Klassentreffen zu zweit
von GhostWriter
»Auf dem Küchentisch liegt eine Nachricht für dich, Schatz.«
Die Stimme seiner Frau hatte diesen süffisanten Unterton, der unterschwellig nahelegte, keine Umwege einzuschlagen, sondern sich direkt um eben diese Nachricht zu kümmern. Er kam gerade vom Joggen und hatte die Laufschuhe noch in der Hand, um keine hässlichen Spuren auf den hellen Fliesen zu hinterlassen. Der Gewitterregen war so überraschend gekommen, dass er keine Möglichkeit mehr gefunden hatte, seine Runde abzukürzen. Seine Kleider klebten an seinem Körper. Trotzdem hatte es einen Heidenspaß gemacht, durch den warmen Regen zu laufen und seine Laune war dementsprechend.
»Ich geh erst duschen, ich bin tropfnass«, rief er in keine bestimmte Richtung. Im Flur war es dunkel, die Rollläden in den angrenzenden Räumen waren wegen der Hitze draußen fast alle geschlossen. Der kurze Gewitterregen war abgezogen, als hätte er nie stattgefunden. Nur Holgers Klamotten schienen der stumme Beweis dafür zu sein. Seine Frau erschien im Durchgang zum Esszimmer und grinste.
»Schon zum zweiten Mal diese Woche.« Sie schüttelte amüsiert den Kopf, was ihren langen blonden Pferdeschwanz zum Wedeln brachte. Sie trat näher an ihn heran und half ihm aus dem Laufshirt, das ihm hartnäckig am Rücken klebte.
»Es gibt schlimmeres, als bei 30 Grad nass zu werden«, entgegnete Holger gut gelaunt. Das Shirt landete mit lautem Platschen auf den weißen Fliesen. Er fummelte an der Kordel seiner Hose. Als die Fingernägel seiner Frau über seinen Rücken strichen, zuckte er zusammen. Die Nägel glitten bis zum Bund seiner Shorts und sofort breitete sich eine wohlige Gänsehaut über seinen Oberkörper aus. Er spürte wie die Härchen seiner Arme sich aufstellten und die Haut in seinem Nacken zu kribbeln begann. Als er ihre Lippen auf seiner verschwitzen Haut spürte, drehte er sich irritiert zu ihr um. Sofort widmeten die manikürten Nägel sich seiner behaarten Brust. In ihren Augen lag ein verträumter Glanz. Sanft legte er ihr die Hände auf die Oberarme und hielt sie ein wenig auf Abstand, um sie ansehen zu können.
»Wo sind die Kids?«, fragte er.
»Nebenan. Anja hat das Planschbecken aufgestellt. Das Gewitter hat sie kurz nach drinnen vertrieben.«
Als ob seine beiden Kinder die Frage gehört hätten, hörte er durch die geschlossenen Rollläden und die gekippten Fenster seine Tochter kreischen und kurze Zeit später seinen Sohn ausgelassen schreien. Offenbar hatten die beiden ihren Spaß mit den zwei gleichaltrigen Kindern der Nachbarn. Es war nicht zu überhören, dass ihre Aktivitäten sich wieder von drinnen nach draußen verlagerten.
Die Finger seiner Frau hatten inzwischen seine Hände von der Kordel der Shorts verdrängt und entknoteten sie an seiner Stelle. Kaum dass der Zug am Bund geöffnet war, glitten ihre Hände in die Hose.
Sie fanden seinen hart werdenden Schaft und schlossen sich um die feuchte, warme Haut. Fast automatisch bewegte Holger seine Hüfte und ließ sich sanft von den Händen wichsen. Der Griff wurde fester und gerade als er nach unten greifen und die Hose abstreifen wollte, beugte sich Martina nach vorne und flüsterte in sein Ohr:
»Wer ist Silvia?« Jetzt packte sie ordentlich zu, als wolle sie die Tragweite der Frage damit unterstreichen.
»Keine Ahnung. Wie kommst du auf den Namen?«
»Sie hat hier angerufen und nach dir gefragt.« Ihre Nägel bohrten sich in seinen Schaft und Holger hatte alle Mühe sich dem harten Griff zu entziehen. Sie lockerte die Hände etwas, ließ ihn aber nicht los.
»Ich kenne keine Silvia.« Holger nahm die Sache nicht ernst. Er hatte sich nichts vorzuwerfen und an der Stimmlage seiner Frau erkannte er, dass sie die Szene auch nur gespielt dramatisch aufzog. Bis jetzt.
»Bist du dir da ganz sicher?« Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie mehr wusste, als sie preisgab. Ihr auffordernder Augenaufschlag war nur ein Anzeichen.
»Ich habe mit einer Silvia Abitur gemacht. Aber das ist...«, er zögerte und verfiel ins Grübeln.
»25 Jahre her«, half Martina ihm beim Nachrechnen. »Und du hast Glück, es war die richtige Antwort.«
Sie grinste und streichelte seinen Schwanz, als wolle sie ihn belohnen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.
»Sie hat angerufen«, war ihre Antwort auf seinen fragenden Blick und sein Stirnrunzeln. »Erst bei deinen Eltern, dann hier, nachdem sie von deiner Mutter die Nummer hatte. Sie trommelt deine alte Klasse zusammen für ein 25-jähriges Klassentreffen.« Die Hand an seinem Schwanz fühlte sich jetzt richtig gut an und just in dem Moment als er ihr eine Hand auf den Busen legte, knallte die Terrassentür.
Ihre zehnjährige Tochter Lena stürmte herein. Gefolgt von Ben, ihrem braunen Labrador, der wild mit dem Schwanz wedelnd um sie herum strich und versuchte sie umzuwerfen.
»Maaaaami«, kreischte Lena durchs Wohnzimmer und hatte schon fast die Diele erreicht, als Holger und Martina endlich voneinander abrückten und sich züchtig, mit Abstand nebeneinander aufstellten. Gerade noch rechtzeitig hatte Martina die Hand aus seiner Hose gezerrt und Holger die nach unten gerutschte Shorts wieder gerade gezogen. Lena hatte nichts bemerkt. Nur Ben schien genau zu wissen wobei er sie überrascht hatte, denn seine treuen Hundeaugen hatten diesen wissenden Glanz. Hätte er gezwinkert, Holger wäre nicht eine Sekunde überrascht gewesen.
