Meine allererste Romanze
von Dark Angel
"He, was ist jetzt. Kommst du heute nachmittag oder nicht?"
Mein bester Kumpel schüttelte ungeduldig meinen Ärmel und blickte mich ärgerlich an.
Sein Gesicht hatte die Farbe einer überreifen Tomate angenommen und seine Stimme überschlug sich. Meine Geistesabwesenheit über den ganzen Tag hinweg ging ihm bereits gehörig auf die Nerven und er war mehr als sauer.
"Was?" fragte ich. Unsachte wurde ich von ihm aus meinen Gedanken geholt.
"Was ist nur los mit dir, heute ist doch unser Match gegen die Pfeifen von der 3b."
Schlagartig war ich wieder da. Ein Hitzestoß jagte durch meinen Körper und ließ mich blitzartig wieder in die Realität zurückkehren.
"Verdammte scheiße, das habe ich ja ganz verschwitzt." Ich griff mir auf meinen Kopf und zog ein verdutztes Gesicht.
"Wir treffen uns um Zwei im Park. Wie immer."
"Ich kann nicht," sagte ich leise und sah verlegen zu Boden.
Meine Finger kratzten am Hinterkopf und das schlechtes Gewissen konnte man mir meilenweit ansehen.
"Bist du bescheuert. Heute ist der wichtigste Tag überhaupt. Wir wollten sie doch heute fertig machen." Christian war verzweifelt und er blickte mich vorwurfsvoll und gleichzeitig irgendwie befremdend an. Eine Welt stürzte ein.
Und er sah mir deutlich an, daß ich es ernst meinte.
Eine Zeitlang starrte er mich fordernd an. Ich hörte ihn wütend schnaufen und seine Blicke bohrten sich wie Laserstrahlen in meine Haut. Ich konnte es körperlich richtig spüren, wie zornig er in diesem Moment auf mich war.
Nach für mich endlosen Sekunden gab er schließlich auf. Er konnte es einfach nicht begreifen.
Mit einer abfälligen Handbewegung ließ er mich stehen.
"Wir sind sowieso besser ohne dich. Du bist vielleicht ein Arsch."
Ich breitete meine Arme aus, wagte es hochzublicken und wollte erklären. Aber mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich wußte das ich meinen Freund enttäuscht hatte, denn die letzten Tage hatten wir über nichts anderes mehr als diese Revanche gesprochen, und jetzt hatte ich es geschafft, daß ich dieses Ereignis verpennt hatte.
"Tschuldige ..." murmelte ich. Christian aber war bereits aus dem leeren Klassenzimmer rausgestürzt und konnte mich nicht mehr hören. Seine hastigen Schritte an den Stiegen verrieten mir, daß ich heute wohl alleine nach Hause gehen mußte.
Ich fühlte mich elend.
Und auch schuldig.
Seufzend machte ich mich ebenfalls auf den Weg. Gramgebeugt und mit schlechtem Gewissen beeilte ich mich nach Hause.
Es war eine blöde Situation.
Nach einiger Zeit aber, in meinem damaligen Alter war ich noch unbedarft und sorgenfrei, schüttelte ich meine Trübsal ab und das sensationelle Gefühl, daß mich seit kurzem umklammerte, war wieder in meiner Magengrube zu spüren.
Denn seit gestern war alles irgendwie ganz anders geworden.
Evelyn, eine Schulkollegin, die ich voriges Monat auf meiner Geburtstagsparty eingeladen hatte, war gestern in der großen Pause zu mir gekommen und hatte mich für heute nachmittag zu ihr nach Hause eingeladen. Eine Art Gegeneinladung.
"Zum Spazierengehen," meinte sie.
Naja, ich haßte eigentlich spazierengehen, aber an das dachte ich damals nicht, und sagte ihr natürlich auch nicht. Wichtig war nur, daß sie mich eingeladen hatte.
Jawohl, Evelyn hatte mich eingeladen.
Zum Spazierengehen.
Das süßeste Mädchen das man sich nur vorstellen konnte.
Sie kam an meinem Tisch und hatte mich einfach gefragt.
Mich.
Der sich bislang mit den weiblichen Wesen noch nie beschäftigt hatte.
Sie waren halt immer da gewesen, sie waren nicht störend oder so, aber sie hatten mich auch nie interessiert.
Wozu auch?
Wenn wir Fußball spielten, waren nie irgendwelche Mädchen da, und in der Schule waren wir immer eine Burschenclique gewesen und hatten jede Menge Spaß. Ich hatte nie über Mädchen nachgedacht, kaum etwas mit ihnen gesprochen oder sie auch nur besonders beachtet.
Logisch.
