Mit Ecken und Kanten
von Hassels
Mit Ecken und Kanten - ein schwieriger Weg zum Glück
Jana freute sich auf den heutigen Nachmittag. Heute würde sie endgültig ihre Schule verlassen. Um 13:00 würde der Direktor die ABI Zeugnisse überreichen. Jahrelang hatte sie kämpfen müssen da ihr Elternhaus als sozial schwach galt. Das fand sich lange in ihren Noten wieder, die bewusst gedrückt worden waren. Erst mit erreichen der zweiten Qualifikationsphase änderte sich das.
Ihre Deutschlehrerin im Leistungskurs hatte sie unvoreingenommen bewertet, dort war sie Stufen Beste gewesen. Die anderen mit Vorurteilen folgten nach dem Frau Dr. Keller ihren Unmut über diese Maßstäbe geäußert hatte. Sie war neu und hatte nur die Leistung bewertet. Ihre Kollegen forderte sie auf die Scheuklappen abzunehmen und nicht das Drumherum sondern die Leistung zu bewerten, so wie es sein sollte. Jana schaffte in zwei Jahren bei Frau Dr. Keller den Sprung von einer Dreier Schülerin zur Stufen Besten. Nun hatte sie das beste ABI der Schule hingelegt.
Sie zog sich ganz normal an, nichts herausgeputztes. Ihre Eltern waren in schlichter Kleidung, wie immer. Seit dem Unfall ihres Vaters vor acht Jahren, waren die Lebensumstände bescheiden, da der Hauptverdiener ausfiel. Der Rechtsstreit um die Entschädigung wurde von den Versicherungen endlos in die Länge gezogen. Das man sie und ihre Eltern deshalb als untere soziale Ebene eingestuft hatte, würde sie dem Kollegium nicht vergessen. Nur zu Frau Dr. Keller hatte sie von Beginn an einen guten Draht. Diese hatte sich am Elternsprechtag lange mit ihrem Vater unterhalten, was sonst keiner für nötig befunden hatte. Nur Frau Dr. Keller wusste daher, dass ihr Vater auch einen Dr. Titel besaß, mit dem er nicht hausieren ging.
Um 11:00 fuhr Jana mit ihrem Vater zum Gericht, da heute die Revision anstand. Gegen 12:15 fielen sich Jana und ihr Vater um den Hals. Der Schadensersatz wurde in der Revision entgegen der Erwartungen der Gegenseite, deutlich zu Gunsten von Janas Vater angehoben. Gleichzeitig wurde dem Antrag auf Vermögenspfändung der Gegenpartei statt gegeben, um die Zahlung nicht mehr in die Länge ziehen zu können. Acht Millionen, jetzt waren sie reich.
„Jetzt können wir ja doch noch Karten für den ABI Ball kaufen. Die ganze Familie soll dabei sein .“ Jana unterbrach ihren Vater: „Nein Papa, kommt nicht in Frage. Es bleibt so wie es war. Du wirst nachher schon sehen. Ich möchte nicht mit diesen arroganten Tussen feiern.“ Da es Janas ABI war, sagte ihr Vater nichts dagegen, sondern fragte dann: „Darf die Familie denn mit Dir feiern ?“
Jana schaute ihren Vater jetzt verwundert an: „Nur mit euch möchte ich feiern. Du hast mir so unendlich geholfen, speziell als Frau Dr. Keller noch nicht an der Schule war. Oma und Opa und auch Mama. Ihr wart alle für mich da. Ich möchte nur mit denen feiern, die ich liebe!“ Janas Vater legte den Arm um sie. Er war glücklich und sehr stolz zugleich. In der letzten Reihe der Turnhalle stand er nun, als seine Tochter als letzte, weil Beste das ABI Zeugnis um 14:32 überreicht bekam.
