The Road To The Championship -9-
von HG1
Das erste richtige Training nach dem Turnier mit allen Spielern stand an. Wie sonst ging es während dem Einfahren laut zu und her, Sylvain und ich witzelten, während wir uns einige Pässe zuschoben. Jeanne war noch nicht in der Halle.
Natürlich war das Thema das vorletzte Wochenende, unser Auftritt am internationalen Turnier. Bastian machte einige Bemerkungen, warum wir die Scheiss Silver Tigers nicht geschlagen hatten, fuhr dann aber sofort wieder davon.
Auch wenn Sylvain und ich es nicht mit den gleichen Worten ausgedrückt hätten, stimmte der Sinn von Bastians Bemerkungen. Warum hatte es nicht gereicht? Selbst gegen die zweite Silver-Tigers-Mannschaft hatte es im entscheidenden Spiel nicht gereicht.
„Wir müssen wohl bis zur Videoanalyse warten“, meinte Sylvain. „Sicher werden uns dann die Augen geöffnet.“
Dem stimmte ich zu. „Dumm ist nur, haben wir nicht genügend Turniere um im Rhythmus zu bleiben. Für dieses Jahr ist wohl schon wieder Schluss, der nächste Ernstkampf ist wohl erst wieder die Meisterschaft im Juni.“
Sylvain seufzte. „Das ist das Problem. Wir müssten immer wieder Turniere haben um auf dem hohen Level zu bleiben. Es ist schwierig, die allerbeste Leistung abzurufen, wenn man nur drei Turniere im Jahr hat.“
„Ich frage mich, wo Jeanne bleibt“, sagte ich. „Normalerweise ist sie immer als erste da.“
„Vielleicht möchte sie dir aus dem Weg gehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Wochenende sie mehr verletzt hat als angenommen. Immerhin hat sie dich und Angelina sehen müssen.“
Ich wollte etwas darauf sagen, da hörte ich die Stimme unserer Trainerin. Das war das Signal um zusammenzukommen.
„Hallo zusammen, schön seid ihr wieder alle gekommen. Diejenigen, die wegen der Berufsschule Ferien hatten, haben sie hoffentlich genutzt um sich zu erholen. Das soll jetzt aber nicht das Thema sein.“ Die Tür ging auf und Jeanne rollte herein. Sie hatte den Blick nicht gesenkt, sondern schaute mich an und lächelte. Sie lächelte! Danke, Gott! Was war es für eine Erleichterung für mich, sie so zu sehen.
„Erst eine Turniermitteilung. Die Middleland Wheelers veranstalten am elften November eines und laden uns auch ein. Wer ist dabei?“ Die Mehrheit meldete sich, einige waren noch unsicher, meinten aber, mit ihnen sei fast sicher zu rechnen. „Wir treten also mit beiden Mannschaften an.
Zurück zum Internationalen. Die genaue Besprechung des Turniers möchte ich mir für die Videoanalyse aufsparen. Doch möchte ich niemanden daran hindern, seine Meinung kund zu tun.“
Eine kurze Zeit war es still, dann meldete sich Sylvain. „Ich habe festgestellt, dass wir Höhen und Tiefen hatten. Gegen die ausländischen Teams haben wir gut ausgesehen, dann sind wir übermütig geworden und dachten, die Tigers nehmen wir mit links.“
Irene nickte. „Du bringst es auf den Punkt. Zwar habe ich die andere Mannschaft betreut, einige Spiele von euch habe ich aber auch mit einem Auge beobachtet. An der Konstanz müssen wir noch arbeiten.“
„Die Arschlöcher von den Silver Tigers müssen wir nächstes Mal besiegen“, sagte Bastian. Wieder einmal eine für ihn typische Bemerkung. Er erntete verständnislose Blicke, ich wagte sogar ihm etwas zu sagen:
„Zügle deine Zunge. Wir brauchen die Silver Tigers, denn ohne Konkurrenz können wir uns nicht verbessern.“ Er murmelte darauf etwas, das niemand genauer hören wollte.
