Ich wünschte, es wäre eine Liebesgeschichte.
von patriziapanther
Based on a true story.
Wann immer Sie mich beobachten, schauen Sie hinauf. Und wann immer ich Sie beobachte, tue ich das von oben herab. Selbst wenn Sie sich hinter dem Vorhang des Lehrerzimmers im ersten Stock verstecken und auf den Schulhof hinunter schauen und sich unbeobachtet fühlen, sehen Sie nicht wirklich auf mich herab, sondern haben ein schlechtes Gewissen, bei dem, was Sie tun. Wo immer Sie sich befinden, Sie sind irgendwie unter mir. Das ist doch interessant, finden Sie nicht?
Wir passen zusammen. Sie und ich. Ich möchte wissen, wie es ist, über einen Menschen zu herrschen, und Sie möchten beherrscht werden.
Ich könnte mir irgendjemanden suchen, irgendeinen Typen wählen. Es gibt genug, die sich gerne herumkommandieren lassen. Aber ich will nicht irgendeinen Jungen aus der Schule.
Ich will Sie.
Sie zu beherrschen würde mir gefallen. Sie sind Lehrerin, Sie stehen eigentlich über mir. Sie vor meinen Füßen knien zu sehen, würde mich aufgeilen.
Sie glauben, dass Sie mir überlegen sind. Sie sind um die zehn Jahre älter als ich, schätze ich mal. Sie haben studiert und sind gebildet. Ich bin es nicht. In Ihren Augen bin ich ein kleines Mädchen, eine Schülerin wie alle anderen. Aber in den zehn Jahren, die Sie mir voraus haben, haben Sie bestimmt nur Gänseblümchen und Pusteblumen gepflückt und ich die Blumen des Bösen. Meine Welt ist düsterer als Ihre, und Sie haben mir nichts entgegenzusetzen.
Gestehen Sie es sich ein und ergeben Sie sich mir!
Eins
Wie viel darfst du wagen, um glücklich zu sein?
Wie anders darfst du sein?
Wie sehr darf es dich nicht interessieren, was die anderen denken?
Wie viel darfst du riskieren?
Diese Fragen gehen mir durch den Kopf. Es sind Fragen, die bis in das Innerste meiner Seele dringen und alles in Frage stellen, was ich zu sein vorgebe.
Jede dieser Fragen stellt eine eindringliche Warnung für mich dar. Ich kenne jede Antwort auf diese Warnung. Jede Antwort warnt mich mit erhobenem Zeigefinger und schüttelt ungläubig den Kopf ob meines Leichtsinns.
Und dennoch schieße ich all diese Warnungen in den Wind.
Ich will sie nicht hören und nicht meinem Verstand gehorchen. Ich will nicht klug und rational sein. Ich will all das nicht, was mir bislang so wichtig war.
Was ich will, ist mich zu ergeben.
Mich ihr zu ergeben.
Ich riskiere mein bisheriges Leben.
Ich habe meinen Verstand verloren.
Ich lasse den Dingen ihren Lauf und kümmere mich nicht um die Konsequenzen.
Wenn ich den Warnungen in Gedanken folge, dann sehe ich auch ein Morgen. Es ist kein schöner Morgen.
Ich sehe mich nicht in einer anderen Stadt als einfache Schreibkraft in einer kleinen dunklen Mietskaschemme. Nicht in meiner teuren Altbauwohnung, ohne mein üppiges Gehalt, ohne meine sichere Pension, ohne meinen Beamtenstatus.
All das setze ich aufs Spiel. So spricht die Warnung tagein tagaus, wenn ich sie gewähren lasse. Aber mein Verstand hat keinen Schimmer davon, was ich gewinne durch meinen Leichtsinn. Ich gewinne ein Leben. Ich gewinne einen Sinn. Ich gewinne so viel. Was sind da die Risiken? Ich muss nicht in einer Altbauwohnung residieren. Ich bin gebildet und intelligent. Ich brauche nicht die Alimentation und das weiche Bett des Beamtenstatus. Ich könnte auch klar kommen einfach nur, indem ich mich auf mich selbst verlasse.
Und so setze ich mein bisheriges Leben weiterhin aufs Spiel.
Es ist ganz klar Wahnsinn.
Wenn man mich zur Rechenschaft ziehen wird, wenn ich in irgendeinem Büro sitze in irgendeiner Behörde vor irgendeinem strengen Beamten, dann werde ich nur meine Schultern sinken lassen und vor Scham auf den Boden starren.
Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich tue. Keine Rechtfertigung. Ich weiß, dass ich mich nicht angemessen verhalte. Ich werde auf die Frage nach meiner Rechtfertigung nur mit brüchiger Stimme kaum hörbar flüstern:
„Ich habe Glück gesucht. Ich habe die Liebe gesucht.“
Der Beamte wird den Kopf schütteln und mich anschnauzen, was ich mir dabei nur gedacht hätte.
Und ich werde schweigen, weil ich weiß, dass er mich nicht verstehen wird. Dass niemand mich verstehen kann.
Mein Schicksal sehe ich vor mir, es läuft vor meinen Augen ab, ich sehe, wohin alles führen wird, und doch kann ich nichts dagegen unternehmen. Ich bin wie eine Drogensüchtige, die einfach nicht lassen kann. Wie vom Teufel besessen oder in den Klauen einer Sekte. Ich kann nicht von ihr lassen.
Ich bin ihr verfallen.
Und alles nur aus Begierde, Perversion, Geilheit.
Wie ein Tier benehme ich mich. Wir beide sind Gottesanbeter. Sie ist das Weibchen. Ich bin das Männchen. Auf dem Höhepunkt wird sie mir den Kopf abreißen.
Einfach nur, weil sie es kann.
Und ich werde es geschehen lassen.
Weil ich es will?
Es ist nichts Böses, Verwerfliches, das mich treibt.
Es ist menschlich.
Es ist so was wie Liebe.
Es ist Liebe.
Wenn auch niemand diese Art der Liebe verstehen wird.
Denn es ist einseitig. Ich bedeute ihr so viel, wie sie sagt. Nichts. Ich bin in ihren Augen nichts. Ich schenke mich ihr jeden Tag, aber sie nimmt es nicht als ein Geschenk. Sie respektiert mich nicht, denn ich benehme mich nicht wie jemand, den man respektieren kann.
Ich bin nicht mehr für sie als die Flusen in ihrem Bauchnabel, wie sie sagt. Sie lachte dabei, aber ich weiß ehrlich nicht, ob es nur ein Scherz war. Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob es stimmt, wenn sie mir sagt, dass sie mich liebt. Ich weiß es nicht.
Ich bin n ihren Augen etwas Unnützes, das sie ein wenig amüsiert, mit dem sie ein wenig spielen kann. Wie mit den Flusen in ihrem Bauchnabel hat sie ein wenig Freude daran, mit mir zu spielen.
Ich lebe ständig in Angst vor ihrer Willkür und ihren Launen. Ständig muss ich damit rechnen, dass sie mich fallen lässt und im Rinnstein zertritt. Aus Langeweile, aus Laune, aus Sadismus eben. Aus eben jenem Sadismus, den ich so an ihr bewundere.
Niemand kann verstehen, warum mich diese Angst so mit Leben erfüllt und warum ich immer noch so danach giere, ihr zu gefallen und sie glücklich zu machen.
Es ist auch jetzt immer noch eine positive Geschichte.
Ich würde sogar sagen eine romantische.
Sie ist gefährlich, aber sie ist schön. Lassen Sie sich von meinen Sorgen nicht irreleiten. Ich liebe sie wirklich. Und es gibt da ja noch die Hoffnung, dass nichts davon eintreten wird. Dass sie mich nicht verrät, mich nicht verkauft, dass alles unentdeckt bleibt.
Aber von Anfang an.
Zwei
Wenn ich wirklich ganz am Anfang beginnen müsste, wäre das der Moment gewesen, als ich in dem Cafe saß und mit meinem Zeigefinger die Zuckerkrümel von der Tischplatte aufpickte. Es war Hans Angewohnheit, den Zucker zu verschütten, wenn er mit einem Streuer seinen Kaffee süßte. Meine Angewohnheit war es, ihn dafür zu Recht zu weisen und die Krümel aufzupicken und von meinem Finger zu lecken.
In diesem Moment wies ich Hans nicht zurecht. Er war längst gegangen, aber den Zucker pickte ich auf, gedankenverloren wie unter Schock. Doch ich leckte meine Finger nicht ab. Irgendwo zwischen Picken und Lecken hatte ich verstanden, was er mir zu verstehen gegeben hatte. Und irgendwo dazwischen war ich paralysiert worden.
Mein zuckriger Finger war eine Geste der Vergangenheit, aber so weit war ich noch nicht, das zu verstehen. Ich wollte, dass alles wäre wie vor diesem Treffen, als wir ein Paar gewesen waren. Nur wenige Minuten zuvor waren wir noch eines gewesen. Eines, das vielleicht nicht mehr füreinander brannte wie am ersten Tag, aber immer noch eine gute Beziehung führte voller gegenseitigem Respekt und auch Vertrauen.
Aber so war es offensichtlich nicht mehr.
Er hätte sich weiterentwickelt. Er hätte sich verändert. Es läge nicht an mir, da solle ich mir ganz sicher sein.
Das hatte er gesagt, als die Kellnerin den Kaffee brachte und er wie immer zu hastig den Zuckerstreuer in die Tasse kippte, dass die Kristalle über den Tisch flogen.
Diese vertraute Geste passte nicht zu seinen Worten. Seine Handbewegung war mir so vertraut und selbstverständlich, doch seine Worte waren die eines anderen, die zu einer anderen Konversation gehören mussten.
Später ärgerte es mich schrecklich, wie beiläufig er offensichtlich gewesen war, dass er nicht einmal seine routinierten Bewegungen hatte unterlassen können, als er mir sagte, dass es vorbei sei. Aber in diesem Moment war ich einfach nur vor den Kopf gestoßen und taub.
Wenn ich wirklich am Anfang beginnen wollte, müsste ich dort beginnen. An diesem Nachmittag, als unbemerkt von allen anderen meine Welt zusammenbrach, so wie vielleicht in diesem selben Moment ganze Universen im Weltall untergingen, ohne dass irgendwer auf der Erde das mitbekam.
Aber ich möchte nicht dort beginnen, weil es schon zu lang her und mittlerweile verblasst ist. Es ist auch nicht sonderlich interessant, denn diese Geschichten passieren jeden Tag tausendfach.
Wichtig wäre allenfalls zu beschreiben, wie sehr mich das getroffen hat. Aber wenn Sie einmal verlassen worden sind, und Ihre Welt danach in Trümmern lag, werden Sie mich verstehen können und wissen, dass es nicht in Worte zu fassen ist. Und haben Sie es selbst noch nicht erlebt, so gibt es genug kitschige Lieder, prätentiöse Filme und schmalzige Bücher, die es Ihnen erfolglos zu erklären versuchen.
Ich muss das nicht tun.
Dennoch hat meine Geschichte nichts mit gebrochenen Herzen und Liebeskummer zu tun, sondern mit Obsession.
Es ist eine Liebesgeschichte.
Drei
Das erste Mal hatte ich sie im Gang wahrgenommen. Gesehen hatte ich sie schon öfter, obwohl ich sie gar nicht unterrichtete.
Ich war zu spät dran, voll bepackt mit meiner Tasche, dem Medienkoffer und der Jutetasche mit den schlecht ausgefallenen Klassenarbeiten. Es hatte längst geklingelt, und ich hörte, wie die 8c am Ende des Ganges den Klassenraum auseinander nahm. Ich versuchte die verschiedenen Gewichte zu balancieren und schwankte wie eine Betrunkene durch den muffigen Gang. Ich war bereits jetzt genervt, und der Lärm aus der Klasse trug nur dazu bei, dass sich das noch steigern sollte. Mich erwartete kein entspannter Unterricht, sondern Aggression und Geschrei, und ich würde dieses autoritäre Schelten an den Tag legen müssen, das ich so sehr verabscheute, zu dem ich mich so überwinden musste, aber das scheinbar die einzige Sprache war, die diese Klasse verstand.
Mir standen 90 Minuten Tortur bevor.
Ich seufzte und dachte daran, dass ich mich in Gedanken schon anhörte wie einer der verbitterten Kollegen, zu denen ich nie gehören wollte.
Da stand sie mitten im Gang. Besonders lässig. Schwarz gefärbte lange Haare, enge schwarze Jeans, ein ausgewaschenes Shirt mit rotem Stern, Springerstiefel.
Sie quatschte mit ihren Freundinnen, die ähnlich gekleidet waren wie sie, aber nicht die Aufmerksamkeit so sehr auf sich zogen.
Sie hatte etwas. Diese besondere Ausstrahlung, die manche Menschen aus unergründlichen Gründen einfach haben.
Ich beachtete sie zuerst nicht und sie mich nicht, obwohl sie mich kommen gesehen haben musste. Ich bewegte mich in etwa so grazil und dezent wie ein Zirkuselefant, kämpfte mit dem Riemen der Tasche, der mir von den Schultern zu rutschen drohte. Ich verdrehte meine Schulter, um ihn oben zu halten, war mit meinen Gewichten beschäftigt und schaute erst ein paar Meter vor mir wieder auf.
Sie stand da. Übermäßig lässig. Den Daumen in die Jeans eingehakt. Sie war in der Oberstufe, hatte vermutlich eine Freistunde und lungerte nun mit ihren Freundinnen im Gang herum.
Ich kam näher, balancierte und schwankte und stolperte heran.
Und sie versperrte mir den Gang in stoischer Gelassenheit, ohne mich zu beachten. So lange, bis ich gezwungen war, mich an ihr vorbei zu zwängen, wobei der Riemen der Tasche mir von der Schulter rutschte und mein gesamtes mühsam zusammengestelltes Gewichts-Ensemble in sich zusammenbrach und mir entglitt.
Die Jute-Tasche rutschte mir von der Schulter. Ich war gezwungen die Taschen abzustellen, halb fielen sie, halb glitten sie mir aus den Händen.
Ich seufzte einmal tief, wischte mir den Schweiß von der Stirn und packte mir alles wieder auf den Buckel. Ich war einfach nur genervt von dem Tag und der Situation und der 8c und allem.
In meinem Nacken spürte ich ihre Blicke. Ihre und die ihrer Freundinnen. Und ich hätte schwören können, dass sie grinsten. Böswillig und spöttisch. Aber ich setzte meinen Weg fort ohne ein Wort, nur mit einem genervten Seufzer und einer zerknitterten Miene.
Kein Wort der Entschuldigung und kein Wort des Bedauerns. Sie bot mir nicht ihre Hilfe an. Sie stand einfach da. Ich war Luft für sie.
Sie redete weiter, als sei nichts passiert. Ich wusste nicht, worum es ging, um irgendetwas Belangloses vermutlich. Ich glaubte nur, dass ihre Stimme sich um eine Nuance gewandelt hatte. Zu der gleichen Boshaftigkeit und dem gleichen Spott wie ich es in ihrer Stimme vermutete.
Ich hätte mir das nicht gefallen lassen sollen, hätte sie zur Rede stellen müssen, sie über Respekt und Höflichkeit belehren sollen. Aber mein Kopf war so mit anderen Sachen beschäftigt, dass ich einfach nicht daran dachte.
Stattdessen hetzte ich in die Klasse und konnte gerade noch dem nassen Schwamm ausweichen, der in meine Richtung flog. Er war nicht auf mich geworfen worden, sondern auf Martin, der ihn auch voll ins Gesicht bekam, so wie Peter dafür einen Eintrag ins Klassenbuch und einen Anruf bei seinen Eltern bekommen sollte.
Die Stunde und der restliche Tag vergingen genauso mies, wie ich mir das vorgestellt hatte, und ich vergaß den Vorfall im Gang mit dem Mädchen.
Erst als ich abends im Bett lag, musste ich wieder daran denken. Wie konnte jemand so ignorant sein und sich so impertinent einer Lehrerin gegenüber verhalten?
Was sollte das?
Ich war früher jedenfalls nicht so keck gewesen. So frech, respektlos, vielleicht sogar so mutig.
Wir hatten früher nicht so viel Chuzpe gehabt. Solche Unverschämtheiten hatten wir uns nicht erlaubt.
Aber ich rutschte wieder in diese verhärmte Litanei der verbitterten Kollegen. Also schüttelte ich den Gedanken beiseite.
Eigentlich ärgerte ich mich nicht so sehr über sie, sondern vielmehr über mich selbst. Ich hätte einfach anders reagieren müssen. Ich hätte den mir schuldigen Respekt einfordern sollen. Ich hätte es nicht auf sich beruhen lassen sollen, sondern mich durchsetzen müssen. All das hätte ich tun sollen. Aber ich war einfach nicht spontan genug gewesen, um in der Situation angemessen zu reagieren.
Das Ärgerliche lag nicht in ihrem Verhalten, sondern in meiner Reaktion. Jedenfalls nahm ich mir vor, beim nächsten Mal souveräner aufzutreten.
Als ich bemerkte, dass meine Gedanken an der perfekten Replik feilten, die ich ihr nicht gegeben hatte, versuchte ich unwillig an anderes zu denken.
Esprit d’Escalier.
Treppenwitz.
So nennt man die Schlagfertigkeit, die man erst dann besitzt, wenn man schon wieder auf der Treppe auf dem Weg nach draußen ist. Die Schlagfertigkeit, die nicht da war, als man sie brauchte, und die erst viel später einsetzt.
Ich hätte ihr sagen sollen… oder besser noch…
Es hatte etwas Armseliges, so an welken Worten der Vergangenheit zu feilschen. Und zu versuchen, eine innere Genugtuung zu erlangen im Angesicht der offensichtlichen Niederlage. Diese Gedanken wollte ich nicht weiter verfolgen. Ich hatte es in der Situation nicht geschafft, schlagfertig zu sein, nun machte es keinen Sinn mehr, es verspätet zu versuchen. Allein abends in meinem Bett.
Ich versuchte an etwas anderes zu denken.
Es gelang nicht. Seltsamerweise hatte ich immer dieses abwertende Lächeln, das ich nicht gesehen, nur erahnt hatte, vor meinem geistigen Auge. Und ihre Haltung, die so selbstgewiss war.
Wie aus einem James Dean Film geklaut.
Es waren keine Hintergedanken damit verbunden, aber etwas an ihrem Verhalten beschäftigte mich.
Vier
Die neue Stadt tat mir gut. Durch den Umzug in eine fremde Umgebung war ich wie Phoenix aus der Asche aufgestiegen. Hier gab es keine schlechten Erinnerungen. Alles war neu. Ein neuer Rhythmus, neuer Lärm in den Straßen, neue Erfahrungen. Ich war zufrieden, und der ganze Trubel um den Umzug und die neue Schule beschäftigten mich, stressten mich auch, hielten mich auf jeden Fall vom Grübeln ab.
Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Stadt zu wechseln und Hans hinter mir zu lassen.
Der einzige Makel bestand darin, dass ich hier niemanden kannte. In der Schule waren praktisch keine Kolleginnen oder Kollegen in meinem Alter.
Ich lief nicht mehr ziellos durch die Straßen in der irrsinnigen Hoffnung, Hans zu sehen. Ich hoffte nicht jeden Tag, dass er es sich anders überlegen und mich anrufen würde. Ich verleugnete mich nicht mehr, wenn jemand an der Tür klingelte, weil ich mit keinem Menschen sprechen wollte. Ich versank nicht mehr in Selbstmitleid.
Ich lebte einfach.
In der neuen Stadt schien die Sonne wieder, in der neuen Stadt fand der Sommer mich wieder.
Ich musste mich nicht mit der Frage herumplagen, ob wir noch Freunde sein könnten. Mein Herz musste nicht mehr schneller schlagen, wenn ich an seiner Wohnung vorbei kam und noch Licht im Wohnzimmer sah. Ich musste nicht mehr ständig an ihn denken, und ich musste nicht mehr all die Orte meiden, an denen wir eine gemeinsame Geschichte hatten.
Ich war wieder eine Frau und nicht mehr nur ein biologisch funktionierender Organismus. Ich war wieder existent.
Man sagt, dass Frauen besser damit zurechtkommen, verlassen zu werden als Männer. Für mich gilt das ganz sicher nicht. Das hatte ich gelernt.
Es war in der neun Stadt absolut in Ordnung. Ich hatte mit der Telefongesellschaft zu kämpfen, die mir keinen Anschluss frei schalten konnte, als sie es dann tat, da musste ich mit ihnen kämpfen, weil das Internet nicht funktionierte, als es dann lief, konnte ich wieder niemanden mehr anrufen. Es waren diese kleinen Dinge, über die ich mich ärgerte, und das in einem Maße, dass die existenzbedrohende Krise in den Hintergrund rückte. Die Welt drehte sich nicht nur um Hans. Das lernte ich, und ich war froh über diese Erkenntnis.
Der Kampf mit einer gesichtslosen Telefongesellschaft und bornierten Sachbearbeitern hielt mich von den Kämpfen mit den Monstern ab, die mich in den vorangegangenen Monaten in ihren Klauen gehalten und gewürgt hatten. Wenn man nur genug zermürbende Kleinkriege führen muss, dann wird man wohl auch von der größten existenzbedrohenden Katastrophe abgelenkt.
Und dennoch.
Mir fehlte ein Mensch.
Ich war allein in der Stadt. Es gab niemanden, mit dem ich reden konnte. Zwar hatte ich all die alten Freunde, die ich in der Zeit der Krise verleugnet hatte, wieder angerufen, aber sie erschienen mir nicht nur räumlich weit entfernt. Sie sprachen von Dingen und Menschen, die mir fremd wurden, die verblassten, und an denen ich tagtäglich weniger Anteil nahm. Das war der Preis für die Flucht. Der Tratsch, der Klatsch und die Gerüchte, an denen ich zuvor solch einen Gefallen gefunden hatte, verblassten nun und erschienen mir zunehmend trivial und uninteressant. Ich war nicht mehr Teil dieser Welt, aber eine neue hatte ich für mich noch nicht entdeckt.
In der Schule fand ich keine Kollegin und keinen Kollegen, mit dem ich mich wirklich unterhalten konnte über private Dinge. Sie waren alle recht nett und hilfsbereit, ich hatte keinen Grund mich zu beklagen, aber sie waren praktisch alle zu alt, als dass ich irgendein wirkliches, privates Gespräch mit ihnen hätte führen können. Es lagen Welten und Jahrzehnte zwischen uns, das wurde mir schnell klar.
Ich glaube, es waren diese Umstände, die dazu beitrugen, dass ich auf das Mädchen aufmerksam wurde.
Unsere zweite Begegnung fand einige Tage später statt. Im Nachhinein frage ich mich, ob dieses zweite Treffen sich noch zufällig begab, oder ob sie mich damals bereits im Auge hatte.
Es war nach der achten Stunde. Praktisch niemand war mehr an der Schule. Unterricht fand keiner mehr statt, alle Lehrer waren bereits gegangen. Die Putzfrauen gingen durch die Räume, und der Hausmeister säuberte den Schulhof. Ich sortierte noch Schülerakten und kümmerte mich um Papierkram, den ich lange vor mir hergeschoben hatte, weil ich nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen wusste.
Als ich die Schule schließlich verließ, sah ich sie, wie sie am Eingang stand. Sie war allein, rauchte eine Zigarette und stand so lässig an eine Wand gelehnt, wie man es nur tat, wenn man jemandem zeigen wollte, wie cool man war, oder wenn man eben wirklich cool war und es einen nicht kümmerte, welche Wirkung man auf andere hatte.
Weit und breit war niemand zu sehen, den sie hätte beeindrucken können mit ihrem Gebaren.
Außer mir eben.
Mir kam ihr Verhalten dennoch seltsam gestellt vor, und der Triumph, sie durchschaut zu haben, gab mir die Sicherheit, die mir auf dem Gang ein paar Tage zuvor gefehlt hatte. Ich sah sie kurz an und ignorierte sie dann, wie man jemanden ignoriert, den man offiziell nicht kennt. Hätte ich sie gegrüßt oder zur Kenntnis genommen, ich hätte ihr signalisiert, dass mir unsere letzte Begegnung im Gedächtnis geblieben war.
Sie schnippte ihre Zigarette gegen die gegenüberliegende Wand, dass die Funken stoben. Ich reagierte nicht auf die Provokation. Natürlich hätte ich etwas sagen können wegen des Rauchens auf dem Schulgelände, aber es war Nachmittag und ich gehörte ohnehin nicht zu den pedantischen Lehrern, die ständig auf die Einhaltung irgendwelche Regeln pochten, die von Schülern ganz selbstverständlich missachtet wurden.
Dazu gehörte meiner Meinung nach auch das Rauchverbot auf dem Schulgelände lange nach Schulschluss.
Ich lächelte innerlich, fühlte meine Theorie bestätigt ob dieser betont legeren Geste, die sie aus irgendeinem Halbstarken-Film haben musste, so klischeehaft schoss man seine Zigarette nur in Filmen durch die Luft.
Ich ignorierte sie also, drehte demonstrativ meinen Kopf zum Parkplatz, wie um meinen Wagen zu suchen und fühlte mich überzeugend.
Doch als ich an ihr vorbei gegangen war, spürte ich wieder ihre Blicke in meinem Nacken, und ich bekam ein ungutes Gefühl, wie man es hat, wenn man jemandem, dem man nicht traut, den Rücken zuwendet. Ich glaubte zu hören, wie sie die Nase hochzog und mit ihrem Fuß über den Boden scharte. Irgendetwas beunruhigte mich bei dem Gedanken, ihr den Rücken zuzuwenden.
Sie stand dort wie eine Stalkerin, die ihr Opfer wissen lassen wollte, dass sie es stalkte. Oder wie ein paar Mafiagangster, die auffällig unauffällig vor dem Haus eines Geschäftsmannes, warteten, um ihm klar zu machen, dass sie wussten, wo er wohnte und sein Schutzgeld erwarteten.
Aber war das wirklich so oder bildete ich mir das alles nur ein? Warum sollte sie auf mich warten? Ich schüttelte den Gedanken ab.
Ich neige eigentlich nicht zu Verfolgungswahn, was sollte das also?
Es gab eine ganz einfache Erklärung. Das Mädchen wartete einfach auf irgendeine Verabredung.
Es gab keinen Grund, diese Begegnung auf mich zu beziehen. Dennoch empfand ich es als seltsam.
Ich ging zu meinem Wagen, der einsam auf dem Lehrerparkplatz stand, verstaute meine Taschen im Kofferraum und schaute möglichst beiläufig noch ein weiteres Mal in ihre Richtung. Sie stand immer noch dort, unverändert und in der gleichen manierierten Haltung.
Ich stieg in meinen Wagen und fuhr davon.
Doch meine Gedanken blieben bei ihr.
Fünf
Von diesem Tag an hielt ich nach ihr konkret Ausschau. Sie war so etwas wie eine Bekannte geworden. Es war seltsam, aber ich empfand es so. Wenn ich sie sah, dann war ich zufrieden, irgendwie glücklich, wenn man das so sagen darf.
Das mag sich seltsam anhören, aber ich hatte ihre Existenz wahrgenommen, und damit war sie nicht nur irgendwer, sondern ein bekanntes Gesicht. Sie war die erste Person in der neuen Stadt, die ich kennen gelernt hatte jenseits des Kollegiums. Auch wenn ich nichts von ihr wusste.
Zunächst hatte ich das Gefühl, als seien meine Beobachtungen einseitig. Ich fühlte mich unbeobachtet, wenn mein Blick ihr morgens folgte, wenn sie in die Schule ging, wenn ich nach Schulschluss mit dem Auto an ihr vorbei fuhr, wenn ich sie bei Stundenwechseln auf dem Weg von einem Klassenraum in den nächsten sah. Ich beobachtete sie, ohne mir Gedanken darüber zu machen, welche Informationen ich erhielt. Ich bemerkte die Bands auf ihren T-Shirts, ich las die mit Edding gekritzelten Nachrichten auf ihrem schweren Bundeswehrrucksack und versuchte mir ein Bild zu machen.
Es waren einfach Facetten, die ich wahrnahm. Unverbundene Beobachtungen. Ich sah nur und fand.
Sie strahlte eine Souveränität aus, die ungewöhnlich war. In ihrer Clique war sie die unangefochtene Anführerin. Sie war kühl und zurückhaltend, und doch bestimmte sie. Andere mochten lauter sein, aber sie schien den Ton anzugeben. Alpha-Mädchen nannte man das wohl neuerdings.
Zuerst glaubte ich, dass ihre Distanziertheit gespielt war, dass sie damit irgendeine jugendliche Unsicherheit zu kaschieren suchte. Ihre ganze Erscheinung, dieser Gothic-Look, diese schwarz gefärbten Haare, die schwarzen Klamotten. Es schien alles zu klischeehaft.
Es waren diese Dinge, die mir an ihr auffielen.
Dann bemerkte ich aber an der Art, wie sie mich ansah, dass sie mich ebenso beobachtete wie ich sie. Ich wusste nicht, was sie dazu gebracht hatte, wie sie auf mich aufmerksam geworden war, aber es war nicht zu leugnen. Wenn wir uns im Gang sahen und unsere Blicke sich trafen, dann waren das keine zufälligen Blickwechsel. Ich spürte, dass ihre Augen und meine sich etwas sagten. Ich bemühte mich um einen unbeteiligten Ausdruck, versuchte, durch sie hindurch zu schauen, mir nichts anmerken zu lassen.
Als ich mir dessen bewusst wurde, wurden mir unsere Begegnungen unangenehm. Es war jetzt so, als sähe man jemanden, den man nicht mehr kennen wollte, oder bei dem man sich nicht mehr sicher war, ob man ihn kennen sollte. Diese Art von unangenehmer Begegnung eben. Ich versuchte mir auch dies nicht anmerken zu lassen.
Ging es ihr ähnlich? In ihrem Verhalten war dafür kein Anzeichen zu finden.
Es war an diesem Dienstag. Ich hatte Pausenaufsicht, eine ungeliebte Aufgabe. Ich sah, wie eine Kollegin ein paar Schülerinnen in die Raucherzone scheuchen musste. Sie war auch darunter. Ich ging zu meiner Kollegin, weil ich einerseits nichts Besseres zu tun hatte und andererseits auf der Suche nach einem Gespräch war.
„Wer ist denn die Schwarzhaarige da?“
„Das ist Liz. Eigentlich Lisa. Wagner. Aus der 13. Warum fragst du?“
„Ich hatte letztens Ärger mit ihr im Gang.“
„Das kann ich mir vorstellen. Die ist eigentlich ganz fit. Pfiffig. Hat kluge Gedanken. Aber in der letzten Zeit lässt sie es in der Schule schleifen und muckt gegen alles und alle auf.“ Seufzen. „Was will man machen? So sind sie halt in diesem Alter.“
Ich nickte und überhörte das generalisierende Statement.
Ich bemerkte, dass sie mich ansah. Liz.
Aus circa 30 Metern Entfernung, quer über den Schulhof. Schon wieder mit diesem spöttischen Lächeln.
Als hätte sie mit einem sechsten Sinn erraten, dass wir über sie sprachen.
Und mein Herz schlug schneller.
Wie aus schlechtem Gewissen, wie aus dem Gefühl, ertappt zu sein.
Aber was hatte ich getan?
Ich hatte mich über eine Schülerin informiert. Dergleichen war ganz normal.
Liz hob den Zeigefinger und machte eine Geste, als würde sie auf mich schießen und formte mit ihren Lippen das Wort „Peng“. Dann zwinkerte sie mit den Augen, lachte und drehte sich weg.
Was sollte diese Geste? Wieder irgendwas aus einem Film? Wieder so eine Mafiosi-Gestik: „Ich kriege dich!“?
