Free Jazz
von Hopper
Eins
Es war einer dieser beschissenen Freitagabende, von denen nur eine leere Schachtel Zigaretten und ein Kater übrigbleiben. Ich saß vor einem doppelten Whisky an der Theke der besten Jazz-Bar der Stadt. Auf der kleinen Bühne am Ende des Saals scheiterte ein Quartett älterer Herren an einem Stück von Dave Brubeck.
Auf einem Barhocker neben mir saß ein ziemlich schräger Typ: Sein halblanges, schneematschfarbenes Haar hatte er altmodisch mit Pomade nach hinten gekämmt, ein Dreimonatebart umrahmte sein zerknittertes Gesicht. Er trug ein versifftes T-Shirt. Irgendwo in seinem Rauschebart war ein Mund, mit dem er ab und zu einen Schluck aus seiner Bierflasche nahm. Ein paar Tropfen verschwanden dann im Bartgestrüpp an seiner Unterlippe.
Ich schob mein Handy von der Zigarettenschachtel vor mir und fischte eine heraus. Niemanden hier kümmerte das gesetzliche Rauchverbot. Der Typ Fitnessstudio und Biosupermarkt verirrte sich ohnehin nicht in diese Bar. Wortlos winkte ich nach einem neuen Glas Laphroaig.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, was ich schon wusste: Sie hatte nicht angerufen. Auf meine Einladung zu Jazz und Whisky hatte sie am Nachmittag schon so seltsam reagiert. „Vielleicht“, hatte sie tonlos gesagt und versprochen, sich zu melden. Hatte sie dann natürlich nicht getan. Wahrscheinlich war sie gerade mit diesem unerträglichen Schnösel von der Uni unterwegs, den sie aus irgendeinem Grund seit ein paar Monaten in ihr Bett ließ.
Bei dieser Vorstellung musste ich ganz schön unglücklich geschaut haben, denn plötzlich lehnte sich mein seltsamer Nachbar von seinem Barhocker zu mir herüber und sagte verschwörerisch:
„Ich find’s auch schrecklich!“
Ich sah zwei hellgraue Augen unter buschigen Augenbrauen, als ich mich ihm zuwandte.
„Was ist schrecklich?“, fragte ich ohne Interesse.
„Die Musik!“ Er zeigte mit seiner Bierflasche auf die Band, so als ob das Erklärung genug wäre, und fügte schließlich hinzu: „Weiß der Teufel, was die Leute an Jazz finden!“
„Das ist ein Dave Brubeck Song, der Mann ist eine lebende Legende! Die Typen da können halt nicht spielen“, erwiderte ich gereizt.
„Außerdem ist das hier ‘ne Jazz-Bar. Wenn sie keinen Jazz hören wollen, gehen Sie halt woanders hin…“
„Ruhig Blut, mein Junge. Nicht gleich so gereizt“, erwiderte er gelassen. Er beugte sich vor und tippte auf mein Handy.
„Dich hat jemand sitzenlassen, stimmt's? Und jetzt bist du sauer.“
Ich antwortete nicht.
Er lachte und wurde dann jäh von einem Hustenanfall geschüttelt. Als er sich ein bisschen beruhigt hatte, sagte er salomonisch:
„Ach, weißt du: Manchmal braucht es Geduld mit den Frauen.“ Er winkte dem Barmädchen: „Hier, noch einen für meinen jungen Freund.“
Das Mädel schaute mich aus dunklen Augen spöttisch an, während sie die Flasche aufschraubte. Sie hatte natürlich alles gehört. Lächelnd schenkte sie nach und verschwand.
„Sehr schön“, freute sich der Alte. „Zum Wohl!“
„Zum Wohl.“
Wir tranken.
„Wer ist denn deine Herzensdame?“, fragte er schließlich neugierig.
Ich sagte nichts. Hinten waren sie mit dem Brubeck Song fertig. Leute applaudierten.
„Na komm schon, Junge. Sag mir nur ihren Namen.“
Ich seufzte und schaute geradeaus ins Nichts. „Linda“, sagte ich nach einer langen Pause.
Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche.
„Linda“. Er testete den Namen auf seiner Zunge. „Und woher kennst du diese Linda?“
Ich spürte den Drang, ihm zu sagen, dass ihn das alles nicht das Geringste anging. Aus irgendeinem Grund tat ich es nicht. Was soll‘s?, dachte ich und nahm einen Zug.
