Susann - Teil 4: Zweifel
von Mr Zebra
Am Morgen nach der Session, zu der Meike neben Kolja und June auch Pavel und Katja eingeladen hatte, wachte ich früh mit dem Sonnenaufgang schweißgebadet auf. Ich fühlte mich völlig durcheinander. Meike schlief noch tief und fest, so stahl ich mich aus dem Bett und verließ nach einer Katzenwäsche die WG, um mir ein wenig die Beine zu vertreten. Ich brauchte etwas Zeit für mich alleine, Zeit um über einige Dinge nachzudenken.
Nach einem halbstündigen Spaziergang saß ich vor einer Bäckerei in der Nähe der WG und rührte in einer Tasse Cappuccino. Es war nicht lange her, dass ich mich in Konstanz zum zweiten mal in diesem Jahr auf den Weg nach Berlin gemacht hatte, um einer unerträglichen Lebenssituation zu entfliehen und mir neue Perspektiven zu eröffnen.
Der vierte Tag dieses Abenteuers hier in der Hauptstadt hatte gerade erst begonnen, aber in den vergangenen drei Tagen war bereits so unglaublich viel passiert, mit mir passiert. Eine sexuelle Eskapade war seitdem auf die nächste gefolgt, wie bei einer Achterbahnfahrt, die mit den Erlebnissen am vorigen Abend kulminiert hatte. Aber sollte das gestern wirklich bereits der Höhepunkt gewesen sein? Und falls nicht, wohin sollte all das noch führen? Ich fürchtete mich davor, in einen Strudel zu geraten, aus dem ich mich aus eigener Kraft nicht mehr würde befreien können.
Junes Worte hallten noch immer nach. Ein ›devotes Bondageluder‹ hatte sie in mir erkannt, eine ›hemmungslose Fesselschlampe‹. Im Pretty in Pink wollte sie mich verschnüren und Meike sollte mich zur Benutzung freigeben, so wie Kolja June freigegeben hatte, an diesem kalten Februarabend, an dem mein ohnehin schon aus den Fugen geratenes Leben vollends auf den Kopf gestellt wurde.
Gestern Abend, als June mich gefesselt hatte, als das dumpfe Ziehen mich vernebelt hatte, da fühlte ich das und ich hätte mein Schicksal sofort in Meikes Hände gelegt. Aber wollte ich das wirklich, auch bei klarem Verstand? Mich in letzter Konsequenz ausliefern? Zulassen, dass wer auch immer wie auch immer mit mir schlief? Mir ging das gerade alles etwas zu schnell.
Meike würde es genießen, mich dort mit anderen zu teilen, da war ich mir ziemlich sicher. Nur was, wenn ich an diesem Punkt meine Grenze ziehen würde, mich entscheiden würde, nicht noch weiter gehen zu wollen, zumindest vorerst. Würde sie mich abweisen?
Und wenn ich mich dafür entscheiden sollte, mich in diesen Bereichen weiter zu erforschen und auszuleben, ihr Bondageluder, ihre Fesselschlampe zu werden, dann müsste ich ihr dasselbe zugestehen. Sie würde ›unverbindlichen Sex‹ haben, in meiner Gegenwart.
Eifersucht gehörte bislang nicht zu meinem Gefühlsrepertoire. Selbst als ich Mark mit Andrea erwischt hatte, spürte ich nichts dergleichen, Wut und Enttäuschung, ja, aber keine Eifersucht. Die beiden waren in diesem Moment für mich gestorben und ich fühlte nichts mehr, wenn ich an sie dachte.
Gestern jedoch, als ich Meike vor Pavel knien sah, der seine Hände in ihr Haar gekrallt und seinen Schwanz in ihren Hals getrieben hatte, zu sehen, wie sie das genoss, da war sie plötzlich da, die Eifersucht. Aber entgegen aller Erwartungen fühlte ich mich nicht verletzt oder abgestoßen, erschreckenderweise hatte es mich nur noch mehr erregt – und stark aufgewühlt. Beim Gedanken daran wurde mir plötzlich schlecht.
»Ihr Cappuccino wird kalt.«
Ich schaute nach rechts, ein adretter Mittfünfziger stand auf der Stufe vor der Eingangstür zur Bäckerei, seinen Einkauf unter den Arm geklemmt, und zündete sich eine Zigarette an. Er musste gerade schon an mir vorbei gekommen sein, als er den Laden betreten hatte. Bemerkt hatte ich ihn nicht.
»Sie sollten Ihren Cappuccino trinken, solange er noch warm ist«, sagte er.
»Haben Sie eine für mich?«, fragte ich ihn gedankenverloren.
Nach kurzem Zögern klemmte er seine Zigarette zwischen die Lippen, trat von der Stufe herab, fummelte ein Softpack aus seiner Jackentasche und klopfte es gegen seinen Handrücken. ›Berliner Schwabe‹, ging es mir durch den Kopf.
»Danke«, sagte ich, zupfte eine der leicht herausgerutschten Zigaretten aus der Packung und führte sie zu meinem Mund.
Er klopfte das Päckchen nochmal mit der Unterseite auf und verstaute es in seiner Jacke. Wir schauten uns einen Augenblick lang wortlos an. Dann fummelte er ein Feuerzeug aus der Hosentasche und gab mir Feuer. Wir zogen beide gleichzeitig.
»Danke«, sagte ich nochmals, schaute ausdruckslos geradeaus und nahm einen weiteren, tiefen Zug.
»Grübeln Sie nicht zu lange«, sagte er und verschwand.
Ich atmete langsam aus und pustete den vor meinem Gesicht in der Luft stehenden Rauch weg. Das Nikotin hatte mir wieder etwas Klarheit verschafft. Was machte ich hier eigentlich? Ich hatte lange genug gebraucht, um mit dem Rauchen aufzuhören. Kopfschüttelnd drückte ich die Zigarette im Aschenbecher auf dem Bistrotisch aus.
Mein Handy vibrierte in der Jackentasche. Ich zog es heraus und entsperrte es. In den Benachrichtigungen wurden zwei Chatnachrichten von einer unbekannten Nummer angezeigt. Ich öffnete den Chat. Die erste Nachricht enthielt ein Foto. Es zeigte mich von hinten, streng gefesselt und mit dem roten Seidenschal um den Kopf im Wohnzimmer der WG kniend. ›Guten Morgen Bondageluder. Ich hoffe du hast gut geschlafen. Küsschen J‹, lautete die zweite Nachricht.
Ich hatte alles andere als gut geschlafen. Einzelne Erinnerungsfetzen meines Traums kamen zurück. Es waren Bilder ausschweifender Orgien. Ich sah Männer und Frauen mit bekannten und unbekannten Gesichtern, die sich an meinem gefesselten Körper bedienten, ich sah Meike, die ihrerseits Gruppen anonymer Männer bediente, ohne die Möglichkeit für mich, ins Geschehen einzugreifen. In den letzten Wochen hatte ich häufiger von solchen Szenen geträumt. Diesmal war ich allerdings nicht mit feuchtheißem Schoß, sondern mit kaltem Schweiß aufgewacht. Eine tiefe Zerrissenheit erfüllte mich.
Ich öffnete das Foto und betrachtete es in der Vollansicht, sah die Stricke, die sich strahlenförmig von der Fesselung um meine Unterarme ausgehend um meinen Körper spannten. Ich zoomte an einigen Stellen hinein, betrachtete mir die Wicklungen, die Schlingen und die Knoten im Detail, wartete darauf, dass es etwas in mir auslöste, dass sich das dumpfe Ziehen zumindest andeuten würde. Aber da war nichts. Die Verunsicherung schien mich zu blockieren.
Nachdem ich Junes Nummer gespeichert hatte, tippte ich eine Antwort.
SUSANN LOEWEN: »Weiß nicht, ob ich das kann. :(«
Es dauerte nur wenige Sekunden, da erschien ihre nächste Nachricht.
JUNE: »Was meinst du?«
Ich schluckte. Dann antwortete ich.
SUSANN LOEWEN: »Der Club …«
Die Nachricht wurde sofort mit den beiden blauen Häkchen als gelesen angezeigt, doch einige Zeit lang passierte nichts. Ich starrte auf das Display, tippte es immer wieder an um zu verhindern, dass es sich verdunkelte. Minuten vergingen. Mich beschlich die Angst, sie gerade fürchterlich enttäuscht zu haben. Würde sie jetzt das Interesse an mir verlieren? Wie würde Meike damit umgehen?
