Sanguis Vita Est - Blut Ist Leben
von Tilmann Ströbele
Es dämmerte. Unten an der Talfer kreuzten sich beständig diejenigen Jogger und Fahrradfahrer, die, sei es durch berufliche oder private Gründe, den launig-warmen Tag über verhindert gewesen waren und nun, zu jener späten Stunde, ihre letzte Chance auf frische Luft beim Schopfe packten.
Die erlischende Sonne war schon vor mehr als einer halben Stunde hinter die Berge getaucht und versah deren höchste, schneebedeckte Kuppen mit einem rotlichen, fast kupferfarbenen Schimmer, der sich von Minute zu Minute abschwächte und die kleine Alpenstadt in ein zunehmendes Zwielicht tauchte, das von einem leichten, kühlen Wind begleitet wurde.
Emmanuel Caroso, der bis zu diesem Zeitpunkt an einem kleinen Holzhäuschen nahe des Siegestores gelehnt hatte, eine Zigarillo in den spröden Lippen unter seinem blonden Schnauzer, neugierig das geschäftige Treiben in dem Kreisel, den drei kreuzende Straßen hier formten, beobachtend, kehrte, sich seines dünnen Sommerjackets bewusst, seine Schritte zurück über die Brücke Richtung Altstadt.
"Welch idyllischer Abend!", dachte er sich, als er das Geländer entlangschlenderte und in das blaue Wasser starrte, das rasch und schäumend unten durch das steinigen Bett schnellte.
Die Wärme des Frühlings war an diesem Tage erstmals gekommen; ungewöhnlich früh in diesem Jahr, mit ebenso überraschender Kraft, so dass man fast von Hitze sprechen konnte.
Und so war es auch nicht weiter ungewöhlich gewesen, dass die Menschen, die Einwohner der kleinen Alpenmetropole, in Massen, fast schon ungezügelt in das Freie geströmt waren, laut, fröhlich und möglichst unbekleidet.
Auch er, der an jenem Freitag, als Beamter im Landwirtschaftsministerium, natürlich schon am Mittag in den Genuss von Freizeit gekommen war, hatte sich die Möglichkeit auf so einen verfrühten Sommernachmitttag nicht nehmen lassen und war in größter Unternehmenslust mit dem Bus an den Etschdamm gefahren; hatte sich in die Sonne gesetzt und war am Spätnachmittag wieder zurückgekehrt, um noch ein wenig durch die Stadt zu flanieren.
Aber im Laufe des Tages, vor allem als er den zahlreichen jungen Frauen näher gekommen war, die dort am Ufer, auf den Wiesen, im Bikini Ball spielten oder im Wasser plantschten, beim ersten zaghaften Versuch zu Baden, war in ihm ein Gefühl aufgekommen, eine tiefe Sehnsucht nach gewissen Dingen, denen er als lediger Mann zur Zeit - wieder einmal - so fern schien.
Was ihm jedoch vielmehr Sorgen bereitete, als seine bloße Libido, war die Tatsache, dass sich unter jenes Sehnen mit der Zeit auch eine soziale Komponente gemischt hatte.
Mit seinen nunmehr 32 Jahren begann er manchmal, in den stillen Momenten des Lebens, die er zwar entschieden mied, aber doch nie vollständig aus seinem Leben ausklammern konnte, sich einsam zu fühlen und eine gewisse Leere zu verspüren.
Und dann fiel es ihm sehr schwer sich aufzuraffen, eine Frau einfach so anzusprechen, ohne Deckung, ohne tieferen Gesprächszwang, ohne -- so glaubte er zu mindest - sich als getriebener der Wollust zu offenbaren.
Oftmals fühlte er sich wie der junge Anatol: Einer der ewig begierte, ewig sich an den Oberflächlichkeiten des Lebens labte, und langsam begriff, dass er den rechten Sinn des selbigen schon längst aus den Augen verloren hatte.
Anderseits gefiel sich Caroso in der Rolle des Einsamen, des Suchenden; es hatte so etwas von dieser männlichen Lonesome-Rider-Mentalität.
Doch nun, als er die aufkommende Dunkelheit am Horizont aufsteigen sah, da war es ihm plötzlich als stürbe etwas in ihm, irgendetwas Altes, Gewohntes.
