Milena
von aweiawa
© by aweiawa
Erste Begegnung
Wieso ich mit diesen Banausen nach Italien gefahren war, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Sie waren meine neuen Freunde, oder jedenfalls hielt ich sie dafür. Ich hatte die Clique über meinen jüngeren Bruder Timo kennengelernt, und er hatte mich überredet, mitzukommen. Urlaub in Italien, warum nicht? Die anderen waren alle Mitte zwanzig, nur ich hatte die dreißig bereits hinter mir gelassen. Nach meiner Scheidung vor vier Jahren war ich froh gewesen, Anschluss zu finden, und da meine alten Freunde im Hafen der Ehe gestrandet waren, kamen mir diese jungen, unabhängigen Burschen gerade recht.
Doch jetzt, da ich mehrere Tage auf einem Zeltplatz eng mit ihnen zusammenleben sollte, gingen sie mir gewaltig auf den Zeiger, denn außer Saufen, dummem Gerede über Frauen und wieder Saufen, brachten sie nichts zustande. Die herrliche Umgebung nahmen sie nur durch ihren Alkoholdunst wahr und zeigten kein Interesse an irgendeiner Unternehmung, die mit der geringsten Anstrengung verbunden war. Nicht einmal zu einem Ausflug mit dem Schiff in die als halbes Weltwunder angepriesenen Meereshöhlen konnte ich sie überreden. Sogar mein Bruder, der mir noch der Vernünftigste der Bande zu sein schien, winkte gelangweilt ab.
„Was soll ich denn auf so einem blöden Schiff, Michael?“, fragte er sichtlich genervt durch die ihm angetragene Zumutung, für einige Stunden etwas Sinnvolles zu tun.
Genervt machte ich mich an diesem Tag, dem dritten unseres Aufenthalts, selbstständig und buchte eine Ausflugsfahrt mit dem Schiff in die Höhlen des Gargano. Da unser Zeltplatz von dieser Touristenattraktion einige Kilometer entfernt war, sollte das Boot fast eine Stunde übers Meer fahren, bevor wir die erste Grotte erreichen würden.
Beim Einsteigen fiel mir eine junge Frau auf, die zwei kleine Kinder dabei hatte. Das jüngere war noch ein Säugling und das größere konnte gerade an der Hand laufen. Einen dazugehörenden Mann gab es auch, doch der trat hauptsächlich dadurch in Erscheinung, dass er, kaum an Bord, sich mit dem Bootsführer in typisch italienischer Manier, in rasendem Tempo und gestenreich, unterhielt, sodass ich trotz meines leidlichen Italienisch nur ab und zu ein Wort verstand. Die Frau hatte alle Hände voll zu tun, die Kinder sicher zu verstauen, den Buggy zusammenzuklappen und so unterzubringen, dass niemand darüber stolperte. Es war offensichtlich, dass sie am Ende ihrer Kräfte war.
„Oh je, hast du dir weh getan, Luigi?“, kümmerte sie sich rührend um ihren Ältesten, als der stolperte und sich um ein Haar den Kopf an einem Balken gestoßen hätte.
Ihr fehlerloses und akzentfreies Deutsch verriet sie als Landsfrau, und meine Aufmerksamkeit, die ihr schon zuvor gegolten hatte, war ihr nun erst recht sicher. Ihr Mann war offensichtlich Italiener, und der Name ihres Kindes deutete ebenfalls nicht auf eine deutsche Touristenfamilie hin. Was hatte sie nach Italien verschlagen? Und wie war sie an den doch deutlich älteren Ehemann geraten? Meine Neugierde war geweckt. Zumal sie trotz der offensichtlichen Gestresstheit besser aussah, als jede andere Frau, die ich in den letzten Jahren gesehen hatte.
Endlich hatte sie den Großen wieder beruhigt, sein Weinen ging in ein leises Jammern über und dem Kleinen auf ihrem Arm fielen die Augen zu. So konnte sie sich auf ihrem Sitz zurücklehnen und die Umgebung zum ersten Mal wahrnehmen. Als ihr Blick mich streifte, wurde ihr bewusst, dass ich sie die ganze Zeit beobachtet hatte und ein leichter Unwille schlich sich in ihre Miene. Schnell wandte ich den Blick ab und schaute den durch unsere zügige Fahrt erzeugten Wellen hinterher. Äußerlich ruhig, war ich innerlich so aufgewühlt, wie schon lange nicht mehr. Mein Gott, welch eine Frau! Warum zum Teufel waren die wirklich attraktiven Frauen immer verheiratet? Oder zumindest vergeben.
Erst als ich aus den Augenwinkeln registrierte, dass sie nicht mehr zu mir herschaute, wagte ich es, meine Blicke wieder vorsichtig in ihre Richtung zu lenken. Sie hatte die Augen geschlossen, und das gab mir die Gelegenheit, ihre Gesichtszüge zu studieren. Ebenmäßig, bis auf die kleine Narbe über dem linken Auge, eine schmale Nase, und eine hohe Stirn, die durch eine fast bis in die Augen hängende blonde Locke verdeckt war. Dezent geschminkt und ... müde.
„Dami ...!“, wandte ihr Mann sich an die von mir Beobachtete, die zusammenzuckte und ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah.
Wieder redete ihr Göttergatte so schnell, dass ich die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Doch seine Frau hatte verstanden, was er wollte und reichte ihm eine Packung Zigaretten und eine Dose Cola, die sie aus ihrer geräumigen Handtasche fischte. Oh je, die Arme. Lastesel und Dienstbotin waren wohl ihre Nebenberufe. Neben dem der Mutter, den sie selbstverständlich hauptberuflich ausübte.
Kaum hatte er die in diesem unmöglichen, herrischen Ton geforderten Utensilien in der Hand, ging das endlose Geraffel mit dem Bootsführer weiter und Frau sowie Kinder schienen nicht mehr zu existieren.
Plötzlich fiel dem Kleinen der Schnuller aus dem Mund und es gelang mir, ihn mit einer schnellen Bewegung aufzufangen, bevor er den dreckigen Boden des Bootes erreichte. Schnelle Reflexe, dank intensiven Tischtennistrainings.
Jetzt registrierte sie zum zweiten Mal, dass ich sie beobachtet hatte, doch diesmal lächelte sie mich dankbar an.
„Grazie mille!“
„Keine Ursache!“, erwiderte ich auf Deutsch und drückte ihr den Schnuller in die Hand.
Es waren nur die Fingerspitzen, die ihre Haut berührten, doch die Wirkung hätte sensationeller kaum sein können. Beide zuckten wir zurück und ich hatte das Gefühl, mich verbrannt zu haben. Was war das gewesen? Und warum diese seltsame Reaktion auch bei ihr?
Mit großen Augen schaute sie mich an und einen Augenblick versank ich in ihren grünen Augen. Ging die unbestreitbare Faszination dieser Frau von ihnen aus? Doch wie war dieser elektrische Schlag bei der doch nur winzigen Berührung zu erklären? Ich war verwirrt, und das schien sie auch zu sein.
Das Baby auf ihrem Arm war nicht aufgewacht und so steckte sie den Schnuller in ihre Jackentasche.
„Eure Kinder sind nicht eure Kinder“, murmelte ich vor mich hin, denn dieser Satz kam mir spontan in den Sinn, als ich das Baby betrachtete. Das Wunder des Lebens und die Aufgabe der Eltern ist nirgends prägnanter beschrieben als in diesem Gedicht.
„Ah, sie lieben Gedichte?“ Die junge Frau wandte mir ihr Gesicht zu.
„Ja, und dieses ganz besonders.“
„Wenn Khalil Gibran sonst nichts geschrieben hätte, diese Worte allein hätten seinen Ruhm gerechtfertigt.“
„Ja, für dieses Gedicht gebührt ihm unser Dank.“
„Woher kommen Sie?“, fragte sie mich.
„Aus der Nähe von Stuttgart.“
„Dann sind wir ja fast ehemalige Nachbarn, denn ich komme aus Karlsruhe.“
„Ich habe längst aus Ihrem perfekten Deutsch geschlossen, dass Sie Deutsche sind.“
Immer wieder fielen mir die ängstlichen Blicke zu ihrem Ehemann auf. Sie wirkte auf mich, als wäre es ihr unangenehm, dabei erwischt zu werden, wie sie sich mit mir unterhielt. Doch ihr Mann schien sich überhaupt nicht für sie zu interessieren, sondern ratterte weiter mit seinem Gesprächspartner.
„Sind das Ihre Kinder?“, versuchte ich, das Gespräch in Gang zu halten, auch wenn mir im selben Moment aufging, wie blödsinnig die Frage war.
