Engelhaft 2 - Das weiße Seil 1/2
von FlorianAnders
Das weiße Seil – 1/2
Engelhaft 2
Eine erotische Geschichte von Florian Anders
Die Philippinen lagen in der Vergangenheit. Ben stand wieder im Klassenraum in Frankfurt; allein. Und doch reichte ihre Macht bis hier her. Was er zu tun gedachte, konnte er selber noch nicht ganz glauben. Er war in der Klasse nicht der Beliebteste; gerade so akzeptiert. Er zog halt erst vor zwei Jahren mit seinen Eltern in die Stadt, weil er in seinem Heimatort wegen sexueller Belästigung einer Mitschülerin ins Gerede kam und sich dieses Gerede hochschaukelte, bis alle in ihm einen potentiellen Vergewaltiger gesehen hatten.
Deswegen tat er alles, sich dem Gefüge der neuen Klasse anzupassen. Bloß nicht auffallen, hieß die Devise. Dafür lachte er sogar über Kevins Witze, so dumm sie ihm auch erschienen, aber Kevin war der angesagteste Junge der Klasse. - Und er hatte sich der Ansicht über »Brillenschlange« angeschlossen. Als Oberstreberin mit Geschmacksverirrung bei Kleidung und Brillengestellen galt sie nahezu als Aussätzige. Imaginärer Sex mit ihr stand unter der Top-Drei der schlimmsten Foltermethoden. Auch Ben riss Witze über sie, um vor den anderen gut dazustehen.
Ein stummer Fingerzeig auf eine unscharfe Silhouette im Hintergrund eines Fotos hatte nun all das verändert. Wenn er diesem Fingerzeig folgte, würde er in knapp einer halben Stunde das Gespött der ganzen Klasse sein.
Er schaute sich im Klassenzimmer um. Sechzehn Tische. Vier längs vor den Fenstern, vier vor der Wandseite und je vier Tische im rechten Winkel dazu zur Raummitte angeschlossen. Alles stand noch so, wie sie es vor den Sommerferien verlassen hatten. Alle würden dieselbe Sitzordnung erwarten.
Der letzte Tisch auf der Fensterseite war unbesetzt. Herr Schantz, ein mittlerweile pensionierter Lehrer, hatte ihn mal »Lümmelbank« getauft. Der Name hatte sich bis heute gehalten. Einige Lehrer nutzten ihn gerne, um in Klausuren potentielle Abschreiber »vor sich selbst zu schützen«. Warum konnte Brillenschlange nicht dort sitzen? Dann hätten sie den Rest der Klasse vor sich.
Er schielte zu seinem alten Platz. Der dritte Tisch an der Wandseite. Undurchdringlicher Stein hinter sich und die anderen alle im Blick. Das hatte Sicherheit vermittelt. Was Finn wohl sagen würde, wenn er sich einfach wegsetzte? War es schlau, jetzt, im Abiturjahr, ein solches Wagnis auf sich zu nehmen?
Es gab tausend Gründe, die dagegen sprachen, und nur einen dafür. Ben folgte diesem Einen und setzte sich. Zum Glück saß Brillenschlange wenigstens nicht direkt vor dem Lehrerpult, sondern auf der anderen Seite.
Der Stuhl fühlte sich hart und kalt an, und auch wenn noch niemand anwesend war, glaubte er schon jetzt, die bohrenden Blicke der anderen in seinem Rücken zu spüren. Zwanzig vor acht. Wie lange ihm wohl noch blieb, bis der erste dumme Spruch fiel?
Die Klassentür öffnete sich. Ausgerechnet Leonie, die Schönheit der Schule kam als Erstes. Sie zog ihre langen, blonden Locken, mit einer ausholenden Armbewegung über eine Schulter und hatte ihren Kopf zur Seite geneigt. Trotz des warmen Wetters trug sie hochhackige Stiefel zu ihrem Minirock. Die Kurve, die der blaue Jeansstoff um ihren knackigen Po beschrieb, entlockte Ben einen kleinen Seufzer. Wie viel einfacher wäre sein Stand in der Klasse, wenn er neben ihr sitzen dürfte. Ihr einziger Makel war die noch unangezündete Zigarette in ihrem Mundwinkel.
»Hi Ben. Schöne Ferien gehabt?«, grüßte sie, huschte zu ihrem Tisch, stellte ihre Tasche ab, fischte ein Feuerzeug heraus und verschwand wieder aus dem Raum. Vermutlich hatte sie sein »Ja, und du?« gar nicht gehört. Zumindest hatte sie es nicht für nötig gehalten, ihren Gang zu verlangsamen oder auch nur eine kurze Antwort zu geben. Auf der anderen Seite hatte sie auch nichts über seinen neuen Platz gesagt, oder auch nur verwundert geschaut. Wenn er angesichts seines neuen Platzes nicht mehr zu befürchten hatte, sollte er sich glücklich schätzen.
Doch mit den ersten Klassenkameraden, die nicht zum Rauchen gingen, sondern sich auf ihren Tischen niederließen, oder an die lange Fensterbank lehnten, tauchten die befürchteten Blicke auf. Bald flogen Gesprächsfetzen zu ihm.
»Was ist denn mit dem los?«
»Wohl nach sechs Wochen die Orientierung verloren.«
»Oder den Geschmack.«
Ben bemühte sich, den wachsenden Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Dann ging die Tür auf und Finns schlaksige Figur schob sich in den Klassenraum, den Schulrucksack lässig über die Schulter geworfen und einen Knopf mehr als nötig an seinem schwarzen Hemd geöffnet.
