowohl der Wolf als auch der Reiter eine ähnliche Panzerung zu haben schienen, wie er sie bereits bei dem Bergtroll gesehen hatte, mit dem er und vor allem Lucius nur unter Aufbietung aller Kräfte fertig geworden waren. Zwar wäre auch sein neues Schwert widerstandsfähig genug gewesen, die Panzerung zu durchschlagen, aber mit der älteren, schwereren Klinge konnte er kräftiger zuschlagen. Lucius’ Technik, die Waffe aus dem Handgelenk heraus so stark zu beschleunigen, daß es die gleiche Wirkung hatte, ging über seine eigenen Fähigkeiten noch immer deutlich hinaus.
Während Eric sich für diesen Gegner die geeigneten Waffen griff, brach ein weiterer Wolfsreiter durch das Unterholz und griff ohne zu zögern Melissa an. Auch sie war zwischenzeitlich zu ihrer Ausrüstung gesprintet, die sich noch bei ihrem Pferd befand und hatte zu einen langen Bogen nebst Pfeilen gegriffen, während ihr Schwert wieder im Gürtel steckte. Dann entfernte sie sich wieder etwas von ihrem Pferd, damit es nicht von einem Pfeil des Wolfsreiters getroffen wurde, der eigentlich für sie bestimmt war. Eric, der die Szene nur aus den Augenwinkeln verfolgte, da er seinerseits den Pfeilen des anderen Wolfsreiters ausweichen mußte, sah mit Unverständnis und Entsetzen, daß Melissa plötzlich ganz still stehen blieb und in aller Ruhe ihren Bogen spannte. Der Wolfsreiter kam unterdessen frontal auf sie zu gestürmt. Wie in Zeitlupe zielte sie und ließ einen Pfeil von der Sehne schnellen. Eric wollte ihr noch zurufen, daß die Panzerung des Reiters zu stark für ihre Pfeile wäre. Zu seiner Verblüffung stürzte der Reiter tödlich getroffen von dem Wolf. Melissas Pfeil hatte ihn genau durch eine Öffnung im Visier ins Auge getroffen. Im letzten Moment sprang Melissa hoch und zog sich an einem Ast aus der Reichweite des Wolfs. Eric wandte jetzt seine volle Aufmerksamkeit dem anderen Wolfsreiter zu, der inzwischen ebenfalls auf ihn zugestürzt kam. Während er mit seinem Schild einen weiteren Pfeil des Wolfsreiters abwehrte, holte er mit seinem großen Schwert weit aus und ließ es mit ganzer Kraft auf den Schädel des Wolfes krachen, der jetzt unmittelbar vor ihm sein großes Maul aufriß. Der Wolf brach unvermittelt zusammen und der Reiter schaffte es gerade noch, sich abzurollen, ohne unter seinem Reittier zu liegen zu kommen. Er zückte zwei mit einer Kette verbundene Doppeläxte und ließ sie über seinem Kopf kreisen, während er auf Eric zukam. Dann ließ er die eine Axt losfliegen, während er die andere fest in der Hand hielt. Eric hatte sich unter der Axt weggeduckt. Doch als die Kette ganz gespannt war, zuckte die Axt wieder zurück und riß eine Schramme in seinen Rücken. Laut fluchend griff Eric wieder zu seinem leichteren Schwert und stürmte auf den Reiter zu, der bereits erneut mit seiner seltsamen Waffe Schwung holte. Als er merkte, daß Eric ihn erreichen würde, bevor er seine Axt richtig einsetzen könnte, ließ er sie nur gegen dessen Schild krachen, während er versuchte, mit der zweiten Axt nach Erics Beinen zu schlagen. Bevor ihm das gelang, traf ihn Erics Klinge bereits tödlich. Jetzt wollte Eric sich dem verbliebenen Riesenwolf zuwenden, der noch unter dem Baum stand, auf den Melissa sich gerettet hatte. Doch in dem Moment ließ sie sich mit der Schwertklinge nach unten aus dem Baum direkt auf den Rücken des Wolfs fallen und rammte ihm die Klinge durch den Rücken ins Herz.
Nachdem die unmittelbare Gefahr vorüber war, schauten Eric und Melissa sich ihre Gegner genauer an. Die Reiter schienen Gnome oder ähnliche Wesen zu sein. Sie waren klein und – nachdem Eric ihnen den Helm mit Visier abgenommen hatte – abgrundtief häßlich. Und in dem Maße, in dem die Reiter zu klein waren, waren die Wölfe zu groß geraten. Auch ohne Pfeile verschießende, axtschwingende Reiter waren sie bereits gefährliche Raubtiere. Kopfschüttelnd wandten sich die beiden den Flüchtlingen zu, die noch immer völlig verängstigt und zusammengekauert am Rand der Senke saßen. Von ihnen erfuhren sie, daß die Wolfsreiter und weitere monströse Wesen vor drei Tagen Westhoven angegriffen und völlig zerstört hatten. Einige wenige Bewohner hatten fliehen können. Auch der Fürst von Westhoven, Willur, hatte sich wohl schwer verletzt in Sicherheit bringen können. Anderen war es gelungen, sich innerhalb der Ruinen der Stadt vor den Wolfsreitern zu verstecken. So hatten auch die drei Flüchtlinge überlebt. Nachdem sie allerdings ihr Versteck verlassen hatten, um sich in Sicherheit zu bringen, wurden sie entdeckt und von den beiden Wolfsreitern verfolgt. Fragen nach der Stärke und Zusammensetzung der Streitmacht, die Westhoven erobert hatte, konnten die Verängstigten jedoch nicht beantworten. Als die Flüchtlinge erwähnten, daß sie seit drei Tagen schon nichts mehr gegessen hatten, erinnerten sich auch Melissa und Eric ihres Hungers. Auf dem Feuer, das allmählich herunterbrannte, waren nur noch die verkohlten Überreste des Rebhuhns, das Melissa erlegt hatte. Da es inzwischen für die Jagd eindeutig zu dunkel war, schlug Eric vor, Riesenwolf auf die nächtliche Speisekarte zu setzen.
Unerwartete Fähigkeiten
Während Eric sich mit einem der Flüchtlinge daran machte, den Wolf waidmännisch zu zerlegen, wandte Melissa sich den beiden weiblichen Flüchtlingen zu. Eine von beiden schaute teilnahmslos in das Feuer und ließ sich nicht ansprechen. Die andere erzählte Melissa, daß Marijan – so der Name der Teilnahmslosen – miterlebt hatte, wie ihre gesamte Familie von den Wolfsreitern abgeschlachtet worden war. Die letzten Tage hatte sie ununterbrochen schreckliche Angst gehabt und die letzte Verfolgung war wohl endgültig zu viel für sie gewesen. Melissa nickte. „Und wie ist dein Name?“, wollte sie wissen. „Ich heiße Helena und mein Mann heißt Julius“, erzählte sie. Sie beide waren frisch verheiratet und hatten einen alten Onkel ihres Mannes in Westhoven besucht, als der Angriff losbrach. Eigentlich kamen sie aus dem Fürstentum Falibor, daß zwei Tagesreisen entfernt lag. Melissa sah, daß auch Helena der Schrecken noch in den Gliedern steckte. Allerdings hatte sie bei dem Angriff niemanden verloren, der ihr nahe stand. Und den Onkel ihres Mannes, der bereits bei der ersten Angriffswelle von einem Pfeil getötet worden war, kannte sie erst seit einem Tag. Sie hatte noch die Hoffnung, mit nicht viel mehr als einem Schrecken aus der ganzen Sache herauszukommen. Melissa bat Helena, Marijan gut zuzureden und in den Arm zu nehmen. Diese Frau war, soweit man das beim Schein des Lagerfeuers und des Mondes erkennen konnte, kalkweiß im Gesicht und zitterte leicht. Dann ging Melissa zu Eric, der immer noch mit Julius an dem Riesenwolf zugange war. „Gibt es hier in der Nähe einen Bach oder einen Teich?“, wollte sie von Eric wissen. Der schaute kurz von seiner blutigen Tätigkeit auf und musterte sie irritiert. „Willst du jetzt etwa ein Bad nehmen?“, fragte er sie ungläubig. „Nein, aber ich brauche dringend ein paar Pflanzen, die in der Nähe von Gewässern wachsen. Und auch einiges an frischem Wasser.“ „Ungefähr 20 Minuten Weg von hier bin ich vorhin an einem Bach vorbeigekommen. Bei der Dunkelheit wirst du wohl noch länger brauchen“, kam es von ihm als Antwort. Er fragte sich, was sie denn jetzt für Pflanzen brauchte. Vielleicht war sie ja Vegetarierin, die sich einen Salat zusammensuchte, dachte er mit einem flüchtigen Grinsen.