„Sie wohnt seit knapp einem Jahr bei mir im Haus. Studiert Architektur.“
Er nickte und sagte nichts. Als ich schon dachte, seine Neugierde wäre endlich befriedigt, fragte er: „Und woran liegt‘s? Hat sie nein gesagt? Oder hat sie einen anderen?“
„Sie stellen ‘ne ganze Menge Fragen!“ Es kam ein bisschen unfreundlicher raus als geplant.
„Schon gut, schon gut“, sagte er und hob lachend die Hände.
Auf der Bühne spielte jemand ein ziemlich gutes Klarinettensolo. Ich drückte meine Zigarette aus und spülte den Geschmack von kaltem Rauch mit dem letzten Rest Whisky herunter.
„Ich hab’s ihr nie gesagt“, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. „Und jetzt hat sie seit ein einer Weile was mit einem von der Uni. So ein reicher BWL-Schnösel mit Lacoste-Hemden und Segelyacht. Tennis, Golfen, Urlaub auf Gran Canaria. Natürlich sieht er auch noch blendend aus. Ein richtiges Arschloch halt!“
Er lachte. „Und das ist was ernstes mit deiner Linda und dem Schnösel?“
„Glaub nicht“, sagte ich. „Das ist so einer, der kann jede haben, mit seiner Kohle, und seinem Körper aus der Muckibude, und seinen scheiß Segelschuhen. Der hat ein bisschen Spaß und holt sich dann die Nächste.“
„Na, dann ist doch alles gut“, freute sich der Alte. Dann wurde er philosophisch und hob sogar einen Zeigefinger:
„Manchmal muss man auf die Liebe warten, mein Junge! Und wenn der richtige Zeitpunkt dann da ist, muss man zuschlagen! Du kennst doch die Beatles, oder?”
Nachdem ich ihn nur verständnislos anschaute, sang er in erstaunlich gutem Bass zwei kurze Zeilen Beatles. „Hey Jude, don’t be afraid. You were made to go out and get her!”
Er lachte vergnügt.
„Das waren gute Jungs, die Beatles“, schwärmte er dann. „Nicht so kühl und leer wie der Jazz von diesem, äh, … Brubeck.“
Ich war betrunken und nicht in Stimmung für Unfug.
„Hören Sie, Sie haben echt keine Ahnung! Jazz ist nicht leer, Jazz ist pure Emotion. Zum Beispiel: In den 20ern wollten manche Leute Jazz verbieten. Das ist keine Musik, sagten sie, sondern Manipulation! Eine gefährliche Erregung der Sinne und der körperlichen Leidenschaften.“
Er lachte wieder und schaute mich neugierig an.
„Und, stimmt das?“, wollte er dann wissen.
„Klar! Manchmal“, sagte ich, „Die Beatles sind nicht die einzigen, die Gefühle ausdrücken können.“ Ich deutete auf den Saxophonisten auf der Bühne. „Man braucht keinen Text und bescheuerte Frisuren, um mit Musik zu sagen: ich bin traurig, ich bin fröhlich, ich bin erregt, ich bin verliebt.“
Sein Gesicht hellte sich auf. „Ah, die Liebe!“, seufzte er. „Das größte und schönste Geheimnis von allen!“, sagte er zu niemandem im Bestimmten und griff nach seiner Flasche. Dann beugte er sich zu mir herüber und sagte in verschwörerischem Ton:
„Ich verrate dir was: Das mit dir und deiner Linda, das wird schon noch.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an den Nasenflügel. Seine Augen glänzten. Ganz offensichtlich amüsierte er sich prächtig.
„Schwachsinn!“, erwiderten sechs doppelte Whisky mit Nachdruck. „Liebe ist scheiße! Sie ist bitter, unberechenbar und grausam. Liebe ist eine verdammte Krankheit!“
Um den folgenden emotionalen Höhepunkt meiner kleinen Rede zu untermalen, knallte ich das leere Glas auf den Tresen:
„Ohne Liebe wäre alles besser!“, verkündete ich und winkte dem Mädel mit den dunklen Augen zu, sie solle nochmal nachschenken.
Zum ersten Mal hatte ich den schrägen Alten auf dem falschen Fuß erwischt.
„Aber was bleibt denn dann noch?“, fragte er ehrlich verblüfft.
