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Kommentare: 4 | Lesungen: 1123 | Bewertung: 8.89 | Kategorie: Schwul | veröffentlicht: 31.03.2013

Nach langer Zeit

von

NACH LANGER ZEIT

Arne hatte mir einmal gesagt, er hätte nur auf mich gewartet. Gewartet, dass ich zu ihm käme, gewartet, dass ich ihn fände. Und er hatte darauf gewartet, dass ich alt genug sein würde, um mit ihm zusammen zu bleiben. Er war in das Haus gleich nebenan eingezogen und laut seiner Aussage, hatte er sich als unser Nachbar auf den ersten Blick in mich verliebt.

Doch war ich mit vierzehn Jahren noch viel zu jung für ihn gewesen und auch sonst hatte er nicht gedacht, sich mir gegenüber zu offenbaren, da er sich mit fast zwanzig Jahren Altersunterschied für zu alt für mich gehalten hatte. Mein Herz raste vor Erregung, wenn ich nur an Arne dachte und daran, wie lange er auf mich hatte warten müssen. Aber jetzt waren wir ja zusammen. Nachdem ich angefangen hatte zu studieren, war ich eines Nachmittags doch auf ihn aufmerksam geworden und von da an hatte er meine Gedanken nie mehr verlassen.

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Weinend schreckte ich aus dem Schlaf auf, drehte mich zu seiner Seite, griff neben mich - und der Platz neben mir war leer. So lange war er schon leer, dass die Matratze und das Bettzeug auf seiner Seite schon längst seinen Geruch verloren hatten. Es war nur ein Traum gewesen, dass Arne wieder bei mir war, wieder an meiner Seite. Egal wie viel Zeit auch vergangen war, vergehen wird, seine Gegenwart war immer noch in mir, wich nicht aus meinem Herzen.

Schnell verließ ich das Bett und stellte mich unter die Dusche. Ein neuer Tag, den es herum zu bekommen galt, bis ich vielleicht heute Nacht im Traum wieder mit ihm zusammen sein würde. Vielleicht. In manchen Nächten ließ Arne wirklich lange auf sich warten. Noch schnell das Frühstück zubereitet und herunter damit. Eigentlich war es egal, was ich zu mir nahm. Doch ich hatte Arne versprochen, auf mich Acht zu geben, mich nicht willentlich zu zerstören um ihm zu folgen.

Ganz fest hatte Arne mir versprochen, dass er mir jemand schicken würde, der mich an seiner Stelle lieb haben sollte. Ich sollte nur geduldig warten, er würde ihn schon zu mir schicken, wenn die Zeit dafür reif wäre. Das war sein endgültiger Abschied von mir gewesen.

Und nun wartete und hoffte ich, dass mich dieser jemand fand und vielleicht, nur vielleicht, könnte ich ihn auch mögen. Denn das hatte ich ihm nicht versprochen - das ich ihn auch mögen würde.

Wieder ging ein Tag ereignislos vorbei, wie schon so viele andere vorher. Gute Nacht, schlaf schön, wo immer du auch bist, liebster Arne.

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Tage, Wochen, Monate und dann flossen einige Jahre so ins Land. Hoffnung hatte ich nicht mehr, dass sich Arnes Versprechen erfüllte. Ich lebte nur noch für meine Träume von Arne.

Am Abend fuhr ich mit dem Auto nach Hause und stellte es auf meinem bevorzugten Parkplatz ab. Müde stieg ich die Treppe hinauf und betrat meine kleine Wohnung. Alles hatte ich in der langen Wartezeit verändert, nur seinen Ohrensessel und seine Bücher und unsere Erinnerungen hatte ich behalten. Und seine Bilder. Doch nirgends um mich herum konnte man erkennen, dass ich jemals mit dir zusammen gelebt hatte. Alles, was zu uns beiden gehört hatte, war dahin, auch unsere Wohnung. Nur kleine Erinnerungsstücke und Fotos sind mir geblieben.