Melissa ging zu ihrem Pferd und holte sich einen Stoffbeutel und einen seltsam länglich geformten Kessel aus der Satteltasche. Dann griff sie zu ihrem Schwert und rannte trotz der Dunkelheit leichtfüßig in den Wald hinein. Eric und Julius begannen unterdessen, zarte Stücke Wolfslende aufzuspießen und langsam über dem Feuer zu grillen. Dabei erzählte Julius auch von weiteren Monstern, die bei dem Angriff auf Westhoven dabeigewesen waren. Wenn Eric die Schilderung richtig interpretierte, waren auch Bergtrolle dabei. Dabei fiel ihm wieder seine bisher einzige Begegnung mit einem solchen Monstrum ein, mit dem er ohne Lucius nie fertig geworden wäre. „Wer ist eigentlich diese Frau?“, riß Julius ihn aus seinen Gedanken. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich im Kampf so kaltblütig verhalten hat, wie sie, als sie den Wolfsreiter erschoß.“ In Julius’ Stimme waren deutlich Ehrfurcht und eine Spur Angst zu erkennen. Und auch Eric empfand bei dem Gedanken an diese Szene nicht nur Bewunderung für Melissa. Sie war nicht nur gut, sie war eindeutig besser als er. Auch wenn ihm der Gedanke nicht sonderlich gefiel. Nachdem Eric allmählich etwas Abstand zu dem gefährlichen Kampf gewonnen hatte, bemerkte er, daß sein Rücken schmerzhaft brannte. Die Axt des Wolfreiters mußte ihn doch stärker verletzt haben, als er zuerst angenommen hatte. Er berührte kurz die Stelle mit den Fingern, an denen die Axt ihn gestreift und sein Hemd teilweise zerrissen hatte. Unter hörbarem Einatmen durch seine zusammengebissenen Zähne zog er die Finger wieder zurück und fluchte leise. Dann konzentrierte er sich auf das Grillen. Die Wunde würde schon wieder verheilen.
Nach einiger Zeit – Eric überlegte schon, ob er sie suchen gehen sollte – kam Melissa wieder zu dem Lagerfeuer zurück. Ihr Stoffbeutel war ausgebeult und einige Pflanzen ragten heraus. Außerdem schien sie den länglichen Kessel mit Wasser gefüllt zu haben. Wieder ging sie zu ihrem Pferd und holte einige Kupferschalen und einige kleine Dosen aus der Satteltasche. Dann begann sie leise murmelnd damit, verschiedene Pflanzen mit Wasser und dem Inhalt einiger Dosen zu vermischen. Mit einer Schale ging sie zu Marijan und überredete sie, den Inhalt zu trinken. Dann ging sie an Eric vorbei zu dem einen toten Wolfsreiter und nahm seine Axt auf. Sie beträufelte die Klinge mit einer Flüssigkeit und hielt sie anschließend ins Feuer. Die Klinge verfärbte sich dunkel. Danach näherte Melissa sich Eric. „Zieh dein Hemd aus“, forderte sie ihn ruhig aber bestimmt auf. Durch ihre Stimme aufgeschreckt bemerkte er, daß das Stück Fleisch auf seinem Spieß bereits verbrannt war. Irgendwie fühlte er sich leicht benommen und ärgerte sich über sein Mißgeschick. „Vergnüg’ dich mit einem anderen“, gab er deshalb patzig zurück. Als Reaktion schlug Melissa ihm genau auf die schmerzende Wunde. Wütend sprang er auf und holte mit er Hand zum Schlag aus. „Bist du noch bei Trost?“, fuhr er sie an. Melissa stand regungslos vor ihm und schaute ihn auf eine eigentümliche Weise an. Langsam ließ er die Hand wieder sinken. „Der Rücken tut mir auch so schon genug weh“, ergänzte er lahm. „Deshalb sollst du ja dein Hemd ausziehen, damit ich deine Wunde versorgen kann. Oder möchtest du lieber die nächsten Tage mit Wundfieber hier herumliegen?“ „So schnell bekomme ich kein Fieber“, antwortete er trotzig. „Die Axtklinge war vergiftet“, entgegnete Melissa leise. Eric schluckte. Und er begann, sein Hemd vorsichtig auszuziehen. Seine Wunde brannte dabei höllisch. Dann hockte er sich mit dem Rücken zu ihr hin und sie begann, eine Paste auf seine Verletzung aufzutragen. Hörbar atmete er durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Fäuste. Die Behandlung verschlimmerte die Schmerzen erheblich. Danach wusch sie ihm die Paste wieder vom Rücken und trug eine andere auf, die Eric als angenehm kühl empfand.
