Kuschelwetter - Teil 2
von MarcLelky
Die Rückkehr
Eines Morgens, im Morgengrauen so im Halbschlaf da liegend, kam es mir für einen Moment so vor, wie wenn ich aus einem intensiven Traum mit epischer Handlung aufgewacht war. Ich musste wirklich davon geträumt haben, von diesem kleinen Ort am Meer, wo es angenehm warm war und ich so einige angenehme Erlebnisse gehabt habe, aber wahrscheinlich war ich wirklich dort. Ich bin auch noch zwei Mal mit diesem seltsamen Zug gefahren, doch eines Tages funktionierte der Aufzug, der zum Bahnsteig führte, einfach nicht mehr, und sonst gab es ja keinen Zugang. Auch an diesem Portal beim Felsen tat sich schon lange nichts mehr, außer dass eines Tages ein umgestürzter Baum drüber lag. Diese Website mit den Koordinaten dieser ganzen angeblichen Wurmlöcher, oder Übergängen zwischen den Welten, war sowieso schon lange verschwunden. Doch der Frühling kam, sehr zaghaft aber doch, und auch der Sommer, und ich hatte die Sache immer mehr vergessen, oder besser verdrängt – bis ich Angelo und Angelina in so mancher Traumszene wieder begegnete. Ob das wirklich ihre Namen waren? Ich war mit ihr in einem schwulen Lokal – wie auch immer sie da hineingekommen ist, wir wollten uns küssen, und ich fragte mich, ob das dort geduldet wird. Wie er auch noch auftauchte, stellte sich diese Frage nicht mehr, aber natürlich blendete sich die Handlung dann schon aus.
Schon in den letzten Augusttagen war der Sommer mit einem Schlag auch schon wieder zu Ende, und es herrschten Dauerregen, geschlossene Bewölkung und gedämpfte Temperaturen. Nicht viel später wurde ich eines Morgens ernsthaft schon von einem heftig dröhnenden Laubsauger aus dem Schlaf gerissen. Doch der Tag versprach noch viel – ich hatte mich nach stundenlangem Chatten und hin und her schreiben nach einiger Zeit wieder einmal mit jemand zu einem kleinen Abenteuer verabredet. Natürlich mit einem Mann, denn bei Frauen war bei mir seit dieser Geschichte überhaupt nichts gelaufen, es sei denn ich hätte doch einmal mindestens 100 Euro hingelegt.
Was hatte er nicht alles geschrieben – er musste mich unbedingt treffen, ich war genau sein Typ, und er würde gern stundenlang und mehrmals hintereinander … und nach 20 Minuten gab ich das Warten dann auf, Telefonnummer wusste ich sowieso keine. Die Lust war mir vergangen, aber gleich wieder nach Hause wollte ich auch nicht, also ab in die U-Bahn und auf eine kleine Tour durch die Stadt. Mir war in diesem Moment sogar danach, wieder einmal zur Endstation zu fahren und mich dort umzusehen.
Diesmal schien sich jedenfalls etwas zu tun, als ich die Ruftaste drückte. Seit ich vor ein paar Monaten das letzte Mal im Wald bei dieser Felsgrotte gewesen war, packte mich mit einem Mal das Gefühl, dass sich wieder etwas Großes auftun könnte, irgendwo, irgendetwas. Hinter der Wand aus Glas und glänzendem Metall erschien tatsächlich bald eine Aufzugs-Kabine, die Türen öffneten sich, und es sah nicht so aus, wie wenn noch jemand einsteigen wollte. Aber wenn doch, was würde dann geschehen? Vielleicht überhaupt nichts? Es erschien mir aber so oder so eine gute Idee, von diesem Portal nicht überall herum zu erzählen. Drinnen probierte ich die bekannte Tastenkombination aus.
Es passierte nichts, fast eine gefühlte Minute lang – doch dann spürte ich ein kurzes Rumpeln, sogar fast mehr ein durchaus kräftiges Durchschütteln, und der Aufzug fuhr nach unten. Ein heftiges Kribbeln erfasste mich, meine Knie wurden weich – und dann sah ich auch schon den Durchgang zum unterirdischen Bahnsteig. Kein Zug war zu sehen, und es war auch niemand da, dafür war jetzt eine elektronische Anzeige montiert, die jedoch nur einige langsam blinkende, wirre Zeichen anzeigte. Ich ging langsam den Bahnsteig entlang und wieder zurück, und überlegte, wie das die letzten Male eigentlich genau funktioniert hat. Von einem Zug war jedenfalls nichts zu sehen.