Dann tat sich endlich etwas.
[JUNE schreibt …]
JUNE: »Mäuschen, ich wollte dich nicht unter Druck setzen. Es geschieht nichts, was du nicht willst. Wir haben alle Zeit der Welt.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen, erleichtert atmete ich auf.
[JUNE schreibt …]
JUNE: »Ich hab auch gerade was ganz anderes im Sinn. Vielleicht willst du mir dabei helfen. Mehr dazu später. Küsschen J«
›Später‹ war ein gutes Stichwort. Es war bereits nach acht Uhr. Ich musste fast eine Stunde hier gesessen haben und mir wurde langsam kalt. Den Cappuccino ließ ich stehen. Stattdessen ging ich nochmals in die Bäckerei und kaufte Brötchen und Croissants. Dann machte ich mich auf den Weg zurück zur WG.
*
Ich hatte gerade die Tür leise hinter mir geschlossen und meine Jacke aufgehängt, als mein Blick auf Meike fiel. Sie saß in ihrem schlabbrigen Pyjama am Küchentisch und schaute mich mit ernster Miene an. Ich schüttelte mich kurz, setzte ein Lächeln auf und ging durchs Wohnzimmer zu ihr in die Wohnküche.
»Hab Brötchen mitgebracht«, sagte ich und legte die Tüte auf dem Tisch ab.
»Ich hab mir Sorgen gemacht«, sagte sie mit traurigem Ton. Sie runzelte die Stirn und atmete tief ein. »Du hast geraucht.«
Ich setzte mich übereck zu ihr an den Tisch und griff nach ihren Händen. Sie zuckte leicht zurück.
»Wo warst du so lange? Warum hast du geraucht?«, fragte sie.
Jetzt war sie es, die verunsichert wirkte.
»Ich musste über ein paar Dinge nachdenken«, sagte ich ruhig.
»Aha, und wenn du nachdenkst, musst du rauchen? Ich finde das eklig!«, klagte sie.
Ihre Unterlippe zuckte. Sie rang deutlich mit ihrer Fassung.
»Meike, was ist denn auf einmal los mit dir?«, fragte ich sie.
Ich dachte an den Typen, der mich vor der Bäckerei angesprochen und den ich nach einer Zigarette gefragt hatte. War sie etwa eifersüchtig? Eigentlich war ich doch diejenige, die gerade ein Problem damit zu bewältigen hatte.
»June hat mich geweckt, sie hat angerufen und nach deiner Nummer gefragt«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ich hab gedacht, du bist auf dem Klo oder so, hast vielleicht das Essen von gestern nicht vertragen. Und dann, eine Stunde später, schreibt mir June, dass wir gestern vielleicht zu weit gegangen sind und dass ich mit dir reden soll, aber das Bad war leer und deine Schuhe und deine Jacke waren weg und der Schlüssel lag noch auf der Kommode und du warst nicht da!«
Eine dicke Träne kullerte über ihre rechte Wange. Sie zog schniefend ihre Nase hoch. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
»Du hattest Angst, dass …«
»… dass du schon wieder abgehauen bist!«, unterbrach sie mich.
Mein aufgesetztes Lächeln wandelte sich zu einem ehrlichen. Ihre Stirn legte sich in Falten.
»Moment mal, wie bist du überhaupt hier rein gekommen, ohne Schlüssel!?«
Ich lachte sie an und zog meinen WG-Schlüssel aus der Hosentasche.
»Den hab ich aus Versehen mitgenommen, als ich nach Konstanz zurück gefahren bin. Hab ihn gestern in meinem Rucksack gefunden, muss ihn da wohl mit meinen anderen Sachen zusammen rein gestopft haben, als ich früh morgens von hier abgereist bin. Ich dachte ich behalt’ ihn einfach, weil ich ja jetzt erst mal bei dir wohnen darf?«
Ich schaute sie entschuldigend an. Ihr betrübter Ausdruck wich langsam einem freudigen Strahlen.
»Du kleines Miststück, warum hast mir das nicht gleich gesagt!?«, rief sie, zog ihre Hände unter meinen hervor und trommelte mit ihren Fäusten auf meinem Oberschenkel herum.
»Aua!«, rief ich und packte ihre Handgelenke. Ich stand von meinem Stuhl auf, stieg über ihren Schoß und setzte mich ihr zugewandt auf ihre Oberschenkel. Mit sanfter Gewalt führte ich ihre Hände hinter die Stuhllehne. Ihr überraschtes ›Ohoo‹ erstickte ich mit einem fordernden Kuss.
In Vics Loft unter der Dusche hatte ich schon einmal versucht, die Rollen zu tauschen. Lange Zeit, es zu erforschen, war mir nicht geblieben, da sie die Zügel schnell wieder an sich gerissen hatte, aber es hatte sich interessant angefühlt. Und das tat es auch jetzt. Ich umfasste ihre Handgelenke hinter dem Stuhl mit meiner linken Hand, schob mich über sie und drückte ihren Kopf heftig küssend in den Nacken. Forsch drängte ich meine Zunge tief in ihren Mund und legte die rechte Hand um ihren Hals. Sie schnaufte heftig durch die Nase. Ich drückte ihr langsam die Luft ab. Ihr Körper bebte unter mir und ließ den Stuhl auf den Fliesen klappern.
Viel mehr Zeit blieb mir auch diesmal nicht, denn ein deutliches Klopfen an Andrés Zimmertür zerriss die Spannung zwischen uns. Ich löste mich von ihren Lippen und lockerte den Griff um ihren Hals.
»Was stimmt denn mit dem nicht, hat der gerade an seine eigene Tür geklopft?«, fragte Meike deutlich frustriert. »Von innen!?«
»HALLO KANN ICH RAUS KOMMEN!?«, schallte es dumpf durch die geschlossene Tür.
»DIE LUFT IST REIN!«, rief ich zurück und musste lachen. Meike schaute mich fassungslos an. Sie hatte tatsächlich nicht mitbekommen, dass er uns am Vorabend bereits in flagranti erwischt hatte und das nun wohl vermeiden wollte.
»Oh Mann, nicht schon wieder! Könnt ihr das nicht einfach in eurem Zimmer machen!«, rief er genervt, als er die Wohnküche betrat und mich auf Meikes Schoß sitzen sah. Ich hielt ihre Handgelenke noch immer mit meiner linken und ihren Hals mit der rechten Hand.
»Kann mir vielleicht mal jemand erklären, was das gerade soll!?«, fragte sie verständnislos.
»Später vielleicht«, sagte ich, ließ von ihr ab und stieg von ihrem Schoß. Ich zwinkerte André zu. »Lasst uns frühstücken, ich hab Brötchen und Croissants gekauft.«
Auf dem Weg zur Küchenzeile holte ich mein Smartphone heraus und öffnete den Chat mit June.
SUSANN LOEWEN: »Hab mit Meike geredet, alles gut. :)«
Das stimmte zwar nur halb, über meine Zweifel konnte ich noch nicht mit ihr reden, aber dafür würde sich nach dem Frühstück hoffentlich eine Gelegenheit bieten. Ich steckte das Telefon zurück in meine Hosentasche und setzte eine Kanne Filterkaffee auf.
*
Nach einem ausgiebigen Frühstück saßen wir noch eine Weile zusammen und redeten über dies und das. Genau genommen war es hauptsächlich André, der redete. Nachdem er uns letzte Nacht erwischt hatte, schien er sich in unserer Gegenwart unwohl zu fühlen und ich hatte den Eindruck, dass er das mit seinem Redeschwall zu überspielen versuchte.
Ich hatte längst auf Durchzug geschaltet und hörte ihm nicht mehr wirklich zu. Stattdessen schaute ich immer wieder verstohlen auf mein Handy, das ich unter der Tischplatte versteckt hielt. Das Vibrationssignal hatte mein Interesse zurück auf den Chat mit June gelenkt. Gelesen hatte ich ihre neue Nachricht noch nicht, meine Aufmerksamkeit galt dem Foto, das sie mir geschickt hatte. Ich betrachtete es in allen Details. Das dumpfe Ziehen war zurück.
Als ich bemerkt hatte, dass André verstummt war, schaute ich nach oben. Er und Meike starrten mich sprachlos an. Erst dann wurde mir bewusst, dass ich mir mit gebleckten Zähnen auf die Unterlippe biss, die Schultern zurückgezogen und die Brüste hervorgereckt hatte. Meine Brustwarzen drückten sich hart in die Körbchen und ein flüchtiger Blick nach unten bestätigte die Befürchtung, dass sie sich, wenn auch nur leicht, durch mein Oberteil abzeichneten. Ertappt zog ich die Mundwinkel auseinander und schob die Augenbrauen hoch.
