Ein besonderer Umweg
von Hassels
Das Winterwetter, klirrende Kälte und eine von Schnee bedeckte Landschaft, jeder Atemzug wurde von einem aufsteigenden Schwaden begleitet, machte meinen Spaziergang zu einem einsamen Erlebnis. Weit und breit keine Menschenseele, nur ein hoppelnder Hase durchbrach die Ruhe – für einen kurzen Augenblick. Wie ein Stillleben aus der barocken Ära, das dargebotene Landschaftsbild faszinierte mich, lenkte mich von den Sorgen des Alltags ab.
Einige Zeit verharrte ich so auf der Stelle, erst als der Boden unter den Füßen nachgab, knirschte, setzte ich den Spaziergang fort. Mit jedem Schritt entfernte ich mich mehr und mehr vom Bild dieser einzigartigen Schönheit, verloren sich auch meine Gedanken in dem unschönen Grau meines Umfelds. Der Waldrand wirkte wie ein heruntergelassener Schleier, eine Abtrennung. Der Waldweg mündete, von zwei Pollern gerahmt, in die Straße in der ich wohne. Abrupt war ich wieder in der Realität angekommen.
Mit zwei großen, schwerbeladenen Einkaufstaschen in Händen, die Bäckerbeutel lagen oben auf, kam mir meine Nachbarin entgegen, unverkennbar. Ihr Mireille Mathieu Gedächtnishaarschnitt, das Kleid mit Blümchenmuster der siebziger Jahre, und Knobelbecher à la Bundeswehr. Das Outfit meiner Großmutter war moderner.
Ob Wetter oder Umgangston, ich war mir nicht sicher was kühler wirkte. Die Tageszeit hatte sie noch zum Besten gegeben, zwei Worte. Ich ließ sie vorgehen, und auf der ersten Etage verschwand sie vis-à-vis in ihrer Wohnung. 'Living next door to family', der Gedanke brachte mich zum Schmunzeln. Ja – eine Familie hätte ich auch gerne, aber nicht um den Preis dieser Trutscheligkeit. Die Wohnungstür fiel ins Schloss, ein schier endloses Wochenende lag an diesem Samstagmorgen vor mir.
Erst mal ein warmes Bad, da kamen mir immer die nettesten Einfälle. Gerade als ich die Armatur aufdrehen wollte, wurde es nebenan laut. Ich verharrte bewegungslos, lauschte. Den Wortführer erkannte ich sofort, mein sonst so schleimiger Nachbar stauchte seine Frau wie eine Schulgöre zusammen. Na dem würde ich – ich hob den Einhebelmischer an und das einlaufende Wasser übertönte den Lärm aus dem Nachbarbad.
Das Sandelholz duftete und der Schaum glänzte seidig. Nebenan war es jetzt ruhig, ich konnte mein Schaumbad genießen. Die Umstrukturierung der Firma, meine Entwicklungen für ein ganz neues Segment, schon wieder hingen meine Gedanken bei der Arbeit. Mein Handy läutete, riss mich aus den Zukunftsvisionen.
„Schätzchen ich habe einen Kunden für dein Kaliber, ganz kurzfristig. Du müsstest schon zu Mittag bereit sein. Ich simse dir gleich die Daten. Es lohnt sich!“ Ohne eine Antwort abzuwarten hatte Madame aufgelegt und schon erhielt ich ihre SMS.
Seit über einem Jahr arbeitete ich an den Wochenenden für eine Begleitagentur, nur gehobene Kundschaft. Da meine bisherigen Bekanntschaften nicht meinen Vorstellungen entsprachen, ich aber auch nicht ohne Sex leben wollte, hatte ich mich damals auf die Annonce hin beworben. So konnte ich mein Verlangen stillen, und der angenehme Nebeneffekt, ich wurde auch noch dafür bezahlt.
Für die körperlichen Dienstleistungen, es lag in meinem Ermessen, bekam die Agentur auch keine Provision. In dem einen Jahr war das Sex-Sparschwein auf fast fünfzehntausend Euro angewachsen, und ich war meist sehr gut gelaunt nach den Wochenenden in der Firma voll einsatzfähig.
Es blieben mir noch drei Stunden, abzüglich einer Autofahrt von einer knappen Stunde. Mit dem flauschigen Badetuch hatte ich mich abgetrocknet, mein Ebenbild sprach aus dem Spiegel zu mir. Die Vorfreude konnte ich sehen, spitz standen die Warzen ab und meine Pussy juckte, war frisch rasiert. Mit der Fingerprobe bekam ich meine Bestätigung, der Tampon war nötig. Der mit Spitzen besetzte String sollte ja frisch bleiben.