Während seine Frau und seine Tochter nach oben gingen, um irgendwelche Spielsachen zu holen, kümmerte er sich um die Nachricht auf dem Küchentisch. Silvia Benz, TO, 25, sowie RR und eine Handynummer standen auf dem Zettel.
TO dachte er melancholisch. Da war doch was. Wie immer, wenn er an die alte Schule dachte, tauchte unweigerlich das Bild von Rosa vor seinem inneren Auge auf. Seiner Lehrerin, mit der er in den letzten Wochen des letzten Schuljahres, so etwas wie ein Verhältnis gehabt hatte. Nicht so etwas wie, korrigierte er sich. Damals war es sehr viel mehr für ihn gewesen, als ein Verhältnis. Und noch heute war er sich sicher, dass es das auch für sie gewesen war. Die letzten Wochen nach dem Abitur und der darauffolgende Sommer, waren noch immer fest in seinem Gedächtnis verankert. Er dachte nicht mehr so oft daran wie früher, aber gerade jetzt, da er den Zettel in Händen hielt und den Namen seiner alten Schule las, waren die Erinnerungen wieder so lebhaft, als wäre es erst gestern gewesen.
Er hatte sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht. Nach seiner Ausbildung und vor der Bundeswehr. Damals, mit neunzehn, auf der Technischen Oberschule in Karlsruhe, war er mit Rosa auf seinem Motorrad durch die Stadt gefahren. Sie hatten sich regelmäßig an einem Baggersee geliebt. An einem stillen Plätzchen, an dem nur abends ein paar Angler auftauchten, nachdem sie längst wieder weg waren.
Am nächsten Tag saß er in ihrem Unterricht und kam sich vor wie in einem billigen Film. Jeden Tag hatte er damit gerechnet, dass der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase und vielleicht war deshalb noch so viel von früher in seinen Gedanken präsent. Weil sie jeden Tag ausgekostet hatten, als wäre es der letzte.
Ihr Mann hatte nichts von all dem gewusst. Auch in ihrem Ehebett hatte sie ihm allerhand beigebracht. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen erinnerte er sich an so manchen überraschten Ausruf, den sie ihm entlocken konnte. Er glaubte ihre glatte, verschwitzte Haut auf seiner nackten Brust zu spüren und plötzlich überkam ihn erneut eine Gänsehaut.
Wie alt mochte sie inzwischen sein, dachte er. Er versuchte es im Kopf zu überschlagen. Er war neunzehn gewesen. Sie knapp dreißig. Achtundzwanzig glaubte er sich zu erinnern. Heute war er vierundvierzig. Sie musste also...etwa dreiundfünfzig sein. Wahnsinn. Ob es ihr gut ging? Was sie wohl heute machte? Ob sie noch in den Staaten lebte? Ob sie überhaupt noch lebte?
Er hing seinen Gedanken nach, während er in der Küche stand und den Zettel anstarrte, den seine Frau ihm geschrieben hatte. Seine Augen fixierten die Zahl. 25. Wie die Zeit verging. Verstohlen blickte er über die Schulter. 25 Jahre. Mittlerweile war er seit 15 Jahren verheiratet, hatte zwei Kinder, ein Haus und war aus dem gröbsten heraus. Aus dem gröbsten heraus, lachte er bei dem Gedanken mit sich selbst. Du klingst wie ein alter Mann. Als wolle er sich in seine Gedanken drängen, ließ Ben sich vor seinen Füßen auf den kühlen Fliesenboden fallen und blickte aus seinen braunen Augen zu ihm auf.
»Und einen Hund«, fügte Holger grinsend hinzu und bückte sich, um Ben hinter den Ohren zu kraulen. Der Labrador brummte zufrieden und legte den Kopf auf seine ausgestreckten Vorderbeine.
Holger blieb wo er war, sank mit nacktem Oberkörper und barfuß neben dem Hund auf den Boden und fischte das Handy von der Tischplatte. Silvia nahm beim zweiten Klingeln ab. Er saß noch auf dem Boden und telefonierte mit ihr, als Lena und seine Frau längst drüben bei den Nachbarn waren und im Schwimmbecken planschten. Nur Ben leistete ihm treu Gesellschaft.
Abends, nachdem die Kinder im Bett waren und sie nebeneinander auf der Couch lagen, erzählte er Martina von dem Telefonat. Silvia war seit Wochen dabei die alte Klasse zusammen zu trommeln, um sie zu einem Jubiläumstreffen einzuladen.
»Warst du eigentlich je auf einem Klassentreffen von der Abi-Schule?«, fragte Martina nach einer Weile. Holger schüttelte den Kopf. Er blieb eine Antwort schuldig und nach einer Weile hakte Martina nach:
»Warum nicht?« Holger wusste den Grund ganz genau, aber er wollte ihn nicht verraten. Er hatte sich die Frage schon öfter gestellt. Genauer gesagt schon mindestens vier Mal, alle fünf Jahre, wenn jemand versucht hatte, ihn auf eines der runden Jubiläen einzuladen. Jedes Mal hatte er sich mit einer Ausrede davor gedrückt, weil er vermeiden wollte, Rosa zu begegnen. Obwohl er sich jedes Mal eingeredet hatte, dass sie bestimmt nicht kommen würde, hatte er doch jedes Mal gekniffen und war nicht hingegangen.
Martina sah ihn erwartungsvoll an. Er hatte keine Geheimnisse vor seiner Frau, doch diese eine Beziehung hatte er immer vor ihr verborgen. Obwohl sie lange vor Martinas Zeit lag. Wenn er in der Vergangenheit daran gedacht hatte, es ihr zu erzählen, hatte ihn immer das befremdliche Gefühl beschlichen, dass sich all seine Erinnerungen an dieses Erlebnis in Luft auflösen würden, wenn er jemandem davon erzählte.
»Das waren nur zwei Jahre«, antwortete er lapidar. »Ich treffe mich noch mit denen aus der Realschule, weil die alle noch irgendwo in der Nähe wohnen und mit denen aus der Ausbildung. Mit denen aus dem Abitur hatte ich danach nie mehr richtig Kontakt.«
»Also ich gehe gern auf Klassentreffen.«
»Ich weiß. Du hast es ja auch gut erwischt und hast ordentlich was zum Angeben.« Er gluckste und wurde mit einem Hieb auf den Oberarm belohnt.