Helena war inzwischen herangetreten und nahm Erics Hemd auf. „Ich möchte nur das Blut auswaschen“, beantwortete sie Melissas fragenden Blick. Melissa gab ihr dazu etwas von dem Wasser in eine kleine Schüssel und ließ noch eine ölige Flüssigkeit hineintropfen. Außerdem reichte sie Helena Nadel und Faden, damit sie das Hemd reparieren konnte. Langsam wich auch die Benommenheit von Eric und er schimpfte über sein Mißgeschick mit dem verbrannten Fleisch. Julius hatte zwischenzeitlich aber genug Stücke für alle gegrillt und begann, diese zu verteilen. Auch Marijan nahm etwas zu essen und nagte kichernd daran herum. Die fragenden Blicke der anderen beantwortete Melissa mit dem Hinweis, daß ihr Beruhigungstrank für Marijan leicht berauschend wirke. Schließlich waren alle gesättigt, auch wenn der Riesenwolf niemandem wirklich geschmeckt hatte. Während Marijan beschwingt einschlief, kauerten sich Helena und Julius zusammen. „Was hast du vorhin eigentlich gemurmelt, als du die Tränke zusammengemixt hast? Waren das Zaubersprüche? Bist du eine Zauberin?“, wollte Eric von Melissa wissen. „Nein, ich kenne mich nur mit einigen Heiltränken, Giften und ähnlichem Zeug aus. Und das Gemurmel waren keine Zauberformeln, sondern Mischungsverhältnisse, die ich auswendig gelernt habe.“ Eric war beeindruckt. „Und wo lernt man so etwas?“, wollte er wissen. Melissa schaute ins Feuer. „Bei Zauberern“, antwortete sie mit einem versonnenen Lächeln. Wieder ernst fuhr sie fort: „Leider fehlt mir die magische Begabung, um auch nur die erste Stufe der Magie zu erreichen.“ Es war Eric, als hätte sie diese Worte mit bedauerndem Unterton ausgesprochen. „Wolltest du denn mal Zauberin werden?“, hakte er nach. Melissa nickte traurig. Dann lächelte sie wieder. „Zumindest habe ich dabei einige sehr interessante Menschen kennengelernt. Und halt einiges über Heiltränke erfahren, was man als Kriegerin gut brauchen kann.“
„Wo wir gerade von dir als Kriegerin reden“, wechselte Eric das Thema, „warum läufst du eigentlich in diesem verboten scharfen Harness herum?“ Melissa lachte leise, um die anderen, die inzwischen eingeschlafen waren, nicht zu wecken. „Das hat mehrere Gründe. Um in einer guten Rüstung kämpfen zu können, braucht man sehr viel Kraft. Und nicht jeder ist so ein Muskelprotz wie du. Falls du dir mal eine gute Rüstung leisten kannst, ist das für dich sicher eine gute Anschaffung. Wenn man sich dagegen nicht mit einer Rüstung schützen kann, muß man sehr schnell und beweglich sein. Das bin ich mit dem Lederharness.“ Sie setzte ein sehr freches Grinsen auf und fuhr fort. „Außerdem sind die meisten Gegner Männer. Und bei meiner Bekleidung brauchen die erst einen Moment, bevor sie sich aufs Kämpfen konzentrieren können. Dir ist das ja auch nicht anders ergangen, oder?“ Eric war froh, daß es dunkel war und sie nicht sehen konnte, wie er rot anlief. Um das Thema erneut zu wechseln, fragte er Melissa, was sie denn jetzt mit den Flüchtlingen machen sollten. „Fürst Willur von Westhoven soll doch entkommen sein. Vielleicht können wir sie dorthin bringen, wo die anderen Flüchtlinge sich gesammelt haben. Um Marijan mache ich mir allerdings Sorgen. Mein Beruhigungstrank dämpft im Moment die Schrecken, die auf ihrer Seele liegen. Aber wenn der Trank wieder nachläßt, kommen auch die Schrecken wieder. Wir bräuchten einen Heiler.“ Dabei fiel Eric sofort Katharina ein, die Lucius auf wundersame Weise von seinen Albträumen befreit hatte. Und auch, daß er Lucius unbedingt vor der Armee der Wolfsreiter warnen mußte. Auch wenn er nicht wußte, was Lucius gegen eine ganze Armee von Wolfsreitern und Bergtrollen ausrichten konnte. Er durfte allerdings auch nicht Lucius’ Geheimnis verraten. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung. „Ich hätte da eine Idee“, meinte er schließlich. „Wir könnten versuchen, Willur zu überreden, mit seinen verbliebenen Soldaten nach Fendrich zu ziehen. In der Nähe gibt es auch eine Heilerin, die Marijan bestimmt helfen kann.“ „Gut“, meinte Melissa, „ich werde mich allerdings zuerst nach Westhoven schleichen und mir die Stärke und Zusammensetzung der Armee ansehen. Du kannst ja schon mal mit den anderen zu Willur gehen.“ „Ich komme mit dir. Auch ich muß wissen, wie stark diese Armee ist.“ Eric hatte nicht vor, sich auf eine Diskussion darüber einzulassen. Und Melissa nahm es einfach zur Kenntnis. Dann vereinbarten sie, daß zuerst Melissa Wache halten würde, da sie im Dunkeln viel besser sah als Eric. Deshalb hatte sie vorhin auch so schnell zu dem Bach gelangen können. Eric würde die zweite Wache übernehmen.
Totale Zerstörung
Kurz vor dem Morgengrauen wurde Eric von Melissa geweckt. Er reckte sich und stellte erfreut fest, daß sein Rücken kaum noch schmerzte. Dann nahm er sein Schwert, setzte sich auf einen Baumstumpf und lauschte aufmerksam in den Wald. Schmunzelnd bemerkte er, daß Melissa nach dem Hinlegen augenblicklich eingeschlafen war. Offensichtlich verfügte auch sie über die Gabe der meisten Krieger, in jeder Situation, die sich bietet, einzuschlafen und sich zu erholen. Nach einigen ereignislosen Stunden weckte er schließlich alle. Melissa und er würden sich nach Westhoven schleichen, während die anderen – diesmal hoffentlich unbehelligt – zu den versprengten Überresten von Willurs Soldaten gehen sollten. Wo diese zu finden sein würden, war den drei Flüchtlingen ungefähr bekannt. Nach einem ziemlich kärglichen Frühstück aus Beeren und kaltem Wolfsfleisch zogen sie los. Melissa hatte Marijan noch einen Schluck Beruhigungstrank gegeben, dann gingen die Flüchtlinge in die eine, Eric und Melissa in die andere Richtung in den Wald. „Hast du eigentlich Erfahrung im Anschleichen?“, wollte Melissa wissen. Eric war es unangenehm, schon wieder etwas zugeben zu müssen, was er noch nicht konnte. Aber er hielt es in ihrer Situation für zu gefährlich, Melissa etwas vorzuflunkern. Und so sagte er ihr, daß er das bisher noch nie gemacht hatte. „Dann schlage ich vor, du verhältst dich so wie ich. Und wenn ich dir etwas sage, machst du es ohne Diskussion.“ Als Eric zögerte, fügte sie noch hinzu, „Andernfalls mache ich das lieber alleine. Ich möchte nämlich nicht durch einen Anfänger in Gefangenschaft geraten.“ Mit einer säuerlichen Miene stimmte er zu. Melissa ging leise und vorsichtig voran, Eric folgte ihr mit etwas Abstand und leicht versetzt, wie er es bei Lucius gelernt hatte. Er sah, wie Melissa dies mit dezenter Anerkennung zur Kenntnis nahm. Wenigstens gebe ich nicht komplett das Bild eines Anfängers ab, dachte er sich und versuchte, sich genauso lautlos zu bewegen, wie sie es tat.
Zweimal legte sie sich ganz plötzlich flach auf den Boden und Eric folgte sofort ihrem Beispiel. Beim zweiten Mal konnte er auch den Grund erkennen. Eine Patrouille lief wenige Meter an ihnen vorbei. Dann kamen schließlich die ersten Häuser von Westhoven in Sicht. Sie waren völlig zerstört und ausgebrannt. Vorsichtig schlichen die beiden zwischen den Ruinen auf die Stadtmauer zu, die die inneren Bezirke von Westhoven umschloß. Der Begriff Stadtmauer paßte allerdings nicht mehr auf das, was bald vor ihnen aufragte. Große Stücke der Mauer bestanden nur noch aus Trümmerhaufen. Es schien, als habe eine große Faust einfach Stücke aus der Mauer herausgeschlagen. Vorsichtig kletterten sie über eine dieser Geröllansammlungen, darauf bedacht, so schnell wie möglich wieder bei einer Ruine in Deckung zu gehen. Innerhalb der Mauern schlug ihnen ein süßlicher Gestank entgegen, bei dem Eric sich fast übergeben mußte. Und das, was er hier sah, verstärkte diesen Drang noch. Überall lagen verstümmelte Leichen und Leichenteile herum. Einige waren verbrannt, andere angefressen. Und überall mußten sie in Blutlachen treten. An vielen Stellen brauchte man nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was hier vor drei Tagen geschehen war. Melissa blickte mißbilligend auf Eric, der inzwischen leichenblaß aussah. „Reiß dich bloß zusammen“, zischte sie ihm zu. Ihr schien weder der Anblick noch der Verwesungsgeruch etwas auszumachen. Für Eric schien es eine Szene aus dem Albtraum zu sein, von dem Lucius ihm einmal erzählt hatte. Nach einer Weile hatte Eric sich wieder so weit im Griff, daß er diese Eindrücke zumindest verdrängen konnte. Aber er verstand jetzt sehr gut, was Marijan fast um den Verstand gebracht hatte. Und er versuchte, sich nicht vorzustellen, wie man sich erst fühlen mußte, wenn man in diesem Horror-Szenarium auch noch nahestehende Menschen qualvoll sterben sah.