Es war ihm als würde er an einer Art Metamorphose teilnehmen, er hatte das Gefühl, dass alles anders werden würde!
Lag es an der schwülen Luft des Tages, dass er nun so seltsam gespannt war? Erschöpfung vom langen gehen in der Sonne?
Er beschloss zum Waltherplatz zu gehen, um einen kleinen Happen zu Essen.
Als Caroso gerade die Via Museo erreicht hatte und die hohen Häuser der Alstadt ihn umschlossen, der kalte Wind sich verstärkte, da überkam ihn abermal ein Schauern und er überlegte in seine Wohnung zurück zu kehren, um einen Mantel zu holen.
Da diese aber am anderen Ende der Altstadt gelegen war, und er schon beschlossen hatte an diesem Abend in einem Restaurant zu speisen, wohlwissend, dass in seinem Zuhause eine leerer Kühlschrank wartete, bog er nun an der Piazza delle Erbe in die Goethestraße ab, um auf kürzesten Wege zum Walter zu kommen.
Als er gerade auf der Höhe der Via Argentieri war, erblickte er etwas, was ihn dermaßen in seinen Bann zog, dass er auf der Stelle inne hielt und mit steigendem Interesse in dieselbige blickte.
Es war eine junge Frau. Caroso konnte nicht einmal sagen, dass sie herausragend hübsch war oder eine über die Maßen beeindruckende Figur besaß.
Es war eher ihre Aura, die Art wie sie über das Pflaster ging, die Art mit der sie ihn angelächelt, ja fast schon gelockt hatte, sie genauer zu betrachten.
Sie hatte braunes, leicht in rötliche Töne gehendes Haar, das in geschwungener Krause auf ihre Schultern fiel. Ihr sommersprossenbedecktes Gesicht mit tiefen, wasserblauen Augen, wirkte in der zunehmenden Dunkelheit nur wie eine verschwommene Kontur, doch Caroso schien es, als lag in ihren Gesichtszügen eine tiefe Nachdenklichkeit, gleich einem sinnenden Künstler in Erwartung des Geistesblitzes.
Nun begriff er auch, dass es genau dieser schiefrunde Zug in ihrem Antlitz gewesen war, der ihn anzog, gleich einer Motte zum Licht. Es war als würden sie ohne Worte sprechen, als hätten sie einen Weg gefunden still zu kommunizieren.
Caroso wagte kaum zu Atmen, völlig ungewohnte Gefühle überkamen ihm beim Anblick dieses Wesens. Gleich lachend, gleich weinend, eine tiefe Zuneigung spürend, von der er nicht wusste woher sie kam oder was sie begründete. Was sollte er tun? Ihr nachlaufen?
Was war das hier eigentlich? War er so verzweifelt? Kündigte sich da etwa schon die Midlife-Crisis an? Er verstand sich selbst nicht, irgendwie war dieser Moment einzigartig unwirklich.
In seinem Kopf schwirrten die wildesten Gedanken, auch solche die ihm höchst ungeheurlich schienen, er konnte doch nicht hier... Gleich einem freudigen Hund wollte er auf sie zustürmen; doch er besann sich; wie würde das wohl aussehen?
Da bemerkte er das sie sich umgewandt hatte. Sie ging weiter. Er konnte es nicht verstehen. Ihr folgend bewegte er sich vorwärts, doch er taumelte. Ein Fahrrad, das quer über den Randstein lag, fast unsichtbar im Finsteren, war zu einem Stolperstein geworden. Er fiel.
Während sich Caroso peinlich berührt aufrappelte, eilte das Mädchen ihm entgegen. Noch bevor sie angekommen war, begann er sich laut zu entschuldigen: "Verzeihen sie, Signora! Ich wollte ihnen nicht nachstellen."
Sie blieb ihm Schatten stehen. Zwei Meter entfernt. Stille.
Gegenseitig musterten sie sich, wobei ihm immer mehr die Röte in das Gesicht stieg. Er wollte sich gerade umwenden, um zu gehen, mehr noch, den Rückzug anzutreten, da bewegte sich der Schatten und ehe er sich versah, legte sich eine Hand um die Seine. Warm und weich, mit dünnen zarten Fingern, die er nun vorsichtig umschloss. Sie zog ihn an sich heran, aber sagte kein Wort, was die Erregung, auf Seiten von Caroso, wieder steigen lies.