»Ich geh dann mal«, sagte André.
Er stand auf, packte sein Frühstücksgeschirr zusammen und deponierte es scheppernd im Spülbecken. Danach verschwand er wortlos im Badezimmer. Kurz darauf prasselte das Wasser deutlich hörbar in die Wanne. Er wollte scheinbar auf Nummer sicher gehen und uns auch akustisch in jedem Fall vorerst ausblenden.
Meike schaute mich an und schüttelte grinsend den Kopf.
»Ein Penny für deine Gedanken«, sagte sie.
Anstatt ihr zu antworten, holte ich mein Handy unter dem Tisch hervor, schob ihren Teller zur Seite und legte es vor ihr ab. Ich bemerkte ihren leichten Augenaufschlag, als sie nach unten schaute und das Foto erblickte. Jetzt war sie es, die sich auf die Unterlippe biss, als sie das Telefon in die Hand nahm, mit sanften Bewegungen ihrer Finger in das Bild hinein zoomte und sich die Details anschaute.
»June hat noch irgendwas geschrieben, liest du es mir vor?«, fragte ich sie.
Dass sie dabei wohl auch unweigerlich den kurzen, auf das Foto folgenden Chatverlauf lesen würde, war mir dem Moment nicht klar. Unterbewusst hatte ich damit vielleicht eine möglichst einfache Lösung gewählt, sie auf meine innere Zerrissenheit aufmerksam zu machen. Meike tippte zwei mal auf das Display und schaute einen Moment regungslos nach unten. Dann legte sie es mit der Rückseite nach oben auf den Tisch.
»June fragt, ob wir Donnerstagabend etwas mit ihr trinken gehen wollen«, sagte Meike.
Sie wirkte plötzlich etwas distanziert.
»Gute Idee«, sagte ich. »Und was machen wir bis dahin?«
Die Badezimmertüre öffnete sich und André kam heraus, mit seiner elektrischen Zahnbürste arbeitete er gerade in seinem mit weißem Schaum verschmierten Mund.
»Frühjahrsputz wäre angebracht«, sagte Meike. »Du Wohnzimmer, ich Küche, Kaczynski putzt das Klo. Irgendwelche Einwände?«
André machte auf dem Stand kehrt und stürmte zurück ins Bad.
»Nein? Wunderbar!«, rief Meike ihm hinterher.
Er spuckte lautstark ins Waschbecken.
»Immer muss ich das Klo putzen!«, hallte es aus dem Bad.
»Du bist hier ja auch der Einzige, der scheinbar nicht im Sitzen pinkeln kann!«, rief sie zurück.
Unverständliches Fluchen drang durch die offene Tür. Meike kicherte.
»Und danach müssen wir an deiner Dehnbarkeit arbeiten«, sagte sie und schaute mich an.
Ich schluckte.
»Ich hab zwei Yoga-Matten und im Wohnzimmer ist genug Platz für uns beide«, fügte sie hinzu.
Das war nicht unbedingt, womit ich gerechnet, worauf ich gehofft hatte, aber vielleicht war das gerade auch genau das Richtige.
Während Meike in der Küche wütete, kehrte ich das Parkett, saugte den Teppich und putzte die Fenster. André schien derweil, der Geräuschkulisse nach zu urteilen, das Badezimmer zu entkernen, ununterbrochen lautstark fluchend.
»Ich weiß nicht, was er da immer veranstaltet, aber er braucht dafür meistens mindestens zwei Stunden«, sagte Meike.
Und sie sollte recht behalten. Als sich die Badezimmertür öffnete, waren wir schon einige Zeit auf den Matten. Ich hatte relativ lange gebraucht, um mich zu entspannen, saß mit geschlossenen Augen im halben Lotossitz und wollte gerade auch meinen rechten Fuß nach oben legen, als er an uns vorbei durch das Wohnzimmer stampfte.
»Ah, ja! Lasst euch von mir nicht ablenken!«, rief er. »Wenn ihr mit eurem Gymnastikquatsch fertig seid, könnt ihr einkaufen gehen. Ich schreib einen Zettel.«
Er verschwand in seinem Zimmer und ließ die Tür hinter sich knallen. Ich schreckte auf und schaute Meike an. Unmittelbar darauf kam er wieder heraus, warf einen Block und einen Stift auf den Küchentisch, zog einen der Stühle quietschend hervor und setzte sich hin.
»Er kann schon eine richtige Nervensäge sein. Aber wenn er mich zum Einkaufen schickt, dann kocht er danach meistens. Und das ist vielleicht das einzige, das er noch besser kann«, sagte Meike und zwinkerte.
*
Und sie sollte recht behalten. Als wir spät am Abend aneinander gekuschelt im Bett lagen, hatte ich gerade die beste Bolognese meines Lebens gegessen. So wie von Meike, konnte ich kaum genug davon bekommen, hatte regelrecht geschlemmt, André hatte das sichtlich mit Stolz erfüllt.
Meike lag rechts von mir und schaute mich sanft lächelnd an, wir waren uns ganz nah. Trotz vollem Bauch hatte ich gerade große Lust auf mehr. Sie schaute mich an, abwartend. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte.
»Gute Nacht«, sagte sie nach einer Weile und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen.
»Schlaf gut«, antwortete ich.
Dann schaltete sie die Lampe auf ihrem Nachttisch aus. Es war völlig klar, dass wir schnellstmöglich miteinander reden mussten, am besten gleich morgen.
Ich drehte mich auf die Seite und sie schmiegte sich von hinten eng an mich, legte ihren Arm um meinen Körper. Es dauerte nicht lange, bis ihr ruhiger Atem in leises Schnarchen überging. Die Nähe ihres warmen, weichen Körpers und die Intimität zwischen uns, die nach so kurzer Zeit zu einer Selbstverständlichkeit geworden war, das alles ließ auch mich kurz darauf beruhigt, wenn auch unbefriedigt einschlafen.
*
Der nächste Tag verlief lange Zeit ohne große Höhepunkte. Meike hatte Semesterferien und aufgrund der monatlichen Finanzspritze ihres Vaters musste sie, im Gegensatz zu André, nicht mit Studentenjobs herumplagen um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. So schliefen wir aus, frühstückten und machten etwas Yoga. Der Fernseher lief und die Stunden plätscherten dahin. Wir redeten kaum und wenn, dann war es eher belanglos. Ich war immer wieder kurz davor, das Gespräch mit ihr zu suchen, ihr zu erklären, was mich seit gestern früh umtrieb, doch ich fand die Worte nicht.
Am späten Nachmittag machten wir uns über die Reste von Andrés Bolognese her. Der Chefkoch war nicht da, aber es schmeckte heute noch besser als am Vortag. Meike hatte aufgegessen und wartete ab, bis auch ich die letzten Reste aus meinem Teller gekratzt hatte. Sie schaute mich liebevoll an und wartete. Der Elefant stand im Raum. Ich war mir nun sicher, dass sie den Chat zwischen June und mir gelesen haben musste, als ich ihr mein Handy vor die Nase gelegt hatte.
»Susann …«, sagte sie.
»Warte«, unterbrach ich sie, »ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Und ich weiß nicht, was ich überhaupt sagen soll, weil ich ziemlich verunsichert bin.«
Ich machte eine Pause und versuchte, mich zu sortieren. Meike wartete geduldig.
Dann entschied ich mich dafür, alles auf den Tisch zu legen.
»Als du mir im Februar das Zimmer hier angeboten hast, hatte ich einen richtigen Tiefpunkt hinter mir. Das weißt du ja schon alles«, sagte ich. »Und als du mich dann am ersten Abend in diesem Pub geküsst hast …«
Ich überlegte, versuchte, das Chaos in meinem Kopf zu sortieren.
»Danach war ich noch mehr durcheinander als zuvor. Die Tage bis zum letzten Abend – zu diesem besonderen letzten Abend – bin ich hier eigentlich nur ziellos in der Stadt herumgeirrt. Und dann hast du irgendwas in mir erweckt.«
»Und das hat dir Angst gemacht«, sagte sie.
Ich nickte und dachte eine Weile nach.
