The Road To The Championship -1-
von HG1
„Kommt mal alle zusammen“, hörte ich die Stimme unserer Trainerin Irene. Ich schoss den Ball ins Tor, dann wendete ich meinen Elektrorollstuhl und steuerte zum Eingang, wo Irene stand.
„Willkommen zurück. Wir halten uns nicht mit Ferienerzählungen auf, sondern starten gleich mit dem Training. In etwas mehr als einem Monat steht das vierte internationale E-Hockeyturnier bei den Silver Tigers auf dem Programm.“
„Hurensöhne Silver Tigers!“, rief Sylvain, mein Sturmpartner, dazwischen. Die Mannschaft lachte.
„Wir spielen in denselben Teams wie bisher. Einen kleinen Unterschied gibt es allerdings. Wir haben eine neue Mitspielerin. Jeanne.“
Ich zuckte zusammen. Jeanne. So hiess die französische Nationalheldin. Ich nickte der Neuen zu und erntete ein breites Lächeln, das ich sofort erwiderte.
„Hast du mir zugehört, Philip?“
„I-Ich … ähm … nein.“ Da hatte ich mir einen schönen Fauxpass erlaubt.
„In die Ecken der Halle verteilen und dann mit dem Sturmpartner auf das gegenüberliegende Tor losziehen, dabei drei Pässe wechseln und daraufhin den Ball versenken.“
Ich konzentrierte mich auf die Übung, als ich neben mir eine Bewegung gewahrte.
„Hallo, sind wir Partner?“ Es war Jeanne, die mich fragte.
„Gerne. Bist du lieber links oder rechts?“
„Dürfte ich erst erfahren, wie du heisst, Mister Namenlos?“
„Philip. Aber die Trainerin hat doch vorhin meinen Namen gesagt.“
„Ja? Ach, das habe ich wohl nicht mitbekommen.“
Ich schüttelte den Kopf, dann musste ich auch schon auf dem Posten sein, denn mich erreichte ein scharf geschlagener Pass. Mit etwas Glück brachte ich den weissen Ball unter Kontrolle und schickte Jeanne sofort steil. Ohne zu schauen spielte sie den zurück, genau auf meine Kelle. Der dritte Pass war erfolgt, ich hätte schiessen können, setzte stattdessen aber zu einem Dribbling an. So zog ich nicht nur den Verteidiger zu mir, auch die Torhüterin musste sich verschieben. So fand Jeanne, als ich den Ball zu ihr zurückgespielt hatte, ein leeres Tor vor, in das sie das Rund souverän versenkte. Für diesen Spielzug ernteten wir Applaus
So ging es die nächsten Minuten weiter. Ich tat mich als Vorbereiter hervor, während Jeanne scorte. Technisch war sie sehr stark, ihre Pässe, egal ob fore- oder backhand, kamen stets genau und die Bälle schlug sie elegant ins Netz. Aber was hatte sie taktisch drauf? Wie gut verstand sie das Dreieckspiel? Das abschliessende Trainingsspiel würde es zeigen.
Unsere beiden Mannschaften neutralisierten sich grösstenteils, zu gut kannten wir uns. Weder Sylvain mit seinen Weitschüssen noch ich mit meinen Flügelläufen vermochten die Entscheidung herbeiführen. Ausser einigen kernigen Checks gegen Manuel und Bastian, die beiden Aggressiv-Leader des anderen Teams, war nichts drin. Jeanne liess einige Male ihre technischen Fähigkeiten aufblitzen, aber sah die freien Mitspieler zu selten und in der Verteidigung haperte es am Schliessen der Torecken.
Kurz vor Schluss eroberte ich in unserer rechten Ecke den Ball, Sylvain blockte geschickt einen gegnerischen Spieler aus, sodass ich alleine auf den letzten Verteidiger losziehen konnte. Lässig zog ich an ihm vorbei, passte backhand zur Mitte, dort befand sich Sylvain und machte das Tor.