Die waren immer supergut in der Schule, hatten immer alles sorgfältig am Tisch liegen, waren immer brav und ruhig und hatten die Hausaufgaben picobello erledigt. Schwätzten und lärmten nicht in der Stunde, und blickten sich schon mal mit strengem Blick nach uns Buben um, wenn wir mal wieder alles andere taten, als aufzupassen und den Unterricht störten, wie das dann immer hieß. Auch plärrten sie manchmal, wenn die Note nicht ganz ihren Vorstellungen entsprach. Das war für mich zu dieser Zeit unglaublich unverständlich, richtig abartig. Wenn wir es ihnen gleichtäten, wären wir Burschen die gesamten neun Pflichtschuljahre aus dem Flennen nicht rausgekommen, lachten wir dann und konnten uns stundenlang darüber amüsieren.
Ja, die Mädchen.
Irgendwie uninteressant.
Aber heute würde ich zu dieser Evelyn fahren. Schon bei meiner Einladung zu meinem Geburtstag hatte ich auf einmal nichts dagegen, auch Schulkolleginnen einzuladen.
Nun gut, mein Vater hatte mich auf die Idee gebracht, als er mir augenzwinkernd die Frage stellte, wieviele Mädchen denn kommen würden.
Das war der Augenblick, wo ich überhaupt das erste Mal über diese Möglichkeit ernsthaft nachdachte. Und wen ich da einladen würde, war auch schnell geklärt. Christian und ich waren uns einig, daß es nur die fünf hübschesten Mädchen der Klasse sein dürften.
Marion, Regina, Evelyn, Monica und Sylvia.
Das weiß ich heute noch. Zwanzig Jahre später.
Das dann nur zwei gekommen sind, wollen wir hier an dieser Stelle nicht näher erörtern, ich mußte mir damals dazu genug Kommentare meiner Freunde anhören.
Wie dem auch sei, meine frühere Welt hatte aufgehört zu existieren. Plötzlich war nur mehr diese Gegeneinladung wichtig. Am Abend konnte ich schon nicht einschlafen, immer wieder kam mir das so süße Gesicht von Evelyn in den Sinn, ihre sanfte Stimme flüsterte mir zu, ich möge doch zu ihr kommen. Mit ihr spazierengehen. Mich mit ihr unterhalten. Noch dazu alleine, bei ihr zu Hause, in einer anderen Umgebung. Ohne meine Freunde.
Das war so neu und aufregend.
Und heute würde es passieren.
Das heutige Match war schon wieder aus meinen Gedanken gestrichen. Plagten mich zuvor noch die Gewissensbisse, so waren sie spätestens bei der Hälfte meines Nachhauseweges wie weggeblasen.
Mein Bauch hatte wieder dieses so angenehme Kribbeln bekommen, so daß ich den restlichen Weg richtig dahinschwebte und mir das Gras so saftig grün und überhaupt alles so wunderschön vorkam. Zu Hause angekommen schlang ich das Mittagessen hinunter. Meine Mutter schüttelte nur ihren Kopf, sagte aber nichts, sondern legte mir meine neuen Jeans zurecht.
Sie hatte ein verklärtes Lächeln aufgesetzt, daß ich erst später richtig deuten konnte, damals dachte ich noch, sie hätte Zahnschmerzen oder so etwas ähnliches.
Schnell hatte ich mich umgezogen und war flugs auf meinem Fahrrad. Evelyn hatte mir zwar den Weg erklärt, aber ich verfuhr mich trotzdem zweimal.
Etwas zu spät läutete ich.
Sie schien bereits gewartet zu haben, denn die schwere Tür schwang ziemlich schnell auf.
Ich hielt den Atem an und starrte sie an. Sie hatte eine hautenge Jeans an, die ihren knackigen Po vollendet zur Geltung brachte und einen leichten Pullover. Ich brachte kein Wort heraus und stand da wie ein Vollidiot.
Sie lächelte mich trotzdem an.
Ihr seitlich versetztes Muttermal oberhalb der Lippe schob sich nach oben und war unglaublich bezaubernd anzusehen, darauf stand ich besonders, und es gab ihr die besondere Note.
Jetzt brachte ich erst recht nichts raus.
Ich stierte sie nur an. Ich war ungewöhnlich schüchtern, unsicher.
Kein dummer Spruch kam mir wie sonst über die Lippen.
"Hast du gleich hergefunden?"
Ach diese Stimme.
"Äh, ja klar, kein Problem," log ich.
Ich atmete auf. Ich konnte wieder sprechen.