»Hi Ben«, grüßte Finn und die beiden klatschten mit den Händen ab. »Wie war’s auf den Philippinen.«
»Geil!«
Finn kniff ein Auge zu, zielte mit dem Zeigefinger wie mit einer Pistole auf Ben und hakte nach: »Nur das Segeln oder hast du auch ein heißes Philippinogirl klargemacht?«
Ben ärgerte sich. Er hätte wissen müssen, dass Finn eine solche Antwort ins Doppeldeutige ziehen würde, doch die Erlebnisse seines Urlaubs durfte er nicht durch Prahlerei entweihen. Also log er erkennbar: »Na logo. Jeden Tag mindestens fünf.«
»Fünf nur? Schlappschwanz.«
In diesem Moment betrat Brillenschlange das Klassenzimmer. Keine Lehrerin und kein Lehrer hatten die Klasse mit ihrem Erscheinen je so schnell zum Schweigen gebracht, doch von der Situation an diesem Morgen wollte keiner etwas verpassen. Binnen Sekunden war es mucksmäuschenstill und alle Aufmerksamkeit lag auf Ben und der soeben Eingetretenen.
»Komm rum, Dicker«, meinte Finn und winkte Ben hinter sich her.
Bens Kehle verengte sich spürbar.
»Nee, ey, ich muss...«, krächzte er. »Also Abi dieses Jahr und ich muss da... besser mitkriegen... und ... also, nimm’s mir nicht übel...«
»Hast du sie noch alle? Da sitzt...« Finn sprach den Spitznamen nicht aus, sondern fügte ihn mit einem schnellen, aber deutlichen Seitenblick hinzu.
»Nicht zu ändern«, antwortete Ben mit starr geradeaus gerichtetem Blick.
Finn fächerte seine Hand vor seinem Gesicht, als Zeichen für die anderen, für wie bescheuert er Ben hielt.
Brillenschlange stand weiter einen Schritt hinter der Tür. Ben betete, sie möge sich einfach hinsetzen. Dann gäbe es vielleicht Getuschel, aber dann würden die anderen die Köpfe zusammenstecken und nicht mehr alle nur auf sie und ihn starren. Sie stand jedoch da, ihren Rucksack vor die Brust gedrückt und schien nichts mit der Situation anfangen zu können. Vielleicht vermutete sie einen derben Begrüßungsscherz zum Schuljahresanfang.
Konnte er etwas tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Ein aufmunterndes Lächeln, oder ein ›ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich mich her gesetzt habe‹?
Nein, die anderen würden sofort losgrölen, ob er auf Freiersfüße unterwegs sei oder Schlimmeres. Seine Finger verkrampften sich unter dem Tisch zu Fäusten. Los, beweg dich, dumme Kuh, dachte er und versuchte, sie nicht anzusehen, doch er konnte nicht verhindern, dass seine Augen immer wieder zu ihr sprangen.
Sie trug eine beige Kordhose, die modisch aus dem letzten Jahrtausend zu stammen schien. Ihre rotkarierte Bluse passte dazu so gut wie Spaghetti zu Pommes Frites. Und über allem hing eine hellblau dunkelblau gestreifte Männerstrickjacke mit Lederflicken an den Schultern und Ellenbogen. Ihre langen, straßenköterblonden Haare hingen platt herab und schienen nur von der eckigen Metallgestellbrille wie durch einen Vorhangspreizer auseinandergehalten zu werden, hinter der ihre Augen unsicher zwischen Fußboden und ihrem Platz hin- und hersprangen. Sie sah so scheiße aus!
Der Fingerzeig auf das Foto mit ihr konnte doch nur ein Scherz gewesen sein. Okay, Schönheit war nicht alles, aber so wie sie aussah... Er machte sich lächerlich. Nein, hier konnte er nicht sitzen bleiben. Er würde zu seinem Platz gehen und laut verkünden, alles sei nur ein Scherz gewesen.
Frau Lesker schwang mit einem heiteren Lächeln die Tür auf, warf ihren langen, roten und wulstigen Zopf mit einer schnellen Kopfbewegung auf den Rücken und rief: »Morgen allerseits.« Sie ging an Brillenschlange vorbei zum Lehrertisch, wuchtete ihre prallgefüllte Lederumhängetasche darauf und ließ den Kopf über die Gesichter schweifen.
»Alle heil und munter wieder da zum letzten großen Akt?«
Nun bemerkte sie Brillenschlange, die immer noch stand.
»Ist etwas, Fiona?«
Die Angesprochene schüttelte den Kopf mit winzigen Bewegungen, fast so als fröstele sie.
»Dann setz dich auf deinen Platz!«
Fiona ging ein paar Schritte, dann zögerte sie noch einmal.
Ja, schon gut, ich hau ja schon ab, dachte Ben und beugte sich zu seinem Rucksack.
Offensichtlich hatte Kevin auf genau diesen Moment gewartet. Er saß zwar auch alleine, aber das, weil er immer zur Schule kam, als befände er sich im Umzug. Zur Schultasche führte er stets eine Sporttasche mit sich, denn irgendein Training (Fußball, Karate, Apnoetauchen) hatte er immer, dazu kamen der Motorradhelm und der Nierengurt. Sein Tisch war nicht einfach ein Platz, sondern eine Audienzstätte. Und nun sah sich der König geneigt, seinen Untertanen etwas mitzuteilen.
»Ey, Weber, bist du jetzt maso?«
Ein Spruch dieser Art war einfach überfällig gewesen, doch die selbstgerechte Art, mit der Kevin von seinem Thron herab urteilte, und die anbiedernde Art, mit der viele in der Klasse lachten, weckten Bens Trotz. Ohne viel nachzudenken, antwortete er: »Lieber maso als aso.«
»Hä? Aso? Dichtest du jetzt Kinderreime?«, äzte Kevin weiter.
»Ich vermute ›aso‹, soll eine Abkürzung für asozial sein«, antwortete Frau Lesker, ohne den Blick von ihrer Tasche, in der sie irgendwelche Unterlagen suchte, abzuwenden, »was dein Verhalten eigentlich auch ganz gut beschreibt, Kevin.«
Erstauntes Schweigen machte sich in der Klasse breit. Noch nie hatte jemand so gegen Kevin opponiert. Doch auch ein kurzes Grunzen erklang, das ein Lachen unterdrückte. Zumindest einer Person schien es zu gefallen, dass Kevin einmal Gegenwind bekam.
