Fagslut - Teil 1: Der Funke, der das Feuer zündet
von GirlFag
Es war einmal wieder so weit: Ich hockte da in einer Kneipe, die ich in einer überstürzten Protestaktion ausgewählt hatte, um meinen Frust zu ersäufen. Ich dachte nach. Bilder formten sich vor meinem geistigen Auge. Bilder aus der Vergangenheit, als Jörn damals mit mir Schluss gemacht hatte. Wie eingebrannt war der Anblick seines schneeweißen Gesichtes in meinem Kopf. Zuerst hatte er nicht gewusst, was er sagen sollte, dann hatte er unverständliches Zeugs daher gestammelt, bevor er mich geschockt gefragt hatte, ob dies mein Ernst sei. Wohlweislich um seine religiöse Erziehung, in der selbst Kondome nicht nur ein böses Übel, sondern auch ein unaussprechlich schmutziges Wort waren, hatte ich bejaht.
Warum hatte ich das überhaupt getan? Ich hätte sagen können, die Videos seien von meinem Bruder, einem früheren Ex-Freund oder jemand wolle mir damit anscheinend einen üblen Streich spielen … Warum nur hatte ich ihm so offenherzig und überhaupt nicht halblaut gestanden, dass ich auf Männer stehe, die es miteinander treiben? War es vielleicht eine Art von schadenfrohem Sadismus – eine Freude daran zu sehen, wie er in Tränen vor entrüsteter Enttäuschung ausbricht? Ich hörte in mich rein aber mein Gefühl sagte mir etwas anderes. Was war es denn eigentlich genau, dass mich immer wieder dazu verleitete, mein schmutziges Geheimnis früher oder später an die Oberfläche zu ziehen? Ich fand die Antwort, welche ich mir selbst gab, einfacher und plausibler als mir lieb war. Ich wollte mich nicht länger verstecken, anderen etwas vormachen oder mich verstellen müssen! Ich wollte endlich so sein dürfen, wie ich war!
Mittlerweile hasste ich nichts mehr, als die liebe brave Freundin spielen zu müssen, die ja ach so begeistert ist von ihrem mindestens ebenso braven heterosexuellen Freund, von dem ihr größter Traum handelt. Ein Traum, welcher selbstverständlich darin besteht, ihn irgendwann in einem riesigen Aufgebot zu heiraten, um danach in der üblichen Monotonie die imaginäre aber dennoch allgemeingültige Aufgabenliste abzuarbeiten, die darin besteht, Kinder zu kriegen, ein Häuschen zu bauen und jahrelang in einer Eintönigkeit dahin zu vegetieren, bis der mehrfache Vater meiner Kinder, die meinerseits zwar nie geplant aber dennoch von ihm unbedingt gewünscht waren, eine beinahe vierstellige Puffrechnung in der Jackentasche vergisst, die ich natürlich beim Wäschewaschen finden oder eines Tages seine zwanzig Jahre jüngere Geliebte mit einem verschlucktem Fußball vor unserer Haustüre stehen würde und mich heulend anschreit, ich solle den miesen Dreckskerl nur herausholen, damit sie ihm endlich wutentbrannt eine runterhauen und vorrechnen könne, was da in wenigen Wochen bald an Verantwortung und finanziellen Ausgaben auf ihn zukommt.
Ich kehrte von meinen unmöglichen Horror-Visionen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, weil mich der Wirt fragte, ob es noch etwas sein dürfe. „Ja, sicher", antwortete ich nicht mehr ganz nüchtern, „Noch mal dasselbe!“
Julian hieß er, so viel hatte ich am Rande mitgekriegt, während ich hier die letzten paar Male meine Zeit totschlug, indem ich heimlich anhimmelte, was ich nicht bekommen konnte. Manche, die sehr vertraut mit ihm schienen, nannten ihn auch Juli, obwohl diese Abkürzung zu dem Alter, auf das ich ihn schätzte, gar nicht passen wollte. Er war nicht wirklich alt, vielleicht irgendetwas um die 35 aber er sah trotzdem nicht aus wie ein Juli, sondern eher wie ein David oder Marco aber nicht wie ein Juli. Sprach man seinen Vornamen vollständig aus, ohne die zwei letzten Buchstaben wegzulassen, dann fügte er sich schon eher in ein harmonisches Bild mit dieser überaus anziehenden Erscheinung, die er abgab. Dabei war er nicht einmal besonders muskulös oder verfügte mit seiner schlanken Figur über einen Körperbau, der gemeinhin als besonders attraktiv galt. Es war hingegen eine Schönheit, die tiefer lag, wie sie mitunter in den geschmeidigen Bewegungen seiner Hüften unter der Lederhose und dem geheimnisvoll verwegenen Funkeln in seinen Augen zum Ausdruck kam. Nicht zuletzt hatte ich mich auch direkt an den Tresen gesetzt, um seinen herrlich wohlgeformten Po zu beobachten, wenn er mir den Rücken zukehrte und sich bückte, um etwas unterhalb der Theke hervor zu holen. Manchmal konnte ich auch seinen Duft nach Aftershave und neuem Leder riechen, wenn er an mir vorbeiging, um Getränke zu den Gästen an den Tischen zu tragen.
Aber ich musste damit aufhören … Dringend aufhören! Denn wenn ich diese aussichtslose Schwärmerei fortführte, würde ich mich unausweichlich in das nächste Übel befördern. Julian arbeitete nämlich nicht nur hier, sondern war auch selbst schwul, so viel hatte ich am Rande in den gedankenverlorenen Unterhaltungen mitbekommen, die manch ein Gast hier mit ihm führte, wenn es ruhig war. Mir blieb also keine andere Wahl, als mich gegen den fesselnden Bann seiner Ausstrahlung verzweifelt zur Wehr zu setzen und doch konnte ich es nicht lassen, hier herzukommen, ihm wehmütige Blicke zu zuwerfen, wenn er nicht in meine Richtung sah und meinen Frust zu ertränken, den ich eigentlich genauso gut hätte abreagieren können, indem ich Pascal das Geschirr um die Ohren gepfeffert hätte, welches ihm seine Eltern zum Einzug geschenkt hatten. In der passenden Stimmung dazu wäre ich jedenfalls gewesen!
„Sag mal, du verträgst ganz schön viel, hoffentlich übernimmst du dich nicht?“, meinte er mit skeptischem Blick und ich fühlte es erneut in mir hochkochen. Hätte er das einen Mann auch gefragt? „Übernehmen? Wieso denn? Nur weil mir etwas zwischen den Beinen fehlt, was die meisten anderen hier haben?“, antwortete ich schnippisch und ließ meine Augen kurz auf einer kleinen Gruppe junger Männer in Lederoutfits ruhen, die ich äußerst attraktiv fand - nicht zuletzt aus dem Grunde, da sie keine Bären mit dicken Bäuchen und Bärten waren, sondern über eine normale bis leicht muskulöse Statur verfügten und sich allesamt im Gesicht rasiert hatten. Was würde ich nur geben, um einer von ihnen zu sein!
„Hey, so war das doch gar nicht gemeint. Ich meinte ja nur, dass du offensichtlich versuchst, irgendwelche Probleme zu ersäufen“, bemerkte er entwaffnend und sah mich mit großen Augen an, sodass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „Ich und Probleme?“, ich machte eine Pause, ehe ich fortfuhr: „Nö, ich habe überhaupt keine Probleme! Die haben nur gewisse Kerle aber ich … nicht!“ Jetzt lächelte er ebenfalls. Anscheinend rechnete er bereits damit, dass es um eine Sache ging, die sich Wirte so gut wie an jedem Abend ab einer gewissen fortgeschrittenen Stunde unfreiwillig widmen mussten, wenn die Betrunkenen am Tresen ihren Mund nicht länger halten konnten und dem unseligen Drang nachgaben, fremde Leute mit ihren persönlichen Angelegenheiten zu nerven.
„Na als Kerl kenn ich mich aus, nur raus mit der Sprache!“, forderte er mich weiterhin auf.
Ich sah in die interessiert drein schauenden grauen Augen unter den dunklen kurzen Haaren und sagte mit Bestimmtheit: „Nein … Ganz gewiss nicht … Es sei denn, du kennst dich mit Heteros aus, mit den Schwulen habe ich nämlich überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil!“ Die letzte Hälfte des Satzes sprach ich betont langsam aus und hoffte, dass er das Zeichen zumindest im Ansatz verstehen würde. Doch der Wirt schob bloß fragend die Augenbrauen zusammen und erkundigte sich mit einem Unterton in der Stimme, den ich nicht so recht zu deuten wusste: „Du magst generell keine Heteros oder zielst du auf jemand Bestimmtes ab?“
Ich beschloss ihn aufzuklären, schließlich lockerte der Alkohol mein Mundwerk und außerdem verspürte ich tatsächlich das Bedürfnis, mich mit jemandem auszutauschen, der mich vielleicht ein wenig besser verstehen konnte. Was hatte ich gerade noch über die Redseligkeit von Betrunkenen gesagt?
„Hör mir bloß mit Heten auf! Ehrlich es ist mir egal, auf welches Geschlecht jemand steht aber wieso geraten diese verdammten Heten ständig an mich? Wie oft habe ich schon davon gehört, dass manche Männer ihren Frauen nach einer Zeit beichten, dass sie auch auf Kerle stehen oder sogar mit einem im gemeinsamen Ehebett erwischt werden, worauf es zumeist so richtig Ärger mit der Angetrauten gibt … Dann frage mich jedes Mal: Warum kann mir das nicht mal passieren? Warum suchen die sich immer solche Frauen aus, die sie dafür in die Wüste schicken und kommen nicht mal zu mir? Nein, bei mir läuft es doch glatt umgedreht! Du kannst dir nicht vorstellen, was mein Freund … äh, Ex-Freund heute für einen Aufriss machte, als er meine Schwulenpornos fand. Der wollte mich doch glatt aus der Wohnung schmeißen! Nicht mal ein kleines bisschen tolerant gezeigt hat der sich, nee, ist ja auch klar, dass immer nur ich diese homophoben Arschlöcher abkriege … Das war jetzt bereits der Zweite, der das rausgekriegt hat, und so langsam habe ich echt keinen Bock mehr! Dabei wäre es doch so schön gewesen, wenn er sich zumindest mal ein bisschen interessiert gezeigt hätte …“
Pascal hatte vor gut eineinhalb Stunden da gestanden, als ich nach Hause kam, mit der DVD-Hülle meines versautesten Lederpornos in der Hand und mich mit einem geschockten Blick desillusioniert angestarrt, der mich an das verwirrte Abbild eines Entführungsopfers nach einer Abduktion durch kleine graue Wesen mit überproportional großen schwarzen Glotzaugen, die vergessen hatten, ihr Opfer nach der Behandlung einer gründlichen Amnesie zu unterziehen, erinnerte. „Was - ist - das?“, waren seine ersten Worte nach Rückkehr auf vertraut irdischem Boden, wobei er jede einzelne Silbe in einer so bedächtigen und ungläubig vorwurfsvollen Art betont hatte, dass ich diese aberwitzige Szene bereits für filmreif erklärte und ich kurz davor stand in meiner Hosentasche nach dem nicht vorhandenen ‚Blitzdings’ zu kramen, um die schlampige Arbeit der extraterrestrischen Eminenzen zu vollenden. ‚Haben Sie in letzter Zeit Eulen oder Rehe mit auffallend komischen Augen gesehen oder vermissen Sie in Ihrer Erinnerungen mehrstündige Zeitabschnitte? Hatten Sie schon einmal Nasenbluten beim Aufwachen? Hören Sie ab und zu unerklärliche Geräusche in ihrem Kopf oder finden in Ihrer Wohnung Pornofilme, deren Herkunft Sie sich nicht erklären können? Ja? Dann kann ich Ihnen helfen: Schauen Sie einfach in den kleinen Fotoapparat, den ich hier in meiner Hand halte und warten Sie auf das grelle Licht – bitte das Lächeln nicht vergessen!’