Sobald ich das Licht im Zimmer anmachte, ging auch gleich das Radio mit an. Ein Klassiksender, der gerade die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi brachte. Deine Lieblingsmusik. Heute Abend war wieder einmal Joggen angesagt. Erst durch den Park, dann hinunter zum See, ein oder zwei Mal darum herum und wieder durch den Park nach Hause. Morgen dann ins Studio. Irgendwie musste ich mich auspowern, damit ich schlafen konnte. Schnell hatte ich mich umgezogen und schon einen Teller mit vorbereitetem Essen in die Mikrowelle geschoben. Wenn ich gleich nach Hause kam und duschte, würde sich in der Zwischenzeit meine Mahlzeit erhitzen und ich könnte anschließend gleich essen und mich fürs Bett fertig machen.

Noch schnell Handy, Brieftasche und Schlüssel in den Beutel um die Hüfte gesteckt und los ging es. Das Laufen ließ ich ruhig angehen, ich hatte ja keine Eile. Ganz in Gedanken lief ich und achtete nicht auf meine Umgebung. Plötzlich sprang mir ein Hund zwischen meine Beine, brachte mich aus dem Tritt, ließ mich stolpern und schon lag ich da. Fest stand der Hund auf mir und rührte sich nicht von mir weg. Nach ewiger Zeit, so kam es mir vor, kam wohl sein Besitzer angelaufen.

„Titus, Mann, Junge, du kannst doch nicht immer abhauen. Komm herunter von diesem armen Menschen. Hast du wieder jemanden umgeworfen?“

Eine Hand streckte sich mir entgegen und half mir hoch. Ohne groß zu ihm hin zu sehen, versuchte ich mich wieder auf meinen Weg zu machen. Jedoch hatte der Hund anderes mit mir vor. Alle paar Schritte stellte er sich mir in den Weg oder umlief und umspielte er mich. Dann wurde es mir doch zu bunt und ich forderte sein Herrchen harsch auf, den Hund endlich anzuleinen, da ich vorhätte, noch um den See zu laufen. Noch immer sah ich nicht zu der Person herüber, wartete nur, dass der Hund vor mir aus dem Weg genommen wurde.

„Sie könnten mich aber ruhig ansehen. Ich beiße nicht. Und Titus auch nicht. Das Elend will nur immer so gerne spielen und ich habe leider viel zu wenig Zeit für ihn.“

„Ganz ehrlich? Das ist mir egal. Nehmen Sie den Hund an die Leine und behalten Sie ihn bei sich. Ich möchte laufen.“ Unwirsch wehrte ich alle Erklärungsversuche ab.

„Schon gut, schon gut. Ich mache ja schon.“

Sobald der Hund an der Leine hing, lief ich wieder los. Schnell war ich durch den Park hindurch und um den halben See herum, als ich hinter mir wieder Geschrei hörte. Der nächste, den dieser Titus wohl umgeworfen hatte, um mit ihm zu spielen, dachte ich noch, bis es mich im Rücken traf und ich mit dem ganzen Körper über das Brückengeländer purzelte und in den See fiel.

Obwohl die Nächte noch warm waren, der See war kalt. Nachdem ich mich ans Ufer geschleppt hatte, wollte ich nur noch nach Hause. Dieser blöde Hund war mir mittlerweile ganz egal und ich hatte einen richtigen Rochus auf ihn und sein Herrchen. Tropfend und vor mich hin schniefend lief ich den Weg entlang. Die Schuhe quietschten und quatschten bei jedem Schritt und so langsam bemerkte ich, dass ich mir die Ferse wund lief. Humpelnd eilte ich meinem Zuhause entgegen, als mich Titus erneut anfiel und mich Kopf voran in den Dreck warf.

Keuchend kam sein Herrchen neben mir an und besah sich die Bescherung. Nass, von Kopf bis Fuß im Dreck, mittlerweile durch das Wasser in meinen Sachen in Matsch verwandelt, lag ich da, Titus auf meinem Rücken und ich ihn böse anblickend. Dieser Kerl hatte doch da wirklich die Frechheit, mich auszulachen.

