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Kommentare: 9 | Lesungen: 4596 | Bewertung: 8.39 | Kategorie: BDSM | veröffentlicht: 22.05.2006

Mirror, Mirror Teil 3

von

von ZeroZero

mit einem ganz besonderen Dank an den guten Geist der Geschichte

„Burning down the house – zurück zu den Wurzeln“

Wenn Schönheit verblasst und Liebe stirbt

Michael erschrak zu Tode, als er die letzten Worte des Fremden hörte. Er wusste zwar, dass es irgendwo einen Mitwisser außer ihm, Jennifer und ihrem Onkel gab, doch war er trotz allem davon ausgegangen, ihn nie zu treffen. Er hatte viel zu viel Angst, der Fremde könne versuchen, ihm den Spiegel zu entreißen. Daher hatte er diesen Gedanken weit weg geschoben.

Der Fremde blickte ihnen einen Moment schweigend an, kramte in seiner Hosentasche und förderte eine Zigarettenpackung hervor. Demonstrativ hielt er sie Michael entgegen:

„Rauchst du? Dann bitte bedien' dich!“

„Eigentlich nicht“, sagte Michael und nahm sich eine. Er hatte das Gefühl, die beruhigende Wirkung, die ihm von so vielen Leuten beschrieben worden war, testen zu müssen.

„Woher wissen sie von dem Spiegel?“, fragte er dann, nachdem er an seiner Zigarette gezogen und sich tatsächlich ein wenig besser gefühlt hatte.

Der Fremde tat es ihm gleich und sah Michael dann direkt in übermüdete und vom Schock gezeichneten Augen:

„Genau so wie du, habe ich den Spiegel einstmals gekauft. Und wir Beide waren nun wirklich nicht die Einzigen, es gab einige Dutzend.“

Michael bekam das Gefühl, sich übergeben zu müssen.


‚Einige Dutzend Menschen sollten den Spiegel gehabt haben? Davon würden ihn sicherlich gerne einige wieder besitzen. Anscheinend war er doch in Gefahr.’


„Und du bist also auch der Brief Schreiber?“ wollte Michael wissen, als er gleichzeitig den Übelkeitsreiz bekämpfte.

Er entschied sich, den Fremden zu duzen. Sie kannten wohl das größte Geheimnis von einander. Kurz schoss Michael die Frage durch den Kopf, warum er sich überhaupt darüber Gedanken machte, dass es falsch sein könnte, jemanden zu duzen.

„Ich bin der Autor des kurzen Briefes, das ist richtig. Und deine Antwort hat mich sehr besorgt. Du läufst Gefahr, ihr in die Falle zu gehen.“

Michael wurde hellhörig, endlich hatte er etwas konkretes gehört


.


„Ihr? Du sprichst über eine Frau? Wen meinst du?“

Der Fremde schluckte und seine Augen ließen auf einen innerlichen Kampf schließen. Als ob er sich an ein zurückliegendes Ereignis nur noch mühsam erinnern könnte. Dann zog er an seiner Zigarette und die aufglimmende Asche schien symbolisch für den aufzubringenden Mut zu stehen, den er benötigte, Michael zu antworten.

„Sie ist die Herrin des Spiegels! Die Urheberin des Ganzen. Und diejenige, die dafür gesorgt hat, dass du den Spiegel und deinen Spaß am Dienen bekommen hast.“

Zu seiner eigenen großen Überraschung behielt Michael diesmal die Fassung. Zu groß war das Gefühl der Erleichterung, endlich etwas Handfestes über diesen mystischen Spiegel erfahren zu haben.

„Es steckt also wirklich ein menschliches Wesen hinter dem Spiegel? Du sagst, eine Frau? Und was soll das Ganze? Warum habe ich den Spiegel bekommen?“

Der Fremde rieb sich sein Kinn.

„Er soll dich verändern. Er soll dich darauf vorbereiten, ihr zu gehören. Dich süchtig nach ihr machen. Wenn es wie bei mir war, bist du in dem wenigen Schlaf, den du bekommen hast, des öfteren einer ziemlich rabiaten Dame begegnet, die dich für sich wollte.“

Das saß! Er hatte Michael gerade viele seiner letzten Träume recht passend zusammen gefasst, ohne, dass er jemals ein Wort mit ihm gesprochen hatte. Michael wusste nicht, ob der Fremde die Wahrheit sprach und ihm tatsächlich versuchte zu helfen oder aber, ob er durch Lügen schaden wollte. Vielleicht war er ja auch für all das, was ihm passierte, verantwortlich. Egal was zu traf, der Fremde wusste mehr über den Spiegel und war daher interessant für Michael.



Er hatte inzwischen seine Zigarette aufgeraucht und zerdrückte den letzten Stummel mit seinem Schuh auf dem Fußgängerweg. Das Angebot einer erneuten Zigarette nahm er mit dankbarem Blick wahr.

„Also, nur damit ich das jetzt auch wirklich verstehe. Der Spiegel, den ich gekauft habe und der mir diese Erlebnisse mit den herrlichen Dominas geschenkt hat, welche mich an nichts anderes mehr denken lassen, ist mir in Wirklichkeit von irgendeiner Herrin des Spiegels zugespielt worden, um mich so zu verändern, dass ich ihr dienen will. Und diese Herrin des Spiegels ist die nicht sympathische, aber dennoch erregende Dame in meinen Träumen. Sehe ich das richtig?“

Der Fremde machte eine Faust, zerdrückte dabei seine Zigarettenpackung und nickte.

Michael musste darüber nachdenken und spielte einen kurzen Moment mit dem Gedanken, dass er vielleicht doch schlafen könnte. Zu unglaublich klang das eben Gehörte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er dachte einen Moment nach, war dann sehr froh, dass ihm noch einige offene Fragen einfielen, die etwas Licht in das große Dunkel seiner Unwissenheit bringen könnten:

„Was ist mit den Erlebnissen selbst? Ist hier irgendeine Art von Magie im Spiel, oder wie lässt sich das alles erklären?“

Der Fremde schien für einen kurzen Moment fast zu lächeln:

„Nein, Magie ist wirklich nicht im Spiel. Das lässt sich alles wissenschaftlich erklären.“

Michael wollte den Mund aufmachen und nach der Erklärung fragen, als er auf einmal wahrnahm, wie alles in seinem Körper zu schreien schien, er solle das nicht tun, das würde ihn ins Unglück stürzen. Der Gedanke allein, die Frage auszusprechen, schien ihm so große Schmerzen zu bereiten, dass er nur sein Gesicht verziehen konnte, um die Schmerzen zu ertragen und schwieg, um den Schreien Folge zu leisten und die Schmerzen so loszuwerden.

