Lethargie
von Blasius
Die Spinne drehte nun schon ihre dritte Runde, um die strahlenförmigen verlaufenden Fäden jetzt zu einem Netz zu verknüpfen. Es war verdammt einsam, seit meine Frau völlig überraschend gestorben war. Der Tod hatte sich nicht auf einen Tauschhandel eingelassen, sie hätte mit ihrem Optimismus viel besser in diese Welt gepasst, für mich war nun alles sinnlos.
Nie hatte ich begriffen, womit ich eine solche Frau verdient hatte. Ich war nur ein Durchschnittstyp mit überdurchschnittlichen Komplexen. Es überraschte mich, als sie mir einen Heiratsantrag machte. Selbst hätte ich mich nie getraut, sie danach zu fragen, und genau dies sagte ich ihr auch. Sie war nicht das, was man eine klassische Schönheit nannte, dennoch war sie für mich die attraktivste Frau auf Erden. Mit ihrem ganzen Wesen schien sie zu strahlen. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, dass der Tod sie mir vorzog. Ich bereute zutiefst, kein Kind gezeugt zu haben, vielleicht hätte mich dann ja eine jüngere Ausgabe von Janet angelächelt. Jetzt hatte ich keinen Menschen mehr, der mir etwas bedeutete und es gab auch niemanden, für den ich von Bedeutung war. So genoss ich die Anwesenheit eines Lebewesens in meiner heruntergekommenen Bruchbude, auch wenn es acht Beine hatte.
Ich hatte mir eine Packung Zigaretten gekauft, obwohl ich nie dem Laster des Tabakrauches gefrönt hatte. Selbst zu einem Selbstmord fehlte mir der Mut und so prostete ich von der Zigarette hustend meiner Arachnoide mit einem Glas billigen Fusels zu. Mein Leben konnte nur ein schlechter Witz des Universums sein. Vielleicht sollte ich härtere Drogen nehmen um diesen Fehler in der Weltenplanung zu korrigieren. Mit Tabak und Alkohol dauerte dies eine Ewigkeit.
Ich hatte Angst vor dem Einschlafen. Janet besuchte mich jede Nacht und machte mich zu einem glücklichen Menschen, nur um den Glückspilz beim Aufwachen in die eiskalte Realität zurückzuholen. Ein dringendes Bedürfnis sorgte wieder einmal für ein böses Erwachen, es kostete mich geradezu übermenschliche Anstrengung, den Gang zur Toilette anzutreten. Während ich mir die Hände wusch, überkam mich das dringende Bedürfnis, meinen Alkoholpegel wieder anzuheben. Nur einen winzigen Schluck, der alles erträglicher machen würde. Die flüssige Glückseligkeit war aber aus der Flasche verschwunden. „Scheiße!“
Meine Freunde wollten mich an meinem vierzigsten Geburtstag nicht allein lassen und hatten auf meinen Grill selbst marinierte Steaks gebraten. Sie gaben sich alle Mühe, mich nicht mit meinen Gedanken allein zu lassen. Ich hatte davon nichts gegessen, aber irgendwo musste doch noch die sechs Tage alte bierhaltige Marinade sein. Ich sah die Zwiebelringe in der Spüle schwimmen, also hat die doch schon jemand weggekippt. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf den Weg zu machen, um für Nachschub an Alkoholika zu sorgen.
Unsicher ging ich die Treppe hinab und bemerkte dabei, wie mein Bauch anfing zu grummeln. Vielleicht sollte ich auch, was zu Essen besorgen. Ich betrat den Bürgersteig und mir ging es gar nicht gut. Seit ich zur versoffenen Nachteule mutiert bin, war die Sonne mein Erzfeind. Diese gab sich jetzt alle Mühe, mir meinen Zustand noch zu verschlimmern. Alles drehte sich, während ich ihr blinzelnd den Mittelfinger entgegenstreckte. Das schien den riesigen Gasball beeindruckt zu haben, plötzlich wurde alles schwarz.
Zuerst konnte ich die Stimme vernehmen. Die liebliche Tonlage einer Frau. Janet soll mich in Ruhe lassen! Ich würde sie schon bald wiedersehen, oder war es jetzt schon so weit? Die Klangfarbe schien aber nicht so recht zu Janet zu passen. Aua! Meine Wangen hatten einen Schlag abbekommen. Die Dunkelheit wich einem gleißenden Licht, das mich nur verschwommene Konturen erkennen ließ. Über mir schwebte eine Person, die ich nicht erkannte. Das war nicht Janet! Es konnte sich hier nur um einen Engel handeln. Verrückt, an so ein Zeug hatte ich nie geglaubt. Ein Engel mit eisblauen Augen, umrahmt von einem feingliedrigen Gesicht. Der Himmelsbote lächelte mich an. „Hallo, hiergeblieben!“ Mein wegdriften wurde von einer erneuten Ohrfeige verhindert. Nun konnte ich die Gestalt bedeutend besser erkennen. Es war eine mir unbekannte Frau mit dunklen Haar, kein geflügelter Seraphin.