„Halten Sie Ihre Töle fest, sonst kann ich heute für nichts mehr garantieren. Das war die dritte Attacke Ihres Hundes. Zuerst auf dem Weg, dann über die Brücke in den See und jetzt wieder auf diesem Weg. Ganz ehrlich, ich habe die Schnauze gestrichen voll von Ihnen. Wenn Sie jetzt noch die Liebenswürdigkeit besitzen würden, dieses Stück Fell von mir zu entfernen, kann ich endlich nach Hause gehen und mich reinigen. Wenn ich nicht solch ein gutmütiger Mensch wäre, hätte ich schon längst die Polizei gerufen und Sie angezeigt. Seien Sie froh, dass Sie auf mich getroffen sind.“

Er nahm den Hund am Halsband fest neben sich und ich stand mit so viel Würde auf, wie ich noch aufbringen konnte und humpelte dann davon. Mir standen dieser Hund und sein Halter bis ganz oben.

„Halten Sie den Hund auch richtig fest! Nicht dass er Ihnen wieder entkommt. Dann kenne ich kein Pardon mehr!“ schrie ich noch einmal nach hinten, wo Herrchen und Hund immer noch an der gleichen Stelle verharrten.

Erst auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass ich mich das erste Mal seit Jahren wieder aufgeregt hatte. Mit einem Grinsen trat ich in die Dusche, nachdem ich meine Wäsche vorsichtig im Flur ausgezogen und alles zusammen mit den Schuhen direkt in die Waschmaschine geworfen hatte.

In dieser Nacht hatte ich nur flüchtig an Arne gedacht, aber ihm wie üblich meinen Gute-Nacht-Gruß gewidmet. Das erste Mal nach vielen Jahren, dass ich in meinen Gedanken nicht alleine bei Arne weilte.

Der folgende Tag verlief ganz normal. Am späten Nachmittag machte ich mich auf ins Studio, wo ich an verschiedenen Kursen teilnahm. Als ich fertig war ging ich, mir den Schweiß abwischend, auf die Umkleideräume zu und stieß mit jemandem zusammen. Ich blickte kurz auf, entschuldigte ich mich höflich und wollte weiter gehen, wurde aber am Arm festgehalten.

„Haben Sie von gestern noch eine Verletzung zurück behalten? Titus kann manchmal sehr stürmisch sein, aber er meint es nicht böse. Ich habe immer das Gefühl, er ist irgendwie auf der Suche nach jemandem und bis er ihn gefunden hat, gibt er keine Ruhe. Vielleicht hat er ja Sie gesucht? Mein Name ist übrigens Lennart oder auch Lenny Diskens, sehr angenehm.“

Damit wollte er mir die Hand reichen, doch ich konnte ihn nur groß ansehen.

„Geht es Ihnen noch ganz gut? Warum sollte mich Ihr Hund suchen? Brauchen Sie nicht einfach nur eine Ausrede dafür, dass Ihr Hund gerne unschuldige Passanten anspringt und Sie in den See oder den Matsch wirft? Der Hund ist einfach nur unerzogen.“

Mit diesen Worten drehte ich mich um und ließ ihn stehen. Nach wenigen Schritten stockte ich und sagte in seine Richtung „Simon Rau ist mein Name“ dann eilte ich in die Umkleide, holte meine Sachen heraus, schlüpfte schnell in sie hinein und machte mich ohne weiteres Zögern, aber vollkommen irritiert und durcheinander auf den Weg nach Hause.