Der Fremde sah ihn entsetzt an, fasste ihn dann an den Schultern und drehte seinen Kopf, der immer noch mit dem Schock kämpfte, zu sich:

„Gerade ist etwas mit dir passiert nicht, nicht wahr?“

„Was?“ Michael schüttelte sich und versuchte verzweifelt das drückende Gefühl wieder los zu werden. Er war schockiert und bekam lähmende Angst. So bewusst hatte er nie erlebt, dass er die Kontrolle über seinen Geist und seinen Körper verloren hatte. Er wurde wirklich verändert und verlor die Kontrolle, ohne sich wehren zu können. Er bekam Furcht davor, wie weit das alles schon gegangen wäre und was es ihn noch zwingen könnte, zu tun! Er war in Gefahr!

„Gerade wolltest du mich nach der wissenschaftlichen Erklärung für das Spiegelphänomen fragen und dann hat irgendwas in dir das verhindert! Richtig?“, wollte der Fremde wissen.

„Eine Veränderung des Spiegels?“ wollte er mit immer noch brüchiger Stimme wissen.

„Ja, eine der Veränderungen, die man durchmachen muss. Das man nicht mehr schläft, ist auch eine indirekte Folge davon. Erstens schwächt das deine Konzentration, zweitens wirkt dein Körper so der Angst vor neuen Träumen entgegen. Was aber nicht hilft, da durch den Schlafentzug deine Abwehr so geschwächt wird, dass ein neuer Traum nur um so heftiger wirkt. Und irgendwann musst du schlafen.“

Michael nickte, das klang logisch für ihn.

„Wer ist die Herrin des Spiegels? Ich habe sie in meinen Träumen nie ganz gesehen.“

Das schien den Fremden sehr zu überraschen. Er runzelte die Stirn und blickte einen Moment irritiert auf den Fluss, der so ruhig neben den Beiden strömte, als versuche er zu lauschen.

„Nein? Das verstehe ich nicht. Ich habe sie vom ersten Tag an komplett gesehen. Irgendwas muss bei dir anders sein.“

„Kannst du mir sie beschreiben?“, ging Michael dazwischen, wobei er nervös von einer Stelle auf die andere trat.

„Ja, das heißt nein. Also, ich könnte schon, nur das würde dir nichts nützen. Der Spiegel soll vor ein paar Jahren an eine neue, junge Herrin weitergegeben worden sein. Ich habe sie nur flüchtig gesehen. Sie ist ungefähr dein Alter. Aber ich würde sie wieder erkennen, wenn ich sie sehe.“

„Dann lass uns gemeinsam alle Frauen in meinem Umfeld kontrollieren und wenn wir die richtige gefunden haben, gehen wir zu ihr.“

Der Fremde blickte betroffen zu Boden. Sein Blick füllte sich von einem Augenblick zum anderen mit Angst.


„Das geht nicht.“

„Wieso nicht?“

„Weil ich nicht unbedingt das war, was man einen folgsamen Sklaven nennen würde. Daher wurde ich schließlich aus dem Dienst entlassen, mit der ausdrücklichen Warnung, nie jemandem über den Spiegel und die Herrin zu berichten. Sonst würde es mir schlecht ergehen.“

„Warum hat man dich entlassen, so bist du doch immer eine Gefahr für sie?“, wollte Michael wissen, dessen mulmiges Gefühl in der Magengegend nicht verschwinden wollte.

„Freiwilligkeit. Es geht um Freiwilligkeit. Der Spiegel kann dich verändern, dich beeinflussen, aber nicht brechen und dich zu nichts zwingen. Du musst alles freiwillig machen. Das fängt schon damit an, dass du den Spiegel freiwillig benutzt. Und so sollst du auch dienen. Freiwillig.“

Michaels Gesicht machte deutlich, dass er nicht verstand, was der Fremde damit ausdrücken wollte.

„Jeder von uns war ohne Zwang dort. Wir hatten jederzeit das Recht zu gehen. In diesem Fall durften wir aber nie wiederkommen. Ich war der Allererste, der tatsächlich gegangen ist. Davor und danach hat die Herrin nie wieder jemand verlassen. Und mir hat man noch glaubhaft versichert, dass es der schlimmste Fehler meines Lebens werden würde. Und oft genug habe ich das auch wirklich gedacht.“ Der Fremde sah mit einem sehr unglücklichen Ausdruck auf den Boden.

„Warum bist du denn dann überhaupt dort weg?“

Der Fremde blickte Michael nach dieser Bemerkung verständnislos an. Scheinbar hatte er diese Frage nicht erwartet.

„Warum ich gegangen bin? Was meinst du?“

„Ja, aber wenn es dir gefallen hat? Ganz ehrlich, ich finde die Vorstellung schon erregend, dauerhaft einer jungen Frau zu dienen.“

Der Fremde schaute ihn entsetzt an:

„Offenbar ist die Wirkung des Spiegels bei dir wirklich schon weiter, als ich dachte. Wie erregend findest du es denn, alles aufzugeben? All deine Freunde, deine Familie, deine Freundinnen, dein Geld, dein Leben?“

Natürlich, daran hatte Michael nicht gedacht. Es war nicht wie ein Studiobesuch, vor dem er immer wegen Natalie zurückgeschreckt hatte. Nicht rein, raus, fertig, hallo zurück in Freiheit.

„Alles aufgeben?“, flüsterte er leise und dachte an Julia. Sie aufgeben, vielleicht niemals wieder sehen. Nein! Niemals! Er schüttelte sich:

„Entschuldigung, du hast recht, ich habe nicht nachgedacht. Was ist denn nun die wissenschaftliche Begründung für das Spiegelphänomen?“

In dem Moment geschah es. Der Fremde stockte, hielt sich eine Hand an sein linkes Ohr, um besser hören zu können, dann wurde sein Gesicht eine bleiche Fratze.

Rufe und das Geräusch von laufenden Männern! Sie kamen näher. Schnell!

„Die wollen, wollen mich.“, stotterte er.

Michael überlegte kurz. Jogger? So früh am Morgen? Nein! Höchst unwahrscheinlich! Der Fremde war in Gefahr!


Dieser schaute Michael noch einen Moment verängstigt an und wandte sich dann um, um wegzulaufen.

„Einen Moment noch, bitte.“, hielt Michael den Fremden zurück, obwohl er Verständnis für dessen Fluchtbestrebungen hatte.

„Was denn noch?“ Die Stimme des Anderen klang sichtlich gehetzt.

„Wie bleiben wir in Kontakt?“ Michael ließ sich von der Stimmung anstecken und sprach seinerseits immer schneller.