Ben sah sich um. Hinter einer vorgehaltenen Hand blitzte ein freches Lächeln auf. Leonie.
Ben fühlte sich, als pumpe jemand puren Sauerstoff in seine Lungen. Damit hatte er nicht gerechnet. Vorsichtig ließ er seinen Rucksack wieder sinken. Vielleicht ergab sich in dieser Stunde noch eine Möglichkeit, Kevin eins reinzuwürgen. Wenn Leonie das gefiel.
Fiona bemerkte seine Bewegung und ihr wurde klar, dass er nicht gedachte, sich wegzusetzen. Also setzte sie sich. Sie traute sich nicht, ihn direkt anzuschauen, doch sie schielte seitlich an ihrer Brille vorbei zu ihm. Damit ihre Haare ihr nicht die Sicht versperrten, strich sie sie hinter ihr rechtes Ohr.
Wie scheu, wie verunsichert wirkte diese kleine Handbewegung. Sie wirkte so wahnsinnig unsicher, als könne er gleich ein Küchenmesser ziehen und ihr die Kehle durchschneiden. Ein Funke Mitleid glomm in Ben auf. . Nun ewig konnte er ja auch nicht schweigend neben ihr sitzen.
»Und? Wie waren deine Ferien?«
Sie starrte auf die Tischplatte.
»Lang.«
Ben seufzte. Das klang nicht danach, als sei sie an einem Gespräch interessiert.
»Wenn’s dich stört, dass ich mich hergesetzt habe, musst du es sagen, dann...«
Ihr Kopf zuckte zweimal. Eine wirkliche Richtung konnte Ben den winzigen Bewegungen nicht entnehmen, doch die Wellen, die ihre Haare zu den Spitzen hinabliefen, ließen ihn ein Kopfschütteln annehmen. Zu dem stellte sie die Gegenfrage: »Und deine Ferien?«
Ben entspannte sich. Zu höflicher Konversation ließ sie sich ermutigen.
»Cool. Ich war auf den Philippinen. Segeln.«
Ein gequältes bis abfälliges Lächeln huschte über ihre Lippen. Nun wandte sie nicht nur ihren Kopf ab, sondern drehte sich demonstrativ von ihm weg und widmete all ihre Aufmerksamkeit Frau Lesker.
Kostspielige Fernreiseziele und Wassersport schienen also nicht ihre Lieblingsthemen zu sein. Hätte er sich bei ihrem Outfit denken können. Um mit ihr zu sprechen, musste er sich sicher über Batiken oder burmesische Autorenfilme informieren.
Ben ließ seinen Blick unauffällig an Brillenschlange vorbei über die Klasse schweifen. Standen sie immer noch im Mittelpunkt des Interesses? Seine Augen fingen nur einen Blick auf und es war der Blick der schönsten, smaragdgrünen Augen, die es in der Klasse, nein, in der ganzen Schule gab. Leonie.
Sie lächelte ihn an. War das ein Ausdruck von Wohlwollen in ihrem Gesicht? Bens Herz schlug einen Schlag schneller und ein warmer Funken entzündete sich in seinem Bauch. Wäre doch neben ihr ein Platz frei. Wie viel schöner wäre es...
*****
Eine weiche Rundung erhebt sich aus dem Nichts. Zärtlichkeit soweit das Auge reicht. Samtenes Streicheln erfüllt alles. Haut! Der Hügel ist aus Haut und Fleisch; warm, weich, anziehend. Er spürt Knochen. Verborgen unter weichem Fleisch; weichem Fleisch und samtener Haut. Eine Schulter. Das Bild wird konkreter. Eine zweite Schulter erhebt sich aus der Dunkelheit. Die Linien einer Silhouette schwingen sich zur Taille. Der Anblick ihres nackten Rückens erinnert ihn an eine Gitarre. Die Schönheit streichelt seine Augen. Er liebt, was er sieht, begehrt es. Das Begehren wächst. Er will mehr von diesem Rücken, will sein Ende spüren. Die Rundungen des Po’s lassen sein Herz klopfen. Sie ist nackt. Er spürt die Wärme ihres Körpers, fühlt sie atmen. Voller Leben. Sie ist ganz nah bei ihm.
Sein Magen wird flau vor Glück. Die Schultern sind nach hinten gezogen. Die Oberarme bilden den Trichter des Ypsilons. Ihre Unterarme liegen über dem Tal, das ihre Wirbelsäule durch ihren Rücken zieht. Ein weißes Seil windet sich um ihre Ellenbogen und Handgelenke und schnürt sie zusammen. Weich, damit es nicht weh tut und doch fest, dass sie es nie zerreißen könnte.
Gefesselt. Sie ist gefesselt. Für ihn gefesselt. Er hat die Macht über sie. Sie gehört ihm, ganz ihm, nur ihm, ihm allein. Er bestimmt, was er tun darf, was sie spüren muss und er spüren will. Doch seine Hände sind nicht da und können nicht greifen. Sein Mund kann nicht küssen, seine Zunge nicht lecken, was er so begehrt. Die Begierde dehnt sich aus, spannt, wird immer stärker und stärker. Er windet sich, räkelt sich, wirft sich umher. Er spürt sie so nah bei sich und kann sie doch nicht fassen. Warum nicht? Er will, er will es so sehr. Er befiehlt seiner Hand, zu zugreifen. Sie packt etwas. Er zieht und sein Kopf dreht sich...
Ben schlägt die Augen auf. Sein Herz hämmert. Seine rechte Hand, direkt vor seiner Nase, hält einen Zipfel des Kopfkissens fest umklammert.
Wach! Und allein. Sein Bett fühlt sich plötzlich riesig an und furchtbar leer. Was war das?