»Und du hast nichts zum Vorzeigen?«, erwiderte sie brüsk. Ben hob auf der anderen Seite den Kopf und spitzte die Ohren, weil Martina die Stimme erhoben hatte. Vermutlich wollte er sichergehen, dass er nicht gemeint war. Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Ich denke du solltest hingehen.«
Das dachte Holger auch, aber der Gedanke an Rosa hielt ihn trotzdem lange wach in dieser Nacht. Aber das Letzte an das er sich danach noch erinnern konnte, war sich vorgenommen zu haben, dieses Mal keinen Rückzieher zu machen.
Diesen Gedanken musste er sich noch mehrmals ins Gedächtnis zurück rufen. Zuletzt am Abend des Klassentreffens. Er stand bereits in Anzug und Krawatte vor dem großen Schlafzimmerspiegel und fragte sich zum wiederholten Mal, ob er wirklich gehen wollte und wie er sich verhalten würde, wenn Rosa tatsächlich erschien. Wie immer war sein nächster Gedanke der, dass Rosa Herzog nur ein halbes Jahr ihre Klassenlehrerin gewesen war. Das wäre in etwa so, als würde der Aushilfs-Sportlehrer, oder die Putzfrau erscheinen. Sie würde bestimmt nicht kommen. Andererseits war sie auch bei seinen Mitschülern sehr beliebt gewesen und das damalige Ereignis hatte sie alle getroffen. Die würden sich bestimmt freuen, wenn sie kommen würde. Und überhaupt, woher konnte er wissen, dass sie nicht an allen vorherigen Treffen teilgenommen hatte? Er selbst war ja nie dort gewesen und hatte auch mit niemandem über die vergangenen Treffen gesprochen.
Er fragte sich, wie er so gedankenverloren gewesen sein konnte, Silvia nicht nach Rosa gefragt zu haben. Vermutlich weil es sich genauso verhielt wie mit seiner Frau. Er konnte einfach mit niemandem über Rosa reden. Es war wie der Geist in der Flasche. Er traute sich nicht den Korken zu öffnen.
Sie waren ein Jahr und vier Monate zusammen gewesen. Zum Beginn des zweiten der beiden Schuljahre, wurde Rosa als Referendarin der Klasse zugewiesen. Sie nahm am Unterricht teil und lernte von den alten Hasen, die vorne ihr Programm abspulten. Die Klasse war dicht gedrängt, es gab nur wenige freie Plätze, meist hielt sie sich im hinteren Teil auf. Dann brach sich Holgers Freund und Banknachbar das Becken während eines Radunfalls über die Herbstferien und in den Wochen vor den Winterferien, rückte Rosa auf den freien Platz neben Holger vor. Sie lernten sich kennen und mögen. Versteckt. Heimlich. Vorsichtig.
Dann wurde ihr Klassenlehrer schwer krank. Innerhalb kürzester Zeit verstarb er an äußerst aggressivem Krebs. Die Schulleitung entschied aufgrund von akutem Personalmangel, dass Rosa die Klasse durchs Abitur führen sollte. Sie löste die Aufgabe mit Bravour. Holger und Rosa musste mehr denn je aufpassen, um die startende Karriere von Rosa Herzog nicht schon im Keim zu ersticken. Was zweifellos der Fall gewesen wäre, nicht nur weil sie sich das als junge Lehrerin mit einem Schüler nicht erlauben durfte, sondern weil sie mit ihren achtundzwanzig Jahren bereits sechs Jahre verheiratet war. Zwar bestand ihre Ehe zum damaligen Zeitpunkt praktisch nur noch auf dem Papier, doch der Skandal wäre trotzdem groß gewesen.
Sie verhielten sich ruhig und blieben vorsichtig. Bis zum Sommer. Als das Schuljahr endete und Holger zur Bundeswehr ging, lebte ihre Beziehung auf. Sie versteckten sich nicht mehr zuhause oder an heimlichen Plätzen. Die drei Monate seiner Grundausbildung, die er in Dillingen an der Donau verbrachte und nur am Wochenende nach Hause durfte, waren eine Qual. Die restlichen neun Monate seiner Dienstzeit verbrachte er in Philippsburg, nur einen Steinwurf von Karlsruhe entfernt. Sie sahen sich jeden Abend und wenn er nicht in der Kaserne schlafen musste, wohnte er bei ihr. Während er seine Grundausbildung absolviert hatte, war sie bei ihrem Ehemann ausgezogen und in eine kleine Zweizimmer Wohnung gezogen. Er hatte Pläne für das Studium, doch das was er studieren wollte, konnte er nicht in Karlsruhe studieren. Sie haderten und überlegten. Er zerbrach sich den Kopf über die Alternativen. Dann bekam sie ein Angebot zu einem Auslandsaufenthalt in den Staaten. Das Kopfzerbrechen wurde doppelt anstrengend. Am Ende entschieden sie sich für die Karrieren. Rosa ging auf eine Privatschule in Boston, Holger begann sein Studium in München. Sie wussten, dass ihre Fernbeziehung nicht bestehen würde. Und doch hatten sie sie offiziell nie für beendet erklärt. Holger lernte seine zukünftige Frau während des Studiums kennen, heiratete, baute ein Haus und bekam die Kinder. Rosa blieb in den Staaten und...verschwand einfach aus seinem Leben.
Er war viel zu früh dort, stand auf dem Parkplatz und war gespannt, wen er überhaupt noch erkennen würde. Fünfundzwanzig Jahre waren eine lange Zeit, um einen Menschen zu verändern. Der Abend war warm. Er stand mit seinem Auto etwas abseits, hatte die Fenster auf beiden Seiten geöffnet und wartete. Es war kurz nach 19 Uhr, die Sonne stand noch am Himmel, zog sich aber langsam hinter die höchsten Häuser zurück und tauchte den Rand des Parkplatzes in sich langsam ausdehnenden, kühlenden Schatten.