Während ich so daran dachte, wurde es in einer anderen Ecke laut, und ich musste ein paar renitente Neuntklässler zur Ordnung rufen. Als ich mich wieder umdrehte, war Liz verschwunden. Mein Blick suchte den Schulhof nach ihr ab. Aber ich konnte sie nirgends entdecken.
Als es dann geklingelt hatte, und die Schüler zurück ins Gebäude strömten, stand sie plötzlich neben mir und lächelte mich an.
Es hatte etwas Mysteriöses. Die Szene dauerte nur wenige Sekunden. Sie sagte nichts, und ich sah ihr nach, wie sie im Strom der Schüler verschwand.
Abends im Bett beschäftigte mich diese kleine Begebenheit und nicht die ernüchternde Konferenz des Nachmittags, in der ich mich mit ein paar stinkkonservativen Silberrücken im Kollegium angelegt hatte, die meinten, Innovation wäre ein Begriff des Teufels.
Dieses seltsame Lächeln auf dem Schulhof.
Dieses Katz und Maus Spiel.
Aber welche Rolle spielte ich darin?
Ich hätte die Katze sein müssen.
Warum kam ich mir so mausig vor?
Sechs
Der Himmel schien grau und matt. Der Wind war still, nur eine leichte Brise wehte, aber die Windrichtung schien sich ständig zu ändern. Die Brise trug einen schalen, schwefeligen Geruch herbei. Er war fein, störte nicht, aber man konnte erahnen, dass er, wäre er nur ein wenig stärker gewesen, gestunken hätte. Ich stand inmitten einer ausladenden Ebene. Weit und breit war nichts. Eine glatte Fläche, die pastell-ocker erstrahlte unter einem trüben Himmel. Ohne Sonne, ohne Wolken, fahl.
Weit, weit in der Ferne erst konnte man Gebirge ausmachen, die den gesamten Horizont umschlossen. Sie mochten Hunderte Kilometer entfernt sein. Es war schwierig, Distanzen auszumachen in dieser Leere.
Leise, aber durchaus vernehmbar, erschallte der Schrei eines Greifvogels. Es musste ein riesiger sein. Ich sah in den trüben Himmel. Aber nirgends war etwas zu sehen. Der Himmel war leer. Eine einzige grau-blaue Fläche, die sich in der Unendlichkeit verlor. Wo war der Greif? Seine Schreie waren so laut, dass ich ihn sehen musste.
Mit kalten gelben Augen, Krallen, die mich ohne Probleme hätten packen können, einem riesigen, gebogenen Schnabel. Schwarz und mörderisch. So stellte ich ihn mir vor.
Ich lief ein paar Schritte in eine Richtung, erkannte dann aber, wie sinnlos das war. Als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, wie die Brise meine schwachen Fußabdrücke auf dem harten vertrockneten Boden verwischte. Wie von einem unsichtbaren Besen weggefegt.
Der Schrei des Greifs wurde lauter, und ich erkannte Hohn in dem Krächzen. Ich lief noch ein paar Schritte, dann fiel ich auf die Knie. Kauerte mich nieder. Verbarg meinen Kopf in den Händen und weinte zitternd.
Nach einiger Zeit merkte ich, dass die Schreie verschwunden waren.
Ich sah auf.
Da stand sie.
Still, irgendwie feierlich. Asketisch. In ihren schwarzen Jeans und dem ausgewaschenen Shirt. Ihre schwarzen Haare wehten ein wenig in der Brise, gütig lächelte sie und bedeutete mir mit dem Hauch einer Handbewegung, aufzustehen und zu ihr zu kommen.
Sie war wunderschön.
Engelsgleich.
Ich stand unsicher auf und stolperte auf sie zu.
Doch als ich kurz vor ihr stand, da änderte sich ihr Ausdruck. Ihre Miene verfinsterte sich, in ihr war Erstaunen. Ich spürte ihre Augen auf mir und sah an mir hinunter.
Ich war vollkommen nackt.
Erschrocken und voller Scham warf ich mir vor ihr auf die Knie und verbarg meinen Körper vor ihren Blicken. Doch sie stand nur dort mit ausdruckslosem Gesicht und sah auf mich herab. Ich flehte sie an, mir zu helfen. Und ihre Stimme erklang plötzlich in meinem Kopf, aber ihre Lippen bewegten sich nicht:
„Wenn du mich ansiehst und keuch sein kannst, nehme ich dich auf!“
Ich nickte schluchzend und hob meinen Kopf. Doch als ich ihr in die Augen sah, da schoss ein solcher Strahl der Wärme in mich, dass mein Schoß entflammte. Ich versuchte das Gefühl zu unterdrücken, aber es gelang nicht. Dieser Strahl schlug geradewegs in mich, wie ein Stromschlag, wärmte mich, bewegte etwas in mir und veränderte sie in meiner Wahrnehmung. Ihre Haut leuchtete, hell und weiß, ihre Augen strahlten in kräftigem Grün. Die Luft um sie schien illuminiert. Das Schwarz ihrer Haare wurde dadurch in ein Unwirkliches Blau getaucht. Sie war wunderschön.
Und ich begehrte sie.
Mein Begehren, meine Lust, mein Verlangen!
Ich wollte es unterdrücken, um von ihr erlöst zu werden. Aber im gleichen Moment kam ich mir als Verräterin vor, dass ich meine Gefühle für sie verleugnete.
Und sie sah alles, was in mir vorging.
Schaute auf meinen Schoß und sah, wie wenig ich in der Lage war, ihre Bedingungen zu erfüllen.
Ich konnte nicht ruhig bleiben, ich konnte diese Wärme und die Wellen, die durch meinen Unterleib wogten, nicht unterdrücken.
Es war mir unmöglich, es gelang mir einfach nicht, und so gab ich mich dem Verlangen hin, hörte auf meinen Schoß, wandte mich meinen Gefühlen zu und ergab mich ihnen. Es war ein kurzer Kampf gewesen. Ich hatte ihn verloren.
Ich gab es offen und ehrlich zu.
Und dann begann sie, sich von mir zu entfernen. Ohne sich zu bewegen. Sie schien einfach in der Ferne zu verschwinden.
Schwebte davon.
Und ich blieb zurück in dieser unwirklichen Wüste.
Dann wachte ich auf.
Die Hände zwischen meinen Schenkeln. Ich rieb die Bettdecke an meinem Geschlecht. Die Schwere des Traumes lastete noch auf mir wie ein Schuldgefühl. Und mit diesem im Kopf berührte ich mich weiter. Mit beiden Händen zwischen meinen Schenkeln. Im Bett zusammengekrümmt flogen die Finger an meinem empfindlichen Fleisch vorbei, massierten mich.
Schnell und unerbittlich.
Es dauerte nicht lange, bis es sich über mir ergoss.
Mit meinen Gedanken bei diesem engelsgleichen Geschöpf und den Schuldgefühlen.
Letztere blieben noch lange, nachdem ich mich längst wieder beruhigt hatte.
Und sie ärgerten mich, denn ich wollte mich von diesen Schuldgefühlen nicht kujonieren lassen. Wer war diese Instanz, die sich anmaßte, mir vorzuschreiben, was ich fühlen durfte und was nicht?
Ich schlief ein. Nach dem ersten Höhepunkt, den ich seit langer Zeit erfahren hatte.
Am nächsten Morgen konnte ich fast nicht sagen, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. Und ich wollte auch nicht daran denken. Das Schuldgefühl war immer noch nicht verschwunden. Es drohte mir nicht mehr in dem religiösen und fanatischen Ausmaß der letzten Nacht, aber immer noch pochte es unüberhörbar in meinem Kopf.
So etwas träumte man nicht. Und man befriedigte sich zu solchen Träumen nicht.
Ich wischte den Gedanken unwirsch beiseite. Immerhin war ich eine erwachsene Frau und konnte unterscheiden zwischen Richtig und Falsch, und zwischen Traum und Realität.
Sieben
Ich lebte mich langsam in der fremden Stadt ein. Es war nicht so einfach. Ich kannte niemanden in der Stadt und war auch nicht gerade jemand, der leicht Anschluss fand.
Nach dem Stress der ersten Zeit hatte ich nun wieder mehr Zeit für mich, und ich bemerkte, wie die alten Gefühle wiederkamen. Wie all das wieder hochkam, vor dem ich hatte fliehen wollen. Es schien nicht so einfach zu sein, der Vergangenheit zu entfliehen.
Insgesamt war es eine gute Entscheidung gewesen, die Stadt zu wechseln. Es tat alles nicht mehr so weh, und das Suhlen im Selbstmitleid schien mir sogar ein wenig geholfen zu haben. Irgendwann hatte ich dieses billigste aller Gefühle so ausgekostet, bis in jede Pore durchlebt, dass es sich schal und aufgewärmt anfühlte, ständig der Vergangenheit nachzutrauern. Das Messer, mit dem ich mich selbst gepeinigt hatte, war stumpf geworden. Ich konnte es selbst nicht mehr ertragen.
Auf meinem iPod war die Musikgeschichte der Lieder der gebrochenen Herzen versammelt. Von Beethovens Mondscheinsonate bis zu Sinead O’Connors Nothing compares to you. Ich hörte die Zusammenstellung rauf und runter, bis mir beim Joggen der iPod irgendwann geklaut wurde. Wie ich ihn genau verlor, ich wusste es nicht. Irgendwann war er verschwunden.
Was blieb, war das Gefühl der Fremde. Ich war allein in einer anderen Stadt. Ich hatte hier keine Freunde, und auch wenn ich die alten Freunde wieder anrief, blieb die Leere.
Hans tat immer noch weh, aber nun mehr wie die Erinnerung an einen Schmerz. Vielleicht eher wie ein Phantomschmerz. So etwas war er ja auch. Der Schmerz verursacht in einem Körperteil, das nicht mehr existierte. Aber eben ein Schmerz, der noch zu fühlen, nicht zu leugnen war.
Irgendwie entwickelte Liz sich zu einer Art sagen wir Bekannten. Wenn ich morgens in die Schule kam, hielt ich nach ihr Ausschau. Unauffällig natürlich. Ich lief ihr nicht nach oder so, aber ich schaute nach ihr. Es war so eine Art Ritual. Ich stand oben im Lehrerzimmer hinter dem vergilbten Vorhang und schaute hinunter auf den Schulhof. Wenn ich sie entdeckte, schien der Schulhof schöner, verschwand der Beton ein kleines Wenig, und das Grün der Sträucher trat deutlicher hervor, die bunten Jacken und Hosen der Kinder, die Sonne, der Himmel. Alles wurde ein wenig heller, farbenreicher. Es war nur eine Nuance, aber ich merkte es.
Da war einfach nur das Wissen, dass es jemanden gab, an den man dachte und der offensichtlich an einen selbst dachte. Was auch immer sie bewog oder antrieb. Sie hatte kein professionelles Verhältnis, sich mit mir auseinander zu setzen, wie die Kollegen das taten. Es war eine Wahl, die sie getroffen hatte. Sie wollte mich zur Kenntnis nehmen. Das reichte mir schon.
Wenn es sich anbot, blieb ich ein wenig länger in der Schule. Es gab schließlich immer was zu tun, zu korrigieren, vorzubereiten. Solche Sachen halt. Es war keine verschwendete Zeit, es war Arbeitszeit, die ich halt nicht bei mir zuhause absolvierte, sondern in der Schule.
Ich blieb da, nur um zu sehen, wie sie aus der Turnhalle kam nach dem Sportunterricht. Ich stand dann hinter dem Vorhang und wartete auf sie. Nachdem ich gesehen hatte, wie sie die Schule verließ ging ich mit einem besseren Gefühl nachhause. Ich hatte mir ihren Stundenplan angesehen. Vorher allerdings hatte ich mir einen Grund zusammengereimt, um dies zu legitimieren. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich mich gerechtfertigt hatte. Aber ich fand einen Grund, und dann ärgerte ich mich, dass ich mich vor mir rechtfertigen musste.
Wenn ich mit dem Rad fuhr, dann führte mich mein Weg manchmal an dem Haus vorbei, in dem sie wohnte.
Es war ein großes Haus, ein Stadthaus mit Stuckverzierungen. Was ihre Eltern machten, wusste ich nicht. Ich wollte es auch nicht wissen.
Es war alles ganz harmlos. Ich stellte mir vor, dass sie in ihrem Zimmer wäre. Spät abends brannte oft noch Licht. Ich fragte mich, was sie machte. Ob sie las oder ihre Hausaufgaben machte oder ... oder vielleicht an mich dachte.
So wie ich an sie.
Ich fuhr einfach die Straße entlang, weil sie in einer schönen Gegend lag, in einer besseren Gegend mit einer schönen Allee. Es war einfach ein kleiner Umweg, der sich aus vielerlei Gründen lohnte.
Sie war meine erste Bekannte in der neuen Stadt. Eine unbekannte Bekannte oder eine bekannte Unbekannte.
Wenn wir im Gang in der Schule aneinander vorbei gingen, hatte ich das Gefühl, als sähe sie mich an. Als würde sie meinen Blick suchen, meine Aufmerksamkeit oder was auch immer, den ich ihr ungeschickt verweigerte. Ich starrte starr auf den Boden oder suchte mir irgendeinen Punkt, um mich nicht zu verraten.
Ich meinte, hinter meinem Rücken zu spüren, wie sie süffisant lächelte, als würde sie meine Unsicherheit auskosten und als würde alles nach einem Plan verlaufen, den nur sie kannte. Es war mir unangenehm, und ich spürte, wie das Blut schneller durch einen Körper pumpte, wenn wir solch eine Begegnung hatten.
Einmal grüßte ich sie aus Versehen. Ich war in Gedanken irgendwo anders und sah auf, da kam sie mir entgegen, und ohne zu denken grüßte ich sie, wie man Kollegen grüßt oder eigene Schüler. Es war nur ein Kopfnicken und ein genuscheltes „Hallo“. Wie man das halt so macht. Ich konnte nicht sagen, ob sie den Gruß erwiderte. Sie war wahrscheinlich zu überrascht. So wie ich überrascht über meine unbedachte Handlung war. Es war einfach automatisch gekommen. Immerhin hatte ich ihr mit dieser Geste zu verstehen gegeben, dass wir einander nicht fremd waren, auch wenn das vielleicht durch viele andere Gesten zuvor bereits klar war. Aber ich hatte es nun offiziell getan.
Ich kam mir danach ziemlich blöd vor und ärgerte mich wieder über mich. Wieder so eine Situation, in der ich nicht souverän agiert hatte. Ich versuchte mir einzureden, dass ich nur das getan hatte, was ohnehin schon klar gewesen war und damit so gehandelt hatte, wie man das von jemandem erwartet in meiner Position. Aber das war nur ein schwaches Argument, und ich war selbst davon nicht überzeugt.
Mehr beschäftigte mich nun die Frage, wie ich von da an mit ihr umgehen sollte, wenn sich unsere Wege kreuzten. Konnte ich wieder zum Ignorieren zurück? Sollte ich sie von nun an immer grüßen? Es war einfach ärgerlich. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich bei der nächsten Begegnung einfach ihren Blick suchen und ihr die Reaktion überlassen würde. Aber auch das war nicht besonders geschickt. Immerhin übergab ich ihr damit das Heft des Handelns, dabei wollte ich doch diejenige sein, die die Kontrolle behielt.
Am nächsten Tag sah ich sie in einem Gang verschwinden, als ich aus dem Lehrerzimmer kam. Es war nicht wirklich ein Vorwand, der mich dazu brachte, ihr zu folgen. Seit Wochen schon wollte ich in den Abstellraum gehen, weil ich einen Satz Bücher suchte, die da sehr wohl sein konnten.
Aber als ich in den Gang einbog, war sie schon irgendwohin verschwunden.
Natürlich waren die Bücher nicht in dem Abstellraum. Später ärgerte ich mich über mein Verhalten, aber in diesem Augenblick drehte ich mich nur einige Male sinnlos im Kreis und verließ den staubigen Raum wieder.
Als ich heraus kam, erschrak ich.
„Verfolgen Sie mich?“
Liz lehnte betont lässig an der Wand.
„Was?“
„Verfolgen. Wie so ein Stalker. Sie kennen das doch. Diese Leute, die anderen Leuten hinterher rennen, sie belauschen, Psychoterror ausüben. Stalken.“
„Was?“
„Stalken Sie mich?“
Ich fühlte mich ertappt. Das Blut stieg mir zu Kopf. Es war albern. Was hatte ich mich zu rechtfertigen? Ich hatte sehr wohl das Recht, überall im Gebäude zu sein. Was hatte ich mich ihr gegenüber zu erklären? Aber so liefen meine Gedanken in diesem Moment nicht. Sie hatte mich erwischt. Ich rang um eine Antwort, druckste ein wenig rum, brachte das dann mit den Büchern vor, die ich suchte:
„Ich habe hier was gesucht.“
Aber mittlerweile kam mir diese Lüge auch schon abgestanden vor und meine Worte kamen so tranig heraus, dass ich selbst schon nicht mehr an sie glaubte. Ich begann mich wieder über mich zu ärgern. Warum fühlte ich mich ertappt?
Weil sie mich ertappt hatte. Was gab es zu leugnen?
Aber dann löste sie die Spannung.
„War nur ein Scherz!“
Und sie grinste. Wieder dieses seltsame Lächeln, das ich nicht deuten konnte. War es spöttisch oder wollte sie Sympathie damit ausdrücken? Was wollte sie mir sagen?
Ich atmete jedenfalls auf.
Dann tat sie etwas, das mir die nächsten Tage nicht aus dem Kopf gehen sollte.
Um mir zu zeigen, dass sie es nicht böse meinte, fasste sie meinen Arm und lehnte sich ein wenig zu mir. Eine dieser vertraulichen Gesten, die man unter Freundinnen ganz selbstverständlich macht, aber eben nicht zu Fremden. Schon gar nicht in solch einer asymmetrischen Beziehung, wie sie eine Schülerin zu einer Lehrerin hatte.
Mir schien diese Berührung vollkommen fremd und deplatziert. Aber in ihrem Auftreten war keine Spur Unsicherheit oder Zögern zu erkennen. War ich einfach nur übersensibel?
„Keine Sorge, war nur ein Scherz. Sie müssen sich nicht ertappt fühlen oder so. Suchen Sie nur Ihre Bücher. Geht mich ja gar nichts an!“
Es war überraschend, und erst schreckte ich ein wenig zurück, ihre Hand auf meinem Unterarm zu spüren. Es fühlte sich seltsam an. Auf der einen Seite war ihre Hand weicher als ich erwartet hätte von ihrem in mancher Hinsicht virilen Auftreten. Auf der anderen Seite fühlte es sich wie das Kribbeln einer Spinne auf dem Arm an. Etwas, das man schnell wegwischen wollte. Aus reinem Reflex. Aber der zweite Gedanke war nicht mein eigener, es war meine Moral, die mir dieses bedrohliche Gefühl einreden wollte.
Eine Sekunde später war sie verschwunden.
Später bekam ich diese Geste nicht mehr aus dem Kopf.
Sie hatte so etwas Vertrautes, aber auch Vertrauliches. Es war eine Geste der Nähe. Wie kam sie, wie kam eine Schülerin dazu, sich mit solcher Selbstverständlichkeit und mit solchem Selbstbewusstsein mir gegenüber zu verhalten?
Ich strich über die Stelle, an der ihre Hand meinen Unterarm umfasst hatte. Ihre Hand war nicht außergewöhnlich. Schmal, schlank, eine Mädchenhand halt. Und doch musste ich den ganzen Tag über immer wieder an die Stelle greifen. Als hätte sie ein Mal hinterlassen.
Und am Abend musste ich über ihre Worte nachdenken. Sie hatte erkannt, dass sie mich ertappt hatte. Sie hatte erkannt, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte und ihre Bemerkung zu der Suche nach den Büchern zeigte, dass sie meine Ausrede als solche identifiziert hatte.
Ich war nicht gut im Lügen, war es noch nie gewesen.
Acht
Liz ersetzte für mich das, was Hans am Ende in der anderen Stadt gewesen war. Jemand, an dessen Schicksal man Anteil nahm.
Warum sie, wo sie doch so verboten war? Eine Lehrerin stellte einer Schülerin nicht nach. Es war ein ehernes Gebot.
Ein absolutes Tabu.
Was ich an ihr mochte? Es war so vieles, und es blieb doch so vage. Was wusste man schon von einem Menschen, den man immer nur flüchtig für wenige Sekunden sah? Immer nur Fetzen und winzige Schnipsel, die man zu einem Bild zusammensetzen musste. Und jedes neues Teilchen bedeutete eine neue Facette. In all dem, was mir an ihr mysteriös vorkam, glaubte ich doch auch immer ein Stück Erkenntnis zu finden. Ich bildete mir, dass ich ihr Herr werden konnte, wenn ich sie nur entschlüsselte.
Insgeheim gab es dahinter aber noch etwas anderes.
Ich bewunderte Liz einfach. Sie strahlte solch eine Sicherheit und Souveränität aus, die man einer Neunzehnjährigen nicht zutraute. Unsicherheit, Zweifel, Hadern, all das schien ihr fremd zu sein. Wie eine Zauberin, die bereits über alle Weltmeere, alle Gebirge und durch alle Länder gereist war, erschien sie mir. Die Weltwunder bei den ersten Sonnenstrahlen gesehen hatte und gegen grimmige Zentauren gekämpft und sie bezwungen hatte. Als hätte der fahle Mond der Unterwelt ihre Haut weiß gegerbt.
Sie hatte so viel Mystisches.
Ich weiß nicht.
In ihren Augen.
So phantasierte ich.
Sie schien durch nichts zu erschüttern zu sein.
Ich bewunderte sie dafür.
Für ihre Sicherheit und das Amazonenhafte, das sie ausstrahlte.
Wäre ich doch auch so unverwundbar wie sie! Hätte ich ihre Stärke!
Obwohl ich mehr als zehn Jahre älter war, konnte ich ihr nicht das Wasser reichen.
Niedergeschrieben wirkt dies vielleicht alles albern und wie blinde Schwärmerei. Aber muss ich mich dessen schämen? Dass ich sie idealisierte? Ich wollte es nicht, und doch tat ich es.
Es waren so viele kleine Dinge an ihr.
Als ich an diesem Abend ein Glas Rotwein zu viel getrunken hatte, in meinem Sessel saß, die Beine angezogen und die Gedanken schweifen ließ, und einmal wirklich ehrlich zu mir war: Da sehnte ich mich danach, in ihren Armen zu liegen und von ihr gestreichelt zu werden. Dann würde sie meine Schmerzen und mein Unsicherheit wegwischen. Sie würde sich meiner annehmen, und ich könnte loslassen und alles fahren lassen, könnte mich treiben lassen. Ich würde mich ihr schenken und ihr die Möglichkeit geben, sich an mir zu laben. Wenn sie sich nur meiner annehmen würde. Ich würde ihr bedingungslos Zugang zu mir gewähren.
Ich sah mich, wie ich vor ihr stand. Sie saß in einem Sessel, die Arme auf den Lehnen. Wie eine Herrscherin trotz ihrer abgerissenen Gothic-Klamotten, die mehr grau als schwarz verwaschen waren. Obwohl es dunkel war, leuchteten ihre Augen in der Nacht.
Sie würde mir mit einer lässigen Handbewegung gebieten. Und ich würde gehorchen. Ich würde vor ihr knien. Den Kopf gesenkt und den Blick auf ihre Schuhe gerichtet, auf die Converse mit den Totenköpfen.
Sie würden leicht wippen. Zu einer Musik, die sich in ihrem Kopf abspielte. Irgendwas Bizarres, das ich nicht kannte.
Sie ließe mich dort warten in meiner Demut, bis es ihr beliebte, sich mir zu widmen. Ich genoss dieses Warten, denn es zeigte, wie geduldig ich war und wie ergeben ich ihr war. Sie würde stolz sein auf mich, und ich würde stolz sein, dass sie es auf mich war.
Ich würde einfach dort knien und darauf warten, dass sie etwas anderes befahl. Wenn ich nur weiterhin zu ihren Füßen sein durfte.
So dachte ich an diesen Abend in meinem Sessel nach einer Flasche Rotwein.
Waren diese Gedanken frevelhaft?
Sie waren es.
Es kümmerte mich in diesem Moment nicht.
Es scherte mich nicht, ich schämte mich nicht. Und ich schämte mich auch nicht meiner Finger, die ich über meinen Körper gleiten ließ in der unerhörten Wunschvorstellung, dass es ihre waren.
Neun
Am nächsten Tag tat sie es dann.
Ich hatte bis spät Unterricht, danach noch ein etwas unangenehm verlaufendes Elterngespräch. Es war ein langer Tag.
Als ich schließlich um fünf Uhr zu meinem Auto auf dem Parkplatz kam, sah ich sofort, was los war. Der linke Vorderreifen war platt.
Scheiße!
Wir hatten einen mysteriösen Reifenstecher an unserer Schule. Er hatte schon die Reifen einiger Kollegen aufgeschlitzt. Das hatte für große Empörung im Lehrerzimmer gesorgt. Ich hatte das eigentlich nie so richtig mitbekommen. Bis jetzt hatte es immer die Kollegen getroffen, die es vielleicht sogar verdient hatten. Die, die Schüler hassten, die sich ihnen gegenüber unmöglich benahmen. Ich hatte mir daher keine Gedanken gemacht, hatte geglaubt, dass ich nichts zu befürchten hätte von diesem Vandalen. Unter den respektierteren Lehrern galt der Vandale als namenloser Rächer, und darin schwang durchaus ein wenig Genugtuung, denn nicht nur die Schüler, auch die Lehrer, die ein besseres Verhältnis zu ihren Schülern pflegten, hatten darunter zu leiden, wenn sie mal wieder aufgefordert wurden, sich zu den rassistischen, frauenfeindlichen Sprüchen zu äußern, die ihnen um die Ohren gehauen worden waren.
Jetzt war also auch ich dran.
Es kränkte mich schon, hatte ich doch immer das Gefühl oder zumindest die Hoffnung gehabt, fair und verständnisvoll zu sein. Wer sollte es auf mich abgesehen haben? War ich so schlimm wie Herr Meier, der ständig anzügliche und ausländerfeindliche Witze machte oder wie Dr. Börner, der Kinder nur anbrüllte und sie als minderwertig bezeichnete?
Was hatte ich mit diesen Leuten gemein? Welcher Schüler hatte es wohl auf mich abgesehen? Was hatte ich ihnen getan?
Weit und breit war kein Mensch mehr auf dem Schulgelände zu sehen. Auch der Hausmeister nicht, der sonst immer irgendwo werkelte.
Es war kein so riesiges Problem.
Einen Reifen bekam ich noch gewechselt. Ich hatte das schon gemacht, aber ich war eben müde und hatte mich auf eine heiße Wanne und ein paar Nudeln gefreut.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich selbst um die Angelegenheit zu kümmern. Also seufzte ich und legte los. Ich holte den Ersatzreifen und den Wagenheber aus dem Kofferraum und versuchte die Radmuttern zu lösen, bevor ich den Wagen aufbockte. Ich kannte die Routine. Ich hatte es als Ehrensache empfunden, einen Reifen wechseln zu können, um nicht so hilflos dazu stehen.
Als ich irgendwann aufsah, sah ich Liz, die auf ihrem Hollandrad vor der Schule hin und her fuhr.
Wie so eine Leopardin, die aus der Entfernung eine Herde Antilopen umkreist, unschlüssig, ob sie nun eine reißen soll oder nicht.
Das war zumindest mein erster Gedanke.
Es hatte etwas Raubkatzenhaftes, wie sie dort herumfuhr. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies ein Zufall war.
Aber hatte sie meinen Reifen zerstochen? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Was hatte ich ihr getan?
Ich versuchte sie zu ignorieren und widmete mich meiner Arbeit und der fest sitzenden Radmutter. Wahrscheinlich sah es schon albern aus, wie ich auf dem Kreuzschlüssel rumsprang, vor allem, da ich auch nicht wusste, in welche Richtung ich die Schraube eigentlich zu drehen hatte.
Aus den Augenwinkeln sah ich immer wieder, wie sie da herum radelte. Sie schien mich nicht zu beachten, zumindest tat sie so, und ich tat so, als beobachte ich sie nicht.
Schließlich löste sich die Schraube, ich drehte sie los, wusste nun, in welche Richtung ich drehen musste und bekam auch die anderen drei Schrauben schnell gelöst und bockte das Auto mit dem Wagenheber auf.
Irgendwann hörte ich, wie sie angefahren kam. Ich unterbrach meine Arbeit, wischte mir einen Tropfen Schweiß von der Stirn und eine Strähne aus dem Gesicht und sah sie stumm an.
Sie war zu mir gekommen, dann sollte sie auch das Gespräch beginnen. Ich jedenfalls war weder in der Stimmung noch vorbereitet auf Smalltalk.
Sie hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf und kommentierte auch nicht meine Arbeit oder den Reifen.
„Sie haben gestern ziemlich schuldig geguckt.“
„Was?“
Sie stieg vom Rad, kam zu mir und lehnte sich an den Kotflügel, obwohl der in der Luft hing.
Ich sorgte mich ein wenig, dass sie den Wagenheber wegknicken könnte.
„Gestern, als ich Sie gefragt habe, ob sie mich verfolgen. Da haben Sie ziemlich komisch aus der Wäsche geglotzt. Als hätte ich Sie ertappt.“
Die Position war seltsam. Ich kniete da vor meinem Wagen und sie stand über mir. Ich musste zu ihr aufschauen, als ich antwortete.
„Oh, das meinst du“, ich versuchte beiläufig zu klingen. „Ich glaube, das bildest du dir nur ein.“
Ich tat, als kümmerte ich mich um den Wagen und schaute sie nicht an.
„Das glaube ich nicht!“
Ihre Stimme war eine Nuance härter geworden.
Ich sah zu ihr auf. Dieser Höhenunterschied, auf der unsere Kommunikation ablief, war nicht gut. Ich so zu ihren Füßen, aufschauen müssend. Dazu noch angestrengt und verschwitzt, während sie die Lässigkeit in Person war.
Und doch hatte das auch etwas Wahres. Eine Schwere erfüllte jedenfalls meinen Rumpf, als ich aufstehen wollte, um diesen Positionsunterschied wett zu machen. Irgendwas in mir wollte mich zurückhalten, in dieser untergebenen Position belassen. Ich musste jedenfalls etwas in mir überwinden, um aufzustehen.
Aber als ich dann stand, auf Augenhöhe mit ihr war, da fühlte ich mich auch nicht wirklich anders, nicht überlegen. Ich schob es auf meine Verfassung, meinen Anblick, den späten Nachmittag. Aber ich wusste, dass ich mir etwas vormachte.
„Ich wollte Sie in Ihrer Arbeit nicht stören. Machen Sie nur weiter!“
Die Frage, ob sie wirklich so naiv und schlecht erzogen war, stellte sich mir nur für den Hauch einer Sekunde. So unaufmerksam konnte niemand sein. Sie hatte mir ganz bewusst ihre Hilfe nicht angeboten.
Ich sah sie stumm an, und sie blickte kühl zurück. Der Schweiß stand auf meiner Stirn und meine Hände waren dreckig. Ich konnte sie nicht in die Tasche stecken, ich konnte sie nicht in die Hüften stemmen, ich konnte die Arme nicht vor der Brust verschränken. Ich wusste nicht wohin mit ihnen und fühlte mich unwohl und unangemessen.
„Also, was sagen Sie?“
„Wozu?“
„Sie haben mir nachgestarrt.“
„Wie gesagt. Das musst du “
„Ist ja auch egal, ob Sie es zugeben oder nicht.“ Ihre Stimme klang ungeduldig, doch als ich nicht sagte, was sie hören wollte, machte sie eine lange Pause, in der wir uns stumm gegenüberstanden.
„Wissen Sie, ich habe Sie auch beobachtet. Länger schon als Sie mich, glaube ich.“
Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals, ohne dass es dafür einen Grund gegeben hätte. Warum fühlte ich mich jetzt schon wieder schuldig?