Fast hätte ich unwillkürlich gelacht, wären mir nicht gleich die kleinen Bildchen auf der Vorderseite der Hülle aufgefallen, die mir so verdammt vertraut vorkamen, dass mir augenblicklich durch den Kopf schoss, was denn da eigentlich so alles Schönes in dem Porno zu sehen war, auf den ich mir immerhin schon mehr als geschätzte hundert Mal einen runtergeholt hatte. Ich kannte ihn auswendig - Pascal wahrscheinlich noch nicht. Hoffte ich wenigstens. Nun ja, wenn er jetzt aber nach der Vorderseite ebenfalls die Rückseite kannte – und das musste er unweigerlich, wenn er die bunte Plastikhülle so demonstrativ vor sich hielt -, wusste er ohnehin bereits, dass es beim Anpinkeln und den schmutzigen Spermaküssen, bei denen die Körper der Protagonisten vollgekleckert wurden, nachdem sie von Mund zu Mund gereicht worden waren, nicht blieb. Da ich auf eine derartige Situation in diesem Moment überhaupt nicht vorbereitet gewesen war, fiel mir nichts Besseres ein, wie eingehend die skandalösen Bildchen zu mustern, als würde ich diesen Schweinkram heute zum ersten Mal erblicken, während ich in naiver Nachdenklichkeit erwiderte: „Hm, ich würde sagen, sieht aus wie ein Schwulenporno ...“
Ich guckte ihn nicht an, hörte aber wie er angestrengt bei meiner Aussage schnaufen musste. Ich schluckte. Er glaubte mir kein Wort. „Willst du mich verarschen? Wo kommt der her und was macht der hier?“ Dies war der Todesstoß für unsere Beziehung gewesen, denn eine glaubwürdige Ausrede wollte mir daraufhin nicht mehr einfallen. Selbst die brillante Strategie, den Spieß herumzudrehen, indem ich so tat, als könne der Streifen ja wohl offensichtlich nur ihm gehören, scheiterte kläglich. Indem er mir zu allem Überfluss dann auch noch einen Vortrag darüber hielt, wie widerlich ich sei, brachte er mich dazu, wortlos auf dem Absatz kehrt zu machen und ohne einen weiteren Erklärungsversuch wieder aus dem Haus zu verschwinden.
Und nun saß ich also hier, trank einen nach dem anderen, in der Hoffnung den Vorfall vergessen zu können oder ihn zumindest seiner beschämenden Wirkung zu berauben und wusste obendrein nicht mal, wo ich heute Nacht schlafen sollte.
Julian lachte amüsiert, nachdem er sich aufmerksam meine Geschichte angehört hatte, bei der ich gemerkt hatte, wie er immer wieder verzweifelt gegen sein eigenes Grinsen angekämpft hatte. „Na, was hast du denn erwartet? Du hast dem Jungen einen riesen Schrecken eingejagt, den muss er erstmal verdauen! Der hat mit Sicherheit noch nie in seinem Leben zwei Kerle beim Vögeln gesehen, geschweige denn nur daran gedacht und da kommst du gleich mit so einem derben Hammer an! Du bist ja drauf!“
„Und du bist gut! Er und zwei Kerle beim Vögeln? Verdauen? Es ist aus, selbst wenn er wieder ankommen sollte, von meiner Seite her ist Schluss und daran ändert sich auch nichts! Du kennst nicht zufällig einen gut aussehenden Bisexuellen oder gibt es in unserer Gegend wirklich nichts anderes als nur Schwule und Heten?“, erkundigte ich mich resigniert, ohne die Lösung meines Problems zu erwarten.
Jedoch strahlte mich Julian bloß fortwährend heiter aus seinen auffallend hellen Augen an und ich erkannte, wie er mit einem belustigten Lachanfall rang. In mir stieg Wut auf, ich fühlte mich nicht ernst genommen und vorgeführt aber womit hatte ich denn auch gerechnet? Niemand verstand mich und niemand würde mich je verstehen, ich war nirgends zu Hause, mein Platz lag in einem vakuumgefüllten Zwischenraum, der alles einfache Glück wie ein Schwamm in sich aufsog und mich dadurch zur ewigen unglückseligen Einsamkeit verurteilte. Ich sabotierte mich durch mein eigenes Verlangen selbst, welches sich weder unterdrücken noch erfüllen ließ und mir in der Liebe stets, wie ein tonnenschwerer Klotz am Bein hing, wenn ich mich doch eigentlich so leicht und unbeschwert fühlen sollte, wie im allseits berüchtigten siebten Himmel, der voller Geigen hängt. Jedoch hatte ich in meinem bisherigen kurzen Leben weder den Himmel gesehen, noch die durch engelsgleiche Hand gespielten Violinen gehört. Entweder glaubten einige erwachsene Menschen noch an den Weihnachtsmann oder ich hatte schlicht zu wenig Fantasie (oder vielleicht auch romantische Einbildungskraft), um ihn mir vorzustellen.
Was sollte ich tun, wo sollte ich hin? Wo war mein Platz in dieser beschissenen Welt der Stereotypisierung? Mochte ich mir für meine Meinung auch ab und zu Kritik einfahren, ich fand die Angleichung der Geschlechter eine verdammt gute Sache und war mir sicher, dass hundert Jahre später kein Hahn mehr in unseren Gefilden nach einer Gleichstellung würde krähen müssen. Warum zur Hölle war ich dann erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts geboren und nicht im nächsten? Gab es da oben vielleicht irgendeinen grausamen Quälgeist, der sich daran ergötzte, mich mit meinen Ausprägungen und Eigenschaften auf eine Gesellschaft loszulassen, die mir mit ihrem Unverständnis beständig das Leben schwer machte?
„Na herzlichen Dank auch, ich finde das nicht besonders lustig! Vor zwei Jahrzehnten hat man in der Öffentlichkeit allerdings auch noch über dich gelacht und tut es heute teilweise immer noch, das solltest du bei all der Heiterkeit nicht vergessen!“, versank ich bissig und verärgert über derartig provokative Ignoranz in meinem blinden Selbstmitleid. Es war unverkennbar, dass ich in meinem angetrunkenen Zustand allmählich mutiger wurde. Vielleicht sogar zu mutig.
„Nein, um Gottes willen! Du verstehst mich völlig falsch!“, schlug er in einer abwehrenden Geste der Hilflosigkeit die Hände überm Kopf zusammen, bevor er seine Arme bis zum äußeren Rand über den Bartresen streckte und sein Kinn verzweifelt fast gänzlich auf sie sinken ließ, um mich nun mit einem fixierenden Blick von unten nach oben anzusehen, als wüsste er etwas, von dem ich keine Ahnung hätte. „Bist du immer so nett, wenn du zu viel getrunken hast oder ist daran dein Ex schuld?“, bemerkte er spöttelnd aber ich kam nicht dazu, ihm etwas zu entgegnen, denn als ich gerade dabei war eine passende Antwort in meinem beschwipsten Hirn zu formulieren, fuhr er schon fort: „Also pass auf, wenn du es unbedingt willst … Und es dir wirklich ernst ist …“, druckste Julian plötzlich herum, ehe er mit gedämpfter Stimme fortfuhr: „Kann ich vielleicht was organisieren, da müsste ich aber erstmal herumtelefonieren und außerdem müsstest du dir die Jungs natürlich auch mal anschauen, nicht dass es da zu unangenehmen Überraschungen kommt …“ Sprachlos und völlig perplex starrte ich ihn an. Hatte ich das gerade richtig verstanden? „Was meinst du damit genau? Ich dachte du … äh … von denen du sprichst, die sind doch schwul, oder?“, erkundigte ich mich skeptisch und auf einmal gar nicht mehr so selbstsicher mit einem kleinen schlechten Gewissen. Zudem wollte ich meine Freude über ein solches Angebot ohnehin vorerst zügeln, denn am Ende würde ich nur eine weitere Enttäuschung auf einer Skala verzeichnen müssen, die heute bereits an ihrem oberen Ende geplatzt war.
„Ja nun, du glaubst gar nicht, für wie viele der Männer, mit denen ich schon gevögelt habe, ‚schwul’ ein äußerst dehnbarer Begriff ist, also halt mal schön den Ball flach. Manche sind offen bi und andere interessieren sich nur für unkomplizierten Sex mit Frauen, da dieser sich aber zumeist mit ihnen sehr schwer gestaltet und Männer da einfacher gestrickt sind, wobei sie sich für das gleiche Geschlecht oftmals sowieso mehr erwärmen können … Das betrifft natürlich längst nicht alle aber einige durchaus. Wir feiern hier manchmal Parties, geschlossene Gesellschaft, du verstehst? Und da geht es meistens ziemlich rund", erläuterte er mit einem vorsichtigen schiefen Grinsen und sich verlegen am Kopf kratzend. Ich versuchte mit meinen Lippen Worte zu formen, fand allerdings nicht die richtigen. Das musste ich mir einbilden, es gab keine andere Möglichkeit oder ich war eingeschlafen und träumte – genau das musste es sein! Wurde ich hier tatsächlich gerade zu einer Sexparty mit Ledermännern eingeladen? Wenn dies ein Traum war, dann beschloss ich hiermit, das Beste aus ihm zu machen! „Wann und wo? Ich bin sofort dabei!“
„Ganz ruhig, es eilt nicht. Oder vielleicht doch … Diesen Samstag ist wieder eine, du könntest aber auch vielleicht zum übernächsten Treffen in vier Wochen kommen. Hm, stellt sich außerdem die Frage, wie erfahren du bist, immerhin brauche ich dir ja nicht zu erklären, was für Sauereien wir da anstellen werden, nicht wahr?“, er schmunzelte mich süffisant an.