In der Stille hörte ich auf einmal etwas und zuckte kurz zusammen – Schritte? Instinktiv ging ich vom Durchgang weg und etwas den Bahnsteig entlang, stellte mich mit dem Rücken dicht an die Wand – es waren Schritte, und sie kamen näher.
„Hallo?“, fragte jemand laut, und kam ein paar Sekunden später um die Ecke. Wie sich unsere Blicke trafen, erstarrte er für einen Moment. Er musste vielleicht 25 sein, eher schlank, hatte schwarze Haare und trug eine halblange Hose, obwohl es bestenfalls 14 Grad hatte. Er erinnerte mich fast an denjenigen, mit dem ich heute eigentlich ein Abenteuer haben wollte, aber ich war mir nicht sicher, ob die Beschreibung passte, und Bild hatte ich sowieso keines von ihm. Aber schlecht sah er wirklich nicht aus.
„Äh, wo bin ich hier bitte?“, fragte er.
„Geheimcode?“, war die erste Antwort, die mir einfiel.
„Vier – vier Mal Stop, drei Mal unterste Taste, zwei ...“
„Ja … und … du hast das irgendwo gelesen, von dieser Station, und es ausprobiert?“
„So in etwa“, sagte er, immer noch leicht nervös und fast etwas zitternd.
Wieder durchschnitt ein Geräusch die Stille, und diesmal war es wirklich ein Zug, der aus dem Tunnel heranrollte. Er wurde langsamer, schien wirklich hier zu halten, und durch die Fenster war niemand drinnen zu sehen. Eine der Türen ging mit einem kurzen Zischen von selbst auf, und ich ging darauf zu.
„Und?“, sagte ich zu ihm, der sich wohl nicht sicher war, was er nun tun sollte.
Ich streckte ihm meine Hand entgegen, während ich in der noch geöffneten Tür stand – und wie wir uns wieder für einen kurzen Moment direkt in die Augen blicken, durchfuhr es mich. Es war nicht so wie in manchen mittelmäßigen Filmen, dass ich ihm sofort die Hose hinunterreißen und vor ihm knien wollte, sondern eher so, wie wenn ich ihm um den Hals fallen und ihn fest drücken wollte. Zumindest erleichterte es mich fast etwas, dass ich nicht mehr ganz allein hier war.
Er gab mir wirklich die Hand, und ich zog ihn mit einem kurzen Ruck hinein. Sekunden später schloss sich die Tür, und diese seltsame U-Bahn fuhr an. Grelles Licht nach dem Tunnel, weiße Landschaft, die mit rasender Geschwindigkeit vorüberzog und in eine grüne überging, bis der Zug langsamer wurde und auch schon in der anderen Station stand. Alles noch wie ich es zuletzt gesehen hatte. Ohne viele Worte folgte er mir in die Bahnhofshalle, die ruhig und leer war.
Doch draußen, wo es fast schon zu warm war, was aber durch einen angenehmen Luftzug wieder ausgeglichen wurde, tobte das volle Leben. Sollte ich nach den beiden suchen? Wohnten sie überhaupt noch dort? Ich bemerkte jedenfalls, dass er gespannt auf die Anzeige seines Handys schaute.
„Hier sind wir“, sagte ich, „Friede, Freude, Apfelkuchen, willst du einen? Und wohl kein GPS, kein terrestrischer Empfang, nichts, oder wie?“
„Kurz war etwas da, aber egal, muss wirklich funktioniert haben, wir sind durch“, machte er einen faszinierten Gesichtsausdruck. Ich wollte ihn nicht bedrängen, und versuche auch, ihn nicht allzu sehr anzustarren, auch wenn das bei seiner Figur etwas schwer fiel, aber er machte trotzdem eher nicht den Eindruck, als ob er eine Freundin hätte.
„Das Wurmloch offen halten ist vielleicht nicht so sehr das Problem, aber das Beherrschen der Kräfte, die da drinnen so wirken“, sagte er.
„Äh …? Ach ja, so habe ich das noch gar nicht gesehen.“
„Hast du schon einmal sowas in einem Film gesehen? Was sich nähert, kommt womöglich irgendwo wieder heraus, aber es wird ewig in die Länge gezogen.“
„Vielleicht gibt es einen Gezeitenkraft-Kompensator?“, meinte ich fragend.