Irene übernahm wieder das Wort. „Auf etwas möchte ich dennoch zu sprechen kommen. Nationalmannschaft.“ Ich hörte einige Spieler nach Luft schnappen, selbst ich hatte vergessen, dass die Nati auch noch ein Thema war. Hitze schoss durch meinen Körper und ich spürte mein Herz hart schlagen.
„Während dem Abschlussabend sind wir Trainer zusammen gesessen und haben beraten. Es hat länger gedauert als erwartet, denn es gibt viele gute Spieler. Wir haben eine Liste erstellt. Natürlich ist sie erst provisorisch.“ Sie legte eine derart lange Pause ein, dass wir dachten, sie würde gar nicht weiter sprechen. Schliesslich kramte sie einen Zettel aus der Hosentasche. „Natürlich ist die Auswahl noch nicht fix, es kommen ja noch Turniere und …“ Sie druckste sich. Klar, es war für jeden, der nicht auf der Liste stand, eine grosse Enttäuschung und scheinbar konnte es Irene kaum über sich bringen, die Namen zu sagen. „Von den Festschlägern haben wir niemanden. Einerseits weil wir auf dieser Position zu langsame Rollstühle haben, andererseits, weil wir anders spielen.“ Damit war der eine Teil aufgelöst. Ich hoffte für unsere Festschlägerspieler, dass der eine oder andere auch noch berücksichtigt würde.
Für mich kam jetzt der wirklich interessante Teil. Ich war nervös wie vor … Ja, wie vor was? Um ehrlich zu sein war ich noch nie derart nervös gewesen. Vielleicht wäre ich es im Meisterschaftsfinale beim Stand von 1:0 für die Silver Tigers, die letzte Minute wäre beinahe abgelaufen, als es einen Penalty für uns gibt und ich der Schütze wäre.
„Von uns befinden sich zurzeit drei Spieler in der Nati. Eben, das ist noch nicht endgültig. Es sind dies: Jerina.“ Ich nickte. Damit war zu rechnen gewesen. Eine unglaubliche Kämpferin mit ausgeprägtem Torriecher. „Auch noch dabei ist Sylvain.“ Auch klar. Jetzt müsste ich kommen. Ich hatte einen schnellen Rolli und mit Sylvain harmonierte ich hervorragend. Jeanne würde wohl nicht dabei sein, dazu war sie defensiv noch zu schwach. „Der dritte Spieler ist Robin.“
Robin? Robin!? Und ich? So schlecht war ich doch nicht. Ich gab immer hundert Prozent und … Für mich brach eine Welt zusammen. Die Nationalmannschaft ist das grosse Ziel. Mein grosses Ziel. Weg. Ich hatte also wirklich schlecht gespielt.
Das Training ging an mir vorüber. Irenes Anweisungen bekam ich nur zur Hälfte mit, ich glaube, derart im Schilf bin ich noch nie gestanden. Während dem Trainingsspiel liess ich mich nach wenigen Minuten auswechseln. Es hatte keinen Sinn.
Was mir auffielen, waren die mitleidigen Blicke Jeannes. Ihre Stirn war gerunzelt und das Mädchen sah aus, als beginne es nächstens zu weinen. Ich wollte mit niemandem reden. Als das Training fertig war, schickte ich Sylvain weg, der sich zu mir gesellen wollte. Jeanne war die einzige Person, die ich duldete. Und später Angelina, sie kam mich baden. Wenigstens noch etwas hatte der Tag parat.
Jeanne half mir die Jacke anzuziehen. Sie war fürsorglich wie eh und je, als sei nie etwas gewesen. „Geh nach Hause, denk an etwas anderes. Kommt Angelina heute noch zu dir?“ Ich nickte schwach. „Dann verbringe einige schöne Augenblicke mit ihr.“
Kopfhörer aufgesetzt und Musik laut aufgedreht, es lief die neue Scheibe von Trivium. Genau die richtige Musik um die Konsternierung abzulegen. In der Stadt holte ich im McDonald’s das für Mittwochabend übliche Abendessen.