Ich lag mitten auf dem Bürgersteig und schämte mich plötzlich für meine ungepflegte Erscheinung, besonders für die Alkoholfahne. Langsam begann mein Räderwerk zwischen meinen Ohren wieder zu laufen. Ich erzählte der hilfsbereiten Person etwas von Unterzuckerung und wollte mich erheben, um zu gehen. „Nichts da!“, sanft drückte sie mich wieder zu Boden. „Sie müssen sich erst mal erholen, Ich werde einen Krankenwagen rufen.“ Auch das noch, in ein Krankenhaus wollte ich auf keinen Fall. „Mir geht es wieder gut, ich brauche keine Hilfe mehr.“ Um meine Aussage zu bekräftigen, kramte ich in meiner Hosentasche und holte ein uraltes Bonbon heraus. „Sehen sie, ich brauche nur etwas Zucker.“ Mit Todesverachtung steckte ich die halb mit dem Papier verklebte Süßigkeit in den Mund.
Leicht verzog sie im Aufstehen ihr Gesicht, gerade so, dass man annehmen konnte, sie hätte dieses Zuckerzeugs sich gerade höchstpersönlich in den Rachen gestopft. Ich wollte diese Spiegelung meiner selbst nicht sehen. Es erschien mir daher logisch, woanders hinzusehen. Woanders hieß in dem Fall unter ihren Rock. Ich erblickte ein Höschen, welches der Vorstellungskraft kaum noch Spielraum ließ. Warum mussten die Dinger auch mehr oder weniger transparent sein? „Ich bringe sie wenigstens nach Hause.“ Der Engel wollte nicht locker lassen. „Nein nein, ich muss noch einkaufen gehen“, wehrte ich ab. „Das kann doch ihre Frau machen.“ Ich folgte ihren Blick zu meiner Hand. Es war mir immer noch nicht gelungen, den Ehering abzulegen, und nun suchte ich nach einer Erklärung.
„Meine Frau ist tot“, verkündete ich trotzig. Ich war ihr dankbar, dass sie darauf nicht näher einging. Ihrer Hartnäckigkeit musste man Respekt zollen. „Ich fahre sie erst einmal Heim und dann sehen wir weiter.“ Es war einfach nicht möglich, sie loszuwerden, und so fügte ich mich in das Unvermeidliche. Schließlich war es ja nicht so weit, um mir doch noch an der nächsten Tankstelle meinen Alkoholvorrat zu beschaffen.
„Was wollten sie denn einkaufen?“ Ich befand mich schon im inneren ihres Autos und hatte ihr gerade gesagt, wohin sie es steuern sollte. „Ich werde es ihnen mitbringen, sie sollten ihre Wohnung erst mal nicht verlassen.“ Ein letzter Versuch, sie abzuschrecken, schlug fehl. „Zwei Flaschen Korn und ein paar Kekse“, war meine Antwort. Mit strenger Mine nahm sie mich ins Visier und vernachlässigte dabei die Aufmerksamkeit für den Straßenverkehr. „Meinen sie nicht, dass sie schon genug Alkohol getrunken haben? Kekse sind auch nicht dass, was sie gerade brauchen!“ Den Rest der kurzen Fahrt verbrachten wir schweigend.
Ich mochte diese souveräne Frau, deren Namen ich noch nicht kannte. Vor meiner Wohnungstür angekommen überlegte ich trotzdem, wie ich verhindern konnte, dass sie meinen Saustall betrat. Ich hob an, um etwas zu sagen, doch ich konnte in ihrem Gesichtsausdruck lesen, dass sie keinerlei Ausflüchte gelten lassen würde und so ließ ich es bleiben. „Welcher Orkan ist denn hier durchgefegt?“ Mit einer solchen Reaktion hatte ich gerechnet. „Ich würde ihnen gern etwas zu trinken anbieten, aber meine Vorräte sind auf Null gesunken.“ Wieder bekam ich einen gestrengen Blick zugeworfen. „Ich werde uns erst mal was richtig leckeres zu Essen besorgen und du wirst in der Zwischenzeit hier etwas für Ordnung sorgen. Auf keinen Fall werde ich aber Alkohol mitbringen!“ Mit diesen Worten war sie fast schon wieder an der Tür und ich murmelte ihr ein „Ja, Mami“ hinterher. „Das habe ich gehört!“, sagte sie gänzlich unbeeindruckt und ließ mich allein zurück. Vollkommen überraschend war sie zum „du“ übergegangen.