Der Direktor machte nun einen großen Fehler: „Wir alle hier sind sehr stolz auf unsere Jahrgangsbeste, Jana Schmidt. Ich hoffe Du kannst uns verraten, wie die Leistungsexplosion der letzten zwei Jahre möglich war.“
Ohne weiteres Geschwafel abzuwarten, nahm Jana, nachdem sie ihr Zeugnis der Reife in Händen hielt, dem Direktor das Mikrofon ab. „Ich bedanke mich bei dem Kollegium dieses humanistischen Gymnasiums, das tatsächlich irgendwann die Leistung bewertet wurde. Auch wenn wir nicht dem elitären Anspruch genügten, sollte man die pauschalen Schubladen vergessen. Ich bin froh, dass Frau Dr. Keller dieser Schule eine neue Sicht der Dinge angetragen hat. Im Gegensatz zu meiner Mathe Lehrerin, der ich noch etwas beibringen konnte, geht mein Vater nicht mit seinem Dr. Titel hausieren. Hier hat man nur den Hartz IV Empfänger gesehen, nicht aber das Warum. Wenn diese Schule dem humanistischen Anspruch gerecht werden möchte, sollten sich hier einige ein Beispiel an Frau Dr. Keller nehmen. Danke!“
Mehr als betreten sah sich das Kollegium jetzt an. Nach dem der Direktor wieder einigermaßen die Fassung gefunden hatte, wies er noch auf den ABI Ball am Abend hin. Als das Mikrofon abgeschaltet war bat er Jana noch mal zu sich. „Danke Jana. Das wird uns eine Lehre sein. Willst Du denn wirklich nicht zum Ball kommen? Ich zahle auch die Karten für Dich und Deine Familie.“ Jana war erfreut über die Wirkung ihrer Worte, hielt aber trotzdem dagegen: „Ich bin froh, das sie Rückgrat haben Herr Dr. Bohnsack. Aber mit diesen Mitschülern möchte ich nicht feiern. Schauen Sie in Zukunft mehr hinter die Kulissen.“ Damit verabschiedete sich Jana und ging auf ihren stolzen Vater zu. Der hatte ja eine nicht so positive Rede seiner Tochter erwartet, aber das was und wie sie es sagte, machte ihn noch stolzer als er ohnehin schon war.
Zu Hause warteten dann die beiden auf Mutters Dienstschluss. Für Samstag wurde dann die Feier geplant. Jana sollte sich das Restaurant aussuchen. „Am liebsten würde ich nur grillen, mit allen die mir lieb sind.“ Also organisierte ihr Vater alles, von Einladung bis Grillgut. Samstag Nachmittag zählte Jana die aufgestellten Gartenstühle. Es waren sieben Stühle. So sehr sie sich auch bemühte, kam sie nur auf sechs Personen. Mama, Papa, Oma, Opa, Tante Inge und sie selbst. Zu den andren Verwandten hatte sie nie ein gutes Verhältnis gehabt. Für wen war nur der siebte Platz?
Punkt 18:00 trafen die Gäste ein, bis auf den siebten Platz. Von Oma und Opa erhielt sie einen Gutschein für den Führerschein, Tante Inge hatte ihr eine Kette geschenkt, die sie als Familienerbe weitergeben sollte, wenn die Zeit reif wäre. So früh wie Jana mit gerade mal achtzehn Jahren, hatte keine vorher die Kette erhalten. Janas suchender Blick mit einhergehender Unruhe, veranlasste ihren Vater, das Wort zu ergreifen. „Jana freut sich über euren Besuch, weiß aber nicht, wer den siebten Platz besetzen wird. Es ist ein Ehrengast, den sie mag.“ Wen konnte Vater meinen?
Um 18:18 wusste sie es. Frau Dr. Keller kam mit einem Blumenstrauß, den sie Janas Mutter überreichte. Jana schüttelte sie zunächst nur die Hand um in die Runde zu grüßen: „Normalerweise lehne ich solche Einladungen ab, aber Jana ist mir ans Herz gewachsen. Sie war nicht nur eine gute Schülerin, sondern demonstrierte ihren sozialen Gerechtigkeitssinn überall und jederzeit. Ich bin stolz, eine solche Schülerin gehabt zu haben. Ihnen allen wünsche ich einen schönen Abend. Leider kann ich nicht lange bleiben, da um 20:00 Opernpremiere ist. Wenn sie erlauben, würde ich gerne Jana mitnehmen. Gegen 22:30 wären wir dann wieder hier. Dann würde ich Ihnen auch zu allem Rede und Antwort stehen.“
Jana strahlte, wollte der Familie aber nicht vor den Kopf stoßen, da meldete sich der Opa zu Wort. Da er nur selten sprach, hörten alle gebannt zu: „Ich finde es ganz großartig, das Sie unserer Enkelin diese kulturelle Seite näher bringen wollen. Wir haben noch das ganze Wochenende Zeit zum Feiern. Lasst uns Grillen und dann warten wir auf die Rückkehr. Mir fällt da so einiges ein, was ich Sie gerne fragen würde. Los Jana, zieh Dir schnell Dein langes Kleid an.“ Opa hatte den richtigen Nerv getroffen. Man unterhielt
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