„Ja, hier auf dem Arm, das ist Carlo, und der Große heißt Luigi. Haben Sie auch Kinder?“
„Nein, doch wenn’s nach mir geht, wird sich das irgendwann ändern.“
Sie taute auf und ich erfuhr, dass Luigi gerade eine sehr schmerzhafte Ohrenentzündung überstanden hatte, und Carlo zum ersten Mal auf einem Schiff unterwegs war. Während der Unterhaltung, die nett vor sich hinfloss, hatte ich Gelegenheit, ihre angenehme Stimme, die allerdings wegen des Motorenlärms und ihrer fast geflüsterten Sätze kaum zu vernehmen war, sowie ihre ganze Erscheinung mit allen Sinnen in mich aufzunehmen. Diese Frau war die fleischgewordene Quintessenz der Schönheit, sie beeindruckte mich, wie noch niemals eine Frau zuvor. Ob es wohl jedem so mit ihr erging? Oder war ihre Schönheit nur für mich zu erkennen, gewissermaßen für mich erschaffen worden? Vermessen, natürlich, doch wer ist schon Herr über seine Gedanken, wenn er im Innersten so aufgewühlt ist, wie ich es gerade war.
Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mehr dem Klang ihrer Stimme lauschte, als dem, was sie sagte. Alles an ihr sprach mich an, berührte mich im Innersten. Ihre Bewegungen, vor allem die der Hände. Die Geste, mit der sie immer wieder die Locke zurückdrängte, die ihr in die Stirn rutschte. Die Melodie ihrer Sprache. Ihre Augen, die meistens gesenkt waren, doch ab und zu in meine Richtung sahen und eine Tiefe besaßen, die mich darin versinken ließ. Ihr süßer Mund, den ich nicht müde wurde, beim Sprechen zu beobachten.
Als wir richtig vertieft in unser Gespräch waren, und meine Schöne nicht mehr ständig zu ihrem Mann hinüberschielte, traf uns ein Blick von ihm. Obwohl er einige Meter entfernt stand und wir beide nicht mehr auf ihn geachtet hatten, registrierten wir sofort und gleichzeitig die durchdringenden und feindseligen Augen, die uns fixierten. Unvermittelt brach sie, deren Namen ich nicht einmal in Erfahrung gebracht hatte, den angefangenen Satz ab und beschäftigte sich angelegentlich mit Luigi, dessen Nase plötzlich dringend eines Taschentuchs bedurfte.
Sie hatte Angst! Ich konnte sie spüren, denn das Band zwischen uns war immer noch vorhanden, auch wenn wir uns nicht mehr unterhielten. Was ging da vor? Wir waren doch nicht im Mittelalter, wo ein Blick des Königs genügte, seine Untertanen vor Furcht erstarren zu lassen.
Um keine unnötigen Komplikationen heraufzubeschwören, wandte ich mich den mittlerweile vorbeiziehenden Felsen zu. Bald mussten wir die erste Höhle erreichen und über ein Bordmikrofon wurde in Italienisch, Englisch und Deutsch verkündet, welche Wunder der Natur uns erwarteten.
Ein kurzer Kontrollblick zeigte mir, dass der Pascha sich wieder intensiv und lautstark mit seinem Gesprächspartner beschäftigte. Offensichtlich war sein Argwohn vorerst verflogen.
Ich trat näher an die Reling heran, wodurch ich automatisch meiner Königin, wie ich sie bei mir nannte, näher kam. Zwar konnte ich sie nun nicht mehr direkt ansehen, doch jede Faser meines Leibes spürte ihre physische Nähe. Lediglich wenige Zentimeter trennten meine herabhängende Hand von ihrem Arm, und als das Boot plötzlich stark abbremste, weil es sich senkrecht zur ersten Höhle stellen musste, die wir inzwischen erreicht hatten, schlenkerte meine Hand gegen ihren Ellenbogen. Für den Bruchteil einer Sekunde streichelte ich über ihre Haut, bevor ich die Berührung wieder löste. Ich wusste nicht, ob sie es bemerkt hatte, doch das Bewusstsein, solcherart mit ihr in Kontakt getreten zu sein, raste durch mein Gehirn und erzeugte Glücksgefühle. Wie ein verliebter Teenager kam ich mir vor. Ein überaus schüchterner zudem.
Mit geringem Tempo fuhr das Boot jetzt auf die Felsen zu, und erst im allerletzten Moment erkannte ich die Öffnung, durch die wir in die angekündigte Höhle einfuhren. Rechts und links waren höchstens einige Zentimeter Platz und ich bewunderte die Navigationskünste des Bootsführers. Es wurde zunehmend dunkler, denn das Boot verdeckte einen Großteil des Eingangs. Schnell warf ich einen Blick zu meiner Schönen, bevor ich gar nichts mehr sehen konnte. Sie schaute angespannt ins Leere und wirkte aufgewühlt. Hatte sie am Ende Angst vor der Dunkelheit? Oder steckte etwas anderes dahinter?
Lediglich durch eine kleine Öffnung in der Decke der Höhle fielen ein paar Lichtstrahlen. Stalaktiten hingen von der Decke und glitzerten im schwachen Licht, vereinzelte Wassertropfen fielen herab und fühlten sich kalt auf der Haut an.
Noch mitten in der Bewunderung für diese unwahrscheinliche Welt, durchzuckte es mich wie ein Blitzstrahl. Eine Hand hatte meine ergriffen und drückte sie für einen kurzen Augenblick. Kein Zweifel, das war sie gewesen. Diesen kurzen Moment der Unwirklichkeit, diese Lücke in der Überwachung hatte sie genutzt, das zarte Band, das seit unserer Unterhaltung unsichtbar zwischen uns existierte, zu festigen, mir zu zeigen, dass meine Gegenwart ihr angenehm war. Kein ganz geringes Risiko immerhin, denn wer konnte schon wissen, wo der Ehemann seine Augen hatte und wie viel er sehen konnte. Warum tat sie das? Was brachte sie dazu, solch ein Risiko einzugehen? Ich hatte keine Ahnung, doch mein Herz schlug hart und laut.
Als sie ihre Hand wieder zurückzog, fühlte ich einen herben Verlust, und meine noch von ihrer Berührung heißen Hände strahlten ein Art Sehnsucht durch meinen Körper, die mich erbeben ließ. Was stellte diese Frau mit mir an? Was löste sie in mir aus? Wenn ich nur gewusst hätte, wie sie hieß! Damit ich sie in Gedanken mit dem richtigen Namen anreden könnte.
Der Bootsführer legte den Rückwärtsgang ein und genau so langsam, wie wir hineingefahren waren, verließen wir die Höhle wieder. Der Applaus der Fahrgäste belohnte ihn für seine Fahrkünste und galt wohl ebenso der herrlichen Schönheit der Grotte.
Nicht weit entfernt war schon der nächste Zugang zu einer Höhle und wieder bugsierte uns der erfahrene Kapitän langsam aber sicher hinein. Mittlerweile standen alle Fahrgäste, um besser sehen zu können, und das gab mir die Gelegenheit, meiner Schönen ins Ohr zu flüstern: „Wie heißt du?“
„Milena“, konnte ich mehr ahnen als hören.
Milena! Welch schönen Klang doch dieser Name hatte. Hieß so nicht Kafkas Freundin? Doch das war ja völlig unwichtig. Hier und jetzt hatte ich das schönste und beste Exemplar Frau dieses Namens vor mir, das war so gewiss, wie jede Wahrheit aller Weisen der Erde zusammen.
Schnell drückte ich nun meinerseits ihre Hand, um zu signalisieren, dass ich verstanden hatte.
Es folgten noch viele Grotten, eine schöner und sehenswerter als die andere, und jede einzelne nutzten wir zu einer kurzen verbalen oder taktilen Kommunikation. So erfuhr sie, dass ich Michael hieß, und wir wagten es sogar einmal, unsere Finger kurz ineinander zu verschränken. Mir war, als schwebte ich mehrere Zentimeter über dem Boden und alle Leute müssten es bemerken.
Doch wie jedes Glück irgendwann zu Ende geht, mussten auch wir unseren beglückenden Austausch beenden, als wir nach vielen, trotz ihrer Bewunderungswürdigkeit kaum wahrgenommenen Naturschönheiten den Rückweg antraten. Wir hatten auf der Rückfahrt nur noch Augenkontakt, vermieden jede Unterhaltung, um unser stilles Glück nicht zu gefährden. Wie hätte ich verbergen sollen, wie es in mir aussah, wenn ich ihr gegenüber gestanden und ihre physische Nähe meine Sinne aufs Äußerste aufgepeitscht hätte. Selbst einem unsensiblen Rhinozeros wäre aufgefallen, dass ich meiner Angebeteten gegenüberstand. Was vor wenigen Minuten noch bedenkenlos möglich gewesen war, hätte jetzt Aufsehen erregt, da war ich mir sicher.
Doch welcher Schock, als die Pier nur noch wenige Meter entfernt war. In meiner stillen Verliebtheit und den Träumen von einer lebenslangen, gemeinsamen Zeit mit meinem neuen Schwarm, hatte ich keinen Augenblick an die nähere Zukunft gedacht. Sollte es das nun gewesen sein? Sollte ich sie aus den Augen verlieren und nie mehr wiedersehen? Nein! Das durfte nicht passieren.