Wieder stellte ich ein Gericht in die Mikrowelle, nahm meine Wäsche und steckte sie in die Waschmaschine, die ich später noch einschalten würde, dann machte ich im Vorbeigehen die Mikrowelle an und ging unter die Dusche. Hier verweilte ich ein wenig länger als sonst, denn Gedanken an diesen Lennart Diskens gingen mir durch den Kopf. Gut ausgesehen hatte er ja schon. Er war sogar größer als Arne gewesen war und mit helleren Haaren, ansprechenden Gesichtszügen und einem schön geformten Körper mit nicht nur angedeuteten Muskeln. Große, schlanke Hände fielen mir noch ein, als ich an seinen Griff um die Hundeleine dachte.

Dann schüttelte ich den Kopf und duschte mich hastig ab. Nein, meine Gedanken sollten bei Arne bleiben. Die Mahlzeit hatte ich auch in kurzer Zeit herunter gewürgt, obwohl ich es früher so geliebt habe, für Arne zu kochen. Heute kochte ich nur noch für mich und fror die entstehenden Gerichte portionsweise ein, damit ich sie für die Tage mit wenig Zeit schon fertig hatte.

Noch immer fehlte mir Arne sehr, doch mittlerweile war es so - für mich vollkommen überraschend - als ob eine zu lange offen gestandene Wunde anfinge zu heilen. Ein sehr merkwürdiges Gefühl, aber ich war wohl irgendwie weiter gegangen. Immer noch dachte ich an Arne, immer noch träumte ich in manchen Nächten von ihm, doch es war nicht mehr mit der gleichen verzehrenden Intensität wie früher. Mehr, als wenn ich mich endlich von ihm verabschiedet und Arne damit die Möglichkeit gegeben hätte, in meinem Herzen den Platz einzunehmen, der ihm gehörte und immer gehören würde. Aber nicht mehr mit dieser allumfassenden, abgrundtiefen Trauer wie früher. Mein Arne würde wohl immer ein Teil von mir sein, aber ich war am Leben und musste ohne ihn weiter existieren, voran gehen.

Und vielleicht würde mir Arne wirklich jemanden schicken, den ich lieben könnte, eventuell genauso tief und innig wie Arne und doch anders. Das aber müsste ich jetzt einfach einmal abwarten und auf mich zukommen lassen. Obwohl, viel Hoffnung hatte ich nicht. Dass ich mich und meine Einstellung sich langsam veränderten, bemerkte ich nicht.

Ein ganzer Monat verging, in dem nichts meine neugewonnene Ruhe störte. Ab und zu drifteten meine Gedanken zu diesem Lennart Diskens und seinem Hund Titus, wobei ich den ganzen Vorfall mittlerweile mit Humor nehmen konnte. Der Herbst lag in den letzten Zügen und nur noch vereinzelt hingen trostlos ein paar wenige Blätter an den Bäumen, die jedoch in den nächsten Tagen auch noch ihren letzten Halt verlieren und hinunter auf die Erde gelangen würden.

Zwischendurch zischte der Wind einem stürmisch um die Nase und ließ den kommenden Winter ahnen. Morgens lag immer noch lange der Frost auf dem Gras und erst gegen Mittag war alles weggetaut. Der November machte sich bereit, dunkel und kalt zu werden.

Wieder einmal lief ich meine Joggingrunde, dieses Mal aber immer mit einem Auge auf meine Umgebung, noch einmal wollte ich nicht von Titus erwischt werden. Doch nichts tat sich und ich lief sorglos weiter. Mit einem letzten Blick auf den See wollte ich mich gerade daran machen, meine Runde zu beenden, da – Rumms – lag ich mit dem Gesicht voran im Dreck.

„Titus“, dachte ich nur, dann verließen mich meine Sinne.

Ich wurde wach, als sich mir etwas Schweres auf meine Brust legte und ich es trotz meines Ausweichens nicht loswerden konnte. Langsam schlug ich meine Augen auf, doch beließ ich es bei Schlitzen. Mein Kopf schmerzte und pochte dumpf, wie auch meine Knie, meine Hände und Ellbogen und besonders eine Stelle in meinem Gesicht. Alles tat weh und vorsichtig versuchte ich festzustellen, ob sonst noch alles an mir heile war, dann richtete ich mich ganz langsam auf.