Im Tram erwachte ich langsam. Plötzlich fühlte ich Zorn. Es war einfach falsch, bewerteten die Trainer mich nur anhand dieses Turniers. Ja, es war nicht sehr gut gelaufen, aber ich bringe meine Leistung sonst immer. Klar, körperlich sind mir andere überlegen, das mache ich aber wett mit Entschlossenheit und gutem Stellungsspiel. Was wäre Sylvain nur ohne mich? Er sagt ja selber, ich sei der beste Passgeber, den er kennt.
Mich beschlich das Gefühl, Irene hat sich nicht eingesetzt für mich. Sie hätte sich stark machen müssen für mich, sie kannte ja meine Qualitäten. Kannte sie sie wirklich?
Als ich an der Endstation aussteigen musste, war ich noch nicht fertig, Irene zu verfluchen, warum sie sich nicht für mich stark gemacht hatte. Eine Trainerin muss doch sehen, dass die besten Kräfte ins Nationalteam kommen müssen.
Angelina erwartete mich zu Hause bereits. Kaum war die Tür offen und ich eingetreten, umschlang sie mich und drückte ihre Lippen auf meine. Darauf hatte ich jetzt aber keinen Bock.
„Lass mich, zieh mir die Jacke aus.“
Sie stand aufrecht hin und sah mich an. „Was ist los?“
„Ziehst du mir jetzt die Jacke aus, Herrgottnochmal.“ Ich hatte wirklich besseres zu tun als sie zwei Mal zu bitten die Jacke auszuziehen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer steckte Markus den Kopf aus dem PC-Zimmer, als ihn mein Blick traf, zog er ihn schnell zurück.
Angelina holte Geschirr und Besteck, aus dem Kühlschrank nahm sie ein Red Bull und Ketchup.
„Jetzt erzähl mal, was passiert ist.“
„Da gibt’s nichts zu erzählen, verdammt! Ich bin nicht berücksichtigt für die Nationalmannschaft, na und? Kratzt ja niemanden!“ Angelinas Fragerei ging mir auf den Sack.
Die Burger verdrückte ich ohne ein Wort zu sagen. Sie wusste nun was los war, was hätte sie noch weiter nachhaken wollen. Zu ihrem Glück blieb sie still.
Auch den Transfer auf die Toilette machte sie schweigend und allmählich verrauchte der Zorn. Er hinterliess eine gewaltige Leere, die jeden Gedanken in sich zog. Trotz der Wärme im Badzimmer fröstelte ich und ich war froh, als ich ins heisse Wasser eintauchen konnte.
„Vorhin habe ich wohl etwas überreagiert. Das war …“
„Psst, denk nicht zurück, es tut dir nicht gut.“
Wie Recht sie hatte. Die Augen fielen mir regelrecht zu, ich gab mich Angelinas Hand hin, die mich zärtlich wusch. Von meiner Brust ging sie tiefer. Zwischen meine Beine und brachte mich auf völlig andere Gedanken. „Bitte nicht aufhören“, flüsterte ich. Angelina machte es wirklich gut, so gut, dass ich mir noch mehr wünschte. „Ich möchte dich spüren.“
Ich öffnete die Augen und sah, wie sich Angelina am Spitex-Schurz zu schaffen machte. Mit einer Hand zog sie ihn sich über den Kopf und liess ihn anschliessend fallen. Schon zog sie am Gummizug ihrer weissen Arbeitshosen.
So ging es, bis sie nackt war. Die Badzimmertür hatte sie nicht geschlossen. Das Herz aus Schamhaaren schien frisch gestutzt, als Beweis unserer Liebe. Ich musste ein Glückspilz sein, dass sich eine solch hübsche Frau für mich entschieden hatte. So hübsch die Hülle jedoch auch war, der Diamant befand sich im Innern.
Langsam stieg Angelina in die Wanne und liess sich nieder. „Ist das nahe genug so“, fragte sie und rückte noch näher. Sie lächelte und sah glücklich aus. Dass ich sie vorhin derart angeschnauzt hatte, schien sie bereits vergessen zu haben. So trat auch mein schlechtes Gewissen in den Hintergrund. Und falls das noch nicht gereicht hätte, küsste mich mein Schatz in diesem Moment, sodass alle anderen Gedanken verflogen. Angelinas Lippen zogen mich in ihren Bann, derart stark, dass ich beinahe nicht gespürt hätte, wie ihre Hand in mein geheimes Eck verschwand, zu dem nur sie Zutritt hatte.