»Zurück zuhause fühlte ich eine solche Sehnsucht«, fuhr ich fort. »Sehnsucht nach diesem verbotenen Gefühl, das zu meinem Erschrecken unwiederbringlich verloren schien, und Sehnsucht nach dir, die so schmerzte, dass ich sie am liebsten erstickt hätte.«
Sie schluckte, ihre vollen Lippen wurden schmal, sie blinzelte einige male.
»Und seitdem ich wieder hier bin, bei dir bin«, fuhr ich fort, ohne sie zu Wort kommen zu lassen, »seitdem bin ich in einem unbeschreiblichen Rausch und ich fühle und entdecke und genieße diese Spielereien, die wir zusammen erleben, und die sich immer weiter zu steigern scheinen, und ich – ich …«
»… und du hast Angst«, sagte sie und räusperte sich. »Angst davor, dass es dir zu viel wird.«
»Ja«, hauchte ich und nickte. »Und Angst davor, dass ich langweilig für dich werde. Weil ich nicht weiß, ob ich in diesem Tempo weiter machen kann.«
Jetzt war es raus. Ich fühlte mich hin und hergerissen, fürchtete, dass es das für sie gewesen war, dass sie meine Zweifel für Prüderie halten würde, eine Eigenschaft, die in ihrem Leben sicher keinen Platz hatte.
Sie lächelte sanft. Dann öffnete sie ihre Hände und schob sie mir über die Tischplatte entgegen. Ich ergriff sie und erwiderte ihren Blick. Sie hielt meine Hände mit festem Griff.
»Komm mit mir«, sagte sie sanft und stand von ihrem Stuhl auf.
Meike ließ von meiner linken Hand ab, ging um den Tisch herum und zog mich an meiner rechten Hand hinter sich her in unser Zimmer. Sie schloss die Tür hinter uns, stellte sich am Fußende des Bettes vor mich und begann, sich langsam auszuziehen. Sie gab sich dabei keine Mühe, es besonders aufreizend zu gestalten, schaute mir aber unentwegt tief in die Augen, während sie sich entkleidete.
Unbekleidet stand sie nun vor mir, schob die Unterlippe nach vorne und die Augenbrauen nach oben. Ich verlor mich in ihrem vollen, weiblichen Körper, ihrem runden, strahlenden Gesicht und ihrer blonden Lockenmähne, die wild über ihre Schultern fiel.
»Muss ich dir helfen?«, fragte sie lächelnd.
Ich schüttelte den Kopf und begann, mich ebenfalls aus meinen Klamotten zu schälen. Kurz darauf standen wir uns beide nackt gegenüber. Meike streckte mir ihre rechte Hand entgegen.
»Komm«, sagte sie.
Ich griff ihre Hand und folgte ihr aufs Bett. Nun lagen wir uns gegenüber. Meike strich mir das Haar aus dem Gesicht, legte ihre Hand auf meine Wange und streichelte meine Schläfe mit ihrem Daumen. Sie schaute mich durchdringend an.
»Schlaf mit mir«, sage Meike.
Dann schloss sie die Augen und küsste mich.
Ganz sanft saugte sie mit ihrem vollen Mund abwechselnd an meiner Ober- und Unterlippe, neckte mich mit ihrer Zungenspitze. Ich öffnete meine Lippen und schob ihr meine Zunge entgegen, doch sie entzog sich.
»Nicht so stürmisch«, hauchte sie.
Sie griff meine Hände, ihr rechtes Knie schob sie unter mein linkes Bein, drückte es nach oben und hockte sich über meinen rechten Oberschenkel. Sie drückte meine Hände links und rechts von meinem Kopf auf die Matratze und beugte sich langsam nach unten. Ihre großen, über mir pendelnden Brüste näherten sich meinen, ihre aufgerichteten Nippel suchten und fanden meine Knospen. Dann schob sie ihren Schoß nach oben. Ihr Schambein drückte sich gegen meines. Wir schauten uns tief in die Augen. Schwer atmend öffnete sie ihren Mund, als sie mit leichten Bewegungen ihres Beckens ihre bereits steife Bohne über meine anschwellende Erbse rieb.
Ich biss mir auf die Unterlippe, krallte meine Finger in ihre Hände und schaute mit lustverzerrtem Gesicht zu ihr hoch, als ich mein linkes Bein eng an meinen Körper zog, den Unterschenkel gegen ihren Rücken drückte und ihr meinen feuchtheißen Schoß entgegen schob. Mein Puls beschleunigte sich. Erregt schnaufend rieben wir uns aneinander ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Der Saft lief aus ihr heraus, vermischte sich mit meinem und rann zwischen meine Pobacken.
Ich wollte mehr von ihr, wollte sie ganz spüren. Mit der rechten Hand drückte ich sie nach oben. Sie verstand, rollte zur Seite und zog mich über sich. Auf ihr liegend küsste ich sie verlangend, sie öffnete ihren Mund weit, ich neigte meinen Kopf zur Seite und schob ihr meine Zunge forsch entgegen. Wir küssten uns wild, die Hände noch immer ineinander verschränkt.
Dann löste ich den Kuss und den Griff in ihre Hände und richtete mich auf. Ich ließ mich unter ihrem Schoß auf den Rücken herab, griff nach ihrem rechten Oberschenkel und zog ihn über mich, schob mich eng an sie heran, drückte meine Scham fest gegen ihre. Mit ineinander verschränkten Beinen lagen wir uns in der Scherenposition gegenüber. Ich spürte ihre nassen, geschwollenen Schamlippen und ihre harte Bohne. Wir sprachen kein Wort, außer unserem leisen Stöhnen und dem glitschigen Lauten unserer auslaufenden, aneinander reibenden Spalten war es völlig still. Unsere Säfte vermischten sich miteinander, benetzten mehr und mehr auch die Innenseiten unserer Schenkel. Hart, beinahe schmerzhaft stießen wir unsere Körper aneinander, näherten uns unweigerlich dem Höhepunkt.
Als wir gemeinsam kamen, hatte ich das Gefühl, mit ihr zu einer Einheit zu verschmelzen. Wir sahen einander und fühlten einander. Es war ein Moment der absoluten Intimität, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Die Kontraktionen in meinem Unterleib ließen langsam nach und ich löste den festen Griff in ihren Oberschenkel. Ich sank auf den Rücken, unsere buchstäblich aneinander festgesaugten Schnecken trennten sich voneinander. Die kühle Luft an meinem nassen, heißen Schoß ließ mich erzittern. Eine Weile lag ich da, schwer atmend, und genoss das langsam abnehmende Kribbeln, das meinen Körper von Kopf bis Fuß durchzogen hatte.
Nach einer Weile spürte ich ein Kitzeln an meinem Kinn. Es war Meikes großer Zeh, mit dem sie meine Aufmerksamkeit zurück auf sich lenken wollte. Sanft fasste ich ihren Fuß mit beiden Händen und bedeckte die Sohle mit zarten Küssen. Dann krabbelte ich zu ihr hoch und legte mich neben sie.
»War das weniger schön, weniger besonders, weniger aufregend?«, fragte sie und rieb ihre Nasenspitze sanft an meiner, so ähnlich, wie sie kurz zuvor ihre Bohne an meiner Erbse gerieben hatte. »War das langweilig?«
»Nein«, sagte ich und spürte, wie mir die Stimme versagte.
Nicht zum ersten mal wurde ich nach dem Sex mit Meike emotional überwältigt. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, Wasser sammelte sich auf meinen Unterlidern. Ich beugte mich über sie, schloss die Augen und küsste sie. Tränen flossen über meine Wangenknochen und tropften auf sie herab. Sie schob ihre Finger in meinem Nacken sanft in mein Haar und bedeckte mein Gesicht mit sanften Küssen.
»Wenn – nein falls du in den Club gehst, dann tust du es für dich, nicht für mich«, sagte sie nach einer Weile und schaute mich eindringlich an. »Ich würde das nie von dir verlangen.«
Ich nickte zaghaft.
»Wenn du dich irgendwann dafür entscheiden solltest«, fuhr sie nach einer Weile fort, »dann werde ich dich begleiten, wenn du es zulässt. Ich war selbst schon unzählige male dort, aber eine Session wie die von June hatte ich auch noch nie.«
»Keine Session wie die von June, aber andere … Aktivitäten?«, fragte ich sie.
»Das überlasse ich erst mal deiner Phantasie«, antwortete sie und kniff lächelnd in meine Seite.
»Lass uns schlafen, Schatz«, sagte sie und drückte mir einen Gutenachtkuss auf die Stirn.
Es war noch nicht wirklich spät, aber ich konnte mir gerade nicht Schöneres vorstellen, als hier einfach mit ihr liegen zu bleiben.