„Und?“
„Ich denke, ich weiß, was Sie an mir so interessiert.“
„Wie gesagt, du musst dir da was einbilden.“
„Ok, hören Sie zu!“
Wieder diese Ungeduld.
„Ich muss hier nicht stehen. Ich habe extra auf Sie gewartet, um mit Ihnen zu sprechen. Sie brauchen es ja nicht zuzugeben, aber dieses ständige Leugnen nervt mich langsam. Wenn Sie nicht hören wollen, was ich Ihnen zu sagen habe, dann ist das Ihre Entscheidung. Aber was ich Ihnen sagen wollte, hören Sie nur hier und jetzt, und wenn Sie noch einmal leugnen, dann bin ich weg, und Sie werden es niemals hören.“
Mein Verstand sagte mir, dass ich jetzt einzuschreiten hatte. Mein Verstand sagte mir, dass ich mir diesen Ton nicht gefallen lassen durfte. Ich musste sie zu Recht weisen. Als die Ältere, als die Lehrerin, als die Respektsperson. Das war die gleiche Situation wie vor wenigen Wochen im Gang. Ich musste mich von ihr doch nicht herumkommandieren lassen! Ich musste mir von ihr doch keine Ultimaten stellen lassen!
Aber das war nicht der Moment der Ratio. Sie drohte mir, dieses Spiel, oder was immer es war, zu beenden. Das konnte ich nicht zulassen. Ihre Drohung traf mich. Die gleiche Macht, die mich vor ihren Füßen verharren lassen wollte, hielt mich zurück, das Spiel zu beenden. Sie gewann wieder. Ich wollte hören, was sie zu sagen hatte, was sie anzubieten hatte.
Also sah ich sie stumm an. Ohne Widerworte und schicksalsergeben.
„Na also. Geht doch. Sie finden irgendwas an mir, sonst würden Sie mir nicht so nachstellen. Ich seh’s in Ihren Augen. Ich bin geradeheraus und offen und so. Und Sie suchen so jemanden wie mich.“
Sie hatte recht, so wenig ich mir das eingestehen wollte.
„Ich habe auch über Sie nachgedacht. Ich glaube, es würde mir Spaß machen, Ihnen das zu geben, was sie so dringend brauchen.“
Sie sah mich an.
Ihre Stimme hatte sich geändert. Sie klang jetzt ernst und seriös, sprach wie eine Erwachsene.
„Und was suche ich deiner Meinung nach?“
Der Frosch in meinem Hals ließ mich ein wenig krächzen. Dabei wollte ich doch neutral und unbeeindruckt klingen.
Sie sagte nichts, sondern trat einen halben Schritt näher und starrte mich an. Mit diesen grünen Augen. Funkelnd. Ich weiß nicht, ob sie sich auf Zehenspitzen stellte oder ich unwillkürlich zusammensank, jedenfalls war da wieder dieser Größenunterschied.
Dieser Unterschied in der Hierarchie.
Ich blickte wieder zu ihr auf, und was ich ihren Augen entnahm, entsprach all meinen Sehnsüchten. Diesen neuen Sehnsüchten, die ich bisher nie gekannt hatte.
Dann zerschnitten ihre Worte leise diesen Moment:
„Das weißt du ganz genau.“
Es war ein beschwörendes und gehauchtes Flüstern, ich erkannte, dass sie mich duzte, dass sie Grenzen überschritt, aber es waren die, die ich überschritten sehen wollte.
Da war etwas. Es war etwas Dunkles. Ich konnte es nicht sehen, ich roch es allenfalls. Es roch schwer und animalisch, nach Moschus vielleicht. Ein schwerer Duft. Ich hätte es nicht in Worten ausdrücken können. Damals nicht, und ich glaube, Liz konnte es auch nicht. Sonst hätte sie es formuliert. Sie war geradeheraus und druckste nicht herum.
Mir fiel keine Antwort ein. Was konnte ich erwidern? Aber sie erwartete eine Replik.
Es gab eine richtige Antwort. Eine klare Antwort:
„Nein! Was bildest du dir ein? Wer bist du? Was nimmst du dir heraus? Was glaubst du, was ich riskiere? Was immer du meinst, ist falsch!“
Und doch erschien am Horizont eine Armee der Visionen, die Unerhörtes versprachen. Die Schritte ihrer Stiefel im Gleichklang, die immer lauter in meinem Hirn widerhallten. Stark und unwiderstehlich.
„Gib dich ihr hin! Gib dich ihr hin! Gib dich ihr hin!“
So klang es im Rhythmus ihres Marsches.
Ich bekam Angst vor meinen eigenen Fantasien. Und dazu dieses Hämmern in meiner Brust.
„Gehorche ihr! Gehorche ihr! Gehorche ihr!“
Es war mein Herzschlag und all dieser Lärm in meiner Seele.
Das Vibrieren und Marschieren einer wohlorganisierte Armee. Einer Armee von dunklen Gestalten, die nach Moschus und heißem Schweiß stanken.
Sie verscheuchten die klaren Antworten der Moral, die in alten zerschlissenen Tuniken da standen und räsonierten. Blasiert mit grauen Haaren von Anstand faselten. Sie liefen watschelnd und degeneriert davon, verscheucht durch die übermächtige Armee am Horizont. Mit ihren grimmigen Blicken und einem Funkeln in den grünen Augen.
Was gab es noch zu überlegen?
„Gehorche ihr! Gehorche ihr! Gehorche ihr!“
Ich senkte meinen Blick in Kapitulation.
Sie hatte gewonnen. Ich konnte ihr nicht widersprechen.
Aber sie missinterpretierte diese Geste wohl, oder sie war ihr nicht eindeutig genug. Ich konnte es nicht sagen.
„Denken Sie drüber nach. Ich gebe Ihnen eine Woche.“
Ihre Stimme hatte wieder diese erwachsene Sachlichkeit angenommen, als hätten wir über irgendeine geschäftliche Abmachung gesprochen.
Bevor ich antworten konnte, hatte sie sich schon umgedreht, war auf ihr Fahrrad gestiegen. Bevor sie fortfuhr sagte sie noch:
„Haben Sie mal gecheckt, ob Ihnen nicht irgendwer einfach die Luft raus gelassen hat? Aus dem Reifen meine ich. Könnte ja sein“
Dann radelte sie davon.
Sie sah sich nicht um.
Ich verharrte dort.
Stumm und hilflos mit laut schlagendem Herzen.
Und zwischen den Kieselsteinen sah ich die Ventilkappe meines Vorderreifens.
Zehn
Ich stand wieder in dieser Ebene, sah mich um, versuchte am Horizont etwas auszumachen.
Der schweflige Geruch stach diesmal stärker in meiner Nase. Am Horizont war etwas. Es dauerte, bis ich es als Staubwolke ausmachen konnte. Sie kam rasend schnell näher, türmte sich vor mir auf, hielt genau auf mich zu. Dann hörte ich ein dumpfes Rauschen. Leise erst. Wie die Brandung am Meer. Irgendwann schälten sich dort Schreie heraus. Es waren Kampfschreie.
Ich drehte mich um und versuchte zu fliehen. Aber weit und breit war nichts als Ebene. Ich machte drei halbherzige Schritte, versuchte ihnen zu entfliehen. Dann hielt ich an. Es machte keinen Sinn. Als ich mich umdrehte, standen sie da. Ein Dutzend Kriegerinnen. Wie Amazonen gekleidet. In schweres Leder und matt glänzendes Metall. Ringe, Reife, Ornamente, geschnürte Ledersandalen. Korsette, die ihre vollen Brüste anhoben, Kriegsbemalung in den grimmigen Gesichtern.
Schwer und klirrend kam eine auf mich zu, während die anderen dastanden, überheblich und spöttisch. Eine Hand am Knauf des Kurzschwertes. Sie war zwei Köpfe größer als ich. Die schwarzen, langen Haare wehten strähnig im Wind. Die grünen Augen schienen das einzige zu sein, das der Umgebung Leben gab. Ein giftiges, unwirkliches Grün.
Ich drehte mich um, wollte weglaufen. Doch sie griff nach mir und fasste das weiße Kleid aus Stoff dünn wie Gaze und riss es mir vom Leib.
Ich blickte ihm nach, wie der Wind es einer beseelten Skulptur gleich fort wehte. Ich starrte an mir herab. Ich war vollkommen nackt.
Mein Körper war so viel heller als der von der Sonne gegerbte Körper der Amazone. Mein Fleisch war so viel weicher als der muskelgestählte Körper der Amazone.
Ich wich vor ihr zurück, doch sie war flinker. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff sie mit einer Hand meine Kehle. Ich sah das Hervorzucken ihres Armes kommen wie eine angreifende Schlange, die gekrümmten Finger wie die Giftzähne einer Schlange.
Wie rau ihre Hand sein muss, dachte ich verwundert. Doch als die Finger meine Kehle umschlossen, da griffen sie zwar hart und erbarmungslos zu, doch auch irgendwie zart und weich. Es machte keinen Sinn.
Mit einer Hand hob sie mich an der Kehle in die Luft. Ich blieb steif, zappelte nicht, war von ihrer Übermacht überzeugt und eingeschüchtert.
Die andere Hand griff mir plötzlich zwischen die Schenkel. Es war ein rüder Griff, aber auf der anderen Seite waren die Bewegungen dann auch samten. Ich spürte, wie das Blut in meinen Unterleib schoss, wie sie mich erregte und meine Säfte zu fließen begannen. Ich blickte in ihre Augen, die mich mit einem kalten Blick musterten. Ich sah flehend zurück.
Flehend.
Aber was erflehte ich?
Wollte ich, dass sie mich losließ und verschonte?
Wollte ich, dass sie ihre Hände dort ließ?
An meiner eingeschnürten Kehle?
In meinem brennenden Schoß?
Sie zog mich ganz nah an sich, dass unsere Nasen sich fast berührten.
Dann flüsterte sie, als hätte sie meine Gedanken erraten:
„Ich lasse dir die Wahl. Wenn du meinen Fingern widerstehen kannst, lasse ich dich frei und in Frieden gehen. Wenn du ihnen nicht widerstehst, mache ich dich zu meiner Sklavin. Dein Platz wird zu meinen Füßen sein. Du wirst mir dienen. Dein Wohl wird nichts bedeuten. Meines alles. Du wirst mir ausgeliefert sein. Ich werde machen mit dir, was mir beliebt, und wenn ich deiner überdrüssig bin, werde ich dich auslöschen wie Ungeziefer. Dieser Test wird vielleicht die letzte Möglichkeit sein, deinen freien Willen unter Beweis zu stellen. Hast du mich verstanden?“
Ich nickte, doch nur ein Röcheln entkam meiner Kehle, als ich sprechen wollte.
Augenblicklich spürte ich ihre Finger. Sie streichelten über meine Schenkel. Hinauf und hinab, umfuhren ihre Kurven, untersuchten mal die Innenseiten, dann fuhren sie wieder hinauf bis zu meinem Po. Mal griffen sie zu, griffen kraftvoll in mein Fleisch, dass ich meine Muskeln anspannen musste, damit sie mich nicht verletzten, nicht in mich eindrangen. Dann wieder streiften sie so zart über meine Haut, dass meine Nerven nicht mal sicher sein konnten, ob sie mich überhaupt berührten oder es nur ein Lufthauch war, von ihr aufgewühlt, der mich erregte.
Ich versuchte mich zu wehren, sträubte mich gegen die Berührungen, zappelte in ihrem Griff, auch wenn mich das wieder und wieder der Luft zum Atem beraubte. Doch ich konnte ihr nichts entgegensetzen. Ihre Hand an meinem Leib war gnadenlos und fing mich immer wieder ein.
Meine Augen flehten ihre an. Doch sie sah mich nur unverwandt und kalt an. Sie las in meiner Seele, erriet, wonach ich dürstete.
Ich schloss die Augen, wollte ihr diesen Schlüssel zu mir verwehren. Doch auch die Dunkelheit schaffte keine Linderung. Nun musste ich mich der Bilder erwehren, die mein eigenes Auge heraufbeschwor. Nun gab es keine Ablenkung und die Manipulationen ihrer Hand trafen mich umso tiefer.
Ihre Hand an meinem Bauchnabel, fuhr hinab, über meinen Venushügel, brachte mich zum Erschaudern. Zwischen meinen Beinen hindurch, über meine Pobacken. Immer wieder und wieder.
Ich konnte mich ihrer Beschwörung immer weniger entziehen, nicht mehr wehren. Mein Unterleib brannte, pochte und schrie.
Der Schweiß stand mir auf der Stirn und rann mir den Rücken hinunter.
Feucht.
Und doch konnte er mich nicht kühlen und brachte keine Linderung.
Es waren Wellen, die über meinen Körper spülten.
Heiß und aberwitzig.
Ich merkte, dass ich mich ihnen nicht entziehen konnte, und ich wollte es auch nicht.
Ich wollte ihre Erlösung.
Ich wollte von ihr erlöst werden.
Ich wollte ihr sein.
Diese eine Erlösung für das Ende aller Freiheit?
Ein Höhepunkt für das restliche Leben?
Wie aberwitzig.
Ich fasste meinen Entschluss.
Ich öffnete die Augen.
Ich ließ sie in mich blicken.
Ich ließ sie mich besitzen.
Schenkte mich ihr.
Gab den Widerstand auf.
Ließ es über mich ergießen.
Und wenn mich danach ewige Sklaverei erwarten würden.
Es war egal.
Nur für dieses eine Mal.
Ich konnte nicht sagen, ob ich diesen Orgasmus geträumt hatte, oder ob ich bereits wach war, als er über mich wusch wie eine Welle gegen die Felsküste brandet. Doch als ich wieder bei Sinnen war, lag ich nassgeschwitzt im Bett. Eine Hand an der Kehle, die andere zwischen meinen Schenkeln.
Elf
Ich hätte des Traumes nicht bedurft. Meine Entscheidung war gefallen in der Sekunde, in der sie ihren Vorschlag vorgebracht hatte. Was ich brauchte, war Zeit diese anzunehmen und all die gerechtfertigten Einwände in die hinterste Ecke meines Verstandes zu schieben.
Es war unmoralisch, es war undenkbar, es war gefährlich. Es war das Risiko nicht wert.
Ich setzte meine Karriere aufs Spiel.
Meinen Job und mein bisheriges Leben.
Wenn das herauskäme, hätte ich alles verspielt. Und es würde herauskommen, weil man so etwas nie auf Dauer verheimlichen konnte.
Ich hatte keinen Grund, ihr so weit zu vertrauen. Sie war eine Fremde, die ich seit wenigen Wochen erst kannte.
Ich wusste nichts über Liz, außer den wenigen Informationen, die ihre Akte hergaben, und die Schnipsel meiner Beobachtung.
Was wollte Liz überhaupt von mir?
Ihre Worte hatte ich aufgeschrieben. So wie ich mich ihrer erinnerte.
Wiederholt hatte ich dort gesessen und sie aufgeschrieben. Beim ersten Mal war meine Schrift dem Inhalt nicht angemessen. Es war nervöses Gekritzel gewesen, durchgestrichen und wieder neu angesetzt, um ihre Wortwahl aufzufangen. Ich holte meinen besten Federhalter hervor und schrieb sie wieder auf. Auf das teuerste Papier, das ich finden konnte, das man nur für die ganz wichtigen privaten Briefe benutzte. Die Liebesbriefe halt, die ich nie geschrieben hatte. Dann las ich ihre Worte wieder und wieder. Es gab mir ein Gefühl der Kontrolle. Es war lächerlich, aber ich wollte irgendeine Form der Erkenntnis haben. Meine ganze Welt war im Begriff, zusammenzufallen. Was sollte ich machen?
Ich glaube, was mich am meisten zu ihr zog, war eine Beiläufigkeit:
Ich habe über sie nachgedacht.
Ein harmloser Satz.
Aber wer sonst tat das?
Mir war klar, wie absurd das klang, mir war auch klar, wie aberwitzig meine Hoffnung in sie war.
Aber meine Seele war auch ziemlich übel zugerichtet. Warum sollte Liz sie nicht heilen? Vielleicht hätte ich ihr auch etwas zu bieten. Irgendetwas, und wenn es nur Gehorsam wäre. Ich wusste nicht, was sie antrieb in all dem, aber ich wusste, was ich ihr schenken wollte.
Die Woche verging in der schmerzhaften Träge, die man sich leicht vorstellen kann. Ich haderte, wägte das Für- und Wider solch einer amour fou ab und hatte mich doch eigentlich längst entschieden.
Es war ein sehnsuchtsvolles Warten, schön und schrecklich zugleich. Ich war in dieser Woche recht unausstehlich. Leicht zu reizen, einfach aus der Fassung zu bringen, impulsiv, selbstgerecht. Ich merkte es selbst, konnte aber nichts dagegen tun.
Liz ging mir in dieser Woche aus dem Weg. Zumindest erschien mir das so.
Am Tag nach unserem Gespräch am Parkplatz fand ich eine Nachricht hinter dem Scheibenwischer meines Wagens.
Ich las sie mit klopfendem Herzen, trug sie immer bei mir und legte sie abends auf meinen Nachttisch, um sie ein letztes Mal vor dem Einschlafen zu lesen und mit ihr einzuschlafen.
Es ging ihr um Macht und Herrschaft, um das Gefühl, jemandem überlegen zu sein. Ihre Worte waren eindeutig, wenn sie auch vage blieb in der Frage, welche Mittel sie einzusetzen gedachte, um diese Macht zu demonstrieren. Es ging um sexuelle Überlegenheit natürlich. Aber wie würde die sich äußern?
Mittlerweile hatte ich mir selbst ähnliche Gedanken gemacht, sodass der Informationsgehalt des kurzen Briefes mich nicht überraschte. Es war seine emotionale Bedeutung, die ihn mir so teuer machte.
Sie glauben, dass Sie mir überlegen sind. Sie sind um die zehn Jahre älter als ich, schätze ich mal. Sie haben studiert und sind gebildet. Ich bin es nicht. In Ihren Augen bin ich ein kleines Mädchen, eine Schülerin wie alle anderen. Aber in den zehn Jahren, die Sie mir voraus haben, haben Sie bestimmt nur Gänseblümchen und Pusteblumen gepflückt und ich die Blumen des Bösen. Meine Welt ist düsterer als Ihre, und Sie haben mir nichts entgegenzusetzen.
Gestehen Sie es sich ein und ergeben Sie sich mir!
Zwölf
Der entscheidende Abend war gekommen.
Liz hatte mir am Tag zuvor wieder einen Zettel unter den Scheibenwischer geklemmt:
Wenn Sie mein Angebot annehmen, erwarten Sie mich um 20:00 Uhr in ihrer Wohnung. Lehnen Sie die Haus- und Wohnungstür nur an und setzen Sie sich mit dem Gesicht zum Fenster in ihr Wohnzimmer und warten dort. Wenn irgendeine Tür geschlossen ist, dann nehme ich das als Absage.
Der Tag kroch noch langsamer dahin, als ich es erwartet hatte. Ich hätte korrigieren müssen, ich hätte eine Konferenz vorbereiten müssen, ich hätte mich ablenken müssen. Aber ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren. Also, was wunderte mich das?
Es fühlte sich an wie ein erstes Date. Die Aufregung eines kleinen Teenagers. Die Hoffnung und Erwartungen. Die Sehnsucht und die Angst vor Enttäuschung. Die Angst etwas falsch zu machen.
Um fünf vor acht Uhr ging ich nach unten, peinlich bemüht, die Zeit genau einzuhalten.
Ich nahm einen Stuhl und stellte ihn vors Fenster und setzte mich darauf. Es war 19:57 Uhr. Die Zeiger der Uhr waren meine größten Feinde an diesem Tag gewesen.
Gerade auf dem Stuhl sitzend wartete ich, beide Hände flach auf die Schenkel gelegt in einer diszipliniert wirkenden Haltung, die jedoch nichts als eine Farce war, denn es brannte in mir, dass jede Beherrschung mir abhanden gekommen war. Mein Körper mochte sich diszipliniert zeigen, in mir brannte das Chaos.
Ungeduldig, mit pochendem Herzen saß ich dort.
Um fünf nach Acht bemerkte ich, dass ich auf dem falschen Stuhl saß. Es war einer der harten Holzstühle, die ich nicht sonderlich mochte. Ich hatte ihn ohne groß nachzudenken ausgesucht und vor das Fenster geschoben. Es war noch nicht einmal der dem Fenster nächste gewesen. Ich hatte ihn aus der Küche geholt. Als ich das nun reflektierte, erschloss sich mir meine Wahl. Der Stuhl erinnerte mich in seiner Einfachheit an die Stühle, die man in Filmen in Verhörzimmern sah.
Ich bekam ein unbehagliches Gefühl als ich erkannte, in welchen Bahnen sich meine Seele unbemerkt zu bewegen schien.
Sollte ich den Stuhl wechseln? Mir einen bequemeren suchen? Da war der gepolsterte in der Ecke, nur ein paar Schritte entfernt. Wenn ich den Kopf drehte, konnte ich ihn sehen.
Der Sessel wäre sicherlich unpassend gewesen, aber der Polsterstuhl wäre besser für meinen Po und meinen Rücken.
Ich müsste sie nur austauschen. Einen Augenblick würde das nur in Anspruch nehmen. Mehr nicht.
Und doch wagte ich es nicht. Mein Auftrag war ein anderer. Ich sollte dort sitzen bleiben, warten und vor allem gehorchen.
Dies war das erste Treffen. Das durfte ich nicht mit einer Disziplinlosigkeit beginnen.
Was, wenn sie mich am Fenster beobachtete?
Was, wenn sie sich durch das Treppenhaus bereits in meine Wohnung geschlichen hätte?
Was, wenn sie bereits hinter mir stand?
Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf und, ich spürte diese Wärme, wie von ihren Blicken erhitzt an meinem Hals.
Ich musste mich dazu zwingen, mich zu entspannen.
Mein Verstand spielte mit mir.
Meine Paranoia tanzte.
Liz spielte mit mir. Liz tanzte mit mir.
Warum ließ sie mich so lange warten?
Ich drehte mein Handgelenk etwas. 20:21 Uhr.
Warum kam sie nicht? Hatte sie es sich anders überlegt? Hatte sie mich nur narren wollen?
Warum kam sie nicht?
Hatte sie der Mut verlassen?
Den letzten Gedanken konnte ich nur harsch verneinen. Nein, der Mut hatte sie sicher nicht verlassen. Nicht meine Liz.
Sie wollte mich einfach warten lassen. Sie wollte mich quälen.
Sie wollte meine Loyalität prüfen. Sie saß vermutlich irgendwo draußen und observierte mich. Nur um zu sehen, ob ich gehorchte oder hier vielleicht mit einem Weinglas durch die Wohnung schlurfte.
Aber so war ich nicht. Ich nahm ernst, was sie sagte. Ich wollte ihr gefallen. Ich würde ihr zeigen, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte. Ich würde ihr genügen.
Das Wohnzimmerlicht brannte hell. Ich hätte es ausmachen und ein paar Kerzen anmachen sollen. Ich hätte zumindest einige Birnen herausschrauben sollen. Das hatte ich schon lange vorgehabt.
Nun war es zu spät.
Ich wartete, gerade auf dem Stuhl sitzend, beide Hände flach auf die Schenkel gelegt.
Es war 20:37 Uhr, als ich unten ein Geräusch hörte.
Die Tür wurde geschlossen, jemand kam die Treppe hoch, öffnete meine Wohnungstür. Ich hörte das leise Quietschen. Dann wurde die Tür geschlossen.
Ich richtete mich auf, spannte mich an. Meinem Herzen musste ich nicht sagen, dass es schneller schlagen sollte. Das Blut schoss durch meinen Körper. Es rauschte mir in den Ohren.
Ich verfolgte das Geräusch ihrer Schritte durch den Flur. Sie blieb am Bad stehen und öffnete die Tür. Dann ging sie in die Küche, schaute in mein Arbeitszimmer, in mein Schlafzimmer und erst dann kamen die Schritte näher. Sie ließ sich Zeit. Ich hörte das Knarren der ersten Holzdiele im Wohnzimmer und hatte wieder das warme Gefühl in meinem Nacken.
„Sie haben eine schicke Wohnung. Guter Geschmack, das muss ich Ihnen lassen. Vielleicht ein wenig kahl und weiß für meinen Geschmack. Aber es muss ja Ihnen gefallen.“
Ihre Stimme klang beiläufig. Kein Wort zu ihrer Verspätung, kein Wort dazu, ob sie mich beobachtet hatte, kein Lob für meine Folgsamkeit. Ich blieb stumm sitzen, drehte mich nicht zu ihr um und hörte nur zu.
Sie ging durch mein Wohnzimmer, sah sich die Regale an, blieb am CD-Regal stehen.
„Komischen Musikgeschmack haben Sie.“
Ich konnte ihre Schemen aus den Augenwinkeln erkennen. Mühsam nur. Ganz langsam wendete ich den Kopf. Es war, als würde sich jede Faser meiner Halsmuskeln gegen die Bewegung wehren.
Sie sah genauso aus wie immer. Chucks, ausgefranste und verwaschene Jeans, ein enges, ausgeblichenes T-Shirt.
Was hatte ich erwartet? Es war ihre normale Kleidung. Wie hätte sie sonst hier auftauchen sollen? In einem Lackoverall wie Catwoman mit einer langen Peitsche lässig in der Hand?
Mehr jedenfalls als ihre normalen Klamotten.
Begriff sie die Situation? Begriff sie, worum es hier ging? Dass dies ein feierlicher Moment war? Etwas Besonderes?
Ihre Schritte kamen näher.
Nun stand sie hinter mir.
Ich hielt den Atem an.
Was würde sie tun?
Der Gedanke schoss mir durch den Kopf. Sie würde mit beiden Händen meinen Kopf packen, zu sich herumdrehen, über mich herfallen und mich wild küssen. Keiner dieser zarten Küsse, sondern ein harter, verlangender, brutaler Kuss. Ihre Arme würden mich umschließen, ihre Finger würden sich in meinen Rücken krallen und vom Stuhl reißen. Wir würden uns auf dem Boden wälzen, und ich würde mich ihrer Führung ergeben.
Nichts davon geschah.
Stattdessen stand sie hinter mir und schwieg.
Hinter mir.
Sah mich an.
Das fühlte ich.
Und dann sprach sie:
„Wissen Sie, ich habe mir lange überlegt, wie ich das hier anfangen soll. Ich finde dieses SM-Zeugs irgendwie spannend. Ich habe viel danach gesucht. Im Internet und so. Ich sehe mir Bilder und Videos an und lese Geschichten. Sie auch?“
Sie erwartete keine Antwort, und ich war froh, dass ich nicht antworten musste auf diese Frage. Ja. Ich hatte das auch getan. Erst in dieser Woche hatte ich damit begonnen, aber ja, ich hatte mich auch darüber informiert. Ein wenig nur, aber es hatte mich erschreckt, was es alles gab an Perversitäten, und es hatte mich erschreckt, dass ich in diese Welt eintauchen wollte. Dass ich solche Neigungen in mir entdeckt hatte.
Ich hatte das mit einer Mischung aus Erregung und Abscheu zur Kenntnis genommen. Da waren diese Bilder, die mich erregten. Ich stellte mir vor in der Situation dieser Opfer zu sein, stellte mir vor, wie es sein musste, für jemand anders zu leiden und dadurch meine Zuneigung und meinen Gehorsam auszudrücken. Meine vollkommene Zuneigung und meinen bedingungslosen Gehorsam.
Ich hatte mich aber auch schuldig gefühlt, denn was ich dort sah, waren teilweise kranke Dinge, und ich wollte nichts mit ihnen zu tun haben, sie mir nicht zu eigen machen. Ich wollte nicht in diese Welt gehören. Ich hatte mich angewidert davon abgewandt und hatte mich am nächsten Tag doch wieder vor dem Rechner gefunden und war auf die gleichen Seiten gesurft.
„Wissen Sie, ich finde das alles so albern. Rollenspiel und Kerker und Auspeitschen. Das machen diese Goths auch so, aber ich finde, das ist Karneval und Kinderkram. Stehen Sie auf so was?“
Nun erwartete sie eine Antwort.
„Nein.“
„Gut, denn das werde ich auch nicht machen. Hier die Gutsherrin aus dem Mittelalter spielen mit dem Folterkeller und so. Ich bin nicht Ihre Herrin und Sie sind nicht meine Sklavin oder so. Es wird keine Verträge geben und keine idiotischen Anreden. Verstanden?“
„Ja.“
Meine Stimme war belegt.
„Ich kann mit diesem ganzen Domina-Kram nichts anfangen. Schreiende Frauen mit motzigen Gesichtern und Reitpeitschen und so. Das ist nicht mein Ding. Korsetts und Lackstiefel. Stehen Sie auf so was?“
Ich schüttelte den Kopf, ohne die Antwort wirklich überlegt zu haben. Aber sie suggerierte das Nein in ihrer Frage. Dann war es auch mein Nein:
„Nein.“
„Gut. Ich auch nicht. Wissen Sie, ich habe mir überlegt, wie ich das hier machen soll. Das erste Treffen und so. Ist ja schon wichtig. Der erste Eindruck. Ich dachte, ich lasse Sie vielleicht wie ein Hund über den Boden krabbeln und bellen. So als Zeichen der Erniedrigung oder als Test. Wie hätten Sie das gefunden?“
Sollte ich darauf antworten? Erniedrigend und falsch. Das waren meine Gedanken. Konnte ich die aber so äußern? Ich sagte nichts.
„Es hätte mich interessiert, ob Sie so was mitmachen. Aber ich fand es dann doch eine doofe Idee. Sie sind kein Hund für mich. Ich weiß nicht, was Sie sind. Keine Ahnung, was das hier überhaupt werden wird. Ich meine, ich will ehrlich sein. Ich habe so was noch nie gemacht. Vielleicht machen Sie ja ständig solche seltsamen Sachen. Dann würde ich Sie enttäuschen. Aber Sie wissen ja, worauf Sie sich einlassen. Haben Sie so was schon gemacht?“
„Nein.“
„Na, dann sind wir ja auf einem Level. Also, keine Hundesachen für den Anfang. Wir werden sehen, wie es weiter geht. Vielleicht macht es mir ja Spaß, Sie für mich bellen zu lassen. Irgendwann.“
Ihre Offenheit überraschte mich. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit solch einer offenen Reflexion. Es war keine Enttäuschung, die sich in mir breit machte, aber die Anspannung ließ ein wenig nach, obwohl ich im Hinterkopf den Gedanken hatte, dass solch eine rational denkende Herrin weitaus gefährlicher wäre.
„Ich dachte, ich mach das mal langsam, und wir sehen, was passiert. Sie haben mir die Tür offen gelassen, Sie haben meine Anweisungen befolgt und sogar auf mich gewartet. Ganz artig. So in etwa hatte ich mir das vorgestellt. Mir scheint, wir werden viel Spaß miteinander haben“. Sie schwieg eine Weile. „Wie fühlt sich das an, mir zu gehorchen?“
Ich zögerte. Es war mir peinlich. Die Stille erwartete eine Antwort.
„Es fühlt sich ungewohnt an.“
„Was ist das denn für eine Erklärung? Ein wenig mehr Mühe hätten Sie sich schon geben können. Meine Güte!“
„Es ist nur, dass es so neu für mich ist.“
„Na, das werden wir schon ändern!“
Sie lachte.
„Ich war mir auch nicht sicher, ob Sie es sich nicht anders überlegen. Das hier, das ist doch bestimmt nicht erlaubt, oder? So Schülerin und Lehrerin? Auch wenn Sie mich nicht unterrichten und wir in der Schule nichts miteinander zu tun haben. Das ist doch bestimmt alles illegal oder zumindest nicht im Sinne des Erfinders. Wie sieht das so aus?“
Ehrlich gesagt wusste ich das auch nicht. Man hörte schon mal von Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern. Es gab da etwas wie Unzucht mit Abhängigen oder so ähnlich, aber wie das mit Schülern war, die man gar nicht unterrichtete, das konnte ich nicht sagen.