„Gilt deine Emailadresse, die du dem Hotel gegeben hast?“

„Ja, die stimmt.“, bestätigte Michael.

Der Fremde lief los, scheinbar so schnell er konnte und drehte im laufen noch einmal den Kopf:


„Ich schreibe dir. Keine Sorge!“

Michael stand still und wartete einige Minuten. Die Geräusche der laufenden Männer kamen näher und näher. Schließlich traten sie aus dem Halbdunkel des Mondlichtes und er konnte sehen, was auf ihn zu kam. Seine Herz schlug immer heftiger, beruhigte sich dann wieder.

Tatsächlich nur eine Gruppe Jogger, die wohl die frühen Stunden nutzten wollten, um ungestört ihr Training zu absolvieren. Sie liefen fröhlich an Michael vorbei und einer wünschte ihm noch einen schönen guten Morgen. Gerade als Michael sich in Richtung seines Hotels drehte, fuhr er zusammen, als er hörte was einer der Männer zu einem Anderen sagte:

„Doch! Hier irgendwo muss er sein! Du hast doch den Anderen gerade gesehen.“

Der Schock hatte gesessen. Scheinbar war die Gruppe Jogger tatsächlich hinter dem Fremden und Michael her. Wohl nur hinter dem Fremden, überlegte Michael, denn ihn hatten sie ja als „den Anderen“ in Ruhe gelassen! Michael ging durch Mark und Bein erschüttert und von Angst erfüllt los. Ziellos.

Michael schlenderte den Fluss entlang, bewunderte die Brücke, die Julius Caesar einstmals hatte errichten lassen und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Das fiel ihm überaus schwer, da er nicht verstand, wie er reagieren sollte. Nie war er in ein solchen Lage gewesen. Das war eine Situation fürs Fernsehen oder für 2. klassige Geschichten irgendwelcher 3. klassigen Autoren, aber nicht für sein Leben.

Als die Sonne langsam aufzusteigen begann und er seine Hände vor seine Augen legen musste, um nicht von der Spiegelung der Sonne im Fluss geblendet zu werden, entschied er sich, ins Hotel zurückzukehren.

Das Beste, dachte er, würde wohl sein, einfach wegzufahren. Zurück nach Hause. Das lag ja weit genug entfernt. Aber was sollte er Julia sagen? Würde sie es verstehen oder würde sie nicht als erneute Verletzung betrachten, dabei war sie doch so wunderbar zu ihm.

Das Problem, wie er es Julia sagen sollte, stellte sich ihm schneller, als er gedacht hatte. Als er die Tür zu seinem Zimmer aufschließen wollte, öffnete sich diese ganz wie von selbst. Dahinter stand Julia, die ihn mit zornigem Gesichtsausdruck ansah.

„Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht! Du warst verdammt lange weg!“ kam ihm entgegen, als er das Zimmer betrat.

Michael war nun wirklich nicht in der Stimmung, sich zu erklären.

„Ich war spazieren. Konnte nicht schlafen.“ Das letzte hatte er nur gebrummelt.

„Du hättest etwas sagen können!“ Michael drehte sich sofort um und schämte sich, als er ihre besorgte Stimme hörte. Sie hatte ihm Gestern einen wunderbaren Tag geschenkt und er war ihr für so vieles dankbar, trotzdem fühlte er sich schon dadurch gestört, dass sie sich Sorgen machte. Egal welche Probleme er hatte, er dachte, dass er sich nicht so benehmen dürfe. Sonst wäre er nichts als ein Schwein.

„Es tut mir leid. Ich war einfach genervt, weil ich unter dieser Schlaflosigkeit leide.“

„Ist schon in Ordnung, Hauptsache dir geht es gut.“, erwiderte Julia liebevoll, presste sich an seinen Körper und drückte ihm einen tiefen Kuss auf.

Michael merkte erst jetzt, dass sie ihm schon die ganze Zeit barbusig gegenüber gestanden hatte. Diese Brüste rieben nun an seinem Körper, als sie während ihres Kusses leicht ihren Stand veränderte. Das erregte ihn sofort wieder und ließ ihn zum ersten Mal an etwas Anderes, als das kürzlich erlebte, denken.

„Die Fesseln hängen noch da.“, flüsterte sie und deutete in Richtung des Bettes. Allein die Erinnerung an deren Gebrauch ließ Michaels Erregung ins Unermessliche steigen.

„Wollen wir sie noch mal benutzen?“ wollte er in einem fast verschwörerischen Ton wissen.

„Wann immer du willst.“

„Dann jetzt.“ Danach versuchten Beide, während sie sich küssten, zum Bett zu gelangen.

„Eine Frage noch“, begann Julia, während sie ihn küsste und sanft einen seiner Arme herunterdrückte.

„Alles“, antwortete Michael, dessen Erregung aufgrund der Reizüberflutung und der Vorfreude Julia fröhlich entgegen pulsierte.

„Ich stand vorhin auf dem Balkon. Und da habe ich dich mit einem Fremden reden sehen. Du sahst sehr besorgt aus. Wer war das und was hat er dir erzählt?“

Michael gefror augenblicklich. Eine fremde, ungeheuerliche Idee breitete sich in ihm aus. Er war wie paralysiert, so stark war diese Idee! Nein, das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Er dachte weiter nach und hörte auf Julia zu berühren. Seine Gedanken kreisten immer nur um den neuen Verdacht. Es würde alles einen Sinn ergeben, alles würde zusammenpassen.

„Warum willst du wissen, wer es war und was er gesagt hat?“, fragte er und hoffte, dass die Antwort Erklärung bringen würde. Und dass sein schrecklicher Verdacht sich in Schall und Rauch auflösen würde.

Julia stockte, so als würde sie die Frage irritieren. Als sei es eine gänzlich unangemessene Frage.

„Weil es mich interessiert, weil ich mir Sorgen gemacht habe.“

Aufgrund ihrer zögernden Reaktion zerbrach etwas in Michael. Sein Vertrauen in sie, vielleicht sogar in ihn oder sein Leben. Er hatte Angst. Das war zum ersten Mal in seinem Leben wirklich das Gefühl von Angst! Gerade nach den Erfahrungen mit dem Fremden! So etwas und so eine Furcht hatte er noch nicht erlebt. Und sie war daran Schuld!