Er drehte sich langsam auf den Rücken und starrte an die Decke. Die Luft wurde von grellen Sonnenstrahlen durchschnitten, die durch die kleinen Schlitze des Rollladens drangen. Winzige Staubfusseln tanzten darin, wie die Gefühle dieser Nacht in seiner Brust.
Es war eine überflüssige Bewegung, das wusste er schon, bevor er sie ausführte, aber er konnte nicht anders, er musste mit der Hand durch die Luft fahren und versuchen, sie einzufangen. Der Staub tanzte nur wilder, doch er blieb unerreichbar trotz seiner Nähe. Wie dieser Rücken.
Ben sehnte sich in den Traum zurück, doch er war verflogen. Geblieben war das Begehren, wie ein starkes Hungergefühl nagte es in seinem Bauch.
*****
Fiona saß schon auf ihrem Platz, als Ben in die Klasse kam. Ihr Mathebuch und der Collegeblock lagen vor ihr. Mit dem Füller oben auf. Diese Streberin. Dazu trug sie dieselben beschissenen Klamotten wie gestern. Ein Anflug von Ekel stieg in ihm auf. Sex mit ihr? Das konnte er sich einfach nicht vorstellen. Besser er setzte sich wieder neben Finn.
»Guten Morgen, ihr zwei.«
Ben erstarrte in der Bewegung. Leonie schwebte an ihm vorbei. Ihre weißen Zähne strahlten ihn an. Dabei schien sie nicht einfach nur fröhlich, sondern ihr schien zu gefallen, was sie vor sich sah, und das waren er und Fiona.
Sie ging weiter und es verschlug Ben den Atem. Sie trug ein nahezu rückenfreies Top. Er verschlang jeden Zentimeter der sonnengebräunten Haut mit den Augen. War es der Rücken? Das Bild aus seinem Traum, dass er in der Nacht noch gestochen scharf gesehen hatte, schien verschwommen. Je mehr er sich zu erinnern versuchte, desto mehr verblasste es. Aber es musste einfach dieser Rücken gewesen sein. Die Rundung darunter, heute in eine knallenge, weiße Jeans verpackt, war traumhaft. Es musste einfach ihr Rücken sein, von dem er geträumt hatte. Es sollten ihre Arme gewesen sein, die dieses weiche, weiße Seil gefesselt hatte.
Ein Gedanke klingelte in seinem Kopf wie ein Centstück im leeren Sparschwein: Das Foto, mit dem er auf Brillenschlange aufmerksam gemacht wurde, zeigte im Vordergrund Leonie. Ben wandte sich mit einem Ruck ab. Was, wenn der Hinweis auf Brillenschlange nur ein Hinweis war, wie er Leonies Herz gewinnen konnte? Ihr hatte dieser Schnappschuss gegolten, den er letztes Jahr bei einem Schulausflug geschossen hatte. Sein Atem beschleunigte.
Ihm fiel ein, Leonie hatte sich eigentlich nie an den Lästerein über Fiona beteiligt. Partei für sie allerdings auch noch nie ergriffen. Hatte sie vielleicht auch Angst, dann ins Abseits gedrängt zu werden? Quatsch, ein Traummädchen wie sie musste so etwas nie befürchten. Und doch schien es ihr zu gefallen, dass er - Benjamin Weber - sich Fionas annahm.
Das Foto hatte ihr gegolten, doch der Fingerzeig hatte unmissverständlich auf Fiona im Hintergrund gezeigt. Aber wenn es doch der Weg zu ihr...?
»Darf ich?«, fragte Ben höflich und Fiona rückte einige Zentimeter dichter an den Tisch, damit er hinter ihr zu seinem Platz neben ihr kam.
Er setzte sich. Die Tür öffnete sich nun im Abstand weniger Sekunden. Schließlich kam auch Finn.
»Hi, Alter!«, rief Ben und hob die Hand zum Abklatschen.
»Hi«, quetschte Finn durch die Zähne und seine Augen wanderten durch den Raum, ob ihn auch niemand bei der Grußerwiderung bemerkte. Bens Hand ließ er unberührt in der Luft.
Ben schluckte. Er traute sich nicht, sich umzudrehen, doch er fühlte, dass alle auf seinen ausgestreckten Arm starrten. Seine Hand wurde schwer und kalt, während er sie auf die Tischplatte sinken ließ.
War sie es wert, eine Freundschaft zu riskieren?
Der reine Zufall wollte es, dass Ben auch im Sportkurs mit Fiona zusammenkam. Er hatte Tischtennis gewählt, weil er seinen Lieblingssport nach Segeln, Volleyball, schon zweimal gewählt hatte. Die Schulregelung wollte es, dass man in den vier Halbjahren der Oberstufe mindestens drei unterschiedliche Sportarten wählte. Tischtennis hatte den Vorteil, dass es in der kleinen Halle, die zur Schule gehörte, unterrichtet wurde und man nicht, wie für die meisten anderen Sportarten, in andere Hallen der Stadt fahren musste. Zudem hatte ein ehemaliger Freund in seinem Heimatort eine Tischtennisplatte im Keller gehabt und dort hatten sie als Kinder viel Zeit verbracht. Ben war ein guter Hobbyspieler.
Fiona hatte Tischtennis vermutlich gewählt, weil es den Anschein erweckte, sich an der vergleichsweise kleinen Platte nicht übermäßig viel bewegen zu müssen. Sie war absolut unsportlich und auch in diesem Kurs hauptsächlich damit beschäftigt, den Bällen, die sie nicht getroffen hatte, hinterherzurennen, oder einem scharfen Schmetterball, den viele Jungen absichtlich auf ihren Körper spielten, auszuweichen.