„Freiheit, Unbeschwertheit, Lust, Musik. Das gute wilde Leben“, sagte ich knapp und machte meine letzte Zigarette an.
Mit dunkler Miene starrte er mich lange an und meinte dann völlig ernst:
„Ich kannte mal einen, so etwa in deinem Alter, der sagte immer: ‚Und was ist des Strebens wert, wenn es die Liebe nicht ist?‘ Ein cleverer Bursche war das.“
Mittlerweile war ich richtig in Fahrt. Für Aphorismen von Pennerphilosophen war ich zurzeit nicht zu haben. Mit der Zigarette in der Hand wedelte ich vor seinem Gesicht, dass die Asche flog.
„Ach was! Dieser BWL Yuppie, der hat es geschnallt! Der kann jede Frau haben und das Leben genießen. Keine Verpflichtungen, keine Bindungen, keine Sorgen und den ganzen Rest. Der hat ein Mädel in jedem Hafen und 365 Mal Sex im Jahr. Wozu braucht man da noch Liebe?“
Der Alte strich sich ein bisschen Asche aus dem Bart und fragte dann müde:
„Und so ein Leben willst du auch führen? Das würde dich wirklich zufrieden machen?“
„Na, aber sicher doch“, behauptete ich ohne zu zögern.
Jetzt war es an meinem Gesprächspartner, ärgerlich zu werden.
„Ich hab wirklich schon viel blödes Zeug gehört im Lauf der Zeiten. Mehr als du dir vorstellen kannst. Aber so was Pubertäres war lange nicht dabei.“
Er war jetzt richtig aufgebracht, so als ob ich ihm einen eigentlich schönen Abend verdorben hätte.
„Gut, gut“, brummte er dann in seinen Großvaterbart. „Mal sehen, was wir da machen können.“ Er trank sein Bier aus und stellte die Flasche auf den Tresen.
Im selben Moment passierte es. Die Musik ging aus. Genauer gesagt gingen die Musiker aus. Unbeweglich wie Wachsfiguren standen sie auf der Bühne, Gliedmaßen und Gesichtszüge mitten in der Bewegung eingefroren. Ich wirbelte herum und sah, dass die ganze Bar auf dieselbe Weise erstarrt war. Rauchschwaden hingen unbeweglich in der Luft, ein starrer Strom Bier, das der Wirt eben gezapft hatte, schwebte über einem halbvollen Glas. Ein Mann am Nebentisch war lachend zu Stein erstarrt. Sein vor Freude verzerrter Mund war weit offen und man sah die Füllungen in seinen Backenzähnen. Ich drehte mich ungläubig um und starrte aus dem Fenster, wo Regentropfen regungslos in der Luft klebten. Ich saß in einem dreidimensionalen Foto. Es war totenstill darin.
„Eigentlich wollte ich dich heute Abend ein bisschen aufmuntern, mein Junge, aber wenn du es dir so sehr wünscht, sollst du dein gutes wildes Leben bekommen“, knurrte der Alte, so als sei das alles ganz normal.
„Manipulation der Sinne! Erregung körperlicher Leidenschaften!“, rief er dann laut. „Ein angemessenes Leben für einen Jazzer wie dich!“
Mein Mund stand weit offen. Gänzlich unbeeindruckt von meinem bescheuerten Gesichtsausdruck drehte er sich ruhig auf seinem Barhocker hin und her und suchte den Raum systematisch mit wachen Augen ab. Sein Blick kam auf dem Barmädchen zu liegen, das mir meine Drinks gemacht hatte. Sie hatte gerade einen Gast abkassiert und war mit ausdruckloser Miene mitten in der Bewegung erstarrt.
„Wie gefällt dir die da zum Beispiel?“, fragte er mich, und ein Hauch von Belustigung schlich sich in seine Stimme zurück.
Die Bedeutung der Frage kam gar nicht erst in meinem Gehirn an.
Er winkte das Mädel zu uns herüber und plötzlich schien sie zu erwachen. Mit gesenktem Blick steckte sie das Geld ein, das sie eben noch entgegengenommen hatte. Dann schaute sie stirnrunzelnd auf. Ihr Geldbeutel fiel zu Boden und mit Panik in den Augen huschte ihr Blick hin und her und nahm die ganze erstarrte Wirklichkeit in sich auf, bis ihr Blick schließlich an dem Alten und mir hängen blieb.