Ich spürte ihre Haut auf meiner, um uns schwappte das heisse Badwasser. Es war, als kochten wir beide, als wollte die Hitze meine schlechte Laune vertreiben. Das Schicksal traf jedenfalls die richtige Entscheidung und als Angelina ihr Becken hob um mich in sich aufzunehmen war alles perfekt.
Als das Wasser kalt wurde, stiegen wir aus der Badewanne. Angelina machte mich bettfertig, das hiess abtrocknen und Pyjama anziehen. Sie selber blieb nackt.
„Was lachst du?“, fragte sie.
„Ich habe nur daran gedacht, wie ich reagiert hätte, wenn mir jemand vor einigen Wochen gesagt hätte, dass du mich eines Tages nackt pflegst.“
„Manchmal kommt es anders, als man denkt.“
„In diesem Fall nicht nur anders, sondern auch super gut.“ Ich musste einfach grinsen.
„Mich freut es, bist du nicht mehr betrübt. Der glückliche Philip gefällt mir deutlich besser als der wütende.“ Sie ging zur Tür um sie zu schliessen. Was für ein Po, dachte ich mir.
Mir fielen beinahe die Augen zu. Ich bekam noch mit, wie sich Angelina aufs Bett schwang und eng an mich kuschelte. Wir küssten uns noch einige Male, dann war ich weg.
Mitten in der Nacht wachte ich auf, weil mein Natel auf lautlos war und der Vibrationsalarm auf dem Nachtisch einen Höllenlärm machte.
*Du hast so süss ausgesehen im Schlaf. Träum was Schönes. Angelina*
Am nächsten Tag, Donnerstag, hatte Markus abends wie üblich Selbstverteidigungstraining. Die Spitexmitarbeiterin, ausnahmsweise nicht Angelina, war gerade gegangen, da klingelte es an der Tür. Wahrscheinlich hatte die Frau etwas vergessen. Die Tür schwang auf, doch niemand von der Spitex stand vor der Tür, sondern Jeanne.
„W-Was machst du denn hier?“
„Nach dem gestrigen Training habe ich gedacht, dass du etwas Aufmunterung gebrauchen könntest.“ Sie blickte mich mit ihrem Hündchenblick an, der mich auch dieses Mal zum Schmelzen brachte. „Ist Angelina hier?“
„Nein, ich bin alleine.“ Jeanne sagte zwar nichts, doch war es ihr anzusehen, dass sie beruhigt war. Ich führte sie ins Wohnzimmer und bot ihr etwas zum Trinken an. Es lag in der Sache der Natur, dass sie es selber aus dem Kühlschrank holen musste.
„Irgendwie schade, ist das internationale Turnier bereits fertig, findest du nicht? Es hat riesig Spass gemacht.“ Um ehrlich zu sein hatte ich keine Lust, darüber zu sprechen. Der ganze Frust von gestern Abend kam wieder hoch und alle Fehler erschienen von Neuem. Ja, ich wusste, dass ich teilweise Mist gebaut hatte.
„Es war eine neue Erfahrung“, sagte ich kurz angebunden.
„Du bist nicht zufrieden, was?“
„Die körperlichen Grenzen sind mir schonungslos aufgezeigt worden.“
„Du wirst aber auch immer besser.“
„Das schon, aber irgendwo ist Schluss. Der Hauptgrund, warum ich nicht zufrieden bin. Ich habe ja nicht einmal für meine Verhältnisse gut gespielt.“ Jeanne rollte neben mich und nahm meine Hand.
„Du weißt doch, dass du mehr drauf hast. Du musst es nur zeigen. Das nächste Turnier kommt schon bald.“
„Und wenn es dort zum Penaltyschiessen kommt, werde ich auch wieder dabei sein.“
Jeanne lächelte. „Du bist schliesslich unser bester Penaltyschütze.“ Dieses Kompliment tat gut. Im Moment war meine Selbstsicherheit am Boden, ich dachte, es sei vielleicht besser, wenn ich Trainer werde, so würde ich der Mannschaft besser helfen können.