Die Schmerzen blieben dumpf und pochten weiter vor sich hin, aber meine Augen ließen sich etwas öffnen. Direkt vor mir saß – wer sonst – Titus und sah aus, als würde er mich angrinsen.

„Blöder Hund“, meckerte ich leise, „du brockst mir immer wieder nur großen Mist ein. Schau mich mal an, bist du eigentlich nur doof, dass du nicht merkst, dass du mir wehtust?“

Mir war gar nicht bewusst, dass ich meine Gedanken laut aussprach, bis ich plötzlich eine Antwort erhielt.

„Nein, ist er nicht. Nur absolut tölpelhaft.“

Das Drehen meines Kopfes bereitete mir leichte Schwierigkeiten, doch bemühte ich mich, sie nicht zu zeigen. Wo immer ich auch war, ich wollte schleunigst nach Hause. Bei meinem Versuch mich aufzurichten, knurrte mich Titus leicht an, stellte seine dicke Pfote auf meine Brust und rührte sich nicht.

„Titus will anscheinend nicht, das Sie aufstehen. Morgen ist Samstag, bleiben Sie liegen, schlafen Sie sich gesund. Sie liegen in meinem Gästezimmer und nehmen keinem das Bett weg. Soll ich jemanden für Sie benachrichtigen, damit man Bescheid weiß, dass Sie bei mir schlafen? Übrigens, der Hund hat einen Jugendlichen von Ihnen herunter gescheucht, der dabei war, sich an Ihren Taschen zu schaffen zu machen. Am besten sehen Sie einmal nach, ob Ihnen nichts abhanden gekommen ist.“

Ich versuchte meinen Kopf zu schütteln, was ich aber schnell wieder sein ließ und meinte etwas schroff, dass er sich nicht bemühen müsste, denn ich würde keine Angehörigen mehr besitzen und alleine leben.

Also war es nicht Titus gewesen, der mich umgeworfen hatte. Er hatte mir sogar erspart, ausgeraubt zu werden, als ich hilflos am Boden gelegen hatte. Verlegen bat ich ihn innerlich um Verzeihung für meine Unterstellung und musste gleich grinsen. Seit ich auf ihn getroffen war oder besser er auf mich, konnte ich wieder lächeln. Das hatte ich seit Jahren nicht mehr getan und anfangs hatten meine Gesichtsmuskeln tatsächlich ein wenig geschmerzt, da sie nicht mehr daran gewöhnt waren.

Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und reichte zu Titus hinüber. Der kroch langsam und zaghaft an der Seite auf das Bett und legte seinen Kopf neben meine Hand, so dass ich ihn gut erreichen konnte.

„Er hat sich nicht von Ihnen weg gerührt, seit er Sie gefunden hat. Sogar mich wollte er nicht richtig an Sie heran lassen. Den ganzen Weg zu mir nach Hause, wir wohnen gleich gegenüber dem Parkeingang West, blieb er ganz nah bei Ihnen. Ich muss sagen, er hat sich wirklich sehr ungewöhnlich verhalten. So kenne ich ihn nicht. Es war, als wären Sie sein Herrchen und nicht ich.“

Mit einem sehr sonderbaren Blick musterte mich dieser Lennart Diskens.

„Wollen wir uns nicht richtig vorstellen? Sagen Sie Lennart oder Lenny zu mir, bitte. Und wenn möglich du, denn wenn ich Sie so hier sehe, dann kann ich mir nicht vorstellen, noch weiterhin Sie zu dir zu sagen.“

Bei seinen Worten streckte er mir seine Hand entgegen und ich nahm sie nach einem kurzen Zögern an.

„Simon, und ja, gerne. Und vielen Dank für Ihre Hilfe. Das hätten Sie, das hättest du nicht zu machen brauchen. Sie, du hättest einen Krankenwagen rufen sollen. Ich möchte für niemanden eine Belastung sein.“

Titus legte seinen dicken Kopf auf meine Hand und leckte zart darüber, als wollte er sagen, 'du bist hier keine Belastung.'

