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Kommentare: 30 | Lesungen: 7601 | Bewertung: 8.78 | Kategorie: Sonstiges | veröffentlicht: 25.05.2006

Wikinger

von

Es war mir, als hätte ich schon länger hier gestanden, aber andererseits wusste ich, dass ich eigentlich erst vor ein paar Minuten in meinem Bett eingeschlafen war.

Hier.


Wo war hier?


Um mich herum war ein ungewisses, aus keiner bestimmbaren Richtung kommendes Licht, das meine Umgebung – einen hellen, ebenen Untergrund ohne sichtbare Begrenzungen – füllte. Es gab keine Schatten, Kanten, Umrisse oder sonstige Markierungen, so dass ich nicht einmal wusste, ob ich in weite Ferne oder undurchdringlichen Nebel schaute.

Nach einiger Zeit begann die Luft um mich herum zu wabern, und aus dem grauen Zwielicht traten mehrere menschliche Gestalten, die, wenn sie nicht fast dreimal so groß wie ich gewesen wären, vollkommen normal ausgesehen hätten. Ich sah sie mir einen nach dem anderen an, während sie mich stumm musterten. Aber obwohl ich mich zu konzentrieren versuchte, konnte ich mich schon im nächsten Augenblick nicht mehr daran erinnern, wie er oder sie eigentlich ausgesehen hatte, welche Kleidung, welche Hautfarbe, ja nicht einmal, welches Geschlecht das jeweilige Wesen gehabt hatte.


Nach kurzer Zeit wurde mir dies dann auch bewusst. Also versuchte ich auf eine andere Weise, Licht ins Dunkel zu bringen. „Wer seid ihr?“, fragte ich. Eine volltönende Stimme hinter mir antwortete: „Ich bin Gott.“ Noch bevor ich mich zu ihm umdrehen konnte, hörte ich denselben Satz von einem der eher weiblichen Wesen, und danach auch von allen anderen. Jeder wiederholte den Satz „Ich bin Gott.“.


„Das verstehe ich nicht. Seid ihr mehrere Götter, oder einer, der sich geteilt hat? Seid ihr Götter, oder heißt ihr so?“ fragte ich, ziemlich verwirrt inzwischen. Das musste sich wohl auch auf meinem Gesicht widergespiegelt haben, denn um mich herum konnte ich amüsierte Laute hören, unterdrücktes Kichern, Lachen und gedämpftes Flüstern, das noch mehr Kichern hervorrief.


„Ich bin Gott, so wie du Mensch bist.“, kam die Antwort, natürlich wieder von jemandem hinter mir, so dass ich den Sprecher nicht identifizieren konnte.


‚Aahja’, dachte ich. „Seid ihr die, die von den Menschen seit Jahrtausenden verehrt werden?“


„Ja, so kann man es ausdrücken. Aber das ist ohne Belang. Uns ist langweilig.“ Die anderen Götter murmelten und nickten zustimmend, einige wurden schon leicht unruhig, als würde der Sprecher eine Entscheidung nur hinauszögern.


Meine Gedanken rasten. Wollten sie von mir einen Vorschlag, wie sie ihre Langeweile bekämpfen könnten? Wie sollte ich ihnen helfen können?


„Und wie kann ich euch dabei von Nutzen sein? Wenn ihr Götter seid, habt ihr doch viel mehr Möglichkeiten, euch abzulenken, als ich mir jemals erträumen könnte. Ich kann euch bestimmt nicht helfen.“, sagte ich, und innerlich verfluchte ich mich dafür, dass meine Unsicherheit und die Angst in meiner Stimme so unmissverständlich zu hören waren.


Mit sehr amüsierter Stimme entgegnete der Sprecher: „Du musst dir nichts einfallen lassen, keine Sorge. Das haben wir schon gemacht. DU musst nur - nein, du WIRST mitmachen. Ich wünsche dir ein langes, erlebnisreiches Leben.“ Er prustete los. „Aber da muss ich mir wohl keine Gedanken machen, glaube ich. Für die Erlebnisse werden wir schon sorgen!“


Das leise, verhaltene Kichern um mich herum wurde immer lauter, schwoll zu ohrenbetäubendem Lachen an und verstummte dann nach und nach, als die Götter einer nach dem anderen wieder in der wabernden Luft verschwanden. Ein einziger Gott blieb zurück. Er sah nicht so aus, als ob er grade gelacht hätte.


„Ich kann dich da nicht rausholen, tut mir leid!“ Seine Stimme klang ehrlich, er schien es ernst zu meinen. „Aber ich werde auf dich aufpassen, und dir einige Steine aus dem Weg räumen, wenn es die anderen nicht mitkriegen. Viel Glück!“


Damit verschwand auch er. Ich drehte mich um …

… und stand in einer Hütte, die wohl nur aus einem Raum bestand, und in der ein großes, altes Bett in der einen Ecke stand, während in der anderen in einem offenen Kamin ein Feuer prasselte. Darüber hing ein großer, schwarz verfärbter metallener Kessel, aus dem es nach Eintopf roch. In der Mitte der Hütte stand ein grob verarbeiteter alter Holztisch mit drei dazu passenden Stühlen, und an drei Wänden standen alte, eisenbeschlagene Truhen. Irgendwoher hatte ich Erinnerungen an diesen Ort, an eine Kindheit mit anderen in diesem Dorf.


Moment mal! Woher wusste ich, dass ich in einem Dorf war?


Wieso erinnerte ich mich daran, zwanzig Sommer hier verbracht zu haben, davon die letzten elf ohne meine Mutter, und jetzt, im Jahr 810 nach Christus, nur durch göttliche Fügung noch unverheiratet zu sein? Und das, obwohl mein Vater mich bei jeder Gelegenheit wie ein Stück Vieh anpries, also eigentlich immer, wenn ein Fremder, der nach mehr als zwei Goldstücken aussah, in unser Dorf kam.


Natürlich, ich sah eigentlich nicht schlechter aus als die anderen Frauen in meinem Alter. Aber ich hatte kupferrotes, wallendes Haar, das ich auch mit einem Haarband nicht wirklich gebändigt bekam, und das mir bis zur Taille ging. Und rotes Haar war eines der herausstechendsten Zeichen der Hexen. Dass ich dann auch noch ungeachtet unserer Armut nicht halb verhungert aussah, sondern mein Körper trotzdem anmutige jugendliche Rundungen angenommen hatte, half nicht gerade, dieses Gerede, ich könnte eine Hexe sein, verstummen zu lassen.


Aber eigentlich kam ich doch aus dem zwanzigsten Jahrhundert, geboren im Jahr 1979? Und ich hatte doch auch mein ganzes bisheriges Leben, an das ich mich auch genau erinnern konnte, in eben diesem zwanzigsten Jahrhundert verbracht? Warum nur konnte ich mich dann genauso gut an dieses primitive Leben im neunten Jahrhundert erinnern? Und warum erschien mir mein ungebundenes Leben, das ich bisher immer als normal angesehen hatte, plötzlich als göttliche Fügung?

Aber die Worte ‚göttliche Fügung’ erinnerten mich wieder daran, wie ich hierher gekommen war. Die Götter! Bei diesem Gedanken bekam mein mittelalterliches Ich heftige Schuldgefühle, denn hatte sie/ich nicht gelernt, dass ich nur einen Gott haben darf? Wie konnte ich dann an mehrere denken und glauben? Mein modernes Ich hingegen belächelte diesen Glauben, denn wie ging doch gleich noch der Spruch, nach dem ich die letzten Jahre im zwanzigsten Jahrhundert gelebt hatte? Ach ja: ‚Ich war Atheist, bis ich merkte, dass ICH Gott bin.’ Das hätte ich damals vielleicht nicht tun sollen, ich sah ja jetzt, wo mich das hingebracht hatte! Ich schüttelte meinen Kopf. Er kam mir irgendwie sehr leer vor. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte.


Um irgendetwas zu tun, ging ich zum Fenster und sah hinaus. Vater hätte schon längst wieder da sein müssen, viel war von Feldern doch nicht mehr zu holen?


Genau in diesem Moment rannte unsere Nachbarin, die ich seltsamerweise schon seit Jahren kannte und doch gerade das erste Mal gesehen hatte, wie von Furien gejagt an unserer Hütte vorbei. „Die Gehörnten! Sie kommen! Sie sind schon an den Feldern, flieht!“ Und sie rannte weiter, quer durch das Dorf, in Richtung Kirche.


Bei der Bezeichnung ‚die Gehörnten’ schoss mir ein Bild durch den Kopf, bei dem mein modernes Ich sofort ‚Wikinger!’ sagte. Gleichzeitig raste ein glühender Angstblitz quer durch mein Herz und meinen Magen, meine Kehle war wie zugeschnürt, und instinktiv, wie ein Kleinkind, verkroch ich mich unter dem Bett. Trotzdem hatte der rationale Teil meines Geistes noch Zeit, ironisch zu werden: ‚Na Klasse! Das hat mir grade noch gefehlt! Und dann soll ich das Ganze wohl auch noch besonders erheiternd für die Götter machen, hm?’

Mehr Zeit zum Nachdenken bekam ich allerdings nicht, denn in dem Moment flog unsere Tür mit einem lauten Knall auf, und im Türrahmen stand der größte Mann, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Nein, eigentlich hatte ich schon größere gesehen, aber nicht in jener Zeit. Für mein mittelalterliches Ich war das der größte Mann, den ich jemals gesehen hatte. Er war bestimmt 1,90 m groß, dabei aber stämmig, kräftig wie ein Stier, mit Oberarmen, die dicker waren als meine Oberschenkel, und die nur aus Muskeln bestanden. Mit einem einzigen schnellen Blick hatte er die Hütte durchsucht und mich entdeckt.


Fünf Sekunden später fand ich mich mit meinem Bauch auf seiner Schulter wieder, meine Blickrichtung war zurück zur Hütte, während er mich an meinen Beinen festhielt und im Laufschritt unser Dorf Richtung Felder und Wald verließ. Das Ziel meines Entführers würde dann wahrscheinlich die Küste einen halben Kilometer hinter dem Waldstück sein.


Ich war bisher dermaßen verschreckt gewesen, dass ich mich nicht im Geringsten gewehrt hatte. Jetzt, wo der erste Schock nachließ und ich mitbekam, wie unangenehm diese Art des Transports für mich war – meine Bauchmuskeln brannten wie Feuer, und mein Rücken fühlte sich an, als würde er demnächst auseinander brechen – fing ich an zu strampeln, mit meinen Fäusten ziemlich ineffektiv auf seinem verlängerten Rücken rumzutrommeln und zu schimpfen wie ein Rohrspatz: „Lass mich runter, du grober Kerl! Lass mich runter!“


Nach einiger Zeit war er dann wohl hinreichend genervt davon, dass er doch mal stehen blieb – und mich ziemlich unsanft mit großem Schwung auf den Waldboden beförderte. Im nächsten Moment, noch bevor ich mich wieder aufraffen konnte, hatte er sein mächtig großes, als Zweihänder ausgelegtes Schwert gezogen und zeigte damit auf mich. In seiner fremden Sprache und rauem Ton, aber mit unmissverständlichen Gesten machte er mir klar, dass er mich jetzt entweder mit diesem Schwert töten oder aber mitnehmen würde. Mir war klar, dass ich vor diesem Koloss niemals davonlaufen könnte, und sterben wollte ich auch nicht, also blieb mir nur eine einzige Variante. Aber ich wollte nicht wieder so schmerzhaft transportiert werden. Also stand ich auf und zog mein blaues Leinenkleid zurecht, damit es meine Beine wieder verdeckte. Dann sah ich ihn trotzig an, drehte mich um und marschierte los, Richtung Küste, die, wie ich annahm, sein Ziel war.