»Schlaf gut«, antwortete ich und kuschelte mich an sie, als sie die Nachttischlampe ausschaltete.
Einen Moment lang starrte ich noch in die Dunkelheit und überlegte, ob ich ihrer Anregung folgen und meine Phantasie bemühen sollte. Dann schloss ich die Augen und entschied mich dafür, es Morpheus zu überlassen. In der folgenden Nacht träumte ich wieder wild, hauptsächlich von Meike, und es war aufregend im besten Sinn.
*
Nach einem recht ereignislosen Tag hatten wir uns Donnerstagabend auf den Weg zu dem Treffen mit June, Katja und Vic gemacht. Wir waren gerade aus dem Bus gestiegen und noch gut hundert Meter die Straße entlang gelaufen, als ich plötzlich erstarrte. Die drei winkten uns zu. Sie standen vor dem Eingang des Pretty in Pink. Meike schien meine plötzliche Nervosität zu spüren. Sie ergriff meine Hand und blieb neben mir stehen. Ich drehte mich zu ihr.
»Keine Angst, Su. Wir gehen nur in die Kneipe«, sagte sie und hauchte mir einen Kuss auf den Mund.
Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass sie oder June heute etwas im Schilde führen würden, dass wir uns ausgerechnet hier treffen würden, hatte ich aber auch nicht erwartet.
»Danke, hab schon befürchtet, dass du mich irgendwelchen Kerlen zum Ficken anbieten willst«, sagte ich.
»Heute nicht«, sagte sie trocken und zwinkerte mir grinsend zu.
Wir gingen die letzten Meter zur Kneipe, wo wir von dem auf uns wartenden Trio begrüßt wurden. Katja hätte ich beinahe gar nicht wiedererkannt. Sie hatte die Hände in der Bauchtasche eines weiten, grauen Kapuzenpullovers vergraben. Ihr Haar verbarg sich unter einer in Regenbogenfarben gestreiften Beanie-Mütze. Sie schaute mich zurückhaltend an, wirkte wie ausgewechselt.
»Hey, schön euch zu sehen, aber wo ist Kolja?«, fragte ich.
»Der ist heute mit seinen Kumpels in der Kletterhalle«, antwortete June. »Was ich mit euch zu bereden habe geht ihn auch nichts an, jedenfalls noch nicht.«
Wir betraten die verrauchte Kneipe. June führte uns an der Theke vorbei zu einem runden Tisch in der hinteren Ecke, der zu drei Vierteln von einer Sitzbank umgeben war. Im freien Viertel stand ein Holzstuhl. Katja lächelte mich schüchtern an und huschte auf die Bank. Ich folgte ihr und setzte mich neben sie. Meike und June auf der anderen Seite Platz, Vic setzte sich auf den noch freien Stuhl.
»Was wollt ihr trinken?«, fragte June.
Sie schnappte sich das Reservierungsschild, das in der Mitte der Tischplatte stand und wedelte damit in der Luft herum. ›PERSONAL‹, stand auf dem Schild.
»Tequila!«, rief Meike.
»Okay, da bin ich raus«, sagte Vic und nahm beide Hände in Abwehrhaltung nach oben. »Ich geh einen rauchen.«
Er schob seinen Stuhl, auf den er sich gerade erst gesetzt hatte zurück und stand auf.
»Du kannst auch in meinem Laden rauchen«, sagte June.
»Ich weiß«, sagte er, drehte sich herum und ging Richtung Ausgang.
Hatte sie gerade von ihrem Laden geredet? Ich wollte sie gerade fragen, doch Meike fiel mir ins Wort.
»Hey, warte mal!«, rief Meike ihm hinterher. »Hast du es endlich hochgeladen?«
»Ja, ja!«, rief er mit genervtem Ton zurück. »Ich schick dir gleich ‘ne Mail.«
Er zog sein Handy aus der Hosentasche und ging nach draußen. Ich dachte an Meikes Worte, als wir im Taxi von Vics Loft zur WG gefahren waren. Vielleicht war jetzt die Gelegenheit, ihm das Gespräch anzubieten.
»Ich schaue mal nach ihm«, sagte ich, rutschte zur Seite von der Sitzbank und folgte ihm aus der Kneipe.
*
Draußen vor der Tür brauchte ich einen Moment, bis ich ihn entdeckt hatte. Die nächste Laterne auf dieser Seite der Straße war defekt. Er stand dort, vielleicht zwanzig Meter entfernt im Schutze der Dunkelheit mit dem Rücken an eine Mauer gelehnt.
Als ich zu ihm kam, hatte er gerade einen vorgedrehten Joint aus einer Blechdose genommen und zündete ihn an. Die Dose verstaute er in der Innentasche seiner Jacke.
»Halt, Polizei!«, rief ich ihm entgegen.
Er drehte sich zu mir um und zog die Augenbrauen hoch.
»Bin ich verhaftet?«, fragte er schmallippig, den Joint in seinen Mundwinkel geklemmt. »Haben Sie die Handfesseln dabei?«
Er legte seine Handgelenke aneinander und streckte sie mir entgegen.
»Da haben Sie Glück gehabt, die habe ich heute vergessen«, antwortete ich und klopfte meine Hosentaschen ab.
Er grinste. Dann lehnte er sich wieder mit dem Rücken an die Wand. Ich stellte mich zu ihm. Eine Weile standen wir wortlos nebeneinander, während er rauchte. Der süßliche Geruch erinnerte mich an laue Sommerabende am Bodensee, damals, während des Abiturs.
»Meike hat mir erzählt …«, begann ich.
»Ich kann nicht darüber reden«, unterbrach er mich sofort.
Ich fürchtete, dass ich gerade dabei war, die Stimmung, zumindest seine Stimmung, zu ruinieren, bevor der Abend überhaupt richtig begonnen hatte. Fieberhaft überlegte ich, wie ich möglichst schnell vom Thema ablenken könnte. Katja, die mich mit ihrem komplett veränderten Wesen so überrascht hatte, kam mir in den Sinn.
»Sag mal, dein Initial, dieses verschnörkelte ‘V’«, sagte ich, »das von deiner Visitenkarte.«
Er schaute ausdruckslos zu mir rüber.
»Sie hat es – hat es über ihrer …«, stammelte ich.
»Katja hat es über ihrer Yoni tätowiert«, sagte er ruhig und blickte starr geradeaus.
Dass er diesen ungewöhnlichen, irgendwie liebevollen Begriff für ihre Vagina verwendet hatte, überraschte mich. Ich schaute ihn an, als er einen tiefen Zug nahm. Die Glut leuchtete grell und das Papier knisterte. Dicke Rauchschwaden drangen aus seiner Nase und seine Augen wurden schmal. Er schaute mich mit einem angedeuteten Lächeln an und bot mir den Joint an. Ich schüttelte den Kopf. Er zuckte mit den Schultern, ließ die Arme hängen und schaute wieder geradeaus.
»Sie ist wundervoll, ein Ruhepol, intelligent, sensibel und unglaublich empathisch …«
Ein Ruhepol, sensibel und empathisch? Zugegeben, ich kannte Katja nicht, aber ich war mir nicht sicher, ob wir von der selben Person sprachen. Andererseits wirkte sie heute auch völlig anders als bei unseren ersten beiden Begegnungen.
»… eine gute Freundin«, sagte er und hustete. »und meine Ex.«
Vom Regen in die Traufe, dachte ich. Mein Versuch mit ihm zu reden war deutlich nach hinten losgegangen. Ich traute mich nicht mehr auch nur ein weiteres Wort zu sprechen. Wir schwiegen uns an.
Nach einer Weile schaute ich verstohlen zu ihm rüber und hielt ihm meine rechte Hand offen entgegen. Er reichte mir den Joint und ich nahm ein paar vorsichtige Züge, hatte seit ich siebzehn oder achtzehn war nicht mehr gekifft. Meine Lider senkten sich und das Licht der Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite begann zu flirren. Ich nahm noch einen tieferen Zug, verlor das Gleichgewicht und rutschte an der Mauer entlang zur Seite. Ich stieß gegen seinen Körper und krallte meine freie Hand in seine Jacke, hielt mich an seiner Schulter fest, um nicht zu stürzen und schaffte es gerade so, den Joint nicht aus den Fingern zu verlieren.
