Immer das Wetter! - Drei kurze Kurzgeschichten
von Helios53
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Nachstehende drei kurze Kurzgeschichten wurden für einen Wettbewerb unter der Vorgabe eines Wortlimits von 600 geschrieben. Ohne Toleranzzuschlag! Da muss man an Wörtern sparen, denn im Text soll nicht nur die ganze Geschichte Platz finden, sondern nach Möglichkeit auch noch eine Art Pointe zum Abschluss.
Die Leser mögen daher davon absehen, darauf hinzuweisen, dass die Geschichten schlicht zu kurz sind oder dies und das detaillierter ausgeführt hätte werden sollen. Dafür war leider kein Platz. Und daher eignen sich diese Kurzkurzgeschichten sicher nicht als Wichsvorlagen, es sei denn, der Leser kann die Anregungen in seinem Kopfkino zu Clips in passender Länge verarbeiten, wobei in den vorliegenden Fällen eher das „Weiterdenken“ gefordert wäre.
Und nun: Viel Spaß, denn nur darauf kommt es an!
Wieder kommen die Kurzstories in chronologischer Reihenfolge. Drei eher kuriose Geschichten des Kennenlernens, wobei die Unbillen der Natur hilfreich eingegriffen haben. Diesmal ohne knallige Pointen.
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ALLES GUTE KOMMT VON OBEN
© Helios53, V/2010
Ein schwüler Tropentag im Herzen Europas. Brütend lag die Hitze über der lauschigen Liegewiese in Ufernähe, dennoch rundum von Wald umgeben. Der Platz war von sonnenhungrigen Menschen gut besucht und obwohl jeder sein eigenes Plätzchen im hohen Gras suchte, war niemand ganz allein, dazu war entweder die Wiese zu klein oder der Andrang nackter Sonnenanbeter zu groß.
Anders als in Freibädern oder Badeseen herrschte hier angenehme Stille. Ein paar lästige Insekten sirrten, surrten oder brummten herum, manchmal hörte man ein kurzes Klatschen. Im Schweiße ihrer braun gebrannten Leiber lagen die meisten Menschen schwerfällig in der Sonne, nur selten veranlasste die Natur jemand, seinen Platz zu verlassen. Die einen schlurften zu den oben am nur für Fahrräder erlaubten Zufahrtsweg aufgestellten Mobiltoiletten, die anderen zu einer im Wald gelegenen Quelle. Manchmal strebten auch Pärchen dem Wald zu und mancher rätselte, ob sie dort wirklich nur Abkühlung suchten, doch sogar die notorischen Voyeure waren meist zu träge, sich ihnen auf die Spur zu setzen.
Auf einmal brach eine gewisse Unruhe herein. „Du, es ist so schawül, das gibt bestimmt ein Gewitter!“
„Ach was! Sieh dich doch um, überall blauer Himmel.“
„Was hinter dem Berg ist, sieht man aber nicht.“
„Egal, was hinter dem Berg ist, von dort ist noch nie ein Wetter gekommen. Das Wetter kommt von Westen oder Süden, selten auch von Osten, aber nie vom Norden.“
„Ich habe aber ein schlechtes Gefühl!“
„Weiber! Ihr immer mit euren Gefühlen!“
So ging es mancherorts immer wieder hin und her, doch auf einmal schob sich eine finstere, dicke Wolke von Norden her über den Berg vor.
„Siehst du! Ich habe recht gehabt, es gibt ein Gewitter.“
„Aber wo! Da müsste es doch längst blitzen und donnern! Hörst du was? Na, also!“
„Aber die Wolke …“
„Die Wolke bleibt dort hängen. Noch nie ist ein Wetter von da gekommen!“
Zehn Minuten später blitzte es hinter dem Berg, ein gewaltiger Donner ließ die Menschen und die Berge beben und dicke Tropfen platschten auf die Wiese mit all den erhitzen, nackten Menschen. Plötzlich kam Bewegung in das träge Volk. Die Menschen stopften hektisch Sachen in ihre Taschen, Beutel und Körbe, zogen sich trockene Kleider an, die prompt binnen Sekunden durchnässt waren und eilten davon.