„Ich glaube nicht, dass es im Sinne des Erfinders ist. Wenn es herauskäme, hätte es sicher üble Konsequenzen für mich.“
„Und trotzdem riskieren Sie das. Soll ich sagen: Respekt für Ihren Mut oder wie blöd kann man sein?“
Ich hatte mich das auch schon gefragt.
„Ich weiß es nicht. Mir geht es nicht um Mut.“
„Sie haben’s einfach so richtig nötig, nicht wahr?“
Sie war mir einen Schritt näher gekommen.
Ich spürte ihre Nähe nun.
Ihre Präsenz.
Und dann legte sie ihre Hand auf meinem Hals, am Haaransatz.
Ich zuckte zusammen.
„Ganz ruhig! Es passiert nichts.“
Ihre Stimme hatte sich gewandelt. Sie hatte nicht mehr diese grau schimmernde Überlegenheit geschmiedeten Stahls, sondern war nun sanfter, fast fürsorglich.
„Mir gefällt Ihr Hals. Der ist mir schon früh an Ihnen aufgefallen. So schlank und schön geformt.“
Langsam streichelte sie mich mit einem Finger, und ich ließ es geschehen. Nach all den Worten endlich eine Berührung, endlich ein physischer Akt, und wenn es auch nur ein winziger war.
Es war falsch.
Die Gänsehaut, die sich über mich ergoss, sagte mir, dass es richtig war.
Meine Nerven schrien nach ihrer Berührung. Meine Nackenhaare stellten sich auf, der lang ersehnte Körperkontakt. Eine erste Verbindung zwischen uns. Und so sehr ich es genoss, so sehr fraßen Zweifel und schlechtes Gewissen an mir. Es waren die Finger einer Schülerin, die da über meine Haut glitten, mich erregten, mich nach mehr sehnen ließen.
Sie war eine Schülerin.
Es war falsch.
Es war schön.
Ich lehnte mich ihrem Finger entgegen, der um meinen Hals herum gefahren war, einer Linie meines Körpers gefolgt war, an der kleinen Erhöhung meines Adamsapfels kurz angehalten hatte, dann hinunter mäandert war in die Senke zwischen meinen Halssehnen, von da der Linie meines rechten Schlüsselbeins gefolgt war, bis der Kragen meiner Bluse den weiteren Weg versperrte.
Ich hatte die Augen geschlossen und stellte mir vor:
Wie ihre ganze Hand hoch fuhr, meinen Hals wieder hinauf, bis zu meiner Wange. Wie ihre Hand Druck auszuüben begann und meinen Kopf zur Seite drehte. Nicht gewaltsam, aber doch bestimmt. Ich folgte ihrer Bewegung, drehte den Kopf nach links, soweit ich konnte, bis ein Ziehen in meinen Muskeln andeutete, dass es nicht weiter ging. Ihre Hand hatte nun mein Kinn umfasst, um mehr Kontrolle zu bekommen. Daumen und Zeigefinger drückten leicht in meine Wangen, und ich verstand das Signal und öffnete meine Lippen leicht und verführerisch.
Ich wollte ihr gefallen. Mit den leicht geöffneten Lippen, wie eine frische Blüte. Rot und unwiderstehlich. Wenn sie mir doch nur das gäbe, nach dem ich mich verzehrte. Den lang ersehnten Kuss. Die Erlösung meines Sehnens. Keine Worte mehr. Nur noch Taten. Nur noch Küsse und Berührungen.
Aber sie verwehrte ihn mir.
Sie spielte einfach weiter mit ihrem Zeigefinger an meinem Hals, brachte meine Haut, meine Nerven zum Schreien. Zum Schreien nach mehr. Ich wollte es. Wann würde sie damit aufhören und mir das geben, was ich brauchte, nach dem ich verlangte?
Warum quälte sie mich so?
In diesem Moment erkannte ich, wie es sein würde. Das dunkle Tier meiner Gelüste, das ich in mir gespürt und weggeschlossen hatte. Nun stand es plötzlich da, zeigte sich auf einer Lichtung im Mondschein. Da stand es und ließ sich betrachten, und ich verstand.
Ich saß dort und nahm die Brosamen entgegen, die Liz mir hinwarf. Einen einziger Finger. Und ich reckte mich ihm entgegen, wollte doch noch viel mehr.
Liz spielte, und sie frustrierte mich.
Sie hätte in diesem Moment alles haben können. Ich war bereit, vor ihr auf die Knie zu fallen und um mehr zu bitten und zu betteln.
Ich war bereit, mich ihr zu öffnen und ihr alles zu geben, was sie wollte. Ich würde auch wie ein Hund im Zimmer umher kriechen und bellen, wenn sie mir dafür nur das gab, was ich brauchte. Mehr als diesen einen Finger.
Wie perfide!
Wusste sie, was sie da mit mir anstellte?
Wusste sie ihrer Wirkung?
Woher hatte sie das Wissen?
Nie zuvor hatte man mich mit einem Finger so berührt.
Wie ignorant und uninteressiert sie sich meinen Wünschen gegenüber gab!
Und dann tat sie noch etwas. Ähnlich in seiner Beiläufigkeit und in seiner Symbolik.
Während ich mich da nach ihr verzehrte, nach dem Finger, der mir den Haaransatz entlang fuhr und mich in Aufruhr versetzte, stellte sie klar, wie wenig ihr das alles bedeutete und wie weit weg sie von mir war. Wie weit über mir.
Sie machte eine spöttische Bemerkung.
„Sie sind ja rollig wie ein ungeficktes Miezekätzchen! Tss!“
Und ich versank vor Scham in den Boden wie ein ertapptes Kleinkind! Ertappt von einer 19-Jährigen.
Ja, sie hatte Recht. Ich war erregt. Sie hatte mich erregt, und dann warf sie mir genau das vor, mit einer Kälte und Überheblichkeit, mit einer schneidenden Stimme und Herablassung. Welche Hoffart darin lag!
Sie spielte mit mir. Erst machte sie mich heiß, nur um mich dann mit einem einzigen Satz zu Boden zu treten.
Und ich genoss es, in dieser Zerrissenheit zwischen Lust und Schuld hin und her gezerrt zu werden.
Ich genoss es, wie ein Verbrecher sich an seinen niederträchtigen Taten entzückte.
Wie klein ich mich fühlte und wie geil!
Ich glaube, sie hätte mich nur mit diesem Finger an meinem Hals und der von ihr geschaffenen Situation zum Höhepunkt gebracht, wenn sie nicht auf einmal einen Schritt zurück gemacht und das Spiel beendet hätte.
„Wissen Sie, das geht mir hier alles ein bisschen zu schnell mit Ihnen. Dass Sie so eine sind, das hätte ich nicht gedacht. Ich glaube, Sie brauchen eine kalte Dusche, um wieder runterzukommen.“
Wieder dieser Spott und diese Herablassung in ihrer Stimme.
„Haben Sie erwartet, dass wir heute in der Kiste landen?“
Ihr Schweigen verlangte eine Antwort.
„Nein. Ich habe nichts erwartet. Ich habe nichts zu erwarten.“
„Das ist ja mal ein kluger Satz. Frau Klugscheißerin! Ich habe nichts erwartet, Ich habe nichts zu erwarten! Sie sind mir ja eine richtige kleine Dichterin!“
Sie lachte wieder.
„Ich habe es auch nicht erwartet, obwohl ich die bin, die von Ihnen Dinge erwarten kann. Mhh, der Satz war nicht so schick wie Ihrer. Tja, Sie können sich klüger ausdrücken als ich. Dafür könnte ich Sie bestrafen. Ich könnte Sie übers Knie legen. Jetzt und hier. Und Sie würden geil finden. Wenn ich das so abwäge – kluge Worte auf der einen Seite, die Macht auf der anderen, dann stehe ich auf der richtigen Seite. So sehe ich das zumindest.“
Sie ging wieder in meinem Wohnzimmer umher.
„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Was haben Sie erwartet? Ich habe mich gefragt, ob Sie die schicken Dessous für mich anziehen würden, die so jemand wie Sie sicher in der Schublade hat, oder ob Sie die Baumwollschlüpfer tragen, die Sie jeden Tag anhaben.“
Der Gedanke war mir gar nicht gekommen, musste ich gestehen. Ich hatte natürlich auch ein paar sexy Teile, aber mir war gar nicht der Gedanke gekommen, die zu tragen. War das ein Zeichen von Respektlosigkeit?
„Nein, ich trage meine normale Unterwäsche.“
„Mhh, so ein bisschen enttäuscht bin ich schon, wenn ich ehrlich bin. Mehr Mühe hätten Sie sich geben können! Aber ich will mich trotzdem selbst überzeugen. Stehen Sie auf!“
Der Imperativ kam nicht scharf, sondern in der gleichen gleichgültigen Intonation, die sie das ganze Gespräch über schon benutzt hatte. Ich fand mich auf den Beinen, bevor mein Verstand das d’Accord gegeben hatte.
„Machen Sie mal Ihre Jeans auf und ziehen Sie die ein bisschen runter!“
Mein Herzschlag beschleunigte sich wieder.
Meine Finger zitterten ein wenig, ich musste zweimal greifen, bis ich den Knopf geöffnet und den Reisverschluss ein wenig hinunter gezogen hatte.
Ich hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen ein und zog die Jeans ein wenig nach unten. Zehn Zentimeter. Hätte Liz nicht stopp gesagt, ich hätte sie ganz hinunter gezogen.
„Einen Strip brauchen Sie hier nicht hinzulegen. Ich sehe schon, was ich wollte. Mein Gott, Sie sind wirklich rattig, was?“
Sie lachte wieder, und wieder versank ich im Boden vor Scham.
„Setzen Sie sich. Es sind wirklich nur die hässlichen Baumwollschlüpfer aus dem Fünferpack. Naja, was soll’s. Ich nehm Sie, wie es mir passt, und wenn es mir nicht passt, dann sage ich Ihnen einfach, wie ich es gerne hätte, und Sie werden das dann machen.“ Sie stakste ein wenig durch mein Wohnzimmer. „Fürs Erste hab ich genug gesehen. Ich werde meinen Spaß mit Ihnen haben, das ist aber mal sicher. Ich gehe jetzt, und Sie bleiben noch, sagen wir eine halbe Stunde hier so sitzen. Einfach nur, um mir zu gefallen. So wie jetzt. Man kann Sie von der Straße beobachten. Rutschen Sie noch einen Tick näher ans Fenster, dann muss ich den Kopf nicht so strecken, um einen guten Blick zu erhalten.“
Ich gehorchte.
„Ich melde mich bei Ihnen!“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also blieb ich stumm.
Ihre Schritte verschwanden in meinem Flur, mit einem lauten Knall fiel die Wohnungstür zu, mit einem gedämpfteren wenig später die Haustür.
Ich versuchte sie aus meiner sitzenden Position unten zu erspähen, aber ich konnte in der Dunkelheit nichts sehen. Sie mochte in einem Schatten stehen. Vor meiner Haustür stand keine Straßenlaterne. Ein Zustand, den ich schon mehrmals verflucht hatte, als ich nachts nachhause gekommen und den Schüssel gesucht hatte.
Sie war fort.
Ich saß immer noch dort.
Gedemütigt und klein, wie ein geprügelter Hund.
Nie hatte ein Mensch in solch einer Position so mit mir geredet.
Nie hatte jemand von mir verlangt, dass ich mich ihm beim ersten Gespräch so öffnete.
Nie hatte man sich meinen Gefühlen gegenüber so gleichgültig gezeigt.
Nie hatte man mich so klein gemacht.
Nie hatte sich das so gut angefühlt.
Ich hatte nicht mal ihre Augen gesehen. Die ganze Zeit über hatte ich in die Nacht gestarrt. Sie hatte sich mir nicht ein einziges Mal gezeigt. Wie gerne hätte ich sie angesehen! Sie hatte es mir verweigert.
Und doch war ich erfüllt und erleichtert. es fühlte sich ebenso richtig an, wie es falsch sein mochte. Aber die Zweifel waren fortgespült. Ich hatte keine Wahl, als mich ihr zu ergeben.
Ich saß keine halbe Stunde dort, sondern eine ganze. Ob Liz mich immer noch beobachtete, als ich mit schweren Gliedern und gesenktem Kopf endlich aufstand, um ins Bett zu gehen, konnte ich nicht sagen. Es war meine Geste der Dankbarkeit, länger zu verharren als gefordert. Wenn sie mich beobachtete, sollte sie wissen, dass ich ihr zu gehorchen gewillt war. Ich würde folgsam sein und tun, was immer sie mir auftrug.
Ich überlegte, ob ich die kalte Dusche, die sie mir verordnet hatte, wirklich noch nehmen sollte. Aber das Eis der Arktis hätte das Feuer in meinem Schoß nicht löschen können. Und keine Ketten der Welt hätten meine Hände in dieser Nacht davon abhalten können, zwischen meinen Schenkeln zu wühlen.
Dreizehn
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, erschien der der vergangene Abend unwirklich.
Ich räkelte mich in meinem Bett und hatte ein bekanntes Gefühl. Ich war verliebt. Widersinnig erschien es. Ich war verliebt in ein junges Mädchen, von dem ich wenig mehr wusste als das, was in ihrer Schulakte stand und was ich beobachtet hatte.
Ich war nicht in Liz verliebt. Das würde kommen, wie ich hoffte. Sie war mir fremd. Was hatte ich mit ihr gemein? Würde ich mich mit ihr unterhalten können? Über Kultur, über Mode, über Politik? Würde ich mit ihr klönen können? Das erschien mir alles unwahrscheinlich. Sie war eine Schülerin mit den Interessen von Schülerinnen. Es war nicht mein Stil, mich vor den Schülern wie eine von ihnen zu geben. Das hatte ich immer als Anbiederung empfunden. Wir würden nicht beste Freundinnen werden. Wir würden etwas anderes werden. Wir würden nicht reden müssen, ich würde einfach zu ihren Füßen liegen. Ich wäre glücklich zu gehorchen, sie wäre glücklich zu gebieten. Wir wären ein perfektes Paar.
Wie eine junge Liebe, aber eben eine Liebe nicht zu einem Menschen, sondern einer Position, einer Hierarchie, einer Lebenseinstellung.
Ich stand auf, widmete mich meinem Tag und empfing von Kollegen und Schülern erstaunte Blicke und anerkennende Bemerkungen wegen meiner guten Stimmung. Das erstaunte mich ein wenig. Welches Bild gab ich wohl gemeinhin ab, wenn man mich nun so lobte? Verhielt ich mich wirklich so anders? Machte ich bereits jetzt auf mich aufmerksam? Nein, ich hatte nichts zu befürchten. Ich war einfach gut gelaunt, was war daran? Man würde mir einen Grund unterstellen, und er wäre so weit von der Realität, dass ich nichts zu befürchten hätte.
So langsam der vergangene Tag verstrichen war, so schnell und kurzweilig verlief dieser.
Ich ertappte mich dabei, dass ich an freien Augenblicken an Liz dachte.
Was mochte sie wohl jetzt machen, dachte sie an mich wie ich an sie? Was würde sie denken? An den letzten Abend? An den nächsten vielleicht sogar schon?
Ich sah sie einmal im Gang nach der Pause. Sie verschwand gerade in einem Klassenraum und sah mich nicht. Ich überlegte kurz, ob ich nicht einen Vorwand suchen konnte, um in den Klassenraum zu gelangen, dort irgendeine Bagatelle von der Lehrkraft zu erfahren, um einen kurzen Blick auf sie werfen zu können.
Aber ich entschied mich dagegen. Die Frage erhob sich, wie wir beiden eigentlich miteinander umgehen würden in der Schule. Das lag nicht an mir. Das war ihre Sache.
Am Abend hatte ich einen kleinen Durchhänger, weil ich Liz erwartete. Ich hatte keinen Grund, sie hatte sich nicht angekündigt, ich hatte keine Anweisungen erhalten. Aber irgendwie erwartete ich, dass sie bei mir auftauchen würde. Ich öffnete gar die Türen wie am vorherigen Abend und wartete. Mir kam gar der Gedanke, mich wieder vor das Fenster zu setzen, aber ich verwarf es. Meine Arbeit litt beträchtlich, ich konnte mich auf nichts konzentrieren, aber ich hatte schon irgendwie damit gerechnet.
Ich sah ständig nach draußen und hielt nach ihr Ausschau, lief durch die Wohnung, versuchte mich abzulenken. Ich staubsaugte die Wohnung noch spät abends und räumte meinen Kleiderschrank auf. Manuelle Arbeit, die keine Konzentration erforderte, aber Zeit totschlug.
Aber sie ließ sich nicht blicken.
Kurzzeitig bekam ich Zweifel. Hatte sie es sich anders überlegt, hatte ich am Tag zuvor etwas falsch gemacht, hatte sie keine Lust mehr? Aber diese Zweifel erhielten kein Gewicht. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich einfach zu ungeduldig war. Und wie sie mich am Tag zuvor fast eine Stunde hatte warten lassen, ließ sie mich auch jetzt warten. Es war einfach eine Masche. Sie hatte am Tag zuvor keine Zweifel geäußert, sie hatte Vorfreude signalisiert. Ich musste mir keine Gedanken machen. Die Gewissheit, sie in dieser Sache zu durchschauen, gab mir ein Gefühl der Kontrolle.
Ich räumte also meinen Schrank auf, fand dabei auch einige Dessous wieder, die Hans mir geschenkt hatte und die ich eigentlich hatte wegwerfen wollen, weil sie mit schmerzhaften Erinnerungen vergiftet waren. Ich drehte den dünnen Stoff zwischen meinen Fingern, probierte sie sogar an, posierte vor dem Spiegel und fand mich ausgesprochen hübsch und sexy. Wenn ich mich auch eigentlich selbst nicht als übermäßig attraktiv empfand. Ich hatte mich immer mehr über meine Bildung und meine kulturellen Interessen definiert als über Äußerlichkeiten.
Daher hatte ich eigentlich auch immer ein gespaltenes Verhältnis zu aufreizender Kleidung, zu tiefen Ausschnitten, kurzen Röcken und Dessous. Letztere hatte ich getragen, weil es meine Partner aufreizte, nicht weil ich mich selbst darin gut fühlte. Das hatte bisher in meinem Leben keine Rolle gespielt.
Aber als ich mich so vor dem Spiegel drehte und betrachtete und mich der Komplimente erinnerte, die Liz mir gemacht hatte, da konnte ich nicht anders als mich hübsch zu finden. Ich war kein Model, aber immerhin!
Meine Brüste waren nicht übermäßig groß, aber gleichmäßig und wohl geformt, meine Schenkel waren noch straff, obwohl ich nichts dafür tat, selbst mit meinen Hüften, die ich früher als zu breit empfunden hatte, war ich im Reinen.
Liz hatte einen guten Fang gemacht. Sie hatte Geschmack, das musste man ihr lassen.
Ich war mit mir zufrieden. Dazu trug sicherlich auch die Flasche Rotwein bei, die ich aufgemacht hatte und die am Ende des Abends leer war und mir ein schlechtes Gewissen bereitete.
Ich ging mit einem guten Gefühl und ein wenig zu beschwipst ins Bett an diesem Abend.
Der nächste Tag wurde ein wenig hektischer, und ich war dankbar dafür. Mit einem Haufen kleiner Aufgaben wurde ich konfrontiert. Hier und da wollten Kollegen etwas, Schüler suchten mich auf mit Problemen, die für sie durchaus belastend und teilweise schwerwiegend und für mich leicht zu lösen waren. Ich hatte das Gefühl, gebraucht zu werden und eine sinnvolle Arbeit zu leisten, die etwas bewirkte und zu etwas führte. Was wollte man mehr?
Um halb drei verließ ich die Schule, war müde, hungrig, erschöpft, aber auch zufrieden. Ich hatte gute Arbeit geleistet und viel geschafft.
Als ich an meinem Auto stand, die Taschen auf den Rücksitz gewuchtet hatte und schon die Hand an der Fahrertür hatte, war sie da.
Ich erschrak, als sie die Hand auf meine Schulter legte und mich umdrehte.
„Ich habe auf Sie gewartet. Seit eins!“
„Oh!“, was sollte ich sagen? Ich hatte das nicht gewusst. Es war nicht ungewöhnlich, dass ich länger an der Schule blieb, um dort zu arbeiten.
„Das tut mir leid, ich wusste nicht, dass ...“
„Seien Sie still“
Liz packte mich an der Hand und zog mich in das Gebüsch hinter dem Lehrerparkplatz.
Ich folgte ihr, ganz perplex. Sie schien wütend. Was hatte ich falsch gemacht? Wir hatten keine Verabredung oder so gehabt. Wenn sie so lange auf mich gewartet hatte, dann war das doch nicht meine Schuld. Wie hätte ich das wissen können?
Die Äste klatschten gegen meine Stirn, als wir durch einen ausgelatschten Weg liefen. Ich wusste, dass die Schüler hier immer heimlich rauchten, man munkelte, dass hier Drogen verkauft oder konsumiert würden. Manche Kollegen berichteten von süßlichem Rauch, der aus der Ecke aufstieg. Ich konnte dazu nichts sagen. Meine Drogenerfahrungen gingen gegen null. Ich sah nur den Müll, die zerknüllten Trinkbecher. Kein sonderlich idyllischer Ort.
Sie zog mich bis in die hinterste Ecke, drehte mich um und schubste mich gegen die Bretterwand des angrenzenden Grundstücks. Ich knallte mit Wucht dagegen, dass meine Schulterblätter schmerzten und die Wand bedrohlich nachgab und wackelte. Zwei Gärten weiter bellte ein Hund.
Sie blickte mich böse an, und stand näher an mir, als man das gewöhnlich tat.
Ich spürte ihren Atem auf meinem Gesicht. Er roch ein wenig süßlich, als hätte sie einen Orangensaft getrunken.
Zum ersten Mal fielen mir ihre Augen wirklich auf. Dass sie grün waren, hatte ich vorher schon registriert, aber nun bemerkte ich erst, wie schön sie waren. Ein wenig wässrig im Zentrum mit kleinen braunen Spritzern und kräftiger an den Rändern.
Sie bewegten sich nervös und aufgebracht hin und her, fanden meine Augen, die mit gutem Willen so ein wenig bläulich, eigentlich aber eher unscheinbar grau waren. Unsere Blicke verfingen sich ineinander, und ich sah, wie sie meinen Blick erwiderte und ruhiger wurde. Ich betrachtete ihr Gesicht. Die helle, bleiche Haut, die wenig Sonne zu sehen bekam, aber dadurch auch ein wenig vornehm aussah, die schmalen Augenbrauen, die sich über ihren Augen schwangen. Aus dieser Nähe war sie schön wie die Prinzessin eines fernen, dunklen Landes.
Ihre Augen musterten nun auch mich. Sie blickten auf meine Nase. Was war an der besonders? Folgten hinauf zu meiner Stirn, meinem Haaransatz. Sicher nahm sie wahr, dass die Färbung raus gewachsen war und das konturlose Braun meiner natürlichen Haarfarbe die blonde Färbung zu vertreiben begonnen hatte. Sie blickte auf meine Brauen, die ich ein wenig zu breit empfand und an ihren Ansätzen diesen kleinen Wulst hatten, den ich nicht mochte. Wieder hinunter zu meiner Nase, zu meinen Lippen, auf die ich stolz war, die durchaus Volumen hatten und mit aufgetragenem Lippenstift kräftig leuchteten. Ihr Blick folgte ihnen von einem zum anderen Mundwinkel, dann zu meinem Kinn hinunter, das ich früher als zu kantig empfunden hatte, das meinem Gesicht nun aber Kontur gab, wie ich fand. Dann wurde ihr Blick diffuser, meinen Hals glitt er hinunter. Er streifte meine Brüste, fand dort aber scheinbar nichts. Ich hatte den Blouson an, der keinen tiefer Einblick gewährte, also nahm ich ihr das nicht übel.
Ihr Blick konzentrierte sich wieder auf meine Augen.
Was sah sie darin?
Ich spürte ihren Blick, der sich tief durch meine Pupillen bohrte und etwas suchte.
Was fand sie?
Meine Ergebenheit oder meine Lust? Meine Hingabe? Meine Loyalität oder mein Vertrauen?
Es war einer dieser Momente, der nur einen Augenblick andauerte, aber wie eine Ewigkeit erschien. Ein Moment wie in einem Film eben, der mit aufwallender Streichermusik endete.
Wir wussten beide, was geschehen würde.
Und es geschah.
Mit beiden Hände knallte sie mich erneut gewaltsam gegen die Bretterwand, doch ich merkte nichts mehr davon, dass sie nachfederte, ich merkte auch nichts mehr von dem Hund, der wieder, aber nun wütender, bellte. Ich spürte nur noch ihre Lippen auf meinen.
Sie drückte sie mit solcher Wucht auf meinen Mund!
Es war kein Kuss, es war mehr wie der gierige Angriff eines Vampirs. Es war nicht zärtlich oder sinnlich, es war einfach nur hart und gewaltsam. Wie ein Raubtier sich in sein Opfer verbeißt.
Ihre Zunge drängte hervor, stieß in meinen Mund. Ich spürte die Kraft selbst in ihrer Zunge, die sich gegen meine drückte. Sie verschlangen sich ineinander, aber es war ihre, die die Richtung und die Bewegung vorgab, und meine Zunge konnte nur symbolischen Widerstand leisten. Sie hatte ihr nichts entgegenzusetzen.
Liz drückte meinen Kopf gegen die Bretterwand, unsere Oberkörper aneinander gepresst wanden sich, und ich glaubte ein Reißen zu hören oder zu spüren, als würde mein Blouson von einem Nagel zerrissen.
Was kümmerte es?
Ich spürte, wie sie schwer auf mich atmete, durch die Nasenflügel schnaubend wie ein Stier.
Immer wieder ihre Lippen, die mit meinen rangen, mit weit geöffneten Mündern. Einmal klickten unsere Schneidezähne gegeneinander, dass ich Sorge bekam.
Ihre Fäuste hatten erst mein Revers umkrallt, nun glitten sie roh über meinen Körper, umarmten mich, folgten den Linien meines Körpers, aber ohne Erkenntnisgewinn, sondern in erratischer Suche nach irgendeiner Erfüllung.
Meine Arme hielt ich starr an meinem Körper, folgsam und passiv, um ihren Händen nicht im Wege zu sein.
Sie schob mich den Zaun entlang in unserem Kuss, ich stolperte, hoffte, dass sie mich fangen würde, aber wir waren zu verschlungen, um uns mit Gravitation aufzuhalten. Ich knickte ein, und sie folgte mir, war über mir. Mein Knie fiel auf eine feuchte Stelle im Boden, ich dachte an den Flecken auf meiner hellen Hose, ob er wieder heraus ginge und daran, dass ich noch viel mehr solcher Male auf meiner Kleidung haben wollte. Liz könnte sich mit mir hier wälzen.
Oh täte sie es doch!
Ich würde jeden Fleck mitnehmen als stolzes Zeichen dessen, was sich hier abgespielt hatte.
Welch irrsinniger Gedanke in diesem Moment.
Halb hockten, halb lagen wir an diesem Zaun, meine Beine unangenehm gespreizt. Ich ignorierte das Ziehen in meinen Schenkeln, dafür spürte ich ihre Hände an meinem Hals. Mal griffen sie zu, dann ließen sie wieder locker, suchten sich eine andere Stelle, griffen wieder.
Ihr Knie lag irgendwie zwischen dem Dreieck, das meine Schenkel bildeten, auch in einer unvorteilhaften Position. Ich wünschte, dass es weiter vordrang, mich berührte, wo ich es brauchte. Ich versuchte mein Becken vorzudrücken, doch ihr gesamtes Gewicht lastete auf mir, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte und meine Bemühungen keine Frucht trugen, höchstens ungelenk aussahen.
Das hier hatte nichts mehr von der Choreographie eines Films. Hier war nichts mehr manieriert oder stilisiert.
Als sie sich von mir löste und aufstand, blieb ich in meiner unangenehmen Position verharren. Es schien mir richtig, ich richtete nur ein wenig meine verrenkten Glieder, mehr nicht.
Ich wollte, dass sie auf mich hinab sah in meinen Kleidern, die verknittert, verrutscht und verdreckt waren. Sie sollte über mir stehen und auf mich herabblicken. Sie sollte spüren, was gerade geschehen war. Und ich wollte sie über mir stehen sehen. Wie ein Besiegter auf seinen Gegner hinauf schaut. Geschlagen und hilflos auf dessen Gnade angewiesen.
Sie tat mir den Gefallen, stand dort, stumm, ihre Brust hob und senkte sich nach der Anstrengung. Auch sie war erregt.
Liz sagte nichts, es war einfach ihr Blick von oben herab. Als sie ihren Fuß bewegte, zuckte ich zusammen. Ich hatte befürchtet, dass sie mir einen verächtlichen Tritt verpassen könnte. Aber sie tat nichts. Unsere Blicke trafen sich. Ihrer stählern, meiner geschlagen. Ein winziges Lächeln zog sich über ihr Gesicht.
Sie drehte sich um und verschwand durch das Gestrüpp. In wenigen Augenblicken war sie verschwunden, und ließ mich dort zurück.
An diesem Ort, der mir nun so unpassend erschien für das, was gerade passiert war. Langsam nahm ich den Hund wahr, der immer noch, wenn auch lustloser bellte und protestierte.
Ich spürte meine verrutschte Kleidung, zog sie ein wenig zurecht, spürte nun auch den leichten Schmerz an meinem Mund von diesem rohen Kuss, griff mir an den Mund, um zu sehen, ob ich blutete. Aber die Feuchtigkeit, die mein Zeigefinger aufnahm war nur Speichel. Meiner und ihrer untrennbar vereint. Ich müsste ihn eigentlich konservieren. Irgendwie aufbewahren für die Ewigkeit. Ich ließ meinen Finger sinken, ohne ihn abzuwischen
Trotzdem schmeckte ich den erdigen und metallischen Geschmack von Blut. Nicht stark, nicht dominant, aber dennoch unzweifelhaft. Wieder kam mir das Bild des Vampirs in den Sinn.
Ich mochte noch einige Minuten dort verharrt haben, dann war ich wieder so weit zu mir gekommen, dass mein Verstand lästige Fragen stellte. Was, wenn mich hier jemand fände? Wie würde das aussehen? Was würde man denken oder sagen?
Ich raffte mich mühsam auf, strich meine Kleidung glatt und stakste ungelenk durch das Gebüsch auf den Parkplatz zu meinem Wagen. Die Fahrertür war immer noch angelehnt.
Ich stieg ein, steckte den Schlüssel ins Schloss, aber drehte die Zündung nicht um.
Ich musste mich erst sammeln.
Vierzehn
Der Treffpunkt war eine Grillhütte am Rande des Stadtwaldes freitagabends.
Die Jogger waren längst weg.
Es war stockfinster.
Ich war am Tag zuvor bereits dort gewesen, um sicher zu stellen, dass ich den Ort finde. Nun stapfte ich durch die Dunkelheit. Das Licht der Taschenlampe meines Handys half mir mehr schlecht als recht. Einmal knallte mein Kopf an einen Ast, den ich vor lauter Beobachtung des Bodens nicht gesehen hatte. Ich fluchte in die Dunkelheit und musste dann unwillkürlich über mich selbst schmunzeln. Wahrscheinlich bot ich ein lächerliches Bild im Kampf mit dem Weg und den Dornen, die nach meiner Jeans griffen und daran zerrten.
Schließlich erreichte ich die Hütte.
