Ein besonderer Tag
von Faith
Das Wetter war deprimierend. Die Sonne hatte sich den ganzen Tag hinter einem grauen Vorhang aus tiefen Wolken versteckt. Wie ein Baldachin der Melancholie hing der triste Schleier am Himmel. Es sah aus, als könne jeden Moment eine Sintflut hereinbrechen. Aber es passierte nichts, die Last der Wolken hing einfach am Himmel und drückte auf die Stimmung.
Schwester Ferencis ging dennoch zuversichtlich und voller Gottvertrauen den steinigen Trampelpfad entlang zu dem kleinen, verfallenen Haus. Sie verzichtete darauf die Türklingel zu betätigen, er würde ihr sowieso nicht öffnen. Durch den Zweitschlüssel verschaffte sie sich Zutritt und lief gegen eine muffige Wand. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch und dem Geruch, den ein Mensch absondert, wenn er stark alkoholisiert in einem kleinen Raum übernachtet.
Sie wedelte mit der Hand vor dem Gesicht, obwohl sie wusste, dass es nichts bringen würde. Voller Tatendrang schritt sie durch den Raum, riss die Vorhänge auf und öffnete ein Fenster. Die Luke ließ sich nur widerwillig öffnen und das Scharnier protestierte mit einem hohen Quietschen gegen die ungewohnte Bewegung.
Plötzlich regte sich Leben in dem schäbigen Bett, dem ein griesgrämiges Murren entwich. Immer noch von der Bettdecke umhüllt, brummte eine belegte Stimme:
“Sie wollen, dass ich erfriere! Mit ihrem armseligen Fraß schaffen sie es nicht, mich um die Ecke zu bringen und nun wollen sie, dass ich erbärmlich erfriere!“
Ohne auf das Klagen einzugehen, riss sie dem Muffel die Bettdecke weg und legte sie geübt zusammen. Des wärmenden Stofftuches beraubt, schrie der Mann kläglich:
“Gefällt es ihnen, mich so zu sehen? Hilflos und halb nackt, dem Kältetod preisgegeben?“
Die Nonne nahm mit stoischer Geduld den Mantel von einem Haken hinter der Tür und reichte ihn dem Jammerlappen. Lediglich in – ehemals weißer – Unterwäsche lag er auf dem Bett und riss ihr den Mantel trotzig aus der Hand:
“Aha, haben sie doch Erbarmen, oder wollen sie meinen Tod nur quälend in die Länge ziehen?“
Sie wusste nicht, ob es Gottes Plan war, aber der Bischof hatte vor einigen Jahren entschieden, dass sie sich um diesen eigenbrötlerischen Alkoholiker kümmern sollte. Zu Demut und Gehorsam erzogen, ergab sie sich dem Befehl. Sie hatte kein Recht, mit diesem Schicksal zu hadern. Als sie Gottes Ruf vernahm und sich für ein Leben als Nonne entschied, verpflichtete sie sich, den Armen und Schwachen zu helfen. So gesehen war dieser verkommene Haushalt genau der Ort, an dem eine barmherzige Schwester gebraucht wurde.
Der kleine Ofen in der Ecke war eiskalt, sie musste das Feuer neu entfachen und begann Holzspäne auf die Asche zu legen:
“Wenn sie nicht so viel trinken würden, würde ihnen auch der Ofen nicht so oft ausgehen.“
Der Sonderling hatte sich unterdessen mit Ächzen und Stöhnen aus dem Bett gequält. Eigentlich war er gar nicht so alt, wie es den Anschein machte. Die Muskeln seiner Arme und Beine waren nicht sehr ausgeprägt, aber die Haut spannte sich noch recht straff darüber. Er hatte gerade eine Weinflasche zum Mund geführt, hielt aber inne:
“Was wissen sie denn, wie viel ich trinke? Was bringt ihnen der wärmste Ofen in einer beschissenen Winternacht, wenn sie alleine sind?“
Kleine Flämmchen nagten schüchtern an den Holzspänen in dem Ofen. Ein weiteres Feuer flammte wenige Meter entfernt auf. Der Griesgram hatte sich eine Zigarette gedreht und zog gierig an dem Tabakstängel, während er das Streichholz auswedelte. Wenige Sekunden nach dem ersten Zug hatte das Nikotin sein Gehirn erreicht und verdrängte die letzten Reste der Schläfrigkeit.