„Und wie soll das funktionieren? Einfach in die andere Richtung ziehen?“
„Weißt du was? Jetzt würde ich gern was trinken gehen, und ich wüsste auch schon wo“, sagte ich.
„Gute Idee“, erwiderte er auf einmal in einem ganz anderen Tonfall.
Wenig später standen wir an der Bar und tranken Bier – das musste jetzt einfach sein. Zwar war es erst später Nachmittag, aber so oder so war hier irgendwie schon einmal mehr los – zumindest schienen die Leute fast eher gelangweilt herumzustehen, fast als ob sie auf etwas warteten.
„Warte … ich zeige dir etwas“, sagte ich, wenn auch erst, nachdem ich mein Glas fast schon ausgetrunken hatte.
Ich stellte es an der Bar ab, machte einen Schritt zurück – und brüllte „Pa Panamericano!“
Nach fünf Sekunden, in denen uns einige Gäste anstarrten, einmal machte der Barkeeper, der wohl auch DJ in einer Person war, eine kurze Bewegung mit zwei Fingern, und schob mit der anderen Hand einen Regler nach oben. Ja, er kannte das Stück, die Musik wurde lauter, und die Menge tobte. Mein Begleiter musste immer noch etwas lachen, doch wir stießen noch einmal gegenseitig an.
„Alejandro“, stellte er sich schließlich vor, und ich war mir nicht so ganz sicher, ob es sein wirklicher Name war. Obwohl, einen leicht südländischen Eindruck machte er schon. Wie auch immer, wir tranken den Rest aus, bestellten noch was zu trinken, aber nur noch ein Bier, fürs Erste einmal.
Es wurde später und schließlich dunkel und immer noch nicht kalt, ich versuche erfolglos, Sternbilder zu erkennen, und wir hatten einen Ortsteil entdeckt, wo ich noch nie zuvor gewesen war. Wie wir auf dem Strand den intensiv violetten Sonnenuntergang beobachtet hatten, welche Sonne auch immer es war, wollte ich schon fast meinen Arm ganz vorsichtig um ihn legen, ließ es aber lieber sein. Natürlich waren auch gelegentlich einmal zwei Männer Hand in Hand vorbeigegangen, aber da hatte er eher verschämt weggeschaut. Dafür war ich mir nicht ganz sicher, ob er manchen Frauen wirklich hinterherschaute, oder nur so tat, weil er vielleicht glaubte, dass ich das von ihm erwarten würde. Wir gingen einen breiten Holzsteg entlang, der ein paar Meter über dem Strand längs der Küste verlief. Während auf der einen Seite manche am Geländer lehnten und das nächtliche Meer beobachteten, wo ich manchmal irgendwelche Lichter zu erkennen glaubte, waren auf der anderen Seite einige zum Steg hin offene, gar nicht so schlecht besuchte Lokale, manche mit bunter Leuchtreklame, manche eher schummrig und dezent beleuchtet.
Wir hatten das Ende des Stegs erreicht. Zwar führte eine Treppe zum dunklen Strand hinunter, aber hier oben ging es erst einmal nicht weiter. Neben uns war ein scheinbar geschlossenes und nicht beleuchtetes Geschäft, und niemand in der Nähe. Alejandro lehnte sich, ganz in der letzten Ecke, an das Geländer, und sah zuerst geradeaus in die Dunkelheit, und dann zu mir hinüber. Ich kam langsam näher, er sah mich immer noch an und sagte nichts.
Ganz vorsichtig legte ich meine linke Hand auf seine rechte. Nach einigen Sekunden Zögern krallte er seine Finger um meine, hielt meine Hand fest, wir drehten uns beide zur Seite und standen uns knapp gegenüber. Er sah mich an, wirkte etwas durcheinander, so als ob er nicht weiter wusste, doch dann berührten sich auch schon unsere Lippen. Zwar stieß er mich mit sanftem Druck von sich weg, aber nur um mich gleich darauf zu umarmen, und einen neuerlichen Kuss von mir zu erwarten. Als ich mit meiner Zunge zu ihm vordrang, erwiderte er das auch sofort, und wir vergaßen kurz die Welt um uns herum.
„Sex on the beach“, sagte ich und zeigte auf die große, handgeschriebene Karte einer Bar ein paar Meter neben uns.
„Du meinst den Coctail.“
„Ja, vielleicht auch“, sagte ich und lachte dabei etwas. Er machte wieder ein etwas verzweifeltes Gesicht.