Unser Team kam kurz zu einer Besprechung zusammen. Wir waren über weite Strecken zufrieden mit dem Spiel, nur an Jeanne mussten wir etwas Kritik üben. Sie nickte verständnisvoll.
„Ja, bei euch kann ich schon noch etwas lernen. Gebt mir etwas Zeit.“
„Klar. Du musst dich erst einfinden, an unser Spiel gewöhnen“, sagte ich.
„Schaut, schaut, da spricht wieder der Captain aus Philip“, sagte Sabrina, die vierte Stürmerin unserer Mannschaft, und klopfte mir auf die Schultern.
„Jaja, der Captain“, seufzte Sylvain. „Ein ganz Krasser.“
„Ihr verarscht mich nicht, nein, nein.“
„Das käme uns nie in den Sinn“, sagte Sabrina kopfschüttelnd. „Der Captain ist eine Respektsperson für uns.“
„Absolut“, stimmte Sylvain zu.
Ich rollte gespielt genervt die Augen. „Ach, ihr seid alle behindert.“
„Du etwa nicht?“
„Anders. Mehr körperlich. Nicht so im Kopf wie ihr. Leider muss ich gehen, eine eigene Wohnung bedeutet weniger Flexibilität. Kommst du auch aufs Tram, Sabrina?“
„Nein, ich gehe erst später. Schönen Abend und bis zum nächste Training.“
Auf dem Weg nach draussen traf ich auf Anna, eine der zwei Torhüterinnen und die Freundin meines Wohnkollegen.
„Richtest du meinem Schatz einen Gruss aus?“
„Klar, mach ich.“
Ich steuerte aus der Turnhalle und wollte mich bereits in Richtung Stadt aufmachen, als Jeanne neben mich fuhr.
„Hast du morgen Abend bereits etwas vor?“, fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln. Ihre blonden Haare leuchteten in der Abendsonne.
„Hmmm … lass mich überlegen. Ein Eis essen gehen mit dir.“
„He! Das wollte ich vorschlagen.“
„Dann mach’s.“
„Gehen wir morgen ein Eis essen?“
„Ist gebongt. So, jetzt muss ich aber los, sonst wartet die Spitex auf mich. Bis morgen.“
Jeanne liess mir zum Abschied einen Handkuss zukommen.
„Und, wie ist’s gelaufen?“ Markus, mein Wohnkollege, rollte mir entgegen, als ich zur Wohnungstür hereinkam. Im Gegensatz zu mir sass er in einem Handrollstuhl und war absolut selbständig.
„Nicht schlecht. Wir haben eine neue Mitspielerin. Jeanne.“ Markus grinste, auch ihm war der Name ein Begriff – ich hatte während der Ausbildung einmal einen Vortrag über die französische Nationalheldin gehalten. „Sie scheint eine echte Verstärkung zu sein. Und sie ist hübsch.“
„Dann musst du darauf achten, dass nicht alle ihr nachschauen.“
„Das kann auch eine Taktik sein. Jeanne zu einer Flirtattacke auf die gegnerischen Spieler loslassen, so dass wir freie Bahn haben“, grinste ich.
Es läutete. Ein Druck auf den Knopf an der Wand und die Wohnungstür glitt auf. Der bekannte Herr Drehker trat ein, gefolgt von einer jungen Frau. Auf den ersten Blick schätzte ich sie auf Mitte zwanzig.
„Das ist Angelina Bauer. Sie kommt morgen zu Ihnen.“
Ich musterte sie unauffällig. Es wäre sehr schlecht, gleich in ihrem ersten Einsatz als Lüstling eingestuft zu werden. Heute musste ein Glückstag sein, denn auch Frau Bauer war hübsch. Sehr hübsch sogar. Ihre Haare waren in verschiedene Hellbrauntöne gefärbt, in der Nase steckte ein unauffälliges Piercing. Sofort fiel mir aber die reine Haut auf. Frau Bauer schien sich hervorragend zu pflegen.