Die nächsten Worte, die ich von ihm hörte, klangen fragend, also drehte ich mich um. Seinen verwirrten Gesichtsausdruck anscheinend korrekt deutend, rieb ich mir mit schmerzverzerrter Miene den Bauch und den Rücken. Augenblicklich erschienen Verständnis und leichte Belustigung auf seinem Gesicht. Diese Belustigung war für mich beinahe schlimmer, als es Unverständnis gewesen wäre. Wie konnte es dieser Kerl nur wagen, meine Schmerzen lustig zu finden??? Mit einem Ruck wandte ich mich wieder um und stapfte weiter Richtung Strand. In meinem Bemühen, besonders stark und unnahbar zu erscheinen, übersah ich eine Wurzel und stolperte ein paar Schritte, bevor ich mich wieder gefangen hatte. Wie peinlich! Meine Ohren brannten, meine Wangen fühlten sich glühend heiß an, und ich wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken! Von meinem Entführer war allerdings kein anderes Geräusch als das seiner Schritte zu hören. Aber vor meinem inneren Auge sah ich ihn mit einem ziemlich gemeinen Grinsen auf dem Gesicht hinter mir her stapfen.

Je näher wir dem Strand kamen, desto langsamer und gezwungener wurden meine Schritte. Schon von weitem konnte ich die anderen Wikinger hören. Sie lachten, riefen sich in ihrer barbarischen, groben Sprache Dinge zu, die ich gar nicht erst verstehen wollte, und als wir fast da waren, hörte ich auch das Weinen der anderen Frauen und Mädchen, die schon zum Schiff verschleppt worden waren.


Schließlich wurde ich wohl zu langsam, denn plötzlich spürte ich, wie sich eine riesige Hand um meinen rechten Oberarm schloss, und in meiner rechten Seite erschien die Schwertspitze. Mit beidem zusammen machte mir mein Entführer klar, dass ich weitergehen sollte.


Als wir über die letzte Düne kamen, hob er sein Schwert in die Luft und rief seinen Kumpanen einen Willkommensgruß zu, den diese auf gleiche Weise erwiderten. Dann kamen sie lachend, unverständliche Worte rufend und mit eindeutig obszönen Gesten auf uns zu. Der Wikinger, der mich noch immer am Arm festhielt, schien seinen Leuten dann zu erklären, wie er mich gefunden und mitgenommen hatte, aber auch, wie ich ihn davon überzeugt hatte, den Weg zum Schiff auf eigenen Beinen zurückzulegen. Die Reaktionen darauf waren so vorhersehbar, doch sie trafen mich trotzdem wieder mit voller Wucht. Lachend machten sie meine Gesten nach. Wütend auf sie, aber vor allem auf mich, weil ich der Mittelpunkt allgemeinen Gelächters war, und vor Scham und Zorn wahrscheinlich schon wieder mit hochrotem Gesicht, überlegte ich, wie ich dieser unwillkommenen Aufmerksamkeit entrinnen konnte. Schließlich riss ich mich trotzig von meinem Entführer los, und noch bevor irgend einer der Wikinger eine Waffe greifen konnte – was im Nachhinein betrachtet ein Riesenglück für mich war – stolzierte ich hocherhobenen Hauptes zu den anderen Frauen und Mädchen hinüber und setzte mich zu ihnen. Dieser filmreife Abgang verschaffte mir leider nur weiteren Spott von Seiten der ‚Gehörnten’, aber die Blicke der Frauen und Mädchen waren noch schlimmer. Statt in ihren Gesichtern Mitgefühl und Zustimmung zu finden, schienen sie Angst vor mir zu haben. Geflüsterten Worten konnte ich entnehmen, dass sie jetzt wohl endgültig dachten, ich sei eine Hexe, und dass ich die Wikinger in unser Dorf gebracht hätte. Selbst die Frauen, die ich in meiner Kinderzeit als Freundinnen betrachtet hatte, beäugten mich nun argwöhnisch, und als ich zu einer Erklärung ansetzen wollte, drehten sie sich demonstrativ von mir weg.

- - - -

Acht Tage später

Wir waren noch immer auf dem Wasser. In der Mitte des Schiffes, wo wir Frauen unter einem gespannten Segeltuch lagen, stank es inzwischen nach Fäkalien und Erbrochenem. Unsere Kleider waren schmutzig, und viele der Frauen waren zu schwach, um sich hinzusetzen, geschweige denn aufzustehen. Gestern hatte ich durch Zufall einen merkwürdigen Wurm gefunden, den ich trotz meines Ekels gegessen hatte. Damit hatte ich allerdings als Einzige in den letzten Tagen überhaupt etwas gegessen. Von unseren Entführern hatten wir bisher nur Wasser bekommen.


Als es dunkel wurde, holten die Wikinger, wie jeden Abend, wieder ihre Essensrationen heraus. Durch den Hunger war meine Nase so empfindlich geworden, dass ich das getrocknete Fleisch und das Brot deutlich riechen konnte, obwohl der Wind von uns zu den Männern nach vorn wehte. Das Mädchen, das neben mir lag, flüsterte kaum hörbar „Hunger“, die anderen Frauen und Mädchen gaben nur durch Blicke zu erkennen, dass sie dies überhaupt gehört hatten. Kraft hatte keine mehr.


Das Gelächter der Männer klang zu uns herüber. Das machte mich so wütend, dass ich von irgendwoher aus meinem Körper noch letzte Kraftreserven mobilisierte und aufstand. Dies an sich war schon so ungewöhnlich, dass um mich herum erstauntes Einatmen zu hören war. Die Wikinger nahmen noch keine Notiz von mir. Allerdings hatte ich vor, das zu ändern.


Mit gezielten Schritten ging ich auf meinen Entführer zu und sagte, wobei ich meine Worte mit großen Gesten unterstrich: „Ich habe Hunger. Wir alle haben Hunger. Gib uns etwas zu essen oder töte uns! Denn ohne Essen werden wir ganz sicher sterben.“


Mit einem Ruck stand er auf. Wäre ich nicht so erschöpft gewesen, hätte mich diese Bewegung sicherlich erschreckt und zurückzucken lassen, aber so blieb ich einfach stehen und sah ihm direkt in die Augen. Dazu musste ich meinen Kopf in den Nacken legen, denn er war so groß, dass er sein Kinn auf meinen Kopf hätte legen können, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen. Er war fast zwei Köpfe größer als ich. Ich erwartete, dass er mich jetzt töten würde. Irgendwie sehnte ich das sogar herbei. Allerdings schien ihm meine fehlende Reaktion auf sein ruckartiges Aufstehen, was er wohl als Mut missverstand, imponiert zu haben, denn im nächsten Moment gab er mir etwas Fleisch und Brot. Ich war so überrascht, statt dem Tod plötzlich Essen zu bekommen, dass ich beinahe vergessen hätte, zuzugreifen. Aber obwohl ich Hunger hatte, aß ich nicht sofort, sondern zeigte auf meine Leidensgenossinnen, die mit großen Augen zu uns herüberstarrten. „Sie auch!“ sagte ich.


Er sah mich mit seinen großen, stahlblauen Augen an, die sich im nächsten Moment vor Ärger verengten. Gleichzeitig fuhr er mich ärgerlich an, zeigte auf das Essen und bedeutete mir, dass ich entweder damit zufrieden sein oder wieder hungern sollte. Vollkommen sauer über so viel Unverstand warf ich ihm das Essen vor die Füße und drehte mich zurück zu den Frauen. Ich wollte nur noch zurück an meinen Platz, aber bis dahin schaffte ich es nicht mehr. Meine Erschöpfung überwältigte mich. In meinen Ohren rauschte es, mir wurde schwarz vor Augen, und nur ganz am Rand bekam ich noch mit, dass mir das Schiffsdeck bedrohlich schnell näher kam.

Als ich wieder wach wurde, hörte ich aufgeregtes Flüstern um mich herum, und jemand sagte, schon halb verzweifelt, immer wieder meinen Namen. „Ann-Marie, wach auf! Bitte, wach doch auf! Ann-Marie, bitte!“ Eigentlich war ich so müde, aber die Stimme hörte nicht auf, mich zu rufen. Schließlich öffnete ich doch meine Augen. Über mir erkannte ich Tine, eine meiner Freundinnen aus meiner Kindheit, die mich erst voller Sorgen und dann, als sie merkte, dass ich wach war, mit großer Erleichterung ansah. „Endlich, ich dachte schon, du würdest es nicht schaffen! Hier, iss etwas, das brauchst du jetzt, unbedingt!“ Sie schob mir etwas angefeuchtetes Brot zwischen die Lippen. Der Geruch und der Geschmack des Brotes ließen meine Geschmacksknospen aufjubeln, mir lief das Wasser im Mund nur so zusammen, und ich musste mich zwingen, wenigstens dreimal zu kauen, bevor ich das Stückchen runterschluckte. Ich sah Tine an, aber noch bevor ich auch nur „mehr“ sagen konnte, hatte ich schon das nächste Stück im Mund. Diesmal war es Fleisch, und meine Zähne taten beim Kauen weh, hatten sie doch seit Tagen keine Möglichkeit mehr gehabt, etwas zu zerkleinern. Aber das war mir egal, Hauptsache, ich konnte etwas essen! Tine fütterte mich, bis ich mich genug gestärkt hatte, um mich hinzusetzen und selbständig zu essen.


Dann sah ich mich um. Alle sechs Frauen und Mädchen hatten zu Essen, und als sie bemerkten, dass ich wach war und sie ansah, lächelten sie mir zu und flüsterten „Danke!“.