‚Natürlich hast du dir Sorgen gemacht, das glaube ich sofort’, schoss ihm dann durch den Kopf, als er Julia wegstieß. Und immer wieder kamen die Schlussfolgerungen, die ihm zu seinem schrecklichen Verdacht gebracht hatten:



‚Wer hat dich nach Trier eingeladen, als gerade mit Natalie Schluss war? Wer ist scheinbar schon ziemlich lange hinter dir her? Wer hat dich lange genug alleine durch die Stadt laufen lassen, dass du auf den Laden mit dem Spiegel stoßen musstest? Wer hat dir immer wieder genug Zeit gegeben, um den Spiegel zu benutzen, ohne dass du gestört worden wärest? Wer hat dir gestern völlig überraschend seine dominante Seite gezeigt? Wer wollte dich denn jetzt gerade schon wieder ans Bett fesseln? Immer nur sie! Julia, Julia und wieder Julia! Sie musste es sein!’ Es gab für Michael keine andere logische Erklärung. Und das sie jetzt wissen wollte, was der Fremde gesagt hatte, passte in das schreckliche Bild! Genau wie der wohl nur vorgetäuschte Streit mit Jennifer in dem Spiegelladen. Oh, er war so blind gewesen!

Er gab Julia erneut einen kräftigen Stoß, die ihn immer noch berühren wollte. Diese beschwerte sich lauthals, schien es aber noch für ein Spiel zu halten. Michael dagegen kannte nur noch einen Gedanken. Raus! Weg von ihr! Dann würde er vielleicht wieder klar denken können. Er musste sich in Sicherheit bringen, er wollte nicht wie der Fremde enden. Ein ganzes Leben in Angst, weil er versuchte, andere Menschen vor Schaden zu bewahren. Er wollte nie wieder eine Veränderung mit solchen Schmerzen, wie vorhin mit dem Fremden, durchleben. Und er musste verstehen, wie er derartig auf Julia reinfallen konnte. Es war doch alles so offensichtlich. Gestern ließ sie ihn sogar einen Sklaventanga tragen. Warum hatte er das alles nur nicht verstanden? In Verbindung gebracht?’

Er begann sich wieder anzuziehen und bemerkte nicht, wie Julia starr neben ihm lag, so als würde sie nicht verstehen, was vor sich ging.

Ab und zu sprach sie ihn an. Nur noch ignorieren, dachte er und hielt sich die Ohren zu. Er wollte nichts mehr davon hören, was die Schlange sagte. Er hatte schon genug von ihrem süßen Gesäusel gehört und sich täuschen lassen. Mit schnellen Handgriffen fand er seine Reisetasche und begann seine Klamotten ungeordnet und so eilig wie möglich in die Tasche zu werfen. Ab und zu blickte er vorwurfsvoll zu Julia:

„Ich war ja so ein Vollidiot, so unendlich bescheuert, dass ich dir geglaubt habe, dass ich etwas für dich gefühlt habe, du Gott verdammte Schlampe.“, sagte er, noch immer unter Schock, wieder und wieder und bemerkte dabei nur am Rande, dass sie nichts mehr sagte, seinen Blick mied und ihre Augen sich mit Tränen gefühlt hatten. Er wertete es als das Schuldeingeständnis einer überführten Frau.

Als seine Sachen vollständig waren und Julia noch immer regungslos weinend auf dem Bett lag, wandte er sich entschlossen zur Tür. Er öffnete, sah noch einmal kurz zurück und schrie sie an:

„Warum machst du das mit den Männern? Warum machst du das mit mir?“

Sie zuckte kurz, sah Tränen überströmt auf und gab wimmernd Antwort:

„Ich weiß nicht wovon du sprichst, bitte bleib. Ich verstehe das alles nicht.“

„Gott verdammte Lügnerin!“

Dann wandte er sich um und ging. In die Freiheit und mit dem Selbstverständnis richtig gehandelt zu haben.

Eiligen Schrittes nahm er die Treppen, um in die Lobby und von dort ins Freie zu gelangen. Er brauchte Bewegung. Er drehte mit gequältem Gesicht seine Schultern, um seine stark angespannten Muskeln entspannen. Und, um das Bild der weinenden, zusammenkauernden Julia, dass ihn doch mehr beeindruckt hatte, als er bereit war, zuzugeben, zu verdrängen. Nein, nur sie konnte die Herrin des Spiegels sein. Das war die einzige logische Erklärung!

Mit einem Mal fühlte er in seiner Reisetasche, die aufgrund seines hohen Tempos wackelte, etwas Hartes immer zu gegen seinen Körper prallen. Er konnte sich das nicht erklären. Eigentlich hatte er so etwas nicht bei sich.

Nachdem er in der Tasche eilig gesucht hatte, musste er unwillkürlich lächeln, als er ihn sah. Vermutlich hatte er ihn wie in Trance mit eingesteckt!

In seiner Tasche lag seelenruhig der Spiegel, so als würden ihn die Ereignisse der letzten Minuten gar nichts angehen. Michael überlegte, was er jetzt tun sollte und je länger er nachdachte, desto schneller verschwand sein Lächeln. Dort lag kein Spiegel und kein Liebesobjekt und ganz sicher nicht die Erlösung all seiner Träume, dort lag die Ursache all seiner Probleme! Er wollte den verdammten Spiegel nicht mehr haben, er kam von Julia! Und sowohl sie als auch der verdammte Spiegel hatten ihn betrogen und ihn große Gefahr gebracht! Er wollte nicht alles aufgeben, nur um irgendeiner abstrusen sexuellen Fantasie von sich nachzujagen und er wollte schon gar nicht in so großer Angst, wie der Fremde leben! Und all das würde das schwarze Ungeheuer bedeuten. Und die Schlange auf dem Zimmer, dachte er grimmig!

Er war es sich und dem Fremden, der sich wohl tatsächlich für ihn in Gefahr gebracht hatte, schuldig, den Spiegel loszuwerden. Er blickte sich kurz um und sah im Treppenhaus einen großen grünen Mülleimer stehen, auf dem sorgsam

„BITTE ENTSORGEN SIE IHREN ABFALL HIER! PLEASE GIVE US YOUR TRASH!“

geklebt war. Michael sah die ungenaue englische Übersetzung und grinste zufrieden.

‚Ihr wollt meinen Abfall, dachte er, den könnt ihr haben.’ Dann warf er, so kräftig er konnte den Spiegel in den Mülleimer. Es gab einen lauten Knall, dann folgte Stille. Michael wusste nicht, ob er das Zerspringen von Glas gehört hatte, aber es war ihm auch egal. Er war nun auch den zweiten Verräter los.

‚Moment, noch nicht ganz’, dachte er eilig und fasste sich an den Kopf.

‚Die Kerzen! Die Kerzen gehörten auch dazu.’ Irgendwo in seiner Tasche mussten sie sein.

