Pissrommee I
von eses
I
Mit einem Satz hatte alles begonnen. Gar kein so ungewöhnlicher Satz. An einem warmen Frühlingstag waren Nikki und ich bei Katarina und Wolfgang in deren Garten, als der Federball über die Hecke zum Nachbarn flog. Der warf ihn zwar zurück, ergriff aber die Gelegenheit, um rumzunölen. Ich weiß nicht mehr, ging es um überhängende Äste oder Geruch vom Kompost, irgend so was. Katarina, an die die Suada gerichtet war, ließ sie ohne wesentliche Erwiderung über sich ergehen. Als sein Kopf nicht mehr über der Hecke sichtbar war, fasste sie zusammen: „Ich hätte vor Wut in die Hose machen wollen“. Dann nahmen wir das Federballspiel – gemischtes Doppel – wieder auf.
Es ist nur eine Redewendung. Eigentlich heißt es ‚vor Lachen‘ und ‚fast‘. Keiner ging darauf ein. Auch ich hörte zunächst nur eine etwas abgewandelte, aber doch längst bekannte Wendung, auf die zu antworten, überflüssig ist. Aber es setzte sich in meinem Kopf fest. Wieso macht man sich vor Wut in die Hose? Das wollte mir nicht einleuchten. Erst als mir auffiel, dass ‚wollen‘ in der Redewendung gar nicht vorkommt, dämmerte mir, dass Katarina dabei vielleicht gar nicht ein Missgeschick im Sinn gehabt hatte. Und nun war es plötzlich überhaupt keine abgedroschene Wendung mehr. Was, wenn ich das ganz wörtlich nehme? Was, wenn da wirklich ein Wille gewesen ist, den nur unsere Anwesenheit verbot auszuführen?
Das verrückte daran: Ich kenne dieses Verlangen. In ausweglosen Situationen sich ein Ventil zu schaffen, das macht wohl jeder. Man brummelt vor sich hin, ohne dass das Gegenüber es verstehen kann, man sagt eine kleine Frechheit, die gar nicht zum Thema gehört, man lässt eine Tür knallen. Alles nichts, was eine Lösung bringen könnte, aber man fühlt sich besser. Aber es gibt auch Möglichkeiten, Schmähung, Unverständnis, Herabsetzung und andere Zumutungen zu kompensieren, für die man sich besser ins stille Kämmerlein zurückzieht. Ich glaubte bis dahin, ich wäre so ziemlich der einzige, der in solchen Situationen Lust bekommt, in die Hose zu pinkeln. Ich tue es nur selten, aber wenn es schlimm kommt, mache ich es.
Nikki weiß davon. Als sie es von mir erfahren hat, hat sie es auch getan, nachdem ich ein bisschen gedrängelt habe. Es fühlt sich bei ihr allerdings anders an. Ihr scheint die Freude am Tabubruch die stärkere Triebfeder zu sein. Ätsch, ich tue was, was sich die anderen nicht trauen. Auf den Zug bin ich aufgesprungen. Gemeinsames Rumpinkeln am ungeeigneten Ort und zu ungeeigneter Zeit wurden gelegentliche lustige Auflockerungen unseres Alltags. Und sie wurden bald Bestandteil unserer erotischen Spiele, ja fester Bestandteil.
An einem Sommerabend spazierten wir vier gemeinsam durch den weitläufigen Schlosspark. Ich setzte mich auf eine Bank mit Sicht auf eine prächtige Gruppe alter Buchen. Katarina setzte sich zu mir, Nikki und Wolfgang bummelten weiter. Die hinter den Buchen untergehende Sonne vergoldete die Tausenden Blattränder und lud dazu ein, sich der Abendstille hinzugeben. Das Gespräch erstarb. Dann sagte ich ihren Satz: „Ich hätte vor Wut in die Hose machen wollen“. An einen der jetzt sehr dunkel, ja fast schwarz wirkenden Stämme setzte sich ein Specht. Wir beobachteten, wie er die Spalten der Rinde absuchte. Dann sie: „Hast Du es schon mal getan?“ Da musste ich erst mal Mut sammeln. Nach geraumer Weile bejahte ich und erntete: „Ich auch.“ Nach kurzer Pause fügte sie hinzu: „Aber ich glaube Dir nicht.“
Die Sonne verbarg sich hinter einem der dicken Stämme, dessen Schatten langsam über uns hinwegstrich. Ich erhob mich, nahm aus der Tasche meiner Sommerjacke ein Päckchen Taschentücher. Drei steckte ich mir in den Slip und ließ locker. Zunächst scheiterte ich an den Resten der mir verbliebenen Scham. So, in einem öffentlichen Park, vor einer zwar sehr vertrauten, aber eben nicht meiner eigenen Frau, ging es nicht. Ich setzte mich wieder. Jenseits der Buchen sahen wir in der Ferne Nikki und Wolfgang gehen. Keiner sprach. Ich konzentrierte mich auf den Schließmuskel meiner Blase. Schließlich war es war eine Geste der Vertrautheit, die es geschehen ließ. Katarina berührte mich an der Schulter, meine Verspannung löste sich und ich ließ eine gewisse Menge in die Taschentücher fließen. Dann öffnete ich die Hose, holte die nassen Tücher heraus und wies sie vor.
*
Zuerst begriff ich nicht. Was sagt Peter da? Hier ist Sommerabendromantik. Wieso Wut? Als mir aufging, dass das mein Satz von neulich war, durchlief meinen Körper ein kurzer Schrecken. Dass ich Peter dann sogleich herausforderte, kam impulsiv und ohne Überlegung. Ich hoffte wohl, mich auf diese Weise wieder in den Griff zu bekommen. Aber ich hatte keineswegs erwartet, dass er, statt die Wahrheit seiner Behauptung mit Worten zu beteuern, zur Tat schritt. Ich weiß nicht, vielleicht hat, als Peter sich den Zellstoff in die Hose schob, mir sogar der Mund offen gestanden. Ich blickte stumm in sein Gesicht. Er sah mich nicht an. Ich sah auf seine Hose und dachte: Das kann nicht wahr sein, er will es mir wirklich beweisen, er will jetzt, hier, für mich ... Ich sah weg und betrachtete ein spätes Tagpfauenauge auf dem Strauch neben der Bank. Wieder sah ich hin. Natürlich wollte ich es sehen, auch wenn ich das weder ihm noch mir eingestanden hätte. Er schaute geradeaus, als studiere er das Muster der Baumrinde. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu merken, wie ich schon zum zweiten Mal und nun eindeutig einen Tick zu lange seinen Schritt musterte. Ich sah wieder in sein nun etwas angespanntes Gesicht, wollte sagen, nun lass mal, du musst mir nichts beweisen und legte die Hand kurz an seine Schulter. Doch bevo
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