Herr Beyermaier, der von den Schülern nur Bey-Mai genannt wurde, hatte zum anderen ein kleines Turnier ersonnen. Zum Ende der Doppelstunde spielten alle Schüler ein Einsatzmatch, wobei die Spielpartner jede Stunde wechselten, so dass zum Ende des Halbjahres jeder gegen jeden gespielt hatte. Das jeweilige Ergebnis wurde Bay-Mai am Ende der Stunde mitgeteilt. Hierbei bildete Fiona natürlich das unangefochtene Schlusslicht. Sie verlor jede Partie.
An einem Tag, das Schuljahr lief schon wieder ein paar Wochen, hatte sich zum Ende der Stunde wieder die Menschentraube um Bey-Mai versammelt und gab die Ergebnisse durch. Fiona hatte gegen Justin gespielt, der dickste Kumpel von Birger. Birger spielte Tischtennis im Verein und hatte Fiona bei seinem Spiel zu null geschlagen. Diesem Vorbild wollte Justin offenbar nacheifern. Als Bey-Mai mit dem Stift in der Hand und dem Klemmbrett auf dem Unterarm zu ihm schaute, sagte Justin: »15:0«
Ben hatte an der Platte neben den beiden gespielt. Fiona hatte ihm leidgetan, denn auch Justin hatte alles getan, sie mit Schmetterbällen abzuschießen. Zweimal hatte er sie voll erwischt, dabei hatte der Ball aber die Platte nicht mehr berührt. Wie konnte da ein zu Null entstanden sein?
»Das kann ja wohl nicht angehen«, warf er ungefragt ein. »Zweimal hast du voll über die Platte geschmettert und einer ist im Netz hängen geblieben.«
»Halt doch die Fresse!«, schautzte Justin ihn an.
Bey-Mai zog überrascht die Augenbrauen hoch, kratzte sich mit dem Stiftende seinen Bart und fragte: »Stimmt das, Fiona?«
Es erklang ein dünnes »Ja.«
»Und warum sagst du das nicht?«
»Ist doch scheißegal«, raunzte Justin ungehalten dazwischen. »Die Alte hat haushoch vergeigt.«
»Nun, lieber Justin, in meinem Sportunterricht geht es mir nicht nur um die Vermittlung bestimmter Techniken oder Taktiken. Das Lernziel der sportlichen Fairness wird bei mir auch sehr hochgehängt. Und damit dir das eine Lehre ist...«
Er beendete den Satz auf dem Papier, in dem er das 15:0 eintrug, aber zu Gunsten von Fiona.
»Boah, das ist doch Schiebung!«, motzte Justin und funkelte Ben mit einem tödlichen Blick an. »Kannst dir von der Fotze zum Dank ja gleich einen blasen lassen und ihr auf die Brillengläser wichsen.«
Bey-Mai stauchte Justin darauf hin ziemlich zusammen und hielt ihm einen Vortrag über Umgangsformen und »verlieren können«.
Fiona schien die Angelegenheit ebenfalls unangenehm. Ben war sich sicher: Hätte Justin nicht dazwischen gequatscht, hätte Fiona auf Bey-Mais Frage, warum sie nichts zum falschen Ergebnis gesagt habe, ebenfalls mit »Ist doch scheißegal« geantwortet. Sie schenkte ihm jedoch einen kurzen Blick und Ben war reaktionsschnell genug, um sie anzulächeln und zu sagen: »Hey, dein erster Sieg. Glückwunsch.«
»Ganz toll.«
Ben konnte aus den Worten nicht heraushören, ob sie sie ironisch meinte, oder ob nur ihre Unsicherheit ihre Freude verdeckte. Dann strich sie mit der rechten Hand wieder ihre Haare hinter das Ohr. Diese rasche und so scheue Geste ließ sie irgendwie verletzlich wirken. Und Ben beschlich das Gefühl, wieder etwas falsch gemacht zu haben. Doch er gab sich beharrlich und hielt ihr entgegen: »Ja, ich weiß. Sport ist nicht die Welt, aber es gehört halt auch zum Unterricht. Für alle Fächer übst du fleißig. Vielleicht solltest du dir mal überlegen, ob du auch für...«
»Willst du mir Tischtennisnachhilfe geben?«
Die Frage war natürlich rhetorisch gemeint, aber der undankbare Ton provozierte Bens Antwort geradezu.
»Wenn du willst?«
Am nächsten Morgen begann der unausweichliche Ernst des Schülerlebens. Die erste Klausur stand ins Haus. Ausgerechnet Mathe. Bis zur Zehnten hatte Ben nie Probleme in dem Fach gehabt. In der Elften ging es noch so, doch seit er die Oberstufe besuchte und es um Beweise ging und mehr mit Buchstaben, als mit Zahlen gerechnet wurde, hatte er keinen Durchblick mehr. Mit entsprechend vorfrustriertem Bauchgefühl saß er auf seinem Platz und betete, dass ihm in der folgenden Doppelstunde irgendeine Erleuchtung treffen möge, mit der er verstand, was ihm in den Wochen zuvor verborgen geblieben war.
Einziger Lichtblick des Morgens, der für einen Moment alle trüben Gedanken vertrieb, war Leonies Auftritt. Ihr Lächeln glich einem Sonnenstrahl und entspannte Bens verkrampfte Eingeweide. Ihr Anblick war wie eine wohltuende Salbe, mit der kleinen Einschränkung, dass der Duft ihres Parfüms von einer Rauchnote durchsetzt wurde. Doch ihr schwebender Gang oder wenn sie sich mit der Hand durch ihre blonden Locken fuhr, erschien sie wie ein Modell aus den Hochglanzmagazinen.