Grundfarbe schwarz, BH, String, Halterlose und Pumps bildeten den Unterbau, dazu eine weiße Bluse und ein graues Business-Kostüm. Zu dem dezenten Make – up passten Halstuch und Clutch in weiß gehalten. Meine glänzenden Augen im Spiegel, ich gefiel mir. Einmal um die eigene Achse gedreht, alles saß genau so wie es sollte.
Gut 120 Km später, die Straßen waren frei gewesen, hatte ich das Ziel zehn Minuten früher erreicht als geplant. Mein 'Klient' hatte schon wie vereinbart den Platz am Fenster des Restaurants eingenommen. Mit einem Glas Orangensaft und der Tageszeitung in Händen saß er entspannt da, las in der Zeitung. Ich ging auf ihn zu und erst als ich kurz vor dem Tisch stand blickte er auf. Zeitung beiseite, er stand auf und reichte mir die Hand.
Vermutlich war er kaum älter als ich, was mich in Anbetracht der sonst eher gesetzten Kundschaft erstaunte, aber außer guten Manieren hatte er keinerlei Ausstrahlung. Auf den ersten Blick, ein total dröger Knochen. Während des Essens verfestigte sich mein Eindruck, die schmale Konversation hätte man im siebzehnten Jahrhundert vermutet.
Das Sieben-Gänge-Menü zog sich, erst nach drei Stunden bestellte er den Espresso zum Abschluss. Mir graute es schon vor dem Rest des Nachmittags, es war kurz nach drei, und er hatte mich bis Mitternacht gebucht. Nach fünf Minuten Fußweg standen wir vor dem Kunstmuseum, diese Ausstellung hatte ich bislang in Ermangelung von Zeit noch nicht besuchen können. Ein Lichtblick. Wie ausgewechselt war er plötzlich, knüpfte Zusammenhänge zu anderen Künstlern und fragte nach meinen Eindrücken.
Ein reger Gedankenaustausch, es flossen beiderseitig Emotionen mit ein. Persönliches wurde ganz unbewusst preisgegeben. Die Durchsage: „Es ist gleich achtzehn Uhr. Bitte begeben sie sich zum Ausgang, wir schließen. Wir wünschen allen Besuchern ein schönes Wochenende!“, rüttelte mich wach. Bei keinem Kunden hatte ich zuvor die Regeln des Geschäfts derart gebrochen.
Wie selbstverständlich nahm er mich jetzt an die Hand, führte. Ohne Worte schlenderten wir über den großen, jetzt von den Buden befreiten Marktplatz und in meinem Kopf spielten sich seltsame Szenarien ab. Was hatte Holger, so hatte er sich vorgestellt, mit mir vor? Vom Eisblock hatte er sich zu einer Art Charmeur gemausert, seine gute Bildung mit in die Waagschale geworfen.
„Schau mal Vivi!“ Er deutete mit dem langen Arm zum offenen Glockenturm der Stadtkirche. Die tief stehende Sonne spiegelte sich auf dem Ornament der bronzenen Glocke. Holger kannte sich hier bestens aus, nur an dieser Stelle wurde die Glocke vom Licht voll erfasst. „Das ist wirklich wunderschön.“, antwortete ich nur. Eigentlich hatte ich erwartet dass er damit seine Ouvertüre abschließen würde, nun die Frage nach Hotel und Preis käme.
Weit gefehlt. „Magst Du Shakespeare? Im Schauspielhaus wird Romeo und Julia gegeben. - Ich würde gerne mit Dir dahin, aber nur wenn es Dich nicht langweilt.“ Über den Vornamen war er zum Du übergegangen, schaute mir jetzt ganz offen in die Augen.
'Es waren zwei Königskinder.' Wie ein Schauer durchfuhr mich der Gedanke. Ein Tsunami hatte mich überrollt, ich brannte lichterloh und... Der Holger vom Nachmittag war genau der Typ Mann den ich mir immer für mich gewünscht hatte, - und er war mein Kunde. Mir wurde schlecht, ich ließ seine warme Hand los, schmiegte mich an ihn um seinem Blick zu entweichen und griff ihm hinterrücks an seine Taille. Behutsam legte er seinen Arm um meine Schultern und ganz langsam gingen wir Richtung Schauspielhaus.
Im Foyer gingen wir an den Schlangen vor der Abendkasse vorbei, an der Treppe zur Lounge wurden die von ihm bereitgehaltenen Karten abgerissen. Ich entschuldigte mich „für kleine Mädchen.“ In der geschlossenen Kabine konnte ich schon deutlich die Spuren im String erkennen. Zur Mittagszeit hätte ich noch der Wüste Gobi Konkurrenz machen können, jetzt war die Saugkraft des Tampons erschöpft. Lautlos kamen mir die Tränen.