So schob ich mich direkt nach der Familie von Bord und blieb dicht hinter ihnen, ohne zu wissen, wie ich ihr Domizil erfahren konnte. Wenn sie ein Taxi nahmen, konnte ich das Ziel zu erlauschen versuchen, und wenn sie zu Fuß gingen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzten, war es ein Leichtes, die Verfolgung aufzunehmen. Doch meine Pläne wurden jäh durchkreuzt, denn ihr Ehemann steuerte zielsicher auf ein Auto zu, das mit laufendem Motor am Straßenrand stand, und in dem ein Chauffeur saß, der sofort anfuhr, als alle Platz genommen hatten. Ich hatte nicht die geringste Chance, mir in Krimimanier ein Taxi zu ordern und die Verfolgung aufzunehmen oder die Nummer des Autos zu notieren. Mist, verfluchter! Mein Glück fuhr davon, und ich stand verzweifelt am Straßenrand.
Mit hängendem Kopf schlich ich davon, zurück zu Timo und seinen für meine derzeitige Gemütslage unerträglichen Kumpanen. Wie konnte es mir nur passieren, sie aus den Augen zu verlieren. Ich war ein Dummkopf, ein Hornochse! Weit schlimmere Schimpfnamen fielen mir ein. Vielleicht war ich in diesem Moment ungerecht gegen mich selber, denn was hätte ich tun können, doch die plötzliche Leere war einfach unerträglich, und ich fand keinen besseren Sündenbock als mich selbst.
Fast war ich schon am Zeltplatz angekommen, an der nächsten Station musste ich aus dem Bus steigen, da bemerkte ich in der Hosentasche ein Streichholzschächtelchen. Gedankenverloren hatte ich bereits einige Minuten damit gespielt, bis es mich wie ein Blitz durchfuhr. Wo kam die Schachtel her? Sie war vorher nicht in meiner Hose gewesen. Das Rauchen hatte ich schon vor Jahren aufgegeben, was sollte ich also mit Zündhölzern anfangen.
Mein Herz schlug plötzlich hart und fest. Mit zittrigen Fingern zog ich das Schächtelchen aus der Tasche. Wenn meine Hoffnungen betrogen wurden, würde ich in ein noch tieferes Loch stürzen ...
„Ambassador!“
In diesem Hotel war ich nie gewesen. Oh, welche Weitsicht und weibliche Klugheit! Die Freude wollte mir die Schädeldecke wegsprengen. Dieser Einladung, denn so verstand ich die Botschaft, musste ich Folge leisten. Jede andere Entscheidung wäre einer masochistischen Selbstkasteiung gleichgekommen, und darauf stand ich nun wirklich nicht.
Ambassador
Ohne auszusteigen, fuhr ich eine Station weiter, suchte mir ein Taxi und ließ mich umgehend zum Hotel Ambassador bringen. Von unterwegs rief ich meinen Bruder an.
„Hallo Timo, hier ist Michael. Du, ich muss sofort zurück nach Deutschland.“
„Wieso denn das? Was kann schon so wichtig sein, den Urlaub abzubrechen? Wir haben gerade ein Fass Bitburger aufgetrieben, stell dir nur mal vor, Bitburger, hier in Italien!“
„Schön für euch! - Warum ich zurück muss, kann ich dir nicht sagen, doch glaub mir, es ist lebenswichtig. Kannst du meine Sachen einpacken und mit nach Hause nehmen?“
„Klar kann ich das. Aber wie machen wir es mit dem Geld? Wir haben uns darauf verlassen, dass alles durch fünf geteilt wird.“
„Geht in Ordnung, ich zahle meinen Anteil.“
„O.K., dann gute Heimreise. Fliegst du?“
„Nein, ich fahre mit dem Zug, jetzt gleich, bin quasi schon weg. Mach’s gut und sei mir nicht böse.“
Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht. Es wäre sowieso nicht länger gut gegangen. Die Freundschaft mit Timos Clique war eine Illusion gewesen. Es gab letztlich nichts, was uns verband. Und jetzt hatte ich neue Prioritäten, musste mich voll und ganz auf das vor mir Liegende konzentrieren. Keinen Augenblick zog ich in Betracht, dass ich mich geirrt hatte, dass mein Engel nicht in diesem Hotel zu Gast war. Es musste so sein, etwas anderes kam nicht in Frage.
Als ich die Lobby betrat, wurde mir bewusst, dass mein Urlaubsetat sich vervielfachen würde. Hier ein Zimmer zu nehmen kostete pro Nacht mehr, als zwei Wochen auf dem Campingplatz. Doch solche Überlegungen waren müßig. Geld hatte ich genug, nur zu wenig sinnvolle Gelegenheiten, es auszugeben.
„Sprechen Sie Deutsch?“
„Selbstverständlich, was kann ich für Sie tun?“
„Ich möchte ein Zimmer für eine Nacht, mit der Option zu verlängern.“
„Sehr wohl. Bevorzugen Sie den Ost- oder den Westflügel?“
So ähnlich hatte ich es mir vorgestellt. 160 Euro für Übernachtung und Frühstück. Doch wenn mein Engel hier wohnte, war das gut angelegtes Geld. Sie sehen zu dürfen, war jede Ausgabe wert.
Gerade, als ich mich aufmachen wollte, der Frage ihrer Anwesenheit in diesem Hotel auf den Grund zu gehen, erspähte ich Luigi. Er düste mit ausgebreiteten Armen quer durchs Foyer und hinter ihm rannte eine junge Frau her, die alle Mühe hatte, ihn wieder einzufangen. Sicher ein Kindermädchen, denn Milena konnte ich nirgends entdecken. Genauso wenig, wie ihren Sklaventreiber von Mann. Mein Gefühl hatte mich also nicht betrogen. Stolz und Triumph beflügelten meine Schritte, als ich zum Fahrstuhl ging und mich in den sechsten Stock tragen ließ.
Sicher würde sich beim Abendessen, das ich im hoteleigenen Restaurant einzunehmen gedachte, eine Gelegenheit bieten, sie zu sehen, vorher hatte ich wohl kaum eine Chance. So zog ich mich aus, legte mich aufs Bett und versuchte, ein wenig zu schlafen, denn ich war hundemüde. Doch trotz der Müdigkeit gelang es mir nicht einzuschlafen, und meine Gedanken wanderten umher. Natürlich stand zunächst Milena im Mittelpunkt meiner Überlegungen, doch schon bald war ich bei mir selbst gelandet, und Überlegungen, die ich glaubte, längst hinter mir gelassen zu haben, kamen mir in den Sinn.
Ich hatte eine Scheidung hinter mir und es war mir seither nicht gelungen, wieder intensiven Kontakt zu einer Frau aufzunehmen. Die Frustration über die gründlich gescheiterte Ehe verleidete mir jede Beziehung schon im Ansatz und machte darüber hinaus aus mir nicht gerade einen begehrenswerten Mann.
Und nun diese Gefühlsstürme! Wie konnte ich nach den wenigen Augenblicken des Beisammenseins so verliebt sein? Ich war doch kein pubertierender Jüngling mehr!
Damals, als ich meine spätere Frau kennen lernte, war es ähnlich gewesen. Als Internatsschüler, der so gut wie nie eine Frau oder ein Mädchen zu sehen bekam, der eingesperrt war und, was den Kontakt zum weiblichen Geschlecht betraf, im tiefsten puritanischen Mittelalter lebte, waren Hemmungen und lächerliches Benehmen im Beisein dieser geheimnisvollen und unerklärlichen Wesen unvermeidlich, mit tödlicher Sicherheit vorauszusagen.
Und wenn endlich einmal, aus Gründen, die gar nicht mehr nachzuvollziehen waren, ein Kontakt, eine gewisse Nähe hergestellt war, dann war der Enthusiasmus so groß, so gewaltig, dass er das gesunde Urteilsvermögen völlig außer Kraft setzte. Dann wurde genau dieses Mädchen zur Göttin erhoben, zur fantastischen Geliebten stilisiert, ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit, einfach nur, weil ein, sei es auch noch so geringes, Interesse seitens dieses Ausbundes der Weiblichkeit an mir unscheinbarem Bürschchen zu erkennen war.
So unglaublich das erscheinen mag, hat dennoch diese Einstellung über viele Jahre hinweg meine Ehe mit der ersten Frau, die mich als Mann wahrgenommen hatte, getragen und vor Schaden bewahrt. Unglücklich, ja, das war ich, genau genommen von Anfang an. Eine Ursache dafür ließ sich jedoch nicht ausmachen, nicht, solange ich solchermaßen befangen, und der Internatsgesinnung, so will ich diese eigentlich lächerliche Einstellung einmal nennen, verhaftet war.
Denn die Ehe war alles andere als beglückend. Die Unterschiede im Charakter, in den Erwartungen an das Leben, den Wertvorstellungen waren eklatant, nicht miteinander zu vereinbaren. Und das einzige Mittel, das helfen kann, solche tiefen Gräben zuzuschütten, einen gangbaren Weg von Individuum zu Individuum zu schaffen, entpuppte sich tragischerweise als das größte Hindernis für ein glückliches Beisammensein. Die Stunden des körperlichen Kontaktes, nach denen ich mich seit frühester Jugend gesehnt hatte, die ich nie müde geworden war, mir in den schillerndsten Farben auszumalen, wurden zur größten Enttäuschung in unserer Beziehung.