»Guten Morgen, ihr zwei«, zwitscherte sie und Ben war sich sicher, dass sie ihn länger anschaute, als Fiona. »Alles fit für die Arbeit?«
»Denke schon«, antwortete Fiona. Ihre Stimme klang dünn. Sie war es einfach nicht gewohnt, freundliche Fragen zu beantworten, schien es Ben. Oder sie fürchtete, dass dem irgendeine neue Boshaftigkeit folgte. Den Beweis für diese Theorie trat Kevin an, der hinter Leonie den Klassenraum betrat. Er grölte: »Die Schlampe hat es sich gestern bestimmt noch mit ihrem Taschenrechner selbst besorgt.«
Leonie verdrehte die Augen über den selten dämlichen Spruch, was Ben animierte, noch einmal Partei für Fiona zu ergreifen. Natürlich fiel ihm auf die Schnelle nichts besonders Intelligentes ein, so sagte er nur: »Boah, merkst du eigentlich noch irgendwas, Kevin?«
Kevin zog eine abfällige Grimasse, bei der er Ben halb die Zunge herausstreckte und mit den Händen gespielt ängstlich in der Luft herumwedelte. »Uh, der kleine Benny greift an. Spielst du jetzt Kreuzritter, Weber?«
»Nein, ich habe mich nur entschieden, dass ich nicht zu den Schergen der heiligen Inquisition gehören will.«
»Ha!« Finn lachte spontan auf, klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und breitem Grinsen auf Ben. »Der war gut.«
Ein Knoten löste sich in Bens Brust. Die Freundschaft mit Finn war noch nicht verloren. Er lächelte ihn dankbar an.
Auch Leonie griff den Spruch sofort auf und verbeugte sich mit barockem Handwedeln tief und ließ Kevin den Vortritt.
»Nach Ihnen, Herr Großinquisitor.«
Die Freude über den kleinen Sieg wehrte aber nur kurz, denn danach betrat Herr Niestard den Raum und das Drama nahm seinen Anfang. Ben konnte mit den Aufgaben wie befürchtet nichts anfangen. Die ersehnte Erleuchtung in letzter Sekunde stellte sich nicht ein. Er kritzelte ein paar Buchstaben und Zahlen auf das Papier, versuchte Formeln umzustellen, damit irgendwelche Rechnungen einen Sinn ergaben, doch im Prinzip wusste er, dass er wie ein Blinder durch die Wüste tappte.
Fiona schrieb vom ersten Augenblick mit großem Eifer. Sie hatte natürlich den Durchblick. Wenn er schon neben ihr saß, vielleicht gestattete sie ihm ja auch einen Einblick. Ben wartete, bis Herr Niestard seine erste Runde durch die Klasse antrat, bei der er den Schülern über die Schultern schaute. Manchmal, wenn er einen besonders gravierenden Fehler entdeckte, gab er sogar einen hilfreichen Kommentar an die gesamte Klasse. Als er sich vom Lehrerpult entfernte und an der Fensterseite entlang ging, versuchte Ben sein Glück.
»Pst«, zischte er leise und wandte sich so unauffällig es für den Lehrer und so auffällig es für Fiona ging zu ihr. Keine Reaktion. Er schickte ihr noch ein entschiedeneres »psssst!«
Sie drehte ihm die rechte Schulter zu. Deutlicher konnte eine stumme Abfuhr kaum formuliert werden. Na, danke, Miss superschlau, dachte Ben. Und das Geräusch ihres permanent schreibenden Füllers kratzte an seinen Nerven. Wut keimte auf. Warum ihm gerade in diesem Moment das Traumbild des nackten Rückens mit den gefesselten Händen einfiel, konnte er nicht sagen, aber er wünschte sich sehnlichst, dass es Leonies Rücken war und nicht Fionas.
Wäre Fiona ihm so ausgeliefert, er würde sie mit brutalen Stößen seines harten Schwanzes in ihren verklemmten Arsch zum Schreien bringen. - Ein kurzes Prickeln stieg in seinem Penis auf.
In diesem Moment richtete Fiona ihren Oberkörper auf und streckte einen Arm nach oben. Der Stoff ihrer Bluse straffte sich über ihren Brüsten. Was für eine Rundung. Nicht groß, aber die perfekte Kurve.
»Ja, Fiona«, riss Herr Niestard Ben aus seinen Gedanken, in dem er Fionas Meldung annahm.
Sie lachte peinlich berührt. »Ehm, sorry, mir ist das Papier ausgegangen. Könnte ich von jemandem...?«
Ein paar abfällige Bemerkungen flogen durch den Raum. Die Augen von Herrn Niestard legten sich automatisch auf Ben. Na toll. Sie ließ ihn nicht abschreiben, aber dafür sollte er ihr nun auch noch Papier für ihre mathematischen Ergüsse zur Verfügung stellen. Er rupfte zwei Seiten besonders lautstark aus seinem Collegeblock und warf sie geringschätzig auf ihre Seite des Tisches.
»Noch eins, bitte?«
›Noch eins, bitte‹, wiederholte Ben in Gedanken und riss noch ein Blatt so nachlässig aus, dass unten eine Ecke abriss.
Ihr »danke« klang trotz seiner mürrischen Übergabe aufrichtig. Und dann passierte es wieder. Diese kleine Bewegung. Drei Finger lagen leicht gekrümmt aneinander. Der kleine Finger stand wie beim vornehmen Teetrinken etwas ab und der Daumen wies mit seiner Spitze zur Decke hinauf. Der Zeigefinger nahm die Haarsträhnen auf, die ihr Gesicht, wie ein Vorhang verdeckten, und schob sie hinter das Ohr. Es war so eine flüchtige Geste und doch begannen Bens Schläfen zu kitzeln. Was für ein zärtliches Gefühl musste es sein, wenn diese Finger über die Haut strichen? Sie hatte eigentlich schöne, feingliedrige Finger. Auffällig war, dass ihre Fingernägel kurz und unlackiert waren, das gab ihr etwas Mädchenhaftes. Auch seine Fingerspitzen nahmen das Kribbeln auf. Wie musste es sich erst anfühlen, ihre Haut knapp oberhalb der Wangen zu berühren. Wie würde es sich anfühlen, ihr die Haare hinter die Ohren zu streichen?