„Was?“, fragte ich ihn.
„Es ist nur so ...“
„Du hast noch niemals etwas mit einem Mann gehabt. Naja, kann ja sein.“
„Das – stimmt nicht so ganz, jemand wollte einmal – und ich habs mir dann doch anders überlegt.“
Ein paar Sekunden lang nahm ich ihn an der Hand, ging mit ihm zur kleinen Treppe, die zum Strand hinunter führte, und er folgte mir einfach. Ein schwacher Lichtschein und ein paar Musikfetzen umgaben uns, als wir durch den Sand gingen, und noch ein kleines Stück den Strand entlang, und außer uns war immer noch niemand zu sehen. Wir setzten uns hin, ich streckte noch etwas die Beine aus und lehnte mich zurück, wie ich auf einmal seine Hand auf mir bemerkte.
„Alejandro!“
Wortlos machte er einfach weiter, strich mit seiner Hand über meine Beine, zögernd aber doch. Immer fester massierte er mich, überall, und bald spürte ich, dass er jetzt auch unter meine Hose wollte, so dass ich ihm beim Öffnen half. Er zog sie langsam herunter, und die Anspannung in meiner Unterhose löste sich dadurch erst einmal, bis er zugriff und mit seiner anderen Hand wieder über meine Beine fuhr.
Jetzt war der richtige Augenblick ihm auch einmal zu zeigen, wie Männer das so machen, und ich stand langsam auf und setzte mich über ihm, wie er da so neben mir lag. Ich konnte deutlich fühlen, dass es ihn erregte, und er sah mich zwar noch für einen Moment etwas komisch an, das merkte ich sogar im schwachen Licht, das noch zu uns herüberdrang. Ich ging noch weiter an seine Hose, wo ich nun zu fassen bekam, was ich vorher nur erahnt habe – fast besser als erwartet. Er ließ sich einfach fallen und starrte in den Sternenhimmel.
Ich beugte mich vor, und meine Lippen trafen auf seine Haut, bald auch meine Zunge, und er begann leicht zu stöhnen und sich etwas unter mir zu winden. Wahrscheinlich würde uns hier niemand hören, und wenn doch, dann war es wohl auch egal. Mein Mund bewegte sich zuerst sehr langsam und dann immer schneller, unsere Hände trafen sich und klammerten sich fest aneinander, und seinen Schreien, vorher vielleicht noch unterdrückt, ließ er jetzt immer mehr freien Lauf. Ich spürte auf einmal einen leicht salzigen Geschmack und sollte eigentlich aufhören, aber ich konnte nicht, nicht hier und jetzt und nicht mit ihm. Er zuckte immer mehr, durchwühlte mit seinen Füßen den Sand, ich spürte seine schwitzende Hand, jeden Moment musste es nun geschehen – und ein cremiger, etwas salziger Geschmack füllte nun meinen ganzen Mund, bis seine kurz vorher noch wilden Bewegungen völlig erstarrt waren und er seinen letzten, befreienden Schrei losgeworden war.
Als er ein paar Momente später wieder zu sich gekommen war und mich ansah, nahm er es mir nicht übel, wie ich doch lieber in den Sand ausspuckte.
„Viele sagen, dass man ja eigentlich nicht ...“, wollte ich sagen, als ich auf einmal jemand bei der Treppe unten am Strand zu sehen glaubte, nicht übermäßig groß, eher zierlich. War es …? Er hatte es wohl noch gar nicht bemerkt und war ohnehin grade zu mitgenommen, aber ich sagte, dass ich einen kurzen Moment weggehen musste, nachdem ich schnell meine Hose wieder notdürftig angezogen hatte.
„Hola chicos!“, sagte die Frau, laut und mit freundlicher Stimme, noch bevor ich bei ihr war.
„Angelina?“, sagte ich?
„Wer, Jolie?“, hörte ich ihn leise im Hintergrund sagen.
„Marcello?“, sagte sie zu mir. Ja, sie war es.
„Schön, dass wir uns wieder einmal sehen“, setzte sie fort, „aber ist wohl besser, wir unterhalten uns morgen weiter.“
Sie blickte kurz zu Alejandro hinüber, er winkte zaghaft, um sich gleich wieder zurückfallen zu lassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass an der Wand neben der Treppe ein Kondom-Automat montiert war, und sie bemerkte, dass ich es bemerkt hatte.