»Vorsicht, nicht übertreiben«, sagte er und nahm mir den verbliebenen Stummel ab. »Die Katja, die du kennengelernt hast, das ist nur eine der vielen Rollen, in die sie gerne schlüpft.«
Intelligent, sensibel und empathisch, jetzt erschien mir das doch völlig zutreffend. Sie hatte schon am ersten Abend im Club, als sie Pavel oral bedient hatte, einen zarten Draht zu mir gefunden und daraufhin eine tragende Rolle in meinem feuchten Traum gespielt. Und vor ein paar Tagen in der WG, nachdem June mich gefesselt hatte, da hatte sie all die richtigen Knöpfe an mir gedrückt, bevor sie, Pavel und Meike meinen Traum nachspielten.
Vic zog noch einmal tief, dann schnippte er den Stummel auf die Straße. Er hielt den Rauch lange, bevor er langgezogen ausatmete.
»Wir lieben uns, das ist nicht das Problem«, sagte er, als würde er es sowohl mir als auch sich selbst erklären. »Ich habe einfach Schwierigkeiten damit, Menschen in mein Leben zu lassen.«
Nach alldem, was er damals nach dem Tod seiner Familie durchgemacht haben musste, überraschte mich das nicht.
»Ich rede zu viel«, sagte er und räusperte sich. »Lass uns rein gehen.«
Er ging an mir vorbei in Richtung der Kneipe. Ich griff nach seiner Hand und hielt ihn zurück.
»Du kannst darüber nicht zu viel reden«, sagte ich nachdrücklich.
Wir kannten uns nicht. Trotzdem hatte ich es nicht nur Meike, sondern auch ihm zu verdanken, dass ich heute hier war und dass es mir gut ging, dass ich nicht noch tiefer in meine Depression abgeglitten war, und ich hätte ihm nur zu gerne aus seinem dunklen, kalten Loch geholfen.
»Okay, ein andermal vielleicht«, sagte er.
Er nickte schmal lächelnd, dann zog er mich an der Hand zurück ins Pretty in Pink.
*
Als wir wieder in die Kneipe kamen, saßen die drei eng beieinander auf der Bank und hatten die Köpfe zusammengesteckt. Sie schauten sich irgendetwas auf Meikes Macbook an, das sie offenbar mitgebracht hatte. Als Meike bemerkte, dass wir zurück waren, schreckte sie auf und klappte reflexartig den Deckel zu. Die drei wirkten ertappt.
»Na, was habt ihr da draußen getrieben?«, fragte Meike, als wolle sie die Situation überspielen.
»Zum Ficken ging‘s zu schnell, meinst du nicht?«, fragte er und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
Er zwinkerte mir zu. Das Gras aus Vics Joint wirkte noch. Ich schaute kichernd nach unten, dann rutschte ich zurück auf die Bank und setzte mich wieder neben Katja. Vor mir standen zwei Tequila mit Zitrone und ein Salzstreuer. Ich schaute zu Meike, die mir gegenüber saß.
»Prost«, sagte sie grinsend, »Vic will ja nicht.«
Ich erinnerte mich genau. Mit zwei doppelten Tequila hatte sie mich an diesem speziellen Abend – an dem meine Geschichte in Berlin kurz vor ihrem vermeintlichen Ende nochmal richtig Fahrt aufgenommen hatte – deutlich aufgelockert. Mein Blick fiel auf die Theke, an der Meike und ich gestanden hatten, dann etwas weiter nach rechts in den Korridor zu den Toiletten und zum Clubraum, der heute geschlossen war. Kurz überlegte ich, was hätte passieren können, wären es drei Doppelte gewesen.
Zwei Einzelne machten einen Doppelten, dachte ich, als mein Blick wieder auf die beiden vor mir stehenden Shotgläser fiel. Trotzdem widerstrebte es mir, hier jetzt diese beiden Schnäpse zu trinken. Ich schob ein Glas zu Vic und schaute ihn flehend an.
»Büüüütttteeee«, sagte ich, schlug die Augen auf, schürzte die Lippen und stocherte mit der Zunge deutlich in meiner Wange herum.
Er warf den Kopf zurück und ein ehrliches, schallendes Lachen platzte aus ihm heraus.
»Okay, weil du’s bist«, sagte er, »bringen wir’s hinter uns!«
Wir schauten uns an, wischten, streuten, leckten, exten und bissen zu. Ich hatte seit diesem besonderen Abend im Februar nichts mehr getrunken und ich fühlte mich nach den Zügen an Vics Joint ohnehin schon berauscht, der Alkohol vernebelte mich zusehends. Die Zitronenschale stopfte ich in das leere Shotglas und musste leicht würgen, als sich mein Körper um meinen rebellierenden Magen kurz verkrampfte.
»Sexy«, sagte er feixend.
Ich wusste genau, woran er gerade dachte – vor ein paar Tagen hatte diese Reaktion bei mir noch mit seinem Schwanz ausgelöst – und pikte ihm mit dem Zeigefinger grob in die Seite. Er lachte flach, griff nach meiner Hand und schob sie von sich weg. Dann bemerkte ich Katja, die stumm rechts von mir saß und Kolja und mich mit verkniffener Miene beobachtete. Ich räusperte mich, schaute sie entschuldigend an und legte meine Hände brav auf die Tischplatte.
Plötzlich stützte sie sich auf meinen Schoß und beugte sich zu mir.
»Ich mag dich«, flüsterte sie in mein Ohr, »und er auch.«
Dann setzte sie sich wieder aufrecht hin und schaute mich an. Ein angedeutetes Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht. Ich erwiderte es und meine Augen wurden glasig, als mir die Tragik dieser Beziehung bewusst wurde. Beide wollten so sehr, aber Vic konnte nicht.
»Also, was ich mir für Kolja überlegt habe …«, sagte June und begann, uns in ihren Plan einzuweihen.
Sie wollte switchen, wie sie es nannte, den Spieß herumdrehen und Kolja die Kontrolle über das Geschehen nehmen, das Machtgefälle umkehren. Und um das zu erreichen und gleichzeitig ihre Bedürfnisse zu befriedigen brauchte sie Komplizen. Und dafür hatte sie uns ausgewählt. Je mehr sie uns erzählte, desto interessanter wurde es, schien es doch genau das Richtige zu sein, um mich vom Grübeln über die gemeinsame Zukunft mit Meike vorerst abzulenken.
Wir hörten ihr zu und brachten Ideen ein, die mit jeder weiteren Runde Tequila zunehmend frivoler wurden.
*
Es war schon nach ein Uhr, als wir zurück nach Hause kamen. Meike nahm zwei Gläser und eine große Flasche Wasser und setzte sich an den Küchentisch. Ich nahm ihr gegenüber Platz.
»Bin ganz schön beschwipst«, sagte ich.
»Ich auch«, sagte Meike, schenkte Wasser in die beiden Gläser ein und schob mir eins davon entgegen.
»Trink das besser«, sagte sie.
»Ist ohne Sprudel«, presste sie gerade noch hervor, bevor ihr ein gewaltiger Rülpser entglitt.
»Upsi …«, sagte sie, machte eine entschuldigende Geste und trank einen großen Schluck.
Ich fühlte mich nach dem versauten Brainstorming im Pretty in Pink aufgekratzt, und ich war geil auf sie.
»Willst du mich ficken?«, fragte ich sie ohne weitere Umschweife.
Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sie auf dem kürzesten Wege über den Tisch kletterte und rücksichtslos über mich herfiel.
»Su dafür sind wa ziel vu betrunken«, stammelte sie stattdessen.
Ihre Augen fielen zu, sie schien deutlich abzubauen und auch ich spürte meine Kräfte langsam schwinden. Dann schreckte sie plötzlich auf.
»Warte, schau dir das an, das gefällt dir bestimmt«, sagte sie.
Sie legte die Tasche ab, die bis jetzt an ihrer Schulter gehangen hatte, zog ihr Macbook heraus und klappte es auf. Einen Moment lang tippte sie darauf herum. Dann richtete sie sich ruckartig auf. Der Stuhl fiel hinter ihr scheppernd auf den Boden. Nachbar Mielkes Reaktion in Form seines eine Etage weiter oben stampfenden Fußes ließ nicht lange auf sich warten. Er schien sich geradezu nach diesen Situationen zu sehnen, um sich bemerkbar zu machen.
Meike rollte mit den Augen und ging um den Küchentisch herum.
»Darf ich zu dir kommen?«, fragte sie.
»Liebend gerne«, sagte ich und rückte mit dem Stuhl etwas zurück.