Was hieß denn da eigentlich wir? Wenn Julian nicht nur dabei, sondern auch mitmachen würde und ich ebenso involviert wäre, würde das dann etwa bedeuten … Ich versank in seinen stahlgrauen Augen und entschied: Nein, das wäre nun aber wirklich zu schön, um wahr zu sein! „Wen meinst du denn alles mit ‚wir’? Ich glaube nicht, dass so ein gut aussehender Typ wie du sich für Frauen interessiert. Schau mich nicht so an, das nehme ich dir nicht ab!“
„Warum nicht? Ich hab dir doch gerade das mit den dehnbaren Begriffen erklärt, oder?“, meinte er frech mit einem Augenzwinkern. Jedoch fand er nur kurz zu seinem lockeren Lächeln zurück, dann wurde aus den freundlichen Augen ein Blick, der mich bis aufs Blut durchdrang. Er ließ mich unmissverständlich spüren, dass ab sofort die Grenze des üblichen Gewäsches zwischen angetrunkenem Gast und dem Seelsorger, der ihn beim Versuch seinen Ärger im Alkohol zu ertränken, tatkräftig unterstützte, überschritten war. „Mal ernsthaft jetzt …“, zog er unsere Unterhaltung immer weiter auf eine höhere Verfänglichkeitsebene, während er mir nun für einige lange Sekunden ohne weiterzusprechen unentwegt in die Augen sah und mich scheinbar auf den Wahrheitsgehalt meiner Aussagen und dem Mut meines Willens zur Umsetzung meiner Träume prüfte. Ich fühlte dabei eine seltsame Verbindung entstehen, die von der Elektrizität eines Blitzes geladen schien und meinen Körper vom Haaransatz bis zu den Fußzehen durchjagte, während wir in dieser wortlosen Kommunikation mehr Informationen übereinander austauschten, als es Worte jemals vermocht hätten.
Ungläubig entdeckte ich dabei einen seltsamen neuartigen Wunsch in mir, dessen Spuren ich durch Julians Augen folgte, wie ein Jäger den Tatzenabdrücken seiner Beute im Schnee. Vielleicht war es bloß eine Laune, die mir mein überstrapaziertes Gemüt heute einredete – vielleicht aber auch nicht. Mein stummes Verlangen, das sich in mir wie ein brennendes Feuer selbst verzehrte, bestand darin mich diesem Mann sexuell zu unterwerfen! Spielte ich mir selbst einen Streich? Woher kam das auf einmal so plötzlich? Ich wusste, nicht woran es lag, man merkte ihm an seiner freundlich aufgeschlossenen und lockeren Art keinen Hauch von Dominanz an. Ich musste es schließlich wissen, wie oft war ich schon von Männern angegraben worden, die gerne bestimmten und die ich allesamt dermaßen abstoßend fand, dass ich ihnen postwendend Körbe verteilte, – mal mehr mal weniger nett, wie gerade eben - da ich mich in der Autonomie meiner Persönlichkeit auf keinen Fall einschränken lassen wollte. Aber war Julian denn einer von diesen Machos, Proleten oder arroganten Schnöseln, die sich gerne als ein persönliches Geschenk Gottes an die Damen-, oder je nach sexueller Ausrichtung, an die Herrenwelt sahen? Nicht die Spur, nein, diesen Eindruck hatte ich wirklich ganz und gar nicht … Die Rede war hier außerdem auch vom Sex, nicht vom alltäglichen Umgang, richtig?
Scheiße, was ging hier überhaupt ab, wir hatten nicht mal darüber gesprochen und schon schien alles klar zu sein! Einer wahrlich bemerkenswerten Begegnung erlag ich hier, die mich in ihrer unbekannten Einzigartigkeit nicht nur zum Grübeln, sondern auch mein Bild von männlicher Dominanz ins Wanken brachte. Es war das erste Mal, dass ich etwas Derartiges in mir fühlte, und konnte es deshalb zu Beginn gar nicht recht fassen. Doch er erhielt den stummen Austausch ungesprochener Informationen beharrlich aufrecht, sodass es mir immer eindeutiger schien, je länger diese geheimnisvolle Verbindung andauerte. Ich hatte zwar keinerlei Vorstellungen, was diesbezüglich zwischen uns geschehen sollte, erkannte aber wie meine Emotionen mir glasklar aufzeigten, dass er in mir als erster und einziger Mensch ein solches Verlangen herauf beschwor und ich weder Abwehr, noch Unbehagen dabei empfand.
Nach dieser eigentlich eher kurzen Zeitspanne, die dennoch alles offen zu legen schien, was offen gelegt werden musste, beendete er seinen Satz, während ich hätte schwören können, dass er genau wusste, was er da eben in mir berührt hatte. „… wir betreiben nicht unbedingt Kuschelsex, weißt du. Darum auch die Frage nach deiner Erfahrung. Es macht nichts, wenn du in einigen Dingen noch unbeleckt bist, jedoch sollten wir deinen Erfahrungsschatz am besten vor der Party erweitern. Wenn du willst, übernehme ich das gerne! Heute ist Mittwoch und bis Samstag haben wir noch ein paar Tage, die ausreichen dürften, um dir ein paar Dinge zu zeigen, die du sonst nur aus deinen Wichsfantasien und Pornofilmchen kennst.“ Die Anspielung sprang mir aus seinen Worten geradezu entgegen, während ich mir bereits über die Umsetzung den Kopf zerbrach. „Verdammt, ich würde so gerne aber ich muss mich erstmal darum kümmern, wo ich die nächsten paar Tage überhaupt schlafen soll! Da ich zurzeit im Urlaub bin, würde es nicht mal ein Problem mit meiner Arbeit geben aber ich muss vorher gucken, dass ich irgendwo unterkomme!“, gab ich verzweifelt von mir, indem ich gedanklich schon einmal die Liste der Freunde und Bekannten durchging, die eventuell noch ein Bett oder wenigstens den unbequemen Schlafplatz auf einem Sofa für mich frei hätten. Doch Julian verzog seine geschwungenen Lippen erneut zu einem schiefen Grinsen, während er gerade einem anderen Gast eine Cola einschenkte und anstatt mich, geistesabwesend das Glas ansah. „Pass auf, ich habe da so eine Idee. Aber das Angebot besteht nur unter einer Bedingung!“, meinte er und übergab das Getränk einem Herrn um die 40, der es offensichtlich vorzog der überwiegenden Mehrheit hier zu beweisen, dass man nicht unbedingt immer Bier und Whiskeymischgetränke konsumieren musste, wenn man ein einschlägiges Lokal aufsuchte. Ich wartete gespannt darauf, dass Julian mir seinen Vorschlag unterbreiten würde, was er auch tat, indem er mir nun sehr nahe kam, seine Hand auf meine Schulter legte und mir in einem vertraulichen Ton anbot: „Du kannst bei mir schlafen, mein Bett ist groß genug.“ Entzückt und überrascht zugleich lächelte ich ihn an, woran er jedoch gleich seine Bedingung anzuknüpfen wusste: „Aber! Und hör mir bitte genau zu, denn was ich dir jetzt sage, ist von unermesslicher Bedeutung für mich …“ Er sprach so leise, dass er schon fast flüsterte, weiter: „Wir werden ein paar sehr schmutzige Dinge tun, ich denke, das weißt du. Allerdings möchte ich unter keinen Umständen, dass du irgendetwas davon – und sei es was es will – nur aus Dankbarkeit, einem Gefühl der Verpflichtung oder anderen Gefälligkeitsdrang mir gegenüber tust. Alles was passiert, solltest du ebenfalls wollen und dieser Wille muss aus dir selbst kommen, sonst funktioniert es nicht. Ich denke, du hast vorhin genauso gut wie ich gemerkt, was los ist. Auf diesen Punkt werden wir bald schon näher eingehen und du kannst dir sicher vorstellen, dass es ausgerechnet bei einer solchen Konstellation sehr wichtig ist, dass du dich wohlfühlst – auch und besonders dann, wenn du mir untergeben bist.“
Julian unterhielt sich sehr einfühlsam mit mir, was für mich zuerst ein wenig ungewohnt war, denn seit Langem hatte ich schon nicht mehr das Gefühl gehabt, dass mir jemand zuhört und mich dabei sogar versteht. Er war nicht mit einem Ohr beim Geschehen im Fernseher, wie Pascal dies immer zu tun pflegte, wenn ich versuchte mit ihm über etwas Belangvolleres, als das Abendessen oder die nächste Autowäsche zu sprechen. Hätte er sich auch nur einmal so interessiert gezeigt, wie es Julian gerade tat, hätte ich ihm vielleicht von meinen verborgenen Wünschen und Sehnsüchten erzählt, jedoch gehörte hierzu wohl ein Maß an Vertrauen, welches sich durch geistige Bequemlichkeit unmöglich aufbauen ließ. Nun würde er das ersehnte Leben eines alten gebrechlichen Greisen führen können, nach dem er immer gestrebt hatte und das lediglich darin bestand, vorm Fernseher zu sitzen, Unmengen an Chips und Pizza in sich hineinzustopfen und sich jedes Mal aufzuregen, wenn er eben doch ab und zu das Haus verlassen musste, und sei es nur um sich Nachschub zu holen.
Er bevorzugte das Leben vor der Flimmerkiste und ich das Leben in der Realität, letztendlich hatte uns dieser gravierende Unterschied weit auseinander treiben lassen.
Bei Julian hingegen fühlte ich mich angenommen, ich konnte ihm die Fragen stellen, die mir schon lange auf der Seele brannten und mit ihm ganz offen über Dinge diskutieren, für welche mich Pascal wohl eher zu einem guten Psychiater geschickt hätte. Bereits nach einer halben Stunde hatte ich den irrwitzigen Eindruck, dass er mehr über mich wusste und mich besser kannte, als es Pascal jemals getan hatte. Wir vereinbarten, dass er mich zu unserer Wohnung fuhr, um einige Klamotten für die nächsten paar Tage einzupacken, von denen ich bereits jetzt schon wusste, dass er sie mir sicherlich schneller wieder vom Leib riss, als ich bis drei zählen konnte. Danach tätigte er ein kurzes Telefonat und keine zehn Minuten später stand ein junger schlaksiger Mann vor uns, der den Thekendienst übernahm, während Julian zum sofortigen Aufbruch bereit hinterm Tresen hervorkam und mir mit einer auffordernden Geste keck zu zwinkerte. Er schaffte es mir ein unwillkürliches Schmunzeln abzuringen, obwohl mir beim Gedanken daran gleich meinem Ex-Freund unter die Augen treten zu müssen, alles andere als wohl zumute war.
Als wir gemeinsam das Lokal verließen, stachen mir die zwei sich knapp überm Eingang im seichten Wind blähenden Fahnen ins Auge. Sie hatten in meiner Brust bei meinem ersten Besuch ein wildes Herzklopfen ausgelöst, jedoch jetzt widmete ich der Rainbow-, sowie der Leather-Pride-Flag nur kurz meine Aufmerksamkeit, denn mir wurde durch eine Eingebung plötzlich schlagartig bewusst, dass ich hier goldrichtig war und nun mehr keine Zeit vergeuden durfte, so schnell wie möglich mit meinem alten Leben abzuschließen.