Nur Lukas war anders. Lukas tat meist nicht, was alle taten, sondern ging eigene Wege. Er steckte seine trockenen Kleider in einen Plastiksack, sein Buch, in dem er gelesen hatte und den Walkman ebenso und ließ sich nackt auf seiner ISO-Matte beregnen. Haut war wasserdicht und wenn der Regen vorüber war, hatte er trockene Kleidung. Vielleicht kam sogar wieder die Sonne. Aber bald war es ihm zu langweilig, alleine nackt auf der Matte im Regen zu liegen und er erhob sich. Er war nicht allein! Sie war auch da!
Sie, das war ein Mädchen mit dunklen Locken, das etwa hundert Meter weiter ihren Platz hatte. Offenbar war auch sie der Meinung, dass es sinnlos war, im strömenden Regen trockene Sachen anzuziehen, wenn man keinen Schirm dabei hatte. Herrlich war sie anzusehen, wie sie mit leicht gespreizten Beinen da stand, das Gesicht dem Himmel zugewandt, die kecken Brüste mit den steil abstehenden Nippeln vorgestreckt, die Arme wie in einem archaischen Gebet erhoben. Auch sie war überrascht, nicht allein zu sein, ließ die Arme sinken und kam lächelnd auf Lukas zu, der ihr entgegen schritt.
Nackte Menschen erregten ihn schon lange nicht mehr, aber der Anblick dieser Göttin war etwas Besonderes. Sie trafen sich und sahen sich tief in die Augen. Worte waren gar nicht nötig, er sah ihr Verlangen und zeigte seines.
„Ich will dich! Willst du?“
„Unbedingt! Etwa hier?“
„Hier und jetzt!“
THEMA der Geschichte war „Am Busen der Natur“. Der Anfang ist recht authentisch. Dummerweise wurde in der Realität aus diesem Gewitter ein zweiwöchiger Dauerregen – und nach zwanzig Minuten gab ich auf, zog meine trockenen Sachen an und schlüpfte dann tropfnass ins Auto! Die junge Frau gab es auch. Leider stieg sie aber in ihr eigenes Auto!
Lukas und seine dunkelhaarige Freundin namens Andrea habe ich viel später in Kapitel 2 von „Ein heißer Heumond“ (Aloha Hawaii) wieder aufleben lassen.
ZUM THEMA „Bilder, Bücher und Banausen“ musste auch der Regen eingreifen, um zwei Leute einander kennenlernen zu lassen:
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TAUSEND TONNEN
©Helios53 XI/2011
Überfallartig brach das Sommergewitter über Richy herein. Ein schneller Rundblick, er zuckte die Achseln. Kein Unterstand. In weniger als einer halben Minute wäre er sowieso bis auf die Haut durchnässt. Also schlenderte er gleichmütig weiter die ruhige Straße entlang, hing seinen Gedanken nach und ließ den Regen prasseln.
Wütendes Gepolter, unterbrochen durch verhaltene Flüche, störte seine weltumformende Gehirnakrobatik. Verwirrt sah er auf und erblickte eine junge Frau, die die Doppelflügelhaustür eines alten, schmalen Wohnhauses malträtierte. Fünf Stufen führten dorthin, ein Flügel war offen, gegen den anderen tobte die temperamentvolle Schwarzhaarige mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften. Doch der zweite Flügel ging einfach nicht auf. Auf der Straße stand eine Sackrodel mit einem riesigen Miele-Waschmaschinen-Karton. Mit freiem Auge erkannte Richy, dass dieser niemals durch die Tür passte, wenn der zweite Flügel nicht aufzukriegen war.
Hilfsbereit näherte sich der Held der Straße. „Kann ich was tun?“, war nun gerade nicht die intelligenteste Frage, aber das Mädchen lächelte unter Tränen der Wut und Verzweiflung.
„Ja, sicher, ich krieg‘ die Scheißtür nicht auf!“
Richy musterte sie aufmerksam. Sie war nicht besser dran als er selber. Ihr dünnes T-Shirt klebte förmlich an ihrem wohlgeformten Körper. Und sie war süß. Und sie trug keinen BH. Und sie hatte einen Kussmund. Und ihre Nippel …
Richy riss sich gewaltsam aus diesen Betrachtungen. „Vielleicht passt die Waschmaschine durch die Tür, wenn wir sie auspacken?“
„Da ist aber keine Waschmaschine drin. Das sind Bücher. Und die dürfen nicht nass werden!“, schluchzte sie nun völlig verzweifelt.