„Wie ist das Training gelaufen, Herr Segesser?“
Ich schaute den Pfleger schräg an. Genau, ich hatte ihm ja davon erzählt. „Gut. Jetzt hängen wir uns so richtig rein, schliesslich wollen wir am internationalen Turnier in Zürich etwas reissen.
„Sie machen Sport?“
„Jep. Elektrorollstuhlunihockey, kurz E-Hockey. Es wird mit gewöhnlichen Unihockeyschlägern gespielt, aber anstatt zu rennen, fahren wir.“
„Können denn alle den Schläger halten?“
„Einige schon. Bei mir und einigen anderen wird der Stock mit einem Verband am Arm festgebunden. Bei anderen ist das nicht möglich. Die haben einen speziellen, T-förmigen Schläger, der am Rollstuhl montiert wird.“
„Wir müssen leider vorwärts machen, sonst kommen wir mit der geplanten Zeit nicht durch“, unterbrach Herr Drehker unser Gespräch.
Ich steuerte ins Badezimmer, wo ich den Rollstuhl neben das Klo stellte. Der Pfleger öffnete meine Hosen und zog sie runter, während ich mich auf den Armlehnen nach oben stemmte. Normalerweise hatte ich keine Hemmungen, aber mit einer so jungen und so hübschen Frau im Raum war es mir doch etwas unangenehm.
Die Notdurft konnte ich ohne Hilfe verrichten – im Gegensatz zu anderen, die ich kannte. Darüber war ich äusserst froh. Nicht einmal zum Putzen benötigte ich Hilfe, das erledigte die WC-Schüssel, in die ein Arm eingebaut war, der auf Knopfdruck hervorkam und Wasser nach oben spritzte.
In die Badewanne steigen ging nicht selber. Zu diesem Zweck war eine Art höhenverstellbarer Sessel eingebaut. Wollte ich rein oder raus, konnte ich ihn nach oben lassen und bequem transferieren.
Während ich in der Wanne lag und Herr Drehker mich wusch, fragte mich die junge Pflegerin weiter aus.
„Wissen Sie, ich habe selber einmal Unihockey gespielt, darum interessiert mich das so. Gibt es spezielle Regeln?“
Ich überlegte kurz. „Das aussergewöhnlichste sind vielleicht die Tore. Sie sind nur zwanzig Zentimeter hoch, dafür fast zweieinhalb Meter breit. Zudem darf der Ball nicht höher als zwanzig Zentimeter gespielt werden.“
„Und mitmachen kann jeder?“
„Nein. Spielberechtigt ist, wer im Alltag auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist. Teilweise gibt es da natürlich Grenzfälle. Wir haben eine Spielerin im Team, die eine stark verkrümmte Wirbelsäule hat. Sie kann stehen und auch laufen, für weitere Strecken ist sie allerdings auf den Rollstuhl angewiesen. Wegen ihrem Rücken kann sie aber mit einem Handrollstuhl kaum umgehen. Sie benötigt einen Elektrorollstuhl, auch wenn sie gehen kann.“
Frau Bauer nickte. „Und wie viele seid ihr?“
„Mittlerweile fünfzehn, aufgeteilt in zwei Mannschaften.“
Herr Drehker hatte mich fertig gewaschen, jetzt ging’s ans Transferieren. Noch nass und ohne Kleider war dies nicht nur ein Kraftakt sondern auch gefährlich. Der Pfleger wusste jedoch genau, was tun. Zum Trocknen und Anziehen legte ich mich aufs Bett. Ich drehte mich hin und her und schon war ich angezogen. Meine schulterlangen braunen Haare liess ich offen.
„Dann bis morgen. Sieben Uhr, richtig?“
„Ja, richtig.“
Ich schaute Frau Bauer zu, wie sie den Spitex-Schurz auszog. Hoffentlich trug sie den nicht immer, denn es kam ein hübscher Arsch in weissen Hosen zum Vorschein.