Die gleichen Worte bekam ich auch von Lennart zu hören und die Bitte, mich auszuruhen und mir keine Sorgen zu machen.

„Darf ich fragen, welche Rasse Titus eigentlich ist?“ fragte ich leise und es überraschte mich selbst, dass ich an Titus Interesse entwickelte.

„Titus ist ein Neufundländer-Doggen Gemisch. Doch die Leidenschaft zum Spielen hat er wohl von beiden Rassen mitbekommen und so ist er manchmal ein wenig überbordend in seiner Lebensfreude.“

Das Gesicht des Hundes sah wirklich im Moment so aus, als würde er mich frech angrinsen, so als hätte er sein Ziel erreicht, was auch immer sein Ziel gewesen sein mag. Zaghaft tätschelte ich über seinen Kopf und auch als Lennart den Raum verließ, blieb Titus bei mir liegen. Beunruhigt fühlte ich in meinem Inneren nach der Leere, die immer in meinem Herzen war und war richtig geschockt, als sich dort nur eine heilende Wunde mit wundervollen Erinnerungen an Arne vorfand.

Erschrocken richtete ich mich wieder auf und versuchte aus diesem Bett zu kommen, aus dieser Wohnung, weg von diesem Menschen und diesem unmöglichen Hund. Was geschah da mit mir? Ich wollte Arne auf keinen Fall vergessen, wollte ihn bei mir haben, wie früher auch.

Dass mir die Tränen über mein Gesicht strömten, blieb von mir unbemerkt. Titus drückte seinen dicken Kopf in meine Hand und legte seinen halben Körper auf mich, um mich daran zu hindern, aufzustehen. Benommen sah ich auf ihn nieder und heiß tropften meine Tränen in sein Fell.

„Arne“, schluchzte ich, „ach Arne. Ich will nicht, dass du gehst.“

Verzweifelt flüsterte ich diese Worte vor mich hin und streichelte gleichzeitig über Titus Kopf.

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Seit diesem ereignisreichen Wochenende trafen sich Lennart und ich abends zum Joggen und auch im Fitnessstudio. Die Monate vergingen und langsam baute sich eine solide Männer – Hund – Freundschaft auf, denn Titus war immer mit dabei. Im Studio saß er am Eingang und lauerte darauf, wann wir auf ihn zukämen und beim Joggen hatte er es inzwischen vollkommen aufgegeben, sich auf andere Menschen zu stürzen und sie umzuwerfen oder zu umtoben.

Lennart und ich diskutierten heiß und leidenschaftlich über die verschiedensten Themen und es blieb nicht aus, dass das auch manchmal in einem handfesten Krach endete. Auf diese Art eine Freundschaft zu pflegen, war gänzlich neu für mich und noch immer irritierte es mich außerordentlich, wenn Lenny eine halbe Stunde nach einem harten, lauten Krach wieder fröhlich auf mich zukam, mich umarmte und meinte, das hätte mal die Luft gereinigt.

In der Beziehung von Arne und mir waren wir uns, trotz des großen Altersunterschieds, in allem unglaublich ähnlich gewesen und hatten nie einen wirklichen Punkt gefunden, an dem wir uns aneinander reiben konnten. Wir waren ineinander aufgegangen und unser Leben war immer harmonisch gewesen.

Doch meine Bekanntschaft mit Lennart war so aufrüttelnd, so erfrischend und wirkte so unheimlich anregend auf mich, dass ich mich schon immer auf unseren nächsten Krach freute, so komisch sich das auch anhörte.

Lenny besaß ein unergründliches und profundes Wissen über alle möglichen Themen und wenn er etwas nicht wusste, war er klug genug, das auch zuzugeben. Aber um trotzdem ein erfolgreiches Wortgefecht führen zu können, war er sich nicht zu schade dazu, sich in den unmöglichsten Utopien zu versteigen, die hanebüchensten Ausreden zu erfinden, um doch einen Punkt zu landen.