Julian klimperte derweil freudestrahlend mit einem Schlüsselbund vor meinen Augen herum und drohte mir gespielt theatralisch, während er ein paar langsame Schritte rückwärts machte: „Warte kurz, ich hole nur das Auto vom Hof. Wehe du läufst mir weg!“ Ich sah ihm nach und betrachtete die eiligen Bewegungen der in schwarzes Leder gehüllten wippenden Pobacken. „Wieso sollte ich denn bitteschön vor dir davonrennen? Julian, du bist zum Niederknien und nicht zum Weglaufen!“, wollte ich ihm laut hinterher rufen, jedoch fand ich leider nicht den nötigen Mut dazu. Derjenige, vor dem ich am liebsten die Beine in die Hand genommen hätte, befand sich hingegen gerade ungefähr zehn Kilometer Luftlinie entfernt von hier – eine Entfernung, welche ich am liebsten eher noch vergrößert, anstatt verringert hätte. Geduldig wartete ich auf meine neue Bekanntschaft und schwelgte in unanständigen Schwärmereien, doch wurde ich nach einer geschätzten halben Minute jäh gestört.
„Na los, steig schon ein oder gefällt es dir vor meiner Kneipe so gut, dass du hier Wurzeln schlagen willst?“, rief es auf einmal neckend aus einem älteren Audi 80 und beinahe wurde ich von den blitzenden Zähnen geblendet, welche mich aus dem offenen Fenster des Wagens breit grinsend anstrahlten. Es war unverkennbar, dass er sich über unsere Zusammenkunft genauso freute, wie ich, die gerade absolut in der Welt ihrer Träume und Gedanken auf dem Parkplatz des Lokals gestanden und von der Außenwelt kaum noch etwas mitbekommen hatte.
Ich nahm auf dem Beifahrersitz platz und stellte verblüfft fest, dass mir hier drinnen die feine Duftnote frischen Leders, welche Julian an sich hatte, noch eine Spur intensiver vorkam, als in der Bar. War er das oder roch der Innenraum dieses Autos auch ohne seine Anwesenheit danach? Ein wenig beklommen merkte ich außerdem, wie mir die Hände feucht wurden und dies lag nicht unbedingt an dem warmen Wetter dieses Sommertags, sondern eher daran, dass wir hier eine neue Ebene beschritten, die unserer Abmachung etwas Hochoffizielles verlieh und die im Begriff war, in eine Bewegung zu kommen, die nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Nicht, dass ich einen Rückzieher machen wollte, nichtsdestotrotz war ich allerdings auch nur ein Mensch und diese hatten es für gewöhnlich so an sich, dass sie bedeutungsvollen Umbrüchen in ihrem Leben oftmals mit einem gewissen Grad an Anspannung entgegen sahen. Darüber hinaus war die Bekanntschaft mit Julian noch sehr jung, es war also gut möglich, dass wir vielleicht doch nicht so gut harmonierten, wie es auf den ersten Blick den Anschein machte. Wo sollte ich dann hin? „Egal“, sagte ich mir im Geiste, „Hauptsache raus aus der alten Zwangsjacke!“
Da gegenüber unserer Wohnung ein großer Supermarkt lag, in dem Julian öfter einkaufte, hatte ich ihm den Weg nicht erklären müssen und so beschränkte sich unsere Unterhaltung auf andere Dinge, nachdem er als erster die Stille durchbrochen hatte: „Sieh es als Kompliment, aber ich habe mich so angeregt mit dir unterhalten, dass ich ganz vergessen habe, dich nach deinem Namen zu fragen.“
„Melanie“, entgegnete ich knapp.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„25. Und du?“
„Was schätzt du denn?“ Sein markantes Lächeln war wieder voll da.
„Hm, weiß nicht genau ... 35 vielleicht?“
Jetzt wurde es so breit, dass man die etwas spitzeren Eckzähne erkennen konnte, die ihm einen diabolischen Hauch verliehen. Würde ich sie vielleicht schon bald in Form eines leidenschaftlichen Liebesbisses in meiner Haut spüren? Ich wünschte es mir sehnlichst!
“Netter Versuch, du bist nah dran.“
„Na, älter bist du auf keinen Fall! 33 - mein letztes Angebot!“, verkündete ich voll überzeugter Gewissheit, was bei ihm erneut einen vergnügten Lachanfall auslöste. Allerdings fand ich daran nichts Witziges, denn er sah tatsächlich äußerst attraktiv aus und von lichtem Haar oder Falten im Gesicht war er so weit entfernt, wie die Sonne vom Mond.
„36, aber verrate das bitte niemandem!“, berichtigte er mich sichtlich froh über die Tatsache, dass ich meinen Tipp nach unten, anstatt nach oben verlagert hatte.
Ich begutachtete ihn noch einmal genauer, kam dabei aber trotzdem zu keinem anderen Ergebnis.
„Du wirst es kaum glauben, ich habe da vor langer Zeit ein proteinhaltiges Wundermittel für mich entdeckt, das mich bis zum heutigen Tage unverändert jung hält. Die genaue Rezeptur wird nicht verraten, aber wenn du willst, darfst du es gerne mal ausprobieren", kommentierte er meine prüfenden Blicke mit gespielter Ernsthaftigkeit und brachte mich dazu, mir schmunzelnd auf die Unterlippe zu beißen. Die Vorstellung, er könne seine eigene oder auch die Sahne eines anderen schlucken ließ mich ihn in verheißungsvoller Erwartung betrachten, was von ihm nicht unbemerkt blieb.
„Erwischt! Wie der Schelm denkt, so ist er! Ich habe nicht von Wichse gesprochen!“, stellte er mit sichtlicher Genugtuung fest.
„Du hast es aber gemeint", erwiderte ich unbeeindruckt.
„Hast du schon mal Sperma gekostet?“, begann er mich über meinen sexuellen Erfahrungsschatz auszuquetschen.
„Von meinen Ex-Freunden? Nee du, warum sollte ich deren Wichse schlucken, wenn sich die Herren selbst zu schade dafür sind!“, entgegnete ich zynisch.
„Gute Einstellung, gefällt mir“, äußerte er sein Statement im Hinblick auf meine Überzeugung.
Es entstand eine kleine Pause, ehe er fortfuhr: „Wurdest du eigentlich schon mal in den Arsch gefickt?“
„Ja, aber nicht allzu oft.“
„Gut. Und wie sieht es mit Fisting aus?“
„Nein, bisher noch nicht.“
„Natursekt?“
„Nein.“
„Schlägen?“
„Hm-hm“, musste ich auch diese Frage verneinen, wenn man einmal von leichten Klapsen auf den Po absah.
„Ohrfeigen?“
„Was?!“, stieß ich entrüstet hervor, was er offensichtlich in seiner auf den Straßenverkehr gerichteten Konzentration nicht richtig mitbekam, denn beiläufig, als hätte ich ihn nicht verstanden, erklärte er: „Na, ob dich schon mal einer ins Gesicht geschlagen hat.“ Dann mussten wir an einer roten Ampel anhalten und er drehte sich zu mir herum, während er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Keine Sorge, wir reden hier von Schlägen, die im Lustrausch verteilt werden, nicht von minder bemittelnden Kerlen, die ihre Frauen im Zorn verprügeln", erläuterte er sofort mit einer entwaffnenden Geste.
„Über Ohrfeigen beim Sex habe ich ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht …“, entgegnete ich hingegen wahrheitsgemäß, während ich glaubte, die Andeutung eines schmutzigen Grinsens über seine Lippen huschen zu sehen.
„Brauchst du auch nicht.“
„Was?“
„Nachdenken!“, kam es von ihm wie aus der Pistole geschossen.
Mit einem verwegenen Ausdruck blickte er mich nun an und nahm seine rechte Hand vom Lenkrad, um mir liebevoll die Haare über meine ihm zugewandte Schulter zu streichen. Ich glaubte ein kleines zärtliches Lächeln zu bemerken, welches dezent seine Lippen umspielte, war mir allerdings nicht wirklich sicher. „Es ist meine Aufgabe, die Kontrolle zu bewahren, du sollst nur genießen und dir nicht den Kopf zerbrechen“, verdeutlichte er die Regeln unseres Spiels, während die subtil mitschwingende Wärme in seiner Stimme sich in Form eines behaglichen Schauers auf meinem Körper ausbreitete.
Die Ampel schaltete auf Grün um und Julian wendete sich wieder dem Verkehr vor ihm zu, um unsere Fahrt fortzusetzen und es folgten ein paar Fragen meinerseits, auf welche er mir aufschlussreich seine Sichtweise enthüllte: „Für die nächsten paar Tage bist du mein Junkie und ich deine Droge. Den Preis, den du für die Droge bezahlst, ist dein Schamgefühl, wobei mir nicht entgangen ist, dass du davon nicht allzu viel zu haben scheinst. Allerdings werden meine Freunde und ich dich so weit in die Enthemmung treiben, dass du überhaupt keines mehr besitzen wirst. Einzig und allein dein Trieb wird dich beherrschen und dir dafür ungeahnte Rauschzustände bescheren, während ich wiederum deinen Trieb beherrsche. Ich weiß zwar nicht, was deine Ex-Freunde so alles verlangten, jedoch solltest du wissen, dass du trotz allem, weder von meinen Jungs, noch von mir als willenloses Objekt angesehen wirst. Jedoch wirst du über deinen Willen kontrolliert werden und dein Verlangen wird alles sein, was dich überhaupt noch steuert. Dies liegt darin begründet, dass ich meine eigene Lust aus deiner unermesslichen Erregung gewinne, wenn ich in deinen Augen sehe, wie du das Menschliche in dir komplett aufgibst und lediglich ein wildes Tier übrig bleibt, das mir die unverfälschte Schönheit seiner ursprünglichen Leidenschaft zeigt und das von mir fordert, gebändigt zu werden. Man kann ein Tier brechen, damit es einen fürchtet und gefügig wird oder man kann es bändigen, indem man es zähmt, damit es einen liebt und sich freiwillig aus einem Wohlbehagen heraus hingibt, das direkt aus dem Herzen stammt – beides funktioniert, aber ich bevorzuge eindeutig letztere Variante. Was ich von dir will, ist darum keine blinde Speichelleckerei in Form duckmäuserischen Gehorsams oder die ausdruckslose Erwartungshaltung einer Gummipuppe. Sei einfach so, wie du bist, ganz ohne Scheu. Lass dich fallen und unterdrücke nichts, zeig mir deine Bewunderung, wenn sie dich überwältigt, und zeig mir alles andere, was du empfindest, damit bereitest du mir den größten Gefallen.“
Beeindruckt lauschte ich jedem seiner Worte und musste mir eingestehen, dass noch kein Mann jemals auf einer solchen Ebene mit mir gesprochen hatte. Klar, das übliche Gerede unter Verliebten, wie sehr sie doch einander vergötterten und die Beteuerungen, wie wertvoll sie füreinander waren, kannte ich natürlich aber das hier war mir neu. Er hatte es zwar sehr ernst aber nicht kühl ausgesprochen, ich fühlte, dass dies nun kein Spaß mehr war und er mir versuchte klar zu machen, worum es ihm hauptsächlich ging.