„Was ist denn das jetzt für ‘ne Scheiße?“, schrie sie hysterisch.
„Keine Panik. Ruhig bleiben“, sagte der Alte und sofort entspannte sie sich.
„Herkommen“, befahl er. Sie kam zu uns herüber. Zigarettenrauch wirbelte, wo sie ging, nur um hinter ihr wieder zu erstarren.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie weniger hysterisch. „Ich verstehe nicht, was...“
„Ruhe!“, sagte der Alte streng. „Der junge Mann hier möchte ein wildes Leben voller Sex und Weibergeschichten führen, ohne Verpflichtungen, ohne Verantwortung, und so weiter und so fort. Sei doch so gut und zeig ihm mal deine Möpse.“
Ohne ein weiteres Wort knöpfte das Mädchen ihr schwarzes Kellnerhemd auf. Es fiel zu Boden. Mit einer routinierten Bewegung öffnete sie ihren BH und präsentierte der erstarrten Welt ihre Brüste. Sie sagte kein Wort, schaute nur ganz entspannt. Sie war jung und ihre Brüste fest und rund. Ich war von alledem völlig überfordert. Ihre Brüste waren mir scheißegal.
„So!“, sagte der Alte zufrieden und wandte sich mir zu. „Ab hier übernimmst du! Jetzt kannst du dich austoben und das wilde Leben genießen. Ich verspreche dir: Liebe wird dir dabei nicht im Weg sein!“
Er stand auf, warf einen prüfenden Blick auf die Brüste des Mädchens und nickte dann anerkennend, so als ob er mit ihnen sehr zufrieden sei. Im Vorbeigehen legte er kurz seine faltige Hand auf ihre nackte Schulter, was sie mit einem leisen Keuchen quittierte. Ihr Oberkörper zuckte einmal, so als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen, und ihre Brustwarzen richteten sich auf. Ihre dunklen Augen erfassten mich, und sie kam schweigend und zielstrebig auf mich zu. Der Alte war längst weg, als sie vor mir auf die Knie ging und mit ihren schönen, langen Fingern am Reißverschluss meiner Jeans zu hantieren begann. Ein Feuer der Lust loderte in dem Blick, den sie mir von dort unten zuwarf. Der Druck ihrer Hände zwischen meinen Beinen riss mich aus meiner Schockstarre. Ich floh in die Nacht hinaus.
Zwei
Irgendwann am späten Samstagmorgen signalisierte mir Herr Kaiser mit ausgefahrenen Krallen, dass es höchste Zeit war aufzuwachen. Aus dem Nichts einer traumlosen Nacht fand ich mich – bäuchlings, Mund weit geöffnet und völlig ausgetrocknet – in einem Berg aus Bettwäsche wieder. Mein altersgrauer Kater saß mir auf dem Rücken und schnurrte empört. Eine kraftvolle Junisonne schien durch halboffene Vorhänge. Es war heiß und stickig in meinem Schlafzimmer. Ich robbte zur Bettkante. Herr Kaiser sprang vom Bett und rannte erwartungsvoll in die Küche. Blick auf mein Handy: Meine Mutter hatte zweimal angerufen. Sonst niemand. Falsche Frau, dachte ich.
Ohne Hoffnung schüttelte ich die Zigarettenschachtel, die neben dem Telefon lag. Mit mehr Mühe, als man von einem Endzwanziger erwarten sollte, schwang ich mich halb aus dem Bett und blieb erstmal auf der Bettkante sitzen, mein Gesicht tief in den Handflächen vergraben. Zuerst denkt man immer, man sei nicht verkatert.
Ich stand erst auf, als Herr Kaiser wieder schnurrend um meine Beine strich. Vorhänge zurück, Fenster auf. Mit dem Wind und der frischen Frühlingsluft wehten auch die Geräusche der Nachbarskinder und der Singvögel herein, die sich den Garten vor dem Haus teilten. Als ich da so stand und den Samstagvormittag in seiner unglaublich banalen Normalität aufsaugte, hätte ich mir fast einreden können, der letzte Abend sei nur ein besonders schräger Traum gewesen oder vielleicht die Whisky-geschwängerte Fantasterei eines leicht verbitterten Spinners.