„Oh – könnte noch nützlich sein“, sagte ich.
„Ich wollte es dir eigentlich sagen, aber unbedingt bräuchtest du die nicht. Und zwei Männer schon gar nicht“, sagte sie und zwinkerte kurz mit einem Auge.
„Und was ist mit Geschlechtskrankheiten?“
„Was bitte?“, war sie jetzt etwas verwundert. Mit einem Mal kam mir eine Ahnung, erfasste mich ein starkes Kribbeln, und mir blieb für einen Moment der Atem weg.
„Ach ja, ich habe davon gehört“, sagte Angelina, „aber wir haben so etwas nicht, und auch wenn jemand durch das Portal kommt, dann gehen da überhaupt keine Krankheiten durch – soweit wir das wissen. Ganz selten bekommt einmal jemand für eine Woche einen leichten Hautausschlag, das ist alles. Aber manche finden die Dinger halt interessant.“
Ich war mir nun ganz sicher, das hier musste ein vollkommener, paradiesischer Ort sein, fand keine Worte, musste mich eine Weile an ihr festhalten. Wieder einmal war ich selber etwas verwirrt, weil ich jetzt durchaus auch mit ihr mitgehen könnte – aber mit ihm dabei, dem das jetzt sicher sehr unangenehm war? Ich umarmte sie einfach, gab ihr einen kurzen Abschiedskuss, und morgen konnten wir uns ja in Ruhe treffen. Sie ging hinauf, und ich wieder, mit schnellen Schritten zu ihm hinüber.
„Tut mir leid – aber wenigstens war sie nicht eine Minute vorher da“, sagte ich.
„Du kennst sie?“
„Ja, von den letzten Malen, die ich hier war.“
„Und seid ihr – zusammen?“
„Nicht so wirklich.“
„Aber habt ihr …?“, sagte Alejandro und machte eine symbolische Bewegung mit den Fingern.
„Ja.“
„Toll – ich glaube, da kannst du mir auch noch etwas zeigen.“
Ich sagte erst einmal nichts, legte mich wieder neben ihn, und wir sahen in den Nachthimmel. Fast war mir so, als ob ich gerade einen ziemlich kalten Luftzug gespürt hatte, wirklich unangenehm kalt, aber höchstens für einen kurzen Moment.
„Du, ich bin überhaupt kein Frauenheld – aber hier ist es einfach anders, wie wenn wirklich alle gleichberechtigt wären. Oder wie oft bist du schon von einer Frau angequatscht worden? Einmal in 5 Jahren?“
„Äh ...“, wusste er keine Antwort.
„Bist du überhaupt schon einmal … nein … sag nicht ...“
„Vor ein paar Jahren auf einer Party, alle hätten mich langweilig genannt, wenn ich nicht hingegangen wäre, aber sehr viel ist dann auch nicht gelaufen. Ich habe schon ein paar Mal gehört warum, du siehst ja nicht so schlecht aus, und überhaupt, aber trotzdem muss ich Frauen anscheinend irgendwie natürlich abstoßen … obwohl ich ganz gern eine treffen würde. Aber warum nur Frauen?“
„Willkommen im Club!“, sagte ich und schüttelte ihm die Hand.
Als ich ihm ins Ohr flüsterte, was sie mir eigentlich erzählt hatte, brauchte er noch einmal eine Weile, um sich zu fassen. Aber vielleicht machte ihm das den Entschluss leichter, mit mir noch ein Stück weiter in die Nacht hinaus zu gehen, zum Meer hin, und ein paar Schritte in das Wasser. Ganz ausgezogen hatten wir uns schon vorhin, aber es war nicht nur, weil wir noch eine Runde schwimmen wollten.
Er stand vor mir in der sanften Meeresbrandung, ich hinter ihm, massierte seine Brust mit beiden Händen, und wir küssten uns noch einmal, als er sich zu mir drehte. Diesmal war er es, der vor mir in die Knie ging, während ich seinen Rücken massierte, aber schon bald stand er auf und sah mich an. Alejandro nickte langsam mit dem Kopf, und ich küsste ihn, presste mich von hinten an ihn, musste alle seine Körperteile fühlen. Es war nicht ganz einfach, doch wir fanden immer näher zusammen, noch viel näher als zuvor, wurden eins, und wurden immer schneller, lauter, unkontrollierter. Auch meine Zunge drang immer tiefer, immer schneller in ihn ein, wand sich um seine, bis er sich Luft verschaffen musste. Nun war ich es, bei dem sich die aufgebaute Spannung kaum noch halten konnte, der immer lauter wurde, noch lauter als er – bis wir zusammen explodierten, und sein Innerstes und alles um mich herum nur noch feucht, warm und schön war.