Wir hatten unser Ziel jetzt fast erreicht und mein Kopf war aufgrund der Bilder, welche ich bereits im Internet und anderweitig gesehen hatte, voller Befürchtungen. Ich hatte Angst, dass Julian zu viel von mir verlangte, gleichzeitig brachte er mich allerdings auch in Verlegenheit. Wie sollte ich ihm bloß erklären, was in mir vorging?
„Was hast du denn, habe ich etwas Falsches gesagt?“, erkundigte er sich besorgt. Ich konnte ihm diesbezüglich wohl nichts vormachen, also beschloss ich, wenn auch halblaut, Klartext zu reden: „Julian, ich habe Angst, dass du zu viel von mir erwartest. Ich will von dir unterworfen werden oder besser gesagt, mich dir freiwillig unterwerfen aber brutale Quälereien oder dieser strenge Befehlston, wie ich es schon von einigen anderen mitbekommen habe, sind nicht mein Ding. Wenn du mich schlägst, musst du mich auch streicheln können, und wenn ich sage, dass du aufhören sollst, musst du aufhören, das ist sehr wichtig für mich. Die Vorstellung dich um Gnade anzuwinseln gefällt mir ganz und gar nicht, auch wenn ich weiß, dass es wahrscheinlich dazugehört. Für dieses typische Erziehen und Abrichten bin ich wahrscheinlich zu weich … Das verwirrt mich alles, ich fühle etwas Derartiges zum ersten Mal und habe keine Ahnung, wie das zwischen uns ablaufen soll …“ Ich kam mir unglaublich naiv und mimosenhaft vor, wenn er jedoch wollte, dass ich ihm meine Gefühle ganz offen zeigte, dann würde er dafür zweifelsohne Verständnis haben müssen, außerdem konnte ich auch nichts an meinen Befürchtungen ändern – sie waren nun einmal da.
Er schüttelte den Kopf und setzte bereits an, um zu antworten, da sah ich allerdings vor uns in der Ferne die Abzweigung in die Straße des Wohnblocks, in welchem Pascal sich jetzt aufhielt und wies ihn darauf hin: „Am besten hältst du gleich da vorne an der Telefonzelle, sonst sieht Pascal mich noch aus einem fremden Wagen steigen und rastet endgültig aus.“ Ich glaubte zwar nicht, dass mein Ex-Freund die Fenster bewachte, wollte aber trotzdem auf Nummer sicher gehen.
Stumm bog er in die Straße und brachte das Auto kurz vor der Telefonzelle am Gehsteigrand zum Stehen. Er stellte den Motor ab und schaute mich dann mit einem Blick an, der so viel intime Nähe ausdrückte, dass es mir nach der kurzen Zeitspanne unseres Kennenlernens beinahe unheimlich wurde. Vertrauensvoll legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel und ich lehnte meinen Kopf zurück, um für einen Moment die Augen zu schließen. Er hypnotisierte mich – ich hatte in diese rauchgrauen Augen gesehen, fühlte seine Berührung auf mir und schon befand ich mich in einem Zustand, in dem nur noch er existierte. Wie machte er das? Julian verfügte tatsächlich über die Wirkung einer Droge, stellte ich hingerissen fest und öffnete meine Lider erst wieder, als ich seine Stimme vernahm.
„Wie solltest du mich denn wollen können, wenn ich dir deinen Willen nehme, hm? Mein Ziel ist es doch nicht, dich im qualvollen Schmerz leiden oder um Gnade betteln zu sehen, ganz im Gegenteil: Viel mehr ist es das schönste Kompliment für mich, wenn ich dir so viel Lust bereite, dass du in meinen Händen den Verstand verlierst und alle Kontrolle über dich abgibst. Du wirst weder her-, noch irgendetwas aushalten müssen, ohne deine Geilheit geht schon mal gar nichts. Mir geht es nämlich nicht darum, dir den Hintern in einen möglichst tiefen Blauton zu schlagen, sondern um deine Reaktion auf meine Schläge. Glaub bloß nicht, dass ich dich erziehen werde, du bist schließlich kein Kind mehr, außerdem gibt es für mich in dieser Hinsicht kein richtig und auch kein falsch, und wenn ich jemanden brauche, der auf Abpfiff pariert, dann geh ich ins Tierheim und kauf mir ’nen Hund. Es interessiert mich so wenig, wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt, was andere für allgemeingültig erklären. Zum Glück steht es jedem frei seine eigene Vorstellung davon zu haben, wie man die eigene Sexualität ausleben möchte, wobei ich jedenfalls bis jetzt noch kein Regelwerk benötigt habe, um meine Befriedigung zu finden und ausgelastet zu sein. Schon einige Typen, die ich hatte, beschwerten sich, ich sei ihnen nicht hart, kalt und brutal genug, aber ich sag’ dir was …“ Einfühlsam lächelnd berührte er jetzt meinen Hals und strich mit den Fingerspitzen langsam bis zu meinem Nackenbereich, während ich, gebannt von seinen eisgrauen Augen, gar nicht bemerkte, wie die Welt um mich herum allmählich im Nichts versank. Sein Gesicht näherte sich meiner Seite und er kam mit seinem Mund so nahe an mein Ohr, dass ich es beinahe schon unerträglich fand, zwar den zarten Hauch seines Atems auf meiner Haut, nicht aber seine Lippen selbst zu spüren. „… mir scheißegal. Wenn es uns beiden gefällt, ist alles andere unwichtig und bloß dummes Gewäsch. Ich habe ein paar schöne Fotos zu Hause von der letzten Party, schau sie dir an und entscheide selbst“, flüsterte er verlockend.
Als er sich wieder von mir entfernte, hätte ich am liebsten geschrien, dass er mich doch um Gotteswillen küssen soll, oder hätte mich unmittelbar auf ihn stürzen können, nur um endlich diese hoffnungslos verführerischen Lippen auf mir zu spüren aber stattdessen schaute ich ihn einfach nur sehnsüchtig an, während er mich wissend angrinste und mich in geduldiger Zurückhaltung aufforderte: „Jetzt gehst du aber am besten rauf und holst deine Sachen, sonst stehen wir morgen früh noch hier.“ Ich blinzelte, ohne mich von ihm abzuwenden und sagte mich zur Ruhe zwingend: „Du bist gemein.“ Ich öffnete die Beifahrertür und wollte schon aussteigen aber da hielt er mich plötzlich am Unterarm fest. In der Hoffnung, dass er es sich vielleicht doch noch anders überlegt haben könnte, drehte ich mich also noch einmal um aber er schmunzelte bloß unbeirrt und gab mir ungerührt zu verstehen: „Ich weiß.“
Ohne mir etwas anmerken zu lassen, lief ich zielstrebig auf den Plattenbau zu. Dabei brodelte ich regelrecht vor Begierde. Verdammt, Julian hatte bereits damit angefangen, mir den Verstand zu rauben und mich in den Wahnsinn zu treiben, bevor ich davon überhaupt wissentlich etwas mitbekommen hatte! Offensichtlich bereitete es ihm große Freude mit meiner Lust zu spielen, was er unverkennbar auch gerne auskostete. Ziemlich schnell hatte er herausgefunden, wie verrückt es mich machte, wenn er mich auf diese Art provozierte und dass er dadurch ein Verlangen in mir heraufbeschwor, welches mich noch jeden klaren Gedanken kosten würde.
Erst vor dem Gebäude, in welchem sich mein Zuhause des letzten halben Jahres befand, fand ich wieder zu mir zurück. Ich sah hinauf, konnte aber von meiner Position aus natürlich im fünften Stock nicht viel erkennen, außer dass die Fensterscheiben allem Anschein nach noch heil waren und die Gardinen ebenso noch an ihrem gewohnten Platz hingen. Unter die Haustür hatte jemand einen Holzkeil geklemmt, damit sie bei dieser Hitze geöffnet blieb und die Luft ungehindert im Treppenhaus zirkulieren konnte. Ich schluckte. Ich empfand wesentlich mehr Unbehagen gegenüber einem Mann, der mir Vorhaltungen machen und Streitgespräche führen wollte, als vor einem der mich beabsichtigte zu schlagen. War das nicht verrückt?
Schon als ich zögerlich die Stufen emporging, hörte ich in der Wohnung, die mir nun wie die Höhle des Löwen vorkam, eine Tür knallen. Ich blickte um mich und horchte angestrengt in die Stille des Abends, konnte aber außer Kindergeschrei aus einer anderen Wohnung, nichts weiter ausmachen. Sollte ich da jetzt wirklich rein gehen? Eine ältere Frau kam mit einer Einkaufstasche die Stufen hinauf, grüßte und marschierte angestrengt schnaufend mit einem hilfsbedürftigen Gesichtsausdruck an mir vorbei. Ich kannte Frau Weiß vom Sehen, normalerweise half ich ihr auch gerne beim Tragen Ihrer Einkäufe, war sie doch die Sorte netter älterer Damen, die immer ein gutes Wort für einen übrig hatte, ohne einem dabei gleich das ganze Ohr abzukauen. „Guten Tag“, murmelte ich unaufmerksam, ohne sie dabei richtig anzusehen. Wenn ich hier fertig war, würde sie ohnehin jemand anderen um Hilfe bitten müssen, denn Pascal würde seinen schwerfälligen Hintern sicherlich nicht vom Sofa hochheben, um eine alte Dame beim Schleppen ihrer schweren Einkaufstaschen zu unterstützen. Bei solcherlei Aufforderungen schob er stets Migräneanfalle, Bauchschmerzen oder allgemeines Unwohlsein als Begründung für seine lethargische Faulheit vor. Dies hatte ich in den letzten paar Monaten oft genug am eigenen Leib erfahren.
Selbst wenn man ihm vorschlug, etwas zu unternehmen, das eigentlich Freude bringen sollte, wie etwa ein Schwimmbadbesuch oder ein Spaziergang in zur fortgeschrittenen Abendstunde, blockte er ab und wurde launisch. Wenn man dann nicht von ihm abließ und ihn nach wochenlanger freiwilliger Haft auf der Wohnzimmercouch, doch dazubekam mitzukommen, ließ er einen die ganze Zeit über seinen Unmut spüren und erstickte damit jeden Funken Ausgelassenheit im Keim. Er wollte seine Filme sehen, hatte zu allem Überfluss sämtliche Sendetermine auch noch im Kopf und war zu einem militanten Couch-Potato mutiert, den keiner ausstehen konnte. Mittlerweile gab es nicht einmal Freunde, die ihn besuchen kämen, da auch diese unterhaltsameren Beschäftigungen nachzugehen wussten, als sich über die 28.Wiederholung einer drittklassigen Sitcom auszutauschen. Andere berichteten von realen Erlebnissen, er hingegen berichtete von Dingen, die er im Fernsehen gesehen hatte.