Sie setzte sich auf meinen Schoß, beugte sich über die Tischplatte und drehte ihr Macbook zu uns herum. Das Display war bis auf einen Play-Button unten links dunkel.
»Ich hoffe es gefällt dir. Und ich hoffe noch mehr, dass ich damit keinen Fehler gemacht hab«, sagte sie, deutlich bemüht, sich klar auszudrücken. Sie küsste meine Schläfe, dann tippte sie auf das Touchpad. Das Display hellte sich etwas auf und eine Fortschrittsanzeige wurde eingeblendet. ›00:00 / 15:28‹, stand in der Ecke unten rechts.
Das Video begann dunkel und verwaschen. Es dauerte trotzdem nur ein paar Sekunden, bis ich die Szene trotz der abweichenden Perspektive erkannte. Die sich leicht bewegende, wohl von einer Person geführte Kamera, war schräg nach unten auf einen großen Gitterkorb gerichtet. Kurz darauf trat eine Frau ins Bild. Sie trug einen Rucksack und hatte ihr dunkles Haar, langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Einen Moment lang blieb sie dort stehen, ihre Körpersprache wirkte ängstlich. Dann legte sie ihren Rucksack ab, beugte sich herab und kramte darin herum. Sie machte sich an ihren Ohren zu schaffen, danach legte sie sich eine Augenbinde an und verknotete sie an ihrem Hinterkopf. Erneut hielt sie für einen Augenblick inne, dann führte sie die Arme hinter ihren Rücken.
Ich erinnerte mich genau an diesen Moment, als ich die mit Vorhängeschlössern gesicherten Handgelenkmanschetten hinter meinem Rücken aneinander fixiert hatte und plötzlich mit verbundenen Augen, meines Hörsinns beraubt und gefesselt im Lastenfahrstuhl in dieser verlassenen Fabrikhalle stand. Meike musste das alles gefilmt haben.
Wie damals, richteten sich in diesem Moment die Härchen in meinem Nacken auf, meine Nippel versteiften sich und das dumpfe Ziehen stellte sich ein. Kurz darauf trat Vic ins Bild und blieb unmittelbar hinter mir stehen. Dann bewegte sich der Gitterkorb in dem wir beide standen langsam nach oben. Mein überraschter Schrei in dem Moment, in dem er mich von hinten gepackt hatte, war nicht zu hören, das Video hatte scheinbar keinen Ton.
Ich atmete flach, mein Blick klebte am Bildschirm und ich durchlebte all das noch ein zweites mal. Meike kraulte schwer atmend meinen Nacken und schien das Geschehen auf dem Bildschirm ebenso gebannt zu verfolgen. Kurz darauf kniete ich in Vics Loft und er war gerade dabei, meine Hände hinter meinem Rücken in der Verankerung im Boden zu fixieren.
Die Kamera wackelte, dann fing sie die Szene starr ein. Meike schien sie auf ein Stativ montiert zu haben. Kurz darauf kam sie von der rechten Seite ins Bild, schaute mich durch das Display an und formte mit beiden Händen ein Herz vor ihrem nackten Oberkörper.
»I love you«, hauchte sie mir beinahe lippensynchron ins Ohr.
Auf dem Bildschirm gesellte sie sich zu Vic. Ich schaute den beiden noch einen Moment lang zu, wie sie mir mir spielten, mich zunächst immer nur mit höchstens zwei Händen gleichzeitig berührten und sichtlich Spaß daran hatten, den Moment an dem ich bemerken musste, dass sie zu zweit waren herauszuzögern.
Ich drehte mich zu Meike, schloss sie in meine Arme und küsste sie heftig. Sie schob mir ihre Zunge entgegen und ich umschloss sie mit meinen Lippen, saugte an ihr, so wie ich es mit Vics Schwanz getan hatte. Aufeinander sitzend und tief schnaufend verschlangen wir einander und rauften uns gegenseitig die Haare.
Irgendwann löste ich mich. Den Rest des Videos hatten wir verpasst. Das letzte Standbild zeigte Meike und mich, wie sie gerade auf meinem Schoß saß und meinen Kopf mit beiden Händen hielt.
»Wie, ich meine was«, stammelte ich, »ich meine wo kommt das her?«
»Hab’s mit Vics Kamera gefilmt«, antwortete sie. »Er hat’s nun endlich hochgeladen.«
Ich spürte, wie sich meine müden Augen weit öffneten. Er hatte es hochgeladen? Ins Internet?
»Keine Angst, Schatz. Es liegt hinter einem Passwort«, sagte sie.
Ich atmete durch. Dann schaute ich nochmal auf den Bildschirm. Die Szene war dunkel, die Kamera weit entfernt, ich trug eine Augenbinde und das Video hatte keinen Ton. Ich war praktisch nicht zu erkennen.
»Kannst du’s freischalten?«, fragte ich übermütig.
Meike schaute verblüfft.
»Sicher?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage und ihre Augen fielen wieder zu.
Ich nickte.
»Okay dann musst du dir aber ein Titel überlegen dass auch jemand kuckt«, erklärte sie.
›Wie ich alles riskierte und noch mehr gewann‹, ging es mir durch den Kopf. Dann besann ich mich auf den Inhalt des Videos und die Thematik der Plattform, auf die es hochgeladen war.
»Erzieherin aus Konstanz reist nach Berlin und lässt sich benutzen«, sagte ich, ohne lange darüber nachzudenken.
Meike schaute mich kurz überrascht an. Dann klickte und tippte sie eine Weile auf ihrem Macbook herum und klappte es zu. Ich nahm endlich einen Schluck Wasser.
»Lass uns schlafn gehn, Zähne könn wir morgn drei ma putzn«, lallte sie mittlerweile regelrecht.
Ich war nun auch am Ende meiner Reserven. Wankend richtete sie sich von meinem Schoß auf und zog mich an der Hand hinter sich her. Dass meine Beine bereits im Tiefschlaf waren, nachdem Meike wohl beinahe zwanzig Minuten lang auf meinem Schoß gesessen hatte, bemerkte ich erst, als ich hinter ihr hilflos vom Küchenstuhl herunterglitt. Kurz darauf wurde es um mich dunkel.
*
Starke, pochende Kopfschmerzen waren meine erste Wahrnehmung, als ich wenige Stunden später erwachte. Es wurde langsam hell. Meike und ich lagen voll bekleidet und eng umschlungen in der Wohnküche auf dem gefliesten Boden. Ich brauchte etwas Zeit, um mich zu orientieren. Dann kamen die Erinnerungen an die vergangene Nacht bruchstückhaft zurück. Das Video, ich hatte Meike in meiner Erregung, in meinem Rausch darum gebeten, es öffentlich zu schalten, ich musste das unbedingt rückgängig machen!
Ich richtete mich langsam auf und rüttelte an Meike herum, doch sie reagierte nicht. Ich kletterte auf den Stuhl und klappte ihr Macbook auf. Eine Passwortabfrage erwartete mich. Ich schaute nach unten zu Meike. Laut schnarchend lag sie auf dem harten Küchenboden. Ich musste dieses Video unbedingt und schnellstmöglich auf privat schalten.
Wie damals, als ich Marks Handy entsperrte, während er es in unserem Schlafzimmer mit Andrea trieb, tippte ich zuerst mein Geburtsdatum ein. Fehlanzeige.
Intuitiv tippte ich als zweiten Versuch ›Susann‹ in das Passwortfeld. Der Desktop wurde angezeigt und ich sah diesen einen Moment aus dem Video vor meinem geistigen Auge, als Meike ins Bild trat und ein Herz mit ihren Händen formte. ›I love you too‹, dachte ich und schaute sie an, wie sie noch immer schnarchend auf dem Boden lag.
Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Macbook und öffnete den Safari-Browser. An der obersten Stelle in den Lesezeichen fand ich den Link. Kurz darauf öffnete sich die Seite mit dem Video. Meine Hoffnung, dass der Film noch keine große Beachtung gefunden haben würde, bestätigte sich nicht. In den paar Stunden waren 2079 Views, zwölf Likes und zwei Kommentare zusammen gekommen.
Mehr als zweitausend Menschen, die sich das bisher angeschaut hatten. Hektisch suchte ich mich durch die Menüs, bis ich die Privatsphäreeinstellungen fand. ›1810‹ tippte ich in das Passwortfeld für das Video. Dann schaute ich es mir noch einmal vollständig an.
Als es zu Ende war starrte ich noch eine Weile auf das letzte Bild, sah wieder Meike, die nackt auf meinem Schoß saß und meinen Kopf hielt. Kurz darauf hatte sie mir die Stöpsel aus den Ohren gezogen und geflüstert, dass sie mich vermisst hatte.