Ich schlurfte in die Küche, stellte die Katze ruhig, setzte Kaffee auf und ging duschen. Kaum Wasserdruck, was bedeutete, dass nebenan auch geduscht wurde. Der Gedanke an Linda unter der Dusche verbesserte meine Laune kein bisschen. Ich fand kein Handtuch aber ein paar Shorts und ein fast frisches T-Shirt. Als ich mich gerade mental auf einen qualvollen Spaziergang zum Zigarettenautomaten vorbereitete, klingelte es an der Tür. Herr Kaiser schaute von seinem Napf zu mir auf, so als wollte er sagen: Mach auf, es hat geklingelt!
Vor der Tür stand Svenja. Nasse blonde Haare fielen ungezähmt über ihre Schultern. Sie war barfuß und trug ihr blaues Kleidchen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Sommer endlich gekommen war. Svenja und Linda teilten sich die Wohnung neben meiner.
„Schönen guten Morgen, der Herr! Wir haben keinen Kaffee und hier riecht’s eindeutig nach Kaffee. Du und deine Kaffeekanne sind herzlich zum Frühstück bei uns eingeladen.“ Sie schaute mich prüfend an und fügte hinzu. „Wenn du dafür schon fit genug bist.“
„Hallo Herr Kaiser!“, sagte sie fröhlich, als der Kater im Flur erschien.
„Hast du Zigaretten?“, wollte ich wissen.
„Zigaretten gegen Kaffee“, bot sie an und fügte hinzu: „Und wenn du sofort zuschlägst, leg ich noch zwei Aspirin obendrauf“.
„Deal!“, sagte ich und ging in die Küche, um die Kanne zu holen. Als ich zurückkam, war Svenja weg, aber die Wohnungstür gegenüber stand offen und irgendwo dahinter erklang gedämpftes Gelächter.
Meine Stimmung wurde kein bisschen besser, als ich am Küchentisch der WG nicht Svenja und Linda fand, sondern Svenja und Lindas BWL-Schnösel. Er trug eines seiner unsäglichen himmelblauen Polohemden und seine Sportsocken waren rot vom Sand eines Tennisplatzes. Eine Tasche mit Schlägern lag auf dem Boden.
„Hallo“, sagte der Schnösel in meine Richtung. „So einen schönen Tag sollte man aber nicht verschlafen.“
Ich setzte mich und Svenja stellte ein Glas Wasser und eine Packung Aspirin vor mir auf den Tisch.
„Julius und ich waren schon Tennis spielen heute Morgen“, sagte sie stolz.
„Ist Linda gar nicht da?“, fragte ich.
„Du bist echt noch nicht ganz wach, heute! Linda ist doch in Paris bei diesem Architekturwettbewerb. Das hast du doch nicht echt vergessen, oder? Du hast sie doch erst dazu überredet!“
Svenja war ehrlich verblüfft.
„Hmmjastimmt“, brummte ich, spülte ein Aspirin mit Wasser hinunter und nahm mir eine von Svenjas Zigaretten.
„Deshalb wollte sie auch gestern Abend nicht mehr weg“, erklärte Svenja. „Ihr Taxi kam um fünf heute Morgen. Sie hat dir einen Zettel an die Tür gehängt. Nichts gesehen?“
Nein. Alles vergessen. Nichts gesehen. Ich fühlte mich wie der letzte Idiot.
Der Schnösel schaute mich missfallend an. Svenja zeigte mit ihrem Nutellabrot auf mich und klärte Julius auf: „Ohne ihn hätte Linda da nie im Leben was eingereicht. Vier Wochen lang hab ich vergeblich versucht sie zu überreden. Aber sie denkt ja immer, dass ihre Entwürfe nichts taugen. Und dann kommt der liebe Herr Nachbar und überzeugt sie innerhalb von einer Stunde davon, dass sie mitmachen soll. Und dann hat er auch noch ihre ganzen Unterlagen übersetzt.“
„Ah, on parle français“, stellte Julius weltmännisch fest und nippte an seinem Orangensaft.
Da ich keine Anstalten machte, eine ebenso kosmopolitische Antwort auf Französisch zu geben, wandte er sich wieder Svenja zu und fragte sie etwas über Professor Soundso, bei dem sie wohl zusammen eine Vorlesung hörten. Marketing oder so.
Meine Stimmung hatte mittlerweile den absoluten Tiefpunkt erreicht. Mein Schädel brummte, ich war wütend auf mich selbst und die Welt im Allgemeinen und tief in mir machte die Erinnerung an den gestrigen Abend Knoten in meine Eingeweide.
