Eine (fast alltägliche) Liebesgeschichte
von Dark Angel
Ich stand bis zu den Knöcheln im eiskalten Wasser und sah mir den halbrunden Mond an. Er leuchtete schal auf die von meinen Füßen verursachten Wellen des Ziegelteiches und schimmerte irgendwie silbrig.
Die Stille um mich herum war wohltuend und angenehm. Irgendwie friedvoll. Nur das leise gurgelnde Wasser war unter mir zu hören und stimmte mich etwas melancholisch.
Ich gab mir einen Ruck und setzte den nächsten Schritt in das kalte Naß. Es planschte ein bißchen, kleine Wassertropfen spritzten auf den sonst spiegelglatten Teich und verursachten wiederum kreisförmige Wellen.
Heute lag ein ereignisreicher Tag hinter mir und dauerte bereits endlos lange. Bevor ich in das Wasser stieg war ich noch fix und fertig gewesen, aber die unsägliche Kälte des Tümpels würde sogar Tote zum Leben erwecken.
Aber der Reihe nach.
Alles begann heute mit einem kleinen Zank mit meiner Frau in aller Früh. Sie wollte unbedingt zeitig geweckt werden und ich hatte es mal wieder vergessen.
Nachdem sie von selbst aufgewacht war hastete sie durch die Wohnung, suchte sich alles zusammen, wusch sich, schminkte sich und zog sich an. Mir wurde richtig schwindlig ob der Geschwindigkeit, die sie an den Tag legte. Noch immer grollend drückte sie mir dann einen Abschiedskuß auf den Mund und wünschte mir, immer noch etwas ärgerlich, einen schönen Tag.
Ich lächelte in mich hinein, wenn sie wütend war, war sie am schönsten.
„Dir auch,“ konnte ich ihr gerade noch nachrufen, als die Tür auch schon ins Schloß fiel.
Ich hatte es lange nicht so eilig. Ich ließ mir weiter Zeit und verließ erst eine Viertel Stunde später unsere Wohnung. Entspannt schlenderte ich zum Bahnhof, meine Frau hatte sich für heute ausnahmsweise das Auto genommen, und stieg gut gelaunt in den Zug.
Es war heute ein klarer Tag, rein, frisch und schneidend kalt. Die Menschen am Bahnhof standen warm eingepackt herum und wirkten als ob sie noch im Bett lagen und träumten.
Dann passierte etwas ungewöhnliches.
Bereits als ich im Einsteigen begriffen war überfiel mich ein merkwürdiges Gefühl. Ich kann es nur schwer beschreiben, aber eine Autopresse schien mich gepackt zu halten und gegen meinen Brustkorb zu drücken. Mir blieb plötzlich der Atem weg und ich war froh, einen nahen Sitzplatz ergattert zu haben. In der Magengrube machte sich eine Art Völlegefühl breit, ich begann zu schwitzen und mußte heftiger schnaufen. Ich mußte ganz bleich geworden sein, denn ein Fahrgast blickte mich sorgenvoll an und bot mir Hilfe an.
Mir war nicht klar, was das bedeuten sollte und versuchte erst einmal ruhig zu bleiben, durchzuatmen, mich zu beruhigen. Das gelang mir nur bedingt. Eine derartige Unruhe, so ein merkwürdiges Gefühl hatte ich so noch nie erlebt.
Als ich kurze Zeit später wieder ausstieg hatte ich mich zumindest soweit im Griff, daß ich, zwar mit erhöhtem Puls, aber mittlerweile ohne diesen Druck am Brustkorb, zur Arbeit gehen konnte. Ich trank dort angekommen sofort kaltes Mineralwasser und konnte mich weiter beruhigen.
Das ungute Gefühl aber blieb.
Meine Frau konnte ich telefonisch noch nicht erreichen, weil ein Unfall die Südautobahn zu einem riesigen Parkplatz werden ließ. Ihre Kollegin, mit der ich telefonierte, war es schon gewohnt, daß meine Frau zu spät kam wenn sie mit dem Auto fuhr. Der Verkehr wurde von Tag zu Tag schlimmer.
Als ich gegen Mittag von einem Meeting zu meinem Arbeitsplatz zurückkehrte, rief ich wieder an und erfuhr, daß sie noch immer nicht auftaucht war.
Ich machte mir Sorgen.