„Hat dich Angelina getröstet?“ Ein anderes Thema zwar, aber kaum besser als das erste. Warum stellte sie jetzt plötzlich diese Frage?
„Wir hatten einige schöne Augenblicke.“
„Mittwochs gehst du jeweils baden, nicht wahr? Nach dem Sport gehe ich auch immer duschen, ist unangenehm, wenn man am nächsten Tag nach Schweiss riecht.“ Sie seufzte. „Ist Angelina auch in die Badewanne gestiegen?“ Auf diese Frage wusste ich nichts zu antworten. Jeanne begriff. „War sicher schön, zu zweit im Wasser. Wenn ich denke, wie nahe ich … dass ich beinahe an ihrer Stelle gelandet bin.“
„Oh Jeanne, rede nicht solche Sachen. Du tust dir weh.“
„Solang nur ich es bin. Wichtiger ist, dass du zufrieden bist. Mit mir wärst du’s nicht.“ Stille. Erwartete Jeanne eine Entgegnung? Wollte sie, dass ich sagte, ich sei unglücklich? Ich küsste sie auf den Scheitel. „Bist du mit ihr schon weiter gegangen als mit mir?“ Auch hier wusste sie im Prinzip die Antwort bereits. „Du wärst der Richtige gewesen. Mit dir hätte ich gerne das erste Mal gehabt. Ich war bereit für den letzten Schritt.“
Wie war ich froh, als um halb neun die Spitex wieder kam und anschliessend Markus eintrudelte. Nichts gegen Jeanne, ich mochte sie nach wie vor, aber ihre Fragen machten mir ein schlechtes Gewissen. Wieder einmal wünschte ich mir, mich nicht in Angelina verliebt zu haben.
„Du kannst einem Leid tun“, bemerkte Markus, als Jeanne gegangen war. In der Bratpfanne brutzelte sein Abendessen, zwei Bratwürste.
„Warum Leid tun?“
„Na komm schon. Meinst du, ich denke, ihr habt über das Wetter geredet.“
„Nein … aber äh über E-Hockey.“
„Sie ist über beide Ohren in dich verliebt, begreifst du nicht? Du hast ja selbst gesagt, es sei ernster als nur ein Schwärmen. Gib’s zu, sie hat dich über Angelina ausgefragt und dir ein schlechtes Gewissen gemacht.“
„Ja, ja, hat sie. Ich geb’s ja zu. Bist du nun zufrieden?“ Ich hatte wahrlich andere Sorgen als mich mit Markus über die Richtigkeit seiner Annahme zu streiten.
„Versteh’ mich nicht falsch. Ich wollte nur sagen, dass es nicht einfach ist, mit Jeanne zu reden. Verliebte neigen dazu, unangenehme Gespräche führen zu wollen.“
Als es wieder klingelte, hatte ich bereits die Befürchtung, es sei Jeanne, die noch etwas loswerden wollte. Sie war es nicht, sondern Angelina.
„Darf ich reinkommen. Ich wollte über nächstes Wochenende sprechen, ich hoffe, ihr habt noch nichts vor.“ Ich führte sie ins Wohnzimmer. „Anna und ich haben abgemacht, am Samstag shoppen zu gehen. Mir kam die Idee, anschliessend zusammen in der Stadt zu speisen und dann vielleicht ins Kino. Anna müsste natürlich nicht ins Heim zurück.“
Markus’ Augen glänzten.
Schlussendlich gingen nicht nur die Frauen einkaufen, auch Markus und ich kamen mit. In der Stadt trennten wir uns allerdings. Es war nicht zu übersehen, dass uns Anna und Angelina überraschen wollten.
Markus hielt sich an den beiden Griffen meines Rollstuhls fest und so arbeiteten wir uns durch die Menge. Hin und wieder lief ein nicht sehr aufmerksamer Zeitgenosse in unsere Rollstühle. Wir waren es uns gewohnt.
Unser Einkaufsbummel war schnell beendet, ich hatte ein neues Hemd und zwei CDs gekauft, Markus nichts. In einem Restaurant warteten wir auf die Frauen. Es war das selbe, in dem ich mit Jeanne vor einiger Zeit Eis geschlemmt hatte. Der Sommer war vorbei, das Techtelmechtel mit Jeanne auch – leider war es für sie mehr als nur das gewesen.