Ich verließ die Vollansicht und klickte auf den Link zu den beiden Kommentaren.
ATM96: »geil geil meine freundin und ich feiern dich«
b1gc0ck4u: »bad light no sound fuck u bitch«
Ich musste lachen, vielleicht hatte ich das Schlimmste gerade noch verhindern können. Ich hoffte einfach, dass mich niemand auf dem Video erkannt hatte.
Für den gerade angebrochenen Tag waren wir beide zu nichts zu gebrauchen und auch die beiden nächsten Tage plätscherten so dahin. Wir fieberten mit zunehmender Spannung der Verabredung für Montagabend in Vics Loft entgegen.
*
Als Meike und ich Montagnachmittag an Vics Domizil ankamen, holte er uns unten an der Türe ab und wir fuhren mit dem Lastenaufzug nach oben. Katja war bereits da. Sie saß auf dem großen Ledersessel, hatte ihre nackten Füße auf der Sitzfläche aufgestellt. Meike und ich machten es uns auf dem Sofa bequem, Vic setzte sich zu Katja auf den Sessel und legte einen Arm um sie. Sie wirkten absolut vertraut miteinander.
Wie vergangenen Donnerstag war sie auch heute wieder unscheinbar gekleidet. Statt der Beanie-Mütze präsentierte sie sich mit einem dunkelbraunen, kurzen Pixie Cut. Katja schaute mich aus ihrem natürlichen, ungeschminkten Gesicht sanft lächelnd an. Die Typveränderung war absolut verblüffend und mich beschlich das Gefühl, dass ich mich, als ich sie damals im Pretty in Pink auf Anfang zwanzig geschätzt hatte, schwer getäuscht haben könnte.
»Wäre bis jetzt jede Wette eingegangen, dass du bis vor kurzem noch die Schulbank gedrückt hast«, sagte ich.
Ihr sanftes Lächeln wandelte sich in ein deutliches Grinsen.
»Was pinke Zöpfchen, Makeup und ein Schulmädchenkostüm aus dem Fetisch-Laden aus einem Menschen machen können …«, sagte sie und lachte.
»… und ein Boob-Job«, sagte Vic und schmunzelte.
»Gemeiner Kerl!«, rief Katja und knuffte ihn in die Seite.
Eigentlich war ihr Alter für mich völlig unbedeutend, ich wollte es jetzt trotzdem wissen.
»Abi 2005«, sagte ich, um die plumpe, direkte Frage zu vermeiden.
»Bei meiner Abifeier machten die Jungs lange Gesichter, weil sie Deutschland im Finale hier in Berlin erwartet hatten«, sagte sie und rollte mit den Augen.
Mit gemeiner Schadenfreude erinnerte ich mich an Marks bittere Tränen, damals im Sommer 2006 nach dem Fußballspiel gegen Italien. Ich hatte mich bei Katjas Alter wirklich deutlich verschätzt.
»Der Pixie-Schnitt steht dir total gut«, sagte ich, um auf ein anderes Thema zu kommen.
»Danke«, antwortete sie.
»Die Farbe war langsam rausgewachsen und ich konnte das Pink eh nicht mehr sehen. Außerdem trägt sich die Maske mit den kurzen Haaren angenehmer«, sagte sie und zwinkerte mir zu. Dann schaute sie zu Vic. Der atmete ein mal tief schnaufend ein und aus, dann richtete er sich auf.
»Na gut, dann krame ich mal das ganze Zeug zusammen«, sagte er und verschwand in seinem vom Loft mit einem Sichtschutz abgetrennten Schlafbereich.
»Zieht ihr euch um? Ich lass mich währenddessen von Vic vorbereiten. Kolja und June sollten in einer Stunde hier sein«, sagte Katja und verschwand ebenfalls in Vics Gemach.
*
Wie vereinbart schrieb June mir eine Nachricht, als sie die Halle erreicht hatten. Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten und holte die beiden am Eingangstor ab.
»Hallo Susann«, sagte June, als sie gefolgt von Kolja in den Korridor trat. »Wow, du siehst atemberaubend aus.«
Ich trug das schwarze Cocktailkleid und darunter die neue Unterwäsche, Ralfs Gegenleistung dafür, dass ich mich in der Anprobekabine für ihn ausgezogen hatte. Das ärmellose Kleid fiel mir locker um die Hüfte und endete knapp über meinen Knien. Oberhalb des leicht betonten Dekolletés ging es in durchscheinende Spitze über, die sich in zwei breiten Trägern über die Schultern erstreckte. Ich hatte dezentes Makeup aufgelegt und die Haare hochgesteckt.
»Aber wir sollten noch ein schönes Paar Schuhe für dich besorgen«, sagte sie.
Ich hatte keinen besonderen Sinn für Schuhe, mochte es einfach und bequem. Meine Sneaker hätten das Outfit zerstört, daher war ich barfuß geblieben, Meike hatte mir die Zehennägel schwarz lackiert.
Als wir den Aufzug erreicht hatten, zog June ihren schwarzen Mantel aus und reichte ihn Kolja. Sie trug ein weißes Chiffonkleid mit V-Ausschnitt und Spaghettiträgern, weiße Seidenstrümpfe, ihr rotes Halstuch und farblich dazu passende Stilettos. Die Haare hatte sie heute wieder zu einem Pferdeschwanz gebunden. Kolja war wie immer sportlich gekleidet. Die Ärmel seines körperbetonten Longsleeve-Shirts hatte er bis über die Ellbogen hochgeschoben.
Als wir in der oberen Etage aus dem Aufzug ausstiegen, nahm ich Kolja den Mantel ab und hängte ihn an einen der Nägel, die an die Innenwand des Lofts eingeschlagen waren und als Garderobe dienten.
Meike saß in ihrem dunklen Faltenrock und der hellen, fließenden Bluse auf der Armlehne des Sofas.
»Hallo ihr zwei«, begrüßte sie June und Kolja und klopfte mit der Hand auf die Sitzfläche links von ihr. »Kommt und setzt euch.«
Wir gingen zu ihr rüber. Kolja setzte sich neben Meike, June nahm links von ihm in der Mitte des Sofas Platz. Ich ging um das Sitzmöbel herum, beugte mich über die Rückenlehne und begann, seine breiten Schultern zu massieren. Meike legte ihre linke Hand auf seinen rechten Oberschenkel und streichelte ihn sanft.
»Wir wollen dich heute mal so richtig verwöhnen«, sagte June und kraulte seinen Kopf. »Mal sehen, was uns da so alles einfällt.«
Er schaute verblüfft zwischen uns hin und her. Tatsächlich hatten wir einige Details schon vorher abgesprochen. Was als nächstes passierte, war auch für mich überraschend.
Vic kam aus dem abgetrennten Schlafbereich heraus. Dass er sich nicht umgezogen hatte und noch immer Bluejeans, das dunkle Hemd und die Haare offen trug, war keine Überraschung. Katjas Erscheinung allerdings schon. Sie trug eine Maske aus schwarz glänzendem Latex, die ihren Kopf komplett umschloss und nur um die Augen und den Mund kreisrund ausgeschnitten war. Ihre Gesichtszüge waren unter dem enganliegenden Material nicht zu erkennen.
Mit langen, weit über die Ellbogen und Knie reichenden, ebenfalls schwarz glänzenden Handschuhen und Strümpfen, kroch sie auf allen Vieren neben ihm zu uns herüber. An ihrem beringten Lederhalsband hing eine Leine, die Vic in seiner rechten Hand hielt. Von der Maske, den Strümpfen und Handschuhen und dem Halsband abgesehen, schien sie völlig nackt zu sein.
Die beiden kamen langsam zu uns herüber. Vic hakte die Leine aus dem Ring aus, gab ihr einen Klaps auf ihren bleichen, straffen Hintern und setzte sich in den Sessel. Katja kroch zu Kolja und schaute unterwürfig zu ihm auf. Zaghaft legte sie ihre unter dem schwarz glänzenden Latex verhüllten Hände auf die Innenseiten seiner Knie. Er bewegte seine Beine etwas auseinander, sie rutschte bis an die Sofakante an ihn heran und verschränkte die Arme hinter ihrem Rü
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Mr Zebra
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@KinkyM0nkey: Wieder einmal danke für das Feedback. Ich hatte befürchtet, dass die erste Hälfte zu langatmig geworden sein könnte.«
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