Das war mir irgendwie unangenehm. Ich war es nicht gewohnt, dass sie so nett zu mir waren, und es war mir peinlich, dass ich jetzt so im Mittelpunkt stand. Also sah ich wieder auf meine Hände, in denen ich noch das restliche Brot und Fleisch hielt, das mir Tine gegeben hatte. „Tine, was ist passiert? Ich meine, nachdem ich umgekippt bin?“


Tine schaute mich an. „Als du ohnmächtig geworden bist, haben die wohl erst gemerkt, was mit uns los ist. Der Gehörnte, den du angesprochen hattest, hat dich hergetragen und neben mich gelegt, dann hat er mir das Essen in die Hand gedrückt. Als ich davon abbeißen wollte, hat er mich fast angeschrieen, ich dachte, er tötet mich gleich. Dann hat er erst auf das Essen und dann auf dich gezeigt, und da hab ich genickt. Da ist er zu den anderen zurückgegangen und hat mit denen geredet, ist ziemlich laut geworden, als die wohl nicht so wollten, wie er. Und dann sind die alle hergekommen und haben uns auch was zu essen gegeben. Ja, und dann hab ich gegessen und versucht, dich aufzuwecken. Den Rest weißt du.“


Ich nickte. Das musste ich erst mal verdauen. Mein Mut hatte also doch was gebracht, und das schon zum zweiten Mal. Ich wusste nicht, was genau die Götter mit mir vorhatten, aber egal, wohin die Wikinger uns brachten, ich würde es durchstehen. Ganz sicher!


Bei dem Gedanken an die Wikinger glaubte ich zu spüren, wie mich einer von ihnen beobachtete. Verstohlen sah ich über Tines Schulter zu den Männern hinüber. Richtig! „Mein“ Wikinger, der, der mich entführt hatte, sah in meine Richtung und versuchte wohl, unauffällig etwas über meinen Zustand herauszufinden. Und er sah eindeutig besorgt aus. Ich weiß immer noch nicht warum, aber in dem Moment tat er mir leid. Wegen mir sollte er sich keine Sorgen machen. Vorsichtig probierte ich aufzustehen, und meine Beine schienen ihren Dienst auch wieder aufnehmen zu wollen. Gut. Beim Aufstehen drehte ich mich so um, dass ich sein Gesicht noch einmal sehen konnte, und stellte mich an die Reling. Er schien erleichtert zu sein. Während ich von meinem Brot abbiss, beobachtete ich den Horizont.


Das Wetter hatte sich in der ganzen Zeit, seit wir auf See waren, nicht geändert. Von Anfang an wehte ein leichter Wind, der uns immer weiter von zu Hause wegbrachte. Das Wasser war ruhig, es gab nur wenige, kleine und kurze Wellen. Der Himmel war immer klar, höchstens ein paar Dunstschleier ab und zu zeigten an, dass es auch hier manchmal Wolken gab. Seit Tagen hatte ich in keiner Richtung auch nur die kleinste Andeutung von Land gesehen. Aber wenn wir von ihrem Essen abbekamen, konnten wir nicht mehr zu weit weg sein. Sonst hätten sie uns bestimmt eher verhungern lassen, als zu riskieren, dass sie durch Nahrungsmangel geschwächt würden.


Und wirklich! In Fahrtrichtung waren direkt am Horizont Wolkengebilde zu sehen, an deren Unterseite es sehr dunkel war. Dass es ein Unwetter war, erschien mir sehr unwahrscheinlich, denn dann wäre uns doch der Wind entgegen gekommen, oder? Stattdessen aber schob uns der Wind genau in diese Richtung.


Ich atmete tief ein und langsam, leicht zitternd, wieder aus. Sollte ich mich freuen oder Angst haben? Bald schien diese Reise zu Ende zu sein, aber was erwartete uns dann? Mein modernes Ich hatte davon gehört, dass die Wikinger auch Händler, Bauern und Handwerker gewesen waren. Konnte ich also davon ausgehen, dass wir in ein relativ zivilisiertes Dorf oder sogar eine Stadt kommen würden? Und wenn ja, wäre das gut oder schlecht für uns?


Plötzlich war ein Ruf zu hören. Er kam aus den Segeln über mir. Auch die Wikinger hatten das Land gesehen. Im nächsten Moment kam einer der Wikinger mit gezogenem Schwert zu uns herüber, fuchtelte damit herum, deutete auf den Boden und blaffte uns an. Mehrere der Frauen wurden hysterisch, schrieen, als ob sie gleich massakriert würden. Meine Güte, war das nervig! So wie ich das sah, wollte er, dass wir uns wieder hinsetzten. Also ging ich mit gutem Beispiel voran und setzte mich hin, und fuhr dann Tine an, die auch hysterisch geworden war: “Halt die Klappe und setz dich hin! Mehr will er doch gar nicht!“ Geschockt davon, dass ich so grob zu ihr war, setzte sie sich wirklich stumm hin und schaute mich aus großen Augen an. Die anderen hatten mich wohl auch gehört, denn kurz danach herrschte – endlich – wieder Stille. Die Tochter unserer Nachbarin, Katharina, sah mich ängstlich an. „Wieso kannst du ihn verstehen?“ – „Kann ich nicht!“ erwiderte ich, „Zumindest nicht seine Worte. Aber er hat immer wieder auf uns und dann auf den Boden gezeigt. Was hätte das denn anderes heißen sollen als ‚Setzen’?“


„Aber warum wollen sie denn, dass wir uns setzen?“ fragte Sabine, Katharinas beste Freundin. „Das hat sie doch sonst nicht gestört?“


„Weil wir fast angekommen sind. Ich habe gerade am Horizont Land gesehen. Spätestens morgen früh sind wir wohl da.“ Oh je, was hatte ich mit diesen Worten nur angerichtet. Schlagartig fingen alle an, durcheinander zu reden, zu jammern, und sich mit ängstlichen Blicken anzusehen.


„Was passiert jetzt mit uns?“ – „Wohin kommen wir?“ – „Sie werden uns töten!“ – “Sie werden uns auffressen!“


Das ging mir dann aber doch zu weit: „Wenn sie uns hätten töten oder auffressen wollen, hätten sie das bei uns zu Hause machen können, dafür hätten sie nicht ein total verdrecktes Schiff in Kauf nehmen müssen!“


„Aber was haben sie dann mit uns vor?“ – „Ja, was denn?“


„Ich weiß es doch auch nicht! Aber sie haben uns bisher nicht getötet, deswegen glaube ich nicht, dass sie das überhaupt vorhaben. Also sollten wir uns überlegen, wofür sie Frauen brauchen könnten.“ Eigentlich wusste ich ziemlich genau, was mit uns passieren würde. Da, wo wir hinfuhren, war das Klima ziemlich rau, Frauen überlebten da wahrscheinlich nicht sehr lange. Vor allem ohne moderne Medizin oder Hygiene. Also würden wir wahrscheinlich in die verschiedenen Häuser der Wikinger zum Putzen und Kochen, aber höchstwahrscheinlich auch für „männliche Bedürfnisse“ gebracht werden. Aber daran wollte ich gar nicht erst denken, geschweige denn es aussprechen.


Die älteren Frauen sahen mich erschrocken an. Da sie schon verheiratet gewesen waren, als die Wikinger kamen, wussten sie, was sie zu erwarten hatten. Nur konnten sie sich eine solche Zukunft wohl nicht mit diesen „Barbaren“ vorstellen. Dann wanderten ihre nun mitleidigen Blicke zu den Mädchen, die nur ahnen konnten, was da auf sie zukam.


Dass ich mehr wusste als sie, hatte ich den Göttern zu „verdanken“, aber ich war merkwürdigerweise nicht so recht in dankbarer Stimmung. Auch wenn ich im zwanzigsten Jahrhundert schon Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt hatte, war doch der Körper, in dem ich jetzt steckte, noch Jungfrau, und das vereinfachte das Ganze nicht wirklich. Ich konnte nur hoffen, zu dem Wikinger zu kommen, der mich entführt hatte. Er hatte sich ja vorhin anscheinend schon Sorgen um mich gemacht, deswegen konnte ich annehmen, dass er auch ansonsten kein Unmensch war. Allerdings war er wohl nicht ihr Anführer, und ich wusste nicht, wie sie ihre Beute teilten und ob der Anführer da zuerst wählen durfte. Aber der würde sich hoffentlich eine nehmen wollen, die nicht so aufrührerisch wie ich war.

Auf dem Weg zur Küste frischte der Wind auf, und das Schiff entwickelte einen ziemlich starken Seegang. Gleichzeitig wurde es immer dunkler, so dass wir uns auch nicht mehr auf den Horizont konzentrieren konnten, selbst wenn wir hätten aufstehen dürfen. Uns allen wurde übel, und nachdem eine sich nicht mehr hatte zurückhalten können und sich übergeben hatte, waren auch die anderen nicht mehr in der Lage, ihr Essen im Magen zu behalten. Ich drehte den anderen den Rücken zu, aber der Geruch von halb verdauter Speise und die Brechlaute waren schließlich auch für mich zuviel. Mehrmals zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen, und nach drei- oder viermaligem Würgen war mein Magen wieder so leer wie am Morgen, allerdings fühlte ich mich noch elender und schwächer als vorher. Angeekelt schob ich mich von der Lache meines Erbrochenen weg. Am liebsten wäre ich nach vorn gegangen, ich sehnte mich nach frischer Luft.


Als die Nacht endgültig über uns hereingebrochen war, zündeten die Wikinger das erste Mal seit Beginn unserer Fahrt Fackeln an. Etwa eine halbe Stunde später rief der Späher über uns etwas, woraufhin die Fackeln hin- und hergeschwenkt wurden. Nach einer weiteren kleinen Ewigkeit waren auf dem Wasser Ruderschläge zu hören, und zwischen Schiff und Wasser wurden ein paar Worte gewechselt. Den Rest des Weges legten wir in Begleitung dieser Willkommenseskorte zurück.


Als wir in den natürlichen Hafen einliefen, hörte ich Männerstimmen, Hundegebell, aber auch Stimmen, die von Frauen und Kindern stammen mussten. Wir würden also nicht nur mit Männern zusammen sein. Ich flüsterte meine Entdeckung den anderen zu, was mir einige erleichterte und dankbare Gesichter einbrachte. Dann fiel mir etwas ein: „Wenn sie gleich kommen, um uns vom Schiff zu holen, dann zeigt nicht, dass ihr Angst habt, sondern geht ruhig von Bord. Mut scheint sie zu beeindrucken!“ Sie sahen mich an, erst etwas verwirrt, aber dann schienen sie sich zusammenzureißen, und sie nickten mir entschlossen zu.


Ich wollte ihnen eigentlich noch mehr sagen, aber in diesem Moment kam ein älterer Wikinger, den wir noch nicht gesehen hatten, und bedeutete uns, mitzukommen. Sein Gesichtsausdruck, als keine von uns auch nur ein Anzeichen von Panik zeigte, war einfach unbezahlbar! Ich musste mir regelrecht ein Grinsen verkneifen. Glücklicherweise schien es keinem aufzufallen.

Die ersten Schritte an Land waren ein Schock für uns. Es war, als bewegte sich die Erde, und wir hatten Mühe, auf den Beinen zu bleiben.


„Bleibt ruhig. Das ist nur, weil wir so lange auf dem Schiff waren. Es wird gleich wieder besser werden!“ flüsterte ich.


Dann fiel mir ein, dass ich das ja eigentlich gar nicht wissen durfte! Ann-Marie war bisher noch nie auf einem Schiff gewesen, sie konnte auch nicht lesen, und mit Fremden, die ihr das hätten erzählen können, hatte sie nie auch nur ein Wort wechseln dürfen. Aber jetzt war es raus, und ob es ihnen auffallen würde, musste ich wohl oder übel abwarten.