Ich wollte lebendigen Sex, der unsere Liebe ausdrückte, unser Zusammengehörigkeitsgefühl bestärkte, uns beide beglückte.
Tatsächlich aber reichte es nur zu lustlosem Herumstochern in flachen Gewässern, Befriedigung blieb ein Fremdwort und so war körperliche Nähe kein Heilmittel für die Wunden, die das Zusammenleben bei unseren gegensätzlichen Charakteren unvermeidlich schlug.
Meiner Erfahrung nach gibt es kein größeres Hindernis für ein befriedigendes Sexualleben als Ekel. Sie ekelte sich so sehr vor Sperma, dass sie meinen Penis nie in den Mund nahm, und nach meinem Orgasmus lief sie gleich zur Toilette, um mein Sperma wieder loszuwerden.
Wenn ich sie mal oral verwöhnen durfte und mich in ihren Säften baden wollte, hatte ich immer den Eindruck, dass es ihr unangenehm war, und dass sie eigentlich dachte, ich täte das nur, um ihr einen Gefallen zu tun. Sie fragte sich stets, zumindest in Gedanken, ob sie sich gut genug gewaschen habe „da unten“. Da halfen all meine Beteuerungen nichts, dass ich es liebte, sie mit der Zunge zu verwöhnen. Zum Teufel mit der Seife, ich liebte den Geruch und Geschmack einer lebendigen Muschi, und nicht den einer klinisch reinen. Da hielt ich es ganz mit Napoleon und seiner Josephine. Was mir wie reinster Blütenhonig vorkam, hielt sie für eine Zumutung.
Sie hatte inzwischen wieder einen Partner gefunden und ich war froh darüber. Das schlechte Gewissen, sie verlassen zu haben, meldete sich seither nur noch selten zu Wort, und wenn ich an sie dachte, dann mehr mit einem tiefen Bedauern über die Zeit, die wir beide verloren hatten, als mit Hass oder Vorwürfen. Schuldzuweisungen waren in einem solchen Fall völlig sinnlos und verzerrten die Wirklichkeit. Es war mir nicht gut gegangen in dieser Ehe, doch das traf für sie genauso zu ...
Irgendwann muss ich dann doch eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, war es bereits Zeit, mich zum Speisesaal zu begeben. Abendessen gab es ab neunzehn Uhr und jetzt war es bereits Viertel nach. Schnell sprang ich in meine Kleider und lief zum Aufzug. Mit eiligen Schritten stürmte ich in den Saal und ... rannte sie fast über den Haufen. Direkt vor mir war sie damit beschäftigt, Salat auf einen Teller zu häufen. Meine Vollbremsung erregte ihre Aufmerksamkeit und als sie aufblickte und mich entdeckte, stahl sich ein Lächeln in ihr Gesicht.
Sofort packte ich die Gelegenheit beim Schopf, ergriff einen Teller vom bereitstehenden Stapel und trat neben meine Angebetete.
„Du hast meine Nachricht also verstanden“, flüsterte sie mir leise zu.
„Ja, und ich habe mich noch nie über eine Zündholzschachtel so gefreut, wie über diese“, gab ich ebenso leise zurück, was ihr ein bezauberndes Lächeln entlockte.
„Können wir uns irgendwo treffen?“, ergriff ich die Initiative.
„Ja, heute Abend. Luigi und Carlo sind todmüde und werden schlafen wie ein Stein. Zudem ist Miranda bei ihnen. Und mein Mann Andrea wird bis Mitternacht weg sein, er fährt zu einem Treffen mit seinen Freunden.“
„Toll, wo treffen wir uns, und wann?“
„Sei ab einundzwanzig Uhr in der Lobby. Ich werde an dir vorbeigehen, dann folgst du mir unauffällig.“
Das Tor zum Paradies wurde weit aufgestoßen, und das Strahlen in meinem Gesicht hätte jedem verraten müssen, dass ich der glücklichste Mensch im ganzen Hotel war. Mit brennenden Augen schaute ich ihr nach, als sie im hinteren Bereich des Restaurants verschwand.
Vorsichtig ging ich ihr hinterher, und als ich wusste, wo ihre Familie Platz genommen hatte, suchte ich mir einen Tisch, von dem aus ich sie beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Keinen Blick konnte ich abwenden, jede ihrer Bewegungen und Gesten registrierte ich, verliebte mich in ihren Mund, ihre Augen, ihre Hände. Dass es solch ein Geschöpf gab, konnte ich nur glauben, weil es keine zehn Meter von mir entfernt saß und ihre Existenz somit über jeden Zweifel erhaben war. Ewig hätte ich so da sitzen und ihr zuschauen mögen.
Dass ihr Mann mit am selben Tisch saß, blendete ich vollkommen aus. In der Welt, die ich gerade erschuf, war kein Platz für ihn. Er kam darin einfach nicht vor.
Erst als die Familie aufbrach und das Restaurant verließ, erhob ich mich wieder und versorgte mich am Büffet. In all der Aufregung hatte ich nämlich vergessen, etwas auf meinen Teller zu laden. Eine Stunde nur musste ich noch warten, dann sah ich sie wieder. Eine endlos lange Zeit, doch die Vorfreude versüßte mir das Warten. So sehr ich mir auch auszumalen versuchte, was passieren würde, wenn wir uns trafen, es gelang mir nicht. Ich musste es einfach auf mich zukommen lassen. Doch egal, was geschehen würde, sie sehen zu dürfen war bereits pures Glück.
Ich ließ mir Zeit mit dem Essen, denn ich wollte nicht mehr hoch in mein Zimmer. Der hervorragende Wein, den ich mir kommen ließ, war zwar sündhaft teuer, doch er half mir auf eine angenehme Weise, die Zeit zu überbrücken. Meine Gedanken wanderten ziellos hin und her. Warum wollte sie mich treffen? Ausgerechnet mich, der ich doch einer schönen Frau wie ihr nichts bedeuten konnte. Und dennoch ... ihre Einladung machte mich zum glücklichsten Menschen in Italien - ach was, auf der ganzen Welt.
Kurz vor 21 Uhr fand ich mich in der Lobby ein.
Das Rendezvous
Es dauerte noch etwa eine Viertelstunde, bis meine Angebetete auftauchte. Mein Herz schlug Purzelbäume, als sie dicht an mir vorbei ging und dann am Zeitungsstand stehen blieb. Sie trug einen kurzen, roten Rock und eine hellblaue Bluse, schwarze Netzstrümpfe und hochhackige Schuhe. Und wie jedes Mal, wenn ich Milena sah, fand ich sie schön, sexy und begehrenswert. Die Frau meiner Träume, definitiv!
Unauffällig erhob ich mich, stellte mich neben sie und suchte mir eine deutsche Illustrierte, in der ich intensiv zu blättern begann.
„Komm in zehn Minuten zu Zimmer 309. Klopf’ dreimal laut und einmal leise, dann öffne ich dir.“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, bezahlte sie die Zeitung, in der sie geblättert hatte, und verschwand Richtung Aufzug. Wie benommen starrte ich weiter die Illustrierte an, ohne etwas zu sehen. Wie hatte Milena es fertig gebracht, unbemerkt an ein eigenes Zimmer zu kommen? Denn sie und ihre Familie waren in 313 untergebracht, wie ich im Restaurant aus dem auf dem Tisch liegenden Zimmerschlüssel geschlossen hatte.
Endlich, als der Verkäufer bereits unmutig zu mir herblickte, bezahlte ich das Blatt, und als ich zum Aufzug ging, ließ ich es unauffällig in den Papierkorb fallen.
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mich der bezeichneten Tür näherte. Was würde mich dahinter erwarten? Lief ich am Ende in eine Falle und musste meine Leidenschaft teuer bezahlen? Oder machte ich mich zum Gespött der Leute? Es war wirklich nicht meine Art, mich auf solche Abenteuer einzulassen. Es passte nicht zu meiner eher nüchternen Art. Aber egal, darauf musste ich es ankommen lassen. Eine wirkliche Wahl hatte ich nicht. Nicht mehr, nachdem ich mich auf diesen Engel in Menschengestalt oder vielmehr Menschen in Engelsgestalt eingelassen hatte.
Das vereinbarte Klopfzeichen war noch nicht ganz verklungen, als die Tür vorsichtig geöffnet wurde und eine weibliche Hand erschien, mich am Arm packte und ins Zimmer zog. Mit einem leisen Plopp fiel die Tür wieder ins Schloss und mein Schicksal war besiegelt, so oder so.
Mit einem stürmischen Kuss drängte sich Milena an mich. Aufgeregt wie ein pubertierender Jüngling bei seinem ersten Rendezvous umarmte ich sie und drückte sie fest an mich. Ihr Duft, der mir in die Nase stieg, ihre Zunge, die in meinen Mund wühlte, ihr weicher Körper, der sich dicht an meinen presste, raubten mir fast den Verstand. Konnte das wahr sein? War ich am Ende in einem Traum gefangen und bestand die Gefahr, dass ich todunglücklich aufwachte?
Nein, solch intensive Berührungen und Gefühle konnte man nicht träumen!