Schwester Ferencis hatte nach ihren anfänglichen Erfolgen, dickere Holzscheite auf die glimmenden Holzspäne geschichtet und sah zufrieden, wie sich daraus ein richtiges Feuer entwickelte:
“Wenn sie den hellen Tag mit etwas ehrlicher Arbeit nutzten, könnten sie nachts schlafen und würden sich nicht so alleine fühlen.“
Grollend stand der Starrhals auf und schlug das Fenster zu:
“Schauen sie sich den Scheißtag an! Man weiß ja gar nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Es kommt mir vor als wollte der Herrgott uns alle in den Wahnsinn treiben.“
Nachdem sich die Nonne zu ihm an den Tisch gesetzt hatte, zog sie den schweren Korb, den sie mitgebracht hatte zu sich heran:
“Gott liebt alle Menschen! Ich glaube sogar, dass er SIE liebt!“
Brummig warf er seine Zigarettenkippe in den Ofen:
“Wenn mich Gott liebt, warum lässt er mich dann in dieser Scheißhütte versauern?“
“Gott lässt sie nicht versauern, er ist da und reicht ihnen die Hand, sie müssen sie nur annehmen.“
“Ich glaube, Gott hat gar keine Zeit für so einen wie mich.“
Resignierend ließ die Ordensschwester ihre Arme sinken und öffnete den Korb. Noch ehe sie reagieren konnte, riss ihr Schützling die Zeitung aus dem Traggefäß. Während sie routiniert den Tisch deckte, las er bereits in dem Tageblatt. Übellaunig schob er den gereichten Teller wieder von sich, um die Zeitung ausbreiten zu können. Zum ersten Mal konnte man so etwas wie Freude oder Begeisterung in seinem Gesicht sehen. Er tippte auf eine Schlagzeile: >Wieder Unruhen im Nahen Osten<
“Was meinen sie, wer von denen gewinnt zum Schluss?“
Trotzig führte Schwester Ferencis ihre Arbeit fort:
“Wie meinen sie das?“
“Na ja, da unten sind Juden, Mohammedaner, Christen aller Couleur und unzählige Splittergruppen auf engstem Raum. Jeder von denen ist davon überzeugt, dass er den einzig wahren Glauben hat. Was meinen sie, welcher Gott zum Schluss gewinnt?“
“Sie glauben alle an den Allmächtigen, an den einzigen Gott, sie sind sich nur nicht einig, auf welche Art man an ihn glauben soll.“
Der Kauz kam plötzlich richtig in Fahrt, sein Gesicht strahlte und er machte ausladende Gesten mit den Händen:
“Ach, kommen Sie, das kann nicht sein. Wenn es nur einen einzigen Gott gibt, der jeden liebt, wäre es doch totaler Quatsch, dass sich die Menschen seit Tausenden von Jahren die Schädel einschlagen. Dann könnte doch jeder den Allmächtigen verehren wie er will und alle wären glücklich.“
Frisches Brot wurde aufgeschnitten und in die Mitte des Tisches gestellt:
“Es ist die Eitelkeit der Menschen, die sie nicht einig werden lässt. Jeder meint, es besser zu wissen als der andere.“
Der Exzentriker schlug auf den Tisch und schüttelte den Kopf:
“FALSCH! Überlegen sie doch mal, sie kennen zwei Menschen, die sie mehr lieben als sich selbst. Wenn sich die nun bekämpfen würden, würden sie tatenlos zusehen, bis einer stirbt?“
“Aus diesem Grund hat sich unser Herr ja ans Kreuz schlagen lassen.“
Nun kam eine cholerische Facette zum Vorschein. Der Hitzkopf sprang auf und schlug sich auf die flache Hand:
“Aber es hat nichts gebracht! Anstatt den Menschen Frieden zu bringen, hat er selbst das Volk der Juden gespalten. Einige haben so weitergemacht wie immer, die anderen nannten sich Christen und glaubten, es nun besser zu wissen.“
Schwester Ferencis wollte ihn zurück an den Tisch bitten, da das Abendessen bereit war, aber er ließ sich nicht beruhigen:
“Anstatt den Menschen Frieden zu bringen, hat er alles noch schlimmer gemacht. Juden und Christen bekämpften sich gegenseitig. Dann kam Mohammed und rekrutierte seine Anhänger, unter anderem aus dem Juden- und Christentum – wieder eine Religion, die es besser wusste. Dann brach das komplette Chaos aus: Kreuzzüge, Verbreitung des Glaubens m
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Kommentare
Kommentare: 142
was soll ich dazu sagen? Böse, böse ... ;-)) Wie zum Teufel kommst du nur auf solche Ideen?
Ich denke, dass es gar nicht mal so sehr an der Wahrheit vorbei geht, aber trotzdem bleibt ein komisches Gefühl. Es ist natürlich nicht die Norm, aber solche Fälle wird es durchaus geben.
Ich glaube, diesmal werde ich dir lieber noch etwas "Privates" schicken. ;-)) Nur 'ne Mail, Mensch! ;-))
Alles Liebe
yksi«
Kommentare: 441
Mondstern
Zum Schreibstil ist nicht viel anzumerken. Wie alles was ich bisher von dir gelesen habe, ist auch diese Story hervorragend ausformuliert. Da kann sich wohl jeder Autor noch "ne Scheibe" abschneiden.
LG Anja «
Kommentare: 18
Nucleus
Ausführlich per pn ;-)
Ansonsten eine schöne Idee.
@dux: Eine Frage der ERZÄHLPERSPEKTIVE. Das hat mit "Denklogik" (btw: was bedeutet D...k? In Duden und Wahrig ist dieses Wort nicht zu finden. Nagut im "Pseudo-Intellektualismuslexikon" habe ich natürlich nicht nachgesehen) nix zu tun. Deprimierendes Wetter könnte allenfalls eine Metapher sein, stünde sie für sich allein. Aber im Kontext der Geschichte "haut" das nicht hin.«
Kommentare: 84
zerozero
Kommentare: 105
catsoul
Hab dann doch herzlich grinsen müssen am Schluß. ;-)
liebe Grüße
cat«
Kommentare: 56
Maduschka
Maduschka«
Kommentare: 4
Kommentare: 11
Übrigens: Natürlich kann Wetter deprimierend sein. Wenn es jemanden deprimiert, ist es denklogisch deprimierend.
«
Kommentare: 53
darf es mal etwas anderes sein?
ja, warum nicht.
waeschesteif
«