Wir schwammen noch etwas im seichten Wasser, holten uns wirklich noch einen Coctail, setzten uns noch sehr lange an den Strand hinunter und redeten über Dimensionsportale, stabilisierte Wurmlöcher, die Landkarte mit der Eisfläche und den beiden Küsten, die sexuelle Revolution, über alles. Ich weiß auch nicht mehr genau, wann wir dort dann schließlich nebeneinander eingeschlafen sind.
Der nächste Morgen
Während der ersten kräftigen Sonnenstrahlen realisierte ich, dass ich immer noch an diesem Strand war und wirklich die ganze Nacht hier geschlafen hatte, während Alejandro auch gerade so aufwachte und sich streckte. Schlecht war mir nicht wirklich, ob sie wohl statt Alkohol eine andere Substanz verwendeten? Bei der Stranddusche, die wir noch für uns allein hatten, machten wir uns frisch. Eigentlich müsste ich bei Angelina noch eine kürzere, bequemere Hose herumliegen haben.
Der Duft von Kaffee, und frischem Grapefruit-Saft, lockte uns auf die Strandpromenade, und wir beobachteten von dieser Bar von letzter Nacht aus den beginnenden Tag und das Meer. Was mochte wohl jenseits des Horizonts sein? Außer dass dort einfach ein Meer war, konnte es genauso gut sein, dass das Universum dort draußen endete, oder sich eine große Wand erstreckte.
„Ich muss dir etwas sagen“, sagte er auf einmal, „wegen diesem Treffen. Tut mir leid, dass ich nicht hingekommen bin – ich habe mich dann einfach nicht getraut.“
„Moment – meinst du wegen gestern? Du warst das? Ich habs mir fast gedacht.“
„Also zumindest passt die Beschreibung auf dich.“
„Aber nach diesem Portal zu suchen, das hast du dich getraut? 200 Jahre alte Bücher mit sagenhaften Legenden, und eine Liste mit Koordinaten und Geheimcodes und so?“
„Ja, was ist dabei, einfach zu einem Ort in der Nähe zu fahren und nachzuschauen, was dort ist?“
„Aber siehst du“, sagte ich, „wahrscheinlich war das Treffen dann noch besser, als du drüber fantasiert hast.“
Er sah mich nur zustimmend an und konzentrierte sich wieder auf sein Frühstück. Ich hatte dem Schüchti gezeigt, was Leben bedeutet, und es selbst erst vor gar nicht allzu langer Zeit so wirklich erfahren.
„Wie war das genau mit dieser Angelina?“, fragte er.
„Ich wollte sie dann heute noch besuchen. Vielleicht möchtest du sie kennenlernen?“, fragte ich ihn und versuche einen Moment lang, ein künstlich böses Gesicht zu machen.
„Äh … vielleicht … ja!“, sagte er.
Vermutlich hätten wir auch später wieder hier her kommen können, oder zu dieser anderen Bar, wenn richtig was los war, und wahrscheinlich wäre ihm sicher bald eine Frau über den Weg gelaufen, die sich bei seinem Anblick „oh, ist der süß!“ gedacht und einen Vorwand gefunden hätte, mit ihm mitzugehen. Aber warum sollte er nicht auch die Gelegenheit haben, Angelina näher kennenzulernen, allein schon nach der Geschichte gestern am Strand?
An diesem Vormittag machte ich mich dann mit ihm auf den Weg zu ihrem Haus. So weit von hier war es gar nicht, und bald kam mir die Gegend wieder bekannt vor.
„Es ist offen“, hörte ich sie nach einem Klopfen an ihre Tür rufen.
Wir gingen durch das Wohnzimmer, er sah sich interessiert um, und ich sah sie draußen auf der Terrasse sitzen. Mir fiel sie gleich um den Hals, als sie mich bemerkte, und ihm klopfte sie erst einmal vorsichtig auf den Rücken, nachdem sie sich selbst gegenseitig vorgestellt hatten.
„Wir müssen reden“, wurde sie mit einem Mal ernster.
„Was ist denn los?“, fragte ich.