Schließlich kamen sie an den anderen Rand der Stadt und sahen das Lager der siegreichen Armee. Für Eric war es eine wilde Ansammlung von Zelten, zwischen denen Riesenwölfe angepflockt waren, Wolfsreiter herumliefen und Bergtrolle sich von etwas ernährten, was Eric schaudernd als menschliche Gliedmaßen identifizierte. An anderen Stellen lagerten auch menschliche Soldaten, die sie bereits mehrfach als Patrouille gesehen hatten. Als Eric sah, daß zwei Trolle einen Menschen aufspießten und über dem Feuer grillten, mußte er sich zurückziehen und seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um sich nicht zu übergeben. Melissa murmelte unterdessen teilnahmslos: „50 Trolle, 200 Wolfsreiter, 800 Soldaten, 20 Katapulte, mehrere Magier“ Dann zog auch sie sich vorsichtig zurück. Sie nahm Eric am Arm und zog ihn wieder zum anderen Ende der Stadt. Als sie gerade wieder über einen Trümmerhaufen klettern wollten, der einmal Teil der Stadtmauer gewesen war, ließ sie sich plötzlich dicht an einer Ruine fallen und riß auch Eric mit sich. Er kam dabei in einer Blutlache zu liegen und würgte leise. „Still“, raunte Melissa ihm zu, und er schaffte es gerade so, keinen Laut von sich zu geben. Dann vernahm er dröhnende Schritte und zwei Trolle liefen in Armweite an ihnen vorbei. Als sie endlich die Stadt wieder verlassen hatten und einige Meter in den Wald hineingegangen waren, konnte Eric sich nicht mehr beherrschen. Er kotzte sich fast die Seele aus dem Leib.
Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, fragte Melissa ihn was er denn eigentlich sei. „Du kämpfst wie ein Krieger, bist aber unerfahren und zart besaitet wie ein Bauernjunge. Bist du noch nie auf einem Schlachtfeld gewesen?“ Eric schüttelte den Kopf und erzählte ihr von seiner Lehre als Schmied und seiner Ausbildung bei Rudolf und Lucius, wobei er von letzterem nicht viel verriet. „Und der Wolfsreiter“, fuhr er fort, „war der erste Mensch – falls Gnome Menschen sind – den ich getötet habe.“ Jetzt nickte Melissa verständnisvoll. „Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich dich nicht mitgenommen. Na ja, es gibt wohl immer ein erstes Mal. Und jetzt begreifst du wohl, was es bedeutet, ein Kämpfer zu sein.“ Eric war noch immer kreidebleich. So hatte er sich das Leben als Held nicht vorgestellt. Sie kamen wieder an ihrem Lagerplatz vorbei und folgten den Spuren von Julius, Helena und Marijan. Schließlich näherten sie sich dem Waldstück, in dem sich die Überreste von Willurs kleiner Streitmacht versammelt hatten. Da es hier relativ laut war, bemerkten sie erst gar nicht, daß sie von einem Dutzend Soldaten verfolgt wurden. Erst als ein weiteres Dutzend auf sie zukam, erkannten sie, daß sie eingekreist worden waren. Beide griffen instinktiv an ihre Schwertknäufe. Aber gegen 24 Soldaten, die nur eine Gelegenheit suchten, die Schmach ihrer Niederlage abzuschütteln, hätten sie keine Chance gehabt. Im letzten Moment kamen Julius und Helena angelaufen und erklärten den Soldaten, daß es diese beiden waren, die ihnen das Leben gerettet und zwei Wolfsreiter getötet hatten. Das schien auch den Soldaten Respekt einzuflößen.
Eric und Melissa wurden zusammen mit Julius und Helena zu dem Zelt eskortiert, in dem Fürst Willur lag. Dieser schleppte sich heraus und hörte sich zuerst an, was Julius zu sagen hatte. Dann wandte er sich Eric und Melissa zu. „Was wollt ihr hier?“ „Wir möchten Euch einen Vorschlag machen“, begann Eric. Melissa musterte unterdessen den verletzten Fürst. Und sie kam zu der Überzeugung, daß er höchstens noch ein oder zwei Tage zu leben hätte. „Wenn Ihr mit Euren Soldaten und Euren überlebenden Untertanen nach Fendrich geht“, führte Eric aus, „hättet Ihr und die Stadtwachen von Fendrich vielleicht eine Chance, die Angreifer abzuwehren, falls sie Euch weiter verfolgen.“ „Ich bezweifle, daß es irgend etwas gibt, daß diese Armee aufhalten kann“, antwortete Fürst Willur. Jedes Wort schien ihm Schmerzen zu bereiten. „Außerdem gibt es bei Fendrich einen Walddämon, der meine Soldaten weiter dezimieren würde.“ Eric dachte einen Moment nach. Wie konnte er Lucius die Nachricht zukommen lassen, daß diese Soldaten in Frieden kamen. Am besten wäre es, wenn er sie begleiten würde. „Um den Walddämon braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Er beschützt Fendrich. Wenn er merkt, daß Ihr nicht zum Schaden von Fendrich kommt, wird er Euch helfen.“ „Wir können Euch begleiten und ...“ Melissa unterbrach ihn. „Ich muß schnellstens nach Falibor und Fürst Woltar warnen. Er ist der Nächste auf dem Weg dieser grauenhaften Armee.“ „Dann werde ich dich begleiten“, gab Eric zurück. „Und Ihr, Fürst Willur, könnt dem Walddämon folgendes ausrichten:“ Eric überlegte schnell, was er dem Fürsten mitgeben konnte, damit Lucius wußte, daß er ihn geschickt hatte. Dann grinste er. „Bei Erics Schmiedekunst und Katharinas Gürtel, der Freund, der die Kette nicht durchtrennen konnte, schickt uns.“ Lucius würde wissen, daß diese Botschaft nur von Eric kommen konnte. Und alle anderen würden den Sinn nicht begreifen. Fürst Willur hatte zwar noch erhebliche Zweifel, wußte allerdings auch keine bessere Alternative und gab dem Hauptmann seiner Soldaten entsprechende Befehle. Dann wankte er wieder in sein Zelt zurück. Eric erklärte Julius und Helena noch, daß sie dem Dämon von Marijan erzählen sollten. Dieser würde ihr dann helfen. Die beiden schauten ihn fragend an. Und auch Melissa machte ein Gesicht, als zweifle sie an seinem Verstand. „Vertraut mir einfach. Ich kenne den Dämon.“ Julius sagte zu, daß er es versuchen würde. Dann aßen Eric und Melissa noch etwas und verließen das Lager in Richtung Falibor. Eric hatte noch das Pferd eines Soldaten bekommen, der beim Kampf gefallen war, so daß sie jetzt beide reiten konnten. „Von dem Dämon hattest du mir nichts erzählt“, meinte Melissa, während sie nach Falibor ritten. „In gewisser Weise schon“, antwortete Eric in Rätseln.