Er kramte eilig und dort kam der Stapel, den er nach seiner letzten Spiegelbenutzung mit einem Gummiband fixiert hatte, zum Vorschein. Er brach voller Überzeugung jede Kerze einzeln durch und zum aller ersten Mal konnte er die gewaltigen Stimme in sich, die im Einhalt gebieten wollen, s erklären, weil er wusste, woher sie kamen und was sie bezweckten. Das genügte ihm, um diese erfolgreich zu bekämpfen.

Nachdem die Arbeit getan war, blickte er zufrieden auf die Überreste der Kerzen, die er schemenhaft auf dem Boden des Mülleimers sehen konnte. Jetzt war er frei!

In der Lobby eilte er zur Rezeption und schlug energisch auf die Klingel. Ein freundlich aussehender Mann kam auf ihn zu. Ein anderer als der, dem Michael die Antwort auf den ersten Zettel gegeben hatte. Das war ihm egal. Er hatte sich frei von der Herrin des Spiegels und ihrer Teufelsschöpfung gemacht, jetzt wollte er nur noch weg. Der Mann sah ihn erwartungsvoll an:

„Ja, bitte? Was kann ich für sie tun?“

Michaels Stimme wurde überhastet:

„Hier ist meine Schlüsselkarte, rufen sie mir bitte ein Taxi, ich reise ab!“

„Unser hauseigener Fahrdienst arbeitet seit 20 Minuten. Wäre das etwas für sie?“

Michael war zufrieden:

„Ausgezeichnet, den nehme ich! Um die Rechnung kümmert sich die Zurückgebliebene!“

Der Portier nickte, nahm den Telefonhörer und rief einen der Fahrer des Hotels an.

Fünf Minuten später saß Michael in einem der luxuriösen Autos des Hotels und wurde zum Bahnhof gefahren. Er war zufrieden. Endlich kam er weg. Weg von dem, was er jetzt nur noch vergessen wollte.

Michael lehnte sich mit seinem Kopf gegen das Fenster des Zuges. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich mal wieder zu schlafen. Auf einmal berührte ihn eine fremde Hand. Sie stand in einer gewissen Verbindung zu seinem Sitznachbarn.

„Sie möchten schlafen, was?“ wollte dieser wissen.

„Sieht man mir das an?“ entgegnete Michael kurz angebunden. Er legte keinen Wert auf Konversation. Der Andere ließ sich davon nicht abschütteln:

„Ich fahre auch schon so lange Bahn. Früher konnte man noch im Zug schlafen. Das Rattern und das Wackeln haben einen sehr schön müde gemacht. Heute, bei all diesem neumodischen Quatsch geht das nicht mehr. Wissen sie das Gleise heutzutage lückenlos verschweißt sind? Da rattert nichts mehr. Ausgenommen, man überfährt Weichen.“

„Hoch interessant.“, gähnte Michael und drehte dem Fremden seinen Rücken zu.

Dieser verstand den Hinweis und verstummte. Michaels Körper begann ihm zu signalisieren, dass er kein Rattern brauchen würde. Der Schlaf kam auch so näher und näher. Michael hatte Angst, als er an die mahnenden Worte des Fremden vor dem Hotel dachte. Aber der Wunsch zu schlafen wurde übermächtig. Nach kurzem Kampf gab er nach und schloss die Augen.

Als er die Augen aufmachte, bemerkte er, dass er gefesselt auf einem Bett lag. Er schaute sich kurz um, es war das Bett des Hotelzimmers. Dann spürte er einen plötzlichen Schmerz an seiner Brustwarze. Sein Blick schnellte sofort in die entsprechende Richtung. Dort sah er eine Hand, geschützt von einem edlen Lederhandschuh, die seine Brustwarze mit voller Kraft zu zwirbeln schien. Er versuchte, dem Arm zu folgen und wieder konnte er den Körper einer wunderschönen Frau, verpackt in einem Ledercatsuit und hohen Lederstiefeln sehen. Als er versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen, misslang es aus einem unerfindlichen Grund. Auf irgendeine Art und Weise wusste Michael schon, dass er träumte. Er war aber nicht in der Lage, diesem Bewusstsein etwas logisches folgen zu lassen.

Mit einem Mal gesellte sich die zweite Hand zur ersten und der Schmerz ließ ihn erschreckt aufschreien.

„Habe ich jetzt vielleicht deine Aufmerksamkeit, mein kleiner Sklave?“

Da war sie wieder, diese geheimnisvolle und erotische Stimme. Die Stimme der Herrin des Spiegels. Michael versuchte, selbstbewusst zu antworten:

„Die Aufmerksamkeit schon. Aber auch mein Unverständnis. Ich weiß jetzt, wer du bist und habe mich von dem Spiegel getrennt! Ich bin jetzt frei von dir!“

Er bekam augenblicklich rechts und links eine Ohrfeige:

„Wie sprichst du denn mit deiner Herrin?“

Michael wollte sich die heißen Wange reiben, musste aber feststellen, dass er gefesselt war und zappelte nur ein wenig hilflos herum. Die Herrin lachte ihn aus:

„Sieh nur, wie erbärmlich du aussiehst, wenn du versuchst, dich zu befreien. Wie lächerlich du herumzappelst. Und du denkst, du bist frei von mir.“ Dazu hielt sie vor einem Spiegel vor die Augen, der ebenso schwarz und böse wie das Original wirkte und Michael seine erfolglosen Versuche, sich zu befreien, zeigte.

„Ich bin frei von dir“, stöhnte Michael, als die Herrin ihm 2 schnelle Schläge auf seinen Schwanz gab und sich darüber zu amüsieren schien. Darauf ließ sie von seinem Schwanz ab und eine Hand drückte seinen Mund zusammen:

„Du Narr! Glaubst du wirklich, weil du ein Stück Glas weggeschmissen hast, bist du jetzt frei?“

„Weil ich dich enttarnt habe!“

„Hast du das?“

Michael schreckte hoch und stieß sich seinen Kopf am Sitz des Vordermanns. Was sollte dieser Traum bloß bedeuten? Er verstand ihn nicht und er machte ihm große Angst.

Dann kamen die Zweifel. Wieder und wieder war da der letzte Satz der Herrin:

„Hast du das?“

Hatte er Julia etwas Falsches unterstellt? War sie doch nicht die Herrin? Doch, sie musste es sein, es passte alles so gut.


Auch wenn es scheinbar sein schlimmster Alptraum war, den er erlebt hatte, so hatte ihm diese Erkenntnis doch geholfen, frei von den ganzen Fragen der letzten Tage zu werden. Von den Fragen und den Sorgen.