„Wir wissen“, setzte sie zu einer längeren Erklärung an, „dass schon seit langer Zeit immer wieder Verbindungen, Portale auftauchen, in verschiedenen Regionen, die einmal länger, einmal kürzer offen sind. Manche glauben, dass nur die durchkommen, die sich als wirklich würdig erweisen, oder wirklich zu ihren Wünschen stehen.“
„Oh, was für eine Ehre!“, unterbrach ich sie.
„Ich war etwas an der Sache dran, und diese natürlichen Übergänge scheinen alle zu kollabieren, zu verschwinden. Wir haben zwar ein Portal künstlich stabilisierten können, ihr beide kennt es ja schon – aber wir haben ein Problem.
„Lass mich raten“, meldete sich Alejandro nach Momenten der Stille zu Wort, „der Aufzug verbraucht 1,21 Gigawatt, und ihr habt keine Ahnung, wo ihr das hernehmen sollt.“
„So in etwa“, sagte sie gelassen, während ich sie beide mit etwas offenem Mund ansah. „Es könnte sein“, setzte sie fort, „dass ihr nie mehr zurück könnt, und es war gar nicht geplant, dass jetzt noch jemand durch kommt. Andererseits könnte es auch einen bestimmten Grund haben, dass ihr hier seid.“
Ich bekam nach langer Zeit wieder ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Einerseits wollte ich nicht von heute auf morgen einfach mein bisheriges Leben aufgeben, aber allein schon die Aussicht auf mehrere Monate Eiswüste zuhause, die schon bald hereinbrechen würden, ließ mir meine Lage halb so schlimm erscheinen.
„Viele sind sowieso hier geblieben, machen sich gar keine Gedanken über diese Portale oder glauben sogar, dass das überhaupt nur Legenden sind. Aber jetzt könnte nicht nur der Übergang aufhören zu existieren, sondern – unsere ganze Welt. Jedenfalls, ich bin in Kontakt mit ...“
Ein kräftiger, kalter Windstoß kam auf einmal auf, erfasste ein Glas auf dem Tisch, und ließ es auf dem Steinboden zersplittern. Wir sahen uns alle drei besorgt an. Doch gleich darauf hatte ich auch schon wieder das Gefühl, wie wenn selbst ein kurzes Lächeln oder ein positiver Gedanke etwaige dunkle Wolken vertreiben konnte.
„Wollt ihr etwas mit hinein kommen?“, fragte sie, ich machte nur eine zustimmende Geste, und er stand einfach auf und kam mit. Sie setzte sich auf das große Bett in einer halbdunklen Ecke des großen Raumes, das auf einer Seite mit einem Vorhang vom restlichen Raum getrennt war. Beim Hereinkommen entdeckte ich auch auf einem Möbelstück liegend die kurze Hose, die ich das letzte Mal getragen hatte.
„Tu dir keinen Zwang an“, sagte Angelina, als ich die Hose in der Hand hielt. Obwohl ich ja nichts mehr vor ihr zu verbergen hatte, ging ich damit auf die andere Seite des Vorhangs, um mich umzuziehen, während Alejandro etwas hilflos vor ihr neben dem Bett stand. Doch als ich wieder auf die andere Seite kam, hatte er sich neben sie gesetzt. Jetzt war es mir fast unangenehm, dass seine Hose in diesem Moment ohnehin kaum etwas verbergen konnte, und meine jetzt auch nicht mehr wirklich.
Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, legte ihren Arm über ihn, strich ihm ganz langsam über den Rücken – und Sekunden später küssten sie sich, ganz zart und behutsam. Er war irgendwie wie erstarrt, als sie ihn mit leicht offenem Mund zurückließ, und nun mit ihrer Hand seinen Oberkörper erforschte, und sich immer weiter nach unten tastete. Nun lehnte er sich einfach zurück, ließ sich auf das Bett fallen, während sie aufstand, von vorne über ihn kam und seine Arme ausgestreckt zur Seite drückte, wie wenn sie ihn so festhalten wollte. Wieder küssten sie sich, diesmal nicht mehr so zart, wenn auch eher sie ihn.
Doch auf einmal riss er sich los, umklammerte sie, sie wälzten sich zur Seite und zurück – und hastig zog er sein T-Shirt aus. Ich konnte kaum verheimlichen, dass ich nur vom Zuschauen ziemlich erregt war, und ihr musste ja bewusst sein, dass ich daneben stand. Mir fiel wieder ein, wie das damals mit Angelo und ihr war, hier in diesem Bett. Wo war er wohl gerade? Aber ich wollte die beiden allein lassen, ihm seinen Spaß lassen und ihn nicht gleich überfordern. Mich kannte er ja eigentlich schon zur Genüge, aber sie war eine ganz neue Erfahrung für ihn.