Danach gingen wir spazieren. Ich fühlte mich neben ihr unendlich wohl, wurde von ihr völlig gefangengenommen und ich ließ mich verzaubern. Sie erzählte mir von ihrem Pferd und ihren sonstigen Aktivitäten. Ich war gar nicht in der Lage alles aufzunehmen und zu verarbeiten. Ich war nur von ihr eingenommen, blickte sie verstohlen von der Seite an und bewunderte ihre Anmut, ihren Körper und ihre Weiblichkeit. Sie war so grazil und hübsch, ihre Haut kam mir so glatt und eben vor, daß ich so verzückt war, daß ich einen Unsinn nach dem Anderen erwiderte.
Das ich auch Erfahrung mit Pferden hatte, was natürlich nicht stimmte, daß ich auch schon mal geflogen bin, was natürlich wieder nicht stimmte, und so weiter. Ich redete mich um Kopf und Kragen.
Ihr schlendernder Gang war hinreißend. Ihr Po bekam diesen weiblichen Schwung, den ich noch nie zuvor bemerkt hatte und ihre Stimme betörte mich bei jedem Satz aufs neue. Mein Mund war ausgetrocknet und ich mühte mich, sie nicht ständig anzugieren, da ich mir dachte, daß wird wohl nicht besonders gentlemanlike sein.
Die Zeit verflog.
Für mich spielte die Zeit keine Rolle, um mich herum hatte ich ohnehin alles vergessen, und daß wir wieder bei ihr zu Hause im Wohnzimmer saßen nahm ich erst so richtig wahr, als ihre Mutter hereinplatzte und darauf hinwies, daß es bereits dunkel und Zeit für das Abendbrot sei.
Ich weiß noch, wie schwer es mir fiel, Abschied zu nehmen und mich zur Tür zu bewegen. Ich zog mir die Schuhe an und stand wieder wie zu Beginn unbeholfen und patschert an der offenen Tür.
Sie drückte mir ihre Lippen auf die meinen und hauchte: "Danke das du da warst."
Dann war ich allein und stand wieder draußen vor der verschlossenen Eingangstür.
Ich war gelähmt und konnte mich nicht bewegen.
Soeben war mir Evelyn ganz nah gekommen und hatte mir ihre samtenen Lippen auf die Meinen gedrückt.
Waren die weich.
Es war so sinnlich, wie sie mich kurz umarmte, und wie ich ganz nah bei ihr war. Nur für einen Bruchteil einer Sekunde.
So nah.
Ich konnte ihren Geruch wahrnehmen. Den Geruch eines Mädchens.
...
Ich drehte mich irgendwann um und bewegte mich staksig zu meinem Fahrrad.
Wie ich dann nach Hause kam, weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Ich weiß nur noch, daß mich das quietschende Geräusch unserer Garage wieder Herr meiner Sinne werden ließ.
Ich stand vor der Garagentür und hatte sie hochgezogen.
An diesem Abend und die restliche Woche war ich zu nichts mehr zu gebrauchen.
Obwohl wir zusammensaßen, sprach Christian die ganze Woche kein Wort mit mir. Er war zutiefst gekränkt und strafte mich nur mit bitterbösen Blicken.
Sie hatten an dem bewußten Tag 2:14 verloren.
Mit Evelyn tauschte ich in der Unterrichtszeit hin und wieder Blicke aus. Sie lächelte mir zu, ich lächelte verlegen zurück. Ich bekam kleine Zettelchen zugesteckt, wann wir uns wieder sehen wollen, und ich, tölpelhaft wie ein junger Bursche nur sein konnte, spielte damals den Beschäftigten.
So kam es, daß wir uns erst wieder für nächste Woche verabredeten. Ich war so stolz darauf. Auch, daß sie mich offensichtlich wieder mit mir treffen wollte, daß sie sich darum bemühte.
Ich war so glücklich.
Am Nachhauseweg sprach Christian wieder mit mir. Ich war auf ihn zugegangen und wollte wieder mit ihm ins reine kommen. Immerhin ging es mir so unbeschreiblich gut, daß ich mein Glück auch mit ihm teilen wollte.
Wir unterhielten uns über das Match und ich beteuerte ihm, daß ich aus dem Versprechen, mich mit Evelyn zu treffen, nicht mehr rauskam, was natürlich Blödsinn war.
Als ich ihm dann endlich alles über mein Treffen mit Evelyn berichtete, mußte er lachen.
"Was ist, lach nicht so blöd."
"Wegen einem Weib läßt du mich hängen. Na du bist ein Freund."
"Ja, ja, wenn du in meiner Situation ..."
"Das bin ich du Idiot. Aber ich setzte deswegen nicht unsere Freundschaft aufs Spiel."
"Wie meinst du das?"
"Ich geh mit ihr am Samstag ins Kino. Wir sehen uns Xanadu an. Und da ist garantiert kein Match. Klar?"