Jetzt an Land war ganz eindeutig zu sehen, wer der Anführer war. Er hatte auch bei dem Überfall mitgemacht, hatte sich aber an Bord eher im Hintergrund gehalten. Aber jetzt nahm er die Zügel wieder in die Hand. Mit grober Stimme rief er zwei Wikinger-Frauen zu sich und zeigte auf Katharina und Sabine. Die beiden wurden von den Wikingerinnen mitgenommen. Sie gingen auf das größte der Häuser zu und verschwanden darin. Danach holte sich jeder Wikinger die Frau, die er entführt hatte, teilweise mit weiblicher Hilfe, teils ohne. Ich hatte also Recht gehabt. Mein Entführer kam auf mich zu und bedeutete mir, ihm zu folgen. Dann ging er zu dem Diebesgut, das sie mitgebracht hatten. Er zog einige Dinge heraus, zeigte sie dem Anführer, besprach sich mit ihm – und lud mir schließlich ein Teil nach dem anderen auf! Als ich kaum noch stehen konnte, an Gehen wagte ich gar nicht zu denken, fing ich an zu protestieren. Er konnte oder wollte aber nicht verstehen, was ich ihm sagen wollte, und packte noch ein Teil drauf. Meine Beine gaben unter mir nach und ich saß im nächsten Augenblick auf dem Boden, während er mich ziemlich überrascht ansah. Mit einem gequälten Lächeln sah ich ihn an, während der Anführer in herzhaftes Lachen ausbrach. Verdutzt sah mich mein neuer Herr an und schüttelte seinen Kopf, zuckte aber schließlich mit den Schultern und nahm mir das ganze Bündel ab. Ein, zwei Teile, die ihm runterfielen, hob ich auf, und trottete ihm dann hinterher. Ich war todmüde, aber auch hungrig und durstig, und ich wusste nicht, worauf ich mehr hoffen sollte; auf Nahrung, Wasser oder einfach auf Schlaf.

Als wir in seinem Haus ankamen, das offenbar aus einem einzigen großen Raum bestand, ließ er das Bündel in eine Ecke fallen. Ich machte es ihm nach und sah ihn dann erschöpft an. Er schien nicht so genau zu wissen, was er jetzt mit mir anfangen sollte, denn er sah sich erst im ganzen Haus um, bevor sein Blick wieder auf mir zu liegen kam. Nach fast einer Minute endlich räusperte er sich und sagte etwas, das wie eine Frage klang. Ich musste ihn dann wirklich sehr verständnislos angesehen haben, denn er verdrehte die Augen und seufzte. Dann schien er durch mich hindurchzusehen, während er nachdachte. Im nächsten Moment konnte ich schon fast das „klick“ hören, als ihm endlich die richtige Idee kam.


Er zeigte auf sich: “Thorfast“. Dann zeigte er auf mich und zog die Augenbrauen hoch. Ich hätte mir am liebsten an die Stirn geschlagen. Natürlich! Er wollte wissen, wie ich heiße! „Ann-Marie“, sagte ich. Thorfast nickte, zeigte auf mich, sagte: „Ann-Marie“, zeigte dann auf sich und sah mich wieder mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Thorfast“, erwiderte ich. Wieder nickte er und sagte ein kurzes Wort, das ich in Gedanken mit ‚gut’ oder ‚richtig’ übersetzte.


Nachdem das geklärt war, schien er sich zu entspannen. Er zeigte auf die im hinteren Teil des Hauses gelegene Feuerstelle und bedeutete mir, ein Feuer zu machen. Ich nickte und ging auf den Kamin zu, sah mich um und fand schließlich auch Feuersteine und Zunder sowie Feuerholz, so dass ich innerhalb weniger Minuten ein ganz ordentliches Feuer entzündet hatte. Plötzlich hörte ich die Haustür zufallen und drehte mich erschrocken um. Es war Thorfast, der wohl gerade wieder hereingekommen war. Ich war so mit dem Feuermachen beschäftigt gewesen, dass ich gar nicht registriert hatte, dass Thorfast das Haus verlassen hatte. In einer Hand hielt er einen großen Holzeimer, der mit Wasser gefüllt war, in der anderen ein totes Huhn. Als er das Feuer bemerkte, sagte er wieder dieses [gut]-Wort, stellte den Eimer daneben und gab mir das Huhn. Er deutete auf den großen Kessel, der neben dem Kamin stand, auf Kräuter, die von der Decke hingen, auf kleine Holzbehälter, in denen, wie ich nachher herausfand, Gewürze waren, und auf das Huhn, dann machte er Bewegungen, die das Ausnehmen und Zubereiten des Geflügels demonstrierten. Ich schaute mich um, konnte aber nirgendwo ein Messer finden. Also bedeutete ich ihm mit Schneidebewegungen, was ich brauchte. Thorfast sah mich grimmig an. Dann nahm er sein Messer aus dem Gürtel und legte es auf den Tisch. Gleichzeitig zog er sein Schwert und setzte sich auf einen der grob behauenen Holzklötze, die wohl als Stühle dienten. Ich blickte ihn vorwurfsvoll an. Als ob ich versuchen würde, ihn anzugreifen. Er war doch mindestens fünfmal so stark wie ich! Ich schüttelte den Kopf, schob das Messer erst mal beiseite, setzte mich auf einen Klotz, legte das Huhn in meinen Schoß und begann es zu rupfen. Die Federn packte ich auf den Tisch. Hierbei kam mir vor allem die Erfahrung meines damaligen ich zugute, aber zum Glück war ich in solchen Dingen noch nie besonders zimperlich gewesen. Zwischendurch, als mir mein Durst wieder bewusst wurde, ging ich einen Schluck von dem Wasser trinken. Thorfast ließ mich dabei keine einzige Sekunde aus den Augen.


Als ich das Huhn gerupft hatte, hielt ich es über die Flammen, um auch die kleinen Härchen abzusengen, und brachte es dann zurück zum Tisch. In dem Moment, in dem ich nach dem Messer griff, erstarrte Thorfast. Ich schüttelte wieder meinen Kopf, seufzte, und schnitt den Vogel auf, um ihn auszunehmen. Ich wollte die Abfälle davon auch auf den Tisch legen, aber Thorfast brummte etwas Unverständliches und zeigte auf eine flache Holzschüssel, die ich bisher übersehen hatte. Also tat ich die Abfälle dort hinein. Das ausgenommene Huhn wusch ich mit etwas Wasser aus und legte es zurück auf den Tisch. Dann inspizierte ich die kleinen Holzkästchen. Darin fand ich Salz, gehackten Pfeffer und auch andere Gewürze, die ich aber für dieses Essen nicht gebrauchen konnte. Von der Decke nahm ich noch eine große Zwiebel. Den Kessel hängte ich jetzt über das Feuer und goss etwa einen Liter Wasser hinein. Während es heiß wurde und anfing zu kochen, zerkleinerte ich die Zwiebel und das Huhn. Fleisch, Zwiebel und Gewürze gab ich dann zusammen in den Kessel und ließ alles schmoren. Es roch auch sehr schnell sehr appetitlich.


In der Zwischenzeit brachte ich den Tisch in Ordnung und fand auch nach kurzem Umsehen ein Regal, auf dem Holzteller standen. Ich stellte zwei davon auf den Tisch, sah Thorfast aber an, als ich den zweiten abstellte, ob er etwas dagegen hätte. Aber er ließ mich gewähren, worüber ich sehr froh war, denn das hieß, dass wohl auch ich gleich essen konnte. Als ich auch Löffel und Gabeln gefunden und bereitgelegt hatte, und auch eine Art Schöpfkelle entdeckt hatte, sah ich nach dem Abendessen. Das Wasser war größtenteils verkocht, und durch die Zwiebelstückchen hatte sich eine etwas dickflüssigere Brühe gebildet. Ich holte Thorfasts Teller und füllte ihn mit so viel Fleisch wie möglich. Die Flügel und den Hals tat ich dann auf meinen Teller. Ich wollte ihn auf keinen Fall verärgern, indem ich mir womöglich mehr auftat, als ich seiner Meinung nach verdiente. Das gefiel meinem modernen ich zwar eigentlich gar nicht, war aber in dieser Situation sicherlich die beste Möglichkeit, diesen Abend und auch weitere zu überstehen. Und außerdem wollte ich auf gar keinen Fall riskieren, hungrig schlafen zu gehen!


Meine erzwungene Bescheidenheit war dann wohl auch genau das Richtige gewesen, denn Thorfast grummelte irgendwas und legte mir noch etwas Fleisch von seinem Teller dazu. „Danke“, murmelte ich. Ich griff nach dem Messer und schob es ihm rüber, um ihm zu zeigen, dass ich es jetzt erst mal nicht mehr brauchte. Seine Anspannung, die sich bei meinem Griff nach dem Messer sofort wieder gezeigt hatte, war auch gleich wieder verschwunden, und ich sah ihn das erste Mal lächeln. Außerdem bemerkte ich jetzt, dass er schwarzes, leicht gewelltes Haar hatte, er musste wohl vorhin seinen Helm abgenommen haben. Zusammen mit seinen dunklen, tiefblauen Augen ergab das ein gar nicht mal so ‚unhübsches’ Gesicht, wie ich mir selbst gegenüber unwillig zugab. Nur der, wenn auch kurze, Vollbart störte etwas. Ich lächelte verlegen zurück, blickte dann aber ganz schnell wieder auf meinen Teller und konzentrierte mich aufs Essen. Ich hatte das Gefühl, ich hätte noch nie etwas so leckeres gegessen, aber das war nach fünf Hungertagen natürlich kein Wunder. So schnell hatte ich noch nie aufgegessen! Als mein Teller leer war, ging ich noch mal zum Kessel, den ich vorhin schon vom Feuer genommen hatte, und tat mir den Rest Brühe auf. Ich stellte den Teller zurück auf den Tisch, aber als ich mich setzen wollte, hielt mich Thorfast zurück und deutete auf eine Kiste. Ich ging hinüber, öffnete sie – und sofort lief mir wieder das Wasser im Mund zusammen. Da lag ein Brot! So schnell ich konnte, brachte ich es zum Tisch, wo Thorfast geschickt eine dicke Scheibe abschnitt und mir hinlegte. Den Rest legte er zurück auf den Tisch. Während ich aß, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, er würde mich beobachten; und richtig, als ich hochsah, blickte ich ihm direkt in die Augen, mit denen er mich besorgt musterte. Meinen verunsicherten Blick erwiderte er mit einem freundlichen Lächeln. Ich fühlte, wie ich rot wurde, und sah statt ihm wieder meinen Teller an.