Er schlug sich mit der flachen Hand zwei Mal schnell gegen den Kopf:

„Doch, sie ist es! Es ist alles logisch! Sie ist eine gute Schauspielerin! Nur so kann es sein!“

Die Mitreisenden im Zug drehten sich fragend zu ihm um und ein kleines Kind erwachte und begann zu weinen. Die Mutter des Kindes sah erbost zu Michael. Sie hatte es wohl genossen, das Kind schlafen zu sehen. Denn der Kleine entwickelte sofort eine erstaunliche Aktivität.

Michael erhob sich von seinem Sitz.

Kaffee! Genau das würde er jetzt brauchen. Einen Kaffee und ein neues Leben ...

Endlich stand Michael vor seiner Tür und wankte. Die Anstrengungen der Nacht und die sechsstündige Zugfahrt, die er hinter sich gebracht hatte, waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Als er auf die Uhr schaute, erschrak er.

Mittag. Der ganze Tag lag vor ihm. Vermutlich wäre es eine gute Idee, etwas zu essen, merkte sein Bauch durch ein tiefes Knurren an. Es erschien vernünftig. Leute, die normale Tage hinter sich brachten, essen doch gegen Mittag, dachte er.

In seinem Kühlschrank entdeckte er ein Sixpack Bier und Senf. Er runzelte kurz die Stirn und nahm sich das Bier.


‚Egal, dann war es halt erst Mittag.’ Er war schon zu lange auf, um sich darüber Gedanken zu machen oder sich zu schämen. Er hatte es verdient. Als das Wanken sich partout nicht abstellen lassen wollte, spielte er kurz mit dem Gedanken, sich hinzulegen und zu schlafen. Alleine der Gedanke an seinen Traum im Zug, ließ ihn diese Alternative schnell vergessen.

Nachdem er das Fernsehprogramm durchgezappt hatte und feststellte, dass wirklich nichts im Fernsehen kam, setzte er sich vor seinen PC und wartete darauf, dass dieser seinen Internetzugang bereitstellen würde. Vielleicht war ja in der weiten Welt etwas passiert, was ihn ablenken würde. Er fühlte sich, seit er wieder in seiner Wohnung war, als würde er in den Seilen hängen. Die ganze Situation war unwirklich. Hier zu Hause war es wie immer, während er vor noch sehr kurzer Zeit die unglaublichsten Erfahrungen seines Lebens gemacht hatte. Und nun war mit einem Schlag das alles vorbei und es war ihm gelungen zu erreichen, was er wollte. Mit einer Zugfahrt hatte er sein Leben wieder in die normalen Bahnen geführt. Als er diese Gedanken wälzte, öffnete er sein Emailprogramm und beobachtete, wie sich eine Zahl aufbaute, die ihm sagen würde, wie viele Mails er in seiner Abwesenheit bekommen hatte. Er schluckte. 42 Nachrichten. Als er sie einzeln betrachtete, kam die Enttäuschung, zumindest 2 Drittel war nichts als Abfall des www Nachrichtensystems. Bei der vorletzten neuen Mail blieb er dann hängen und musste mehrere Male wieder hinschauen, um zu sehen und zu verstehen, was ihm dort entgegen blinkte. Der Absendername lautete DeepThroat.

DeepThroat überlegte er. Eigentlich musste eine Mail mit einem solchen Absender Spam sein, aber der Betreff lautete: „gespiegeltes Trier.“ Mit einem Mal fiel ihm dann auch ein, wer DeepThroat war: Die Watergate Quelle, die Nixon gestürzt hatte. Dann verstand er, die Nachricht musste vom Fremden sein, der sich so auch im Internet schützen wollte. Michael musste lächeln. Er begann zumindest den Humor des Fremden zu mögen. DeepThroat war schon ein besonders dreister Deckname, wenn man nicht ertappt werden wollte, aber bereit war, Informationen zu verraten. Er öffnete die Mail und las den Inhalt:

„Hallo, ich bin meinen Verfolgern entkommen. Wenn du das liest, schreibe mir bitte zurück und schreibe mir auch, was wir außer dem Spiegel geteilt haben, damit ich weiß, dass wirklich du es bist. Grüße.“

Michael überlegte kurz, schrieb ihm zurück, dass sie Zigaretten geteilt hätten und das er den Spiegel weggeschmissen habe, aber nun glaube zu wissen, wer die Herrin des Spiegels sei und wie er in diese ganze Geschichte rein gerutscht wäre. Mit einem Mal fiel ihm etwas ein. Der Fremde hatte gesagt, er habe die neue Herrin des Spiegels kurz gesehen und würde sie wieder erkennen. Irgendwo musste er doch noch ein Foto von Julia haben, was er ihm schicken könnte. Dann würde er all seine Zweifel zerstreuen und Michael würde vielleicht aufhören, das Gefühl zu haben, in einer surrealen Welt zu leben, welches vielleicht nichts anderes war, als die Verdrängung seines schlechten Gewissens. Dann fiel ihm ein, dass er ja schon in Trier feststellen musste, dass er überhaupt kein Foto von Julia besaß. Er überlegte fieberhaft, wo er trotzdem ein Foto finden könnte, stellte dabei die Wohnung auf den Kopf, öffnete alle Schubladen, durchwühlte alte Bücher, klemmte sich unter sein Bett und sah sich schließlich dem Jahrbuch seines Abiturjahrganges gegenüber. Er öffnete es eilig und blätterte. Sein Abitur war zwar schon einige Jahre her, aber mit ein wenig Glück würde das Foto von Julia schon reichen, um sie wieder zuerkennen. Vermutlich war es ja auch schon einige Zeit her, dass der Fremde sie gesehen hatte.

Er hatte Glück. Als er die entsprechende Stelle fand, atmete er erleichtert auf. Sie sah damals schon fast genauso aus, wie heute. Nur heute war sie noch schöner.

‚Verdammt, was war das?’ Michael boxte sich in die Seite. So etwas durfte er nicht denken. Auf keinen Fall. Dazu war sein Verdacht viel zu schlimm und zu begründet. Wenn er jetzt anfangen würde, wieder ihre positiven Seiten zu bemerken, war er in großer Gefahr.

Vermutlich ist es alles nur eine Veränderung des Spiegels gewesen, die du jetzt versuchen musst, rückgängig zu machen, versuchte er sich einzureden, während er ihr Bild einscannte und in der Mail fragte, ob sie die Herrin des Spiegels sei.

