Freiräume
von Faith
»Sieh mal Mami, ich habe ein Bild für dich gemalt.«
»Sehr schön mein Schatz. Bitte schnalle dich an, damit ich losfahren kann.«
»Du hast ja gar nicht geguckt!«, protestierte der kleine Lockenschopf auf der Rückbank und rang im Kindersitz mit dem Sicherheitsgurt.
»Ich schaue es mir später an«, versprach Tine, blickte in den Rückspiegel und versuchte, ein fürsorgliches Mamalächeln aufzusetzen. Die Kindergärtnerin winkte vom Zaun aus, Tine winkte zurück, und ihr Lächeln fühlte sich noch verkrampfter an.
Gedankenversunken fädelte sie sich in eine freie Lücke und schwamm mit dem Feierabendverkehr durch die Schluchten der Großstadt. An einer roten Ampel schossen Tine einzelne Gesprächsfetzen des Telefonats von heute Mittag durch den Kopf: »Du bist also eine kleine versaute Mami!«
Ein Hauch von Verzweiflung huschte über Tines sommersprossiges Gesicht. Sie strich sich mit der Hand verlegen über ihren Hals, als wolle sie die Schuld von sich wischen und schüttelte den Kopf.
‚Nein, das stimmt so nicht‘, dachte sie im Nachhinein.
»Ja, manchmal«, war ihre Antwort am Telefon.
»Mami!«
Hinter ihr hupte es, die Ampel war längst grün. Sie fuhr holprig an und würgte fast den Motor ab.
»Mami!«
»Ja?«
»Wann ist Sonntag?«
»In zwei Tagen mein Schatz.«
»Ohh, noch so lange?«
»Du freust dich auf den Zoo, stimmt’s?«
»Die haben da Elefanten und … und echte Tiger, hat die Klara gesagt und die …«
Die Kleine kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Oh Gott, wie sehr Tine ihren kleinen Engel liebte. Das erste Mal seit Jahren wollte sie etwas anderes als „Mama“ sein, das war ihr Recht und doch kam es ihr vor wie Betrug gegenüber ihrer Tochter.
Jung, sportlich, berufstätig, alleinerziehend, gesundes Essen selbst zubereiten – was sollte sie denn noch alles schaffen?
***
Tine schnitt Gemüse, achtete auf die Pfanne mit dem brutzelnden Hackfleisch und sprach ins Telefon, das sie zwischen Kopf und Schulter geklemmt hielt.
»Super bis nachher!«, verabschiedete sie sich und legte das Telefon weg.
»Oma kommt nach dem Essen«, rief sie durch die offene Küchentür.
»Warum?«, fragte die Kleine monoton, ohne den hypnotischen Blick vom Fernsehgerät zu wenden.
»Weil ich heute Abend ausgehe.«
»Warum?«
»Weil Mamis auch mal etwas alleine unternehmen wollen.«
»Warum?«
Tine beendete das Warum-Spiel durch Schweigen, es kamen auch keine weiteren Fragen mehr – das Kinderprogramm war interessanter.
***
Die Oma, Tines Mutter, beschäftigte sich mit der Kleinen. Tine stand im Bad und nahm letzte Korrekturen an ihrem Make-up vor. Kleine Spangen bändigten die halblangen roten Locken liebevoll. Sie wirkte jugendlich, sexy, frech – wie früher, nur nicht so unbefangen.
»Glaubst du, in dieser Aufmachung einen neuen Vater für die Kleine zu finden?«, fragte Tines Mutter. Sie lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen zum Bad und betrachtete ihre Tochter skeptisch.
Tine drehte sich in ihrem knielangen Sommerkleid aus geblümtem Stoff um und blickte ihre Mutter fragend an.
»Ich meine nicht das Kleid, aber was sind das denn für Schuhe?«, sagte die Oma.
»Peeptoes«, antwortete Tine genervt und betrachtete die vornehmen High Heels. Das elegante Plateau und die schlanken Absätze waren aus dunklem Wurzelholz gefertigt, das Obermaterial bestand aus dunkelrot schimmerndem Satin.
»Man trägt zu offenen Schuhen keine Strumpfhosen, selbst wenn sie fast transparent sind«, stellte ihre Mutter spitz fest.
»Peeptoes gelten nicht als offene Schuhe. Ich werde es ja wohl wissen, ich verkaufe den ganzen Tag Schuhe«, rechtfertigte sich Tine.
‚Außerdem trage ich einen Hüfthalter und Nylons – in Strumpfhosen fickt es sich so schlecht‘, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Mami, du siehst toll aus«, sagte die Kleine und entspannte den Generationenkonflikt mit einem sonnigen Lächeln.
Einige Minuten später war nichts mehr von dem sonnigen Lächeln übrig:
»Mami, bleibt da!«, sagte die Kleine und stand demonstrativ vor der Wohnungstür.
»Die Oma bringt dich heute ins Bett, mach bitte kein Theater«, sprach Tine mitfühlend und drückte ihr Kind zum Abschied.
Es gab Theater: große Tränen rollten über das kleine Gesicht als Tine die Wohnung verließ.
»Noch ein letzter Kuss, Mami«, flehte sie, nachdem sie bereits mehrere „letzte Küsse“ bekommen hatte.
»Geh! Ich bekomme das in den Griff«, sagte die Oma und legte ihre Arme um die Kleine, damit sie Tine nicht bis ins Taxi hinterherrannte.
Die ersten Abschiede im Kindergarten verliefen ähnlich dramatisch, Tine wusste, dass sie jetzt einen Schnitt machen musste – es tat ihr in der Seele weh.