Mit fliegenden Fingern nestelte Milena mein Hemd aus der Hose und schob ihre Hände darunter. Selbst glühende Kohlen hätte ich nicht intensiver fühlen können, als diese zarten Berührungen. Sie gaben mir den Mut, dasselbe zu wagen, und ihr wohliges Schnurren bewies mir, dass sie genau dies von mir erwartete. Ohne den Kuss zu unterbrechen, öffnete ich den Verschluss ihres Büstenhalters und konnte nun die freie Fläche ihres Rückens unter der Bluse unbehindert streicheln.
Sie war einen halben Kopf kleiner als ich, und als sie schließlich unseren Kuss unterbrach, legte sie den Kopf gegen meine Schulter, während ich weiter ihren Rücken mit meinen Händen liebkoste. Erst als ich das Zucken und Beben ihres Körpers bemerkte, realisierte ich, dass mein Liebling weinte. Mit einem Finger hob ich ihr Gesicht und zum ersten Mal blickten wir uns aus dieser Nähe in die Augen. Ihr tränenverschleierter Blick löste grenzenlose Zärtlichkeit in mir aus und ich küsste die salzigen Tropfen von ihren Wangen.
„Was ist mit dir, mein Herz?“, flüsterte ich ihr ins Ohr.
„Ich weiß nicht, mir ist nach Weinen zumute, obwohl ich mich glücklich fühle.“
„Wenn du so glücklich bist wie ich, dann verstehe ich, wie dir zumute ist.“
„Es ist Jahre her, seit ich es gewagt habe, einem Menschen so viel Vertrauen entgegenzubringen wie dir. Und ich bin so euphorisch, weil ich mich nicht in dir getäuscht habe.“
„Das hast du ganz sicher nicht!“
„Und zugleich bin ich verzweifelt, weil diese Heimlichtuerei nötig ist. Ich möchte dir so gerne als freie, selbstbestimmte Frau entgegentreten.“
Ihre Zweifel und Sorgen verstand ich sofort, auch wenn ich die Hintergründe nicht wusste. Keineswegs jedoch begriff ich, warum meine Gegenwart euphorische Gefühle bei ihr auslöste. Wer war ich schon? Ein Allerweltskerl und Dutzendmensch. Während sie einem Gespielinnenkatalog für Götter hätte entstiegen sein können.
„Halt mich fest und streichle mich“, forderte sie mich auf, und ich kam dieser Bitte nur zu gerne nach. Wieder ließ ich meine Hände unter ihre Bluse wandern und erforschte jedes Fleckchen ihrer Haut, das ich in dieser Stellung erreichen konnte. Ihr wohliges Schnurren beflügelte mich, und als sie sich langsam in meinem Arm zu drehen begann, weitete ich meine Bemühungen auf die jetzt erreichbaren Zonen ihrer sich wunderbar anfühlenden Haut aus. Schließlich stand sie mit dem Rücken zu mir und meine Hände lagen auf ihrem flachen Bauch. Erst als ihre Drehung beendet war, wagte ich es, meine Hände höher wandern zu lassen. Mit unendlicher Langsamkeit betastete ich ihre Halbkugeln, genoss jeden Millimeter, den ich so eroberte. Milena unternahm keine Anstrengungen, meine zeitlupenhaften Bewegungen zu beschleunigen, doch je näher ich ihren Brustwarzen kam, desto heftiger wurde ihr Atem.
Die erste Berührung ihrer Nippel löste einen elektrischen Schlag sowohl bei ihr als auch bei mir aus. Beide zuckten wir gleichzeitig zusammen und unser Keuchen vermischte sich zu einem wollüstigen Stöhnen. Jetzt gab es kein Halten mehr und mit beiden Händen umfasste ich die vollkommene Pracht ihrer Hügel. Mit zwei Fingern jeder Hand betastete ich ihre Nippel und spürte ihre Härte und fantastische Größe. Zu gerne hätte ich sie angesehen. Und als ob Milena meine Gedanken geahnt hätte, öffnete sie die Bluse, sodass ich über ihre Schulter hinweg dem Werk meiner Hände zusehen konnte. Sehr dunkle, große Vorhöfe und rosarote Brustspitzen, die sich meinen Händen entgegenzurecken schienen, ließen es nicht zu, dass ich meinen Blick auch nur einen winzigen Augenblick von ihrem Anblick lösen konnte. Wenn sich die Summe allen Glücks und Unglück im Universum ausglich, musste in diesem Moment ein mir hoffentlich Unbekannter fürchterliche Qualen erleiden.
„Willst du sie küssen?“
Genauso gut hätte sie mich fragen können, ob ich weiter Luft holen wollte. Das Bedürfnis, ihrer Bitte nachzukommen, füllte meinen Kopf so sehr aus, dass ich nicht einmal antworten konnte. Also versuchte ich es erst gar nicht, sondern drehte sie wieder um, sodass ihr fester Busen gegen meinen Körper drückte. Langsam ging ich in die Knie und näherte meinen Mund ihrer linken Brust. Einen Augenblick zögerte ich noch, um die qualvolle und dennoch beseligende Wartezeit zu verlängern, doch schließlich siegte mein Begehren. Mit spitzen Lippen hauchte ich einen Kuss auf ihre Brustspitze, während meine Rechte sie mir entgegenhob.
Mit beiden Händen ergriff sie meinen Kopf und drückte mir auf diese Weise ihre Brustwarze in den Mund. Reflexartig begann ich zu saugen und ließ meine Zunge um die harte Beere kreisen. Und um einen gewissen Ausgleich zu schaffen, spielte meine Linke mit dem Nippel ihrer anderen Brust. Ewig hätte ich so weitermachen können, doch Milena liebte wohl die Abwechslung, denn sie zog meinen Kopf von ihrer rechten Seite und drückte mir ihre andere Brust in den Mund.
So wechselten wir noch einige Male, während ihr Keuchen lauter und das Beben ihrer Bauchdecke schneller und heftiger wurde.
Erst als sie meinen Kopf wieder hoch zu ihrem Gesicht dirigierte, konnte ich mich von ihren Wonnehügeln lösen, wenn auch ungern und mit einem Gefühl der Sehnsucht. Doch ihr Kuss und die brandheißen Brustwarzen, die nun gegen meine Brust drückten, entschädigten mich.
„Wow! Es ist noch schöner, als ich es mir ausgemalt habe“, beteuerte sie, als wir endlich voneinander ließen. „Ich träume davon, seit wir uns auf dem Schiff zum ersten Mal berührt haben.“
„Solche Träume hätte ich niemals zu träumen gewagt. Du bist so unglaublich schön und begehrenswert, dass ich mir solch ein Glück einfach nicht vorstellen konnte.“
„Ach was, ich bin doch nur eine ganz normale Frau, die sich danach sehnt, ein bisschen Liebe zu erfahren.“
„Egal, wie sehr deine Vorstellungen von mir daneben liegen, in einem stimmen sie perfekt. Ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Mir ist, als wäre mein bisheriges Leben nur der Auftakt zum heutigen Tag gewesen. Als hätten alle meine Irrungen und Wirrungen nur dem einen Zweck gedient: Heute zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.“
„Solch eine Liebeserklärung habe ich seit Jahren nicht mehr vernommen. Nicht einmal als meine Kinder, die doch Andreas ganzer Stolz sind, zur Welt kamen, fühlte ich mich von ihm geliebt. Doch lassen wir dieses Thema. Ich bin hier, um mich zu freuen. Zusammen mit dir, mein Liebster.“
Wie weit wurde meine Brust, als sie mich so titulierte. Mein Liebster! Jedes der beiden Worte war mit Gold nicht aufzuwiegen.
„Lass uns dort weitermachen, wo wir eben aufgehört haben. Sprechen können wir hinterher. Oder?“
„Ich will, was du willst. Bedingungslos!“
„Gut, dann komm mit. Hier ist es bequemer.“
Mit diesen Worten trat sie zu dem Doppelbett, das zum Glück ein französisches war, stieg mit lasziven Bewegungen aus ihren Kleidern und legte sich nackt mit dem Rücken aufs Bett, die Arme weit über den Kopf nach hinten gestreckt. Es hätte eines Raphaels oder Botticellis bedurft, um ihrer Schönheit auf einer Leinwand halbwegs gerecht zu werden.
„Kommst du?“, forderte sie mich auf, denn ich stand immer noch unbeweglich da. Ohne die Augen von ihr zu lösen, trat ich näher zum Bett und stieg ebenfalls aus meinen Kleidern. Jedes Detail brannte sich mir ins Hirn und ich könnte auch jetzt noch aufs Genaueste beschreiben, wie sie da lag. Wie ihre blonden Haare sich auf dem Kopfkissen ausbreiteten, sich die dunkelrot lackierten Fingernägel von der Bräune ihres Körpers abhoben, sich ihr Schamhaar sanft ringelte und ihr immer noch nass glänzender Busen sich hob und senkte.
Natürlich war ich erregt. Doch was war in diesem Moment natürlicher? Selbst ein Eunuch hätte reagiert, und sei es nur mit einem wehleidigen, sehnsüchtigen, erinnerungsschwangeren Zucken der unbrauchbaren Extremität.