Nachdem er in den ersten 15 Minuten nachdem er seine Mail abgeschickt hatte, bestimmt vier Mal nach einer Antwort gesehen hatte, beschloss er, sich etwas hinzulegen. Mit einem Satz landete er auf der Couch, auf der nicht mehr gewesen war, seit Natalie mit ihm Schluss gemacht und Julia ihn zur Reise eingeladen hatte. Es war logisch, sie musste es sein. Er begann auch schon wieder genau dieselben Kopfschmerzen wie damals zu bekommen.



Schließlich fielen ihm die Augen zu und er versicherte immer wieder, dass es alles logisch sei, dass es keine andere Erklärung gebe.

Eine Stunde später raste er aus seinem dösenden Zustand hoch und fluchte laut, wobei er mit seinen Fäusten auf die Couch einschlug. Sein Kopf wurde knallrot und er brüllte noch einmal einen lauten Fluch. Es war nicht alles logisch! Eine Sache hatte er übersehen, etwas war ganz und gar nicht logisch! Eine Tatsache widersprach all seinen Annahmen und ließ ihn ein wirklich schlechtes Gewissen bekommen:

Der 1.Zettel! Der 1. Zettel war nicht logisch zu erklären! Warum zur Hölle hätte Julia ihm einen Zettel des Fremden geben sollen, durch den er gewarnt wurde, wenn sie die Herrin des Spiegels war?



„Ich bin so ein Riesenarschloch und der größte Vollidiot!“, brüllte er aus Leibeskräften in Richtung des Fernsehers, so als würde dieser die Schuld tragen.

„Warum Zur Hölle kann ich nicht einmal nachdenken, ich Arsch, bevor ich etwas tue? Jetzt habe ich aber einen verdammten Haufen Scheiße gebaut!“

Er sah zu seinem PC, der immer noch online war. Seine Wut über sich selbst pulsierte in all seinen Adern. Er war zu voreilig gewesen, hatte nicht nachgedacht und einfach gehandelt. Und war damit auf die Schnauze gefallen.

Der PC Schirm zeigte ihm, dass eine neue Nachricht auf ihn warten würde. Er stand mühsam auf, fühlte sich noch immer unsicher auf seinen Beinen und hatte Schwierigkeiten, klar zu sehen, zu sehr füllten sich seine Augen schon mit Tränen der Wut und der Verzweiflung, wie leichtfertig er alles weggeschmissen hatte. Ein Mauseklick später konnte er den Absender sehen: DeepThroat.

‚Natürlich’, dachte Michael und ahnte auch schon genau, was er schreiben würde. Er wusste nicht recht, welchen Inhalt er sich wünschen würde, aber die Gewissheit einen großen Fehler gemacht zu haben, nahm mehr und mehr zu. Langsam öffnete er mit unruhiger Hand die Mail und las sie. Sie war ziemlich kurz gehalten:

„Nein, sie ist es unter keinerlei Umständen! Die Herrin des Spiegels sieht völlig anders aus! Vermutlich hast du dich durch die neuen Erkenntnisse und die Veränderungen des Spiegels irre führen lassen.


Hast du dich überzeugt, dass der Spiegel wirklich zerstört ist? Das wäre wunderbar!“

Michael sank auf die Knie und begann hemmungslos zu schluchzen. Seine schlimmste Angst: Bestätigt! Er hatte den liebsten Menschen, den er kannte, nur wegen seiner eigenen Angst und einer unglücklichen Reaktion des Anderen verlassen, gedemütigt, verletzt und beleidigt. Und alles nur weil er sich nicht getraut hatte, ihr die Wahrheit zu sagen. Und nun war sie aus seinem Leben verschwunden. Er war ganz allein.

Die Tränen liefen Michael in den Mund und er fühlte sich hilflos, als er auf dem Boden kauerte und sich selbst bemitleidete und verfluchte. Nach einiger Zeit, als er seine Emotionen so weit kontrollieren konnte, um wieder einigermaßen klare Gedanken zu fassen, wollte er nur noch eins. Sich entschuldigen. Ihr sagen, wie Leid ihm das alles tun würde. Und wenn sie ihm die Chance gäbe, zu sprechen und zu erklären, dann würde er die ganze Wahrheit sagen. Gestehen und so vielleicht etwas von der Verletzung wieder gut machen und Vergebung, die er nicht verdient hatte, erhalten.

Hastig wählte er ihre Nummer und als er nur noch auf die grüne Taste drücken musste, um sie zu erreichen, stoppte er.

Ihm war etwas eingefallen.

‚Wie sollte er beweisen, was er sagte?’ Seine Geschichte würde so unglaublich klingen, dass er schon größtes Glück hätte, wenn sie ihm soweit glauben würde, um Beweise zu verlangen. Und er hatte keine mehr. Er hatte den Spiegel und die Kerzen weggeworfen.

„Nicht mal einen blöden Kassenbon habe ich bekommen“, sagte er laut mit verächtlicher und verzweifelter Stimme. Er hatte sie weggestoßen und sich auch noch gleich alle Möglichkeit zur Entschuldigung genommen. Er hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.

Fünf Minuten hockte er tatenlos auf dem Boden seiner Wohnung, das Handy ruhte nach wie vor in seiner Hand und er überlegte, was er tun könnte. Schließlich ließ er trotzdem wählen. Gebannt wartete er, während sich die Verbindung aufbaute und konnte die Spannung fast nicht ertragen.

„Ja?“ Das war ihre Stimme. Sie klang sichtlich gezeichnet und hatte einen Unterton tiefer Trauer. Jetzt musste er etwas sagen, die richtigen Worte finden, damit sie nicht gleich auflegen würde.

„Julia. Bitte, hör mir zu, hier ist Michael ...“

Die Leitung war tot. Sie hatte sie gekappt, als er seinen Namen gesagt hatte. Fassungslos starrte er auf sein Handy und auf den Schriftzug „Verbindung beendet.“ Da ihm nichts besseres einfiel, wählte er erneut und wartete. Schließlich hörte er ihre Stimme, aber wurde bitterlich enttäuscht:

„Hi, das ist die Mailbox von Julia. Ich bin wohl gerade nicht erreichbar, bitte hinterlasst mir eine Nachricht.“

Sie klang so fröhlich, fast wie in den ersten Tagen in Trier.

‚Und was jetzt’, dachte er dann. Er war ratlos, aber der Schmerz brannte höllisch in seiner Brust ...