„Was habt ihr denn alles gekauft?“, rief Markus aus, als er die drei grossen Taschen sah.
„Jacken, Pullover. Alles, was euch bestimmt auch gefällt. Freut euch.“ Das hörte sich phänomenal an, am liebsten wäre ich nach Hause geeilt, um Angelina in den neuen hübschen Sachen zu bewundern.
Nach Hause ging es erst, nachdem wir etwas getrunken hatten. Angelina würde uns in einigen Minuten folgen, um keinen Verdacht zu erregen, falls uns jemand sehen würde. In die Tasche, die an Annas Rollstuhl hing, durften wir nicht schauen.
Leider war es wie immer: Die schönen Momente gehen viel zu schnell vorbei. Die Frauen hatten nicht zu viel behauptet, die neuen Kleider waren wirklich hübsch. Anna trug einen langen Rock und oben ein langärmliges, schwarzes Oberteil mit roten Nähten und Strass-Steinchen auf der Brust. Angelina ein blaues, schulterfreies Oberteil und enge Jeans. Zwar nicht aufreizend, aber das hatten sie auch nicht nötig.
An diesem Abend waren Angelinas Lippen noch weicher als sonst. Den Film verfolgte ich nur mit einem Auge, vielmehr genoss ich das Zusammensein mit meiner Freundin. Und die Nacht stand noch bevor.
Als wir wieder in unserer Wohnung waren, machte Angelina als erstes Kaffee. Während das Wasser heiss wurde, half sie Anna auf die Couch. Zu viert machten wir es uns bequem, Angelina setzte sich auf meine Knie und umarmte mich. Während dem folgenden Kuss hörte ich Engel singen.
So schön diese Augenblicke auch waren, wünschte ich mir doch, rasch ins Zimmer gehen zu können. Ich wollte mit meiner Freundin alleine sein, sie überall berühren und streicheln, mit ihrem Körper verschmelzen. Alle meine Gedanken kreisten nur noch um das.
Als es endlich soweit war, Anna im Bett und Markus bei ihr, musste ich erst etwas loswerden, das mich schon seit Tagen bedrückte. Wir lagen im Bett, Arm in Arm.
„Schatz, ich bitte um Entschuldigung.“
Es war dunkel, dennoch sah ich ihren verdutzten Gesichtsausdruck. „Für was entschuldigen?“
„Letzten Mittwoch war ich nicht eben gerade nett zu dir. Das tut mir Leid.“
„Muss es nicht. Du warst aufgebracht. Ich habe es dir nicht übel genommen. Ich bin keine Tussi, die immer alles gleich persönlich nimmt.“
Wie ernst sie das meinte, zeigte sie mir zur Genüge in dieser Nacht. Gemeinsam schwebten wir im Himmel.
Am nächsten Tag hatte ich mich mit Sylvain und Jeanne in der Stadt verabredet. Kurz entschlossen kam Markus auch mit, ich sah ihm an, dass er etwas loswerden musste. Er platzte beinahe. Im Tram waren wir alleine, zum Glück.
„Angelina tut Anna gut“, platzte es aus ihm heraus. „Stell dir bloss vor …“ Vor lauter Aufregung konnte er kaum mehr sprechen. „Als ich heute Nacht ins Zimmer ging, lag Anna auf dem Bett. Das ist ja nichts Aussergewöhnliches. Aber … sie trug einen String und einen edlen BH. Das hat sie noch nie getan. Und ob das nicht genug wäre! Als ich ihr das Höschen ausgezogen habe – nichts! Kein Härchen mehr … du weißt schon wo.“
Mein Wohnpartner war total aus dem Häuschen. Mit so etwas hatte er nie gerechnet, Anna war immer das etwas schüchterne Mädchen gewesen. Innerlich dankte ich meiner Freundin von Herzen.
„Angelina scheint uns alle glücklich zu machen.“
Markus grinste nur noch. „Wehe du machst mit ihr Schluss. Ich werde dich lynchen. Abgesehen davon wärst du ziemlich blöd.“
Wir waren am Ziel. Ich stieg aus, Markus blieb sitzen, er fuhr die ganze Schleife, bis er zu Hause wieder ausstieg.