Ihr Gewand flog zur Seite, lag auf dem Boden, und seine letzten Hemmungen schienen nun verflogen zu sein, so wie sie sich küssten. Wie er da so auf dem Rücken lag und sie über ihm kniete, hielt er zwar noch einen Moment inne, doch als sich ihre nackte Haut berührte und sie sich vereinigten, konnte ihn nichts mehr halten. Ich konnte mir jetzt nicht mehr anders helfen, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und kurz sah sie zu mir herüber, nur um sich dann noch schneller auf ihm zu bewegen.
Sie stieg von ihm herunter, warf sich dann mit breit gespreizten Beinen auf das Bett, er stand vor ihr – um Sekunden später über ihr zu liegen. Beim Anblick seiner Bewegungen lockte es mich sehr, mich einfach hinter ihn zu stellen, doch ich wollte ihn nicht stören, und machte einen Schritt zurück hinter den Vorhang. Wahrscheinlich hatte er gerade nur sie im Kopf. Lange würde er aber wohl nicht mehr durchhalten, zumindest seinem Geschrei nach.
Als er immer schneller wurde, und dann auf einmal mit weit aufgerissenem Mund über ihr lag, war es zu spät. Wie er den Kopf nach hinten warf, und dann nach einigen Augenblicken zur Seite sah, bemerkte er wie ich neben ihm stand.
„Marcello! Du bist …?“
„Nicht schlecht“, sagte ich, auch wenn er dann noch ein bisschen erschrak, wie ihm auffiel, dass ich auch nichts mehr an hatte.
Er war erst einmal erschöpft, und blieb neben ihr liegen, doch ich merke, wie mir Angelina tief in die Augen sah. Ohne Zögern kam ich über sie, und tauchte direkt in die Überschwemmung ein, die Alejandro hinterlassen hatte. Als ich auch noch ihren Kuss spürte, und sich unsere Zungen berührten, war das auch schon wieder zu viel für mich, und meine aufgestaute Erregung erfasste meinen ganzen Körper und floss in sie, ergoss sich in ein unendlich feuchtes, warmes Meer.
Er atmete immer noch heftig, drehte sich zu ihr und ahnte, dass er ihr mit seinen Fingern noch behilflich sein konnte. Ich sah ihn an, streichelte sie noch einmal, gab ihm noch einen langen Kuss – und gemeinsam verhalfen wir ihr zu ein paar heftigen Ausbrüchen, wie sie so zwischen uns lag. Noch sehr lange lagen wir einfach so zu dritt nebeneinander in ihrem Bett, aber im Badezimmer ließ ich die beiden dann einmal eine Weile allein.
Später sah ich sie mit einem Gerät hantieren, das wie ein uralter Computer aussah. Nicht gerade wie mit Dampfbetrieb, aber nichts, das ich in letzter Zeit irgendwo gesehen hatte.
„Du solltest dich mit Angelo treffen“, sagte sie zu mir. „Er hat nur so eine Ahnung, aber es könnte sein, dass du der Schlüssel dazu bist, um alles in den Griff zu bekommen.“
„Moment, wie, was?“, sagte ich.
„Er ist bei einer Siedlung, in der Nähe der Westkante.“
„Wo ist die Westkante?“
„Auf der anderen Seite. Es ist nicht so wie hier an der Ostküste, mit einem Strand, sondern dort ist eine Geländekante, und es geht bis zum Meer ziemlich steil und senkrecht nach unten. Du kannst mit dem Zug fahren, aber das letzte Stück geht es nur zu Fuß, zu schwieriges Gelände.“
Eigentlich wollten wir ja nur noch zusammen etwas essen, ich blieb dann aber natürlich noch stundenlang bei ihr hängen. Es war so, als ob mir eine schwere Last, eine wichtige Aufgabe umgehängt worden war, aber ich hatte ja nicht gerade einen magischen Ring, den ich vernichten musste, sondern eine Reise ins Ungewisse vor mir. Aber aufbrechen konnte ich morgen immer noch – auch wenn ich ziemlich gespannt darauf war, Angelo wieder zu sehen.
Fortsetzung folgt
Kommentare
Kommentare: 33