Doch ich hatte jetzt andere Sorgen. Kaum war Frau Weiß hinter der Tür ihrer Räume verschwunden, fummelte ich in meiner Hosentasche widerwillig nach dem Schlüssel und versuchte ihn dann irrwitzigerweise möglichst lautlos im Schloss herumzudrehen, was natürlich vollkommen schwachsinnig war, zumal mich mein frischgebackener Ex-Freund wahrscheinlich ohnehin bemerken würde, wenn ich im Schlafzimmer anfing, ein paar Sachen für die kommenden Tage zu packen.
Meine Abneigung diese Räume jetzt zu betreten erschien mir dabei fast unüberwindbar, mir wurde schon schlecht, wenn ich mir Pascal nur vorstellte – am liebsten hätte ich ihn einfach vergessen, erschien er mir jetzt doch nur noch als lästig, überflüssig und hinderlich, so brutal sich das auch anhören mochte. Meine Liebe zu ihm war bereits seit einem längeren Zeitraum nicht mehr das gewesen, was man eine tiefere Zuneigung nennt, stattdessen hatte sich diese, nach einigen verbitterten Streitereien in gemütliche Gewohnheit verwandelt, aus welcher ich auszubrechen gerade im Begriff war. Die letzte Zeit hatten wir beide nach dem Prinzip gelebt: „Du hast dein Recht und ich meine Ruhe“, und nun war es viel zu spät, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, dieser war nämlich längst darin versunken und würde auch nicht mehr auftauchen. Trotz der anfänglichen Gefühle für ihn fühlte ich mich obendrein immer nur zur Hälfte geliebt, mein dunkles Geheimnis hütend, in der Gewissheit, dass er mich in meiner Gesamtheit niemals würde lieben können. Alles in mir schrie danach, wieder umzukehren. Ich wollte weder Pascal zurück, noch leidige Kleinkriege austragen!
Ich wollte jetzt viel lieber bei Julian sein, wollte mehr von ihm erfahren, wollte, dass er mir die Fotos zeigt, von denen er gesprochen hatte, und wollte beginnen meine neu entdeckte Neigung auszuleben, zu deren Schloss nur ein Mann den passenden Schlüssel in Händen hielt und das war keinesfalls der wütende Typ hinter dieser Wohnungstür.
Obwohl man meinem Ex-Freund kaum einen Vorwurf machen konnte, empfand ich einen unerwartet aufkeimenden Groll gegen ihn. Er hielt mich von all den Dingen ab, nach denen ich mich sehnte und die mir wirklich wichtig erschienen, außerdem würde er mich zu einer Diskussion nötigen wollen, die ich im Moment keinesfalls führen wollte.
Vorsichtig drückte ich gegen die Türe, schob sie leise auf und spähte abwartend durch einen winzigen Spalt, ohne gleich einzutreten. Im Flur war niemand zu sehen, allerdings hörte ich deutlich den Fernseher (natürlich, was sonst?) im Wohnzimmer laufen. Wenn ich zum Schlafzimmer wollte, musste ich unweigerlich daran vorbeigehen und die Erkenntnis, dass die Wohnzimmertür auch noch angelehnt und nicht geschlossen war, löste in mir ein mulmiges Gefühl aus, was mir die Sache nicht gerade erleichterte.
Ich ließ nach Betreten der Diele die Haustür einen Spalt offen und schlich mich so lautlos wie möglich an dem Raum vorbei, in welchem er saß und seiner Lieblingsbeschäftigung frönte. Scheiße, wenn der wüsste, was ich eben für einen Mann kennengelernt hatte! Er war zwar zumeist äußerst bequem, allerdings wenn man ihn richtig in Rage brachte, konnte er auch schon mal ganz schön ausrasten und in seiner Wut Dinge durch die Zimmer schleudern. Damals hatte ich beispielsweise von zu Hause zwei Wellensittiche in die Wohnung mitgebracht, deren Laute ihn mit der Zeit, als er immer lethargischer wurde, massiv am Faulenzen gehindert haben und auf deren Käfig er am Ende in seinem Zorn einen seiner Hausschlappen (die Fernbedingung wäre zu diesem Zweck sogar in unmittelbarer Reichweite gelegen aber diese war eben nun mal heiliggesprochen) geschleudert hatte, um endlich Ruhe zu erlangen, was mich zu der erkenntnisreichen Überzeugung gebracht hatte, dass die Vögel bei meinen Eltern besser aufgehoben wären und ich sie daher wieder zurückgab.
Ich schaffte es tatsächlich unbemerkt ins Schlafzimmer zu gelangen, wo ich zwar deutlich ein nachlassendes Herzpoltern, allerdings noch keine merkliche Erleichterung verspürte. Ich stieg aufs Bett, um auf dem Schlafzimmerschrank nach einem Rucksack oder etwas Ähnlichem Ausschau zu halten. Es wäre mir auch egal gewesen, hätte ich bloß etwas aus Pascals Besitz gefunden, Hauptsache schnell wieder raus hier! Aber ich entdeckte hingegen meine alte Sporttasche, die ich ohne Stuhl jedoch nicht erreichen würde. Hektisch sah ich mich um und erblickte einen Kleiderbügel an der Türe des Schranks, welchen ich nahm, um auf dem hohen Möbelstück verzweifelt nach meiner Tasche zu angeln. Ich bekam den Tragegurt schließlich zu fassen und beförderte sie in einer gehetzten Bewegung nach unten, während diese einen Stapel alter Magazine streifte und einige der Hefte nacheinander klatschend zu Boden fielen. Mist, verdammt! Er brauchte nur durch den Spalt im Wohnzimmer zu sehen und zu bemerken, dass die Haustür offen stand, schon würde ich auffliegen! Ich riss vor Schreck die Augen auf und biss mir verstohlen auf die Unterlippe, bis sie anfing zu schmerzen, während ich mit zitternden Fingern die Sporttasche vom Boden aufhob, um fahrig meine Seite des Schranks aufzureißen und wahllos ein paar Kleidungsstücke hineinzustopfen.
Ich erstarrte erst wie vom Schlag getroffen, als eine gereizte Stimme hinter mir plötzlich fragte: „Was soll das? Wo willst du hin?“ Was sollte ich darauf nur antworten? Und viel wichtiger: Warum sollte ich überhaupt noch etwas erwidern? Also schwieg ich und fuhr stattdessen fort, indem ich nun die mittlere Schublade des Schranks aufriss und mich mit Unterwäsche eindeckte. „Nur weil ich nicht auf Kerle stehe, machst du mit mir Schluss?“, erkundigte er sich nun eine Tonlage ruhiger aber trotzdem immer noch feindselig genug, damit ich heraushören konnte, dass egal welche Antwort ich ihm nun gab, es ohnehin die falsche wäre.
Somit schüttelte ich nur widerwillig meinen Kopf, griff in die nächste Schublade mit den Socken, ohne darauf zu achten, ob sie zueinanderpassten oder nicht, und verfrachtete sie in die vergilbte kleine Sporttasche, die ich das letzte Mal vor fünf Jahren bei einem Campingausflug benutzt hatte und bereits seit Ende meiner Grundschulzeit besaß. „Nein, du verstehst das nicht. Du kannst es einfach nicht verstehen …“
Er fuhr sich hörbar schnaufend durch die Haare, in der Erwartung durch seine Beharrlichkeit zu einer Lösung zu gelangen. „Was verstehe ich nicht? Etwa dass du eine Vorliebe für Schwuchteln hast? Na dann erklär’s mir doch einfach, was daran so toll sein soll, wenn zwei Typen miteinander rummachen! Los, ich höre!“ Das hastige Surren des Reißverschlusses, als ich mit dem Packen endlich fertig war, konnte seine Stimme zwar nicht übertönen, verschaffte mir aber dennoch eine Art befreiender Befriedigung, die tatsächlich der eines wilden Tieres nach jahrelanger Gefangenschaft glich und nun endlich in die Freiheit entlassen wurde. Mit einem beherzten Griff schnappte ich mir die Träger und wollte eilig zur Tür hinaus marschieren aber Pascal schnitt mir den Weg ab, indem er sich mit ausgebreiteten Armen im Flur platzierte und sich mir, offensichtlich wie einen letzten vergeblich ausgeworfenen Rettungsanker, entgegen warf: „Halt, warte nur eine Sekunde! Wir können das Ganze vergessen und nie wieder über das Thema sprechen, alles wird so schön sein wie zuvor oder du kannst jetzt gehen und brauchst dich danach nie wieder bei mir zu melden!“ 'Schön?' Hatte ich Halluzinationen oder sprach er tatsächlich von einer 'schönen' Partnerschaft, welche wir gehabt hätten? Dass ich nicht lachte!
Es war ein wenig die Frage nach dem Aufwachen oder Weiterschlafen, wobei ich mich bereits seit dem Gespräch mit Julian endgültig für das Aufwachen entschieden hatte.
Wählen Sie die blaue Pille und sie bleiben in der Scheinheiligkeit Ihres Lügengebäudes wohnen, in dem sie in einer Art umnachteten Trancezustand stupide vor sich hin dämmern und irgendwann feststellen, dass Sie ihr Leben vergeudet haben oder wählen Sie die rote Pille und alles in Ihrem Leben wird sich grundlegend ändern, es werden sich Ihnen Horizonte auftun, von deren Existenz Sie nicht einmal ahnten und von denen es kein Zurück mehr geben wird …
Ich hatte in letzter Zeit eindeutig zu viele Wiederholungen neuerer Filmklassiker mit ihm angesehen, die er immer und immer wieder schaute, egal wie gut er sie bereits kannte - Hauptsache er wurde von der rappelnden Kiste zuverlässig vom Nachdenken abgelenkt.
Pascal erschien mir durch seinen hoffnungslosen Versuch beinahe wie eine Witzfigur - ähnlich einem Clown, dessen Zirkusnummer, von welcher er selbst absolut überzeugt ist, niemand mehr sehen wollte und man ihn darum einfach seine Kunststückchen vor sich selbst vorführen ließ, während man sich lieber interessanteren Dingen zuwendet. Dabei wollte er einfach nicht begreifen, dass es bereits viel zu spät war, dass die Entscheidung längst gefallen war und er sich einfach nur zum Affen machte, während er mir genau den Weg versperrte, den ich längst beschritten hatte. Wie von Sinnen führte er sich selbst vor, seine Aufgebrachtheit schien keinen Bezug zu meiner jetzt sehr gelassenen Zielstrebigkeit zu besitzen, nein, sie hinderte ihn sogar daran, diese auch nur zu bemerken.