Er musste nur ein paar Minuten warten, bis die ersten bekannten Gesichter aus ihren Autos stiegen, sich lachend und johlend gegenseitig erkannten, sich auf die Schultern klopften und wild gestikulierend zu der Gaststätte schlenderten, in der sie sich ab 19:30 Uhr treffen wollten. Seine Unruhe war ihm nur allzu bewusst. Zum wiederholten Male wischte er die feuchten Handflächen an seinen Hosenbeinen ab.
Grob im Kopf überschlagen, müsste seine Klasse aus etwa 20 Männern und vier Frauen bestanden haben.
Die Männer musste er schätzen, an die vier Frauen erinnerte er sich noch. Er rechnete damit, dass mehr als die Hälfte, aber nicht alle erscheinen würden. Also zwölf bis zwanzig Personen. Zehn hatte er bereits gezählt und eben, kurz nach halb acht Uhr, trafen drei weitere beinahe gleichzeitig ein. Bislang waren es nur ehemalige Schüler gewesen. Keine Lehrer. Holger atmete tief durch und zählte von zehn rückwärts. Als wolle er dem Schicksal noch einen Augenblick Zeit geben, um einzuschreiten. Es schritt nicht ein. Er war bei Null angekommen, doch die Welt existierte einfach weiter wie zuvor. Jedenfalls innerhalb seines begrenzten Wahrnehmungsbereichs.
Er drückte die Knöpfe für die Fensterheber. Die Stellmotoren summten. Er blickte nach rechts, um die Scheibe beim hochfahren zu beobachten und schaute plötzlich direkt in Rosas Gesicht. Er zuckte zusammen und sein Finger rutschte von der Taste für den Fensterheber. Die Scheibe blieb halb geöffnet. Rosa stand keine zehn Meter neben seinem Wagen, unter einer weit ausladenden Eiche. Im Halbdunkel des Baumschattens hob sich ihr Gesicht nur undeutlich vom dunklen Hintergrund ab, doch er hatte sie sofort erkannt. Und sie ihn auch, denn es schien, als stünde sie dort schon länger. Als sie bemerkte, dass er auf sie aufmerksam geworden war, lächelte sie verlegen. Ihr Kopf neigte sich ein wenig zur Seite und ihre Arme hoben sich ein wenig. Die Handflächen zeigten nach vorne.
‚Überraschung‘, war die Stumme Aussage der Geste. Sie trug die Haare offen und hatte noch dieselbe wilde Lockenmähne, wie vor fünfundzwanzig Jahren. Und es schien, als wären sie noch immer so tiefschwarz wie damals. Sie trug ein weißes Sommerkleid, das ihr bis knapp über die Knie reichte. Es flatterte luftig um ihren Körper. Dort wo die Scheibe der Beifahrerseite begann, schimmerte es grünlich aufgrund der Thermoverglasung seines Wagens. Oberhalb der Scheibe strahlte es weiß.
Langsam, beinahe zaghaft trat sie aus dem Schatten der Eiche heraus und näherte sich dem Wagen. Sie ging elegant auf schwarzen High-Heels, deren Absätze Holger über den Parkplatz klackern hörte. Sie war noch immer schlank und grazil. Eine Aura von Anmut und Eleganz umgab sie, während sie sich der Beifahrerseite näherte. Sie musste sich bücken um durch die Scheibe zu sehen und lehnte sich dabei weit nach vorne. Das luftige Sommerkleid gab einen tiefen Einblick preis. Sie war sich dessen bewusst, daran bestand für Holger kein Zweifel. Er versuchte es zu vermeiden, ertappte sich aber trotzdem bei einem schnellen Blick auf einen weißen Spitzen-BH. Ein Hauch von Parfüm wehte in das Auto wie eine Wolke, die sie vor sich herschob.
»Hallo Holger«, sagte sie leise.
»Hallo Rosa«, gab er fast genauso leise zurück und wunderte sich im selben Augenblick, über den fremdartigen Klang seiner Stimme. Es entstand eine kleine Pause, in der sie sich in die Augen sahen und nicht recht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Holger löste die Situation in dem er sagte:
»Setz dich doch.« Er deutete auf die leere Sitzfläche seines Beifahrersitzes. Rosa nickte, trat von der Scheibe weg, öffnete die Tür und ließ sich in den ledernen Sportsitz mit den hohen Flanken gleiten. Das Kleid rutschte über ihre Knie. In einer automatischen Bewegung klemmte sie den Saum zwischen ihre Beine, stellte die Füße mit den hohen Schuhen dicht nebeneinander und presste sich ein kleines schwarzes Handtäschchen in den Schoß. Während sie sich ihm zuwendete und gleichzeitig die Tür hinter sich zu zog, stieß ihr Knie gegen die hohe Mittelkonsole. Sie lehnte mit der linken Schulter an der Rückenlehne. Hätten sich beide nur ein wenig nach vorne gebeugt, hätten sie sich küssen können, doch keiner der beiden schien sich zu trauen.
Hölzern und unbeholfen streckte Holger seine Hand aus, die Rosa ergriff und schüttelte. Ihre Hand war warm, der Griff fest. Sie lächelte. In ihrem Gesicht las Holger die gleiche Unsicherheit die er selbst verspürte.
»Gut siehst du aus«, sagte er, nachdem sie ihre Hand zurück gezogen hatte. »Richtig gut.« Er nickte, als wolle er seine Aussage damit unterstreichen und kam sich sofort furchtbar dämlich vor. Aber sie sah wirklich verdammt gut aus und er wusste einfach nicht, wie er das anders ausdrücken hätte sollen, außer es noch deutlicher zu sagen.
»Du auch«, sagte sie und nickte ebenfalls. Ihre Mundwinkel umspielten ein Lächeln. Sie war nur dezent geschminkt, trug ein wenig hellroten Lippenstift, der ihre dunkle Haut und die schwarzen Locken betonte und wohl ein klein wenig Rouge. Er musterte ihr Gesicht und es schien ihr peinlich, dass er sie so lange anstarrte.