"Wer, was?" Ich dachte jemand hätte seine Faust in meinen Magen versenkt.
"Ich geh mit Evelyn am Samstag ins Kino. Bist du taub. Ich find sie auch niedlich, nicht nur du. Aber ich lasse deswegen keinen Freund hängen. Klar?"
Ich konnte nicht mehr antworten.
Es war aus und vorbei.
Mein Glücksgefühl hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Ich spürte neue Gefühle in mir.
Eifersucht und Mißgunst.
Und eine gewaltige Enttäuschung.
Mein Zauberwesen geht mit dem häßlichen Freund an meiner Seite ins Kino. Einfach so. Konnte sie etwas intimeres als das tun? Sich einen schwülstigen Liebesfilm mit ihm ansehen. Ohne das ich etwas davon wußte?
Ich konnte nicht mehr denken, ich fühlte nur mehr diesen neuen Schmerz, der mich zerteilte, der mich nicht mehr atmen ließ.
Es tat damals weh.
Sehr weh.
Christian verabschiedete sich, als wir an der üblichen Wegabzweigung angekommen waren. Ich konnte nur nicken.
In mir war etwas zerbrochen.
So lange wie an diesem Tag, brauchte ich nie mehr nach Hause.
Ab diesem Zeitpunkt sprach ich mit Evelyn niemals mehr ein vernünftiges Wort. Ich ging ihr aus dem Weg, wo ich nur konnte, verletzte sie mit abweisenden Worten als sie mich um eine Aussprache bat und stieß sie von mir. Meine jugendliche Enttäuschung wußte noch nicht, wie sie sich verhalten sollte, und heute ist mir klar, daß ich sie mindestens genauso verletzte, wie sie mich verletzt hatte.
Evelyns schöner Anblick plagte mich noch die volle Schulzeit, in der wir zusammen zur Schule gingen. Immer, wenn ich ihre Stimme hörte, lief mir ein Schauer über den Rücken, und wenn wir uns einmal gegenüberstanden, war mir so, als ob jemand ein dünnes Schwert in mein Herz stoßen würde und sich der Boden auftat, um mich zu verschlucken.
Mit Christian brach ich übrigens nicht, er ist heute noch mein Kumpel. Wie ich später hörte, fand sie ihn nicht einmal interessant und angeblich ging sie mit ihm nur deshalb ins Kino, um mich eifersüchtig zu machen.
So etwas törichtes.
Wie auch immer.
Gesehen habe ich sie seit unserem Schulaustritt nicht mehr.
Ich hoffe es geht ihr gut und sie hat ihr Glück gefunden.
Mir bescherte sie die magischten Momente meines Lebens. Schade, daß ich ihr das niemals gesagt habe.
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Als ich die Geschichte gelesen habe, mußt ich an "Stand by me" denken und an so kleine Anekdoten aus der eigen Schulzeit.
Vielen Dank für diese liebevoll geschriebene Geschichte. Nur schade, daß sie viel zu kurz war...
Gregor«
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Du hast mich wieder einmal überrascht. Nachdem ich dich von Werken wie "Die Leiden der Madame" kannte, überraschtest du mich mit "Die Staatsanwältin" - doch ein Kontrast zu den vorangegangenen Werken, dann mit "Der Kaplan von St. Stephan", der einfach irgendwie anders war als alles andere in der BDSM-Sparte und jetzt stößt du auch in das Soft-Genre vor und noch dazu mit einer Teen-Geschichte. *erfreut blinzel*
Ich bin fast ein wenig sprachlos. Dass du dem ersten Rendez-vous so viel Beachtung schenkst, noch jetzt, wie du sagst 20 Jahre später, finde ich wunderbar. Dass du diesem Erlebnis eine eigene, kleine aber sehr feine Geschichte widmest, ist ein traumhaftes Kompliment an die betreffende Person, um die es geht.
Nur ein kleiner Makel ist mir aufgefallen. Stilistisch bist du diesmal phasenweise hinter deinen Möglichkeiten geblieben, und die Fehler, die ich diesmal gefunden habe, behalte ich - eh klar. Wenn man bei Dark Angel welche findet, muss man sie einsammeln, die sind selten und daher hoffentlich kostbar. :-)
Hat mich sehr gefreut, dich ein klein wenig von dieser Seite kennenlernen zu dürfen, vielleicht lernen wir schon demnächst eine weitere von dir kennen?
Ich freue mich darauf,
Sabbi.«
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Ich habe schon lange auf sie gewartet und ich muss sagen, es hat sich gelohnt.
Sehr schön, die Annäherung und dann die Enttäuschung...
Klasse, vielen Dank dafür!
sexy-hexy«
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