Jeanne und Sylvain rollten mir bereits entgegen. Kurz blitzte der Gedanke auf, die beiden würden ein süsses Paar abgeben.
„Oh Gott, zwei Behinderte“, begann Sylvain und verzog das Gesicht. „Hoffentlich sieht mich niemand, ich möchte nicht, dass die Leute denken, ich habe mit so ekligen Behinderten zu tun.“
Ich sah mich um, als habe ich Angst, jemand beobachte uns. „Es geht mir auch so. Ich weiss gar nicht, wie ich mit Behinderten umgehen soll.“
Wieder einmal eine unserer sarkastischen Begrüssungen. Daraufhin zogen wir los, hinunter in die Altstadt in ein gemütliches Restaurant, die Betreiber kannten Sylvain und mich, schon brachten sie eine Rampe, damit wir die Stufe ins Lokal überwinden konnten.
„Es wird Winter, es ist kalt draussen“, bemerkte Jeanne und rieb sich die Arme.
„Das nächste Turnier kommt schon bald, da wird es dir wieder warm“, sagte Sylvain, während er einen Stuhl vom Tisch entfernte
„Dort muss ich so richtig Gas geben.“
„Du meinst wegen der Nationalmannschaft? Hat mich gewundert, bist du nicht von Anfang an dabei bist.“ Die Serviertocher half Sylvain mit dem Stuhl. Jeanne verzog sich auf die Eckbank.
„Irgendwie verstehe ich schon, haben sie mich nicht genommen. Die beste Leistung habe ich schon nicht gezeigt.“ Mein Sturmpartner sagte erst mal nichts. Jeanne sah mich gerunzelter Stirn an. „Gegen die Silver Tigers II hatte ich zwei Chancen, die Partie zu entscheiden. Ich hätte sie einfach machen müssen. Oder gegen die qualmenden Pneus, da habe ich nicht genug gekämpft.“
Sylvain klopfte mir auf die Schultern. „So schlecht warst du auch wieder nicht. Den zweiten und dritten Treffer im letzten Spiel hast du mir schön aufgelegt.“
„Du schmeichelst mir, dabei war ich drauf und dran einzugestehen, dass ich tatsächlich nicht gut gespielt hatte.“ Wir gaben die Bestellung auf: Drei Bier.
„Weiss man schon, wer alles ans Turnier kommt?“, fragte Jeanne. (wohin?)
Ich nahm einen grossen Schluck, dann antwortete ich: „Wir jedenfalls und die Middleland Wheelers. Ich nehme mal an, die Tigers und Pneus kommen auch. Ich hoffe, die anderen Teams nehmen es einigermassen ernst, damit ich mein Können unter Wettbewerbsbedingungen zeigen kann.“
„Ich hoffe für dich jedenfalls, dass du es in die Nationalmannschaft schaffst“, sagte Sylvain.
„Da bist du nicht der einzige“, entgegnete ich sarkastisch. „Allerdings finde ich es super, haben sie sich entschlossen, endlich den nächsten Schritt zu machen. Ist ja auch nötig.“
Sylvain lachte. „Und wie. Wenn sogar Kroatien im internationalen E-Hockeyverband dabei ist …“
„Kroatien? E-Hockeyverband? Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt!“ Jeanne machte einen ungläubigen Gesichtsausdruck.
„Es gab sogar schon eine Weltmeisterschaft. Holland hat gewonnen.“
Ich sah es aufblitzen in ihren Augen. „Erst muss ich es aber auch noch in die Nati schaffen, bevor ich von solchen Dingen träumen kann.“
„Wenn jemand in unserem Team noch in die Mannschaft kommt, dann du“, sagte ich sofort. „Technisch bist du sehr stark.“
„Ich weiss, das taktische Verständnis fehlt noch“, seufzte sie.
„Das kommt noch“, versuchte ich sie aufzumuntern. Ausgerechnet ich. Eines hatten Jeanne und ich gemeinsam: Die Zeit, uns zu beweisen, stand bevor.
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