Weit weg sagte Julius: „… wollte ich eigentlich nicht kaufen, aber das Angebot war einfach zu gut. Mein Vater sagt immer, ein Boot ist ein Muss, wenn man es in der Wirtschaft heute zu was bringen will. Klar, es ist erstmal nur was kleines, und man muss ständig ans Meer und danach schauen, aber ich finde …“
Es gab keine gute Erklärung für das, was in der Bar passiert war. Die Welt hatte einfach angehalten, die Kellnerin hatte vor mir gestrippt. Und dann dieser unglaubliche Kerl!
Vielleicht bist du ja schizophren und das war der andere Teil deiner Persönlichkeit, dachte mein Kopf.
Julius: „…da wo ich herkomme, lernt man schon als kleiner Junge segeln. Musst du unbedingt mal probieren. Es gibt nichts Besseres! Der Wind, die Wellen, die Sonne. Linda und ich wollen bald mal rausfahren, und im Juli vielleicht mal runter an die Algarve …“
Es musste doch eine einfache Erklärung für das alles geben! Die Brüste und die dunklen Augen der Barkeeperin erschienen vor meinem geistigen Auge. Ich sah die Panik in ihren Augen und die Regentropfen, die reglos in der Luft hingen. Mein Kopf tat so weh, dass kein klarer Gedanke möglich war. Ich wünschte, dieser Julius würde einfach mal eine Minute lang die Fresse halten!
„… und gestern hab ich …“, sagte Julius noch und sagte dann gar nichts mehr. Ein paar lange Sekunden verstrichen, dann fragte Svenja:
„Ja, und weiter?“
Aber Julius blieb stumm. Ich schaute auf und sah, wie sich in seinem Gesicht Verwunderung und Angst mischten. Er machte den Mund auf, aber es kam nichts raus.
„Julius? Ist alles ok mit dir?“, fragte Svenja besorgt. „Hast du dich verschluckt?“
Sie begann, ihm fest auf den Rücken zu klopfen.
Was ist das denn jetzt?, dachte ich.
„Sag doch was, Mann!“, rief ich.
Daraufhin öffnete Julius den Mund und keuchte: „Geht schon wieder, danke.“ Peinlich berührt schob er Svenjas Hand weg, die immer noch seinen Rücken klopfte.
„Ich glaub, ich hab was in den falschen Hals bekommen.“
Sein Gesichtsausdruck sagte: Ich hab ganz sicher nichts in den falschen Hals bekommen.
„Das war ja komisch!“, stellte Svenja fest.
Nachdem auch nach einer Minute allgemeinen Schweigens niemandem eine Lösung für das Rätsel eingefallen war, nahmen die beiden ihr Gespräch wieder auf. Ich entschuldigte mich und ging aufs Klo.
Auf der Toilette mit Blick auf den erstaunlich gut gefüllten WG-Geburtstagskalender versuchte ich zu verstehen, was eben passiert war. Julius hatte eindeutig als Reaktion auf meinen unausgesprochenen Wunsch das Sprechen verlernt, so wie die Barkeeperin die Hüllen fallen ließ, als mein mysteriöser Gesprächspartner vom Vorabend sie darum gebeten hatte.
Ein paar Minuten lang erwog ich alle Möglichkeiten, die ohne die Annahme schwerwiegender Persönlichkeitsstörungen meinerseits auskamen. Die einzige logische Erklärung, die mir einfiel, bestand darin, dass der Alte mir irgendwelche Zauberkräfte gegeben hatte. „Manipulation der Sinne! Erregung körperlicher Leidenschaften!“, hatte er gerufen. So unglaublich es klingen mochte: Ich war jetzt Harry Potter, ein Jedi-Ritter, der Herr über die Matrix! So was in der Art.
Ich streckte meine Hand nach Flasche Shampoo aus, die zwei Meter entfernt in der Dusche stand, und benutzte meine neuen Superkräfte, um die Flasche direkt in meine Hand zu forcieren. Es geschah überhaupt nichts. Die Flasche stand nach wie vor in der Dusche und machte einen rundherum indifferenten Eindruck. Ich verstand diese neue Welt nicht. Warum konnte ich einem BWL-Studenten die Sprache verschlagen, aber eine Flasche Shampoo „Kräuter der Provence“ widersetzte sich mir? Mein Schädel brummte. Die Situation überforderte mich schwer.