Wo war sie bloß?
Auch die Kollegin konnte es sich nicht erklären und versuchte sich in unschlüssigen Erklärungsversuchen.
Die Autopresse zog sich wieder zusammen und ließ nicht los. Mir wurde klar, daß etwas nicht stimmte. Leicht nervös wählte ich den Notruf der Polizei und versuchte mich zu erkundigen. Dort wußte man nachdem ich unzählige Male verbunden worden war, Bescheid. Ein müde klingender Beamte informierte mich, daß bei dem Unfall auf der Autobahn meine Frau verwickelt worden war.
Näheres sollte ich im AKH erfahren, eine Abteilung samt Telefonnummer gab er mir durch. Mehr konnte, oder wollte er mir nicht sagen.
Apathisch kritzelte ich die Daten auf und stand völlig von der Rolle auf.
Ich mußte hin.
Für ein Telefonat hatte ich einfach keine Nerven. Ich warf mir meine Jacke um und verließ das Büro. Niemand fragte etwas, mein Ausdruck in meinen Augen ließ erahnen, daß etwas passiert sein mußte.
Mit dem Taxi war ich eine Viertelstunde später angekommen und war komischerweise ziemlich ruhig geworden.
In meinem Kopf schien ein Stock Bienen ausgeschwärmt zu sein, es summte und tremolierte und alles um mich herum ging seltsam langsam vor sich.
Lethargisch saß ich dann endlich vor dem richtigen Arzt. Heute schienen alle irgendwie müde zu sein. Er sah mich mit geräderten, rot geschwollenen Augen an. So schonend er es vermochte, erklärte er mir, daß meine Frau den Unfall nicht überlebt hatte.
Sie wäre auf der Stelle tot gewesen.
Sie hätte keine Schmerzen gehabt, weil es sehr schnell ging, sagte er.
Ich nickte.
Gefühlt hatte ich in diesem Moment nichts. Ich saß in einem Vakuum, mein rechtes Bein wippte unruhig vor sich hin wie ich es immer tat.
Eines aber war mir klar, nämlich das ich den ganzen Tag schon allein war.
Verlassen.
Meine Frau war nicht mehr da.
Aber ich fühlte mich nicht einsam.
Man bemühte sich um mich. Schwestern waren ständig um mich, Ärzte wollte mir irgendwelche Beruhigungsspritzen geben. Formulare mußten unterschrieben werden.
Als mir eine Schwester den Ehering meiner Frau zurückgab, spürte ich mich plötzlich wieder.
Es war alles wieder so real.
Das erste Mal, daß ich etwas von ihr sah, etwas angreifen konnte.
Noch immer konnte ich nicht weinen oder trauern. Nicht schreien. Nicht zusammenbrechen.
Endlose Zeit verbrachte ich im Wartezimmer.
Als ich merkte, daß sich niemand mehr für mich so recht interessierte, verließ ich das Krankenhaus.
Ohne wirklich nachzudenken fuhr ich zurück in die Firma, holte mir den Schlüssel eines Firmenwagens und fuhr an meine Lieblingsstelle am Teich, wo ich mich manchmal zurückzog um alleine zu sein.
Dort angekommen war mir klar geworden, daß ich von hier aus zu meiner Frau gehen würde.
Sie würde es ja nicht mehr nach Hause schaffen können.
Es war verdammt kalt im Teich.
Meine Lippen waren sicherlich dunkelblau angelaufen, meine mit Wasser angesogene Kleidung lag mir schwer auf der Haut und zog mich immer weiter.
Der letzte Schritt war der leichteste. Ich sah meine Frau bereits vor mir stehen und auf mich warten.
Und wie immer lag dieses Funkeln in ihren Augen ...
Die Liebe (Ein Paradoxon)
Die Liebe ist verletzlich, wie eine Seifenblase im Kaktuswald,
zugleich unzerbrechlich, unzerstörbar, eine Urgewalt.
Sie kann verwunden, töten, ist ungestalt und häßlich,
zugleich gibt sie Frieden, Seligkeit, ist unerläßlich.
Sie zerstört, schröpft, und läßt uns manchmal sterben,
zugleich spendet sie Kraft, und führt Rivalen in ihr Verderben.
Sie läßt uns gen Himmel schweben, und auch wieder fallen,
zugleich läßt sie die Stimme der Einsamkeit verhallen.