Plötzlich stand er ruckartig auf, ging hinüber zu dem großen Bett, das gegenüber dem Kamin stand, und machte sich daran zu schaffen. Schlagartig war mein Hunger weg. Meine Augen rasten von ihm zur Haustür. Er hatte nur einen kleinen Riegel vorgeschoben, den ich eigentlich schnell beiseite schieben können müsste. So leise wie irgend möglich stand ich auf und huschte Richtung Tür; aber als ich mich kurz umblickte, um Thorfast im Auge zu behalten, kam ich mit meinem Fuß gegen die Schüssel mit den Abfällen und stieß diese laut polternd weg. Ich erstarrte. Mit angstvoll geweiteten Augen sah ich zu Thorfast, der sich mit schon nahezu übermenschlicher Schnelligkeit umgedreht hatte und mich in kürzester Zeit gegriffen hatte. In diesem Moment zerbröckelte mein ohnehin schon überstrapaziertes Nervenkostüm, und ich begann unkontrolliert zu zittern. Gleichzeitig stiegen mir Tränen in die Augen, und ich hatte Mühe, nicht vollends vor ihm zusammenzubrechen.


Thorfast sah mich erst gereizt an; aber dann schien er zu verstehen, denn er schaute rüber zum Bett und dann wieder zu mir, seufzte, schüttelte den Kopf und brachte mich zurück an den Tisch. Er bedeutete mir, mich wieder zu setzen und weiter zu essen.


Der erste Bissen wollte mir im Hals stecken bleiben. Ängstlich beobachtete ich, was er jetzt vorhatte.


Zuerst sah er sich nur um; dann ging er zu dem Bündel, das er von der Beute mitgenommen hatte, und zog daraus eine dicke Decke hervor. Von einem Regal nahm er ein großes Leinentuch und legte beides auf das Bett. Danach ging er zur Tür, öffnete sie, ging hinaus und schloss sie wieder hinter sich. Als ich seine Schritte nicht mehr hören konnte, schlich ich zum Ausgang und öffnete vorsichtig die Tür. Da wurde mir erst vollkommen klar, dass ich vorhin niemals hätte entkommen können. Überall brannten Fackeln, und im Abstand von maximal fünfzehn Metern patrouillierten bewaffnete Wikinger rund um das Dorf. Eine der Frauen wurde gerade zurück zu dem Haus gebracht, aus dem sie wohl eben versucht hatte zu fliehen, und sie gingen nicht unbedingt sanft mit ihr um. Ihr neuer Herr erwartete sie bereits mit etwas, das sehr nach Seilen aussah. Bei diesem Anblick schlug mir mein Herz bis in den Hals hinauf, und ich schaute mich hektisch um, ob mich einer der Wächter vielleicht gesehen hätte.


Auf einmal hörte ich Schritte, und noch bevor ich die Tür wieder schließen konnte, kam Thorfast hinter dem Haus hervor. In seinem Arm hatte er einen riesigen Haufen Heu. Um die Situation zu überspielen, tat ich so, als ob ich ihm nur die Tür hatte öffnen wollen, und trat nach drinnen und beiseite, damit er eintreten konnte.


Er blieb erst vor der Tür stehen und sah sich um; schließlich aber kam er herein und bedachte mich mit einem Blick, der wohl sagen sollte: ‚Du weißt jetzt, was dich da draußen erwartet. Bleib also besser hier!’, woraufhin ich nur resignierend den Kopf senkte und die Tür hinter ihm schloss.


Thorfast brachte das Heu zum Bett und ließ es vor der Wand daneben fallen. Dann schien er mich von oben bis unten zu taxieren; im nächsten Moment wusste ich, warum. Er rückte das Heu so zurecht, dass eine Art Bett für mich entstand, das auch genau die richtige Größe für mich hatte. Darüber breitete er das Leinentuch aus und schob dessen überstehende Ecken und Kanten unter das Heu. Schließlich nahm er noch die dicke Decke und legte sie auf dieses behelfsmäßige Bett. Zum Schluss winkte er mich zu sich und deutete darauf, als ob er fragen wollte: ‚Und, was hältst du davon?’ Ich betrachtete das Bett, blickte Thorfast ins Gesicht, nickte und sagte das, was er zu Anfang zu mir über das Feuer gesagt hatte, und von dem ich dachte, dass es ‚gut’ heißen müsste.


Seine Augen wurden vor Überraschung groß, und im nächsten Moment schien er sich nahezu ausschütten zu wollen vor Lachen. Als er sich langsam wieder gefangen hatte, sagte er noch einmal, wie zur Bestätigung „gut“ und schüttelte den Kopf, als könnte er es immer noch nicht fassen. Aber als er dann meinen halb verlegen grinsenden, halb fragenden Blick sah, schüttelte er den Kopf, nickte jedoch gleich danach und bekräftigte das ganze immer wieder mit diesem ‚gut’-Wort, während er auf mein Bett zeigte.


Die nächsten drei Worte, die er mir dann beibrachte, waren „mein“, „dein“ und „Bett“, und als ich das kapiert hatte, auch noch „schlafen gehen“ und „aufstehen“. Dafür legte er sich immer wieder in sein Bett und stand wieder auf, bis ich die Worte an den richtigen Stellen gesagt und auch richtig ausgesprochen hatte.


Als nächstes fragte ich – mit vielen Gesten, die mir ziemlich peinlich waren, aber es wurde langsam dringend – wo ich mal pinkeln gehen könnte. Nach etwa fünf Minuten hatte er mich dann auch endlich verstanden, und führte mich – inzwischen selbst peinlich berührt – durch eine Hintertür zu einer Art Plumpsklo, über das ich mich hinhocken musste, damit ich meine Notdurft verrichten konnte. Nachdem sich Thorfast überzeugt hatte, dass ich aus dieser Ecke nicht nach draußen entkommen konnte – was ich nach dem, was ich da gesehen hatte, sowieso nicht tun wollte – ließ er mich allein, so dass ich mich endlich erleichtern konnte. Es war zwar primitiv, aber zumindest sehr tief ausgehoben, denn das Plätschern hörte ich erst ziemlich tief unten. Zum ‚Säubern der Kehrseite’ fand ich einen kleinen Haufen Blätter, die, wahrscheinlich durch etwas Fett, zwar trocken, aber nicht brüchig waren. In weiser Voraussicht, dass ich wohl für die nächsten Blätter würde sorgen müssen, benutzte ich diese sparsam.


Schließlich kam ich zurück in den Hauptraum. Thorfast hatte wohl auf mich gewartet, denn er drückte mir sofort einen Besen in die Hand und bedeutete mir, Ordnung zu schaffen. Das tat ich dann auch, obwohl mir dabei schon fast die Augen zufielen. Nur den Abfall brachte er selbst raus, sein Vertrauen hatte ich wohl erst mal verspielt. Oder er wollte nicht, dass ich von den Wächtern irrtümlicherweise aufgegriffen wurde. Wie auch immer, raus kam ich an diesem Tag, bzw. eigentlich in dieser Nacht, nicht mehr. Als alles wieder sauber war (wobei ich mich wunderte, dass er so viel auf Sauberkeit hielt; das hatten die Historiker aber anders beschrieben!), gestattete er mir endlich, schlafen zu gehen.

Ich hatte das Gefühl, kaum die Augen zugemacht zu haben, als Thorfast mich an der Schulter wieder wachrüttelte. Durch die offene Tür konnte ich sehen, dass es schon fast Mittag sein musste. Im Türrahmen stand ein weiterer Wikinger, der wohl auf meinen ‚Meister’ wartete. Thorfasts Stimme war zwar barsch, aber seine Augen blinzelten gutmütig. Er hatte mir den Schlaf wohl gegönnt, durfte nur vor seinen Kollegen nicht als Schwächling dastehen. Also tat er so, als würde er mir eine Standpauke halten (von der ich ja sowieso kein einziges Wort verstand), aber wenn es der andere nicht sah, grinste er wie ein Schuljunge, der seinem Lehrer mal wieder einen Streich spielte.


Schließlich stand ich wieder, wenn ich auch noch leicht wackelig auf den Beinen war. Thorfast drückte mir den Wassereimer und eine Schüssel in die Hand und bedeutete mir mit Worten und Gesten, ihm zu folgen. Draußen ging er um das Haus herum, zeigte mir den Hühnerstall, in dem ich auch sofort die Eier einsammeln sollte, und führte mich dann runter an den Bach. Er nahm mir die Eier ab, so dass ich stattdessen wohl den Eimer füllen sollte. Von ‚gentlemen-like’ hatten diese Barbaren wohl leider noch nichts gehört.


Mit dem vollen Wassereimer drehte ich mich zurück Richtung Haus, wodurch ich das erste Mal bemerkte, dass der andere Wikinger mich wohl keinen Moment aus den Augen gelassen hatte. In der Hand hielt er eine Art Wurfaxt, die wohl eine mögliche Flucht meinerseits hatte verhindern sollen. Allerdings hatte ich auch die Wachen gesehen, die noch immer ihre Runden um das Dorf machten. Und außerdem, wo sollte ich denn hin, wenn ich wirklich entkommen würde? Das hier war ein fremder Kontinent, oder zumindest genauso weit entfernt. Und ich konnte nicht damit rechnen, noch andere Wikinger zu finden, die genauso freundlich wie Thorfast waren. Nur zurückbringen würde er mich bestimmt nicht. Also hatte ich mich inzwischen schon damit abgefunden, hier zu bleiben. Jedoch würde es amüsant sein, zu sehen, wie sehr sie jeden meiner Schritte außerhalb des Hauses beobachten würden. Außer mir wusste ja niemand, dass ich nicht weglaufen würde.


Wieder zurück im Haus zeigte mir Thorfast das Brot vom Vortag, brachte mir das Wort dafür bei, und nach einigen Gesten seinerseits hatte ich begriffen, dass ich wohl Brot backen sollte. Nachdem das geklärt war, ging er raus und ließ mich allein.


Mehl war wohl noch da, so dass ich diesmal zumindest das nicht selbst vorher noch mahlen musste. Also begann ich mit den Vorbereitungen. Ich räumte den Tisch ab, wischte ihn mit einem Tuch sauber, und nahm eine der Holzschüsseln vom Regal. Dorthinein gab ich das Mehl. Dann überlegte ich, wie ich den Teig etwas locker bekommen könnte, damit zum Schluss mehr als nur ein dicker Fladen herauskam. Da Wikinger ja Met tranken, mussten sie auch irgendwo Hefe haben. Aber obwohl ich in jedes Behältnis schaute, das dafür auch nur entfernt geeignet gewesen wäre, und auch in einige, die es ganz sicher nicht waren, gab ich die Suche auf. Stattdessen nahm ich den Krug mit Met, den ich während der Suche gefunden hatte, und gab davon etwas zu dem Mehl dazu, außerdem auch noch Eier, Salz und Wasser. Das Ganze verknetete ich ordentlich, und da ja keine Hefe hineingetan und der Teig dementsprechend nicht extra gehen musste, konnte ich ihn sofort zu einem Brotlaib formen und, nachdem ich keine andere Möglichkeit gefunden hatte, tat ich ihn so in die Holzglut und ‚begrub’ ihn unter heißer Asche.