„Bis morgen.“
„Bis morgen, einen schönen Abend Frau Bauer.“
Ich wartete, bis die Tür sich geschlossen hatte, ehe ich an Markus gewandt meinte: „Wenn es bei der Spitex noch mehr solch hübsche Frauen gibt, leben wir hier im Paradies. Übrigens: Ich muss dir noch einen Gruss von Anna ausrichten.“
„Danke. Freundin in Ehren, aber zwischendurch eine hübsche Pflegerin beaugapfeln ist auch nicht ohne.“
„Meine Meinung. Mit der sollte man was anfangen können. Leider sehe ich ziemlich schwarz, sie scheint ziemlich korrekt zu sein. Und korrekt heisst: Sich abgrenzen.“
In der Nacht konnte ich kaum schlafen. Mir geisterte das E-Hockey im Kopf herum. Ich freute mich ungeheuerlich auf das internationale Turnier bei den Silver Tigers. Jeanne hatte mich ziemlich überzeugt. Bilder, wie sie mit dem Ball umging, schossen vor meinem geistigen Auge durch. Mit ihr würden wir bestimmt noch stärker sein.
Aber warum hatte sie ausgerechnet mich gefragt um ein Eis essen zu gehen? Im Heim, wo die meisten des Clubs wohnten und ihre Ausbildung absolvierten, gab es doch genug andere.
Gleichzeitig dachte ich an den kommenden Morgen. Hoffentlich hatte Frau Bauer wieder weisse Hosen an. Diesmal würde ich achten, ob etwas durchschimmerte. Mein Glied erhob sich. Wenn mir das nur nicht während der Pflege passiert.
Ich war schon lange wach, als Frau Bauer in die Wohnung kam.
„Guten Tag Herr Segesser. Hatten Sie eine angenehme Nacht?
„Als ich dann endlich geschlafen hatte schon, danke. Wenn es ihnen recht ist, können wir uns gerne duzen. Ist mir angenehmer, die Pflegepersonen zu duzen.“
„Klar, ist mir auch lieber. Meinen Vornamen weißt du ja schon. Jetzt musst du mir einfach sagen, was zu tun ist.“
„Als erstes die Pyjamahosen ausziehen und intim waschen.“
Ich drehte mich zur Seite und Angelina zog mir die Hosen aus. Anschliessend ging sie flotten Schrittes hinaus ins Badezimmer um das Waschbecken zu holen. Kurz hatte ich Zeit um zu bedauern, dass der Schurz auch heute nicht fehlte.
Sie nahm zwei Pflegehandschuhe aus dem Nachttischchen und machte sich dann an die Arbeit. Sie spreizte meine Beine und wusch die Leisten. Mein bestes Stück war als nächstes dran. Mit aller Macht versuchte ich an etwas anderes zu denken als an Angelinas hübsche Hände an meiner Männlichkeit. Allerhand hässliche Frauen mussten herhalten, aber ganz half es nicht. Ich wünschte mich ganz weit weg oder zumindest in ein Mausloch. Zu allem Übel zog Angelina die Vorhaut nach hinten um die Eichel zu waschen. Mein Glied befand sich etwa auf Halbmast, mein Gesicht wurde heiss. Angelina liess sich aber nicht anmerken. Ohne eine Bemerkung wusch sie mich fertig. Als ich endlich die Hosen anhatte, war ich überglücklich.
Den Rest erledigten wir im Badezimmer. Mit dem Lappen fuhr sie über meinen Oberkörper, spritzte Deo unter die Arme und half mir beim Anziehen des Hemds. Nachdem Angelina mir die Tablette gegeben hatte, verabschiedete sie sich – ohne den Schurz auszuziehen.
Markus kam aus dem zweiten Badezimmer. Gemeinsam tranken wir am Wohnzimmertisch unsere Schokoladen.