Es roch schwach, aber eindeutig nach Urin. Um diese Abendstunde war es still.
Das Rauschen der Stadt war weit weg und mehr zu erahnen als wirklich zu hören. Meine Augen starrten in die Dunkelheit der Hütte. Kein Lichtstrahl drang herein und keiner heraus.
Ich stand unschlüssig davor. War Liz schon da oder ließ sie mich wieder warten? Sollte ich eintreten? Ich war von dem Gedanken nicht begeistert. Denn ich vermutete, dass der Urin-Gestank seinen Ursprung in der Hütte hatte. Der Ort war nicht sehr angemessen. Weder romantisch noch sonst wie passend. Es war der Ort, an dem sich verboten Liebende heimlich trafen. Ein Notbehelf, ohne Stil oder Aura. Vollkommen kontraproduktiv in seiner Atmosphäre.
Liebe.
Wieder so ein Wort, das nicht richtig klang.
Der Treffpunkt der verboten Liebenden.
Geheime Raucherecken hinter der Schule, Tiefgaragen, öffentliche Bedürfnisanstalten, Autobahnbrücken?
Der beißende Geruch getrockneten Urins ein ständiger Begleiter? So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Vielleicht war das nur Ausdruck eines kulturellen Altersunterschieds. An solchen Orten verbrachten Jugendliche, die knapp bei Kasse waren und nicht im Einkaufszentrum lungern wollten, einen Teil ihrer Freizeit eben. Die trafen sich nicht in gestylten Kaffeehäusern, wählten zwischen Hundert Sorten Kaffee aus und surften auf ihren Laptops im W-Lan.
Vielleicht war ich einfach zu alt für so etwas. War ich zu alt für sie?
Dumme Fragen, die ich wegwischte.
Ich war angekommen. Stand an dem Eingang, und aller Ärger, alle Rationalität, streifte ich ab. Was blieb, war das Herzklopfen und die Erwartung.
Ein letztes Mal beschäftigte mich die Wahl des Ortes. An solch einem Ort zu solch einer Zeit stellte ich mir vor, dass sich nur Psychopathen dort aufhalten würden.
Ich blieb vor dem Eingang stehen und versuchte irgendetwas zu erkennen oder zu hören. Es dauerte nur einige Augenblicke, aber ich war so auf meine Sinne konzentriert, dass ich furchtbar erschrak, als plötzlich das leise, aber unerwartete Ratschen des Feuerzeugs ertönte und ein gespenstiger Lichtstrahl auf Liz’ Gesicht fiel, als sie ihre Zigarette anzündete.
Das Licht des Feuerzeugs erlosch nach wenigen Sekunden wieder. Es reichte aber, dass ich sie erkennen konnte. Sie saß lässig auf einer Bank, hatte einen Arm über die Holzlehne ausgestreckt und ein Bein angezogen auf der Sitzfläche der Bank stehen.
Wieder eine dieser überlegten Posen. War Liz so plakativ oder versuchte sie mir damit angestrengt eine Nachricht zu übermitteln?
Was nach dem Erlöschen der Flamme blieb, war das Glühen der Zigarette, das einen Teil ihres Gesichtes schwach erleuchtete und in ein warmes, aber auch diabolisches Licht tauchte.
„N‘Abend“, unterbrach sie die Stille.
„Guten Abend.“
„Ich habe Sie von weitem kommen hören. Sie sind ganz schön durch das Gestrüpp getrampelt.“
Ich hatte schon angesetzt, mich zu rechtfertigen, hielt dann aber inne, und entschuldigte mich mit leiser Stimme.
„Ist halt dunkel. Sie müssen sich nicht entschuldigen.“ Eine kurze Pause. „Auf der anderen Seite mag ich das. Sie haben Manieren. Es ist nicht ihre Schuld, trotzdem entschuldigen Sie sich. Das nennt man wohl devot. Ich lerne im Moment viel über all das hier. Aus dem Internet und so.“
Ich blieb stumm und sah mich um. Erst jetzt erkannte ich, das Kletterseil vor mir auf dem Boden. Gelb und schwarz gemustert, locker aufgerollt.
Sofort war das Gespräch vergessen, und die Frage rückte in den Vordergrund, was es mit diesem Seil auf sich hatte?
Würde sie mich fesseln? Hier in der Nacht, in dieser stinkenden Hütte? Konnte ich das zulassen? Mich ihr vollkommen auszuliefern? Was könnte sie alles mit mir anstellen, wenn sie mich einmal all meiner Freiheit und Kontrolle beraubt hatte? Konnte ich mich ihr wirklich so ausliefern?
Angst stieg in mir hoch und ertränkte meinen Verstand.
Ihre Stimme war wieder leise und kontrolliert.
„Ich habe sie beobachtet, wie Sie mich beobachtet haben. Die Gardinen im Lehrerzimmer sind nicht so dicht, wie Sie vielleicht glauben. Das hat mir gefallen. Ich meine, dass eine Lehrerin einer Schülerin nachstellt. das schmeichelt mir. Das schmeichelt jedem, nehme ich an. Und Sie sind ja nun auch nicht unansehnlich. Ich müsste mich mit Ihnen nicht schämen.“
Was sollte ich sagen?
Welch schiefer Gedanke. Sie müsste sich mit mir nicht schämen? Was sollte das? Stellte sie sich vor, dass sie mich in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen konnte? In mir schrillten Alarmglocken.
Sollte ich das richtig stellen?
Sollte ich protestieren?
Sollte ich mich dazu äußern?
Das war eine Sache, die nun vollkommen jenseits jeder Diskussion stand. Am Nasenring durch die Schule geführt zu werden von ihr. Da könnte ich gleich meine Kündigung einreichen.
Aber ich sagte nichts. Das war nicht die Zeit für Verhandlungen über die Natur unserer Beziehung.
Liz ging über den Gedanken hinweg.
„Sie reizen mich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Sie mich ansehen, dann fühle ich etwas. Etwas ... Wölfisches. So was wie einen Jagdtrieb oder so. Ich weiß nicht, was es ist. Irgendwie senden Sie so was aus wie: Ich bin ein Opfer. Friss mich!“
Ich schwieg. Sie hatte recht.
„Ich habe mich jedenfalls gefragt, was Sie von mir wollen. Ist ja nicht üblich, dass das Opfer dem Raubtier auflauert. Was wollen Sie von mir?“
Sie wollte mir zeigen, dass sie mir auch intellektuell das Wasser reichen konnte, dass sie sich Gedanken gemacht hatte.
„Also?“
Was wollte ich von ihr? Das war eine gute Frage. Ich hatte sie mir so explizit noch nie gestellt. Was wollte ich von ihr? Mir schien der Gedanke absurd. Hatte ich hier etwas zu wollen? In der Rolle, die ich mir vorstellte, hatte ich allenfalls auf die Brotkrummen zu hoffen, die sie mir vor die Füße warf. Lief es nicht so? Aber natürlich war das Unsinn. Natürlich hatte ich Erwartungen zu haben. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, in freien Stücken hatte ich mich entschlossen. Natürlich hatte ich Erwartungen.
Zu Dienen.
Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
Mich hinzugeben.
Glücklich zu sein.
Erfüllung zu finden.
Zu ihren Füßen zu liegen.
Geliebt zu werden.
Sie saß immer noch still da und wartete auf meine Antwort. Ihre Zigarette hatte sie längst weggeschnipst, doch meine Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte ein paar Linien in ihrem Gesicht ausmachen.
In meinem Kopf spielte sich ein Lied ab. Es kam aus dem Nichts, es war einfach so da. Es hatte mir zuvor nichts bedeutet, ich kannte es, hatte es aber in der Kategorie Kuriositätenkabinett eingeordnet. Unter dem Stichwort: Wie erbärmlich können manche Frauen doch sein?
„Kennst du die Band Hole?“ Meine Stimme krächzte ein wenig.
„Von der Frau von Kurt Cobain. Wie heißt die noch?“
„Courtney Love“
„Genau.”
„Die haben mal ein Lied gecovert aus den 60ern. Von Carol King und Phil Spector. Der sitzt jetzt wegen Mordes im Knast und hat mit den Beatles gearbeitet.“
„Und?“
„Das Lied geht so:
He hit me.
And it felt like a kiss.
He hit me.
And I knew he loved me.
If he didn’t care for me,
I could have never made him mad.
But he hit me.
And I was glad.”
Baby won’t you stay?
„Krank.”
„Das sagt Courtney Love auch.”
„Und, was hat das mit uns zu tun?“
Die Frage war einfach, sie war zu erwarten gewesen. Es war die natürlichste Frage der Welt. Nur musste ich es jetzt tun. Ich musste meine Gefühle vor ihr ausbreiten, mich vor ihr entblößen. War ich dazu in der Lage? Aber was für eine Alternative hatte ich? So lief es nicht. Ich hatte mich nicht zu zieren. Das hier hatte etwas damit zu tun, sich zu überwinden.
„Nun, wie soll ich sagen. Es ist nicht einfach. Da ist diese Frau, und die wird wie Dreck behandelt von ihrem Mann, und sie sieht das als Zeichen seiner Zuneigung. Er könnte sich ja auch eine andere suchen, aber er gibt sich mir ihr ab, obwohl er das nicht müsste.“
„Und Sie sind schon froh, wenn sich einer mit Ihnen abgibt? Egal was der mit Ihnen macht? Hauptsache er gibt sich mit Ihnen ab? So verzweifelt sind Sie?“
Ihre Worte schnitten wie Rasierklingen. Sie hatte einen Nerv getroffen. Ich wusste nicht, welche Reaktion ich gerne gehabt hätte, vielleicht Mitgefühl oder lieber gar keine Antwort. Aber sicherlich nicht diese kalte Analyse.
„Sie sind also von einem Typen verlassen worden und wollen nun, dass sich irgendwer um sie kümmert? Selbst wenn er sie wie Dreck behandelt? Bin ich also so was wie eine Verlegenheitssache, die Sie sausen lassen, wenn Sie wieder einen anderen Typen finden?“
„Nein, so ist es nicht.“
Da steckte etwas Tieferes dahinter, das ich auch schon gefühlt hatte, als ich noch mit Hans zusammen war. Ein Wesen, das ich nie wirklich erkundet hatte, das in einer Gegend meiner Seele beheimatet war, die mir unheimlich zu erforschen gewesen war. Etwas, das ich immer von mir geschoben hatte und nicht näher betrachten wollte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, ich hatte es nie kennen lernen wollen. Aber nun hatte es sich eben hervor gedrängt, war ans Licht gekrochen und nun musste ich mich damit auseinandersetzen. Ein schwarzes Wesen, geschmeidig, gewandt, mit weichem Fell, aber eben auch unheimlich. Wie eine schwarze Raubkatze. Grazil, mit weichem Fell aber scharfen Krallen und tödlichem Instinkt. Wunderschön, aber auch mordsgefährlich.
Ich konnte es nicht genauer beschreiben. Meine Worte fehlten mir, die Situation raubte mir meine Gedanken, und so blieb es bei Klischees von schwarzen Katzen. Platt und abgestanden.
„Wissen Sie, ich muss das auch nicht verstehen. Jetzt zumindest noch nicht. Ich kann mir das irgendwie denken, aber ich werde rauskriegen, was Sie so antörnt dabei. Von jetzt an will ich jedenfalls regelmäßig ein Lied, das Ihre Gefühle ausdrückt.“
„Ich glaube, so viele kenne ich nicht.“
„Können auch Gedichte sein oder Bilder oder was auch immer. Oder Sie schreiben selbst ein paar Verse. Sollte ja nicht so schwer sein für eine Lehrerin.“
Ich nickte.
„Zur Not können Sie ja schreiben, was Ihnen die Stücke auf Ihrem IPod bedeuten.“
Sie warf mir das Teil vor die Füße. Das blaue Display erleuchtete meine Füße für einige Sekunden.
„Sie sollten besser drauf aufpassen.“
Ich schwieg. Sie hatte mir nachgestellt. Wieder so eine Szene wie aus einem billigen Film. Wer stalkte hier wen? Der Gedanke beruhigte mich. Nicht ich hatte ihr nachgestellt wie eine verzweifelte und frustrierte Frau. Sie hatte sich auch für mich interessiert. Das war ein Interesse, das auf Gegenseitigkeit beruhte. Eine Wahlverwandtschaft.
Ich bückte mich, um ihn aufzuheben und steckte das Teil ein.
„Ich sage Ihnen, was mich an Ihnen interessiert. Sie versprechen mir etwas. Wenn ich an sie denke, stelle ich Sie mir als Opfer vor und wenn ich an mich denke, finde ich, ich bin eine Wölfin. Das finde ich irgendwie geil. Sie bieten sich mir an. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihnen das gebe, was Sie wollen. Weil es mir eigentlich egal ist, was Sie wollen. Ich möchte es nur verstehen. Es geht mir um mich. Das ist egoistisch, ich weiß, aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann müsste Sie genau das antörnen, richtig?“
Ich senkte den Kopf.
„Richtig?“, die Wiederholung klang schärfer.
„Ja.“
Es war mir peinlich, so da zustehen. Ich kam mir ziemlich unterlegen vor. Weil sie sich solche Gedanken machte, und ich nur da stand und stammelte. Zumindest auf meine Eloquenz hatte ich mir mehr eingebildet. Und jetzt übertraf sie mich auch in dieser Disziplin.
„Wissen Sie was. Ich sollte aufhören, Sie zu siezen. Jetzt, wo die Rollen verteilt sind. Aber es gefällt mir so. Es erinnert Sie daran, dass Sie eigentlich über mir stehen sollten. Aber das ist ja jetzt vorbei.“
Sie lächelte, ich konnte es sehen, und ich verging vor Scham. War es das, was ich wollte? Wollte ich mir so in die Seele schauen lassen? Wollte ich mich so der Inquisition eines Teenagers aussetzen? Wollte ich wirklich mein ganzes Sein auflösen lassen in den Demütigungen dieser Halbwüchsigen?
Ja.
Ja, ich wollte genau das.
Dieses Gefühl dabei.
Diese Demut und diese Scham.
Diese Lust daran, ihr zu gefallen. Diese Verzweiflung, mit der ich alles tat, sie glücklich zu machen.
Liz hatte keine Ahnung, wie weit meine Loyalität ginge. Ich wusste es selbst nicht. Aber als ich da stand mit gesenktem Kopf, mich vor ihr seelisch entblößte, da wusste ich, dass ich sehr weit gehen würde und sehr viel auf mich nehmen würde, ihr zu gefallen. Ich hoffte, dass sie mich nicht allzu schnell durchschauen würde. Die Grenzen dessen, zu dem ich glaubte, bereit zu sein, waren weit, verschwanden irgendwo im Horizont, vielleicht wie das Ende der Chinesischen Mauer, das irgendwo hinter den Bergen verschwindet.
Liz stand auf.
„Jetzt möchte ich sehen, was ich mit Ihnen alles machen kann.“
Fünfzehn
Sie war aufgestanden, aus der Grillhütte gekommen und hatte mir bedeutet, das Seil mitzunehmen und ihr zu folgen. Als sie an mir vorbei gegangen war, hatte sie mich ignoriert. Ich hatte irgendeine körperliche Geste von ihr erwartet. Irgendeine Berührung. Nachdem wir so viel gesprochen hatten und sie mich innerlich bereits so berührt hatte.
Aber nichts dergleichen.
Ich war ein wenig enttäuscht.
Als hätte ich sie mit irgendetwas verärgert, ohne zu wissen, warum oder womit.
Das fahle Mondlicht, das zwischen den nächtlichen Wolken und den Baumwipfeln nun hervorbrach, brachte ihre helle Haut zum Leuchten. Es schien gar, dass ihre Haut von sich aus glühte. Kalt und elfenbeinen. Ich folgte durch diese gespenstige Szenerie und stolperte hinterher durch das Unterholz.
Irgendwann hielt sie an. Ich würde allein nicht wieder zurück finden in der Dunkelheit, in der die Baumstämme schemenhaft wie erstarrte Gestalten erschienen.
Der Stadtwald war nicht so unmäßig groß, ich würde nicht verloren gehen, aber es würde dauern, ließe sie mich hier allein. Der Gedanke, in dieser Umgebung verloren zu sein, behagte mir nicht.
Liz drehte sich zu mir um, drückte mich rückwärts an einen dicken Stamm.
Sie sagte nichts, schob mich einfach in die Position, die sie wollte. Eine neu angezündete Zigarette klemmte in ihrem Mundwinkel, manchmal zog sie daran und blies dann den Rauch aus. Einmal mir genau ins Gesicht. Ansonsten blieb sie stumm, was mich verunsicherte.
Dann nahm sie meine Arme, zog sie hinter den Stamm und band sie hinter dem Stamm zusammen mit dem Tau, das sie zusammengerollt über die Schulter geworfen die ganze Zeit getragen hatte.
Meine Arme waren angespannt und die Muskeln waren gestreckt. Ich fragte mich, wie lange ich das würde aushalten können.
Sie legte das Seil um meine Taille, meine Hüfte, zog es einmal kräftig straff, dass ich erschrak, dann hoch, quer über meine Brüste und um meinen Hals, was ich als besonders unangenehm empfand, auch wenn sie Wert darauf legte, dass es dort locker lag. Dann führte sie das Seil von dort hinunter, wickelte es ein paar Mal um meinen Körper und den Stamm, zu meinen Füßen und fesselte es schließlich um meine Knöchel.
Alles schweigend.
Ich spürte ihren Atem auf mir, ich spürte ihre Finger, aber da war keine Sinnlichkeit in ihren Berührungen, sondern nüchterne Präzision. Ihre Finger streichelten nicht zufällig über meine Brüste, als sie das Seil in das Tal meiner Brust führte, und sie berührte auch nicht meinen Schoß, als sie das Tau daran vorbei führte.
Als sie fertig war, ging sie drei Schritte zurück und betrachtete mich, zog an der Zigarette. Ihre Miene im Schein der Glut sagte mir, dass sie zufrieden war.
Die Fesseln schnitten nicht in meinen Körper, aber ich merkte, dass sie fest saßen.
„Seltsame Situation, nicht wahr?“
Ich nickte. Endlich brach Sie das Schweigen.
„Ich meine, Cowboy und Indianer haben wir als kleine Kinder gespielt. Und jetzt spielen wir es wieder. Sie und ich. Ich bin der Indianer und Sie stehen am Marterpfahl oder so. Aber es ist anders. Kein Kinderspiel.“
Sie hielt inne, schwieg und sah mich an. Ich glaubte ihre Augen in der Dunkelheit leuchten zu sehen wie die eines Wehrwolfes. Aber es war nur die Glut, die ihre Pupillen illuminierte.
Ich sagte nichts.
Dann trat sie auf mich zu, hakte ihren Zeigefinger unter das Seil um meinen Hals und zog leicht daran, dass es sich um meine Kehle zuzog. Es war nicht genug, dass sie mir die Luft abschnitt, aber genug, um zu zeigen, wie leicht sie es könnte. Genug um mir Angst zu machen.
„Ist es ein Spiel oder nicht?“
Aber ich fühlte mich wie in einem Kinderspiel. Ich war hilflos und badete in diesem Gefühl ihr ausgeliefert zu sein. Sie konnte alles mit mir anstellen.
Sie wiederholte die Frage, erwartete also eine Antwort.
„Nein, es ist kein Spiel.“
Meine Stimme klang klein und schwankend. Ich hatte es nicht beabsichtigt, wollte souveräner klingen, aber es gelang mir nicht.
„Sie müssen mir ziemlich vertrauen. Ich meine, sich hier von mir an den Baum binden zu lassen. Ich könnte alles mit Ihnen machen. Oder auch nichts. Ich könnte Sie einfach hier stehen lassen. Die Nacht über. Morgen finden Sie dann die Jogger, und ich warte an der Schule, ob Sie da auftauchen, oder ob Sie sich vielleicht krank melden. Was würden Sie davon halten?“
„Ich würde das nicht gut finden.“
„Das ist ja sehr vornehm ausgedrückt. Ich an Ihrer Stelle wäre scheiße sauer. Aber Sie sind ja gut erzogen.“
Ich schwieg.
„Ich könnte das ausnutzen. Ihre Situation. Ich könnte alles Mögliche mit Ihnen machen. Was meinen Sie, was ich tun werde?”
Sie trat auf mich zu, stellte sich ganz nah an mich, dass unsere Körper sich fast berührten. Mein gefesselter und ihr freier. Unser Atem traf sich, verwirbelte sich ineinander. Wäre es kalt gewesen, man hätte es sehen können.
Sie blickte mir in die Augen.
Tief. So tief, dass ich es nicht ertragen konnte, wegschauen, den Kopf senken wollte. Aber ich wusste, dass sie das Sagen hatte. Sie würde es nicht zulassen.
Da war wieder diese natürliche Überlegenheit, die sie einfach so hervorholen konnte.
Ich versuchte ihrem Blick stand zu halten, aber er hatte etwas Hypnotisches, injizierte Schwäche und Unterlegenheit in mein Herz. Es schoss grell grün durch meinen gesamten Körper und ließ meine Knie weich werden. Hätten die Fesseln mich nicht gehalten, ich wäre zusammengesackt.
Dann spürte ich ihre Hände an meinem Bauch. Sie zogen die Bluse aus meiner Jeans, dann fingerten sie am Knopf meiner Jeans. Für einen winzigen Moment berührten ihre kühlen Hände meinen warmen Bauch. Ich zuckte zusammen.
Schließlich hatte sie den Knopf geöffnet. Dabei hielt sie immer noch meinen Blick in ihren grünen Augen.
Mit einem wenig sanften Ruck zog sie mir die Jeans ein Stück herunter.
Die kühle Nachtluft auf meinem Bauch brachte sofort eine Gänsehaut hervor.
Oder war es das Bewusstsein der Hilflosigkeit?
Oder war es die Lust, meine Geilheit?
Mit ihrer Hand fuhr sie über meinen Slip.
„Satin. Sie haben sich heute fein gemacht!“
Sie klang amüsiert.
„Nur für mich. Das ist ja nett von Ihnen. Das schmeichelt mir, dass Sie auf den letzten Abend reagiert haben. Finde ich gut. Sie denken mit. So soll das sein!“
Natürlich hatte ich das getan. Es war selbstverständlich gewesen.
Sie strich mit ihrem Zeigefinger den Bund entlang.
Wenn sie mich doch richtig anfassen würde!
Wenn sie mich doch wirklich berühren würde!
Ich wollte von ihr geküsst werden.
Ich wollte ihre Hände auf mir spüren!
Ich wollte erfahren, wie sie über mich fuhren. Sie mussten nicht zart sein, sie mussten nicht vorsichtig sein. Sie können fordernd und aggressiv sein.
Sie sollten nur da sein in ihrer strahlenden Macht und meiner Ohnmacht.
Ich wollte, dass sie mir zeigte, dass ihre abweisende Kühle nur gespielt war.
Fühlte sie denn gar nichts?
Warum nahm sie sich nicht einfach, was ich ihr schenken wollte?
Warum packte sie mich nicht einfach wie vor einigen Tagen?
Sie könnte sich doch einfach hingeben. Ihre Macht ausleben und mich meine Ohnmacht spüren lassen.
Wir bekämen beide, wonach uns gelüstete.
Was sprach sie von Spielen? Sah sie nicht, dass das kein Spiel für mich war?
Ich bewegte meine Hüften leicht, um ihr zu signalisieren, wie sehr ich nach ihrer Berührung gierte.
Aber sie stand nur da und strich weiter über den Bund. Von links nach rechts und dann wieder zurück und blickte mir kalt und unverwandt in die Augen wie bei irgendeinem Ritual.
„Sie sind ein ziemliches Luder. Sie brauchen es scheinbar wirklich!“
Die grünen Augen funkelten giftig.
„Wenn Sie es so dringend brauchen, dann holen Sie es sich doch! Ich gebe Ihnen die Erlaubnis. Küssen Sie mich!“
Ich zögerte. War das ein Test? Sie hatte sich nicht gerührt.
„Kommen Sie schon! Küssen Sie mich!“
Ich streckte den Kopf vor. Ihr Mund war nur Zentimeter von meinem entfernt. Doch als unsere Lippen sich fast bewegten, zog sie ihn ein wenig zurück. Ich streckte ihn ein wenig weiter hervor, bis ich das Tau an meinem Hals spürte.
Sie grinste böswillig.
„Klappt’s nicht? Der Ponyhof ist drei Straßen weiter. Wenn Sie wirklich wollen, dann schaffen Sie es. Sie müssen es nur versuchen!“
Das Tau an meiner Kehle lag straff, aber es schnitt nicht ein. Zwei Zentimeter fehlten zu ihrem süßen Mund.
„Kommen Sie schon. Wenn Sie es wollen, dann schaffen Sie es.“
Ich schob den Kopf vor. Nun drückte das Seil stärker, aber ich wollte es eben.
Ich wollte den Kuss!
Schließlich gab ich mir einen Ruck und machte auch noch den restlichen Zentimeter, der mir die Luft abschnitt. Unsere Lippen berührten sich.
Ihre Lippen waren feucht, ihr Atem roch nach Nikotin, aber darum ging es nicht. Sie fühlten sich weich an, süß wie eine verbotene Frucht.
Aber Liz gewährte mir nur einen kurzen Augenblick, dann zog sie den Kopf zurück und entzog sich mir.
Frustriert stöhnte ich auf.
„Sie müssen es stärker versuchen!“
Sie beugte sich etwas vor und spitzte ihre Lippen. Dabei sah sie mir angriffslustig in die Augen.
Ich beugte mich wieder vor zu ihrem Mund, der nur wenige Zentimeter entfernt war. Soweit es ging. Das Seil um meinen Hals hielt mich zurück. Ich stemmte mich dagegen. Mit meiner Kehle. Spürte die Unnachgiebigkeit des Seils und ignorierte sie. Ich stemmte mich weiter vor, dass das Seil auf meine Luftröhre zu drücken begann. Nur um diesen Kuss zu bekommen. Würden unsere Lippen sich richtig treffen, ich könnte sie überzeugen, dass ich es wert wäre, von ihr geküsst zu werden. Ich war mir sicher, dass sie ihre Spiele aufgeben würde. Wenn sie mir nur einmal gestattete, sie wirklich zu küssen. Mit all meiner Leidenschaft und Hingabe. Ich würde es richtig machen.
Liz bewegte sich nicht. Sah mir immer noch tief in die Augen und machte mich verrückt durch die Demonstration ihrer Macht. Und das angedeutete spöttische Lächeln.
Sie gewährte mir wieder nur einen kurzen, oberflächlichen Kuss. Einmal flackerte ihre Zunge gegen meine Oberlippe, einmal griffen ihre Zähne leicht meine Unterlippe. Dann zog sie sich wieder zurück.
Und ich musste mich auch zurücklehnen, um wieder Luft zu bekommen. Das Gefühl des Erstickens, der Druck auf meiner Kehle war durchaus unangenehm, aber ich ertrug ihn.
Innerlich schrie ich vor Frustration.
„Ich sage Ihnen was. Wir machen ein Spiel.“
Ihre Stimme signalisierte einen Bruch.
Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen und musste mich erst darauf einstellen.
„Sie nennen mir fünf schreckliche Sachen, die ich mit Ihnen hier und jetzt anstellen könnte, und Sie bekommen erst den richtigen Kuss, den Sie ja scheinbar so sehr brauchen, und ich werde Sie danach frei lassen. Ich will wissen, was Sie so richtig Scheiße fänden in dieser Situation. Was ich nicht machen soll. “
Ich überlegte.
„Ich soll dir meine größten Ängste nennen? Hier? Also quasi die Ideen liefern für die Torturen, die ich dann selbst zu erleiden habe?“
„Das hört sich so negativ an. Nennen Sie es einfach ein Brainstorming. So bezogen auf das, worauf ich dann Rücksicht nehmen muss.“
Der Spott troff aus ihrer Stimme.
„Habe ich eine Wahl?“
„Natürlich. Wenn Sie nicht wollen, verschwinde ich einfach und lese morgen in der Zeitung von der Lehrerin, die am Baum gefesselt gefunden wurde mit heruntergelassener Hose. Das käme doch total klasse. Wie sieht’s aus?“
In meinem Kopf sträubte sich alles. Ich sollte ihr meine größten Ängste in dieser Situation nennen, nur damit sie eine davon in die Tat umsetzen konnte? Aber ich war halt nicht in der Situation, Regeln aufzustellen.
Ich nickte meine Zustimmung.
„Dann fangen Sie mal an!“
Ich überlegte, oder vielleicht war es ehern ein Zögern.
Die Schreckensszenarien waren nicht weit, ließen nicht lange auf sich warten und schwirrten bald durch meinen Kopf wie Motten um die Laterne.
Ich schluckte.
„Du könntest mir wehtun. Ich kann mich schließlich nicht wehren.“
Ihre Augen funkelten.
„Das ist richtig.“
Sie trat einen Schritt näher an mich, hob die rechte Hand an meine linke Brust. Kurz davor inne hielt, als würde sie meinen erigierten Nippel durch Bluse und BH greifen und durchbohrte mich mit ihrem Blick.
Aber sie hielt inne kurz davor.
„Netter Gedanke, naheliegend. Habe ich auch dran gedacht. Aber mir ist nicht danach.“
Trotzdem griff sie mit einer schnellen Bewegung meine Brustwarze durch Bluse und BH und drehte sie kurz, aber schmerzhaft und lächelte. Ich schrie ein eher empörtes als durch Schmerz verursachtes „Aua!“.
„Weiter!“
„Du könntest irgendwelche Leute holen und mich ihnen zeigen in meiner prekären Situation.“
„Netter Gedanken, aber fürs Erste möchte ich Sie allein für mich haben. Außerdem wäre es schwer, hier jemanden aufzutreiben. Ist ja doch eine einsame Gegend hier. Aber danke für die Idee. Nummer Drei!“
Wieder zögerte ich.
„Du könntest mir die Kleider abnehmen, dass ich nackt nachhause kommen müsste.“
„Oh, netter Gedanke. Daran habe ich gar nicht gedacht. Sehr schön! Sie, wie Sie von Busch zu Busch huschen, sich dann in Ihren Wagen retten, über die entlegensten Feldwege und Nebenstraße nachhause manövrieren, damit Sie nicht an einer roten Ampel halten müssen und neben Ihnen ein Auto mit irgendeinem schmierigen Typen drinnen anhält und Sie bewundert. Mhh, super Idee. Machen wir vielleicht mal. Vier.“
„Du könntest mich fotografieren und später mit den Bildern erpressen.“
„Daran habe ich auch gedacht. Ich könnte bestimmt viel Material sammeln, um Sie zu erpressen. Das könnte so richtig Profit abwerfen, meinen Sie nicht? So eine Art Nebenverdienst für mich für den Rest Ihres Lebens! Aber so bin ich nicht.“
Sie machte eine Pause, wartete offensichtlich auf eine Replik.
Ich wusste nicht, was sie erwartete und schwieg daher.
„Das sind vier. Einer fehlt noch.“
Ich dachte nach. Mir fiel nichts mehr ein. Nur noch Variationen der obigen. Mein Kopf war vollgestopft mit den Ausarbeitungen der Schreckensszenarien. Koloriert und bis in die Details ausgemalt. Die Bilder waren so machtvoll, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Mein Verstand lief blank. Sie erwartete einfach zu viel. Zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Schließlich kam ich mit einer schwachen Antwort.
„Du könntest mich hier einfach stehen lassen.“
„Das zählt nicht, das war meine Idee. Noch eine!“
Ich dachte nach, aber es kam nichts. Ich begann zu überlegen, was ich wollte und was nicht, was ich begehrte und was ich verabscheute, und was auf gar keinen Fall eintreten sollte. Schließlich dachte ich daran, was ich jetzt am meisten wollte und was ich am wenigsten missen konnte.