Ein paar Minuten später saß ich wieder mit Svenja und Julius am Frühstückstisch und begann ein paar kleine Experimente. Der Salzstreuer auf dem Tisch reagierte nicht auf meinen Befehl, vom Tisch zu fallen, wohl aber benutzte Julius ihn dazu, seinen Kaffee zu versalzen, als ich das im Stillen anregte.
„Das ist das Salz, Julius!“, lachte Svenja.
„Ach, Scheiße!“, sagte der Schnösel gar nicht so weltmännisch und schob seinen Kaffee weg.
Aha!, dachte ich.
Ein paar Sekunden später verkündete Julius dann ohne Vorwarnung:
„Ich muss gehen! Draußen steht mein Jaguar. Mit dem fahre ich jetzt zum Golfclub und beeindrucke ein paar scharfe Ladies mit meinem schicken Polohemd!“
Svenja verschluckte sich an ihrem Orangensaft und begann schallend zu lachen.
„Davon solltest du Linda aber besser nichts sagen“, meinte sie vergnügt, als sie sich ein wenig beruhigt hatte.
„Bleib doch noch. Ich dachte, wir besprechen jetzt noch Marketing?“, fügte sie hinzu.
„Ich bin reich und unwiderstehlich!“, erklärte Julius knapp.
Svenja runzelte die Stirn und schaute erst Julius und dann mich an. Ich zuckte unschuldig mit den Schultern.
„Oh Gott! Keine Ahnung, warum ich das grade gesagt habe“, brachte Julius entsetzt hervor und schlug sich die Hände vor den Mund. Er schaute Svenja entschuldigend an. „Ich glaub, ich fühl mich nicht so wohl. Ich geh jetzt besser heim.“
„Soll ich dich zu deinem Jaguar begleiten?“, fragte ich mitfühlend.
„Ich hab keinen… Schon gut“, erwiderte er und griff nach seiner Tennistasche.
„Danke für das Frühstück“, sagte er knapp und verschwand fluchtartig im Flur, von wo aus ein paar leise Geräusche und schließlich das dumpfe Poltern der Haustür zu uns drangen. Svenja schüttelte den Kopf und hatte die Stirn tief in Falten gelegt.
„Noch Kaffee?“, fragte ich und klaute ihr eine Zigarette.
Eine Viertelstunde später saßen wir auf dem großen Sofa im Wohnzimmer der WG und ließen uns von der Samstagssonne die nackten Füße wärmen. Vor uns auf dem Tisch standen eine Kanne mit frischem Kaffee und ein halbvoller Aschenbecher. Die letzten fünf Minuten hatten wir schweigend geraucht.
„Ach, du!“, platzte es schließlich aus Svenja heraus. Aufgewühlt schaute sie mich an.
„Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Seit einem halben Jahr kann man überhaupt nichts mehr mit dir anfangen.“ Sie sah traurig aus. „Ich kann das nicht mit ansehen, wie du dich so kaputt machst. Du liebst sie wirklich sehr, oder?“
Was sollte ich sagen? Ich schaute auf den Boden und nickte nur.
„Das ist echt scheiße!“, teilte sie der Welt mit. „Ihr zwei seid wie für einander geschaffen. Du bedeutest ihr viel mehr, als du glaubst. Sie hört auf dich, sie redet ständig von dir, sie überlegt sich immer, was du über dies und jenes denkst. Aber irgendwie hat sie nicht gerafft, wie viel du für sie empfindest. Wann wirst du es ihr endlich sagen?“
„Und Julius?“, fragte ich kritisch. „Und was, wenn sie nein sagt? Freundschaft ist immer noch besser als nichts.“
Svenja schaute mich an. Ihre Augen sagten: Komm endlich zur Vernunft!
„Ach ... Keine Ahnung“, rief ich und spürte Wut und Verzweiflung in mir hochsteigen.
„Hey…“, sagte Svenja sanft und nahm mich dann fest in den Arm. Ihr immer noch feuchtes Haar kitzelte meine Nase. Es roch nach Kräutern der Provence. So hielt sie mich, und ihre Brust drückte gegen meine. Ich spürte ihr Herz schlagen.