Ich ließ mir Zeit, trocknete mich unten und schob einen neuen XXL ein. Der Waschraum war Gott sei Dank leer. Ich wischte die Tränen ab und richtete mein Make-up. Holger wartete an einem der Stehtische mit zwei Sektflöten. Aber schon nach zwei Schluck ertönte die Schelle. Er dirigierte mich zu unseren Plätzen, Oberrang erste Reihe Mitte, die mit Abstand besten Plätze.
In der Bühnenpause, nach dem zweiten Akt, gönnten wir uns einen Eisbecher 'Red Moon'. Ich hatte bei seiner Frage nur auf Früchte und Eissorten geachtet, war überrascht als der Kellner eine große Schale mit zwei Löffeln brachte. Dezent löffelte jeder zunächst auf der ihm nahen Seite und wir beobachteten uns gegenseitig aus den Augenwinkeln. Als sich unsere Blicke trafen, es war wie die Aufforderung irgendeinen Blödsinn zu machen, lächelten wir uns an. Schwuppdiwupp stibitzte ich eine Himbeere samt Sahne von seiner Seite.
Es war der Auftakt zu einer Schlacht, jegliche Manieren wurden über Bord geworfen, und wie Schaufelradbagger stopften wir Eis, Früchte und Sahne in uns hinein. Zum Glück war es relativ laut um uns herum, so nahm niemand Notiz von uns als wir in schallendes Gelächter ausbrachen. Die Klingel läutete zum zweiten Mal, ich legte meine linke Hand auf seine Rechte. „Was hast du vor?“, fragte ich und sah ihm dabei in die Augen. „Später.“ Seine Hand entzog sich meiner, er stand auf und nahm mich galant an die Hand.
Zu Beginn des fünften und letzten Aktes, eine Kulisse in schwarz-weiß unterstrich die Inszenierung, legte er seinen Arm um meine Schultern. Ein angenehmes Gefühl stieg in mir auf, gleichzeitig wurde mir wieder schlecht. So nah und doch so fern, Himmel und Hölle waren weit geöffnet. Der vielzitierte Abgrund, ich zitterte.
Er ließ sich nichts anmerken, aber ich spürte seine Augen auf meinem Körper. Mit Standing Ovations quittierte das Publikum den letzten Vorhang. Wir mogelten uns schnell durch die Reihe, konnten so dem großen Run entkommen. Keine zehn Minuten später öffnete er mir die Tür zum Steakhaus, 22:16 zeigten die Leuchtziffern der Kasse.
Holger stellte sich einen grünen Salat mit Dressing zusammen, nahm dazu ein Filetsteak englisch. Mir reichte eine Folienkartoffel mit Kräuterquark. Wasser war unser gemeinsames Getränk. Wir unterhielten uns über die Inszenierung, aßen ein wenig, unterhielten uns weiter. Messer und Gabel zeigten an, wir waren fertig. Ein Kellner räumte die Teller ab, fragte ob wir noch etwas wollten, in fünf Minuten müsse er abrechnen.
„Jetzt ist später. Ich heiße tatsächlich Holger und es wäre nett wenn Du mir auch Deinen echten Namen sagen würdest. Vivi ist ja sicher nur dein Künstlername. Danach beantworte ich Dir auch Deine Fragen.“ Er hatte mich mit den Augen fixiert, ganz bewusst seine Hände auf seiner Seite behalten.
„Meine Oma sagt immer ich sähe aus wie die junge Vivi Bach, daher der Künstlername. Im echten Leben heiße ich Caroline. Heute Mittag dachte ich noch: Was für ein dröger Knochen. Im Museum bist Du dann aufgetaut. Und seit dem frage ich mich: Warum bestellt sich ein gut aussehender, junger Mann eine Begleitdame. Mit deinem Charme könntest Du doch fast jede Frau haben. Also?“
„Also Caroline. Übrigens ein hübscher Name. Ich habe nur wenig Zeit, die Damen auf Empfängen sind meist vergeben und die die noch frei sind, - sind es wohl zurecht. Auf den Datingseiten gibt es nur, nennen wir es freundlich, Fallobst. Dafür ist mir die Zeit zu schade. Für eine schnelle Nummer findet sich immer etwas, aber ich will irgendwann eine Familie haben. Ein guter Freund hat mir dann im Vertrauen gesagt, seine Frau war früher für einen Escort Service tätig. Viele Frauen mit Niveau verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen.“
Diese entwaffnende Ehrlichkeit hatte ich nicht erwartet. Er räusperte sich, aber bevor er noch etwas fragen konnte, legte ich los: „Ich danke Dir für den schönen Tag. - Und NEIN. Ich möchte nicht in ein Hotel oder ähnliches. Hier Holger, als besonderes Bonbon gebe ich Dir meine Handynummer. Wenn Du die Frau fürs Leben gefunden hast, ein Urteil brauchst, dann ruf mich an.“
„Danke Caroline. Ich weiß das zu schätzen. Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag.“ Während er an der Kasse zahlte, verließ ich das Restaurant, ähnlich wie sonst die Hotels am frühen Morgen. Es wurde eine chaotische Heimfahrt, immer wieder schielte ich auf das Handy auf dem Beifahrersitz. Aber es tat sich nichts. Der erste Blick am Sonntagmorgen, ich hatte keinen Anruf verpasst. In den schönsten Farben malte ich mir den ganzen Sonntag aus, wartete auf Holgers Anruf.