»Ich bin fünfundzwanzig Jahre älter geworden«, sagte sie und zuckte dabei mit den Schultern. »Schau nicht so genau hin.«
»Du siehst toll aus«, versicherte Holger. »Ich kann kaum glauben, wie schön du bist.« Der zweite Satz kam völlig ungeplant und Holger zuckte leicht zusammen, als er ihn ausgesprochen hatte. Er spürte wie das Blut in seine Wangen schoss und wäre am liebsten tiefer in seinen Sitz gerutscht. Aber nun hatte er ihn ausgesprochen und daran war nicht mehr zu rütteln. Er fühlte sich als wäre er wieder neunzehn und schüchtern. Er wollte tausend Fragen gleichzeitig stellen, doch keine schien ihm über die Lippen kommen zu wollen. Sekundenlang schauten sie sich einfach nur an. Aber das Schweigen war nicht unbehaglich. Es wirkte beruhigend.
»Stehst du dort schon lange?«, fragte Holger nach einer Weile. Die Frage kam ihm von den tausend möglichen, wie die allerdümmste vor. Zum einen Stand sie mittlerweile nicht mehr dort, sondern saß hier neben ihm, zum anderen tat es überhaupt nichts zu Sache. Aber Rosa nickte nur und gab verhalten zu:
»Ja, schon eine ganze Weile.« Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, sagte aber nichts mehr.
»Warst du auf den bisherigen Treffen?«, fragte sie stattdessen nach einem Moment der Stille.
»Nein«, gab er kopfschüttelnd zu. »Ist mein erstes.« Sie nickte als Zeichen, dass es bei ihr genauso war, obwohl die Frage die Antwort ja bereits beinhaltet hatte.
Holger hatte das Gefühl, langsam wieder zu sich selbst zu finden und die erste Überraschung überwunden zu haben. Mit neuem Mut erklärte er:
»Ich hatte Angst du wärst auch da. Ich hatte auf alle vier runden Klassentreffen zugesagt und bin auf alle vier etwa so weit gekommen wie jetzt gerade.« Er grinste verlegen. Mit einem entwaffnenden Lachen nahm sie ihm die Scheu weiter zu sprechen. »Ich habe mir jedes Mal stundenlang zurecht gelegt, was ich sagen würde, wenn ich dich sehe und jedes Mal konnte ich mich an keinen einzigen Satz mehr erinnern, als ich hier stand.« Sie blickten sich nach wie vor in die Augen, während er beichtete. »Also bin ich irgendwann einfach wieder heimgefahren.« Rosa nickte verständnisvoll.
»Ich war nicht auf alle eingeladen, aber mir ging es heute genauso. Nur dass ich aus Frankfurt angereist bin und einfach wieder umzudrehen, wäre irgendwie blöd gewesen.« Sie lachte bei dem Gedanken.
»Aber ich muss zugeben, während ich dort unter dem Baum stand und du noch nicht da warst, da ging mir die Idee durch den Kopf.« Ihr Blick schien sich zu intensivieren als sie hinzufügte:
»Doch dann hast du geparkt und damit war das keine Option mehr.« Sie nahm seine Hand, die er auf dem Wählhebel des Automatikgetriebes liegen hatte. Vorsichtig und zärtlich, als wolle sie ihm unter keinen Umständen wehtun, strich sie über seine Finger.
»Vielleicht sollten wir uns einfach keine Gedanken machen, was wir sagen, oder worüber wir sprechen?« Sie beugte sich ein wenig nach vorne. Ihre Lippen berührten sich beinahe. Er spürte ihren warmen Atem über seine Wangen streichen. Sie hielt noch immer seine Hand und legte sie jetzt auf die Außenseite ihres Oberschenkels. Da sie schräg im Sitz saß, musste er sich nicht mal strecken. Die Haut war warm und glatt und schien Holger zu elektrisieren. Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Mit geschlossenen Augen, als wolle sie die Berührung mit allen Sinnen genießen, führte Rosa seine Hand ein wenig höher. Im Moment in dem seine Finger den Saum des Kleides erreichten, entfuhr ihr ein wohliger Seufzer. Als würde sie sich an etwas Schönes erinnern, an das sie lange nicht gedacht hatte.
Ihre Lippen fanden sich. Für einen kurzen Augenblick schien die Zeit still zu stehen und alles um Holger herum verstummte. Die Welt außerhalb des Autos hörte auf zu existieren und da war nur noch Rosa. Ihre weichen Lippen, der Duft ihrer Haare, das Gefühl ihrer Haut unter seiner Hand. Ihre Zunge, die sich fordernd in seinen Mund schob und ihr Atem, der über seine Wangen strich. Er spürte ihre Hand an seinem Hals. Ihr Daumen strich über sein Ohr, die Finger gruben sich in seine Haare und er war wieder neunzehn. Er glaubte die Hitze der Sommersonne auf seinem Rücken zu spüren. Den Sand, der auf seiner verschwitzten Haut klebte und die plattgedrückten Grashalme an seinen Beinen, die sich durch das Badetuch abzeichneten auf dem sie lagen. Er hatte wieder den Geruch von Sonnencreme und abgestandenem Wasser in der Nase, der so typisch für einen Baggersee im Hochsommer war und er glaubte in der Ferne, das Rufen und Schreien der Kinder zu hören. Sie lagen in ihrer kleinen Bucht, weit ab von all dem Trubel, uneinsehbar für die anderen Badegäste, umgeben von einem breiten Schilfgürtel an der einen Seite und einem dichten Brombeergestrüpp auf der anderen. Oberhalb ihres kleinen privaten Sandstrandes ein kleines Wäldchen, durch den ein kaum sichtbarer Pfad verlief, den nur ein paar Angler kannten und zu ihren Füßen das Wasser, das in seichten Wellen an ihren kleinen Strand gespült wurde.
Er hatte jedes Zeitgefühl verloren und wusste nicht wie lange sie sich in den Armen hielten und küssten. Als er die Augen aufschlug und in die Realität zurück katapultiert wurde, zuckte er zusammen. Rosa erschrak und ruckte etwas von ihm ab. Ihre Lippen lösten sich nach schier endloser Zeit. Sein Kopf ruckte in alle Richtungen, seine Augen versuchten alles in seiner Umgebung gleichzeitig zu erfassen. Er fühlte sich ertappt, überrascht und so seltsam klar im Kopf, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst, um ihn in sein Leben zurück zu versetzen. Sein Blick blieb am Innenspiegel hängen, an dem eine kleine Holzfigur baumelte, mit Engelsflügeln aus Watte am Rücken und kleinen, klobigen Füßen, die an Schnüren direkt aus seinem Bauch wuchsen. Der Glücksbringer, den Lena für ihn gebastelt hatte und den sie ihm geschenkt hatte, nachdem er den Audi gerade neu aus dem Werk in Neckarsulm abgeholt hatte. Das war vor einem Jahr gewesen und in dem Moment, in dem er Paul den Glücksengel, wie Lena ihn getauft hatte, ansah, traf ihn sein schlechtes Gewissen mit solcher Wucht, dass ihm schlecht wurde.