Richy besah sich das Malheur. Der Riegel war verbogen und klemmte, aber mit seinem Leatherman konnte er die Schrauben herausdrehen. Endlich stellte er sich vor und erfuhr, dass sie Ellen hieß. Der Rest war technisch ein Kinderspiel, aber ansonsten Schwerstarbeit. Lift gab es keinen, Ellens Bude lag im dritten Stock, der Karton war tonnenschwer.
„Verdammt!“, fluchte er, „wie bist du auf die verrückte Idee gekommen, tausend Tonnen Bücher in einem einzigen Karton zu transportieren?“
„Es sind nur zweihundertzwanzig Kilo und der Karton ist nicht mal voll!“, protestierte Ellen. „Zwei Straßen weiter wird ein Antiquariat aufgelassen, da gab es die Bücher zum Kilopreis. Da musste ich doch zuschlagen. – Magst du Bücher?“
„Klar mag ich Bücher, aber lesen, nicht schleppen!“, keuchte Richy und taumelte erschöpft in ihre Kleinwohnung. Die Einrichtung war gleichermaßen zauberhaft wie spartanisch. Tisch, Stuhl, Kasten und ein riesiges Himmelbett mit nur drei Beinen, weshalb die Matratze samt Bettzeug auf dem Boden lag.
„Wie ist das denn passiert?“
„Wir mussten es hochkant durch die Tür tragen, da ist mein Bruder gestolpert und da war das Bein ab. Ich hab’s geleimt, aber es hält nicht. Mitten in der Nacht bin ich aus dem Bett gerollt. Jetzt schlaf ich auf dem Boden.“
„Du solltest das nasse Zeug ausziehen, sonst schläfst du demnächst im Krankenhaus.“
„Ja, gleich, ich kann ja nicht …“
„Was? Gibt‘s denn was, was ich noch nicht gesehen habe?“ Richy fixierte grinsend ihre appetitlichen Brüstchen in der Klarsichtpackung.
Sie schaute verblüfft an sich hinunter. „Da hast du eigentlich Recht. Du dann aber auch!“ Mit diesen Worten zog sie sich das Shirt über den Kopf, wühlte im Kasten, warf Richy ein Handtuch zu und rubbelte sich mit einem zweiten trocken. Dann rubbelte er ihren Rücken trocken. Dann rubbelte sie ihn ein wenig, aber trocken war er schon. Es funkte. Das hatte nichts mit dem Gewitter draußen zu tun.
Nun begann er zu wühlen, aber im Bücherkarton.
Ein alter Weltatlas, in dem die DDR noch existierte, zwei Bände Brockhaus, Krieg und Frieden und ein Bildband über 100 Stellungen beim Sex – „brauchen wir das?“ - stabilisierten das Himmelbett vorzüglich. Bücher interessierten an dem Tag niemand mehr.
ANMERKUNG: 220 kg kann man zu zweit mit so einer Sackrodel bewältigen. Ist zwar eine Schweinearbeit, aber wenn es sich lohnt?
ZWEI MONATE später war es richtig kalt. Da passte dann das THEMA „Frostschutz“ ideal
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OLDTIMER
© Helios53, I/2012
Es war Freitag an einem eiskalten Januartag, die abendliche Rush Hour auf dem städtischen Außenring zeigte sich von ihrer zähesten Natur. Ulli war das schon gewohnt und blieb in stoischer Ruhe sitzen, als mal wieder auf seiner Spur gar nichts weiterging. Die Autos vor ihm drängelten schon wieder nach links oder rechts, doch das würde kaum etwas ändern. Immerhin kam er auf diese Weise auch ein paar Meter weiter.
Da vorne schien ein alter Mercedes eine Panne zu haben, denn der rührte sich nicht vom Fleck. Eine Frau stand neben dem havarierten Wagen, blickte kurz hinein, tippte sich kopfschüttelnd an die Schläfe und stieg schimpfend in ihren Opel Corsa dahinter. Trotz der Proteste anderer Fahrer quetschte sie sich auf die linke Spur und rauschte davon.