Montag, Dienstag, Mittwoch, tagsüber lenkte mich die Arbeit ab, aber die Abende wurden lang und länger. Donnerstagabend war ich richtig angefressen. Holger hatte sich immer noch nicht gemeldet und Freitag sollten die Abteilungsleiter für eine außerordentliche Vorstandssitzung nach dem normalen Feierabend im Betrieb bleiben.
Madame rief Freitagmittag an, aber den für mich angedachten Termin musste ich ihr absagen. Um 14:00 ließen alle sinnbildlich den Hammer fallen, verabschiedeten sich ins Wochenende. Nur die sechs Abteilungsleiter, ich war einer davon, und der Chef mit seiner Sekretärin saßen im Konferenzraum zusammen. Lang und breit schilderte der Chef uns die Daten der wirtschaftlichen Entwicklung und lobte meine Strukturmaßnahmen. Es war schon nach 17:00, als er die Katze aus dem Sack ließ.
„Mein Sohn hat im Ausland genügend Erfahrung gesammelt, er wird ab Montag die Geschäfte leiten. Ich werde nur noch in beratender Funktion zur Verfügung stehen. Die Krankheiten der letzten Jahre haben einfach zu einem zu hohen Substanzverlust geführt.“ Er drückte auf einen Knopf und die Tür zu seinem Büro ging auf.
„Darf ich vorstellen: Holger Bertram, mein Sohn. Ich hoffe sie werden genauso loyal mit ihm zusammenarbeiten, auch wenn er vielleicht neue Wege beschreitet. Bevor Holger sich an Sie wendet, will ich Ihnen allen Dank sagen.“ Während alle applaudierten, der Chef das Zepter übergab, saß ich in mich gekehrt auf meinem Platz. Gedanklich schrieb ich schon meine Kündigung, war den Tränen nahe. Holger...
Jede oder jeder stellte sich mit Namen vor. Meine Stimme versagte fast völlig. „Auf eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Ich wünsche ihnen allen ein schönes Wochenende. Nur sie Frau Schulz, Caroline Schulz war doch richtig? Aus der Abteilung Innovation und Entwicklung bräuchte ich konkrete Daten zum Abgleich mit meiner Analyse. Hätten Sie noch ein wenig Zeit?“, fragte Holger ohne Umschweife. Ich nickte und allgemein verabschiedete man sich.
Kaum hatten alle anderen den Raum verlassen, schaltete ich auf Angriffsmodus: „Du wusstest schon vorher wer ich bin. Hat's Spaß gemacht. Verarschen kann ich mich allein! Ich weiß was ich kann. Also hast Du jetzt die Wahl: Entweder ich ziehe mein Ding hier autonom durch, oder, oder ich kündige.“
„Reisende soll man nicht aufhalten.“ Mehr als unterkühlt kam es rüber, und doch hatte ich mit meinem Schuss ins Blaue wohl richtig gelegen. Ein kurzes Zucken in seinem Gesicht hatte es mir verraten. Was würde als nächstes kommen? Den strategischen Vorteil, er hatte sich darauf vorbereiten können, wie würde er ihn ausspielen?
„Deine Nebentätigkeit spielt hier keine Rolle. Die Arbeitskosten in dem Betrieb sind zu hoch, da müssen Lösungen her. Der angefangene Strukturwandel muss auf solide Füße gestellt werden.“ Er schaltete den Beamer ein, die Krankenstatistik des Betriebs. Speziell die
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Danke an den Autor«
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ein paar Sprünge aber sonst eine netten Geschichte«
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ich mag Starke Persönlichkeiten.
Danke für diese hervorragende Geschichte.«
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