Freund oder Feind
Während Eric mit Melissa nach Falibor ritt, bemerkte Lucius auf einem seiner Rundgänge, daß sich eine Armee dem Wald um Fendrich näherte. Zunächst war sie noch zu weit weg, um ihre Stärke abzuschätzen. Und er begann fieberhaft, sich Verteidigungsstrategien zu überlegen. Vielleicht konnte er die Armee durch die Taktik der kleinen Nadelstiche von ihrem Vorhaben abbringen. Wenn er immer wieder kurz zuschlug und sich dann zurückzog, würde das die Moral der Angreifer schnell untergraben, zumal er jedes Mal einen erheblichen Blutzoll fordern würde. Außerdem hatte er schon früher einige Fallen im Wald vorbereitet. Die Zeit war zwar zu kurz, um alle vorzubereiten, aber der Weg durch den Wald würde diese Armee viele Opfer kosten. Schnell machte er sich auf den Weg zu Katharina. Sie würde ihm helfen müssen. Teilweise mit den Fallen, in jedem Fall aber mit ihren Heilkräften. Denn obwohl er sicher jedem einzelnen Kämpfer dieser Armee weit überlegen war, würde auch er sich Verletzungen zuziehen, wenn er immer wieder gegen einen so übermächtigen Gegner antrat. Katharina war ziemlich verängstigt, als er ihr von den Angreifern erzählte. „Wenn du Angst hast, ich könnte getötet werden und niemand befreit dich dann aus deinem Keuschheitsgürtel, kann ich dich ja sicherheitshalber herauslassen“, schlug er vor. Sie zog einen Schmollmund. Als er sie fragend ansah, meinte sie, daß sie sich keine Sorgen um sich sondern um ihn machen würde. Außerdem wüßte sie ihre Familie gerne in Sicherheit.
„Ich bin mir wirklich nicht sicher, wo es für deine Familie gefährlicher sein wird. Hier bei mir oder in der Stadt.“ Er zögerte. „Und außerdem möchte ich nicht riskieren, daß deine hysterische Schwester hier einen Schreikrampf bekommt und die Feinde zu dieser Höhle lockt.“ Widerwillig mußte sie ihm bei dieser Einschätzung ihrer Schwester recht geben. Dann ließ er sie alles vorbereiten, um ihm bei Verletzungen schnell helfen zu können. Sie kochte Wasser ab, legte einige besonders scharfe Messer zurecht und bereitete aus Leinentüchern, die eigentlich Bettücher waren, Verbandszeug vor. Dann machte Lucius sich wieder auf den Weg. „Paß bloß auf dich auf“, rief Katharina ihm noch halblaut hinterher. Aber da war er bereits im Wald verschwunden. Er spannte einige Armbrüste, die die Angreifer selbst durch versteckt gespannte Signalleinen auslösen würden, stellte an schlecht einsehbaren Stellen Speere auf, in die unvorsichtige Reiter hineintraben würden und deckte tückische Gruben mit Laub ab. Dann näherte er sich wieder dem Waldrand, um die Armee genauer betrachten zu können. Da es bereits begonnen hatte zu dämmern, konnte er noch immer nicht genau die Stärke der Truppen erkennen. Aber es schienen etwa 500 Mann zu sein. Eine ganze Menge, um alleine mit ihnen fertig zu werden. Er könnte zwar noch die Stadtwache und die Bürgerwehr von Fendrich alarmieren, aber auch damit käme keine große Streitmacht zusammen. Die einigermaßen ausgebildete Stadtwache, die hauptsächlich für Gesetz und Ordnung innerhalb der Stadt sorgte, käme gerade auf 70 Mann. Und die Bürgerwehr umfaßte zwar 150 Mann, die meisten davon konnten aber mit kaum mehr als einer Mistgabel umgehen. Er würde ihnen zwar bald Bescheid geben, damit sie sich vorbereiten könnten, aber wahrscheinlich war die dabei entstehende Panik gefährlicher als die anrückende Armee.
Diese hatte inzwischen ein Lager aufgeschlagen. Besonders unauffällig benahmen sie sich nicht. Aber wahrscheinlich rechneten sie in Fendrich auch nicht mit ernsthaftem Widerstand. Leise schlich er sich in die Nähe des Lagers. Dabei machte er allerdings eine verwirrende Entdeckung. Von den 500 Mann, die er aus der Entfernung geschätzt hatte, waren weit mehr als die Hälfte Frauen und Kinder. Und die Soldaten waren in ziemlich schlechter Verfassung. Diese „Armee“ schien eher auf der Flucht als auf dem Vormarsch zu sein. Einem Geist gleich schlich er sich in das Lager, darauf bedacht, stets im Schatten der Lagerfeuer zu bleiben und nicht entdeckt zu werden. Ein Zelt in der Mitte des Lagers schien dem Kommandeur der Armee zu gehören. Die Standarte von Westhoven war davor aufgepflanzt. Lucius schlich sich zur Rückseite des Zeltes und lauschte. Vielleicht konnte er so etwas über die Absichten dieser seltsamen Armee erfahren. Drinnen hörte er allerdings nur jemanden schwer atmen und leise stöhnen. Dann betrat eine weitere Person das Zelt. „Mein Fürst, Ihr habt nach mir geschickt?“, hörte Lucius eine kräftige Stimme sagen. „Ja, Hauptmann. Ich glaube nicht, daß ich diese Nacht noch überlebe. Führe meine Untertanen in Sicherheit nach Fendrich – wenn es so etwas wie Sicherheit überhaupt noch gibt.“ Die Stimme des Fürsten war brüchig, und es schwang auch Verbitterung darin mit. „Ich sage dir jetzt die Botschaft an den Walddämon von Fendrich. Hoffentlich stellt er sich wirklich auf eure Seite. Sonst werdet ihr wahrscheinlich nicht einmal Fendrich erreichen.“ Lucius’ Sinne waren angespannt. Eine Botschaft für ihn? Wer im Fürstentum Westhoven kannte ihn gut genug, um ihm eine Botschaft zu schicken? Und dann auch noch eine, die ihn dazu bringen sollte, dieser Armee zu helfen. Andererseits sah diese Truppe schon erbarmungswürdig und nicht wirklich bedrohlich aus. „Der Krieger hat mir gesagt, daß der Dämon euch durchlassen wird, wenn ihr ihm sagt: Bei Erics Schmiedekunst und Katharinas Gürtel, der Freund, der die Kette nicht durchtrennen konnte, schickt uns.“ Der Fürst keuchte schwer, nachdem er diese Worte gesagt hatte. „Merke dir die Worte gut, Hauptmann, ich glaube, euer aller Leben wird davon abhängen.“ Lucius wußte jetzt, wer ihm eine Botschaft geschickt hatte. Eric wollte, daß er diesen Menschen helfen sollte. Nun, nach einer Bedrohung sahen sie nicht aus. Und er würde ihnen zumindest Gelegenheit geben, sich zu erklären. Und zwar am besten sofort.
Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er die hintere Zeltbahn und trat an den Fürsten heran. In jeder Hand hielt er eines der speziellen Schwerter, die Eric nach seiner Anleitung geschmiedet hatte. Während er das linke Schwert an die Kehle des Fürsten hielt, war sein rechtes auf den Hauptmann gerichtet. Dieser war von Lucius’ Erscheinen so perplex, daß er noch nicht zu seiner Klinge gegriffen hatte. Da Lucius – wie immer, wenn er über Fendrich wachte – seine spezielle Dämonenrüstung angelegt hatte, mußte dies zusammen mit seinem plötzlichen Erscheinen wirklich furchteinflößend aussehen. Der Fürst war deutlich weniger beeindruckt, wahrscheinlich, weil er ohnehin nur noch Stunden zu leben hatte und den Tod bereits erwartete. „Ich nehme an, du bist der Walddämon von Fendrich“, setzte er mit leiser Stimme an. „Ich habe eine Botschaft für dich.“ „Die habe ich bereits gehört“, unterbrach Lucius ihn. „Warum sollte ich euch helfen? Und was macht ihr hier überhaupt, drei Tagesritte von Westhoven entfernt?“ Der Hauptmann hatte sich von seinem ersten Schrecken erholt. „Steck sofort deine Schwerter weg. Im Zelt des Fürsten ...“, fuhr er Lucius an, obwohl ihm deutlich anzusehen war, daß es ihn seinen ganzen Mut kostete. Der Fürst hob die Hand und brachte den Hauptmann damit zum Schweigen. „Ist schon gut, Hauptmann. Wir sind es, die sich Fendrich mit einer Armee nähern – wenn man das hier noch eine Armee nennen kann“, sagte er mit einer ausladenden Handbewegung. Und an Lucius gewandt fuhr er fort: „Westhoven ist überfallen und völlig zerstört worden. Was du hier siehst, ist der Rest der Bevölkerung, die bisher wie durch ein Wunder überlebt hat.“ „Wer hat euch angegriffen?“, wollte Lucius wissen. „Das wissen wir nicht. Es war eine Armee aus Wolfsreitern, Bergtrollen und regulären Soldaten. Auch Kriegsmaschinen und Magie wurden gegen uns eingesetzt.“ Bei dem Wort „Bergtroll“ wurde Lucius sofort hellhörig. „Waren die Bergtrolle besonders ausgerüstet?“, wollte er wissen. „Sie hatten schwere Panzer an“, mischte sich der Hauptmann ein. Lucius nickte. Genau wie der Troll, der ihn und Eric angegriffen hatte. Ach ja, Eric. „Wer hat euch die Botschaft an mich genannt?“, wollte Lucius wissen. Natürlich Eric. Aber er wollte die näheren Umstände wissen.
Der Fürst erzählte ihm stockend, daß ein großer, muskulöser Krieger und eine sehr leicht bekleidete Frau drei seiner Untertanen vor zwei Wolfsreitern gerettet hatten. Der Krieger hatte ihm vorgeschlagen, die Überlebenden nach Fendrich zu bringen und dem Walddämon die Botschaft auszurichten. Beide waren dann zum Fürstentum Falibor aufgebrochen, um vor der Gefahr zu warnen. „Ihr werdet heute Nacht hier lagern und nicht weiter in den Wald eindringen. Es wäre euer sicherer Tod“, wies Lucius den Hauptmann an. „Morgen werde ich euch durch den Wald nach Fendrich führen. Und du wirst mir die Befehlsgewalt über die Soldaten geben.“ „Ich kann meine Soldaten doch nicht einem Dämon unterstellen“, protestierte der Hauptmann. „Es wird dir gar nichts anderes übrig bleiben“, antwortete Lucius leise. „Er hat Recht, Hauptmann. Es ist sein Gebiet. Und nur gemeinsam habt ihr eine Chance, die fürchterliche Armee abzuwehren“, mischte sich der Fürst unter lautem Husten ein. Dann ging er, gestützt auf den Hauptmann, vor sein Zelt. Lucius stand hinter den beiden. Der Hauptmann rief die Leute herbei, die sich vor dem Zelt aufstellten. Dann gab der Fürst noch einmal bekannt, daß der Walddämon sich ihrer annehmen und die Befehlsgewalt über die Soldaten bekommen würde. Dem Hauptmann war anzusehen, daß ihm das nicht gefiel. Aber er sagte kein Wort. Die überlebenden Bürger und Soldaten von Westhoven nahmen diese Erklärung mit einem ungläubigen Raunen zur Kenntnis. Aber auch mit der Hoffnung, jetzt doch noch eine Überlebenschance zu haben. Der Fürst schleppte sich wieder in sein Zelt zurück. Und Lucius machte sich wachsam auf den Weg aus dem Lager. Auf halber Strecke wurde er angesprochen. „Entschuldigung“, hörte er neben sich eine schüchterne Stimme. Er drehte sich um. Vor ihm stand ein junger Mann mit zwei Frauen. Die eine schaute ihn etwas ängstlich, aber auch hoffnungsvoll an, die andere schien einfach durch ihn hindurchzusehen. „Ihr seid doch der Walddämon, von dem Eric erzählt hatte.“ Lucius deutete ein Nicken an. „Eric meinte, Ihr könntet Marijan helfen. Sie ist völlig apathisch und ißt auch nichts mehr, seit wir aus Westhoven geflohen sind.“ „Seid ihr die drei, die Eric und die Frau gerettet hatten?“, wollte Lucius wissen. Und sie erzählten ihm von der Begegnung. „Außerdem“, schloß Julius seine Erzählung ab, „meinte die Amazone, daß Ihr sicher an der Truppenstärke der Feinde interessiert seid.“ Und er zählte auf, was Melissa ihm gesagt hatte: „50 Trolle, 200 Wolfsreiter, 800 Soldaten, 20 Katapulte, mehrere Magier“ „Eine erstaunliche Frau, die Eric da getroffen hat“, murmelte Lucius anschließend. Dann sah er Marijan an und meinte, er würde sich um sie kümmern. Er ergriff ihren Arm und zog sie mit sich. Wie in Trance folgte sie ihm. Sehr schnell kam er so allerdings nicht voran. Darum legte er sie über die Schulter und kehrte im Laufschritt zu seiner Höhle zurück. Dort angekommen erzählte er Katharina die Neuigkeiten in aller Kürze. Dann legte Katharina einen Arm um Marijan und setzte sich mit ihr auf eine Bank. Nach einiger Zeit fielen Marijan die Augen zu und sie schlief ein. „Sie wird einige Tage brauchen, bevor sie das Schlimmste hinter sich hat“, erklärte Katharina leise. Lucius nickte und sie gingen beide zu seinem Lager. „Ich bin froh, daß ich dich habe“, meinte er ernst und streichelte ihr Haar. Sie schaute zu ihm auf. „Es wird noch schlimmer werden, oder?“, wollte sie wissen. „Ich fürchte, ja“, war seine Antwort, bevor er sie in die Arme nahm. Katharina seufzte und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. Sie spürte eine große Unruhe, die Lucius befallen hatte. Dann schloß sie ihre Augen und konzentrierte sich auf einen inneren Ort, der für sie die absolute Ruhe bedeutete. Ganz langsam griff ihre Ruhe auf Lucius über. Zunächst wehrte er sich noch einen Moment dagegen, dann gab er seinen Widerstand auf. Sanft fiel er in ihren Armen in einen tiefen Schlaf. Katharina wußte, daß Lucius in nächster Zeit all seine Kräfte brauchen würde. Während sie noch tiefer in seinen Geist eindrang, um ihm eine erholsame Ruhe zu ermöglichen, stieß sie plötzlich auf etwas völlig Fremdartiges. Erschreckt zuckten ihre Gedanken zurück. Es war ihr, als wäre sie auf eine Mauer aus brennendem Eis gestoßen. Jeder Kontakt mit dieser Barriere war schmerzhaft und erschreckend für sie. So begnügte sie sich damit, Lucius dort Ruhe und Erholung zu schenken, wo es ihr möglich war. Und sie fragte sich, welche Geheimnisse wohl hinter dieser Barriere verborgen waren. Aber so sehr es sie verwirrte und so sehr ihr der Kontakt mit dieser unsichtbaren Mauer Angst und Entsetzen eingeflößt hatte, ihr Vertrauen in Lucius war unbegrenzt.