Ohne auch nur einen Moment zu zögern oder mich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen, das in seinem Zustand ohnehin nicht möglich gewesen wäre, drückte ich mit einer bissigen Bemerkung seinen Arm weg: „Ich werde garantiert nicht zu dir zurückkommen, darauf kannst du Gift nehmen!“ schob mich an ihm vorbei und verschwand im Treppenhaus, wo Julian – wahrscheinlich durch den Radau, den Pascal veranstaltete, aufmerksam geworden – bereits auf mich wartete. Meine neue Bekanntschaft schien kein bisschen beeindruckt von der Begegnung mit meinem stinksaueren Ex-Freund zu sein, als er ihm auf den letzten Stufen vor unserer Wohnung entgegen sah, ganz im Gegenteil: Er grinste mit den auffallend spitzen Eckzähnen seines weißen Gebisses ein spöttisch breites Haifisch-Grinsen, welches sich des sarkastischen Triumphes voll bewusst schien und vor schadenfrohem Hohn nur so blitzte, während Pascal die Augen weit aufriss und mir lautstark hinterher brüllte, wobei ich überstürzt an Julian vorbei die Stufen hinunter eilte: „Aha, da haben wir sie ja! Die Schwuchtel! Und auch noch einer von den ganz Schlimmen! Dass du dich tatsächlich so weit herablässt, mit so einem perversen Ledertyp zu vögeln, hätte ich nicht von dir gedacht aber anscheinend ist das ja ganz dein Niveau!“ Das letzte Mal, als ich hörte, wie sich Pascal heiser schrie, war schon länger her und ich war ehrlich gesagt überrascht, dass er es immer noch konnte, wo er doch sonst wie ein Halbtoter den lieben langen Tag auf dem Sofa fläzte und sich schlecht synchronisierte amerikanische Comedy-Sendungen reinzog, die vom Zuschauer nicht allzu viel Niveau, geschweige denn Denkbereitschaft forderten. Ihn hatten meine Gefühle nie groß gekümmert, vieles blieb unausgesprochen – kein Wunder, dass sich dies irgendwann rächte.
„Na und?! Zumindest wissen die ganz Schlimmen, im Gegensatz zu dir, wie man richtig fickt!“, antwortete Julian zynisch in kühler Gelassenheit und wendete sich dann mit den Gummisohlen seiner Stiefel, die auf den blitzblank gewischten Stufen bei jedem Schritt quietschten, von ihm ab, um mir zu folgen. Für einen kurzen Augenblick war dies das einzige Geräusch, welches ich hinter mir vernehmen konnte - kein Türenknallen, keine Wutausbrüche, kein Geschrei - und somit befürchtete ich schon Pascal könnte sich ein Werkzeug holen, um sich auf Julian zu stürzen, stattdessen krachte jedoch genau in dem Moment, indem ich mich nach ihm umschauen wollte, mit einem donnernden Stoß, der in seiner akustischen Durchschlagskraft die Luft des Hausflurs zum Erzittern und den Rahmen zum Scheppern brachte, die Tür ins Schloss. Ein klares Statement, für welches ich in Gedanken, ohne jede Ironie, meinem Verflossenen erleichtert dankte, nämlich dass er uns weiteren Ärger ersparte und mich gehen ließ, auch wenn ich jetzt befürchtete taub zu sein.
Julian nahm mir auf dem Weg zum Auto die Sporttasche ab und meinte in gewohnt scherzhafter Manier: „Kein Wunder, dass du vorhin bei mir in der Kneipe so schlecht drauf warst, bei diesem unattraktiven Wicht müsste ich auch saufen, um ihn ertragen zu können! Hat der sich jemals Gedanken um sein Aussehen gemacht? Wäscht der sich überhaupt noch?“ Ich sah Julian an und was ich in seinen Augen bemerkte, war das Gegenteil von dem, was Pascal durch seine Körperhaltung beständig ausgedrückt hatte: Leben! Julian hatte Spaß am Leben, er unternahm etwas, forschte in sich selbst, forschte in anderen, ergründete versteckte Winkel und packte die Dinge an, anstatt sich dahin vegetierend seinem Schicksal zu ergeben. Er hatte eine breit gefächerte Persönlichkeit und zeigte diese, ich konnte richtig fühlen, wie mir von ihm eine mitreißende Energie entgegen schlug, die ich bei Pascal stets schmerzlich vermisst hatte. Julian betörte mich auf eine subtile Weise, die in mir innerhalb des kurzen Zeitraums unserer Bekanntschaft bereits eine sich selbst verzehrende Bewunderung geweckt hatte, die Pascal in einer knapp einjährigen Partnerschaft nicht hatte in mir herauf beschwören können.
Auf der Rückfahrt sah ich in den makellos blauen Himmel, auf welchem die Sonne gerade drohte im Westen unterzugehen. Keine einzige Wolke war zu sehen, nur die zunehmend goldener werdenden Strahlen schmückten das azurblaue Firmament über uns, sodass mich der Wunsch nach einem überdimensionalen Sprungbrett überkam, mit dem ich die Schwerkraft überlisten und in dieses klare erfrischend wirkende Südseemeer springen könnte, um mich unter dem warmen Farbton des glühenden Feuerballs treiben zu lassen. Hatte die Hitze mich heute auf dem Weg zur Bar noch fast erdrückt, so war sie jetzt zusammen mit dem lauen Fahrtwind, ein angenehmer Begleiter des Abends.
Instinktiv fühlte ich, dass nun eine gravierende Veränderung anstand, die ich freimütig empfing und von der ich wusste, dass sie es mir ermöglichen würde, endlich alle Facetten meiner selbst zu entfalten. Es war ein schönes Gefühl, zwar von Aufregung begleitet aber trotzdem überaus wohltuend und heilsam. Endlich! Endlich konnte ich so sein, wie ich war, ohne mich verstecken zu müssen! Ich hätte Luftsprünge vor Freude machen können und doch saß ich ganz ruhig auf dem Beifahrersitz und zählte in Gedanken jede Sekunde, die mir nun gemeinsam mit der, sich in der Ferne einer Fata Morgana ähnlich spiegelnden, Straße so quälend lang erschienen. Julian trug obendrein seinen Anteil dazu bei, meine Ungeduld in die Höhe zu treiben, indem er sich vorhin beim Suchen eines neuen Radiosenders, augenscheinlich unbewusst derart lasziv über die Oberlippe geleckt hatte, dass mir bereits diese unbemerkt kleine Geste ein nicht zu leugnendes Ziehen zwischen die Beine gezaubert hatte. Dieser einladende Mund war einfach von einer Sinnlichkeit gezeichnet, die pure Genusssucht verkörperte, und fügte sich perfekt in das Gesamtbild seines Gesichtes. Ein Mann mit solchen Lippen musste seine Liebhaber abhängig von seinen heißen Küssen machen, ich war mir absolut sicher. Was hatte er über Drogen gesagt? Ich gab ihm bereits recht, ohne, dass mich bis zu diesem Zeitpunkt je mehr von ihm berührt hatte, wie seine Hände. Ich begriff, dass ich begann, ihn zu vergöttern – seine einfühlsame Art gleichwohl, wie das, was sich hinter dem wilden Funkeln in seinen eisgrauen Augen verbergen mochte. Es war die Mischung aus Zartheit und Härte, die Abwechslung zwischen Distanz und Nähe, welche ich darin erkannte und die ich später noch zu spüren bekommen sollte, wenn er mich mit diesen Attributen um den Verstand brächte.
Die mysteriöse Tiefe in seinen Augen war es auch, die mich in sprachloser Faszination dazu aufforderte in dieses dunkle Gewässer einzutauchen, dessen Grund sich für mich unsichtbar in der tiefschwarzen Finsternis verbarg. Einmal weit unten in der Schwerelosigkeit gefangen, würde ich nicht mehr abschätzen können, wo sich oben und unten befand. Dann läge es an ihm und zwar an der anderen Seite an Julian, die in ihrer warmherzigen Empathie mit dem bezeichnend goldenen Licht des Abends erfüllt schien, mich wieder zurück an die Oberfläche zu geleiten, ehe ich jämmerlich und orientierungslos in der Dunkelheit ertrank. Doch war ich überzeugt von seinen Absichten und vertraute ihm diesbezüglich voll und ganz. Es war die Art, wie er seine Worte ausgesprochen hatte, an welcher ich erkannte, dass sie ihm absolut ernst waren und er aus ehrlicher Überzeugung sprach.
Schließlich kamen wir wieder an der Bar an und Julian fuhr in den Hof, rechts neben dem Gebäude, der dahinter in einen zugebauten Platz mündete, welcher wahrscheinlich gerade mal genug Raum für eine Grillparty mit den engsten Freunden bot. Der Hauseingang wirkte hier im Vergleich zur Vorderseite regelrecht konservativ – ein schwuler Ledermann war wohl so ziemlich der letzte Bewohner, den man hinter dieser Tür vermuten würde. Mein Herz fing erneut in meiner Brust zu hämmern an, als Julian den Zündschlüssel herumdrehte und das Geräusch des Motors unvermittelt erlosch. Hätte man von mir ein Langzeit-EKG am heutigen Tage angefertigt und es mit dem eines Marathonläufers beim Training verglichen, wäre wahrscheinlich selbst einem Kardiologen der Unterschied nicht aufgefallen.
Julian neben mir hatte sich abgeschnallt und wollte schon die Autotür aufmachen, überlegte es sich dann allerdings noch mal anders und betrachtete mich mit einem schalkhaften Ausdruck. „Du bist aufgeregt, stimmt’s?“ Ich nickte. Wie mochte ein besonderer Mann wie er wohl leben? „Nun, ich denke nach ein paar Stunden im Käfig, den ich im Keller stehen habe, wird sich das bestimmt ganz schnell legen!“ Entgeistert starrte ich ihn an, worauf er mir mit einem scherzhaften Lachen in die Frisur fasste und meine langen Haare zerstrubbelte. „Mensch, jetzt nimm doch nicht alles so ernst! Ich will dich doch bloß ein bisschen auflockern!“ Das verstand er unter Aufmunterung? Ich schluckte und brauchte einen Moment, um derlei Spaß lustig zu finden. Später würde ich sicherlich über mich und meine todernste Reaktion lachen können – jetzt war ich jedoch noch nicht so weit.
Egal, es half ohnehin nichts, denn nun stieg Julian aus und holte meine Tasche vom Rücksitz, sodass ich nicht länger zögerte und gleich darauf die moosüberwucherten Ritzen der Pflastersteine unter meinen Schuhen spürte, während ich neugierig zu einem weit geöffneten Fenster hinauf sah, in dem sich Vorhänge aus einem glänzenden und dünnen Material im Wind bauschten. Wie ein treudoofer Dackel lief ich hinter meiner neuen Bekanntschaft her und wartete artig, bis er die Haustür aufschloss. Im Flur erlebte ich bereits die nächste Überraschung, denn bis auf ein Bild, das ich schon oftmals in Internetshops oder im Posterregal des Baumarkts angetroffen hatte, auf welchem einige halb nackte Männer versuchten ein Gefährt anzuschieben und dabei obszön ihre Hintern in die Kamera streckten, unterschied sich hier nichts vom deutschen Durchschnittsbürger: hell, freundlich und mit dem obligatorischen Telefon auf dem Schuhschrank.