Während das Brot (hoffentlich) gelang, fiel mir ein, dass ich in dem Beutehaufen, den Thorfast mitgenommen hatte, auch ein Kleid gesehen hatte. Nach kurzem Wühlen hatte ich es auch gefunden. Es schien sogar in etwa die richtige Größe zu haben. Zusammengebunden mit dem Kleid war auch Unterwäsche. Also beschloss ich, mich zu waschen und dann das saubere Kleid anzuziehen. Danach könnte ich meines ja noch waschen. Also schob ich das Brot ein wenig zur Seite, damit ich unter dem Kessel ein kleines Feuer machen konnte, und goss das restliche Wasser aus dem Eimer in den Kessel, damit ich mein Kleid nachher mit warmem Wasser waschen konnte. Jetzt benötigte ich nur noch Wasser, um mich zu waschen. Also musste ich noch mal raus.


Ich schnappte mir den Eimer, öffnete die Tür – und stand einem jungen Wikinger gegenüber, der wohl als Wache für mich abgestellt war. Er musste eben noch gesessen haben und gerade erst aufgesprungen sein, denn er hielt sein Schwert ziemlich nervös in der Hand und hätte mich damit auch fast verletzt. Na toll! Ein ‚Frischling’, der mehr Angst vor mir als ich vor ihm hatte. Ich ging langsam einen Schritt zurück, damit er sich von mir nicht mehr bedroht fühlte, und hob ebenso langsam den Eimer ein Stück an. Dann deutete ich mit der anderen Hand erst auf den Eimer und dann nach draußen. Der Junge sah mich erst verständnislos an, und in Gedanken verdrehte ich schon die Augen, aber endlich trat er beiseite und deutete mit dem Kopf an, dass ich vorausgehen sollte. Betont langsam ging ich an ihm vorbei und schlug den Weg zum Bach ein. Da die Sonne hinter mir am Himmel stand, konnte ich in etwa abschätzen, wie weit hinter mir der Wikinger war. Er schien wirklich Angst zu haben, dass ich ihn angreifen könnte, denn wenn ich von der Länge unserer beider Schatten ausging, war er mindestens zwei Meter hinter mir, eher drei.


Am Bach angekommen, balancierte ich auf ein paar größeren Steinen bis zur Mitte und füllte den Eimer. Ich wollte mich schon wieder zurückdrehen, als ich etwas aufblinken sah. Da lag doch tatsächlich ein Messer im Wasser! Ich drehte mich zu dem Jungen um. Er schien nichts bemerkt zu haben. Ich beugte mich runter zum Wasser, stellte den Eimer auf einem der Steine vor mir ab und tat so, als ob ich mir das Gesicht waschen wollte. Dann mimte ich einen Ausrutscher, bei dem ich in Kauf nahm, dass meine Schuhe nass wurden, und stützte mich mit den Händen auf dem Grund des Baches ab. Beim Aufstehen nahm ich dann das Messer mit und ließ es unbemerkt in den Eimer gleiten. Als ich mich wieder umdrehte, glaubte ich im Gesicht des Jungen etwas Erheiterung zu sehen. Gut. Seine Furcht war durch meine gespielte Tollpatschigkeit wohl verflogen.


Verlegen grinsend kam ich zurück ans Ufer und ging dicht an ihm vorbei in Richtung Haus. Kein Zeichen mehr von Unsicherheit. Spielerisch drehte ich mich um, tauchte dabei eine Hand ins Wasser und spritzte damit dem jungen Wikinger ins Gesicht. Dabei grinste ich übers ganze Gesicht. Er schüttelte sich, verkniff sich selbst ein Grinsen und sah mich an, als wollte er sagen: „Na warte, das kriegst du wieder!“. Ich lachte und ging weiter zum Haus. Inzwischen war die Sonne so weit gewandert, dass bei der Haustür kein bisschen Schatten mehr war.


Wieder im Haus, musste ich mich erst mal an das Zwielicht gewöhnen, dass nach dem Aufenthalt im Freien besonders düster wirkte. Dann sah ich nach dem Brot. Die Seite zum Feuer hin war schon ziemlich gut durch, also drehte ich es um. Das Wasser war inzwischen auch schon warm, zum Wäschewaschen eigentlich sogar schon zu warm. Also goss ich etwas aus dem Eimer dazu. Einen weiteren Teil schöpfte ich mit einem Krug ab, den Rest gab ich in eine flache Schüssel. Das Messer versteckte ich unter meinem Bett. Plötzlich fiel mir ein, dass jederzeit jemand durch die Tür kommen konnte, also schob ich leise den Riegel vor. Dann zog ich das Kleid und die Unterwäsche aus und stopfte alles in den Kessel, damit die Wäsche erst mal einweichen konnte. Die flache Schüssel benutzte ich als Waschbecken. Nach etwa fünfzehn Minuten fühlte ich mich das erste Mal seit über einer Woche wieder sauber. Jetzt hatte ich auch die Gelegenheit, mich mal zu betrachten. Auf diesen Körper könnte mein modernes Ich neidisch werden. Kein Gramm Fett zuviel – was natürlich an der eher spärlichen Nahrung und der harten körperlichen Arbeit lag – und trotzdem eine tolle Figur.


Plötzlich hörte ich Stimmen vor der Tür. Hastig zog ich die neue Kleidung an und entriegelte die Tür wieder lautlos. Dann schaute dann nach der Wäsche im Kessel. Das Wasser hatte nur etwas mehr als Körpertemperatur, so dass ich die Kleidung ohne Probleme mit den Händen waschen konnte. Als auch das erledigt war und ich das Waschwasser im Plumpsklo entsorgt hatte, holte ich auch das Brot aus dem Feuer, befreite es von der Asche und ließ es abkühlen. Es roch sehr appetitlich und war auch wie erhofft nur außen knusprig, ließ sich aber ohne Probleme etwas zusammendrücken.


Der Geruch erinnerte mich daran, dass ich jetzt seit bestimmt zehn Stunden nichts gegessen hatte, und da von dem anderen Brot noch so viel da war, wollte ich mir etwas davon abschneiden und holte mein Messer aus dem Versteck. Mit einer Scheibe Brot in der Hand und einem Becher Wasser setzte ich mich an den Tisch.


Nachdem ich mich gestärkt hatte, überlegte ich, was ich jetzt tun sollte. Heute Abend sollte es bestimmt nicht nur Brot geben, aber ansonsten war zumindest im Haus nichts zu sehen, was ich zubereiten könnte. Also musste ich wohl auf Thorfasts Rückkehr warten.


Das erinnerte mich an den Jungen, der da draußen in der prallen Mittagssonne saß und wahrscheinlich ziemlichen Durst hatte. Also füllte ich meinen Becher nach und ging zur Tür. Ich klopfte einmal kurz, damit er wusste, dass ich gleich rauskommen würde, und öffnete die Tür. Er stand da mit seinem Schwert und blickte mich mit einem gespielt langweiligen Gesichtsausdruck an. Ich hielt ihm den Becher entgegen, aber er nahm ihn nicht an. Stattdessen wurde sein Blick misstrauisch. Leicht genervt schüttelte ich den Kopf, nahm einen kleinen Schluck aus dem Becher und hielt ihn dem Jungen dann wieder entgegen. Er griff vorsichtig zu, und sofort ging ich einen Schritt zurück. Der Wikinger roch an dem Inhalt, nippte daran – und leerte dann den Becher in einem Zug. Leicht belustigt ging ich den Krug holen, um nachzuschenken. Das brachte mir einen sehr dankbaren Blick ein. Dann reichte er mir den Becher zurück. Ich lächelte kurz und verschwand wieder im Haus.


Kurz danach hörte ich Schritte und gleich darauf auch barsche Stimmen, die meinen Wächter etwas zu fragen schienen, denn er antwortete, wenn auch ziemlich eingeschüchtert. Also hätte ich ihm wohl kein Wasser anbieten sollen. Er tat mir leid.


Im nächsten Moment ging die Tür auf, und Thorfast kam herein. Der ältere Wikinger, der schon heute Morgen da gewesen war, wollte auch herein, aber Thorfast hielt ihn davon ab und schloss die Tür. Er holte Luft und setzte zum Sprechen an, sah dann aber wohl ein, dass er genauso gut mit der Wand wie mit mir schimpfen konnte, da wir etwa gleich viel verstehen würden. Also zeigte er nur zur Tür, tat so, als würde er etwas trinken, und schüttelte dann den Kopf. Ich im Gegenzug zuckte mit den Schultern und setzte ein resigniertes Gesicht auf, als wollte ich sagen ‚Na toll, und woher sollte ich das wissen?’


Thorfast seufzte, schüttelte noch mal den Kopf und setzte sich an den Tisch. Er goss sich etwas Wasser ein, griff wie selbstverständlich nach dem Messer und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. Mir blieb fast das Herz stehen. Das Messer! Ich hatte vergessen, es wieder zu verstecken! Ich dem Augenblick fiel auch ihm auf, dass er mir kein Messer dagelassen hatte. Er erstarrte, und sein Blick glitt vom Messer zu mir. Selbst wenn ich seiner Sprache mächtig gewesen wäre, mir wäre kein Wort über die Lippen gekommen, ich war wie versteinert. Nur mein Herz schlug jetzt wie verrückt, es fühlte sich an, als würde es meinen gesamten Brustkorb einnehmen.


Thorfast sah mich nur an. Er sagte kein Wort, aber sein Mienenspiel war tödlich. Er griff an seinen Gürtel, aber sein Messer war ja noch dort. Sein Blick ging wieder zum Tisch, dann zu mir, und er kam auf mich zu. Seine rechte Hand umklammerte das Messer, so dass dessen Spitze auf mich zeigte. Seine linke Hand schnellte nach vorn, und seine Hand umschloss meinen rechten Arm wie ein Schraubstock. Ich hatte noch versucht, zurückzuweichen, stand jetzt aber direkt an der Wand. Ich schaute ihm direkt in die eiskalten, mordlüstern blitzenden Augen, paralysiert wie das Kaninchen von der Schlange. Mein Atem ging flach und abgehackt, und ich hätte wer weiß was darum gegeben, jetzt wie auf dem Schiff ohnmächtig zu werden. Aber diesmal hatte ich wohl alle Götter gegen mich. Thorfasts messerbewehrte Hand zuckte hoch, plötzlich war die Spitze nur noch ein paar Zentimeter von meinen Augen entfernt. Er fragte mich etwas, aber es war einem Knurren ähnlicher als irgendeiner Sprache. Frustriert, dass ich ihn nicht verstand, schlug er mit dem Messer in der Hand gegen die Wand, so nah neben meinem Kopf, dass ich erschrocken in die entgegengesetzte Richtung zuckte. Gleichzeitig hörte ich ein merkwürdiges Geräusch, als würde irgendwo im Haus ein verängstigter Welpe winseln. Dann wurde mir klar, dass dieser Ton von mir kam.