***
Tine erreichte den Treffpunkt ein paar Minuten zu früh. Sie stand an der Frankfurter Mainufer Promenade und schaute sich nervös um. Scheinbar genoss halb Frankfurt die letzten Strahlen der Sommersonne am Mainufer. Angespannt versteckte sie sich hinter den übergroßen Gläsern ihrer Sonnenbrille und zog sich die rote Strickjacke enger über ihre Schultern.
Mit der Verschlagenheit einer Geheimagentin zückte sie ihr Handy und rief ihre Mutter an:
»Wie geht es der Kleinen?«
»Sie hat sich nach ein paar Minuten beruhigt, wir schauen SpongeBob, danach geht’s in Bett.«
»Drück sie von mir«, hauchte Tine und legte auf.
»Ist das die kleine versaute Mami?«, fragte eine Stimme und Tine zuckte vor Schreck.
Langsam drehte sie den Kopf und blickte in dunkle Mandelaugen, asiatisch – perfekt und unerbittlich. Umrandet von langen schwarzen Haaren mit blauen Strähnen, glatt und glänzend, asymmetrisch – korrekt. Und wieder diese Augen. Je länger Tine in sie blickte, desto tiefer blickten sie in Tine. Auf den Bildern aus dem Internet kam diese aufmerksame Präsenz ihrer Augen nicht so gut zur Geltung.
Neben ihr stand eine Frau in einem bodenlangen schwarzen Mantel aus hochglänzendem Material.
Der Mantel stand offen, darunter trug sie eine Siebenachtel lange, eng anliegende Glanzleggings und ein Überbrustmieder aus schwarzem Lack im viktorianischen Stil. Ihre nackten Füße steckten in schwarzen Riemchensandalen mit Plateau und hohen Absätzen.
»Ja«, hauchte Tine, schluckte und schüttelte verlegen mit dem Kopf.
»Nein«, korrigierte sie sich, »heute bin ich Tine – keine Mami.«
»Gut. Also Tine, hast du an alles gedacht?«, fragte die Asiatin mit bohrendem Blick.
»Ja, ich glaube …«
Ein harsches »Nein!«, unterbrach Tines zögerliche Erklärung.
Tine fiel siedend heiß ein, um was es ging, kramte in ihrer Handtasche und legte sich hastig ein schlichtes, enges Lederhalsband an.
»Entschuldigung, ich bin etwas aus der Übung«, erklärte Tine verlegen und schloss die Schnalle in ihrem Nacken.
Die Asiatin blickte Tine herablassend an. Das Halsband kam auf ihrem hellhäutigen Hals gut zu Geltung, bildete aber einen harschen Kontrast zum Rest des sommerlich-romantischen Outfits.
»Die nächste halbe Stunde entscheidet, ob mir dieser Fauxpas scheißegal ist, dann lasse ich dich mit deinem blöden Halsband einfach stehen, oder ich werde die Gelegenheit genießen, dich dafür zu bestrafen. Ist das klar!«
Tine schluckte schwer und nickte kaum sichtbar.
»Ja Herrin Mia.«
»Lass den Scheiß! So weit sind wir noch nicht.«
Das ungleiche Paar schlenderte schweigend am Mainufer entlang. Tine empfand die Stille als quälend, aber es war nicht ihre Aufgabe – nicht ihr Recht – ein Gespräch zu beginnen. Ein erregtes Kribbeln fuhr ihr durch den Magen. Sie musste nichts managen, kein quirliges Kind im Auge behalten, heute wurde sie geführt.
»Bei dem Bisschen, das wir voneinander wissen, ist es bestenfalls naiv, gleich in Vollen zu gehen«, sagte Mia und blieb kurz stehen.
»Wir müssen nicht gleich in die Vollen gehen. Du weißt aus den E-Mails, was ich mag, der Rest ergibt sich, oder?«
»Ich werde deine Wunschliste nicht Punkt für Punkt abarbeiten, ein wenig Spaß will ich dabei auch haben.«
Tine schloss die Augen und genoss den lauen Wind in ihrem Gesicht. Sie versuchte, sich an den Inhalt der E-Mails zu erinnern – sie hoffte und bangte zugleich auf deren Erfüllung.
‚Mach mich schön langsam fertig, aber zerbrich nichts, was dich nichts angeht‘, dachte sie sich.
»Warum eine Frau?«, fragte Mia.
»Ich möchte nie wieder der Willkür eines Mannes ausgeliefert sein«, antwortete Tine mit erhobenem Haupt. Mia zog die Augenbrauen hoch und setzte den Spaziergang fort.
Sie kamen vor einem gut besuchten Lokal zum Stehen. Der Außenbereich mit Biergarten war durch Palisaden und wild rankende Weinreben von den öffentlichen Wegen abgegrenzt.
»Trägst du ein Höschen?«, fragte Mia.
»Ja.«
»Zeigen!«
Tine stellte sich zwischen Büsche am Wegesrand und raffte ihr Kleid zaghaft an.
Im Schutz der Büsche war sie nicht gänzlich verborgen. Gäste, die den Biergarten verließen, oder betraten, würden sie sehen. Dennoch entblößte sie ihren Schoß und präsentierte die halb transparente Unterhose aus weißem Nylon und einen eleganten Strapsgürtel aus weißem Satin, der die hautfarbenen Strümpfe hielt – klassisc
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Leichtgewicht
Leichtgewicht«
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bin wie gefesselt worden von der geschichte.
so tiefe emotionen und ein Ende das auf mehr Lust macht.«
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James Cooper
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So gut zu lesen, so schön und gottseidank ein Happy End!«
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vielen dank für so eine spannungsvolle, komplexe geschichte!
wirklich rar, wirklich edel!«
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xenja-hex
gefällt mir deine geschichte
spannender inhalt, gepaart mit stoff zum nachdenken
gruss
xenja«
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redhairedangel
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Geile Grüße
Lulu«
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Exhasi