Ullis Interesse war geweckt. Er schaltete seine Warnblinkanlage ein, stieg aus und ging nach vorne. Was war das? Er rieb sich die Augen und schaute noch einmal. Nein, kein Trugbild! Am Steuer saß eine junge, blonde Frau und weinte bitterlich. Und sie war nackt. Splitterfasernackt mitten im Winter und mitten auf dem Außenring! Schnell sah er sich um. Wo war die versteckte Kamera?
Jedoch, so überlegte er, wenn es ein Scherz mit der Versteckten Kamera war, warum heulte sie dann wie ein Schlosshund? Wäre es dann nicht eher so gewesen, dass sie ihn irgendwie in dumme Handlungen verstricken hätte wollen? Konnte das echt sein? Ulli beschloss kurzerhand, es darauf ankommen zu lassen, umrundete den alten Mercedes und stieg schnell bei der Beifahrertür ein. Die Blondine zuckte erschreckt und heulte nur noch ärger. Es kostete einige Mühe und Geduld, bis er die Kleine dazu gebracht hatte, ihn ins Bild zu setzen.
Sie hieß Rita und hatte sich auf einer Geburtstagsfete in eine Wahnsinnswette hineinmanövrieren lassen. Es ging darum, nackt eine ganze Runde am Außenring zu fahren und zwar allein, sozusagen ohne Netz. Dabei hatten die jungen Leute übersehen, dass das im abendlichen Stoßverkehr Stunden dauern konnte. Jürgen, der Gastgeber, hatte sie in seinen Zweitwagen gesetzt, eben den alten Mercedes 190D, versprochen, dass der bei der letzten Ausfahrt im Oktober noch tadellos funktioniert hatte und seither sicher in der Garage untergebracht gewesen war. Unter dem Jubel des Geburtstagskindes, sowie der anderen Gäste, hatte Rita einen leckeren Strip hingelegt und war in den Oldtimer gestiegen, den sie sowieso schon immer mal hatte fahren wollen. Der war auch sofort angesprungen, alle Systeme, auch die nachgerüstete Sitzheizung, schienen in Ordnung. Also war sie losgefahren, Jürgen zur Kontrolle mit seinem neuen Toyota hinterher. Nach gut der halben Stadtumrundung hatte er sich aber verkrümelt, denn jetzt konnte Rita ja kaum mehr schummeln. Doch bald danach hatte der Motor angefangen zu stottern und war abgestorben.
Ulli wusste sofort, was passiert war. Der sommerliche Diesel ohne Frostschutzadditiv hatte in der Eiseskälte paraffiniert, ein Filter war versulzt und so war einfach der Sprit ausgegangen. Diese Erkenntnis half Rita aber nicht weiter. Sie wollte diese Wette um keinen Preis verlieren, wollte nicht aussteigen, wollte nicht Jürgen anrufen und zurück zur Party auch nicht. Ulli warf einen Blick auf Rita und gleich einen weiteren hinterher. Eine Schönheit, total verheult, aber eine wirkliche Schönheit! In Ulli erwachte die Abenteuerlust. „Lass mich machen, vertrau‘ mir und gib mir die Adresse, wo die Party gefeiert wird.“
Ulli schaltete die Warnblinkanlage des Mercedes ein, zwängte sich mit seinem zuverlässigen Golf vor Rita, packte seine Utensilien aus, montierte das Abschleppseil und gab Rita Zeichen. Vorsichtig zog er an, er und Rita schafften es. Als sie beim Partyhaus ankamen, waren sie schon ein so gutes Team, dass es keine Frage war, dass sie weiter zu Ulli fuhren und gemeinsam die Kälte vertrieben.
FALLS sich ein lesender Autor (oder gar eine lesende Autorin) berufen fühlt, sich auch einmal in dieser Disziplin zu versuchen, kann er/sie das gerne tun. In dem Fall entweder einfach teilnehmen oder bei mir melden (Feedback). Die Wettbewerbe finden in allen ungeraden Monaten statt.
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Hohe Handwerkskunst :-)
LG Mondstern«