„Leg dich auf mich!“, forderte sie mich auf, und mich leicht neben ihrem Körper mit den Händen abstützend, damit ich ihr nicht zu schwer wurde, legte ich mich in voller Länge auf sie, auf diese Weise den größtmöglichen Körperkontakt suchend, denn genau das schien auch sie im Sinn zu haben.
„Es ist wundervoll, dich zu spüren, deine Haut auf meiner zu fühlen“, belohnte sie mich. „Dein Gewicht zu tragen gibt mir die Gewissheit, dass wir wirklich beisammen sind, dass das hier kein Traum ist.“
Offensichtlich erging es ihr in diesem Punkt ähnlich wie mir, ängstlich erwartete ich, jeden Moment aufzuwachen. Wobei die Ängstlichkeit Gott sei Dank vollkommen überdeckt wurde von den Glücksgefühlen, die mich erfüllten.
Ihre Hände streichelten meinen Rücken und es war, als wäre jede ihrer Berührungen eine Einzahlung auf meinem ganz persönlichen Glückskonto, das bis zu diesem Moment hauptsächlich durch etatmäßige Ebbe geglänzt hatte. In mir summte und schnurrte es vor Behaglichkeit und wohligem Genießen, dass ich fast sicher war, sie müsste es hören.
Wir lagen eine endlos scheinende Zeit fast reglos, genossen die Nähe und das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich daraus ergab. Unsere Wangen lagen aneinander und ich hörte leise ihre Atmung. Irgendwann legte sie beide Hände an meinen Kopf und begann, mein Gesicht mit Küssen zu bedecken, indem sie mich mit ihren Händen so dirigierte, dass ihr keine Stelle entging. Oh welche Glückseligkeit!
Ohne dass ich es gewollt hatte, einfach durch unsere Stellung bedingt, glitt ich plötzlich, als Milena sich ein wenig unter mir bewegte, ganz unspektakulär in sie hinein. Widerstand gab es keinen, ihre Nässe hieß mich willkommen. Wir waren beide erstaunt, dass es passiert war, und bewegten uns wiederum eine ganze Zeit lang nicht, genossen das Gefühl und das Bewusstsein, dass wir so intim miteinander waren, wie nur möglich.
Es war Sex in seiner schönsten Form, war die Vereinigung zweier Liebender, die unvollständige und nach Vervollständigung sich verzehrende Menschen zu einem Ganzen machte.
„Oh Liebster, wie hab ich mich danach gesehnt“, flüsterte sie mir ins Ohr und es überlief mich wie Fieberschauder. „Liebe mich, bitte!“
Ich wusste nicht, und weiß es auch heute noch nicht, ob sie geplant hatte, mit mir zu schlafen. Oder ob es einfach unvermeidlich gewesen war. Letzteres schien mir wahrscheinlicher.
Langsam glitt ich ganz in sie hinein und bewegte mich sanft und zärtlich in ihr. Sofort nach dem unbeabsichtigten Eindringen hatte sie die Beine weit gespreizt und so angewinkelt, dass ihre Füße nun auf Höhe meiner Knie rechts und links neben mir standen. Um möglichst tief in sie eindringen zu können, stützte ich mich mit den Händen ein wenig ab und hob so meinen Oberkörper in die Höhe. Sofort folgten ihre Hände dieser Bewegung und sie streichelte mein Gesicht, während ihre Augen sich in meine versenkten.
„Ah, wie gut das tut! Ich kann gar nicht genug von dir bekommen.“
Mein männlichstes Attribut ist längst nicht so groß, wie es von mir aus sein könnte, doch Minderwertigkeitskomplexe hatte ich deswegen noch nie. Wenn ich eine Frau befriedigen wollte, musste ich sie tief und fest penetrieren, das wusste ich aus Erfahrung. So steigerte ich die Geschwindigkeit und die Heftigkeit meiner Stöße und Milena quittierte es mit einem wohligen Grunzen, das mich trotz der Erregung zum Lächeln veranlasste. Natürlich registrierte sie das und musste nun ihrerseits leise lachen. Eine solche Freude konnte ich daraus hören, dass ich nicht anders konnte, als mich wieder ein wenig herabzulassen und sie zu küssen. Die etwas ungünstigere Position kompensierte Milena, indem sie das Becken hob und somit meinen Stößen entgegenkam. So konnte ich tief und fest in sie hineinstoßen und gleichzeitig schlängelten sich unser Zungen umeinander, fochten den heißen Kampf der Liebe.
Anstrengend war es, und der Schweiß trat mir auf die Stirn, doch keinen Moment war ich in Versuchung, diesen Augenblick der Seligkeit zu unterbrechen. Dies war der Kulminationspunkt meines bisherigen Lebens und ich wollte ihn so weit ausdehnen, wie irgend möglich.
Plötzlich drehte Milena ihren Kopf zur Seite und unterbrach unseren intensiven Kuss. Ihr heiseres Stöhnen verriet mir sogleich, warum sie die Vereinigung unserer Münder unterbrochen hatte. Sie stand kurz vor einem erlösenden Orgasmus und ich tat alles, um sie diesen Moment genießen zu lassen.
„Komm, spritz mich voll!“ Ihre Worte waren kaum zu verstehen, denn sie war vollkommen außer Atem und keuchte lautstark.
Oh ja, das wollte ich. Es wäre mir sowieso nicht mehr lange möglich gewesen, den eigenen Orgasmus hinauszuzögern. So ließ ich die Erregungskurve ungehindert steigen und nach wenigen Stößen verströmte ich mich in ihr, während Milena ihre Klimax durch kurze, spitze Schreie kundtat.
Ermattet sank ich auf sie nieder und ließ mich neben sie gleiten, um sie nicht durch mein Körpergewicht zu erdrücken.
Sofort kuschelte sie sich dicht an mich und ließ ein leises Schnurren hören. Irgendeine weit zurückliegende Urahnin musste von einem Katzenwesen abstammen.
Das Herz pochte mir immer noch laut und fest in der Brust. Wir schwiegen eine lange Zeit und ich lauschte ihrem Herzschlag, der langsam wieder zur Ruhe kam.
„Wie kommt es, Milena, dass du mit diesem Mann zusammen bist. Du liebst ihn doch nicht, oder?
„Nein, ich liebe ihn nicht. Ich habe ihn noch nie geliebt, wenn ich ehrlich bin.“
„Aber warum bist du dann mit ihm zusammen?“
„Weil die Alternative der Tod ist, ganz einfach. Niemand verlässt Andrea!“
„Wie meinst du das? Ist er so gefährlich?“
„Er ist noch viel gefährlicher, als du dir ausdenken kannst. Ich weiß, es ist unverzeihlich von mir, dich durch unser jetziges Zusammensein in Gefahr zu bringen, doch ich konnte nicht anders. Ich musste dich sehen und treffen.“
„Ich habe keine Angst.“
„Weil du keine Ahnung hast, mein Lieber.“
„Nein, weil ich dich liebe und mein Leben weiter sinnlos verstrichen wäre, ohne diese Stunde hier mit dir zusammen. Sie ist das Schönste, was ich je erlebt habe und jeden Preis und jedes Risiko wert.“
„Ich bin froh, dass du so denkst, dann habe ich mich also nicht in dir getäuscht.“
„Ganz sicher nicht. Und nun lass uns planen, wie wir dich aus seinen Klauen befreien.“
„Das geht nicht. Er würde mich überall finden. Und ohne meine Kinder gehe ich sowieso nirgends hin. Sie sind es, die mich am Leben erhalten. Ohne sie wäre mein Schicksal längst besiegelt.“
So sehr ich sie auch bestürmte, von dieser Weigerung konnte ich sie nicht abbringen. Mehr als zwei Stunden redeten wir, küssten und umarmten uns. Jede Frage nach ihrem Mann und jede Anspielung auf eine Flucht beendete sie mit einem Kuss und einer heftigen Umarmung.
Bis sie dann doch bereit war, wenigstens einige Fragen zu beantworten.
„Ich weiß nicht mal, womit Andrea sein Geld verdient. Bankgeschäfte, klar, doch ob für die Mafia oder eine andere verbrecherische Organisation, ich weiß es nicht.“
„Kann er nicht einfach nur ein erfolgreicher Geschäftsmann sein? Warum gleich die Mafia?“
„Ich weiß es ja nicht sicher. Doch eins ist gewiss, eine Flucht wird mein sicherer Tod sein.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
„Ich habe es schon einmal probiert. Damals war ich noch nicht Mutter zweier kleiner Kinder, sondern gerade im vierten Monat schwanger. Ich kam nicht einmal aus Italien hinaus. Bereits in Bologna zerrten seine Gorillas mich aus dem Zug und schleppten mich zurück zu ihm.“
„Mein Gott!“
„Monatelang hielt er mich wie eine Gefangene, täglich verprügelte er mich so sehr, dass ich die blauen Flecke nicht mehr zählen konnte. Niemand war bereit, mir zu helfen, weder die Frau, die mir jeden Tag das Essen brachte, noch der Leibwächter, der eines Tages das Klo reparieren musste. Sie hatten panische Angst vor Andrea, verrieten ihm noch in derselben Stunde mein Flehen um Hilfe. Als Folge dieses nutzlosen Aufbegehrens bekam ich die Peitsche zu spüren, überall, am ganzen Körper, sogar meinen dicken Bauch, den er mit den Fäusten stets verschont hatte, nahm er diesmal nicht aus.“
Mit weit aufgerissenen Augen lauschte ich ihrer Erzählung, stöhnte, als ob mich die Schläge in dieser Minute selber träfen. Welch ein Schwein! Mordgelüste stiegen in mir hoch. Hass und grenzenlose Wut.