Grob drückte Thorfast mich mit seiner linken Hand wieder hoch. Dann griff er stattdessen an meinen Hals und presste mich so gegen die Wand. Er warf das Messer beiseite und tastete mich rücksichtslos ab; jede Körperstelle, die ein Messer verbergen konnte, untersuchte er. Endlich, als er sicher war, dass ich keine Waffe bei mir hatte, ließ er mich los und drehte sich weg. Erleichtert rutschte an der Wand herab und saß schließlich auf dem Boden, die Knie an den Körper gezogen und mit beiden Armen umschlungen. Panisch verfolgten meine Augen jeden Schritt, den Thorfast machte.


Erst sah er sich im Haus um. Er durchsuchte mein gerade frisch gewaschenes Kleid und warf es dann achtlos in eine Ecke; jeden Behälter, in dem eine Waffe sein könnte, kontrollierte er. Schließlich ging er zur Tür und riss sie auf. Draußen stand immer noch der junge Wikinger, der Thorfast erschrocken ansah. Wild gestikulierend brüllte Thorfast den Jungen an, schob ihn an den Türpfosten, schubste ihn immer wieder; Thorfast überragte den Jungen fast um Haupteslänge, war dazu bestimmt dreißig Kilogramm schwerer. Alles in Allem schüchterte er ihn so sehr ein, dass der Junge sich nicht einmal wehrte.


Was ich als nächstes tat, war so idiotisch, dass ich es, wenn ich darüber auch nur eine Sekunde nachgedacht hätte, sicher gelassen hätte. Ich stand auf, holte das Messer, das Thorfast vorhin beiseite geworfen hatte, ging damit zum Tisch und rief seinen Namen. Beim ersten Mal schien er mich überhaupt nicht zu hören, was mich wütend machte, also rief ich ihn lauter noch mal. Schließlich sah er zu mir herüber, und in dem Moment zeigte ich ihm das Messer und schmetterte es mit voller Wucht auf die Tischplatte. Dann zeigte ich ihm meine leeren Handflächen (‚Da, ich bin unbewaffnet!’), drehte mich betont heftig um und stapfte zu meinem Bett, auf das ich mich in der gleichen Haltung hinsetzte wie vorher, und sah ihn dann mit einem trotzigen Blick an.


Beide Wikinger sahen mich vollkommen verblüfft an. Thorfast fing sich als erster. Er blaffte den Jüngeren an und ließ ihn los, worauf sich dieser hastig aus dem Staub machte. Thorfast schloss die Tür wieder, setzte sich auf einen der Hocker und betrachtete mich eine Weile schweigend. Endlich winkte er mich zu sich. Mit mehr Mut im Gesicht, als ich im Innern fühlte, trat ich vor ihn und blickte ihm in die Augen. Die Mordlust darin war weg, aber dafür war in ihnen jetzt eine Entschlossenheit, die mich fast genauso ängstigte.


Thorfast ergriff das Messer an der Klinge und hielt mir so den Griff entgegen. Zögernd griff ich danach und steckte es mir nach kurzem Überlegen in den Gürtel. Dann drehte ich mich um und ging mein Kleid aufheben. Es war schon wieder verstaubt, und weil es noch nass war, hielt der Dreck natürlich besonders gut. Ich würde es wohl noch mal waschen müssen. Also goss ich den Rest aus dem Krug in den Kessel und hing diesen über das Feuer. Als nächstes griff ich nach dem Eimer und ging Richtung Tür. Unterwegs holte ich das Messer wieder aus dem Gürtel und legte es zurück auf den Tisch; ich wollte nicht riskieren, damit draußen aufgegriffen zu werden. Ich öffnete wie selbstverständlich die Tür und trat nach draußen. Noch immer hatte Thorfast keinen Versuch unternommen, mich zurückzuhalten. Also machte ich mich auf den Weg zum Bach. Plötzlich hörte ich jemanden rufen. Verstehen konnte ich die Worte zwar nicht, aber der Ton klang warnend. Ich wandte mich um, suchte nach der Person hinter der Stimme, und sah den älteren Wikinger von heute morgen, der seine Wurfaxt drohend erhoben hatte und auf mich zukam. Als Erklärung hob ich ihm den Eimer entgegen, drehte mich dann wieder um und ging einfach weiter. Jeden Moment erwartete ich, die Axt im Rücken zu spüren, aber sie kam nicht.


Auf dem Weg zurück vom Wasser wurde ich von dem Wikinger genau gemustert, aber er ließ mich ohne Probleme passieren.


Allerdings folgte er mir zum Haus. Dort angekommen, öffnete ich die Tür und trat ein, blieb aber direkt stehen, um mich an das Zwielicht zu gewöhnen. Außerdem konnte ich dann sehen, wo Thorfast war, und ihn möglicherweise auf den Besuch aufmerksam machen.


Thorfast saß noch immer auf dem Hocker, mit dem Rücken zur Tür. Bei meinem Eintreten hatte er sich nicht gerührt. Also räusperte ich mich. Thorfast zuckte zusammen, drehte sich endlich um und sah mich an. Ich deutete mit meinem Kopf über meine Schulter und ging zum Kamin. Er stand auf und ging seinem Besucher entgegen. Dieser begann, mit Nachdruck auf Thorfast einzureden, aber Thorfast schnitt ihm ziemlich abrupt das Wort ab. „Valgard, “ begann er, dann redete er zu schnell weiter, als dass ich mehr verstanden hätte.


‚Valgard’ hatte ich schon mal gehört, als Thorfast mit dem Älteren gesprochen hatte, es schien sein Name zu sein. Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile. Zwischendurch gab mir Thorfast unter Valgards alarmiertem Blick mein Messer zurück, dass ich mir wieder in den Gürtel steckte. Die Unterhaltung der beiden wurde daraufhin auch kurzzeitig etwas lauter. Inzwischen wusch ich, zum zweiten Mal an diesem Tag, mein Kleid und hängte es erneut auf. Als ich fertig war, saß Thorfast wieder am Tisch. Der Besucher war verschwunden.


„Thorfast, “ sprach ich ihn an. Er blickte hoch und mir in die Augen. Ich deutete zur Tür und sagte: „Valgard?“ Thorfast zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Mit einem Nicken bestätigte er meine Annahme: „Valgard.“


Die nächsten zwei Stunden ließ ich mir von ihm die Bezeichnungen für alle möglichen Gegenstände im Haus sagen, wiederholte sich und versuchte, sie mir einzuprägen. Dann kamen die Verbindungen mit anderen Wörtern dran, wie zum Beispiel Brot essen, Brot backen, Brot schneiden und so weiter.


Dann machte ich verschiedene Gesten oder spielte Szenen vor, um „Hallo“ und „Tschüß“ zu lernen. Als nächstes schüttete ich etwas Mehl auf den Tisch und verteilte es gleichmäßig in einer dünnen Schicht auf der ganzen Platte, so dass ich eine Art Zeichenbrett hatte. Darauf malte ich die Sonne zu verschiedenen Tageszeiten, Regen, Schnee, Tag und Nacht. Zu jedem Bild ließ ich mir die passenden Worte sagen. So langsam schien es auch Thorfast Spaß zu machen, vor allem, wenn ich Dinge durcheinander brachte. Unterdessen war es Abend geworden, und mein Magen knurrte.


Das letzte Wort, das ich an diesem Tag lernte, war ‚Hunger’. Dieser wurde dann auch erfolgreich mit Rührei und Brot beseitigt, so dass ich mich dann – nach einer weiteren gründlichen Hausreinigung – mit den richtigen Worten zu Bett begab.


Das Messer legte ich vorher, einer Eingebung folgend, wieder auf den Tisch.

Am nächsten Morgen wurde ich mit dem ersten Krähen des Hahnes wach. Um Thorfast nicht zu wecken, stand ich leise auf, nahm eine Schüssel und den Eimer und ging raus, um Wasser zu holen und nach frischen Hühnereiern zu suchen. Da ich ja diesmal etwas mehr Zeit hatte, sah ich mich im Stall etwas genauer um. Außer den Hühnern direkt am Eingang gab es da auch noch eine Kuh sowie ein paar Ziegen und Schweine. Die Kuh sah aus, als ob sie dringend gemolken werden müsste, und eine der Ziegen ebenso. Also brachte ich das Wasser und die Eier ins Haus, nahm eine tiefe Schüssel und machte mich auf den Weg zurück in den Stall. Als ich dort ankam, war die Tür zum Stall nur angelehnt, obwohl ich sie vorher ganz sicher wieder geschlossen hatte. Vorsichtig schob ich die Tür weiter auf und blickte hinein. Da saß ein junges Wikingermädchen, vielleicht zehn Jahre alt, und molk die Kuh. Mein erster Impuls war, sie anzuschreien, aber dann überlegte ich. Was, wenn das so richtig war? Vielleicht kam dieses Mädchen jeden Morgen her? Irgendjemand tat es bestimmt, denn sonst wäre die Kuh schon längst krank geworden, schließlich musste sie ja jeden Tag gemolken werden.


Also machte ich mich mit einem leichten Klopfen am Türpfosten bemerkbar. Trotzdem erschreckte ich die Kleine. Sie fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Als sie sah, dass ich eine der neuen Frauen war, wurden ihre Augen groß, und sie öffnete den Mund weit, als ob sie schreien wollte. Schnell war ich bei ihr und hielt ihr meine Hand über den Mund, schüttelte den Kopf und machte „schhhhh“, um sie zu beruhigen. Sie wehrte sich nicht, aber ich sah, dass sie einen kleinen Dolch im Gürtel hatte, und wenn sie sich an den erinnerte, hatte ich wahrscheinlich keine Chance. Also ließ ich sie langsam wieder los, ging ein paar Schritte zurück, hob den Zeigefinger zu meinen Lippen und machte wieder „schhhhh“. Zumindest schien sie jetzt nicht mehr schreien zu wollen, aber sie war immer noch beunruhigt. Ich zeigte auf mich, sagte „Ann-Marie“. Dann zeigte ich auf sie, sah sie an. „Anska“ entgegnete sie. Ihr Stimmchen war kaum zu hören. Ich erinnerte mich an meinen Sprachunterricht, vom Vortag und sagte in ihrer Sprache „Hallo!“, was sie allerdings nur mit einem erstaunten Blick beantwortete. Also lächelte ich sie an, um ihr zu zeigen, dass ich ihr nichts tun würde.


Um sie zum Sprechen zu bringen und ihr etwas mehr Selbstvertrauen zu geben, beschloss ich, auch sie zu meiner Lehrerin zu machen. Ich zeigte auf die Schüssel, die ich mit hatte, und sagte das entsprechende Wort in ihrer Sprache. Das gleiche machte ich mit dem Eimer. Dann zeigte ich auf die Kuh und sah sie fragend an. Sie schien die Frage nicht zu verstehen, also sagte ich in meiner Sprache „Kuh“ und zeigte auf das Tier. Das verstand sie, und schon lernte ich ein neues Wort. Dabei blieb es nicht, ich lernte die Worte für Milch, melken, Ziege, Huhn, Heu, Erde, Stall und einiges anderes. Durch Zufall bekam ich sogar heraus, was ‚ich’ und ‚du’ heißt, so dass ich, wenn auch wahrscheinlich grammatikalisch vollkommen falsch, zum Schluss sagen konnte: „Du melkst die Kuh.“ Ich musste sehr merkwürdig gesprochen haben, denn Anska war plötzlich gar nicht mehr schüchtern, sondern lachte laut heraus. Ihr Lachen war so ansteckend, dass ich schnell darin einfiel. Und so standen wir beide da und lachten, dass uns die Bäuche wehtaten.