„Frauen und Schmerz sind eine gefährliche, wenn auch nicht seltene Kombination. Wollen sie noch Einen?“, fragte der Barkeeper seiner Stammkneipe, in der er sich zurückgezogen hatte, um etwas zu trinken und sich zu beschäftigen. Da es noch recht früh am Tag war, hatte die Kneipe fast keine Kundschaft. Nur zwei Handwerker, die wohl Mittag machten, saßen in der hinteren Ecke und unterhielten sich. Michael beobachtete, wie sein Glas sich zum 7. Mal mit Whiskey füllte. Er hatte vorher zwei Bier versucht, aber die Wirkung reichte ihm nicht. Der herbe Geschmack des Whiskeys auf seiner Zunge und die Wirkung, die direkt in Blutkreislauf durchzuschießen schien, waren da hilfreicher. Jedes Glas linderte den Schmerz und half zu vergessen.

Der Barkeeper sah ihn mitleidig an und spülte seine Gläser. Michael hasste es von Fremden bemitleidet zu werden, aber in diesem Fall spielte er mit. Er wusste, dass der Barkeeper ihm ansonsten den Alkoholhahn würde zudrehen können.

„Waren sie mit der Frau lange zusammen?“

Michael zuckte mit den Achseln, mehr und mehr die Fähigkeit verlierend, sinnvolle Antworten zu geben:

„Lange genug, um zu wissen, dass ich mächtig große Scheiße gebaut habe.“

„Bitten sie sie um Verzeihung.“

„Habe ich versucht, seit Stunden geht nur die Mailbox ran.“

Der Barkeeper schüttelte den Kopf:

„Nicht am Telefon. Gehen sie direkt zu ihr.“

„Sie wird mich abweisen, sie hat allen Grund dazu.“

Der Barkeeper lächelte:

„Vielleicht tut sie das. Aber vielleicht auch nicht. Denn vielleicht ist sie ein besserer Mensch als sie.“

„Das ist sie sicher. Nicht nur vielleicht. Noch Einen.“

3 Stunden später hing Michael über seiner Toilette und verabschiedete sich von dem, was kürzlich noch seinen Schmerz gelindert hatte. Sein Kopf war immer noch eingenebelt und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. In einer hinteren und letzten Ecke seines Kopfes wusste er, dass er eigentlich trauern sollte, vielleicht weinen, aber dazu war er unfähig.

Nach einiger Zeit richtete er sich auf wackeligen Beinen auf, wusch seine Hände, sein Gesicht und spülte den Mund aus. Dann blickte er mit glasigen Augen in seinen Badezimmerspiegel, indem er mit aller Mühe noch Umrisse erkennen konnte.

„Du bist an allem Schuld!“ schrie er aus voller Kehle und deutete auf den Spiegel und sein Spiegelbild. Selbst nicht wissend, wenn er jetzt wirklich meinte. Er wusste nur, dass dort der Schuldige hing und alleine diese Anwesenheit schien ihn zu verspotten und seinen Schmerz unerträglich zu gestalten.

„Ich werde dir schon zeigen, wer hier nicht frei ist“, stammelte er weiter, immer noch nicht wissend, ob er den Spiegel als Ersatz für den echten oder sich selbst meinte. Dann nahm er seinen Badezimmerhocker und warf ihn mit der letzten ihm verbliebenen Kraft in den Spiegel und sah zufrieden zu, wie sein Spiegelbild in viele Einzelteile zerbrach und zu Boden flog.

„So ist besser“, gab er von sich, gähnte und wankte in sein Wohnzimmer, wo er auf der Couch einschlief.

Michael erwachte und hielt sich seinen Kopf, indem er eine 747 vermutete. Er fuhr sich mit seiner Zunge durch den Mund und bekam angewidert vom Geschmack eine Gänsehaut. Nur langsam kamen die Erinnerungen wieder und er begann sich schämen, obwohl niemand außer dem Barkeeper seine Exzesse erlebt haben dürfte. Michael war sich auch sicher, wieder etwas schlimmes geträumt zu haben, aber kon

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Kommentare


zerozero
(AutorIn)
dabei seit: Okt '04
Kommentare: 84
zerozero
schrieb am 23.05.2006:
»@serenity: te gratias ago pro amicite et auxilia. (Ich hoffe, jetzt zerreißt mich keiner für einen falschen casus)

Für die Nicht - Römer unter uns:
Vielen Dank, dass der 3. Teil anscheinend auch wieder positiv aufgenommen wird. Ich finde es sehr schön, dass der 3. Teil auf den Tag genau 1 Jahr nach on gehen von Teil 1 hier veröffentlicht worden ist.

Es gibt leider wirklich 3 Fehler (1 Mal fehlt z.B. ein e in es), die sowohl mir, als auch dem Korrekturleser entgangen sind, was mich ärgert. Das Endspiel wird wieder fehlerfrei;-)«

Kadiya
dabei seit: Nov '01
Kommentare: 51
Kadiya
schrieb am 23.05.2006:
»Stimmt nur zum Teil. Bei grossen Klappen bespielsweise reicht es meistens nicht, sie zu halten nur gewollt zu haben.«

Maduschka
dabei seit: Okt '03
Kommentare: 56
Maduschka
schrieb am 23.05.2006:
»Hallo Zero,
mit fliegenden Augen hab ich deine Geschichte in mich aufgesogen. Technisch für mich perfekt. Inhaltlich spannend, geil, sehr emptional und intensiv. Großes Kompliment!
Gruß
Sabine «

GIbio
dabei seit: Apr '01
Kommentare: 91
schrieb am 23.05.2006:
»Wieder sehr schöne Geschichte, wobei sich dieses Mal ein paar Fehler eingeschlichen hatten. Trotzdem weiter so!!

GIbio«

playman
dabei seit: Apr '05
Kommentare: 68
schrieb am 24.05.2006:
»die geschichten, 1 - 3 gefallen mir sehr gut, toll geschrieben. DAnke«

mondstern70
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 441
Mondstern
schrieb am 25.05.2006:
»Hallo Zero, habe jetzt alle drei Teile gelesen und deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Die Wortwahl und der Stil sind super und die Handlung spannend geschrieben.
Freue mich schon auf das "Endspiel"

LG Anja«

ice_bm
dabei seit: Nov '04
Kommentare: 1
schrieb am 25.05.2006:
»ist wieder ein super teil geworden,
freu mich schon auf das ende (das hoffentlich bald kommt)«

Jolanda
dabei seit: Dez '04
Kommentare: 7
Jolanda
schrieb am 31.05.2006:
»ich freu mich auf den letzten teil. alle drei teile sind spannend und gut erzaehlt. «

sm_master
dabei seit: Mai '01
Kommentare: 1
schrieb am 10.08.2007:
»Die Geschichte, da kann ich mich meinen Vorschreibern nur anschließen, ist wirklich super und ich würde sogar sagen, die Beste, die ich hier bislang gelesen habe.

Schön wäre es, wenn bald eine Fortsetzung erschiene... :-)«



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