„Erst zur Geburt durfte ich mein Zimmer wieder verlassen. Und er hat mir angedroht, mich seinen Leibwächtern zur Verfügung zu stellen, bevor ich die Fahrt im brennenden Reifen den Berg hinunter antrete, wenn ich auch nur daran dächte, wieder abzuhauen.“
„Und was hast du getan, mein Liebling?“, fragte ich verzagt und verzweifelt. Was hatte diese Frau, die mir mehr bedeutete als mein Leben, erdulden müssen?!
„Was blieb mir übrig? Ich bin bei ihm geblieben und wieder schwanger geworden. Und jetzt ... bin ich ihm auf ewig ausgeliefert. Auf Gedeih und Verderb.“
„Und wie behandelt er dich?“
„In der Öffentlichkeit ignoriert er mich meist, und wenn die Kinder dabei sind, spielt er den normalen, liebevollen Familienvater. Doch wenn wir alleine sind, quält er mich, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Ich kann nicht zählen, wie oft er mich vergewaltigt hat, denn nichts ist mir mehr verhasst, als wenn er mich berührt. Wie soll ich das also anders nennen als Vergewaltigen?“
Ohnmächtige Wut, Verzweiflung, unendliches Mitgefühl, Angst ... ein Gefühlscocktail, der mein Adrenalin so hochjagte, dass ich zitterte und keine Luft mehr bekam.
Milena, die meinen Zustand erkannte, riss das Fenster auf und langsam kehrten meine Lebensgeister zurück.
„Mein Liebling, die Zeit läuft uns davon“, belehrte mich Milena, nachdem wir wieder eine Zeit lang schweigend, und unseren Gedanken nachhängend, dicht nebeneinander gelegen hatten.
„Ich will nicht, dass es vorbei ist, es soll ewig dauern!“ Kindisch von mir, doch genau so war mir zumute.
„Wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, mit dir fortzugehen, würde ich es tun. Doch da es keine gibt, lass uns die verbleibenden Minuten nutzen, uns so nahe zu sein, wie nur möglich.“
Während sie dicht zu mir herkam, ihr Busen sich gegen meine Brust presste, hatte ich alle Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Ich wollte nicht als Schwächling dastehen und noch weniger wollte ich ihr unnötigen Kummer bereiten. Nicht, dass sie am Ende meinte, mich trösten zu müssen, wo es doch umgekehrt sein sollte. Die Traurigkeit, die sich wegen der unlösbaren Situation in mir ausbreitete, war allgegenwärtig. Ich umarmte und küsste Milena, drückte sie an mich und zeigte ihr mit jeder Berührung ihres makellos schönen Körpers, wie sehr ich sie liebte.
Verzweiflung
Doch dann kam der Moment, an dem etwas in mir starb.
„Mein Liebster, ich muss jetzt gehen. Wenn wir großes Glück haben, gibt es morgen Abend wieder eine Gelegenheit, uns zu treffen. Wenn nicht, werden wir uns nicht mehr wiedersehen, also nehmen wir am besten jetzt Abschied voneinander.“
„Nein Milena, ich muss dich auf jeden Fall wiedersehen! Mein Leben hängt davon ab.“
„Ich kann dir nichts versprechen. Bitte, mach’ es mir nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.“
„Verzeih, mein Liebling, ich weiß, dass ich unmöglich bin. Doch die Verzweiflung, die mich bei dem Gedanken, dich nie wieder zu sehen, überfällt, tut so unendlich weh. Es fühlt sich an, als würde mir bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.“
Ihr trauriger Blick machte mich ganz krank.
„Ich werde sehen, was ich tun kann ...“
Ich wollte es nicht wahrhaben, Tränen standen in meinen Augen, und als sie nach dem endgültig letzten Kuss durch die Tür verschwunden war, starrte ich noch lange die Maserung des Holzes an. Würde ich sie wiedersehen? Es war schlichtweg unausdenkbar, dass unsere Wege sich endgültig trennen sollten. Weder heute, noch morgen, noch irgendwann. Und wenn ich mein Leben wagen sollte, ich musste sie wieder treffen. Diese eben gemeinsam verbrachten Stunden waren die glücklichsten meines Lebens gewesen. Unser Verhältnis durfte nicht enden, bevor es richtig angefangen hatte.
Nachdem ich mich mit bleischweren Füßen auf mein Zimmer geschleppt hatte, verbrachte ich eine unruhige Nacht, fuhr immer wieder aus einem Albtraum hoch. Mal verpasste ich den letzten Zug, der zu ihr fuhr, mal verunglückte ich mit dem Auto, als ich zu ihr unterwegs war. Tausenderlei Hindernisse stellten sich mir in den Weg und kein einziges Mal gelang es mir im Traum, zu ihr zu gelangen.
Irgendwann fiel ich dann doch in einen komatösen Schlaf und wachte erst gegen zehn Uhr auf. Verflixt, ich hatte das Frühstück verpasst und damit die Gelegenheit, sie zu sehen. Die Unwissenheit darüber, wie es ihr ergangen war, wo sie sich aufhielt und wann ich sie wiedersehen würde, raubte mir die Ruhe. Was konnte ich nur tun, um wieder auf den Boden zu kommen? Ich musste unbedingt wenigstens ein Wort mit ihr wechseln, um zu sehen, dass es ihr gut ging. Also machte ich mich zur Rezeption auf.
„Guten Morgen, könnten Sie mir bitte die Telefonnummer des Zimmers 313 geben, ich bin gebeten worden, heute Morgen dort anzurufen.“
„Die Nummer wird Ihnen nichts nützen, denn die Herrschaften sind bereits in den frühen Morgenstunden abgereist.“
„Wie kann das sein?“, schrie ich den Uniformierten an, gerade so, als wäre er schuld daran, dass für mich eine Welt zusammenbrach.
„Ein plötzlicher Aufbruch, gewiss, denn sie hatten das Zimmer bis übermorgen gebucht. Ich habe keine Ahnung, was vorgefallen ist“, bewahrte der Bedienstete die Ruhe, wie es in einem Hotel dieser Klasse zu erwarten war. Die mussten mit ganz anderen Situationen fertig werden als einem verzweifelten Liebhaber ohne Rechte und Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft.
Mit hängenden Schultern schlich ich davon, verzweifelt und zu Tode betrübt. Was konnte ich jetzt noch unternehmen? Wie ihre Spur aufnehmen?
Wie von Sinnen raste ich auf mein Zimmer, durchwühlte die Kleider, die ich gestern getragen hatte. Hatte sie mir am Ende wieder heimlich eine Botschaft zugesteckt? Doch so sehr ich auch stöberte, es war nichts zu entdecken. Nicht ein Fetzchen Papier, so sehr ich auch tastete und fühlte. Nur mit Mühe konnte ich das Bedürfnis, auch noch die Nähte aufzutrennen, unterdrücken.
Ich blieb noch zwei Tage in dem Hotel und versuchte auf jede erdenkliche Weise, etwas über Milena in Erfahrung zu bringen. Die Gäste des Hotels schauten mich schon schräg an, wenn ich ihnen zum wiederholten Male mit meinen bohrenden Fragen auf den Wecker ging. Auch das Hotelpersonal wurde immer unwilliger, mir zuzuhören und so beendete ich meinen Italienurlaub nach zwei weiteren Tagen voller Depressionen. Es war vorbei und ich hatte verloren. Die Liebe meines Lebens war geplatzt wie eine Seifenblase. Ich war am Ende.
***
Seit Monaten suche ich sie verzweifelt, doch bis letzte Woche gab es keine Spur von ihr. Die Kosten für den Detektiv, den ich mit der Suche beauftragt habe, übersteigen mein Einkommen erheblich und meine Geldreserven gehen bereits zur Neige. Doch es hat sich gelohnt!
Ich weiß jetzt ihren Aufenthaltsort, sie lebt in Neapel.
Das Haus, in dem sie wohnt, gleicht einer Festung, hat mir der Detektiv mitgeteilt und sich geweigert, weiter in dieser Sache zu ermitteln, sie ist ihm zu heiß. Seinen Auftrag, Milena aufzuspüren, hat er erfüllt, mehr kann ich von ihm nicht erwarten.
Morgen geht mein Flieger nach Neapel, und bevor ich diesen ungleichen Kampf um Milena und ihre Kinder aufnehme, wollte ich schriftlich festhalten, was ich erlebt habe, damit meine Angehörigen und Freunde im Fall des Falles wissen, warum ich nicht anders handeln kann, als ich es jetzt tue. Möge der Gott der Liebe, dem ich mein Leben weihe, mir beistehen.