Ich ging weiter, spähte in eine offen stehende Tür und erkannte dort ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer mit einer breiten Ledercouch, zu der sich in direkter Luftlinie ein Breitbildfernseher befand. Mir fiel Pascal ein und musste mir ein gemeines Grinsen verkneifen – war ihm der alte Röhrenfernseher schon das heiligste, so würde er dieses Gerät sicherlich mit einem eigenen Schrein und zahlreichen Opfergaben darauf huldigen. Ich sah zu Julian, der meine Tasche in der Hand hielt, und wollte eintreten, jedoch ließ er mich nicht weit kommen. „Wo willst du denn hin?“, hielt mich seine Stimme vom Eindringen in den Raum ab. „Naja, ich soll doch hier schlafen … Ich dachte das Sofa, oder hast du ein Gästezimmer?“, erkundigte ich mich verwirrt, indessen er an mir vorbei schritt und im Begriff war, die Stufen ins obere Stockwerk hoch zu gehen. „Was? Nein, das ist doch Blödsinn! Du schläfst natürlich bei mir im Bett, es sei denn, du ziehst es vor auf dem Sofa zu pennen.“ Fragend sah ich ihn durch die Metallstäbe des Treppengeländers an und fand einmal mehr keine Worte. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern und folgte ihm einfach ins Obergeschoss.
„Du brauchst nicht zu denken, dass ich einer dieser Arschlöcher bin, die sich zwar nicht zu schade für einen harten Fick aber danach zu eingebildet zum Kuscheln sind. Ich bin auch nach dem Sex nicht allergisch gegen Körperkontakte“, erklärte er mehrdeutiger als beabsichtigt und öffnete im oberen Gang eine Tür. „Hier schau es dir an. Da ist genug Platz für uns beide, meinst du nicht?“ Ein gewinnendes Lächeln und eine Geste mit der Hand luden mich zum Eintritt. Dass er meine Tasche neben dem Eingang abstellte und sich dann mit einem zufriedenen Unterton entschuldigte, um uns etwas zu trinken zu holen, bekam ich nur am Rande mit, denn was ich sah, war ein bewundernswert stilvoll eingerichteter großer Schlafraum, der von einem beeindruckenden Perfektionismus zeugte. Es mag ungewöhnlich erscheinen aber selbst die schwarzen Fliesen mit den silbrig glänzenden Elementen, die in jede einzelne Platte eingearbeitet waren und im Abendlicht funkelten, wirkten keinesfalls unpassend, sondern fügten sich in ein abgestimmtes Bild, dessen markanter Mittelpunkt ein großes rundes Bett mitten im Raum bildete. Auf diesem befand sich nicht nur schwarze Satin-Bettwäsche, sondern auch dessen dick gepolstertes Gestell war mit einem ähnlich glänzenden Material überzogen. Mit seiner Überbreite, die ich auf mindestens zwei Meter dreißig schätzte, wirkte es wie die Schlafstätte aus einem nächtlichen Traum, der den Schlafenden einlud in eine Tiefentrance zu versinken, aus welcher er nicht so schnell aufzuwecken sein würde. Umrahmt wurde es von zwei flauschig aussehenden Florteppichen, die in einem tiefen bordeauxrot einen interessanten Kontrast zwischen Bett und Boden zauberten. Wie aus einem Katalog, dachte ich mir und wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich nirgendwo anders einer ähnlichen Einrichtung begegnet war.
Mein Blick schweifte weiter und entdeckte an der seitlichen Wand eine längliche Kommode von geringer Höhe, auf der sich nach Größe aufgereiht acht goldene Anal-Plugs befanden, die in der Mitte nur durch eine männliche Büste in geschliffener Marmoroptik unterbrochen wurde. Die Toys schienen auf jeder Seite identisch zu sein und begannen außen mit den beiden größten Stöpseln, um zur Mitte hin neben dem Torso mit den jeweils kleinsten abzuschließen. Selbst der Abstand zwischen den einzelnen Spielzeugen maß zu jeder Hälfte der Kommode augenscheinlich die gleiche Entfernung.
Neben dem Möbelstück waren an der Wand fünf goldene Haken befestigt an denen verschiedene Peitschen hingen. Ich identifizierte zwei Gerten, vom Rest kannte ich nicht die Bezeichnung, geschweige denn die Wirkung und somit schloss ich die Augen und drehte mich schnell herum, um mein arbeitswütiges Hirn am Nachdenken zu hindern.
Doch als ich sie wieder öffnete, erwartete mich gleich die nächste sonderbare Extravaganz, die ich gebannt anstarrte. Es war ein gerahmtes großes Bild, direkt vor meinen Augen und das Erstaunliche war zweifelsohne, dass es keine Fotografie oder ein Kunstdruck war, sondern das gemalte Original eines Künstlers. Ehrfurcht ergriff mich. Hier hatte jemand mit viel Mühe selbst die Details liebevoll und mit auffallend leidenschaftlicher Hingabe ausgearbeitet, was ich selbst als Laie sofort erkannte. Eigentlich interessierte ich mich nicht für Kunst, wenngleich ich mir eingestehen musste, dass vor allem das Motiv eine faszinierende Magie auf mich ausübte. Denn die sehr realistisch dargestellten Männerkörper, welche sich in inniger Umarmung eng umschlungen hielten, weckten ein Empfinden von bedingungsloser Liebe und erotischer Spannung zugleich, wobei man beim längeren Hinsehen, dem unheimlichen Eindruck erlag, dem Künstler direkt in den Kopf sehen und jeden einzelnen Pinselstrich der darin enthaltenen Leidenschaft bis zu seinem Ursprung zurückverfolgen zu können.
Einer der beiden wirkte mit seinem athletischen Körperbau sehr maskulin und hatte seine Stirn so an die schmalere Brust seines Geliebten gelehnt, dass die braunen halblangen Strähnen sein Gesicht verdeckten, wohingegen der Schlankere mit der geschmeidigen Statur sein Kinn auf dessen Kopf stützte und ihm Halt zu gewähren schien. Mit einer leisen Vorahnung betrachtete ich diese Figur auf der oberen Bildhälfte genauer und stieß unvermittelt unter den schwarzen Haaren, auf die in lustvoller Begierde halb geöffneten eisgrauen Augen von Julian! Atemberaubend! Einfach atemberaubend! Er war darin in einer solch betörend dargestellter Schönheit eingefangen, dass ich mit offenem Mund einen Schritt zurücksetzte und fassungslos zu dem Kunstwerk empor blickte. Ich war also nicht der einzige Mensch auf der Welt, der Julian von diesem speziellen Blickwinkel aus betrachtete und bei dem er diese für mich befremdlichen Gelüste hervorrief.
Durch zwei lautlose Hände, welche sich in diesem Augenblick beinahe unmerklich auf meine Schultern legten, fand ich schlagartig wieder in die Realität zurück. „Gefällt dir das Bild?“, vernahm ich Julians eindrucksvoll männliche Stimme nah an meiner Schläfe. „Du …?“, brachte ich ungläubig flüsternd heraus, worauf die Finger seiner rechten Hand von meinem Halsansatz sacht zu meinem Oberarm glitten, während er erwiderte: „Und mein Ex. Er war Maler.“ Ich überlegte. Wenn dieser Mann ihn in einer solchen von Liebe erfüllten Leidenschaft gemalt hatte, wie konnte er ihn dann verlassen? „Was ist passiert?“, erkundigte ich mich. „Er lernte einen Designer kennen, der ihm die Welt versprach: Paris, Mailand, New York … Ausstellungen, Parties, das ganze Programm des Erfolgs eben. Da konnte ich leider nicht mithalten.“ Er drückte mich sanft an seinen Körper und ich ließ widerstandslos meinen Kopf an seine Brust sinken. Was sollte ich in Mailand, Paris oder New York, wenn Julian hier bei mir war! Egal, an welchem Ort, ich hätte nirgends glücklicher sein können. Ein wahrhafter Idiot musste es sein, der einen solchen Mann für langweilige Stehpartys, welche man die ganze Zeit Champagner schlürfend und mit gezwungenem Small Talk verbrachte, der lediglich durch noch affektierteres Lachen unterbrochen wurde, verließ. Obendrein konnte ich mir Julian nur schwerlich mit einer seidenschalschwingenden Tucke vorstellen, die sich zweimal am Tag die Nägel feilen und sich gleich mit mehreren teuren Düften einparfümieren musste, bevor sie sich aus dem Haus traute. Ich blickte wieder zu dem kräftigeren Mann auf dem Bild und musste feststellen, dass dieser weder etwas Feminines noch Gestelztes an sich hatte.
Ich entschied trotzdem nicht weiter nachzuhaken und einfach seine Berührungen zu genießen, die nun dazu übergegangen waren mir langsam die Träger meines Tops von den Schultern zu streifen. Während daraufhin seine sanften Lippen die Stelle auf meiner Haut küssten, die eben noch die schmalen Streifen meines Oberteils bedeckt hatten, wanderten seine Hände abwärts, strichen, wie um absichtliche Spannung zu erzeugen, seitlich an meinem Busen vorbei, ohne meine Brustwarzen auch nur im Ansatz zu stimulieren und suchten erfolgreich nach dem Saum am unteren Ende des Kleidungsstücks. Ausnahmsweise trug ich heute keinen BH, würde er es mir nun also über den Kopf streifen, so stände ich obenherum sofort barbusig vor ihm und es gäbe nichts, was ihm meine mittlerweile hart gewordenen Nippel in ihrer dargebotenen Blöße verwehren würden.
Nur kurz fuhren seine Finger unter den Stoff, glitten über meinen Bauch und schoben mir dann das Oberteil höher und höher. Widerstandslos ließ ich es nicht nur zu, dass er mich auszog, sondern erkannte auch, wie ein unerträglich drückender Knoten in mir endlich gelöst wurde. Ähnlich wie der Dunst der nach einer Hitzeperiode, bei einem Sommergewitter
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Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 5
GirlFag
Ich möchte nicht zu viel verraten, nur vielleicht, dass diese Geschichte noch sehr sehr lang wird und ich jetzt schon insgesamt bei über 100 Seiten bin. Hoffentlich bleiben mir die Leser solange treu ;-)
Und auch danke, für die ersten Kommentare. Ich freue mich immer total über Rückmeldungen und hoffe noch auf reichlich Feedback!
Korrekturgelesen hat die Geschichte wie immer "BenjaminBi" und so langsam krieg ich schon ein wenig ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihm mal wieder einen langen Wälzer von mir schicke ;-)
Ich wünsche allen noch viel Spaß beim Schmökern!
Melanie (Girlfag)«
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Sie gönnt es mir noch immer, hin und wieder Sex mit einem ausdauernden Mann zu haben. Sie schaut uns dann sehr gerne zu und besorgt es sich selber. (Was uns wiederum geil macht) Es macht ihr grossen Spass von uns 2 Männern im Sandwich pepetriert zu werden.
Ich freue mich schon auf Fortsetzungen !!!!«
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Adlerswald
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danke für das flotte Einlesen und diese sehr schön geschriebene Geschichte.
lieben Gruß
Thomas«
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eine wirklich tolle Geschichte, ich hoffe es wird reichlich Fortsetzungen geben, weil dies so ziemlich die schärfste Art von erotischen Geschichten ist, die ich mir vorstellen kann. Du hast von dem kommenden einen guten Eindruck verschafft und nun bin ich ziemlich gespannt :-)
scross63«
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Miller
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vielen dank dafür!«
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