„Kommen Sie schon, kommen Sie schon!“
Sie war an mich heran getreten, drückte ihren Körper gegen meinen. Ich spürte ihre Wärme, sie, ihren Einfluss auf mich. Sie versuchte, meinen Verstand zu benebeln.
Es funktionierte tadellos.
Sie schmiegte sich an mich, gurrte in süßen Worten, ihre Lippen ganz nah an meinem.
„Wie könnte ich Sie ärgern? Wie könnte ich Sie ärgern? Sagen Sie schon. Sagen Sie. Sagen Sie!
Schließlich fiel mir etwas ein, vielleicht die persönlichste Antwort, vielleicht die aber auch eine irrelevante.
„Du könntest das hier beenden, mich nachhause schicken, ohne dass ich dich hätte richtig küssen dürfen.“
Sie hielt inne, trat einen Schritt zurück, blickte mich lange an. Ich konnte ihren Ausdruck nicht deuten.
Schließlich sagte sie.
„Der gefällt mir irgendwie. Ist originell. Ich könnte das hier beenden, Sie nachhause schicken, ohne dass Sie mich hätten küssen dürfen. Das wäre eine so schreckliche Strafe, schlimmer als all die anderen?“
Ich nickte vage.
„Sie gefallen mir besser, wenn Sie sich zusammenhängend äußern. In ganzen Sätzen und so! Das wäre auch irgendwie respektvoller, finde ich. Sollten Sie mir nicht Respekt zeigen?“
Wieder dieser Stimmungswechsel. Wieder diese Kühle. Ich hatte Probleme, ihr zu folgen.
„Das tut mir leid, ich muss mich erst in dieser Rolle zu Recht finden.“
„Kann ich verstehen, geht mir nicht anders.“
Sie schwieg, sah mich an, trat wieder einen Schritt auf mich zu, ganz nah an mein Gesicht, dass sich unsere Nasen fast berührten.
„Nun, dann wird Ihre schlimmste Strafe wohl wahr werden.“
Ich spürte den warmen Hauch ihres Atems auf meinen Wangen, als sie die Worte flüsterte. Es machte mich wahnsinnig.
„Denn den Kuss kriegen Sie nicht.“
„Aber du hast ihn mir versprochen!“
„Und jetzt habe ich es mir anders überlegt. So läuft das halt. Ich habe das Sagen, ich ändere meine Meinung, wenn mir danach ist! Ich habe nie gesagt, dass ich gerecht wäre oder mein Wort hielte. Ich kann machen, was ich will. Ich bin hier so eine Art Königin. Können Sie mögen oder lassen, ist mir scheiß egal.“
Ich war sauer und frustriert. Sie hatte es mir versprochen.
Dabei waren unsere Lippen so nah, dass jedes Spitzen sie zusammengeführt hätte. Sie trat zurück und ließ mich enttäuscht in meinen Fesseln zappeln.
„Wissen Sie, ich habe schon verstanden, dass ich in diesem Spielchen mehr Disziplin aufzubringen habe als Sie. Sie werfen sich einfach vor mir auf die Knie und betteln. Ich muss hier die Lady spielen, die sich im Griff hat und Nein sagt. Vielleicht will ich auch, aber es ist meine Aufgabe Nein zu sagen, damit sie nur noch mehr winseln und sich nur noch mehr erniedrigen. Das müssen Sie verstehen. Je mehr Sie winseln, desto besser wird das hier. Desto mehr Macht und so habe ich. Und wenn ich es Ihnen dann gebe, dann sind Sie umso dankbarer und umso kleiner. So läuft das Spielchen doch. Das verstehen Sie bestimmt. Ich kann Ihnen diesen Kuss nicht geben. Weil ich einfach ein mieses kleines Miststück bin. Mich geilt das alles hier genauso auf wie Sie. Aber ich habe einen Ruf zu verlieren. Sie nur Ihre Würde, und so wie ich das hier sehe, ist davon nicht mehr viel übrig.“
Wieder einer dieser langen Momente, in denen sie ihre Macht demonstrierte und ich erkennen musste, wie wenig ich galt. Sie hatte natürlich irgendwie recht. Aber wenn sie es wollte und ich auch, warum gab sie sich dann nicht hin? Zum Teufel mit unseren Rollen!
Als sie sprach, hatte ihre Stimme wieder diesen ätzenden Spott.
„Ich fand Ihre Fotoidee nicht schlecht.“
Sie zog eine Digitalkamera hervor.
„Ob ich Sie damit erpresse, das weiß ich noch nicht. Aber ich möchte ein Andenken.“
Ich bekam Panik.
„Nein bitte nicht, keine Bilder! Das zwischen uns muss alles geheim bleiben. Bitte, du kannst mit mir machen, was du willst, aber niemand darf davon erfahren! Ich bitte dich. Das ist mir ernst! Da endet alles, alle Spielchen enden da!“
Der Blitz signalisierte, dass sie sich für meine Worte nicht interessierte. Meine Ängste galten ihr nichts, dachte ich, doch ihre Worte versicherten mir anderes.
„Wissen Sie, Sie müssen mir mehr vertrauen. Ich bin enttäuscht von Ihnen. Glauben Sie wirklich, ich würde Sie erpressen? Das ist billig, und ich will nicht billig sein. Zumindest nicht in der Sache zwischen uns hier. Die Bilder sind nur für mich, und vielleicht für Sie, wenn Sie so richtig artig sind.“
Konnte ich das glauben?
Ich hatte wirklich an ihr gezweifelt. Ich zweifelte immer noch. Konnte ich ihr vertrauen? Es war vollkommen aberwitzig. Und doch hinterließen ihre vorwurfsvollen Worte ein schlechtes Gewissen. Sollte ich ihr vertrauen?
Ich musste es.
Ich musste nichts. Ich könnte das alles beenden, und wenn ich nur noch einen Funken Verstand in mir hatte, würde ich das auch tun. Aber da war eben dieser andere Waldbrand, der den Funken Verstand wie ein winziges Glühwürmchen in einer tiefen Nacht verschwinden ließ.
Ich wusste nur, dass ich nichts mehr wusste. Meine Intuition war gestört wie ein Kompass am Nordpol. Ich ließ sie einfach gewähren.
Mir blieben Zweifel, ein ungutes Gefühl und keine Wahl.
Sie knipste weiter.
„Kopf hoch!“
Blitz
„Lächeln!“
Blitz
Ich hatte zu ertragen.
“Ich mag es, wie Sie versuchen, Ihre Hüften zu drehen, dass man den Stoff Ihrer Unterwäsche nicht sieht. Die Pose zeigt, wie peinlich Ihnen das alles ist. Dabei wird der so wunderbar glänzen auf den Fotos.“
Blitz
Blitz
Blitz
Wie würde ich auf diesen Bildern aussehen?
Entwürdigt und gedemütigt.
Als sie fertig war, betrachtete sie sich ihre Werke im Display lang und ausgiebig, ohne mich zu beachten. Ich sah nur das zufriedene Lächeln in ihren Augen und spürte meine Fesseln und die schroffe Rinde des Baumes an meinen Handgelenken schaben, wenn ich mich bewegte.
Schließlich trat sie auf mich zu.
„Das war doch gar nicht so schlecht für das erste Mal!“
Sie klopfte sich böse lächelnd auf die Tasche, in die sie die Kamera gesteckt hatte.
„So, das war’s dann auch schon. Ich würde sagen, für heute reicht es. Ich hatte meinen Spaß, Sie hatten Ihren. Auf Ihren Kuss müssen Sie wohl verzichten, aber ich verspreche Ihnen, den werden Sie schon noch bekommen. Aber eine Sache hätte ich noch. Mir gefällt Ihre Unterwäsche. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mir die mitnehme?“
Was sollte ich schon sagen?
Sie griff in ihre Tasche, zog etwas heraus, das ich nicht genau sehen konnte, hielt die Faust nah an mein Gesicht und...
Schnapp
Ich zuckte zusammen.
Sprang die Klinge eines Stiletts hervor.
Es musste scharf sein, denn mit einem leichten Ruck schnitt sie mir erst links, dann rechts den Stoff meines Höschens von den Hüften und zog ihn langsam zwischen meinen Schenkeln hervor.
Ich hoffte, dass sie die Feuchtigkeit darin nicht spürte. Oder vielleicht hoffte ich auch, dass sie sie spürte. Ja, ich wollte es. Es war mein Geschenk an sie.
Für einen Moment blitzte dieses Bild auf, wie sie in ihrem Bett lag, meinen verknüllten Slip in ihrer Hand, ihn auf ihr Gesicht legte, daran roch, meinen Duft einsaugte und sich mit der anderen Hand streichelte. Es war nur ein ganz kurzes Bild, aber es wirkte wunderschön, und ich würde diese Szene vor meinem geistigen Auge zurückholen, wenn ich an einem anderen, angemesseneren Ort wäre.
Der Stoff verschwand in ihrer Faust.
„Ich mache den Knoten jetzt los und verschwinde. Sie werden noch hier stehen. Mindestens zehn Minuten, bevor Sie auch abhauen können. Aber nehmen Sie das Seil mit. Das brauchen wir noch. Zehn Minuten!“
„Verstanden.“
Ich spürte, wie die Fesseln sich lösten und meine Arme frei wurden.
„Dann noch viel Vergnügen.“
Damit verschwand sie in der Nacht.
Ich konnte noch eine Weile ihre Schritte im Unterholz hören. Dann wurden sie leiser und die Geräusche erstarben. Ich war allein. Aber natürlich konnte sie mir auflauern. Vielleicht setzte sie sich irgendwo in die Nacht und wartete, ob ich ihren Befehl vielleicht missachten würde.
Erst nachdem sie die Fesseln gelöst hatte und ich mich wieder bewegen konnte, wurde ich des Schmerzes richtig gewahr, der in meinen Armen gelungert hatte. Nun, da das Blut wieder in meine Handgelenke schoss und die Nerven reizten, spürte ich es. Ich rieb mir die Gelenke.
Wenn jetzt jemand vorbei käme! Aber wer sollte so spät noch durch den Wald spazieren? Kein Vernünftiger Mensch.
Der Gedanke beunruhigte mich ein wenig, doch mehr machte ich mir Sorgen, wie ich aus dem Wald finden würde.
Als ich langsam wieder ernüchterte, lagen mir all die inkriminierenden Beweisstücke im Magen, die mir gefährlich werden konnten. Liz hatte Fotos von mir, die so eindeutig und kompromittierend waren, dass ich mich nicht heraus reden konnte. Dazu mein Höschen. Was hatte ich getan? Was, wenn sie die Fotos wirklich veröffentlichte.
„Sie müssen mir sehr vertrauen“, hatte sie gesagt. War das nur eine Feststellung oder eine Drohung oder gar eine Andeutung gewesen?
Mir drehte sich kurzzeitig der Magen um.
Was hatte ich nur gemacht?
War ich wahnsinnig geworden?
Das musste aufhören. Ich würde am nächsten Tag zu ihr gehen und alles abblasen. Ich würde ihr sagen, dass ich mich geirrt hatte, dass ich all das nicht tun könnte und um die Fotos bitten.
Wie hatte ich nur so dumm sein können? So leichtsinnig?
Ich schüttelte stumm den Kopf.
Die Farbe meiner Gefühle wandelte sich, als ich die letzten Gedanken noch einmal Revue passieren lies. Von Feuerrot in ein warmes Bordeaux, wie das eines Rotweins.
So fühlte ich mich eigentlich auch. Trunken vor Hormonen oder Endorphinen.
Hatte ich mir das vorstellen können? Dass ich so etwas noch mal tun würde?
Hatte ich mir vorstellen können, dass es mich bis zu einem feuchten Höschen erregte, von einem zehn Jahre jüngeren Mädchen an einen Baum gefesselt zu werden?
Hatte ich nicht ihre Inquisition genossen? All die intimen Fragen.
Hatte ich mich nicht wunderschön empfunden, als sie mich fotografiert hatte und ich hilflos und ihr ausgeliefert gewesen war?
Aufhören? Nein, das wäre Wahnsinn.
Ich konnte ihr nicht vertrauen, aber gerade das gehörte dazu. Ich lieferte mich ihr aus.
Einer Halbwüchsigen.
Mit allen Konsequenzen.
Es war Wahnsinn.
Eine bessere Entscheidung hatte ich nie zuvor getroffen.
Nie zuvor.
Ich hatte sicherlich länger als zehn Minuten an dem Baum gestanden, als ich mich auf den Rückweg machte. Ich zog die Jeans noch. Das Gefühl war ungewöhnlich. Ich lief sonst nicht ohne Unterwäsche herum.
Ich wickelte das Seil zusammen und stakste zurück durch das Unterholz.
Als ich ins Bett fiel, war ich gerädert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so tief geschlafen hatte. Und von einem versagten Kuss so schön geträumt hatte.
Sechzehn
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich verliebt.
Tiptop.
Die Schmetterlinge im Bauch.
Das Hochgefühl.
Der Enthusiasmus.
Das Gefühl bedeutsam und vom Schicksal gesegnet zu sein.
So musste Superwoman den Tag beginnen. In der Erwartung, Großes tun zu dürfen.
Ich zückte den Rasierer und rasierte mir die Beine. Schließlich galt es, schön zu sein für meine Liz. Und nach kurzem Zögern schnippelte ich auch noch etwas an der Bikinizone herum, brachte mich in Form, trimmte das Gestrüpp in eine symmetrische Form.
Ich erwog auch den Kahlschlag für eine Sekunde, aber das wirkte irgendwie billig, und so wollte ich nicht auftreten.
Danach duschen. Ich hatte nicht viel Zeit, also hielt ich die Finger bei mir und ließ sie nicht gewähren.
Der Blick in den Spiegel nach der Dusche enthüllte die schönste Lehrerin der ganzen Stadt.
Mindestens.
Spieglein, Spieglein an der Wand.
Ein schnelles Frühstück, dann machte ich mich auf zu meinen Samstagseinkäufen.
Ich hätte in einem Commercial mitmachen können. Ich war wirklich eine dieser dynamischen, attraktiven, sportiven jungen Frauen von heute, die man nur in der Werbung sieht.
Ob die sich auch alle ihren Schülerinnen unterwarfen?
Ich grinste bei dem Gedanken.
Die Samstagseinkäufe waren schnell erledigt.
Ich kam nachhause, arbeitete ein paar Stunden, korrigierte, bereitete Stunden nach und vor und werkelte mich so durch die Dinge, die ich zu erledigen hatte.
In einer Pause setzte ich mich hin und schrieb Liz eine kurze Nachricht. Sie hatte Lieder oder Songtexte verlangt. Das würde sicherlich schwierig, aber ich hatte schon eines.
Eine CD mit dem Titel Bluebird der Gruppe Hipkiss. Vielleicht war es aber auch die Gruppe Bluebird mit der CD Hipkiss. Ich wusste es nicht, sie hatten es nur zu einer CD geschafft.
Ich zitierte einige Verse des Songs Dealt:
I got rid of a real man one day.
He was such a man, knew when to raise his hand.
Make me small, make me crawl.
He knew when to raise his hands.
und schrieb darunter:
Vielen Dank für den tollsten Abend seit Menschengedenken.
XXX
Ich hielt den Zettel in meinen Händen, drehte ihn. Irgendwas fehlte. Schließlich legte ich schnell Lippenstift auf und küsste das Blatt und hinterließ einen Kussmund.
War das kindisch?
Zweifellos.
Aber so fühlte ich mich eben.
Kindisch.
Verliebt.
Ich würde ihr die Nachricht am Montag irgendwie zukommen lassen. Ans Fahrrad klemmen oder so. Sie hatte ein schwarzes Hollandrad mit einem Totenkopf-Aufkleber auf dem Schutzblech. Es passte zu ihr. Mir würde schon was einfallen. Dann entschied ich mich um. Das Wetter war in Ordnung, es war angenehm, ich fühlte mich irgendwie rastlos, also steckte ich meine Nachricht in einen Umschlag, schwang mich auf das Rad und fuhr zu ihr, warf den Brief in den Kasten und radelte noch ein wenig durch die Stadt, bevor ich wieder nachhause fuhr.
Ich schaffte es nur mühsam, Liz aus meinem Verstand zu schieben und noch ein wenig zu arbeiten. Ich kramte meine Sachen auf dem Schreibtisch hin und her, setzte mich, beschäftigte mich mit irgendwas, stand wieder auf, ging in die Küche, räumte was auf, suchte was im Wohnzimmer und dann setzte ich mich wieder an den Schreibtisch.
Als das Telefon klingelte, puckerte mein Herz bis in die Kehle. Aber es war nur eine dieser nervigen Telefon-Verkäuferinnen, die mir einen billigeren Internetanschluss andrehen wollte.
So verging der Samstag-Nachmittag langsam, ohne dass ich überhaupt wusste, worauf ich warten sollte.
Liz hatte nicht gesagt, dass sie sich heute bei mir melden wollte.
Aber nach dem, was gestern Nacht passiert war, musste sie da nicht ebenso danach brennen, mich zu sehen, wie ich mich nach ihr sehnte?
Hatte ich nicht gehorcht?
War ich nicht folgsam gewesen?
War ich nicht artig gewesen?
Wonderwoman begann zu schwächeln. Die Superkräfte waren langsam aufgebraucht. Jemand hatte mir einen Klumpen Kryptonit zugesteckt.
Na toll.
Ich wurde mürrisch und ungehalten und war genervt.
Das Warten machte mich zu einer grauen, verbitterten Sozialbau-Omma, die mürrisch und verwirrt durch die Welt schlurfte und alles um sich herum mit Grau infizierte. Ich war zu einem Schwarzen Loch der guten Laune geworden.
Auf und ab ging es. Wie in der Achterbahn.
Ich bemerkte meinen Stimmungsumschwung und dass selbst meine Gedanken schal und abgestanden waren. Wie meine Warterei. Wie ich mich anfühlte. Schal und abgestanden. Aber so wollte ich den Tag nicht beenden. Ich wollte mich auch nicht runterziehen lassen. Ich wollte auch keine graue Omma sein. Es lag alles an mir.
Und dann wieder Verständnis. Liz hatte noch ein Leben jenseits von mir. Sie hatte Freunde und Verpflichtungen und so. Das musste ich verstehen und ich hatte auch eines oder hätte mir zumindest vorstellen können, eines zu haben.
Ich würde mir einfach etwas suchen müssen.
Liz würde mir nicht die Freunde ersetzen. Ich überlegte, ins Kino zu gehen. Nun, da ich in einer größeren Stadt lebte, hatte ich wieder die Möglichkeit, in die Studentenkinos mit den guten Filmen zu gehen. Warum nicht? Ich suchte in der Zeitung nach dem Kinoprogramm, fand aber nichts Spannendes. Aber ich war immer noch guten Willens und dachte mir, dass ich zumindest für die Zukunft eine Beschäftigung gefunden hätte, und das war ja auch schon was.
Es war Zehn, als das Telefon klingelte. Mein erster Impuls war, nicht dran zu gehen. Wer rief um die Zeit noch an? Meine Mutter höchstens, die wieder von einer neuen Krankheit erzählen wollte, die man an ihr festgestellt hatte und die die Forschung vor ein Rätsel stellte. darauf konnte ich verzichten. Ansonsten vielleicht alte Freunde, aber auf die hatte ich keine Lust in diesem Moment.
Dennoch war ich nach dem zweiten Läuten am Telefon.
„Ich bin’s!“
Es war schwer Liz zu verstehen, im Hintergrund tobte eine Party. Die Musik wummerte neben unverständlichen Stimmen.
Sie schien betrunken zu sein, ihre Stimme brüllte jedenfalls in den Hörer und schwankte dabei.
„Ich wollte mich nur für ihre Nachricht bedanken. Sie sind echt süß. Wir werden viel Spaß miteinander haben!“
Im Hintergrund Gelächter. Ich hörte etwas leiser eine andere weibliche Stimme.
„Wer ist das?“
Dann wieder Liz:
„Meine neue Freundin.“
„Freundin? Bist du unter die Lesben gegangen?“
Sie lachten.
„Verrückt, nicht wahr?“
„Kenne ich die?“
Liz kicherte.
„Ich glaube schon!“
„Wer ist es?“
„Du wirst es nicht glauben!“
Dann Rauschen in der Leitung und mehr Lachen im Hintergrund.
Dann wieder Liz, die zu mir sprach.
„Keine Sorge, ich habe Sie nicht verraten.“
Sie kicherte.
„Noch nicht.”
Ich war glücklich, ihre Stimme zu hören. Ich hatte sie nicht enttäuscht, sie hatte mich nicht vergessen. Sie sagte mir nur, dass sie an mich dachte und bedankte sich.
Was wollte ich mehr?
„Morgen kümmere ich mich um dich!“
Und dann schrie die andere Stimme betrunken in den Hörer:
„Baby, wenn du die Schnauze von Liz voll hast, dann komm vorbei und leck mich!“
Danach wieder Gekicher und dann Liz im Hintergrund:
„Ey, was bildest du dir ein! Das ist meine!“
„Meine, meine! Ich will auch so eine geile Chica!“
„Du hast doch einen Macker!“
Dann wieder die andere Stimme im Hörer:
„Mach’s mir auch, du kleines Luder!“
Dann Liz:
„Schluss jetzt! Hol uns noch ein Bier, und dann suche ich dir auch eine Lesbe!“
„Versprochen?“
„Ich finde dir eine so geile, die wird dir das Hirn durch deine Pussy saugen!“
„So wie deine?“
„Du sagst es. Und jetzt ksshh, ksshh, hols Bierchen! Wo ist das Bier? Ja hol das Bier! Ja braves Hundchen!“
Ich glaubte, die Stimme der zu einem Hundchen degradierten zu erkennen. Es war Hanna. Sie war in einem meiner Kurse. Eigentlich unscheinbar und höflich, wenn sie nüchtern war. Wenn die wüsste, wen sie da gerade als Lesbe angemacht hatte!
„Also, ich bin weg. Bis morgen!“
Dann hatte Liz schon aufgelegt, bevor ich noch etwas Nettes sagen konnte.
Ich fühlte mich an meine Jugend erinnert. An Partys, Saufereien, laute Musik, Ausgelassenheit.
Es war eine Erinnerung der Vergangenheit. Wenn ich heute auf Partys ging gab es Fingerfood und keine Kartoffel-Chips aus dem Discounter, und man trank südafrikanischen Rotwein und unterhielt sich über dessen Qualität, was bedeutete, dass man sein Halbwissen abrief, denn eigentlich hatte man keine Ahnung. Worüber unterhielten sich Teenager auf Partys heutzutage? Ich wusste es nicht. Ich vermutete, dass sie lästerten, wie wir das auch tun, wenn der Abend später geworden ist und man die Etikette abgelegt hat.
Ich bekam ein wenig Sehnsucht nach diesen Feiern, der Ausgelassenheit und der Unbeschwertheit. Als junger Mensch war man göttlich, weil man einfach keine Grenzen hatte. Man musste sich nicht mit der Lage in Tibet und der Qualität des italienischen Mozzarella auseinander setzen. Man feierte, tanzte, trank und machte Dummheiten. Man machte sich zum Affen, blamierte sich auch mal, aber es war nie dramatisch. Man hatte nichts zu verlieren, man hatte sich keine Sorgen zu machen.
Ich erinnerte mich der schwülen Atmosphäre in spießigen Partykellern, der zu lauten Musik und des Streits, was denn nun gespielt werden sollte. Die Jungs wollten Rock, die Mädchen was zum Tanzen. Mal siegte die eine, mal die andere Fraktion. Man trank abenteuerliche und viel zu süße Cocktails und billigen Fusel. Irgendeinen Likör oder Ähnliches.
Man feierte im Sinne des Wortes.
Hier saß ich nun in meiner Wohnung an einem Samstagabend und wusste nicht, was ich tun sollte. Das war früher anders gewesen. Da war man einfach jedes Wochenende rausgegangen, und wenn man mal zuhause blieb, dann nur, weil man vielleicht knapp bei Kasse war. Es war die Ausnahmesituation, nicht die Regel.
Ich sah mich um in meiner geschmackvoll eingerichteten Wohnung, und irgendwie schienen die Wände zu schrumpfen.
Kurz entschlossen packte ich meine Tasche, schwang mich auf mein Rad und fuhr in die Stadt. Ich wusste nicht, was ich suchte, was ich wollte, aber ich wollte mir nicht zuhause die Decke auf den Kopf fallen lassen.
Mein Ziel war irgendeine Bar. Ein paar Drinks, ein paar nette Leute treffen, nette Unterhaltungen. Ein wenig Abwechslung.
Ich kannte mich in der Stadt immer noch nicht aus, aber ich hatte mittlerweile ein paar Adressen aufgeschnappt.
Es war angenehm die frische Luft der Nacht in meinem Gesicht zu spüren. Ich radelte so durch die Straßen, wenig zielstrebig, lies mich treiben, bog hier ab und da. ich hatte es nicht eilig.
Ich glaube, unbewusst dämmerte mir schon, was ich dann spüren sollte, als ich wirklich vor einer Bar stand.
Es war von außen ein netter Laden. ich sah durch die Scheiben die Menschen, die bei gedämpftem Licht an Tischen und der Bar saßen. Fetzen einer angenehmen Musik drangen heraus. Die Leute drinnen schienen Spaß zu haben, es sah nett aus.
Ich stieg wieder auf mein Rad und fuhr weiter. Das war nicht die richtige Bar. Irgendetwas gefiel mir daran nicht.
Aber auch in die nächste auf meiner Liste ging ich nicht. Und auch nicht in die letzte. Ich konnte mir nicht vorstellen, allein in eine Bar zu gehen, mich an einen Tresen zu setzen und darauf zu warten, dass mich wer ansprach, oder gar selbst jemanden anzusprechen.
Ich fuhr noch ein wenig durch die Stadt, aber nach wenigen Straßen schlug ich den Weg zurück nachhause ein. Meine Abenteuerlust war erloschen, und ich merkte, wie ich mich einsam zu fühlen begann. Einsam in dieser Stadt, in dieser Nacht, in der die Straßenlaternen wie solitäre Sterne in einem leeren Universum leuchteten.
Ich war froh, als ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte und wieder in meiner Wohnung war, in der es genug Dinge gab, die mir die Zeit vertrieben.
Ich ging ins Internet, checkte meine Mails, surfte ein wenig auf den Nachrichtenseiten herum, öffnete noch eine Flasche Rotwein, trank aber nur ein Glas und ging relativ schnell ins Bett.
Bevor ich einschlief, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass Liz an mich gedacht und mich auf dieser Party angerufen und indirekt vor ihren Freundinnen mit mir geprahlt hatte.
Ich hatte wirklich keinen Grund mich einsam zu fühlen. Und am nächsten Tag, das hatte sie mir versprochen, würde sie sich um mich kümmern. Das war doch auch schon etwas!
Siebzehn
Am nächsten Morgen war ich früh auf den Beinen. Die Sonne schien in mein Zimmer, ich räkelte mich und stand voller Elan auf.
Da meine Wohnung ein wenig Sauberkeit gebrauchen konnte, begab ich mich nach einem kurzen Frühstück an die Arbeit, machte die Wäsche und putzte das Bad, als es an der Tür klingelte.
Ich sah auf die Uhr. Es war halb Neun. War das Liz? Vermutlich. Ich hatte nicht so früh mit ihr gerechnet, aber wer sonst sollte es sein?
In der Tat stand sie da. Blass, mit rot unterlaufenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln.
„Guten Morgen!“, sagte ich erstaunt, aber auch in der guten Stimmung, in der ich bis gerade meiner Beschäftigung nachgegangen war.
„Morgen“, grummelte sie zurück, schlurfte an mir vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich schwer auf meine Couch fallen.
„Komme von dieser Fete.“
„Die hat bis jetzt gedauert? Na das muss ja eine tolle Fete gewesen sein!“
Sie sah mich mit Augen an, die zu Rasiermesserschlitzen verkleinert waren.
„Hören Sie zu. Ich habe vielleicht zwei Stunden Schlaf gehabt. Ich fühle mich zum Kotzen, und ich habe überhaupt keinen Bock nachhause zu gehen, weil mich da entweder mein kleiner Bruder oder meine Eltern nerven. Also dachte ich mir, komme ich zu Ihnen, Sie nerven mich bestimmt nicht. Also, nerven Sie mich nicht, klar?“
„Verstanden.“
„Dann ist es ja gut! Ich hoffe Sie haben heute nichts vor, denn ich werde mich hier einnisten, und Sie werden mich behandeln, als wäre ich in einem beschissenen fünf Sterne Hotel, klar?“
„Kein Problem, es ist mir ein Vergnügen.“
„Regel Nummer eins! Diese gute Laune-Stimmung, die wischen Sie sich direkt mal aus dem Gesicht. Da habe ich keinen Bock drauf! Ich fühle mich scheiße, und da will ich niemanden um mich herum haben, der hier den Li-La-Laune-Bären macht, klar.“
„OK.“
„Gut. Heute machen Sie einfach, was ich will. Heute geht es nicht um Sie, heute geht es nur um mich. Verstanden? Das magische Wort für Sie ist heute: Dienen. Sie dienen mir. Sie sind meine Dienerin. Das müssten Sie doch gut finden, oder nicht?“
Ich musste gestehen, ich hatte noch nicht daran gedacht. Ich hatte unsere Liaison bisher mehr in einem romantisch-erotischen Kontext gesehen. Das Wort Dienen war mir dabei explizit bisher nicht in den Sinn gekommen. Zumindest nicht in einem solch mondänen, profanen Sinn. Aber sie hatte natürlich recht, es gehörte dazu, auch wenn ich heute keinen sexuellen Zückerchen zu erwarten hatte. Ich war überrascht, dass dieses Wort mich so unerwartet traf, wo es doch den Kern dessen traf, um das es hier ging.
Abhängigkeit und Unterwerfung.
„Ich denke, ich kann mich damit arrangieren.“
„Regel Nummer Zwei. Heute gibt es keine Klugscheißer-Wörter hier. Sie arrangieren sich hier nicht, Sie machen, was ich will und finden das geil, klar?“
„Verzeihung. Natürlich.“
„Schon besser. So, jetzt will ich zuerst ein Frühstück mit einem Kakao. Haben Sie frische Brötchen da?“
„Nein, tut mir leid.“
„Dann werden Sie die wohl holen müssen.“
„Das mache ich gerne.“
„Sie lernen schnell.“
„Wie soll das Frühstück aussehen? Außer Kakao und Brötchen?“
„Ich würde sagen, mein Magen könnte was vertragen. Spiegeleier. Wurst. Käse.“
„Das ist kein Problem.“
„Aber zuerst brauche ich ein paar Kopfschmerztabletten. Paracetamol.“
„Tun’s auch Aspirin?“
„Nee, mein Magen verträgt die nicht, heute schon mal gar nicht. Besorgen Sie mir Paracetamol.“
„Heute ist Sonntag.“
„Es gibt doch einen Apothekennotdienst. Finden Sie’s raus.“
„Sehr wohl.“
„Und beeilen Sie sich!“
Ich machte meinen Rechner an, recherchierte den nächsten Notdienst und machte mich auf den Weg.
Als ich die Tür hinter mir zuzog dachte ich kurz daran, dass Liz nun allein in meiner Wohnung war und mein Arbeitszimmer offen stand, aber ich schob den Gedanken beiseite.
Die Brötchen waren schnell besorgt, die Apotheke war ein paar Straßen entfernt, auch die Tabletten hatte ich bald. An einer Tankstelle besorgte ich den Kakao, packte auch noch eine Flasche Orangensaft ein und bemerkte einen Strauß abgepackter Tulpen. Ich fand den Gedanken an Blumen nett, aber Tulpen passten einfach nicht. Also machte ich noch einen schnellen Umweg über den Friedhof, nachdem ich eine Eingebung bekommen hatte, und fand recht schnell eine rote Rose, die zu welken begann und deren Farbe sich in dieses bläuliche Dunkelrot verwandelt hatte, das an getrocknetes Blut erinnerte. Es war nur so eine Idee. Ich hoffte, dass sie es verstünde, dass ich damit ihre morbide Ader träfe und sie sich verstanden fühlte. Ich fand, es war immer ein schönes Gefühl, wenn man einen Menschen traf, der versuchte, sich in den anderen hinein zu versetzen. Vielleicht würde sie das ja ähnlich sehen.