Das wiederum brachte mich meistens so zum Lachen, dass unsere Phantasiegefechte sich immer weiter ausdehnten und zwischenzeitlich den Umfang einer großen Lexikothek angenommen hatten. Die Freundschaft die ich mit Lennart führte, brachte wieder Spaß und Lachen in mein tristes Leben. Er hatte mich dazu gebracht wieder aus dem Haus und ins Theater, ins Kino oder zu Konzerten zu gehen. Meine Woche war immer schnell verplant und auch längst vergessene und vernachlässigte Freunde und Bekannte fanden wieder ihren Weg in meine Wohnung.

Dass sich Lennart in mein Herz geschlichen hatte, konnte ich an einem warmen, lauen Samstagmorgen im Mai feststellen, als mich durch einen Bekannten, der im Krankenhaus arbeitete, die Mitteilung ereilte, dass Lennart auf dem Weg zu mir einen Unfall hatte. Titus war zu einer Tierklinik gebracht worden und so wusste ich im ersten Moment nicht, wo ich zuerst hineilen sollte.

Rechtzeitig fiel mir noch ein, dass Lenny sicherlich wissen wollte, wie es seinem Hund ging und so fuhr ich zu Titus, der noch im Behandlungszimmer lag. Kurz nach meiner Ankunft wurde mir mitgeteilt, dass es gut für den Hund aussah und Titus einige Tage in der Tierklinik bleiben sollte.

Beide, Herrchen und Hund waren von einem unaufmerksamen Autofahrer auf dem Weg zu mir angefahren worden, wobei sich Titus mit voller Wucht vor Lennart geworfen und so fast die ganze Breitseite des Autos abbekommen hatte. An der Anmeldung hinterließ ich meinen Namen und meine Daten, damit sie mich im Falle einer Verschlechterung sofort erreichen konnten, da ich noch nicht wusste, ob Lennart noch im Krankenhaus war oder nicht.

Mit dem Handy war er nicht zu erreichen und auch in seiner Wohnung nahm niemand den Hörer des Telefons ab. Ich setzte mich wieder in mein Auto und vorsichtig fuhr ich ins nahe gelegene Krankenhaus und fragte mich dort zu Lenny durch, der noch in der Ambulanz wartete.

Am ganzen Körper bebend, weil in mir die Erinnerungen an die furchtbaren Tage an Arnes Krankenbett wach wurden, bewegte ich mich schnell durch die Krankenhausflure. Der Geruch hatte sich seit damals nicht verbessert und auch die Farbe an den Wänden schien noch die gleiche zu sein.

Arne war damals ebenfalls in einen Unfall verwickelt worden, jedoch hatte es für ihn keine Chance zum Überleben gegeben, da er dazu eine neue Lunge benötigt hätte. Künstlich hatte man ihn noch ein paar Tage am Leben gehalten, damit sich seine Familie von ihm hatte verabschieden können.

Da die Familie mich nie an Arnes Seite akzeptiert und sein Bruder sich geweigert hatte, anzuerkennen, das Arne seit Jahren mein Lebensgefährte gewesen war, hatte ich mich nur Nachts heimlich zu ihm schleichen und von ihm Abschied nehmen können. Arnes behandelnder Arzt war ein langjähriger Freund von uns gewesen und hatte es mir ermöglicht, zumindest nachts in Arnes Nähe zu sein.

In jener Nacht, in der er verstorben war, war er auf unbegreifliche Weise wach gewesen und hatte mir entgegen gesehen. Ein leises Lächeln hatte um seinen Mund gelegen und noch in seinem aussichtslosen Zustand hatte er es verstanden, mich zu trösten und mir das heilige Versprechen abzunehmen, ihm nicht zu folgen.