Ich bewaffnete mich wie befohlen mit einem Plastiksack und fegte erst mal allen Unrat auf meinem Couchtisch in die Tüte. Schnell noch alles, was auf dem Boden lag hinterher gestopft und ich war fertig. Die Nervosität nahm zu. Würde sie wiederkommen? Vor allem aber stellte sich mir die Frage, wie ich mein inzwischen übermächtiges Verlangen nach Alkohol stillen sollte. Ich wühlte im Badezimmerschrank, sogar das Mundwasser prahlte mit der Aufschrift „Alkoholfrei“. Da ich schon mal hier war, machte ich mich ein wenig frisch. Ich erinnerte mich, vorhin noch ein paar Pralinen weggeschmissen zu haben. Schnell durchsuchte ich nochmal den Sack. Da! Es waren tatsächlich Weinbrandbohnen. Ich wühlte sie wieder aus dem Sack heraus und steckte sie mir ohne zu zögern, in den Mund.
„Das hast du jetzt nicht wirklich getan?“ Erschrocken drehte ich mich um. Sie stand wieder im Zimmer, kommen gehört hatte ich sie nicht. Sie duftete so wunderbar. Nein, es war nicht sie selbst, sondern das Essen in ihrer Hand. Im Schrank fand ich noch zwei saubere Teller, das grenzte an ein Wunder. „Gegen dein ungesundes Trinkverhalten musst du wirklich was unternehmen, oder willst du deiner Frau als Schnapsleiche entgegentreten?“ Beide Teller überstanden mein Erstarren nicht. Sie glitten mir einfach aus der Hand. War das Absicht von ihr, wusste sie was mich bewegte? Vermutlich hatte sie nur einen wunden Punkt getroffen ohne zu ahnen, was in mir vorging.
Nachdem ich nun zwei andere Teller gespült hatte, verteilte sie die Speisen.
„Ich heiße Tanja“, stellte sie sich nun mit Namen vor. Vermutlich wollte sie mit niemanden speisen, dessen Namen sie nicht kannte. „Mike“, murmelte ich schon am ersten Bissen kauend. Es schmeckte mir. Seit langen wieder einmal ein warmes Gericht. Ich schlang es wie ein wildes Tier in mich hinein, als wolle es mir jemand wegnehmen. Auf diese Weise beendete ich meine Nahrungsaufnahme um einiges früher als Sie. Es blieb mir Zeit, Tanja eingehend zu studieren. Sie sah ganz anders als Janet. Ihre dunklen Haare bildeten einen schönen Kontrast zu dem Gletscherblau ihrer Augen. Man sagt: „Wenn er nach dem ersten Date deine Augenfarbe kennt, sind deine Brüste zu klein“, dies traf hier aber nicht zu. Es war alles dort, wo es hingehörte, nicht zu groß und nicht zu klein. Zu schade, dass wir an einem Tisch saßen, doch ich konnte mich noch gut an ihre wohlgeformten Beine erinnern, die ich schon auf dem Bürgersteig liegend bewundert hatte.
Tanja beendete ihre Mahlzeit und ertappte mich dabei, wie ich auf ihren Vorbau starrte. „Also los, erzähl!“, riss mich mein Besuch aus meinem Vorstellungsvermögen. „Äh, was soll ich erzählen?“ Sie blickte auf meine Hände, ich spielte mit meinem Ehering. Unterbewusst musste ich mich wohl schuldig gefühlt haben, als ich ihre Rundungen bewundert hatte. „Du brauchst jemand, mit dem du reden kannst, sonst gehst du vor die Hunde.“ Ich schwieg, schließlich konnte ich ihr nicht erzählen, dass es mein Plan war, mich totzusaufen. Mein Unbehagen stieg an. Nicht, weil ich ihr etwas erzählen sollte, es fehlte der Alkoholnachschub. „Deine Frau – was ist passiert?“ Ich zögerte noch einen Moment, vielleicht hatte sie ja recht. Warum sollte ich nicht mit ihr darüber sprechen? Mit einer Frau, die ich kaum kannte, war es sicher einfacher.
Die kurze, schwere Krankheit von Janet war der Einstieg in meinem Bericht. Danach vergaß ich die Dame, die mir gegenüber saß. Ich erzählte, was mich bewegte und sogar meinen übertriebenen Alkoholkonsum erwähnte ich schonungslos gegen mich selbst. Tanja hörte nur zu und unterbrach mich nicht. Schließlich beendete ich den Monolog, für einen Moment schwiegen wir beide. „Du hast gesagt, du träumst jede Nacht von deiner Frau. Was sagt sie dir im Traum?“, zielsicher hatte Tanja die Frage gestellt, die ich nicht bereit war zu beantworten. Als sie sah, wie sehr ich um eine Antwort kämpfte, kam sie mir zuvor. „Es ist nicht so wichtig. Ich will nichts von dir hören, was du nicht bereit bist zu erzählen.“ „Nein nein, ich will ja!“,
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