Ich hatte andere Pläne für den Tag gehabt, nun hatte sie diese einfach so geändert. Aber ich verbuchte es unter dem selbstlosen Dienst an einer hilfsbedürftigen Person. Hätte meine Nachbarin mich um diesen Dienst gebeten, ich hätte ihn ebenso ausgeführt. Darin war nichts Besonderes.
Nur im Hinterkopf schwang vielleicht ein wenig die Hoffnung, dass Liz einen braven Gehorsam später vielleicht honorieren und als Zeichen meiner Devotion quittieren könnte. Aber diesen Gedanken mochte ich nicht, denn er zeugte von Egoismen, und darum ging es nicht. es ging um ein Mädchen, dem es schlecht ging und das Hilfe brauchte.
So redete ich es mir ein, auch wenn ein Kater keine lebensbedrohliche Krankheit darstellte und sie weniger meiner Hilfe bedurfte, als vielmehr verhätschelt werden wollte. Ich war nicht ihre Krankenschwester, sondern das Zimmermädchen in einem Wellness-Hotel.
Als ich zurück kam, saß Liz immer noch in mein Sofa gefläzt, hatte die Chucks auf meinem Wohnzimmertisch und starrte an die Decke.
Ich ging in die Küche, bereitete das Frühstück zu, dachte einen kurzen Augenblick daran, mir auch ein paar Eier in die Pfanne zu hauen, weil die drei Eier, die ich Liz gebraten hatte, so lecker aussahen, aber ich ließ es. Es sollte so sein, wie Liz es gesagt hatte.
Es sollte nur um sie gehen.
Ich richtete das Frühstück auf einem Tablett an und brachte es ihr, wie man einem Liebhaber nach einer gemeinsamen Nacht das Frühstück ans Bett bringt. Nur dass sie nicht meine Liebhaberin war und dass wir nicht die Nacht zusammen verbracht hatten.
Liz verschlang das Frühstück mit weniger Liebe, als ich gebraucht hatte, es anzurichten.
Sie schlang ohne ein Wort, und ich stand neben ihr, wie eine Dienerin und betrachtete sie stumm.
Als sie fertig war und die Serviette auf den leeren Teller warf, nahm sie kurz die kleine Vase mit der einzelnen verwelkten Rose in die Hand, drehte sie und stellte sie wortlos wieder zurück.
Ich konnte die Geste nicht richtig deuten, aber ich nahm es als Zeichen der Zustimmung.
„War in Ordnung. Sie können abräumen!“
Ich nickte, nahm das Tablett und brachte es in die Küche und kehrte zurück ins Wohnzimmer.
„So, jetzt will ich eine Runde pennen!“
„Wenn du willst, kannst du mein Bett benutzen.“
„Mann, Sie lassen aber auch kein Gelegenheit aus, was? Meine Güte, mir ist nicht nach Schweinkram!“
„Nein, so meinte ich das nicht. Aber das ist bequem.“
„Ich weiß schon, wie Sie das meinten.“
Dieser schneidig sarkastische Tonfall wieder. Ich war ein wenig gekränkt, dass sie mir solcherlei unterstellte in dieser Situation, aber sie war eben auf Krawall gebürstet und wollte mich wohl missverstehen.
„Ich nehme die Couch. Ich bin nicht die Prinzessin auf der Erbse. Das wird schon gehen. Machen Sie nur die Gardinen zu und bringen Sie mir eine Decke und ein Kissen.“
„Kein Problem.“
Ich verdunkelte den Raum und besorgte Verlangtes. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, hatte Sie schon die Beine auf die Couch gelegt.
Ich bin zwar nicht gerade ein Sauberkeitsfanatiker, aber auf meine Couch war ich ein wenig stolz. Nicht nur, dass sie teuer gewesen war, sie war auch schwer zu finden gewesen. Liz’ Schuhe darauf stachen mir ein wenig ins Auge, aber konnte ich sie darauf ansprechen?
In diesem Fall siegte die Couch über meine devote Ader. Ich wies sie höflich und vorsichtig darauf hin:
„Äh, die Schuhe? Die Couch war nicht ganz billig.“
Sie sah mich eine lange Sekunde stumm an, wieder konnte ich nicht deuten, was sie dachte.
Aber dann seufzte sie und drehte mir ihre Füße zu. Als ich nicht sofort schaltete, wackelte sie ein wenig mit den Beinen und fügte hinzu:
„Was ist jetzt, na machen Sie schon!“
Ich war ein wenig perplex. Sie wollte, dass ich ihr die Schuhe auszog? Nun kam sie mir schon ein wenig wie ein verwöhnter Balg vor, aber natürlich war sie nur konsequent in ihrer Handlung.
Ich trat neben sie, beugte den Rücken und griff einen Schnürsenkel. Dann schaute ich ihr ins Gesicht, um mich zu vergewissern, dass ich das Richtige tat. In dem Moment schoss mir etwas durch den Kopf. Meine Haltung war falsch. Zwar gebückt, schaute ich trotzdem auf sie hinunter. Das war nicht richtig. Schnell, wie jemand, der sich an eine missachtete Regel erinnert und ihr hastig nachkommt, um nicht aufzufallen, kniete ich mich vor das Sofa. Ich nahm ihren linken Fuß in meine Hände und schaute sie noch einmal an. Beiläufig, wie ich hoffte, um mich zu vergewissern, dass ich nichts falsch machte.
Aber als ich sie aus der neuen Perspektive sah, wie sie nunmehr über mir auf dem Sofa thronte, da verstand ich plötzlich.
Ich verstand das Wort Dienen.
Es war mein Platz, vor ihr zu knien und ihre Wünsche zu erfüllen. Es hatte etwas mit Respekt zu tun und Hierarchie. Es ging darum, dass ich ihre Gunst gewann, dass ich ihr dankte für die Ehre, die sie mir gewährte. Bei ihr sein zu dürfen. Ich bedankte mich für die Mühen, die sie mit mir hatte, für die Ungeduld und Enttäuschungen, die ich ihr bereitete, weil ich nicht sofort verstand oder nicht immer tat, was sie verlangte. Es war Dank an sie, und es war nicht nur gerechtfertigt, es war das einzig Richtige, und es lag in meiner Natur.
Ich wollte es.
Es war keine ungeliebte Pflicht, die man erfüllen musste, um ein Ziel zu erreichen, es war das Ziel selbst.
Liz zu dienen.
Es war, was ich wollte.
Dienen.
Ich umfasste den Schuh, öffnete die Senkel, weitete die Schnürung, dass ich den linken Schuh einfach von ihrem Fuß ziehen konnte, dann zog ich ihn von ihrem Fuß.
Ich sah sie an, aber ihr Blick verriet nicht, ob sie meine Haltung erkannt hatte.
Ich beugte mich zu ihrem rechten Fuß und wiederholte das Prozedere, nun aber, wie ich glaubte mit einer noch aufmerksameren Haltung. Ich wollte Liz zeigen, dass ich ihr mit Hingabe zur Verfügung stand und ihre Wünsche erfüllte.
Deshalb öffnete ich nicht nur ihre Schnürsenkel einfach, ich zog sie langsam und fast zärtlich auf. Nicht anzüglich wie in einem Striptease, sondern sorgfältig. Es war schwer zu beschreiben und ist sicherlich schwer nachzuvollziehen. Wie legt man eine besondere Bedeutung in das Öffnen von Schnürsenkeln? Ich wusste es auch nicht. Ich wusste nur, dass ich wollte, dass Liz mich verstand. Als ich ihren Knöchel hob, tat ich das behutsam, als wäre er etwas Kostbares.
Er war etwas Kostbares.
Ihr Knöchel, die Situation, unsere Beziehung. Alles war kostbar irgendwie.
Als ich ihr auch den zweiten Schuh ausgezogen hatte, da war ich enttäuscht, dass der Moment schon vorbei sein sollte. Ich wollte länger dort Knien vor meiner Gebieterin.
Ich hatte neue Begrifflichkeiten für sie erschlossen. Für uns.
Also nahm ich erneut ihren linken Fuß in die Hand und rollte ihr langsam den Strumpf vom Knöchel. Er war ein wenig feucht an den Sohlen, und ich roch den sauren Geruch ihres Schweißes.
Aber das war nicht entscheidend.
Ich schälte langsam die bleiche Haut hervor, die so schön in aristokratischer Noblesse schimmerte.
Wusste Liz, wie schön ihre Füße waren? Wohlgeformt, weich. Ich musste an Renaissance-Gemälde denken von bleichen Schönheiten, die auf Ottomanen ruhten und ebenso makellos geformte Füße hatten.
Ein wenig bemäkelte ich, dass ein so wunderbares Mädchen sich in diesen abgerissenen und verwaschenen Klamotten versteckte, aber es lag nicht an mir, das zu beurteilen.
Ich streichelte über den Spann, sah sie an, und mittlerweile hatte sie mitbekommen, dass etwas anders war.
„Sie machen das ganz gut.“
„Danke.“
„Machen Sie ruhig weiter.“
Ich rollte auch den zweiten Strumpf herunter, noch langsamer und noch gewissenhafter und war wieder enttäuscht, als die Arbeit verrichtet war.
Spontan hauchte ich noch einen Kuss auf ihren großen Zeh und richtete mich auf.
„Sie sind schon wieder spitz, ich merk das schon! Stehen Sie etwa auf Füße? So eine kleine Fußfetischistin? Wollen Sie an meinen Zehen lutschen? Soll ich auf Ihnen rumtrampeln? Macht Sie das an?“
Ich senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
Sie hatte nicht verstanden, worum es mir ging. Ich hatte mit Füßen nichts zu schaffen. In dem Kuss war kein Fetisch, nicht mal mehr ein Schleier von Erotik. Es war mir um etwas anderes gegangen, und sie hatte es nicht verstanden. Oder ich war nicht eindeutig genug gewesen in meiner Haltung. Oder sie war einfach nur immer noch in dieser desolaten Stimmung und war darauf aus, mich zu verletzen.
Aber sie schien zu merken, dass ihre letzte Bemerkung mich ein wenig gekränkt hatte, denn sie sagte:
„Ich will jetzt eine Runde schlafen.“
Die Decke, die neben mir lag, war schnell entfaltet. Ich legte sie ihr über die Füße und zog sie dann ganz langsam hoch. Über die schlanken Beine, die in der engen schwarzen Jeans steckten, über die Wölbung ihrer Hüften und das Tal ihrer Taille, ihre Brust bis an den Hals. Es war eine langsame Bewegung, und ich war sorgsam bedacht, die Linie ihres Körpers entlang zu laufen, ohne diesen aber zu berühren.
Liz ließ mich meine Aufgabe schweigend vollziehen.
Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu:
„Und wenn ich aufwache, dann will ich Sie hier auf dem Boden finden wie jetzt.“
Dann drehte sie sich um, bettete sich auf das Kissen und sagte kein Wort mehr.
Und ich saß dort zu ihren Füßen und wartete, dass sie wieder aufwachte.
Achtzehn
Zwei Stunden vergingen ungefähr, bis sie sich rührte. Ich hatte es mir auf dem Boden so bequem gemacht, wie es nur gerade ging. Da ich nichts zu lesen in Griffweite liegen hatte und auch nicht wagte, aufzustehen, kauerte ich die ganze Zeit auf dem Boden und wartete auf ihr Erwachen.
Wenn die Decke verrutschte, rückte ich sie wieder zurecht, dass ihre Füße nicht kalt wurden.
Ich betrachtete sie eine Weile, wie sie schlief, wie ihr Brustkorb sich regelmäßig hob und senkte.
Vielleicht träumte sie von mir. Ich malte mir aus, wie sie mich in diesem Traum behandelte. Wie sie mich herumkommandierte und klein machte, wie sie über mich spottete und mich erniedrigte, aber auch, wie sie sich von mir dann verwöhnen ließ. Sexuell. Und ich stellte mir vor, wie sich das anfühlen mochte. Dieser Gedanke von Macht über einen anderen Menschen.
Aber meine Phantasie gelangte hier an ihre Grenzen. Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, wie es sich anfühlen mochte und welche Motivation man haben könnte, diese Macht auszuspielen, wenn es doch so schön sein konnte, zu gehorchen und duldend zu empfangen.
Schließlich erwachte sie.
Liz regte, räkelte und richtete sich auf.
„Puh, das war gut, das habe ich gebraucht. Es geht doch nichts über ein kleines Nickerchen.“
Ich nickte.
„Und Sie haben die ganze Zeit hier gesessen?“
„Ja.“
„Hätte ich nicht gedacht. Naja, war ja so was wie ein Befehl. Also kann ich das wohl erwarten.“
Sie seufzte.
„Ich habe gefrühstückt und ein bisschen gepennt, jetzt brauche ich nur noch eins!“
Sie packte mit spitzen Fingern ihr T-Shirt und roch daran.
Dabei gab sie für einen winzigen Augenblick den Blick frei auf ihren flachen, bleichen Bauch, wohlgeformt und wie geschaffen für meine Küsse, so schoss es mir durch den Kopf.
Wie all meine Gedanken plötzlich sexuell aufgeladen waren!
„Puh ich miefe ziemlich.“
Dann hob sie den rechten Arm und roch wenig ladylike an ihrer Achsel.
„Meine Fresse! Kein Zweifel, was ich brauche!“
Sie sah mich an, als erwarte sie von mir etwas.
„Du kannst gerne bei mir duschen.“
„Das ist mir schon klar. Aber ich will, dass Sie mich waschen! Sie haben sich bisher tadellos um mich gekümmert, ich kann mich nicht beschweren, warum nicht mehr davon? Waschen Sie mich. Wie Cleopatra in den Filmen von ihren Dienerinnen gewaschen wird. So mit Einseifen und Rücken waschen und was weiß ich.“
„Und Stutenmilch.“
„Meinetwegen auch das. Würde Ihnen das Spaß machen?“
Welch eine Frage!
Ich sah uns schon zusammen in der Dusche. Unser beider Körper nass und weich in diesem engen Raum der Kabine, uns gegenseitig streichelnd. Wasser über unseren Körpern, unsere Haare in Strähnen an unserer Haut klebend. Sie würde mich an die kalten Kacheln drücken, mich küssen, unsere Zungen ineinander verschlungen. Unser Speichel würde sich mit dem Wasser mischen. Unsere Körper sich aneinander schmiegen, ineinander verschlingen, untrennbar und für einen Beobachter nicht anders auseinander zu halten als an der Tönung unserer Haut. Und wir würden alles um uns herum vergessen.
Es war nur ein Sekundenbruchteil, in dem dieses Bild über mich hereinbrach. Aber bevor ich geantwortet hatte, modifizierte sie schon ihr Angebot und nahm ihm den offensichtlichen Reiz zugunsten einer anderen Phantasie, deren Verlauf nicht vorherzusehen war.
„Ich sehe es in Ihren Augen schon wieder blitzen. Sie sind schon wieder rattig. Da müssen wir Ihre Libido doch ein wenig bremsen. Haben Sie eine Augenbinde? Irgendwas, sonst nehme ich auch einen Schal oder ein Tuch oder was auch immer.“
„Ich hätte so eine Schlafmaske, die man im Flieger bei Langstreckenflügen bekommt.“
„Na dann holen Sie die mal, hop hop!“
Ich musste ein wenig kramen, fand sie aber und brachte sie ihr.
Was immer passieren sollte, ich war mir sicher, dass es nicht so geradlinig und simpel wäre wie meine Phantasie in der Dusche.
„Dann ziehen Sie das Ding mal über. Ich finde, Sie müssen mich ja nicht unbedingt begaffen. Wir kennen uns gerade erst, und das Privileg sollten Sie sich erst irgendwie verdienen. Meinen Sie nicht?“
Ich sagte nichts, blickte nur stumm zu Boden. Wieder hatte sie die Hierarchie hergestellt. Das würde kein gemeinsames Bad, keine simple erotische Vorstellung, sondern ein Machtspiel.
Ich zog die Schlafmaske über den Kopf. Ich hatte sie auf einer Reise nach New York bekommen vor drei Jahren. Ich war mit Hans da gewesen. Es erschien mir nun wahnsinnig lange her und seltsam fremd. Sowohl die Reise als auch Hans. Damals hatte ich mir auch nicht träumen lassen, dass dieses billige Teil, das sich normalerweise nach dem ersten Tragen schon in seine Bestandteile auflöst, einmal so missbraucht würde. Damals hätte ich mir aber auch nicht vorstellen können, dass Hans mich einmal abservieren würde und ich in dieser Situation landen würde.
Ich begab mich in die Dunkelheit und in Liz’ Hände.
„So, dann gehen Sie mal ins Bad. Sie sollten den Weg ja wohl auch blind finden können.“
Ich stolperte mit ausgebreiteten Armen durch meine Wohnung. Es war schwieriger, als ich erwartet hätte. Einmal rempelte ich einen Blumentopf an, einmal stieß ich mir den Fuß schmerzhaft an einem Bein des Esszimmertischs.
„Oh, das muss aber weh getan haben!“, wurde mein Missgeschick sofort hämisch kommentiert. „Sie müssen besser aufpassen!“
Ein wenig Wut überkam mich, denn in der Tat hatte ich mir den kleinen Zeh richtig fies gestoßen, und wenn ich auf etwas verzichten konnte, dann auf blöde Kommentare. So stolperte ich blind durch meine Wohnung, begleitet von den unqualifizierten Kommentaren meiner Tormentorin.
Als ich dann schließlich im Badezimmer stand:
„Sie sind auch nicht der intelligenteste Mensch der Welt, oder?“
In der Schule hätte ich ihr für einen solchen Spruch den Kopf abgerissen. Hier sagte ich:
„Was habe ich falsch gemacht?“
„Nur, weil Sie nichts sehen, heißt das ja noch nicht, dass die ganze Welt blind geworden ist. In Ihrem Badezimmer ist es stockfinster!“
Also entschuldigte ich mich, drehte mich um, fand meinen Weg zurück an die Badezimmertür und legte den Schalter um. Trotz der Augenbinde konnte ich erahnen, dass das Licht nun leuchtete.
„So ich hoffe, Sie sind gleich nicht so unbeholfen, sonst endet das hier noch mit blauen Flecken für mich.“
Ich schwieg dazu.
„OK, jetzt kommt der Teil, der Ihnen den Sabber in den Mund zaubern wird. Sie dürfen mich duschen. Das volle Programm. Sie dürfen mich ausziehen, nein warten Sie. Sie dürfen mich entkleiden. Sie dürfen mich einseifen, Sie dürfen mir die Haare waschen, Sie dürfen mich nachher abtrocknen. Da müssen Sie doch feucht im Schritt werden, oder nicht?“
Ich schwieg auch dazu, aber Sie insistierte:
„Stimmt’s?“
Ich flüsterte ein demütiges „Ja“, aber sie ließ mich damit nicht davonkommen.
„Verdammt noch mal, antworten Sie doch in ganzen Sätzen! Ich will es aus Ihrem Mund hören!“
„Tut mir leid.“, sagte ich, musste Schlucken und fuhr fort: „Ja, es erregt mich, dass ich dich werde duschen dürfen.“
„Es erregt Sie!“, äffte sie meine Stimme nach.
„Jetzt mal nicht so hochgestochen. Sprechen Sie mal deutlich.“
Ich zögerte.
„Es macht mich an.“
„Das können Sie besser!“
„Es macht mich geil.“
„Noch mehr. Ich will es hören, so richtig dreckig. Lassen Sie es raus! Nicht immer so verklemmt! Letzte Chance. Wenn Sie die mit Ihrem Uni-Gelalle versauen, bin ich weg, und wir blasen das hier alles ab! Also reden Sie vernünftig!“
Ich atmete schwer ein und aus. Es war natürlich lächerlich, wie ich mich verhielt. Ich hatte die Worte, die sie hören wollte, in meinem Kopf, aber irgendwas hielt mich davon ab. Ich hatte mich von ihr schon an einen Baum binden lassen im Nirgendwo. Sie hatte mich schon anders gedemütigt, und ich bestand sonst auch nicht auf meinen Fremdwörtern und meiner Eloquenz. Aber ich glaube, meine schicken Wörter waren für mich eine Instanz des Verstandes, die das maskierten und kaschierten, was sich wirklich abspielte. Sie repräsentierten Zivilisation und Verstand. Werte, die ich bislang geschätzt hatte und an denen ich festhalten wollte, auch wenn ich mich in meinen Taten degradierte in dieser grotesken Situation, die Worte sollten den Anstand wahren. Aber meine schicken Worte waren Lügen. Sie beschrieben nicht, was ich begehrte. Es ging in Wahrheit um die Worte, die Liz hören wollte und die bereit lagen in einer dunklen Ecke, die ich nicht betreten wollte. Doch ihre Drohung war gewichtiger als meine Scham.
„Es macht mich so geil, dass meine kleine Muschi feucht wird.“
Es war ein Flüstern. So leise, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob ich die Worte wirklich gesagt oder nur gedacht hatte. Aber Liz hatte sie verstanden.
„Na also, geht doch. Muschi ist schon mal ein Anfang, auch wenn es noch deutlicher geht. Arbeiten Sie mal am F-Wort. Aber ich bin schon froh, dass Sie mir nicht mit Ihrer Lustgrotte gekommen sind oder anderem Scheiß. Wir sind hier nicht bei Goethe. Lassen Sie die Klugscheißersprache!“
„Ich werde es versuchen.“
„Geht doch. So, Sie dürfen mich entkleiden. Aber ganz vorsichtig. Passen Sie auf, was Sie anfassen. Cleopatra hat sich auch nicht betatschen lassen von ihren Dienerinnen!“
Mein Herz schlug schneller.
Ich versuchte sie vorsichtig mit meiner Hand zu lokalisieren, ihre Stimme gab mir einen ungefähren Anhaltspunkt.
Als ich ihre Hüfte gefunden hatte, trat ich einen Schritt näher und griff ihr Shirt. Als ich ihre Haut berührte, zuckte ich ein wenig zusammen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die freigiebig sind, wenn es um Körperkontakt geht. Ich halte mich dabei zurück. Es ist mir unangenehm, fremde Menschen zu berühren. Ich mag diese Bussi-Mentalität nicht, die sich ausgebreitet hat. Ich gebe Menschen die Hand, ich muss sie nicht umarmen. Es ist nicht so, dass ich verklemmt oder irgendwie gestört bin. Ich bin nur beim Körperkontakt zurückhaltend.
Umso mehr wurde mir dieser Kontakt bewusst. Wir hatten uns schon geküsst, sie hatte mich bereits berührt, ich hatte ihre Füße in der Hand gehabt. Aber für mich war ihre Hüfte etwas anderes. Ein intimerer Ort und in dieser Situation fast schon etwas Heiliges. War nicht Cleopatra als Pharaonin auch eine Göttin gewesen in der ägyptischen Mythologie? Hatten ihre Sklavinnen das gleiche empfunden wie ich? Ein seltsamer Gedanke. Ich dachte zum ersten Mal in die Richtung des Begriffes von Göttin und Sklavin. Wörter, die Liz noch als prätentiös von sich gewiesen hatte. Sie hatte recht gehabt. Es waren unpassende Begriffe.
Ich zog langsam ihr Shirt hoch und war ihrer Warnung gewahr, dass ich vorsichtig vorgehen sollte und vermied ihre Brüste zu berühren. Aber ich spürte deren Wölbung, als ich den Stoff anhob. Wieder musste ich an ihren Bauch denken, an ihren weißen, weichen Bauch, den ich nicht sehen konnte, der sich mir aber eingeprägt hatte.
Für einen Moment sperrte Liz sich, dann hob sie die Arme über den Kopf und ich konnte ihr das Shirt über den Kopf ziehen. Es war eine ungewohnte Aufgabe. Nie hatte ich jemandem ein Shirt ausgezogen. Ihre langen Haare streichelten elektrisierend meine Arme. Und ich roch den getrockneten Schweiß unter ihren Achseln für einen Moment. Es war mir nicht unangenehm. Konnte solch ein junger, makelloser Körper etwas Unangenehmes an sich haben? Sie war die Personifikation der Schönheit in meinen Augen. Sie war meine Muse. Ich konnte mir nun vorstellen, wie sich Künstler durch die Schönheit von Frauen inspirieren ließen. Ich wünschte, ich könnte malen oder wäre eine Musikerin, die diesen Augenblick in ein Stück Musik fassen könnte. Arbeiteten Komponisten so? Dachten sie an die makellose Haut ihrer Musen und suchten so die Töne, die Akkorde? Machten sie sich einen Spaß daraus, das fertige Stück den dem Frühling zu widmen oder einem Sommergewitter, obwohl es ganz klar das Stück war, dass einer sexuellen Phantasie entsprungen war?
Einen Bruchteil einer Sekunde nur beschäftigte mich dieser Gedanke. Dann ertappte ich mich dabei, wie ich mir ihre Brüste vorstellte, wie sie fest und wohlgeformt vor mir waren, wenige Zentimeter entfernt und doch für meine Augen unerreichbar.
Schließlich hielt ich ihr Shirt in der Hand wie eine Trophäe. Ohne zu überlegen, ob ich meine Kompetenzen überschritt, drückte ich das Kleidungsstück an meine Nase und saugte den warmen Geruch ein.
Ich tastete mich am Waschbecken entlang um sie herum. Wieder ein zaghafter Griff an ihren Rücken. Ich traf die kleine Wölbung an ihrer Wirbelsäule, fuhr langsam hoch, bis ich den Verschluss ihres BHs fand.
Ich glaubte, es war das erste Mal, dass ich den BJ einer anderen Frau öffnete.
Als der Verschluss sich öffnete, spürte ich, wie ihre Brüste sich aus der Beengung der Körbchen befreiten. Ich strich über ihre Schulterblätter die Träger herab und fing den BH auf, als er sich von ihrem Körper löste.
Nun stand sie dort mit nacktem Oberkörper, und ich konnte nichts davon sehen. Ich war dieser Schönheit gegenüber blind, aber ich stellte es mir vor, und vor meiner geistigen Leinwand war es das romantischste Bild der Gemälde der Welt.
Als Nächstes die Jeans. Ich dirigierte mich wieder mit der Hilfe des Waschbeckens vor sie, fasste den Bund ihrer Jeans, fand den Knopf, öffnete ihn und zog langsam den Reißverschluss hinunter. Auch dies war ein Handgriff, den ich noch nie an einer anderen Frau vollzogen hatte. Meine Finger zitterten ein wenig bei dem Gedanken, wo sie sich befanden, wie nah ich an dem war, das Liz spöttisch als Lustgrotte bezeichnet hatte.
Langsam zog ich an der Jeans, was nicht einfach war, denn sie saß eng, und Liz tat zunächst nichts, um mir die Arbeit einfacher zu machen, und so musste ich schon ein wenig zerren und befürchtete bereits, dass sie sich beschweren und mich zurecht weisen würde.
Aber ich erhielt von ihr keine Reaktion. Ich fragte mich, wie erotisch diese Szene auf sie wirken mochte. In Filmen geschah das leichtfüßiger und geschmeidiger, hatte mehr Gefühl, dort fiel ein hauchdünner glänzender Stoff langsam zu Boden und streichelte dabei die Rundungen der Frau. Hier war es realistischer.
Ich ging in die Knie, um einen besseren Griff zu bekommen, und kaum war ich in dieser Position, lag Liz’ Hand auf meinem Kopf und verwehte meine Gedanken. Und dann sprach sie und zog mich aus meinem Autismus.
„Oh Mann, wenn Sie das sehen könnten! Sie knien hier vor mir, ziehen mir meine Jeans aus, und machen, was ich Ihnen befehle. Das ist schon verdammt geil! Meine Fresse! Ihr Kopf ist genau auf der Höhe meiner Muschi! Vielleicht 20 Zentimeter entfernt. Wie gerne würden Sie jetzt Ihren Kopf darin versenken? Und wie gerne würde ich Ihren Kopf da zwischen meinen Schenkeln spüren! Mit Ihren langen blonden Haaren, die über meine Oberschenkel streicheln! Aber wissen Sie was? Nichts davon wird passieren. Denn dass Sie da vor mir knien und machen, was ich will und hoffen, dass ich Ihnen die Erlaubnis gebe, und ich es einfach sein lassen kann, macht mich noch viel geiler. Sie wollen, und ich kann es Ihnen verweigern, und Ihnen bleibt nichts, als so richtig folgsam zu sein, wie so ein kleines Hündchen, damit ich Ihnen vielleicht einen abgenagten Knochen hinwerfe. Machen Sie Ihren Job gut, und vielleicht schenke ich Ihnen dann eine Belohnung. Also, strengen Sie sich an!“
Genau das wollte ich. Ich wollte ihr gefallen. Ich wollte ihr gehorchen und sie glücklich machen. Und dann konnte sie mir irgendeinen Brotkrumen hinwerfen. Sie hatte die Situation erfasst.
Ich hob meinen blinden Kopf. Hätte ich keine Augenbinde auf, ich könnte jetzt ihren Slip sehen. Sie hatte recht, ich war genau auf der Höhe zwischen ihren Beinen, aber an diese Art der Belohnung hatte ich noch nicht gedacht.
Ich setzte meine Arbeit fort, zog ihr die Jeans langsam herunter, und berührte dabei auch ihre Knie und ihre Unterschenkel. Sie hatte mich gewarnt, ich war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Oberschenkel einer der Orte waren, die mir zu berühren nicht zustanden. Aber gegen ein paar harmlose und mehr oder weniger zufällige Berührungen ihrer Unterschenkel konnte sie schwerlich etwas haben. Schließlich stieg sie aus der am Boden liegenden Hose.
Als ich mich wieder aufrichten wollte, um mich nun ihrem Slip zu widmen, dem letzten verbliebenen Kleidungsstück, meldete Liz sich wieder zu Wort.
„Wissen Sie, das ist irgendwie nicht richtig. Ich bin hier fast nackt, und Sie laufen immer noch in voller Montur rum. Ich will, dass Sie sich auch ausziehen!“
Mein Puls beschleunigte sich von einer auf die andere Sekunde.
Ihr Einwand war natürlich vollkommen gerechtfertigt, ihre Forderung machte absolut Sinn. Aber was sie da von mir leichtfertig verlangte, lag schwer auf mir und schien riesige Konsequenzen in sich zu bergen. Wieder verlangte sie ein Stück mehr meiner Selbstachtung. Wieder degradierte sie mich ein Stückchen mehr. War ihr bewusst, was sie da mit mir anstellte, wie sie mich immer weiter auf diesen dunklen Pfad zerrte? Immer einen kleinen Schritt mehr?
Hatte sie sich das auch alles im Internet angelesen?
Die wenigen Seiten, die ich gefunden hatte, waren ziemlich eindeutig und ziemlich gerade heraus. Da wurde nicht lange gefackelt, da wurden keine Grenzen ausgetastet und überschritten. Da ging es sofort ans Maximum. War das alles irgendeine dominante Intuition, die ganz natürlich in ihr schlummerte? Ein angeborener Sadismus?
Aber all die Fragen waren nicht entscheidend. Sie waren nicht der Grund für meinen Herzschlag.
Entscheidend war nicht die Angst, entscheidend waren nicht die Zweifel, meine Sorgen oder Befürchtungen. Entscheidend war ganz allein, dass ich es wollte.
Mein Herz schlug aus Erwartung, aus Vorfreude, aus Antizipation.