All das ging in meinem Kopf durcheinander, vermischte sich mit Lennys Unfall und schließlich erkannte ich, wie tief ich schon für Lennart empfand. Bei einem meiner Besuche war Titus, freudig und tollpatschig wie immer, gegen ein Regal in Lennys Wohnzimmer gesprungen und heraus ergossen sich zwischen seiner Video- und DVD-Sammlung auch ein paar mir nicht unbekannte Cover von sehr anregenden Gaypornos. Mit leicht roten Ohren und doch sehr nonchalant räumte Lennart alles wieder zurück ins Regal und wir unterhielten uns normal weiter.

Aber immer wieder in den nächsten Wochen kamen wir beide auf das Thema Gays und Pornos zurück und wir rückten beide mit der Sprache heraus, dass wir offen schwul lebten. Jetzt kamen neue Gesprächsthemen auf und unsere Diskussionen wurden noch anregender.

Die Nähe, die mir Lennart unbewusst gab, machte Besuche bei ihm erst richtig zu etwas Besonderem und mit der Zeit wurde es mir wichtig, zu wissen, dass er sich auf mich freute. Ich wollte ihn ab jetzt nicht mehr missen.

Jedoch wusste ich nicht, wie viel ich für Lenny empfand, erst jetzt, durch seinen Unfall, wurde es mir bewusst. Wie auf Pauken trommelte mein Herz laut in meinem Körper, so dass ich dachte, jeder müsste es hören können. Innerlich flehte ich inständig, wenn doch Arne für mich verloren war, dass mir doch bitte Lennart erhalten bleiben sollte. Meine Gedanken baten unaufhörlich um Lennys weitere Anwesenheit hier bei mir. Ich wollte nicht mehr alleine zurück gelassen werden.

Auf dem Flur vor der Ambulanz sah ich ihn dann zusammengesunken sitzen und ich stürzte auf ihn zu. Ohne weiter Rücksicht auf ihn zu nehmen, riss ich ihn in meine Arme, ließ meine Hände suchend und tastend über seinen Körper gleiten.

Ich stammelte: „Geht es dir gut?... Bist du schwer verletzt?... Gut dass du lebst...Titus wurde operiert... Die haben meine Adresse... Geht es dir wirklich gut?... Ist dir nichts passiert?“

Lennart nahm mich in die Arme und hielt mich fest an sich gedrückt. Immer wieder murmelte er: „Beruhige dich... mir geht es gut...nichts Schlimmes...“

Mit jeder vergehenden Sekunde, die ich an ihn gedrückt war, ging es mir besser. Langsam löste ich mich wieder von ihm, bekam die belustigten und auch abwertenden Blicke um uns herum wieder mit und schnell setzte ich mich an seine Seite, hielt aber seine Hand fest mit meiner umschlungen.

Mein Herzschlag wummerte immer noch schnell in meiner Brust, aber jetzt, weil ich in Lennarts Nähe war. Aus diesem Gefühl der Angst und des vorbei gezogenen Verlustes sprach ich aus, was ich gerade dachte.

„Lass dich nicht durch einen Unfall verletzen oder umbringen, wenn ich gerade erst gemerkt habe, dass ich dich liebe, Lenny.“

Den Blick, den

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Kommentare


lovin
dabei seit: Jul '11
Kommentare: 140
schrieb am 09.04.2013:
»Sorry, der erste Kommentar wird mager- nicht meine Welt diese Gefühlsduselei. Wer sich darin wiederfindet, mag's genießen.«

reibe
dabei seit: Mai '01
Kommentare: 280
schrieb am 13.04.2013:
»Ich finde es ist eine gut geschriebene Geschichte, es kann ruhig weiter gehen.«

rennfahrer88
dabei seit: Okt '13
Kommentare: 2
schrieb am 28.10.2013:
»sehr geil«

kappenb
dabei seit: Mai '01
Kommentare: 6
schrieb am 09.12.2021:
»Wunderschön!«



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