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(AutorIn)
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Diese Story habe ich mehrere Jahre mit mir herumgetragen, bis sie endlich die Gestalt angenommen hat, in der sie jetzt vorliegt. An eine Fortsetzung habe ich nie gedacht, und ich werde auch keine schreiben. Das, was ich erzählen wollte, steht in diesen Seiten und ich bin überzeugt, dass in diesem Fall mehr weniger wäre.
Was den Stil mit den langen Sätzen angeht ... diese Kritik habe ich schon mehrfach bekommen. Für den Autor selbst ist es schwierig, nachzuvollziehen, warum der Lesefluss gehemmt ist. Ich selbst lese den Text so oft, dass ich an keiner Stelle mehr hängen bleibe. :-)
Vielleicht sollte ich mal einen Durchgang einplanen, bei dem ich speziell auf verschachtelte Sätze achte. Könnte ja nichts schaden.
Liebe Grüße
Elmar
Nachtrag:
So viele nette und freundliche Kommentare habe ich noch nie bekommen. Und es freut mich ungeheuer, dass gerade diese Geschichte so kommentiert wird. Ich hatte Befürchtungen, ob der spärlich eingesetzte Sex nicht bei Mehrzahl der Leser auf diesem Forum Langeweile aufkommen lassen wird. Ist aber wohl nicht der Fall und das beflügelt mich, dem in Zukunft Rechnung zu tragen.
Einen ganz herzlichen Dank an dieser Stelle noch an meine liebe Freundin Anja Mondstern, die wertvolle Anregungen beigesteuert hat.«
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Es kommt, wie es kommt!«
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Nu mach ma.
Geno«
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Aber schreibe bloß keine Fortsetzung. Da ist die Gefahr zug roß, in die Banalität abzurutschen.
Schreibe lieber eine andere ebenso gute Geschichte.«
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inhaltlich finde ich deine Geschichte sehr gelungen. Mit dem offenen Ende kann ich gut leben. Mit deinem Schreibstil hatte ich mehr Schwierigkeiten. Viele deiner verschachtelten Sätze sind zu lang geraten. Oftmals hättest du daraus vielleicht zwei oder sogar drei Sätze machen können, ohne dass der Inhalt darunter gelitten hätte. Die vielen Einschübe hemmten meinen Lesefluss gewaltig. Für meinen Geschmack fand ich zu viele rhetorische Fragen in deinem Text. Nichtsdestotrotz, ich will deine Geschichte schließlich hier nicht niedermachen, denn ich habe deine Geschichte gerne gelesen und bin nicht abgeneigt, mir auch weitere deiner Machwerke durch lesen einzuverleiben, wobei ich nicht weiß, ob dieser Geschichte eine Fortsetzung gut tun würde. Nicht, dass mich jetzt jemand prügelt, weil ich auch so lange Sätze schreibe. Dies tat ich bewusst, um deutlich zu machen, was ich meine.
Liebe Grüße
astweg«
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Jetzt will ich aber nicht Kommentaren zu "Milena" beipflichten, sondern mich einfach nur freuen: über die exzellente Sprache, all die Feinheiten der Reflektionen des Prots, die der Story Tiefe und Spannung geben. Einen selbst als Leserin fast mehr mitleiden lassen, mit diesem fast ohnmächtig verzweifelten Kerl, als mit Milena, deren ohnmächtige, sklavische Hilflosigkeit aus der gnadenlosen Brutalität ihres Mannes erwächst.
Zwischen der ersten elektrisierenden Berührung ihrer Finger bis zu der Erkenntnis, dass sie verloren ist, bietet diese Kurzgeschichte Spannung, Sinnlichkeit pur ... ja, und selbst die dem Drängen nach beiderseitiger lustvoller Erfüllung geschuldete körperliche Gier lässt genug Raum für Nachdenklichkeit. Fazit: Klasse Geschichte!!
LG Andrea«
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Sie fängt so behutsam und zart an... hoffnungslos romantisch. Und kommt dann zu einem großartigen Höhepunkt. Ich bin hin und weg :-)
Alles in mir sehnt sich nach einer Fortsetzung. Allein die Story ist so klasse...«
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Ich habe die Geschichte gern gelesen, und obwohl ich ein Happy-End-Faible habe, kann ich mit dem offenen Ende gut leben ... es bleibt ja die Hoffnung ...
LG Mondstern«
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Aus tiefstem Herzen: Danke!
Ich gebe zu, dass ich nach so vielen Jahren des Lesens auf verschiedenen Portalen irgendwie davon ausgehe, dass ich die besten Geschichten schon gelesen habe.
Glücklicherweise belehren mich solche Abende wie dieser dann ganz selten wieder eines Besseren.
Der Sprachstil, den du verwendest hast, trifft meinen Geschmack punktgenau.
Für mich von absolut passender Komplexität. Nicht zu banal. Was diesem Text auch in meinen Augen sehr geschadet hätte.
Die Intensität, die du aufbaust, kann nur in einer so komplexen Umgebung gedeihen, wo jede Geste, jeder Atemzug ein Wort erhält, das ihn benennt.
Selbst ohne an Liebe auf den ersten Blick zu glauben, wird man durch die hohe Taktfrequenz neuer, immer stärker sich aufbauender Eindrücke gefesselt und in Bann geschlagen.
Es bleibt gar keine Zeit, Motivation oder Ehrlichkeit in Frage zu stellen, obwohl ich zugebe, dass ich zwischenzeitlich dann doch kurz gemutmaßt habe, Milena könne ein doppeltes Spiel treiben und einen verliebten Gecken suchen, der sie ihres Ehemannes entledigt.
Auch das wäre ein interessanter, wenn auch ungleich bitterer Verlauf gewesen, der am Ende einen schalen Beigeschmack hinterlassen hätte (was wiederum nur durch die gelungene Darstellung intensiver Gefühle ermöglicht wird).
Es bleibt keine Kritik zu äußern.
Wäre dies der Prolog eines Buches, dann wäre ich bereits mitten in Kapitel 1, denn es hätte mich erwischt.
Und selbst wenn das Buch am Ende nur die 100ste Adaption von 'Allein gegen die Mafia' gewesen wäre, so wäre es dennoch keine Verschwendung von Zeit und Geld, denn manchmal reicht allein der Stil eines Autors schon aus, um aus einer altbekannten Geschichte eine Perle zu schaffen.
Ich freue mich darauf, irgendwann wieder auf diese Weise von dir in deine Welt der Phantasie entführt zu werden. ;-)«
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Eine tolle Geschichte: gut geschrieben, interessante Figuren, spannend und prickelnd, ohne dass es beim Sex dann (sprachlich) ordinär wurde.
Vllt. hätte man hie und da etwas kürzen können (das "Liebesleben" des Protagonisten nach dessen Scheidung), aber insgesamt war ich gefesselt bis zum Schluss. Weiter so!«
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Diese Geschichte ist eine der besten, die ich je in sevac.com gelesen habe.
Dass Dein Schreibstil kompliziert sein soll ist absolut lächerlich. Im Gegenteil frage ich mich, was Du hier suchst. Du könntest mit Deinem Sprachgefühl auch richtig in die Literatur wechseln.
Auch dass eine Fortsetzung ins Banale abgleiten könnte, ist für mich - bei Dir als Autor - absolut nicht vorstellbar. Deshalb kann ich Dich nur ermuntern, Deinen Traum weiterzu"spinnen". Mache daraus eine richtige Fortsetzungsgeschichte, und lasse sie zuletzt "gut" ausgehen. Es wird Dir schon etwas einfallen.
Wieso bekommt diese Geschichte nur 4 Sterne ???
Herzlichen Dank und Gratulation
Rainer-Adi«
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die einzige stelle, die mich stutzen ließ, war die im hotelzimmer: geht jemand so gequältes und misstrauisches jemals wieder so offen mit einem fremden um? wird man sich nicht erst noch um ein weiteres menschlich näher kommen müssen (auf dem boot war doch eher smalltalk...)? oder - wenn die zuneigung vielleicht eher körperlich ist - hätte man nicht schon während des ausflugs mehr körperliches verlangen von ihrer seite erwartet?
alles andere (lange sätze? kamen in meiner fassung nicht vor :) - sehr zarte, zugewandte formulierungen, glaubhafter, sensibler charakter durch allerlei hintergrund etc...) hat mir als teil dieser spannenden wie zärtlichen geschichte sehr viel spaß gemacht, danke!
eins vielleicht noch: da die dramatik so sehr spät so eine enorme dynamik gewinnt, wirkt das ende (auf mich) tatsächlich sehr abrupt. kein ruf nach fortsetzung (es sei denn, wie coy schreibt, es soll doch noch ein roman werden...) - aber wenn die grundüberlegungen, die motivation für die aufzeichnungen schon früher anklingen, mag der bogen noch eine kleine spur runder werden, dachte ich.
wobei (ohne anja alles kaputt machen zu wollen) mir das offene ende hier insgesamt bände für ein "böses" ende zu sprechen scheint...«