„Was läuft heute?“, fragte er.
„Ich gehe mit Jeanne ein Eis essen und zeige ihr bei Gelegenheit auch gerade noch die Stadt.“
Markus grinste mich an. „Ich sehe, du hast bereits die Fühler ausgestreckt.“
Ich hob abwehrend die Hände. „Ich bin da unschuldig, sie hat mich gefragt.“
„Vielleicht steht sie auf Captains.“ Ich rollte die Augen.
Ich war fünf Minuten zu früh, aber Jeanne wartete bereits. Sie trug ihr blondes Haar offen.
„Hallo“, sagte sie schüchtern.
„Du bist aber früh“, meinte ich.
„Ich hatte nichts Besseres zu tun, da dachte ich, gehe ich die Stadt etwas auskundschaften.“
„Schade, ich hatte mir gedacht, ich könne dich herumführen, aber das war dann wohl nichts.“
„Doch, doch, weit habe ich mich nicht getraut. Mit meinem Orientierungssinn steht’s nicht zum Besten.“
„Dann folge mir.“
Schnell wandte ich den Rollstuhl und zischte los. Ich wollte Jeanne herausfordern, mal schauen, ob sie mit meinem Tempo mithalten konnte.
„Versuchst du mich abzuhängen?“ Ihre Stimme kam von rechts. Einen Moment später zog sie an mir vorbei und raste dafür fast in einen Passanten.
Die Schmach, nicht Erster zu sein, konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, so jagte ich Jeanne hinterher, wich geschickt den Fussgängern aus und nutzte jede Lücke um weiter nach vorne zu kommen. An Jeanne gelangte ich jedoch nicht vorbei, ihr Rollstuhl beschleunigte zu schnell und die Passanten versperrten oft den Weg.
„Ätsch, ich war schneller.“
„Das gibt eine Revanche.“
„Einverstanden. Aber komm, erst zeigst du mir die Stadt.“
Wir brausten unter den Arkaden durch, mieden so gut es ging Pflastersteine – der Horror für Rollstuhlfahrer – und lieferten uns packende Verfolgungsduelle. Als wir wieder am Ausgangspunkt ankamen, hatte ich Jeanne kaum etwas gezeigt und sie hatte auch nie nachgefragt. Aber nun hatten wir so richtig Lust auf ein Eis. Wir wählten ein Restaurant, das an einem belebten Platz lag. Jeanne bestellte einen Banana-Split, während ich mich für einen Coupe Dänemark entschied. Mir fielen ihre Blicke auf, die sie mir immer wieder zuwarf. Vielleicht hätte ich sie deuten können, aber etwas hielt mich davon ab.
„Wie gefällt es dir im Zosswies nach den ersten Tagen?“
Jeanne hob die Schultern. „Ist ungewohnt für mich. Bevor ich dorthin kam, hatte ich nie mit anderen Behinderten zu tun gehabt. Das hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber selbst ich als Behinderte hatte Mühe, mit anderen umzugehen. Sylvain ist ein super Typ, aber als ich ihn das erste Mal gesehen habe … ohne Beine und mit nur einem Arm, da war ich schon etwas geschockt.“
„Das kenne ich, mir erging es ja genauso. Aber warum machst du mit mir ab, wenn du dich erst an den Umgang mit Behinderten gewöhnen musst?“
„Du bist nicht mehr im Heim, du hast es geschafft, wieder in die Welt herauszukommen. Und du warst mein erster Sturmpartner.“ Jeannes Lachen klang wie das helle Läuten von Glocken. Sie beugte sich zu mir herüber und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Verwirrt, du grosser Hockeyspieler?“
„Schon etwas. Aber ich nehme deinen Kuss gerne an.“ Eine Pause entstand, in der wir beide am Eis löffelten. „Woher hast du deine hervorragende Technik? Du hast mich ziemlich erstaunt.“