Sie ist voller Gefahren, Hürden, querulantisch,
zugleich so schön, ach so sinnlich, romantisch.
Sie läßt dich verzagen, krank werden, verkümmern,
zugleich läßt sie dich träumen, alles vergessen, der Welt entschlummern.
Sie ist nicht einfach zu finden, hartnäckig hält sie sich versteckt,
trotzdem habe sie schon sehr früh entdeckt.
Sabine heißt sie, und ich gelobe, ich werde ihr alles geben,
leider ist es nicht viel, nur mein ganzes Leben.
Dark Angel
(Gewidmet meiner Sabine, in ewiger Treue)
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Dark Angel, würdest Du Dich bitte bei mir melden?
sexy-hexy@erogeon.de
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die Geschichte ist so authentisch geschrieben, daß es sehr beängstigend ist. Beängstigend, wenn man drüber nachdenkt, ob der Autor sich in einer entsprechenden Situation befindet, oder genauso, wenn man vor Augen hat, daß man selber in solche Situation rutschen könnte.
Sehr packend geschrieben...
Gregor«
Kommentare: 1
die Geschichte könnte von mir sein. Bin mir nicht sicher, ob die Geschichte fiktiv oder wahr ist, denke aber wahr, da ich mich darin so sehr wiedererkennen kann.
Gruß,
olex
114 Tage
Vor hundertvierzehn Tagen
ist sie von mir gegangen.
Die Seelenschmerzen plagen,
die Lebenslust vergangen.
Schlimmer Tage grauer Geist,
bodenloser Sturz in's Nichts,
brennend die Verzweiflung kreißt,
düster blaß der Glanz des Lichts.
Zehrend' Denken, Bitterkeit,
dumpfes Vegetieren,
macht sich mir im Inner'n breit
wie aggresive Viren.
Öd und leer verrinnt die Zeit,
ihre Liebe fehlt mir so,
meine Seele nach ihr schreit,
und sie hört es - irgendwo.«
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und hoffentlich nur eine Geschichte ... oder?«
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eine wirklich ergreifende Kurzgeschichte.
Ich hoffe, Du hast ähnliches nicht erleben müssen (wegen der Widmung)«
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yksi, die immer noch tief betroffen ist..«
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Mich hat er (leider) nicht erreicht und berührt.
Und das liegt nicht am Thema und auch nicht am - typischen? - österreichischen Pessimismus.
Das liegt schlicht und ergreifend an der schreiberischen Umsetzung.
Dass die nicht passen will, wird bereits in den ersten beiden Sätzen klar:
1. Stutzen: "halbrunder Mond" - bestenfalls ungelenk, besser: Halbmond;
2. Stutzen: "schal leuchten" - überflüssiges und schiefes Adverb, besser: stärkeres Verb finden oder streichen;
3. Stutzen: "irgendwie silbrig schimmern" - unpassende Unbestimmtheit, besser schwammiges "irgendwie" streichen; und auch "silbrig" ist eher ein Adjektiv zu viel, besser: originelleres Bild finden oder streichen.
Und das waren nicht die letzten Stutzer.
Von Stil abgesehen ließen mich vor allem drei inhaltliche Punkte stutzen:
1. Telepathischer Verlustschmerz des Protagonisten - aufgesetzt, im Konflikt zur ansonsten durchweg realistischen Erzählweise, weil quasi esoterisch;
2. Vorhersehbarkeit - ab der Nennung des Autounfalls auf der Südautobahn ist ALLES klar (Anfang, weiter Verlauf, Ende) und somit die Spannung tot;
3. (Un)toter Erzähler - bislang konnte noch niemand erklären, wie (a) Tote erzählen können und (b) dessen Geschichte qua Tot-Sein leider schon zu Ende ist, noch ehe sie begonnen hat, und also uninteressant und dem Autor mit Blick auf (a) sowieso nicht abzukaufen, weil schlicht unmöglich.
Und so hat mich auch das Schicksal des (un)toten Erzählers genauso kaltgelassen wie das Eiswasser des Ziegelteichs. Schade, denn das Thema hat Potential (und wurde in anderen Texten auch famos ausgereizt).
Aus literarischer Sicht also stark verbesserungsfähig.
Die persönliche Sicht kann, will und soll (m)eine Textkritik nicht interessieren.
-AJ«
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