Ankunft in Falibor
Nach einem anstrengenden Ritt, der Eric jeden Muskel seines Hintern spüren ließ, kamen sie in Falibor an. Es war eine düstere Stadt, die keinen sehr einladenden Eindruck machte. Fast schien es, als wollte Falibor seine Besucher abschrecken und vertreiben. Die Häuser vor den äußeren Stadtmauern waren grau und schäbig. Und auch die Menschen, die zwischen ihnen herumliefen, wirkten fahl und grau. Melissa hüllte sich dichter in ihren Umhang, als wolle sie verhindern, daß diese Tristesse an ihren Körper gelangte. Und Eric ließ instinktiv sein exotisches Schwert in einer Decke verschwinden. Als sie sich dem Stadttor näherten starrte die Stadtwache sie finster und mißtrauisch an. „Was wollt ihr in Falibor?“, fragte der Soldat unwirsch. Kurz bevor Melissa zu der Antwort ansetzen konnte, sie wollten eine Audienz bei Fürst Woltar, antwortete Eric: „Wir wollen meinen Vetter Wolfram besuchen. Wir sind nämlich frisch verheiratet und besuchen jetzt die Verwandtschaft.“ Dabei setzte er ein möglichst dümmliches, naives Lächeln auf. Die Stadtwache musterte erst Melissa und dann Eric abschätzig. „Und wo wohnt dein Vetter?“, wollte er von Eric wissen. „Keine Ahnung. Ich war noch nie in so einer großen Stadt. Er sagte, ich solle mich nach dem Gasthaus ‚Grüner Krug’ durchfragen. Könnt Ihr mir sagen, wo ich das finde?“ Der Wächter setzte zu einer ärgerlichen Antwort an. Und Eric ließ wie nebenbei seine kräftigen Armmuskeln spielen. Dabei behielt er sein dümmlich naives Lächeln bei. Man konnte deutlich erkennen, daß der Soldat abschätzte, ob er sich mit diesem Muskelprotz anlegen sollte. Und er entschied sich dagegen. „Hier gibt es kein Gasthaus ‚Grüner Krug’“, sagte er schließlich mürrisch. „Du meinst wohl das Gasthaus ‚Zum goldenen Krug’.“ Eric grinste noch eine Spur dümmlicher und meinte, das könne auch sein. „Reitet geradeaus zum Marktplatz und fragt von dort aus weiter“, war die unwillige Antwort des Gardisten. Noch einmal glitt ein Schatten des Mißtrauens über sein Gesicht. „Was bist du eigentlich von Beruf?“ „Hufschmied“, kam es sofort von Eric. Und damit war auch der letzte Zweifel des Wachsoldaten zerstreut, der immer noch mit Respekt auf die Armmuskeln von Eric schaute. Mit den Worten, „Macht, daß ihr weiter kommt.“, rettete er in seinen Augen die Würde seines Amtes und wandte sich ab.
Eric und Melissa ritten langsam auf den Marktplatz zu. „Was sollte denn das jetzt?“, raunte Melissa ihm ärgerlich zu. „Wir als Paar, davon kannst du höchstens träumen.“ „Stell dich nicht so an. So wie der Wachsoldat geguckt hatte, hätte er uns mit Sicherheit nach Waffen durchsucht, wenn wir ihm nicht eine Geschichte erzählt hätten, die er glaubt und bei der er sich selbst wichtiger fühlen kann.“ Melissa schaute ihn irritiert an. Dafür, daß er eigentlich noch ziemlich unerfahren war, hatte er erstaunlich überlegt gehandelt. So ganz wollte sie ihm den Triumph aber doch nicht gönnen. „Das mit dem ‚Grünen Krug’ war aber verdammt leichtsinnig.“ „Ach was“, grinste er zurück, „es gibt immer eine Gaststätte mit ‚Krug’ im Namen. Und so dämlich, wie ich eben aus der Wäsche geschaut habe, traut der Soldat mir bestimmt nicht einmal zu, mir den Namen bis zum Marktplatz zu merken.“ Melissa schüttelte den Kopf und mußte widerwillig grinsen. „Wenn wir selbstbewußt nach einer Audienz bei Woltar gefragt hätten, wären wir auch problemlos an der Wache vorbeigekommen“, schob sie noch ohne großen Enthusiasmus nach. Sie fragten sich wirklich zu dem Gasthaus ‚Zum goldenen Krug’ durch. Nicht, um dort jemanden zu treffen, sondern um sich erst einmal frisch zu machen und etwas zu essen. Auch im Gasthaus fiel ihnen auf, daß die wenigen Gäste und der Wirt irgendwie bedrückt wirkten. Beiläufig fragten sie, ob Fürst Woltan eigentlich in der Stadt wäre. „Ihr seid wohl schon lange nicht mehr in Falibor gewesen“, meinte einer der Gäste. „Fürst Woltar ist tot. Sein Neffe Atan regiert jetzt hier.“ So, wie der Gast es ausgesprochen hatte – und vor allem, wie die anderen Gäste dabei zusammengezuckt waren, schien es mit dem Tod des Fürsten nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Und den neuen Fürsten Atan schienen die Anwesenden nicht gerade in ihr Herz geschlossen zu haben. Allerdings schien auch der etwas gesprächigere Gast nicht mehr sagen zu wollen und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Bier zu, das er vor sich stehen hatte.
„War vielleicht doch ganz gut, nicht gleich mit der Audienz bei Fürst Woltar loszulegen“, stichelte Eric später, als sie wieder allein waren. „Trotzdem muß ich mit dem Fürst – wer auch immer es ist – reden. Ich muß ihn schließlich vor der Gefahr warnen, die sich ganz in der Nähe zusammenbraut.“ Trotz ihrer Worte schien Melissa diese Entwicklung allerdings nicht sehr zu behagen. Nachdem sie das Gasthaus wieder verlassen hatten, machten sie sich auf den Weg zur inneren Stadtmauer. Wobei der dahinterliegende Teil der Stadt eigentlich bereits zur Residenz des Fürsten gehörte. Unterwegs schnappten sie noch auf, daß der neue Fürst die Steuern wohl drastisch erhöht hatte. Schließlich gelangten sie an das Tor zur Residenz des Fürsten. Im Gegensatz zum Rest der Stadt war die innere Stadtmauer in tadellosem Zustand und makellos sauber. Die fünf bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die dieses Tor bewachten, schienen überrascht zu sein, daß jemand hineinwollte. Offenbar passierte das nur selten. Eric und Melissa schauten sich kurz fragend an, dann zuckte sie mit den Schultern und ging selbstbewußt, ja fast schon arrogant auf die Wachen zu. „Ich bin eine Abgesandte der Königin Stephania von Kartun und habe eine Botschaft für Fürst Atan“, erklärte sie zu Erics Verblüffung. „Und er dort“, sie deutete dabei mit dem Daumen hinter sich auf Eric, ohne sich dabei umzusehen, „ist mein Begleiter.“ Für einen Moment stand Eric da wie ein begossener Pudel. Das war dann wohl die Revanche für die Vorstellung am äußeren Stadttor, dachte er. Die Wachen standen ihr jetzt aufmerksam, allerdings etwas ratlos gegenüber. Dann meinte einer der Gardisten, er würde dem Leutnant der Wache Bescheid geben. Sie solle hier solange warten. Melissa verzog keine Miene. Kurz darauf kam der Soldat mit einem weiteren Gardisten zurück, der offensichtlich einen höheren Rang bekleidete. Er sah Melissa und Eric kurz an und meinte dann, daß sie zuerst ihre Waffen abgeben sollten. „Auf gar keinen Fall“, kam es sofort von Melissa zurück. Ihre Stimme war dabei noch eine Spur arroganter als vorher. „Wir sind Gesandte und keine Bittsteller“, fügte sie noch herablassend hinzu. Für einen Moment sah man, wie es im Geist des Leutnants arbeitete. Dann meinte er, sie sollen ihm folgen. „Du und du, ihr kommt mit“, sagte er zu zwei der Wachsoldaten. Dann drehte er sich um und ging zügig voraus. Melissa und Eric eilten ihm mit ihren Pferden am Zügel nach und die zwei Soldaten folgten am Schluß.