Zwei Jahre zuvor, als Linda noch nicht in der WG wohnte, hatten Svenja und ich an einem gemütlichen Abend nach einer Flasche Rotwein mal fünf Minuten lang rumgemacht. Es war schön gewesen, aber wir hatten schnell beschlossen, dass wir uns viel zu sehr mochten, um unsere Freundschaft für eine heiße Nacht zu gefährden.
Jetzt hielt sie mich, und ich sagte: „Küss mich.“
Sie lockerte ihre Umarmung und schaute mich an. In ihren Augen war Erstaunen und auch ein bisschen Mitgefühl. Sie schüttelte traurig den Kopf und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Dann küsste sie mich. Ihre Lippen trafen auf meine und teilten sie. Ihre samtweiche, warme Zunge drang in mich ein. Eine Sekunde schien es, als könne sie selbst nicht glauben, was sie da tat, aber dann schloss sie die Augen und gab sich meinem Wunsch hin. Zarte Finger erkundeten spielerisch mein Ohr und meinen Nacken, während sich unsere Zungen langsam in meinem Mund umkreisten. Es war wunderschön.
Nach ein paar Minuten beendete ich unseren Kuss und schaute ihr direkt ins Gesicht. Svenjas Augen waren weit geöffnet, sie war aufgewühlt.
„Das ist falsch, ganz falsch! Wir dürfen das nicht machen!“, sagte sie schließlich.
„Schhh!“, machte ich und legte ihr einen Finger auf die Lippen.
Still schüttelte Svenja den Kopf und legte abwehrend eine Hand auf meinen Arm. Sie schaute mich aus ihren haselnussbrauen Augen flehentlich an. Es war klar, dass sie der Kuss nicht ganz kaltgelassen hatte. Aber gleichzeitig schrie ihr Verstand Alarm! und sie hätte nie im Leben den nächsten Schritt gemacht, wenn ich an dieser Stelle nicht in Gedanken eine gewaltige Leidenschaft angefacht hätte, die tief in ihr schlummerte.
Ihre Wangen begannen sich zu röten und ihre Brustwarzen zeichneten sich plötzlich unter dem Stoff ihres dünnen Kleidchens ab. Atemlos hob und senkte sich ihre Brust. Zwar schüttelte sie noch immer den Kopf, als ich näher rückte und im Zeitlupentempo die Träger ihres Kleids über ihre Schultern schob. Aber ihr Verstand hatte längst gegen die Woge der Lust verloren, die jetzt aus den Tiefen ihres Körpers emporstieg. Svenjas Augen waren geschlossen und ihre Unterlippe zitterte, als das Kleid schließlich von ihren Schultern rutschte und ein paar wunderschöne Brüste mit kleinen, dunklen Brustwarzen freigab. Ich drückte ihren Rücken sanft auf die Couch und begann ihre Brüste erst sanft zu streicheln und dann zu küssen. Sie kraulte meinen Nacken und sagte nichts. Ich beugte mich über sie, um sie zu küssen, und sie empfing meine Zunge begierig in ihrem Mund. Während wir uns so küssten, streichelten ihre Hände die nackte Stelle an meinem Rücken, die mein hochgerutschtes T-Shirt enthüllt hatte. Ihren Unterleib presste sie gegen meinen Bauch.
Mit ihren langen, zarten Fingern fuhr sie unter den elastischen Bund meiner Shorts. Immer weiter wagte sie
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Hopper
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GlobeTraveller
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Sam Bronx
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rockyyy
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Gerne gelesen.«
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Eine wirklich tolle, gut geschriebene Geschichte. Das ist tatsächlich Literatur. Dazu herzlichen Glückwunsch an Dich, werter Autor!«
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TetraPack
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Laurent Chevalier
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Klasse!«
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Kojote
Jetzt echt. Ohne irgendwelche 'abers'. Es war einfach eine wirklich gute Idee, die zu einer großartigen Geschichte verarbeitet wurde. Punkt.
Ich kann dem nur die volle Punktzahl geben.«
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Sehr einfühlsam geschrieben ,das ist "literatur"«
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Wie es auch einigen anderen Kommentatoren erging, habe ich mich in Vielem wiedergefunden bzw. mich erinnert. (Ohne die "besonderen Fähigkeiten" gehabt zu haben, leider?!)
Vielen Dank.«
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wenn fantasy immer so gut wäre.
danke sehr für den gefühlvollen lesegenuss!«
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MFG Black«
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Eine wunderschöne Geschichte;
toll geschrieben.
Danke Dir!«
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