„In der Schule habe ich oft mit den anderen gespielt. Natürlich waren die alle schneller als ich, da musste ich mir etwas suchen, damit ich zumindest manchmal etwas mit dem Ball anfangen konnte. Jetzt möchte dich etwas mehr über dich erfahren. Wie ist es, alleine zu wohnen? Ich möchte das auch einmal.“
„Gut, ganz alleine wohne ich ja nicht. Abgesehen davon, dass ich ihn sehr gut mag, ist es praktisch jemanden zu haben, der einem etwas runterho…“ Jeanne kicherte, während ich nach einem anderen Ausdruck suchte. „… einem etwas aus einem höhergelegenen Kästchen reichen kann. Für die Pflege ist aber die Spitex zuständig.“
„Davon habe ich auch schon gehört.“
„Die Spitex ist eine Organisation, die die Pflege ausserhalb von Heimen und Spitälern sicherstellt. Dazu kommt die Pflegeperson nach Hause. Das hat für alle Vorteile: Als Behinderter ist man nicht unbedingt auf ein Heim angewiesen und die Invalidenversicherung kann Kosten sparen. Ein Jahr Spitex kostet nur etwa einen Drittel von dem, was ein Jahr Heimaufenthalt kostet. Nur die Krankenversicherung wird nicht sonderlich Freude haben, da sie die Spitex übernehmen muss. Ich warte nur noch auf die Bestätigung.“
„Scheint eine ziemliche Plackerei zu sein.“
„Geht so. Wir hatten aber unheimliches Glück mit der Wohnung. Weil wir keine anständige gefunden hatten, standen wir kurz davor, von der Ausbildung ins Wohnheim zu wechseln. Sozusagen im letzten Moment hat uns Sabrina mitgeteilt, sie ziehe aus und schlage uns gleich als Nachmieter vor. So sind wir zur Wohnung gekommen.“
„Wenn ich die Ausbildung beendet habe, möchte ich auch eine eigene Wohnung“, meinte Jeanne in träumerischen Ton.
„Du bist absolut selbständig, nicht wahr?“
„Ja. Ausser meiner leicht verkrümmten Wirbelsäule ist alles in Ordnung bei mir. Zum Glück. Ich könnte mir nicht vorstellen, mich waschen zu lassen. Speziell an einigen Orten nicht.“
„Man gewöhnt sich daran.“ Ausser bei jungen, hübschen Betreuerinnen, berichtigte ich mich. „Wenn du alleine wohnen möchtest, kann ich dir diese Stadt empfehlen. Die Busse, die Regionalzüge und Trams sind fast alle rollstuhlgängig. Du kommst überall hin und bist nicht auf den Behindertentransport angewiesen.“
„Hört sich famos an. Ich komme aus einem Dorf, wo der Bus die einzige Möglichkeit ist, ohne Auto irgendwohin zu gelangen. Nur ist dieser Bus nicht rollstuhlgängig. Meine Eltern mussten mich stets fahren.“ Wieder wendeten wir für einige Minuten unsere Aufmerksamkeit dem Eis zu.
„Spielt ihr immer in diesen Teams, wie wir es gestern taten?“
„Hauptsächlich schon. An unserer ersten Meisterschaft vor einem Jahr sind wir nur mit einem Team angetreten. Der Einfachheit halber nennen wir uns nur Thunderbolts I und Thunderbolts II.“
„Aha. Und wer sind wir?“
„Thunderbolts II. Die Nummer sagt aber nichts über die Stärke aus, im Gegenteil, wir von der zweiten Mannschaft sind sogar etwas stärker. Dieses Jahr haben wir an der Schweizermeisterschaft den dritten Platz belegt, das andere Team den vierten.“
Ich mochte Jeanne. Ihr Lächeln glich einem Sonnenstrahl und eingerahmt von den, je nach Licht, fast goldenen Haaren, hatte ihr Gesicht etwas Engelhaftes. Sie hob ihre Arme. Ihre Achselhöhlen waren rasiert. Ich schloss, dass sie selbstbewusst genug war, ihren Körper nicht zu verstecken – keine Selbstverständlichkeit unter Behinderten. Langsam, um ja nicht penetrant zu erscheinen, liess ich meine Hand näher zu ihrer gleiten.