Die Minuten verrannen. Eigentlich hätte Ben seinen Zettel, der als einzige verwertbare Informationen seinen Namen und das aktuelle Datum enthielt, schon lange abgeben können. Dann hätte er wenigstens nach draußen gehen und frische Luft schnappen können. Warum er es nicht tat, konnte er nicht sagen. Halb kochte er vor Wut und Eifersucht, dass Fiona schrieb, als sei ihr gerade persönlich die Relativitätstheorie eingefallen. Zum anderen faszinierte es ihn, wie sie sich scheinbar völlig in diese Arbeit vertiefen konnte, so als gäbe es um sie nichts anderes als die Welt der Zahlen und Formeln.
Das Pausenklingeln erscholl und Herr Niestard sagte: »Okay, dann kommen Sie bitte zum Ende.«
Die Pause wollte Ben natürlich nicht noch über sein Nichtwissen verschwenden. Er schnappte sich seinen Zettel, schob sich auf dem Stuhl zurück und erhob sich.
»Sofort, sofort«, rief Fiona plötzlich aufgeregt. Sie streckte ihren Rücken und schob ihren Stuhl soweit zurück, bis die Lehne den hinteren Tisch berührte. Sie hatte gerade zu Mühe ihre Hände auf der Tischplatte zu halten, auf der ihr Füller immer noch über das Papier flog.
Ben zuckte verwundert mit den Schultern.
»Von mir aus kannst du hier weiterkritzeln, bis der Nikolaus kommt. Ich würde nur gerne raus. Ob es nicht zu viele Umstände macht, mich eben durchzulassen?«
»Sofort!« Ihr Tonfall klang fast bettelnd.
Auch Herr Niestard kam auf Fiona zu. Er hatte inzwischen alle anderen Arbeiten bekommen.
»So, Fiona, jetzt muss ich auch Sie bitten...«
Fiona ließ sofort ihren Stift fallen, als seine Gestalt vor ihrem Tisch auftauchte, raffte die Zettel eilig zusammen, riss Ben seinen wirsch aus der Hand, ordnete ihn unter ihren Stapel und gab beides ab.
Ben hatte keine Ahnung, was er von diesem Auftritt halten sollte und tauschte einige schräge Blicke mit Herrn Niestard aus.
Er hoffte, die große Pause endlich einmal wieder mit Finn verbringen zu können, doch am Fuße der Treppe hörte er seinen Namen. Er drehte sich um. Fiona kam ihm nachgerannt? Nicht abschreiben lassen, Zettel verlangen, ihn nicht durchlassen. Für heute hatte er wirklich genug von ihr. Den Rest des Schultages neben ihr sitzen zu müssen, war schlimm genug. Er wollte nicht auch noch in der Pause mit ihr gesehen werden, sonst würden die Gerüchte noch die Hochzeitsglocken zwischen ihnen läuten lassen.
Er suchte nach einem Fluchtweg, doch ihr Ruf erklang gleich noch einmal. Viel zu laut für seinen Geschmack. Es musste nicht noch die ganze Schule wissen, dass er jetzt neben ihr saß.
»Ben, bitte warte«, rief sie ein drittes Mal.
Er stoppte seinen Gang, machte aber keinen Versuch, sein genervtes Stöhnen vor ihr zu verbergen.
Sie räusperte sich.
»Hast du das letztens eigentlich ernst gemeint?«
Ben schickte sein »was?« in Form eines fragenden Blickes.
»Wegen Tischtennisnachhilfe.«
Erst lässt du mich in der Mathearbeit abblitzen und jetzt soll ich dir in Sport helfen, dachte Ben. Noch im letzten Schuljahr hätte er sich zu keiner Silbe mehr hinreißen lassen, als »verpiss dich!« Er fand, dass er jedes Recht dazu hatte, und doch brachte er es nicht heraus. Verpflichtete Banknachbarschaft zu solch einer Loyalität? Und wenn ja, warum spürte dann offensichtlich nur er diese Loyalität, während sie nichts davon zu merken schien? Oder war es das Angebot, zu dem er sich hatte provozieren lassen und das er sich nun nicht traute, zurückzunehmen?
Sie stand da mit gesenktem Kopf, die Augen auf die Fußspitzen gerichtet, die Finger miteinander spielend. Eine fordernde Haltung sah anders aus. Er konnte sein Angebot einfach als daher geredet bezeichnen, sie würde sich nicht beschweren, sondern es hinnehmen, wie sie schon so vieles hinnehmen musste. Dort stand ein Mädchen, das nach Hilfe suchte. - Leonie mochte es, wenn er ihr half. - Und genau deswegen konnte er sie nicht wegschicken. Um vor sich selbst das Gesicht zu wahren, sagte Ben sich, dass er sich die Haltung merken wolle, um sich vor der nächsten Mathearbeit so vor ihr aufzubauen. Vielleicht würde sie ihn dann ja abschreiben lassen.
»Ah, da junge Liebespaar. Haste sie schon flachgelegt?«
Justin, Birger und ein paar andere Jungen scharrten sich kurz um sie, legten die Arme um die Schultern der beiden oder klopften ihnen scheinbar freundschaftlich auf den Rücken.
Ben schüttelt die Kerle energisch ab. Fiona versuchte, es zu ignorieren, konnte ihre Abneigung dann aber doch nicht verbergen und schüttelte die Schultern.
Ben hasste sich dafür. Er wäre viel lieber auf die Suche nach Finn gegangen aber sein Mitleid siegte.
»Nee, wenn du willst kann ich dir mal was zeigen.«
»Danke.« Sie wandte sich halb ab und er wollte schon aufatmen, als sie innehielt.
»Wann denn?«
Er rollte mit den Augen.
»Du musst natürlich nicht«, räumte sie, von dieser Reaktion gleich eingeschüchtert, ein.