"Mi chiamo, Elena!", ertönte es da plötzlich aus der Stille. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, allmählich kam ihm dieses Aufeinandertreffen in jeder Weise sonderbar vor. Die Straße schien verlassen, was ihn noch mehr verwunderte, denn man war hier schließlich in der Altstadt, die normalerweise zu fast allen Zeiten belebt war. Es konnte doch nur ein unglücklicher Zufall sein, dass gerade in diesem bestimmten Moment, kein Mensch weit und breit zu sehen war?
In diesem Moment ertönte in unmittelbarer Nähe Gelächter. Auch sein Gegnüber drehte sich in die Richtung, aus der die Geräusche zu vernehmen waren. Dann zog sie ihn durch ein Tor, das sich rechts von ihnen befanden, in einen dunkeln Innenhof.
Der Abend war schon weiter fortgeschritten. Am viereckigen Himmelsauschnitt, den der Hof freigab, standen bereits die ersten kaltweißen Gestirne; hin und wieder verdeckt von einem schwärzlichen Wolkenschleier. Der Mond war nirgends zu sehen.
Caroso verstand sich selbst nicht. Warum hatte er sich diesen Tätlichkeiten nicht erwehrt? Warum hatte er das alles fast teilnahmslos über sich ergehen lassen? Und vor allem: Was hatte die junge Frau vor? Seine Gedanken gingen zwar schon in eine gewisse Richtung, aber gleichzeitig kam es ihm so schrecklich unsinnig vor.
Elena lachte leise und schubste ihn herausfordernd gegen einen Container, der in einer Ecke des Hinterhofes, wohl zur Entsorgung von Müll, plaziert worden war. Ihm schossen jetzt viele Dinge durch den Kopf, wenige davon ergaben Schlüssiges, aber eines konnte er wohl ausschließen: Das er träumte!
Er überlegte sich zu wehren. Die Kraft um sie zu überwältigen hätte er wohl. Auch erinnerte er sich an ein Taschenmesser, das er in seiner Jackettasche bei sich trug. Aber warum sollte er sich verteidigen, noch war nichts vorgefallen! Vielleicht hatte sie ja Drogen konsumiert?
Doch das brachte nichts. Er musste abwarten was als nächstes passieren würde! Dann war es ihm immer noch möglich einzugreifen.
Sie war ein wenig zurück in den Schatten gegangen und bewegte sich hin und her. Er sah nur die Schemen. Doch dann verstand er. Langsam hatte sie ihre Bluse abgestreift und es zu Boden geworfen. Er ahnte was jetzt kam. Sie huschte vorwärts, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn auf den Mund.
Er hatte das Gefühl diese Geste erwidern zu müssen, sonst würde sie wohl glauben, er habe kein Interesse an Ihr. Also griff er ihr an die Brust. Es war sondergleichen weich, was er da in seinen Händen hielt. Sie stöhnte. Mitunter wunderte er sich, dass sich all sein Verlangen so unverhofft, in Gestalt einer jungen, offenbar ganz und gar unkonventionellen jungen Frau zu erfüllen schien.
Sie küssten sich abermals. Caroso glaubte eine leichte Note von Rotwein in ihrem Mund zu schmecken. Ein gewisses Stadium der Enthemmtheit war erreicht.
Nun ging es ganz schnell. Elena entledigte sich ihres Shirts und zog auch das darunter lauernde Bustier aus. Mit bloßer Brust stand sie nun vor ihm. Die dunkelroten Brustwarzen standen aufgerichtet in die Luft.
Etwas überfordert mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Vorgänge verhielt er sich etwas passiv und wartete gegen den Container gelehnt, den nächsten Schritt ab.
Doch als Elena auch noch damit begann ihre enge Jeans von den Hüften zu schälen und darunter ein, im Dunkeln, rötlich scheinender Slip mit Punktmuster hervorkam, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Wild und ungestüm packte er sie, drehte sie um 180° Grad und drückte sie gegen den Container. Während er mit der einen Hand unter das Bündchen fuhr und mit dem Finger einen Eingang zwischen ihre Schamlippen suchte, nestelte er mit der Anderen an seinem Gürtel, um seine Erektion von der einschnürenden Enge seiner Hose zu befreien.