„Hast du eine Freundin?“
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. „Warum fragst du?“
„Deine Hand bewegt sich in Richtung meiner.“
Ich wollte sie schon zurückziehen, packte Jeanne sie und lachte mich an. „Es ist Sommer, ist es da nicht erlaubt, seine Gefühle zu zeigen?“
Jeanne lehnte sich zu mir hinüber und ehe ich mich versah, spürte ich ihre Lippen auf meinen. Ich wollte mich erschrocken zurückziehen, aber da war schon Jeannes Hand in meinem Nacken. Das Mädchen öffnete seine Lippen. Mein Herz vollführte Purzelbäume in meiner Brust, in diesem Moment war es mir egal, dass uns zig Leute beobachten konnten. Jeanne schloss ihren Mund, liess ihre Lippen über meine streichen, öffnete ihn wieder und berührte mit ihrer Zungespitze meine Haut. Ihre Hand streichelte meinen Nacken.
„Siehst du, wie das ältere Ehepaar dort vorne uns beobachtet?“, fragte Jeanne kichernd.
„Die haben wahrscheinlich noch nie zwei Behinderte sich küssen sehen. Komm, bieten wir ihnen etwas.“
Unsere Münder trafen sich wieder, wir küssten uns, als seien wir ein Paar, das sich seit Wochen nicht gesehen hat. Bald öffneten wir die Lippen und unsere Zungenspitzen berührten sich sachte. Ich fühlte mich von Flügeln in die Luft gehoben, zwischen den Wolken hinauf zum Himmel.
Jeanne lächelte mich an. „Ich liebe den Sommer genau wegen dem. Die Menschen scheinen mir viel offener.“
„Ich habe gehört, Sommerbeziehungen halten weniger lange als Winterbeziehungen.“
Sie blickte mich in einer Mischung aus Grinsen und Gesichtverziehen an. „Wer redet denn gleich von einer Beziehung. Sonst sind es doch die Frauen, die sich gleich binden wollen.“
„Ich habe mir nur eine Bemerkung erlaubt. Ich meine, wir kennen uns seit einem Tag, wobei "kennen" übertrieben ist.“
„Meine Worte“, stimmte Jeanne nickend zu. „Du musst doch zugeben, dass es schön war.“
„Das abzustreiten liegt mir fern. Gerne wiederhole ich es.“ Zur Bestätigung küsste ich Jeanne auf den Mund. Für diesen Abend trennten sich unsere Wege und leider stand das Wochenende vor der Tür. Leider, weil es für die Leute im Zosswies hiess nach Hause zu gehen, ich musste also bis nächsten Montag warten.
Zuhause fuhr ich, nachdem ich mit einiger Anstrengung eine Cola light aus dem Kühlschrank geholt hatte, auf den Balkon und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
Wer das Sevac-Element vermisst, kann ich vertrösten: Es kommt!
Kommentare
Kommentare: 84
technisch war das schon viel besser, als das, was ich früher von dir gelesen habe. Mir gefällt auch der respektvolle Umgang, den du mit deinen Figuren pflegst. Was mir gefehlt hat, war ein bisschen Feuer und Emotion in der Handlung. Die Hauptfigur erlebt so viel positives, bzw. neues, aber nirgendwo schreit sie mal wirklich ihre nervosität, ihr glück oder ihre freude heraus.
Lg«
Kommentare: 441
Mach nur nichts kaputt, wenn du das "Sevac- Element" in den Vordergrund rücken willst. Vieles muss gar nicht ausgesprochen werden um erotisch zu sein :-)
LG Mondstern«
Kommentare: 5
Mal was anderes, aber sehr schön.«