Ben schüttelte den Kopf. Sein Augenrollen hatte nicht ihrer Frage gegolten, sondern einer Entdeckung. Bei ihrer halben Drehung hatte er den Zettel auf ihrem Rücken entdeckt. Er tippte an ihre Schulter als Aufforderung, sie möge sich umdrehen. Dann zupfte er den Zettel ab.
›Ich lutsch Niestard die Eier‹ stand darauf.
»Vollidioten«, murmelte Ben und knüllte den Zettel zusammen.
»Danke. - Hast du vor Sport, nicht auch eine Freistunde?«
Na toll. Das wusste sie. - Wie konnte er ihr nur dieses Angebot gemacht haben? Das weder sie noch er eine Tischtennisplatte zu Hause hatten, war doch klar. Es blieben also nur die auf dem Schulhof. Er saß in seiner eigenen Falle, aber er nickte und stimmte damit zu, sich endgültig lächerlich zu machen.
»Bis bann.«
Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln, strich ihre Haare wieder hinter ihr Ohr und senkte den Blick. Ein warmes Kribbeln flog durch Bens Bauch. Mitleid? Er hatte das Gefühl, auch sie hatte versucht, das Gespräch so kurz wie möglich zu halten, weil sie wusste, was es für jemand anderen bedeutete, mit ihr zusammen gesehen zu werden. Irgendwie tat es ihm schon leid, wenn sie so davonschlich.
»Und? Konntest du wenigstens bei ihr abschreiben?«
Ben fuhr herum. Finn stand hinter ihm. Hatte er etwa das ganze Gespräch mit Fiona schon hinter ihm gestanden? Wusste er, dass er sich mit ihr auf dem Schulhof treffen wollte?
Bens Herz pochte. Die Mine seines Freundes konnte er nicht wirklich deuten.
»Nein«, räumte er ein. »Aber sie muss sich sicher erst an einen Banknachbarn gewöhnen. Sie ist noch ziemlich unsicher, glaube ich.«
Warum Ben Fiona verteidigte, wusste er in diesem Moment auch nicht.
Finn seufzte, dann packte er Ben an der Schulter, drehte ihn um. Ben hörte knitterndes Papier. Dann hielt Finn auch ihm einen Zettel vor die Nase, auf dem stand: ›Und ich fick sie dabei.‹
»Scheiße!«, zischte Ben und zerknüllte das Papier.
»Besser mitkriegen«, erinnerte Finn Ben an dessen eigene Worte vom ersten Schultag. »Pass bloß auf, Ben. Nicht das die Nummer nach hintenlos geht. Ich meine, wenn sie dich nicht mal abschreiben lässt, was bringt es dir dann? Du willst doch wohl nichts von der?«
Ben versuchte, dem Blick seines Freundes so unauffällig wie möglich auszuweichen, doch er kannte ihn zu gut.
»Gott, Ben?!?«, stieß er hervor. »Bist du so verzweifelt, dass du Angst hast, du kriegst nichts Besseres, als die?«
Ben wand sich hin und her, als versuche er der Frage durch Bewegung auszuweichen. Schließlich erklärte er zögerlich: »Das ist nicht so einfach zu erklären. Da war im Urlaub... ach, egal. Aber ist dir aufgefallen, wie Leonie mich in letzter Zeit beachtet?«
Finn machte große Augen.
»Eben dachte ich noch, du stapelst in deinen Frauenansprüchen extrem tief und jetzt wirst du gleich größenwahnsinnig?«
»Wie soll ich sagen. Ich hab einen Tipp bekommen.«
»Dass du dich an Brillenschlange ranmachen sollst, um Leonie flachzulegen?«
»Jetzt denk nicht immer nur an das eine!«
»Ja, okay, aber...«
»Na komm, ich werde inzwischen jeden Morgen mehr als freundlich von ihr begrüßt. Sie scheint für Fiona etwas übrig zu haben und in dem ich mich neben Fiona gesetzt habe und...«
»Na, das ist mal ›ne Strategie!«, stöhnte Finn und runzelte skeptisch die Stirn.
»Irgendwie hat Leonie ja auch recht. Wenn du es genau nimmst, hat Fiona nie jemandem etwas getan.«
»Ja, aber Alter, die leidet doch an kompletter Geschmacksverirrung mit den Klamotten und dann so eine Megastreberin.«
Ben zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen, da müsse man halt durch, wenn man an eine Traumfrau wie Leonie herankommen wolle.
»Du hast echt einen Knall«, entgegnete Ben, knuffte seinem Freund aber an die Schulter und grinste schräg.
Ben atmete auf. Mit Finn war zumindest wieder alles im Lot.
*****
Vor der nächsten Sportstunde traf Ben sich mit Fiona auf dem Schulhof, wo auf einer erhöhten Abstufung zwei steinerne Tischtennisplatten mit Metallnetz standen. Er fühlte sich tatsächlich wie auf einer Bühne, oder besser: dem Präsentierteller. Vor Finn konnte er seine Absichten zwar rechtfertigen, aber das ging kaum vor der ganzen Schule, schon gar nicht vor einem leeren Schulhof. Genau diese Unberechenbarkeit machte die Situation so unangenehm. Überall konnten ein paar Augen auf ihn lauern und der Gerüchteküche neue Nahrung v
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Kommentare
(AutorIn)
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FlorianAnders
Der Zweite Teil ist natürlich schon abgegeben. Da ich ihn ca. dreieinhalb Wochen später eingereicht habe, besteht aber natürlich die Möglichkeit, dass noch ein paar andere Geschichten im Pool plantschen, die älteren Eingansdatum sind und deshalb in der Bearbeitung vorrang genießen.
LG
Flo«
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Wundervoll geschrieben es bleibt viel Platz für die eigene Phantasie. Leider hört sie an einer Stelle auf, an der Autor und Einleser Mitleid mit uns haben müssen und den dritten Teil schnellstens Online stellen.
Danke für Eure Arbeit :-)«
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RomeoReloaded
Der Weg dürfte noch weit sein, bis er sie wirklich fesseln darf...«
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