Er wollte. Jetzt!
Sie küssten sich nun immer inniger, wie ein Katzenjunges mit der Wolle spielten ihre beiden Zungenspitzen in den Mündern. Auch ihre Hände hatten mittlerweile an seinen Unterleib gefunden und rieben dort stetig mit steigendem Rythmus hin und her. Sein ganzer Finger spürte die fast schon unerträgliche Hitze die in ihr aufstieg, als er denselbigen in sie hineingleiten lies, er blickte in ihr flehendes Gesicht und er verstand. Mit einem Ruck zog er ihr Höschen nach unten.
Ohne große Umschweife führte er sein Glied zwischen ihre Beine und drang ein. Sie quittierte das mit einem leisen Aufstöhnen. Die Wucht des ersten Stoßes, hinter dem so viel Begierde steckte, so viel aufgeladene sexuelle Gier, die sich den schwülen Tag über aufgeladen hatte, warf sie beide mit voller Wucht gegen den Container.
Es schepperte dumpf.
Trotz der aufkommenden Kälte stand der Schweiß auf Carosos Stirn. Beim zweiten Stoß hatte er schon das Gefühl zu explodieren, zu heiß, zu feucht, zu eng schien ihm seine Partnerin. Er wollte gerade zum Dritten ausholen, schwer atmend und auf ihr lehnend, da passierte etwas Unglaubliches.
Der Innenhof wurde von Licht durchflutet.
Elena schrie laut auf und sie stürzten auf den Steinboden. Vor seinen Augen flirrte das ungewohnte Licht. Noch bevor er sich aufrappeln konnte, hatte sie ihre Sachen gegriffen und rannte erschreckt und splitternackt, ohne sich umzusehen, in die Dunkelheit. Auch Rossi beeilte sich seine Hose wieder über die Knie zu ziehen und wegzukommen. Fluchend rannte er auf die Straße zurück, übersah dabei aber eine Stufe und stolperte abermals.
Mit schmerzverzerrten Gesicht rappelte er sich auf. Seine Hose war rechts am Knie zerissen. Er sah sich nach ihr um. Nichts!
Er wusste nicht welches Gefühl in diesem Moment in ihm überwog: Der Scham über dieses Maleur oder das Erstaunen über diese, wenn auch zufällige, aber doch komische Begegnung. Was hatte das zu bedeuten?
Im fielen die Zeilen wieder ein, die er neulich auf einem Monument in der Chiesa dei Francescani gelesen hatte:
O fortuna
velut luna
statu variabilis,
semper crescis
et decrescis.
Nachdenklich und erschöpft ging er weiter, nahm die Mustergasse, um endlich zum Dom und zum Waltherplatz zu kommen. Mit der Zeit meldete sich nun auch sein Magen, der knurrend seinen Tribut forderte, so dass er zusah dies schnell zu tun.
In einer kleinen Trattoria an der Ecke wo die Via delle Rena in den Waltherplatz mündete ließ er sich zu einer kleinen Mahlzeit nieder. Er bestellte Rotwein und dachte nach. Würde er Elena je wiedersehen? Wer wars sie? Nach und nach leerte er eine ganze Flasche, ohne etwas zu Essen.
Er verspürte nicht den geringesten Appetit, zumindest nicht auf so etwas banales wie Nahrung.
"Sanguis vita est!", dachte er.
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Aus dieser Annahme erklären sich auch die verhältnismäßig komplizierten Satzkonstruktionen und einige Blumigkeiten.
Mir hat es, wegen manch sehr gut eingefangener Stimmungsbilder gar nicht schlecht gefallen.
Leider sind halt doch viele Fehler im Text (z.B. begieren statt begehren), die du mit einem Korrekturleser, der Deutsch wirklich beherrscht in den Griff kriegen könntest.
Nachsatz: Wenn du ein muttersprachlich deutscher Österreicher wärst/bist, dann kann ich es nicht ändern. Dann kannst nur du was an deinen Texten ändern.«