Rosa folgte seinem Blick. Sie nahm den Engel behutsam in die Hand und hielt ihn in ihrer Handfläche.
»Von einem deiner Kinder?«, fragte sie und blickte von Paul dem Glücksengel zu Holger. Er nickte und hatte plötzlich das Gefühl, Rosa verbieten zu müssen, den Engel anzufassen. Als würde das seine Schuld mindern. Aber sie ließ den Engel auch so wieder los, worauf er unschuldig an seiner Schnur pendelte, die ihm aus dem Rücken zu wachsen schien.
»Von meiner Tochter«, erklärte Holger. »Lena. Sie ist zehn. Wir haben noch einen Sohn. Tom. Die beiden sind Zwillinge.«
»Wie lange bist du verheiratet?« fragte Rosa während sie sich in ihren Sitz zurück sinken ließ.
»15 Jahre.« Holgers Blick hing noch immer an Paul. Es dauerte noch einen Augenblick bis er sich davon losreißen konnte und sich wieder an Rosa wandte.
»Und du? Lebst du noch in den Staaten?«
»Ja, ich habe auch wieder geheiratet und habe zwei Töchter. Nancy und Karen. Sie sind 12 und 14. Wir wohnen noch in der Nähe von Boston. Ich bin noch immer an derselben Schule.« Sie nickte als wolle sie unterstreichen, dass es ihr gut ging und sie zufrieden war. »Meine Eltern feiern am Sonntag ihre Goldene Hochzeit. Sie wohnen inzwischen in Frankfurt. Deshalb bin ich überhaupt nur gekommen. Wir sind gestern rüber geflogen und bleiben bis Dienstag. Ich habe mir für heute Nacht ein Hotel genommen und fahre morgen wieder zu ihnen.«
Ein Augenblick des Schweigens folgte auf den kurzen Statusbericht ihrer privaten Situation. Holger war völlig unschlüssig wie es weitergehen sollte und fand keine Worte. Zum Glück sprang Rosa ein.
»Möchtest du jetzt reingehen?« Sie deutete mit dem Finger zu dem Durchgang, durch den alle anderen Klassenkameraden gegangen waren. Fast automatisch warf Holger einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. 19:46 Uhr.
Er blickte Rosa in die Augen und schüttelte stumm den Kopf. Ihre Mundwinkel umspielten ein Lächeln.
»Ich auch nicht«, sagte sie. »Hast du eine andere Idee?« Sie sagte das in völlig neutralem Ton, ohne doppeldeutig zu klingen. Holger zuckte unschlüssig die Schultern. Sein Blick huschte zu Paul dem Glücksengel, als erhoffe er sich von dort eine Antwort. Rosa nickte verständnisvoll. Ihre schwarzen Augen nahmen einen melancholischen Glanz an. Bestimmt hatte sie sich das Wiedersehen anders vorgestellt, dachte Holger. Aber hatte er das nicht auch? Natürlich hatte er das. Egal wie sehr er sich auf ein neutrales Wiedersehen eingestellt hatte, am Ende seiner Fantasien, die er die letzten Wochen seit der Einladung durchlebt hatte, war er immer mit Rosa im Bett gelandet. Oder am Baggersee. Dort hatte es nie ein Gewissen seiner Familie gegenüber gegeben. Und nie einen Glücksengel der ihn anklagend anstarrte.
»Hast du Hunger?« Holger musste beinahe lachen, nachdem er die Frage gestellt hatte und Rosa schien es ähnlich zu gehen. Vielleicht war es aber auch die Erleichterung die beide verspürten, dass es wenigstens einen akzeptablen Vorschlag gab, wie es weitergehen sollte. Rosa nickte lächelnd.
»Ich könnte tatsächlich etwas vertragen!« Sie griff nach dem Sicherheitsgurt und legte ihn an. Holger nahm das als Zeichen auf, dass sie einverstanden war, dass sie von hier weg fuhren und er als Ortskundiger die Auswahl traf. Andererseits hatte sie lange Jahre selbst in Karlsruhe gelebt.
»Hast du einen besonderen Wunsch?« fragte er deshalb. Sie gab keine Antwort. Stattdessen sah sie ihn nur vielsagend an und zwinkerte. Es dauerte einen Augenblick, doch dann verstand Holger. Er nickte zur Bestätigung.
»Ja, ich glaube den gibt es noch.« Beim Gedanken an den schummrigen Italiener an den sie dachte, musste er schmunzeln. Und er sah aus den Augenwinkeln, dass es ihr ganz genauso ging. Er startete den Audi und rollte langsam vom Parkplatz. Rosa machte keine Anstalten ihre Scheibe hochzufahren, also fuhr er seine auch zur Hälfte herunter und schaltete die Klimaanlage aus. Der Wind der durch die Fenster wehte, war lauwarm und roch nach Abend. Der Thermometer im Armaturenbrett zeigte angenehme 26 Grad Außentemperatur an. Sie rollten langsam durch die Straßen. Der Feierabendverkehr war vorüber, die ersten Nachtschwärmer waren unterwegs. Nicht überraschend an einem Freitagabend kurz vor 20 Uhr.
Rosa rückte im Sitz zurecht. Sie öffnete ein wenig ihre Beine und drückte das Kleid dazwischen auf den Sitz, weil der Fahrtwind es versuchte nach oben zu wehen. Sie behielt die Hand dort. Die neue Haltung gab deutlich mehr Haut an ihren Oberschenkeln preis als vorher. Holger konnte sich nur mit Mühe auf die Straße konzentrieren. Sie näherten sich einer Ampel und während der Audi langsam ans Ende der Autoschlange rollte, gerieten sie unter den Lichtkegel einer Straßenlaterne, die von der Beifahrerseite das Innere des Wagens erhellte. Rosas Schenkel schienen unter dem künstlichen Licht der Laterne zu leuchten. Lichtreflexe spiegelten sich auf der nackten Haut und Holger hatte das schier unmenschliche Verlangen, an den Innenseiten entlang zu streichen, die glatte zarte Haut unter den Fingerspitzen zu spüren und sich ihrem Lustzentrum zu nähern. Er spürte die zarte, mit sommerlicher Bräune belegte Haut beinahe an seinen Fingern. Gleichzeitig spürte er ganz deutlich etwas anderes, nämlich das erneute Aufbegehren seines eigenen Lustzentrums. Dem wurde es langsam zu eng in seiner Anzughose.