Ich wollte mich vor ihr entblößen. Ich wollte mich vor ihr in degradierenden Posen zeigen. Ich wollte vor Scham erröten. Ich wollte mit gebeugtem Kopf vor ihr stehen und ihren Triumph spüren. Ich wollte die schneidenden Bemerkungen hören. Ich wollte klein sein und vor ihr knien!
Sie sollte mich klein machen. Sie sollte mich zu einem Lustobjekt reduzieren. Zu einem Objekt ihres Sadismus.
Ein Teil in mir war erschrocken und beschämt, aber ein mächtigerer Teil vollkommen entfesselt.
Also stand ich mühsam auf, trat einen Schritt zurück, senkte den Kopf in Demut und Beschämung, obwohl ich ohnehin nichts sehen konnte. Wie eine Wölfin, die sich dem Rudelführer unterwirft, und öffnete mit spitzen Fingern den obersten Knopf meiner Bluse. Dann den nächsten. Ich tat es langsam. Nicht zu langsam. Nicht so langsam, wie in einem Striptease. Nicht aufreizend oder manieriert, sondern in gespielter Nüchternheit, als müsste ich mich zu jedem nächsten Schritt überwinden. Und trotzdem wollte ich es hinauszögern, wollte zeigen, dass dieser Akt mich Überwindung kostete, wollte meine Scham auskosten und vielleicht ein klein Wenig wollte ich sie anheizen und warten lassen, mich ihr für Augenblicke verwehren, wie sie mir Dinge verwehrte. Meine winzig kleine Rache in dem Schlachtfeld meiner Demütigung.
Ich wollte, dass sie mich sah. Ich stellte mir vor, wie ich Knopf um Knopf mein Dekolletee vor ihr entblößte und mehr und mehr Haut zeigte. Immer ein wenig mehr. Ein kleines Stückchen. Ich öffnete den Knopf unter dem BH und den nächsten und den letzten.
Wieder hielt ich inne. Einen Augenblick, als erwartete ich ihre Amnestie, als erwartete ich den Befehl, es sein zu lassen. Aber er kam nicht. Dann streifte ich die Bluse über meine Schultern und ließ sie von meinem Körper gleiten.
Ich spürte ihre Blicke auf meiner Haut.
Dann wieder eine Pause, und ich öffnete den Knopf meiner Jeans. Meine war weiter geschnitten, und sie glitt einfacher von meinen Schenkeln. Ich stieg heraus und stand vor ihr.
In nichts als Unterwäsche.
Eine erwachsene Frau vor einer Halbwüchsigen.
Und ich genoss es.
Ich genoss diesen Exhibitionismus, den ich zuvor nie bemerkt hatte. Was war ich nur geworden? Wer war ich bislang gewesen? Es schien wie eine Wiederauferstehung, wie die hässliche Raupe, die als majestätischer Schmetterling wiederkehrt.
Das Blut schoss durch meinen Körper, gemixt in einem Cocktail aus Endorphinen, Hormonen und Adrenalin. Konnten irgendwelche Drogen einen schöneren und schaurigeren Rausch hervorrufen? Ich konnte es mir nicht vorstellen.
Ich stand dort in Unterwäsche, unschlüssig und zögernd, aber eigentlich zögerte ich nicht. Eigentlich wartete ich nur auf das, was dann auch kam und brauchte ihre Aufforderung nicht:
„Nun kommen Sie schon! Sie setzen Spinnweben an!“
Ich öffnete den Verschluss des BHs hinter meinem Rücken und ließ ihn hinuntergleiten. So, dass meine Brüste lange, möglichst lange, wenn auch vielleicht nur für eine Sekunde länger bedeckt blieben.
Dann stand ich mit entblößten Brüsten da.
Vor ihr.
Wartete ich auf einen Kommentar? Vielleicht einen anerkennenden? Ich war eigentlich ganz zufrieden mit meinen Brüsten. Sie hatten eine schöne Größe und eine schöne Form, aber sie waren eben nicht von dieser nubilen Makellosigkeit ihres jungen Körpers.
Doch ich hätte auch eine abwertende Bemerkung akzeptiert. Ich hätte alles akzeptiert.
Aber es kam nichts, als ein Antreiben.
„Meine Güte! Zieren Sie sich doch nicht so!“
Also hakte ich die Daumen in meinen Slip, in einen einfachen, weißen. Ich hatte nicht so früh mit ihr gerechnet, sonst hätte ich delikatere Dessous getragen.
Und mit einem letzten Herzschlag entledigte ich mich auch meines letzten Fetzens Kleidung und Selbstachtung.
Und dann stand ich vor ihr, ohne sie zu sehen, nackt und schutzlos. Vor einem Teenager, dem ich mich ausgeliefert hatte.
Etwas spülte eine Schicht von mir, die wie eine Kruste auf mir gelegen hatte. Was war es? Zivilisation? Moral? Hemmungen? Was immer es war, es war nun weg und in all meiner Demut fühlte ich mich nun vollkommen befreit.
„Na also, geht doch!“
Kein Lob und keine Anerkennung für meinen Körper oder meinen Gehorsam. Nur Ungeduld.
„Ich kann wirklich alles von Ihnen verlangen!“
Sie lachte.
„Sie sind so ein Miststück! Meine Güte! Sie machen das wirklich alles. Wahnsinn!“
Liz hatte mich durchschaut. Wie eine Therapeutin oder eine Hellseherin, vor der man nichts verbergen konnte. Es war unheimlich.
„Na dann mal los! Schmeißen Sie die Dusche an!“
Ich tastete mich an ihr vorbei in Richtung der Dusche, stieg ein, öffnete den Hahn, stellte die Wärme ein. Es war eine vertraute Handlung in all dem Neuartigem und Aberwitzigen, in das ich mich begeben hatte.
„Und jetzt noch meinen Slip und dann waschen Sie mich. Aber Sie machen das so richtig respektvoll! Wenn Sie Ihre geilen Grabschfinger nicht bei sich halten können, dann ist der Teufel los. Und das ist keine leere Drohung. Sie werden das bereuen. Also machen Sie keinen Scheiß!“
Neunzehn
Was in der Dusche passierte, war so aberwitzig, dass ich nun, da ich es in diesem Moment aufschreibe, Schwierigkeiten habe, Gedanken und Hände bei mir zu behalten.
Das warme Wasser lief über unsere Körper, die feuchte Hitze in der Dusche umschloss uns in ihre wärmende Decke.
Ich empfand Ehrfurcht, als ich meine Hände zum ersten Mal auf ihre Schulter legte, sie einseifte. Es war etwas Heiliges in dieser Geste. Ihre Haut fühlte sich weich an, so weich, dass ich fürchtete, meine rauen Hände würden Kratzer auf ihrer makellosen Haut hinterlassen. Aber durch das Wasser und die Seife waren meine Hände natürlich ebenso weich.
Ich spürte ihre Muskeln und musste unwillkürlich an die Amazone aus meinen Träumen denken. Meine Augen hatte ich geschlossen, als ich so ihren Rücken streichelte.
Es war überflüssig, trug ich doch diese elende Maske. Aber ich war auch froh, nichts sehen zu können. Meine Augen wären Verräter der Sinne, die mich ablenkten von dem, was meine Finger mir für Geschichten der Sinnlichkeiten erzählten. Ihr Körper war eine Landschaft. Meine neue Heimat. Ich wollte sie nicht sehen, ich wollte sie fühlen. Und ich prägte mir alles ein. Die Schulterblätter, die sich regten, wenn sie sich bewegte, diese kleine Bucht an ihrem Rückgrat, die ihren Rücken hinunter lief. Ich folgte ihr mit meinen Fingern. Ihre Beine, ihre Schenkel. Ich könnte stundenlang beschreiben, was ich erfühlte, als ich sie wusch, und Tausend Wörter kämen doch nicht nah an das, was ich fühlte.
Worte wurden nicht dessen gerecht, was ich empfand.
Liz warnte mich, dass ich nicht auf falsche Gedanken kommen sollte, sondern meine Pflicht erfüllen sollte. Es war lächerlich, so etwas zu fordern, und doch versuchte ich ihrem Wunsch gerecht zu werden und sie ohne jede Erotik zu waschen. Aber wie sollte das geschehen? Wie konnte man den Menschen, den man wie nichts auf der Welt begehrte routiniert und emotionslos unter einer heißen Dusche waschen? Es war die süßeste Qual der Welt, das Shampoo auf ihrem Körper zu verteilen.
Gerne hätte ich mich ihrem Po gewidmet, ihre beiden Pobacken liebkost, vielleicht gar geküsst. Aber das war nicht meine Aufgabe. Und so war ich mit der Frage konfrontiert, wie weit ich gehen konnte, wie nah ich an die Grenze treten durfte oder wo diese überhaupt war. Was galt noch als das routinierte Waschen einer ägyptischen Pharaonin und was war schon ein Akt der Impertinenz gegenüber meiner Gebieterin?
Meine Bewegungen waren allesamt gekennzeichnet von diesem Zwiespalt. Ich musste an ihre Drohung denken. Ich sollte keinen Scheiß machen. Aber was war denn Scheiß?
Durften meine Hände in den Spalt ihres Pos fahren? Schließlich war es meine Aufgabe, sie zu waschen, da gehörte diese Stelle doch dazu. Ich sollte gründlich sein, aber nicht grabschen.
Ich entschloss mich, einmal schnell hindurch zu fahren mit meiner Hand, aber diese Bewegung brannte später noch in mir. Hatte ich meine Kompetenzen überschritten?
Ich hoffte auf ein Signal von ihr, das mir zeigte, was ich durfte und was nicht, aber es kam nicht. So ließ ich mir Zeit mit ihrem Rücken, ihren Beinen, kauerte mich in die nasse Dusche und widmete mich ihren Füßen besonders. Nicht, weil ich hier einen besonderen Fetisch verspürte, sondern einfach nur als Zeichen meiner selbst gewählten Unterwerfung.
Mittlerweile hatte sie sich umgedreht, und ich kauerte vor ihren Füßen, ließ meine Finger zwischen ihre Zehen gleiten und arbeitete mich langsam hinauf zu ihren Knöcheln. Immer noch gebückt zu ihren Füßen.
Schließlich richtete ich mich auf, langsam, kam zu ihren Knien und darüber.
Wie weit würde ich gehen dürfen? Wie weit würde sie mich hinauf lassen? Ihre Oberschenkel hinauf? Ihre göttlichen Schenkel hinauf?
Sie ließ mich gewähren, als ich langsam, langsam, lautlos langsam höher glitt und höher.
Ihre Stimme kam unerwartet und ließ mich zusammenzucken.
„Wir wollen es mal nicht übertreiben!“
Ich hielt inne.
„Ich spüre an ihrer Berührung, wie vollkommen geil Sie sind. Ihre Hände zittern richtig! Nicht, dass Sie hier noch einen Herzinfarkt bekommen!“
Was ich tat, ich konnte ihr nicht gerecht werden. Ich konnte sie nicht zufrieden stellen. Ich konnte ihr kein Zeichen ihrer Zuneigung entlocken. Nichts, was ich tat oder sagte, war gut genug für sie.
Genau so wollte ich es.
„Richten Sie sich mal auf!“
Ich tat wie mir geheißen und streckte meinen Rücken und verharrte, spürte die schweren Tropfen der Dusche nun auf meinen Kopf prasseln.
„Sie sind so nah an meiner Muschi! Wenn Sie wüssten!“ Sie lachte.
„Das muss sie doch verrückt machen, so scharf wie Sie sind.“
Sie lachte wieder.
„Können Sie sie riechen?“
Ich versuchte es, ich versuchte es wirklich. Aber ich roch nur Wasser und die vermaledeite Seife. Ich roch nicht mehr. Nicht mehr. Oder war da etwas? War da was? Ahnte ich da etwas? War da etwas? Ein Molekül, das von ihr zu mir schwebte? In meine Nase? Ich konnte es nicht sagen. Ich bildete es mir vielleicht nur ein. Ich sog die Luft ein, filterte das hinaus, was ich nicht riechen wollte und versuchte das zu finden, das ich andeutete.
„Kommen Sie, versuchen Sie es! Versuchen Sie es doch! Ich habe die ganze Nacht durchgetanzt, ich habe geschwitzt und gepinkelt und alles. Vielleicht bin ich sogar ein bisschen geil. Riechen Sie das?“
Ja, nun war ich mir sicher. Es bestand kein Zweifel.
Ich spürte, wie sie sich bewegte. Die Duschwanne gab ein wenig nach, als sie einen kleinen Schritt auf mich zu machte.
Ich spürte ihre Nähe auch daran, dass nun kein Wasser mehr auf meinen Kopf prasselte. Wie nah mochte sie mir sein? Wie nah mochte mein Kopf ihrem Schoß sein? Fünfzehn, zehn Zentimeter?
„Sie sind meiner kleinen Muschi nun so nah! Sie müssen doch etwas riechen! Was sagen Sie?“
Ich war mir nun sicher, ja es bestand kein Zweifel. Jenseits des Wassers und der Seife und des kalkigen Geruchs der Dusche war diese olfaktorische Schwere. Sie hing in der Luft, drohend wie in der Akustik der Bass, den man nicht genau orten konnte, der aber alles erfüllte. So war es.
Ich roch es nun. Ganz deutlich. Es bestand kein Zweifel. Und wenn es doch nicht so war, wenn meine Nase sich das alles nur einbildete, dann war es auch vollkommen egal. Wenn es nur suggeriert war, wenn ich es mir nur einbildete, was machte das? Was machte das schon?
Aber es war eben nicht dies, woran ich dachte.
Es waren die fünfzehn oder zehn Zentimeter. Ich könnte mich leicht vorbeugen. Ganz leicht, und dann wäre ich an ihrem Schoß. Sollte ich es wagen? Sollte ich? Welche Strafe könnte sie mir auferlegen, die diese kleine Berührung nicht mehr als Wert wäre?
Sie wollte es doch auch. Hatte sie nicht auch gesagt, dass sie geil war? Sie würde es auch wollen. Sollte ich es wagen? Nur einen kleinen Kuss wollte ich ihr geben.
Doch als ich mich fast entschlossen hatte, verschwand die Gelegenheit, als sie sprach:
„So, genug jetzt. Den Rest mache ich allein. Sonst ticken Sie hier noch total aus. Raus aus der Dusche, husch, husch!“
Damit drehte sie sich um und ihre Hüfte stieß meinen Kopf grob zur Seite.
Der Moment war zerstoben, und ich verfluchte mich für meine mangelnde Entschlussfreude.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihrem Befehl zu gehorchen.
Ich stand nicht auf, ich kroch auf allen Vieren, enttäuscht und entmutigt hinaus.
Ich kauerte dort und wartete. Wie ich schon zuvor gewartet hatte.
Nackt, bis auf die alberne Schlafmaske auf meinem Badezimmerboden kauernd.
Ein einziges Mal berührte ich mein Geschlecht zwischen meinen Schenkeln. Es brannte vor Lust. Es brannte vor Verlangen. Ich musste mich zwingen, nicht an Ort und Stelle über mich selbst herzufallen, mit meinen Fingern meine Erregung zu traktieren. Ich musste mich zwingen.
Zwanzig
Welche Hoffnungen ich gehabt hatte, was ich mir vielleicht erträumt hatte an diesem Tag. Es kam zu nichts.
Ich hockte dort und wartete, dass sie ihre Dusche vollendete. Als sie es getan hatte, trocknete sie sich ab und stieg in ihre Kleider. All das hörte ich. Während all der Zeit ignorierte sie mich. Ich hockte dort, und wartete auf weitere Befehle, die nicht kamen.
Hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte ich sie enttäuscht? Hatte ich ihr nicht gehorcht?
Als sie fertig war, zuckte ich zusammen, als sie ihr Handtuch auf mich warf. Es blieb auf meinem Kopf liegen und auf meinen Schultern.
Zu mehr war ich nicht zu gebrauchen als zu einem Handtuchhalter.
Ich wagte nicht, es wegzunehmen. Und so kniete ich weiter dort, von ihr ignoriert, mit diesem Handtuch halb auf meinem Körper und harrte.
Doch nichts kam, keine Order, keine Ansprache.
Ich hörte sie in meinem Kosmetikschränkchen kramen, Sachen ausprobieren und roch schließlich das teure Parfum, das sie sich aufsprühte.
Ich hatte sie nicht eingeschätzt als jemanden, der solch ein Parfum benutzte.
Schließlich trat sie an mir vorbei, öffnete die Badezimmertür. Ein kalter Luftzug strömte herein und verursachte mir eine Gänsehaut. Dann ihre sich entfernenden Schritte und das Knallen der Haustür. Sie war verschwunden.
Ohne ein Wort.
Was hatte ich getan? Was hatte ich gesagt? Was hatte ich nicht getan? Was nicht gesagt? Was hatte ich falsch gemacht?
Warum ließ sie mich so einfach zurück? Warum?
Die Kälte, die in das Badezimmer strömte, griff nach mir.
Ich drehte mich um, immer noch auf allen Vieren, schloss die Tür, zog das Handtuch von meinem Kopf und presste mein Gesicht hinein.
Ihr Handtuch war das letzte, das sie mir gelassen hatte. Es hatte ihren Körper berührt. Ihren ganzen Körper. Es war wie eine Reliquie. Ich roch daran, schnüffelte, versuchte den Geruch wieder zu finden, den ich glaubte, zuvor errochen zu haben. Ich fand ihn nicht.
Wieder wurde ich der Kälte gewahr, die immer tiefer eindrang, trotz der geschlossenen Tür. Ich wollte sie nicht. Ich wollte nicht, dass die Zeit sich weiterdrehte. Ich wollte stehenbleiben, wo sie angehalten gehört hätte.
So kroch ich zurück in die Dusche, mit dem Handtuch in der Hand, tastete nach den Armaturen, stellte die Dusche wieder an und spürte wieder das vertraut heiße Wasser auf meiner Haut.
Ich beließ die triefende Augenmaske auf meinem Kopf. Nichts sollte sich ändern, alles sollte so bleiben, wie es zuvor gewesen war.
So kauerte ich in der Dusche. Das heiße Wasser lief über meinen Körper, und ich streichelte mich. Streichelte mich, wie ich es mir gewünscht hatte, von ihr gestreichelt zu werden. Mal sanft und zart, dann wieder hart und grob. Fast gewaltsam drangen meine Finger in mich ein, verrenkten sich dabei, forderten, traktierten mein rohes Fleisch zu einem traurigen Orgasmus, der nach unerwiderter Liebe, nach Verlassensein, nach Enttäuschung schrie.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, immer noch im Schwall des heißen Wassers an die harten, blanken Fliesen gelehnt, mischten sich meine Tränen mit dem Wasser und ich rollte mich zusammen wie ein Fötus, weinte, rieb dabei weiter zwischen meinen Schenkeln, bis ich leise schluchzend entschlief im monotonen Prasseln des Wassers.
Einundzwanzig
Der raue Stoff scheuerte über mein Gesicht. Ich hatte einen Jute-Sack über den Kopf gezogen, der Stoff war so grob, dass ich hindurchschauen konnte, aber mein Gesicht blieb darunter verborgen. Die Kette, die um meinen Hals gebunden war, klirrte schwer und unheilsschwanger. Die Amazone führte mich durch die kahle Wüste. Obwohl ich müde und erschöpft war, versuchte ich nicht hinterher zu fallen, denn die Glieder der rostigen Kette schnitten schmerzhaft in die zarte Haut meines Halses, wenn die Kette gestrafft wurde.
Liz beachtete mich nicht. Ihre schweren Schritte stapften stoisch und monoton über den ebenen und brüchigen Boden, während ich hinterher hastete.
Ich weiß nicht, wie lange, das so ging, die Orientierung hatte ich längst verloren, ich hatte mich in eine Trance geflüchtet, die mich vor der grausamen Realität schützte.
Doch schließlich hielt Liz an. Ich war erleichtert und versuchte auf zitternden Beinen die Balance zu halten.
Wir standen vor dem schwarzen Gerippe eines Baumes. Verkrüppelt und in seltsamen Biegungen und Wendungen erstarrt standen kahl und deformiert einige Äste in die Luft. Weit und breit war dieses Skelett das einzige Objekt in der Wüste.
Liz packte mich routiniert und stellte mich mit dem Rücken an diesen Baum. Dann hob sie meine Arme und schloss einen schweren metallenen Armring um meine Gelenke. Danach bückte sie sich und kettete auch meine Fußgelenke mit ähnlichen Ketten fest. Schließlich zwang sie so meine Beine auseinander.
Da stand ich nun, vollkommen hilflos in einer obszönen Geste, die jedem Zugang zu meinem nackten Körper gewährte. Doch ich war froh, nicht länger laufen zu müssen, und mein Wille war fast gebrochen. Ich versuchte, mich in der neuen Haltung einzurichten, meinen Körper, so gut es ging, zu entlasten und etwas zur Ruhe zu kommen. Es war praktisch unmöglich. Schließlich fand ich eine Position, in der ich den Kopf an den gestreckten Arm anlegte und den Körper entspannte. Auch wenn dadurch mein gesamtes Körpergewicht nur an den Ringen um meine Handgelenke gehalten wurden. Aber ich war an einem Punkt angelangt, an dem diese Schmerzen mich nur noch entfernt erreichten.
So schaffte ich es gar, in einen unruhigen, gazezarten Schlummer zu fallen, der eine Weile andauerte, aus dem ich immer wieder durch den leichtesten Reiz gerissen wurde, bis ich schließlich in einen dunklen Schlaf fiel.
Aufgeweckt wurde ich durch ein sonores Trommeln. Es klang dumpf und eindringlich, schien alles zu durchdringen, ich spürte die Wellen in meinen Fußsohlen, ich spürte sie in den Stamm fahren und von dort meinen Körper in Schwingungen versetzen. Dazu erklang eine seltsame Flöte, die fiebrige Töne ausspie. Sie klangen fremdartig wie aus fernen Ländern. Es schien nicht ein einziger Ton zu sein, der jeweils erklang, sondern simultan waren verschiedene zu hören, die einander gegen liefen, sich dann wieder vereinten, um sich wenig später wieder auseinander zu bewegen. Gewunden wie zwei Schlangen im Liebesspiel.
Es waren eigentümliche Laute, die mich tief berührten.
Ich öffnete die Augen und drehte den Kopf ein wenig, um durch den braunen Stoff hindurch zu schauen.
Dort standen etwa zwanzig junge Frauen. Alle wie Liz kriegerisch gekleidet in Lederharnische. An ihren Hüften hingen breite Kurzschwerter, dazu noch gekrümmte Dolche an der anderen Seite, manche hielten Speere, andere Schilde.
Sie standen in einem Kreis und murmelten leise wie in einem Ritual oder einem Gebet unisono einen Sermon, den ich nicht verstand.
Woher die Trommeln und die Flöte erklangen, konnte ich nicht ausmachen. Auch wenn ich meinen Kopf wand nicht.
Die Trommeln, die Flöte, das Gebet. Es beunruhigte mich, dass die Geräusche so tief in meine Seele eindrangen, auf der anderen Seite fühlten sie sich dort warm und wohlig an, nahmen mir die Schmerzen, als stünde ich in einer warmen, dunklen Höhle, geschützt vor einem draußen wütenden Unwetter.
Der Sermon steigerte sich in ein Crescendo, bis er schließlich mit einem Mal verstummte. Und auch die Trommeln und die Flöte schwiegen von einer Sekunde auf die andere.
Ich war gespannt.
Dann sprach Liz mit feierlicher Stimme laut:
„Lasst uns nun in den Krieg ziehen!“
Die anderen Frauen stießen ein kriegerisches „Aajh!“ aus.
„Doch bevor wir in die Schlacht gehen, lasst uns das alte Ritual unserer Göttinnen befolgen!“
„Aajh!“
„Möge sie uns Entschlossenheit, Stärke und den Sieg schenken!“
„Aajh! Aajh! Aajh!“
Damit drehten sie sich um und kamen auf mich zu, stellten sich im Halbkreis um mich.
Liz richtete ihre Stimme gen Himmel und verkündete laut.
„Göttinnen! So Ihr uns gewogen seid, schenkt uns Euer Wohlwollen durch diese Kreatur hier. Sprecht durch sie hindurch, und wir werden Euch dienen!“
„Aajh!“
Dann war es still für einen Moment, bevor wieder die Trommeln und die Flöte einsetzten. Sofort spürte ich, wie die Klänge in mich fuhren, doch dieses Mal drängender als zuvor.
Ein halbes Dutzend der Amazonen trat an mich heran. Sie begannen synchron zur Musik mich zu streicheln. An den Armen, den Schenkeln, am Bauch, den Hüften, den Brüsten. Es war ein seltsames Gefühl, ein Dutzend Hände auf mir zu spüren, die langsam über mich
Um weiterlesen zu können, musst Du Dich einloggen. | ||
Passwort vergessen? |
Anmeldung und Nutzung sind kostenlos. Um die angezeigte Geschichte weiterlesen zu können, ist kein Altersnachweis notwendig, da es sich um eine erotische Geschichte handelt (nicht pornografisch!). Die Anmeldung dauert keine zwei Minuten.
Kommentare
Kommentare: 125
Das sie ja da irgendwie raus gekommen ist, zeigt ja schon alleine das Schreiben dieser Geschichte.«
Kommentare: 2
Ich sitze hier und starre auf den Bildschirm.
Nachdenklich.
Ich hoffe für alle Protagonisten, dass sich das >Based on a true story.< nur auf den Rahmen bezieht und die letzten Kapitel weitgehend (Auto(?))biographischer Züge entbehren.
Falls dies nicht so sein sollte, finde ich den Mut zum Aufschreiben der Geschichte beachtlich und einen guten Ansatz, das Geschehen zu verarbeiten.
In diesem Falle meinen Aufrichtigen Respekt.«
Kommentare: 53
wenn die Geschichte wirklich war ist, wie sagt man "Hut ab" vor soviel Mut zum Aufschreiben. Respekt!
Ich würde natürlich auch gerne den Fluchtversuch gerne lesen; jedoch denke ich, ist dieser nicht so einfach wie gedacht abgelaufen.
Ich hoffe, Du findest die innerliche Kraft uns allen den letzten Teil Deiner Geschichte mitzuteilen.«
Kommentare: 67
goreaner
Tal
goreaner«
Kommentare: 9
Kommentare: 68
LG Dora«
Kommentare: 24
Kommentare: 26
Kommentare: 16
Kommentare: 11
Kommentare: 3
Vielen Dank für die schönen Stunden!«
Kommentare: 2
Kommentare: 9
Kommentare: 131
Kommentare: 115
Kommentare: 5
Kommentare: 1
Bitte Fortsetzung.«
Kommentare: 211
Ja mich packt eine unbeschreibliche Kraft nun diese Geschichte zu lesen. Ja ich freue mich auch schon darauf. Wobei freuen eigentlich falsch ist. Mein Kommentar soll eine Art geschichtenbegleitend sein. Mal sehen, ob es was wird.
Die Spannung im Moment ist groß.
Einleitung und Eins
gelesen. Wow. Starker Auftakt. Dicht. Viel drin. Klasse.
zwei bis neun gelesen.
Dicht. Faszinierend. Das Spiel hat begonnen. Der innere kampf der Lehrerin toll beschrieben. Auch die Herrschaft der Schülerin schön eingefangen. Die Autorin eine Erfahrene. Oh ja.«
Kommentare: 3
vielleicht ist es ganz gut, dass das ende ein stück weit offen ist.«
Kommentare: 1
Aber ich kann mich nur anschließen. Die "Geschichte" ist wirklich sehr ergreifend und das Ende lädt sehr zum Nachdenken ein. Es ist die erste Geschichte die mich wirklich nachhaltig dazu anhält.«
Kommentare: 73
Ich mag deine Geschichten. Und würd mich freuen, wenn du sie irgendwann doch noch zu einem Ende bringst ;)«
Kommentare: 41
Kommentare: 102
Kommentare: 2
Kommentare: 30
Ich hoffe auf eine Fortsetzung.«
Kommentare: 1
Kommentare: 1
Kommentare: 1
Kommentare: 2
Kommentare: 1
Kommentare: 2
Emano
ich melde mich hier fast nie zu Wort, aber diese Geschichte muss ich kommentieren.
Eine solche Non-Con Storie, die auf wahren Begebenheiten beruhen soll, ist kritisch zu betrachten!
Falls die Lehrerin tatsächlich so behandelt wurde, hoffe ich, dass sie eine psychiatrische Betreuung erfahren hat, oder zur Zeit noch erfährt.
Es ist eindeutig Erpressung und die Schülerin ist mit 19 Jahren voll strafmündig. Sie sollte also im Gefängnis sitzen.
Die Lehrerin wird evtl. unehrenhaft aus dem Lehramt entlassen. Das bedeuet, sie muss von Hartz IV leben.
Sollte Sie aufgrund irgendeiner Gnade ihr Lehramt nicht verloren haben, wird sie wohl schon jetzt in ihrem jungen Alter eine Rente bekommen, da sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können wird...
Falls Sie sich nicht auf Grund des psychischen Drucks das Leben genommen hat, hoffe ich, dass ihr Geist und Seele eines Tages Ruhe finden mögen.
So viel zu den Konsequenzen...
Die Geschichte ist stilistisch gut geschrieben. Aber die Traumsequenzen zwischendurch zerstückeln die Geschichte und lassen, mich als Leser, immer mal wieder innehalten und revue passieren, was da gerade gelaufen ist. Dadurch wird man enger an die Person der Lehrerin gebunden und kann sich (sogar als Mann) mit ihr identifizieren.
Leider fand ich die Geschichte recht vorhersehbar. Aber dem erotische Lesespaß tat das keinen Abbruch.
Diese Geschichte ist eine der ersten, die ich bewerte. Und ich habe sie hoch bewertet.
Falls die Geschichte jedoch erfunden ist und der Hinweis auf "Wahre Begebenheiten" nur zur Dramaturgischen Wirkung hinzugefügt wurde, dann muss ich sagen: Super gemacht! Fesslend, Aufwühlend und spannend (obwohl vorhersehbar).
Ein gelungenes Werk!
Emano«
Kommentare: 112
Kommentare: 13
Kommentare: 25
Beim lesen bekommen. Doch diese hielt nicht lange an, denn sie ging in aufgeregten
Schüttelfrost über. Man was kannst Du mit Deinen Worten für Gefühle erzeugen
DANKE DANKE DANKE!!!
Ich weiß überhaupt nicht, ob Du Deine Kommentare überhaupt liest? Aber wenn, schreibe doch bitte weiter! Jede Deiner Geschichten könnte doch zum Beispiel noch fortgeführt
werden?
Falls Du Anregungen wünscht, ich hätte da eine Menge auf Lager!
Anerkennende Grüße
Lulu007«
Kommentare: 2
Kommentare: 45
Kommentare: 1
So hat man oft das Gefühl, dass beim BSDM gerade der/die Dominante sehr selbstbewusst ist. Besonders in dieser Story wird deutlich wie wenig dass dies der Fall ist. Das kann natürlich auch sehr mit sem Alter der Protagonisten zu tun haben.
Wie sehr Liz doch nach Liebe verlangt, sie braucht und wie schwierig es dann für sie ist, als die Beziehung kippt. Diese angebliche Demütigung und diese Frage, ob die Lehrerin jedem so hinterherdackeln würde und sich behandlen liesse... und keine Antwort. Diese Frage war keine Demütigung sondern die Angst nicht geliebt zu werden, austauschbar zu sein. Der Wunsch den andern kennen zu lernen und abgeblockt werden.
Ich denke es macht auch unglaublich deutlich wie gefährlich eine BDSM-Beziehung sein kann wenn die Liebe fehlt.«
Kommentare: 1
Falls die Story echt ist und keine Fiktion möchte ich die Autorin für ihren Mut loben, sowas aufs Papier zu bringen kann absolut nicht leicht sein, ich hoffe ihnen geht es heute besser und wünsche alles gute.«
Kommentare: 61
Kommentare: 17