Sie kamen zu einem Gebäude, in dessen Vorhalle der Leutnant sie zusammen mit den Soldaten warten ließ. Ihre Pferde hatten sie vor dem Gebäude angebunden und die Satteltaschen über die Schulter gelegt. Es dauerte einige Minuten, bis der Leutnant wieder erschien. „Fürst Atan lädt euch heute Abend zum Essen ein. Ihr seid seine Gäste.“ Das Gesicht des Leutnant war bei diesen Worten versteinert. Es war nicht zu erkennen, ob er sich über diese Entwicklung freute, ärgerte oder ob sie ihm gleichgültig war. Dann wandte er sich an einen der Soldaten. „Bring die Gäste zu den Gästezimmern im grünen Gebäude.“ Der Gardist salutierte und sagte zu Melissa und Eric, daß sie ihm folgen mögen. Schließlich erreichten sie mit ihren Pferden ein grün gestrichenes Gebäude und bekamen zwei Gästezimmer zugewiesen. Hinter dem Gebäude rauschten die Stromschnellen eines Flußes entlang, der sich durch ganz Falibor schlängelte. Nachdem der Soldat gegangen war, schauten sie sich erst einmal sorgfältig in den Zimmern um. Sie konnten nichts verdächtiges erkennen, hatten aber irgendwie ein ungutes Gefühl. „Gehe davon aus, daß wir die ganze Zeit beobachtet und belauscht werden“, raunte Melissa Eric zu. „Sag mal, stimmt das wirklich? Bist du wirklich die Abgesandte einer Königin?“, wollte Eric wissen. Melissa grinste ihn an. „Ja, das bin ich.“ „Ich dachte immer, Abgesandte wären alte Männer, die mit einer Ehrengarde reiten“, wunderte er sich. „Schön, daß du mich nicht für einen alten Mann hältst“, lachte sie. „Aber meine Mission sollte schnell und unauffällig durchgeführt werden. Deshalb reise ich alleine. Und daß ich auch ohne Soldaten ganz gut auf mich aufpassen kann, solltest du ja schon mitbekommen haben. Tatsächlich bin ich eine jener Soldatinnen, die bei uns normalerweise solche Gesandten begleiten.“ Dann begaben sie sich in ihre getrennten Zimmer, machten sich frisch und ruhten sich aus. Es würde noch einige Stunden dauern, bis das Abendessen begann. Und da sie bereits in der Gaststätte etwas gegessen hatten, kam ihnen das sehr gelegen.
Als später ein Diener zu ihnen kam und sie zum Abendessen führte, fiel Eric auf, daß Melissa sich offenbar schick gemacht hatte. Sie trug zwar noch immer einen ledernen Harness, dieser war allerdings mit goldenen und silbernen Beschlägen verziert und sah sehr edel aus. Außerdem hatte sie ihre Haare nicht mehr streng zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, sondern trug sie jetzt offen und bändigte sie mit einem silbernen Stirnreif. Eric kam sich in seiner normalen Kleidung etwas unpassend vor, aber er hatte keine andere. Nach einem kurzen Weg kamen sie zu einem prächtigen Gebäude, das im Wesentlichen
Um weiterlesen zu können, musst Du Dich einloggen. | ||
Passwort vergessen? |
Anmeldung und Nutzung sind kostenlos. Um die angezeigte Geschichte weiterlesen zu können, ist kein Altersnachweis notwendig, da es sich um eine erotische Geschichte handelt (nicht pornografisch!). Die Anmeldung dauert keine zwei Minuten.
Kommentare
Kommentare: 11
Warte schon auf die Fortsetzung, vielleicht mit mehr erotischem Touch :-))«
Kommentare: 40
Er beweist damit auf schöne Weise, das in einer guten Geschichte durchaus Sex vorkommen kann.
Ich hoffe das er uns für lange Jahre erhalten bleibt. Wobei meine Vorlieben mehr zu SF Geschichten gehen. Aber das ist nur meine Meinung nur weiter so! «
Kommentare: 6
Kommentare: 35
Goury
Ein paar Kritik punkte zu den Storys von why-not.
1. Sie sind für meinen geschmack noch viel zu kurz :-)
2. Sie machen süchtig
3. Sie sind absolut das beste was ich je gelesen habe
4. Es dauert VIIIEEELLL zu lange bis das die Fortsetzung kommt
Why-Not, tue mir mal einen gefallen....
BITTE BITTE BITTE SCHREIB SCHNELLER, ICH WILL WISSEN WIE ES WEITER GEHT *fleh flenn aufdenbodenfall* :-)
Goury
PS: Mumie, noch nie was von dem Wort Humor gehört?
Sowas ist sehr zu empfehlen, kann ich dir nur zu raten.
Damit meinte ich den satz mit den 3 BITTE drin, meinst du im ernst ich würde den besten Autor den ich kenne unter zeitdruck setzen?
Gut ding will Weile haben, Weltraumkitzel und Tödliches Lachen wurden ja auch nicht an einem Tag geschrieben.«
Kommentare: 56
Maduschka
Superlative wie gigantisch oder genial fallen mir noch ein.«
Kommentare: 23
Ich werde mich Goury nicht in vollem Umfang anschließen, weil hier die freie Meinungsäußerung doch durchaus erwünscht und erlaubt ist, ich also Hexe2805s Meinung aus diesem Grund auch als Schreiber tolerieren würde. Ich denke, dann können wir das als Leser auch tolerieren, oder?
Des Weiteren schreibt man Fortsetzung mit FFFFF, das Beste groß, und tue (ohne h) mir den Gefallen und versuche nicht, den Autor unter Schreibdruck zu setzen.
Ich bin von Why-Nots Art, wie er erotische Geschichten dieses Genres mit so viel Einfühlungsvermögen schreibt, schwer begeistert. Zudem gönnt er dem Leser auch den Genuss, Werke von wirklich ansprechender Länge zu lesen. Weniger Sex muss nicht zwangsläufig weniger Erotik bedeuten.
Stilistisch natürlich wie immer sehr gut. Danke Why-Not.
Goury, erst denken, dann tippen. Ich empfehle zudem einen Benimmdich-Kurs.
Grüße von der Mumie.
PS: Goury: Humor? Wo denn? «
Kommentare: 91
Deswegen hier mein Vorschlag wie wär's mit einer Why-Not Kategorie??
Zumindest aber sollte so langsam ein Preis verliehen werden für den besten und fleissigsten Schreiberling!!!
In diesem Sinne. GIbio «
Kommentare: 21
*gratulation*
weiter so....
Ich finde die Geschichte genau richtig, nen bisl wenig erotik, ok aber das kommt vieleicht ja noch, wer sonnst irgendwas anderes will MAG BITTE SELBER SCHREIBEN.....
«
Kommentare: 4
warte schon auf die Fortsetzung, am besten noch so 20 teile oder so :-)«
Kommentare: 142
Liebe Grüße
yksi«