Erst das Hupen des Wagens hinter ihm, riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken trat er ein wenig zu heftig aufs Gaspedal und die 333 Pferdestärken des schweren Audis, machten einen Satz nach vorne. Dort war längst keine Gefahr mehr, denn die Autos vor ihm hatten bereits einen ordentlichen Vorsprung.
Er warf Rosa einen schnellen Blick zu und sah gerade noch, wie sie grinsend das Gesicht abwendete und aus dem Beifahrerfenster blickte. Das Blut schoss ihm ins Gesicht. Zum Glück war es dunkel genug um sein Erröten zu vertuschen. Sie kamen nicht weit. Die berühmte rote Welle, schien sich wieder einmal an allen Karlsruher Ampeln auf ihn eingestellt zu haben. Es war wie ein Wink des Schicksals. Als sollte er den kleinen Italiener gar nicht erreichen, sondern einfach immer weiter mit ihr durch die laue Sommernacht fahren und sich an diesen wunderschönen Beinen ergötzen, die da lang und schlank auf seinem Beifahrersitz lagen. Sie ertrug die Ampelstops mit stoischer Ruhe. Die Stille war nicht unangenehm. Im Gegenteil. Die Luft knisterte regelrecht zwischen ihnen und es schien, als wären sie beide nur einen Funken davon entfernt, ungehemmt übereinander herzufallen.
Holger fragte sich pausenlos, was ihn davon abhielt und selbst Paul der Glücksengel, konnte ihm immer seltener die Antwort geben. Er wollte nicht zwei weitere Stunden mit Rosa vor einer Pizza sitzen. Er wollte sie spüren, sie berühren, sie liebkosen und sie verwöhnen. Er wollte von ihr verwöhnt werden. Spüren und Sehen wie ihr Körper sich verändert hatte und es in seinem Gehirn abspeichern. Vielleicht für die nächsten fünfundzwanzig Jahre, darüber machte er sich im Moment keine Gedanken. Für die nächsten Stunden würde ihm schon reichen. Sein Schwanz drohte in seiner Hose zu platzen. Egal wie unauffällig er auf seinem Sitz hin und her rutschte, er glaubte den Druck nicht mehr länger auszuhalten. Er starrte Paul den Glücksengel an, doch von dem fröhlichen aufgemalten Grinsen der Holzpuppe, war nur eine verzerrte Fratze übrig geblieben, die ihn zu verspotten schien. ‚Du blöder Hund‘ ätzte die Puppe grinsend. ‚Du lässt die Liebe deiner Jugend erneut aus den Händen gleiten bis es zu spät ist. Ein für alle Mal.‘
Das war nicht der anklagende Ton den er von der Puppe kannte. Das war eine Aufforderung.
Dann tauchte Lena vor seinen Augen auf und überreichte ihm mit einer kindlichen Freude, wie nur neunjährige Mädchen sie aufbringen können, die Holzpuppe und er sah sich zusammen mit Tom und Martina die Puppe im Spiegel anbringen. Er hörte Lena nach Ben rufen, der sofort parat stand, in den Kofferraum des Kombis sprang und als erster bereit war, für die Testfahrt mit Paul dem neuen Glücksengel. Sie vollführten eine wilde Fahrt um die Stadt, immerhin musste Paul zeigen was er drauf hat, so Tom und die 333 PS des Audis wurden schon in der Einfahrt zur Freude aller Nachbarn, beinahe vollständig aktiviert.
»Ist alles ok mit dir?« Rosas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte nach vorne, aber dort war keine Ampel und auch im Rückspiegel war alles in Ordnung. Er rollte einfach auf Autopilot durch die Straße und konnte sich nicht mehr an die letzten zwei Minuten erinnern.
»Ja.« Sagte er. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Er warf ihr einen schnellen Blick zu und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
»Du bist keine neunzehn mehr und ich keine achtundzwanzig«, schien sie seine Gedanken zu erraten. »Du bist vierundvierzig und ich...« sie stockte einen Moment. »Achtundvierzig.« Es dauerte eine Sekunde, bis Holger die fünf Jahre, die auf ihrer Seite fehlten bemerkt hatte, dann brachen sie beide in ein befreiendes Lachen aus.
»Du hast recht«, sagte er nickend. »Aber immer wenn ich in den vergangenen Jahren an dich gedacht hatte, dann war ich es noch.« Er zögerte einen Augenblick. »Ich habe dich nie in meinem jetzigen Leben gesehen. Und nie daran gedacht, dass wir nicht einfach dort weitermachen können, wo wir aufgehört hatten. Das klingt bescheuert, oder?«
Rosa schüttelte den Kopf. »Nein, tut es nicht. Weißt du warum?« Sie wartete die Antwort nicht ab. »Weil ich genau weiß was du meinst. Mir geht es nämlich ganz genauso!« Holger dachte einen Augenblick darüber nach, was sie gesagt hatte. »Aber du kannst deine Frau und deine Kinder auch morgen noch lieben«, fügte sie leise hinzu und ließ damit keine Zweifel offen, woran auch sie für diesen Abend gedacht hatte. »Wir könnten doch heute Abend einfach nochmal neunzehn und achtundzwanzig sein«, sagte sie noch leiser. »Dann wäre doch morgen alles noch beim Alten.« Sie schmunzelte selbst ob der lahmen Ausrede, doch in ihren Augen lag ein Glanz, den Holger so noch nie gesehen hatte. Er suchte den Blick von Paul dem Schutzengel. ‚Wer bist du Jungspund‘, fragte Paul. ‚Dich kenne ich erst in fünfundzwanzig Jahren.‘ Pauls Fratze wurde wieder zu seinem sympathischen Grinsen. ‚Also morgen früh.‘
Fast im selben Augenblick nahm Holger den Fuß vom Gas. Er ließ den Wagen in eine hell erleuchtete Bushaltestelle rollen, in der kein Bus stand und auch niemand auf einen wartete. Er trieb den Wählhebel auf ‘P‘ noch während der Wagen rollte und bremste dadurch so stark, dass sie beide in die Gurte gepresst wurden. Er murmelte eine Entschuldigung, doch Rosa nahm davon keine Notiz. Sie schaute ihn erwartungsvoll an und war noch überrascht, über die ruckartige Richtungsänderung und den Nothalt in der Bushaltestelle. Sie schaute sich kurz um, sah aber niemanden in der Nähe und auch keinen Grund für die Reaktion. Holger knüpfte dort an, wo sein Zwiegespräch mit Paul dem Glücksengel geendet hatte.
Aber er tat es nicht mit Worten, sondern schnallte sich wortlos ab und drehte den Oberkörper. Er drückte auf ihrer Seite auf das Gurtschloss und führte den Gurt um sie herum, bis er sie nicht mehr treffen konnte, ehe er ihn zurück schnellen ließ. Rosa rutschte wieder genauso schräg auf den Sitz wie auf dem Parkplatz. Ihre Schenkel öffneten sich ein wenig. Die Deckenbeleuchtung der überdachten Bushaltestelle strahlte noch heller ins Wageninnere, als zuvor die Straßenlaterne.
Ihre Lippen fanden sich schneller als beim ersten Mal, aber dennoch waren sie vorsichtig, fast zaghaft, obwohl Holger das Verlangen nach mehr, beinahe überwältigte. Am liebsten hätte er seine Hände überall gleichzeitig an ihrem Körper gehabt, doch er wollte nicht zu stürmisch auftreten. Er spürte ihr Verlangen an der Intensität, mit der der Kuss sich steigerte. Und wir sind ja wieder fünfundzwanzig Jahre jünger, dachte er. Damals hatte sie es gemocht, wenn er ungestüm über sie hergefallen war. Er führte eine Hand an ihre Schenkel und spürte die warme, weiche Haut.
Er hatte nicht hingeschaut, wodurch seine Hand auf der Innenseite gelandet war. Sie stöhnte wohlig auf, als er sie berührte. Am Rascheln des Kleides und dem sanften Quietschen ihrer blanken Haut auf dem ledernen Sitz bemerkte er, wie sie die Beine öffnete. Sein Sichtfeld war von ihren schwarzen Locken völlig verdeckt. Um ihn herum war es so dunkel, als hätte jemand der Bushaltestelle den Strom abgedreht.
Er tastete sich höher und spürte, wie sie ihm noch mehr Platz machte. Ihre Knie stießen auf der einen Seite an die Mittelkonsole und auf der anderen an die Türverkleidung. Einen Augenblick wollte er sich zurücklehnen, um den Anblick mit den Augen und nicht nur in seiner Fantasie zu sehen, doch dann stießen seine Finger am Stoff ihres Höschens an und seine Gedanken waren wieder woanders.
Ihre Zunge bohrte sich beinahe in seinen Hals. Der Kuss nahm ihnen beiden den Atem. In den Sekundenbruchteilen in denen ihre Lippen sich lösten, schnappten sie beide nach Luft wie Ertrinkende, die an die Wasseroberfläche gelangten. Erst jetzt spürte er ihre Hand an seinem Bein, die längst weiter oben war, als seine Hand bei ihr. Vielleicht hatte sie sie auch gleich mitten ins Zentrum platziert und sich nicht mit der Annäherung beschäftigt. Er hätte es nicht sagen können. Er wusste nur, dass sie jetzt da war und es sich wunderbar anfühlte.
Seine Fingerspitzen tasteten nach dem Stoff zwischen ihren Beinen. Er fühlte sich glatt und dick und irgendwie anders an, als er erwartet hätte, aber er hätte nicht sagen können, was ihn daran irritierte. Rosa lächelte, ihre Lippen entzogen sich den seinen, nachdem sie den Mund verzog. Es war klar, dass das Lächeln etwas mit dem zu tun hatte, was er gerade ertastete. Aber er konnte den Zusammenhang nicht herstellen. Seine Hand wanderte höher, erreichte ihren Venushügel und ein wenig verwundert stellte er fest, dass der Stoff dort schon nicht mehr zu spüren war. Er fühlte nur dichtes, gekräuseltes Schamhaar und fühlte sich plötzlich so überdeutlich an etwas aus der Vergangenheit erinnert, dass ihn Gänsehaut erschauern ließ. Sie musste es gespürt haben, denn sie grinste jetzt breit und löste sich von seinen Lippen. Dann endlich fiel der Groschen bei Holger und schlagartig wurde ihm klar, was ihn an ihrem Höschen so irritiert hatte.
»Du hast ihn noch?«, fragte er überrascht. Sie nickte und zuckte die Schultern.
»Ich hatte ihn nie mehr an, aber ich konnte ihn auch nicht wegwerfen.«
»Wohe
Um weiterlesen zu können, musst Du Dich einloggen. | ||
Passwort vergessen? |
Anmeldung und Nutzung sind kostenlos. Um die angezeigte Geschichte weiterlesen zu können, ist kein Altersnachweis notwendig, da es sich um eine erotische Geschichte handelt (nicht pornografisch!). Die Anmeldung dauert keine zwei Minuten.
Kommentare
(AutorIn)
Kommentare: 29
GhostWriter
Kommentare: 28
Kommentare: 112
Kommentare: 105
Kommentare: 63
Kommentare: 279
Kommentare: 96
Kommentare: 1
Kommentare: 48
Kompliment. Du triffst den Ton meiner Zeit und schreibst eine Geschichte, die ich selbst erlebt haben könnte.
Fünf Sterne«
Kommentare: 18
Dem Autor ein Kompliment für seine Detail-Treue sowohl in physischer wie psychicher Art.«
Kommentare: 5
Kommentare: 58
Kommentare: 3
Da finden sich viele Menschen drin wieder und würden sich auf das Treffen in 25 Jahren unbändig freuen.LG«
Kommentare: 3
Eine schön erzählte Geschichte.«