Plötzlich flog die Tür krachend auf, so dass die Hühner gackernd auseinander stoben. Im Eingang stand eine Wikingerin und sah erst Anska und dann mich wütend an. Dann schimpfte sie los, und Anska schien zu schrumpfen, als wollte sie im Erdboden versinken. Ich wünschte, ich könnte diese Frau verstehen und ihr vor allem auch meine Meinung sagen, aber ich kannte ganz einfach nicht genügend Wörter. Deswegen war ich sehr erleichtert, als ich von draußen auf einmal Thorfasts Stimme zu hören war. Auch er schien zu schimpfen, und zum ersten Mal war ich froh, dass die Frauen hier nicht so viel zu sagen hatten, denn die Wikingerin wurde schnell ziemlich kleinlaut und verzog sich wieder, sie zischte Anska nur noch zu, dass sie endlich (?) die Kuh und die Ziege melken sollte.


Dann fragte Thorfast etwas, aber Anska war zu verschüchtert, um ihm Rede und Antwort zu stehen, also sagte ich in seiner Sprache „Anska melkt die Kuh“ und hoffte, damit auch zu sagen ‚Anska bringt mir neue Wörter bei’. Das schien Thorfast auch sofort zu verstehen, denn er sah mich verblüfft an, lächelte dann aber und winkte mich aus dem Stall raus. Er sagte etwas, das ich nicht verstand, was aber anerkennend klang.

Von nun an sprach er immer sehr langsam und ließ mich vieles wiederholen, so dass ich mich nach gut zwei Wochen schon mit ihm unterhalten konnte, ohne viele Fehler zu machen. Das einzige, was Thorfast nicht wollte, war, dass andere aus dem Dorf davon erfuhren. Anscheinend sollten die neuen Frauen absichtlich so lange wie möglich dumm gehalten werden, damit sie sich ihrem neuen Leben fügten. Dass ich mich schon damit abgefunden hatte, hatte Thorfast schon längst erkannt, seit dem Zwischenfall mit dem Messer, daher hatte er auch keine Probleme damit, mich zu unterrichten. So erfuhr ich dann auch, dass er schon eine Frau gehabt hatte, diese aber vor drei Jahren im Kindbett verloren hatte. Das Kind war kurz danach auch gestorben, und seitdem war er allein geblieben. Normalerweise lebten in so einem Wikingerhaus wohl auch noch Bedienstete, aber die hatte er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr ertragen. Mich hatte dann bei seinem ersten Raubzug nach dem Tod seiner Frau gefunden, und weil er mich nicht hatte töten wollen, hatte er mich entführt. Deswegen hatte er wohl auch bisher noch kein körperliches Interesse an mir gezeigt, so dass ich noch immer in dem behelfsmäßigen Bett schlafen durfte, das er mir zu Anfang hergerichtet hatte.


Inzwischen hatte ich mich schon recht gut eingelebt, meine täglichen Ausflüge zum Bach runter beachtete kaum noch jemand, und ich hatte sogar schon am Waldrand Kräuter und Gewürze suchen können, ohne dass mir jemand das Leben schwer gemacht hätte. Die anderen Frauen aus meinem Dorf hatte ich bisher nur selten gesehen, sie durften meist nur unter Bewachung raus, und ich versuchte, mich dann im Verborgenen zu halten, damit sie von meinen Freiheiten nichts wussten. Die meisten Wikinger kannte ich mittlerweile, nicht alle mit Namen, aber zumindest die Gesichter waren mir nicht mehr fremd.


An einem sonnigen Vormittag, ich war gerade mit den morgendlichen Arbeiten fertig, wollte ich mal wieder zum Waldrand, nach Kräutern suchen. Weiter hinten im Wald konnte ich ein paar Holunderbüsche sehen, und da frische Holunderzweige gegen Fliegen helfen sollten, wollte ich mir einige Zweige für den Stall holen. Gerade jetzt im Sommer waren die Fliegen eine echte Plage.


Ich war schon ganz nah an den Büschen und hatte schon eine Hand ausgestreckt, als ich hinter den Zweigen Stimmen vernahm. Zuerst dachte ich, es wären Männer aus unserem Dorf, aber die Stimmen klangen fremd, und sie schienen über einen Überfall zu sprechen. Um zu sehen, ob ich mich nicht irrte, ließ ich mich lautlos auf die Knie nieder und hielt dann meinen Kopf fast in Bodenhöhe. Dort unten hatten die Zweige keine Blätter, so dass ich durch sie hindurch die Männer sehen konnte. Tatsächlich! Diese Gesichter hatte ich noch nie gesehen. Außerdem hatten sie ihre Waffen dabei – nicht Jagd-, sondern Kriegswaffen. Den Unterschied hatte mir Thorfast erst vor ein paar Tagen beigebracht, als er für die Jagd nicht das Schwert mitnahm, das ich von dem Überfall kannte, sondern ganz andere Waffen dabeihatte.


„Und du bist dir sicher?“ fragte grade einer der Fremden den anderen. „Natürlich!“, antwortete dieser. „Sieh sie dir doch an! Seit letzter Nacht bin ich hier, und ich habe keine einzige Wache gesehen. Das wird so einfach, als ob da nur Kinder wären!“ – „Gut, dann also heute Nacht. Wenn es wieder so neblig wie letzte Nacht wird, werden sie uns nicht mal mehr sehen!“


Ganz langsam erhob ich mich wieder, sah mich nach allen Seiten um, und erst, als ich mir wirklich sicher war, ging ich los. Ich achtete auf jede Unebenheit im Boden – jetzt bloß nicht auf einen trockenen Zweig treten! Ich schaffte es auch ohne Zwischenfälle bis zum Waldrand. Ich drehte mich noch einmal zurück – nein, da war niemand hinter mir. Schnell lief ich auf das Dorf zu, kam um die Ecke des ersten Hauses – und prallte mit Thorfast zusammen!


„Was wolltest du im Wald?“ blaffte er mich an. Ganz außer Atem versuchte ich zu erklären: „Ich … ich wollte … Kräuter … sammeln …“ Ich atmete tief durch. Sofort fing er wieder an: „Du hast ohne meine Erlaubnis im Wald nichts zu suchen!“ Ich schüttelte den Kopf. „Hör mir zu. Da sind Fremde! Im Wald! Sie haben Waffen dabei. Aber nicht die für die Jagd! Sie wollen uns heute Nacht überfallen!“


Ich konnte ihm ansehen, dass er mir nicht glaubte. Wie sollte ich ihn davon überzeugen?


„Geh doch nachsehen, wenn du mir nicht glaubst! Aber geh nicht ohne Waffen!“


Thorfast sah mich an, schüttelte den Kopf und ging los Richtung Wald. Ich rannte um ihn herum und stellte mich ihm in den Weg. „Thorfast, nicht! Glaub mir doch, wenn du da jetzt so hingehst, werden sie dich töten!“


„Geh mir aus dem Weg!“


„Nein!“ Ich schüttelte entschlossen den Kopf. Er würde mich schon umrennen müssen, um an mir vorbeizukommen!


Seine Stimme wurde gefährlich leise: „Ich sagte: Geh mir aus dem Weg!“


Ich atmete tief durch. Mit entschlossenem Blick hob ich den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Nein. Ohne Waffen lasse ich dich nicht in den Wald. Nicht jetzt.“ Auch meine Stimme war jetzt sehr ruhig. Ich musste damit rechnen, für diesen wiederholten Widerspruch bestraft zu werden, aber das war mir im Augenblick egal. Er würde nicht ohne Waffen in den Wald gehen, dafür würde ich sorgen!


Meine Entschiedenheit schien seinen harten Schädel dann doch zu durchdringen. „Gut. Ich hole meine Waffen, du wartest hier!“


Ohne eine Reaktion von mir abzuwarten, wandte er sich ab und ging in unser Haus. Kurz darauf erschien er wieder, mit Kriegsschwert und Schild in Händen und der Wurfaxt am Gürtel. Auf dem Weg zu mir wurde er von einem Wikinger angesprochen. Er schien zu erklären, was ich ihm gesagt hatte, und deutete dabei auf den Wald. Nach einem kurzen Wortwechsel kam Thorfast weiter auf mich zu. Er war schon fast bei mir, als der andere Wikinger – nun auch bewaffnet – hinter ihm auftauchte. Es war Valgard. Das beruhigte mich etwas.


„Also, geh vor!“ sagte Thorfast zu mir. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich war die einzige unbewaffnete hier, und ich sollte vorgehen? Aber ich war auch die einzige, die genau wusste, wo die Fremden waren. Ich hoffte nur, dass die beiden schnell reagieren konnten, wenn es darauf ankam.


Als wir den Waldrand überschritten, wurde ich sehr vorsichtig. Immer langsamer, damit ich kein Geräusch machte, arbeitete ich mich in Richtung Gebüsch vor. Stimmen waren von dort jetzt keine mehr zu hören. Hatten sie uns schon entdeckt?


„Nun? Wo sind die Fremden?“ herrschte Thorfast mich an. Ich zeigte auf die Holundersträucher. „Dahinter.“ flüsterte ich.


Thorfast gab Valgard ein Zeichen, woraufhin sie auf entgegengesetzten Seiten die Büsche umrundeten. Schließlich hörte ich Thorfast auf der anderen Seite ziemlich verärgert sagen: „Ich wusste es. Hier ist keiner!“


Ungläubig folgte ich ihnen auf die andere Seite. Tatsächlich war kein Fremder mehr da.


„Aber … sie … sie waren hier! Hier müssen Spuren von ihnen sein!“


Valgard hatte schon angefangen, nach Zeichen zu suchen. Plötzlich hörten wir von ihm: „Tatsächlich! Hier haben mehrere Bewaffnete gesessen! Mitten in den Büschen!“


Thorfast kroch ihm nach. Er glaubte mir wohl immer noch nicht. Schließlich aber kamen beide wieder heraus, und Valgard fragte mich: „Was genau hast du gesehen und gehört?“


„Drei … nein, vier Fremde. Mit Kriegswaffen.“ begann ich. Bei dem Wort Kriegswaffen sah Valgard Thorfast mit hochgezogenen Augenbrauen an.


„Sie haben gesagt, dass sie unser Dorf heute Nacht überfallen wollen! Wenn der Nebel kommt.“


Valgard sah mich nachdenklich an. „Und das hast du alles verstanden?“ Ich nickte nur. Mein Blick suchte den Thorfasts, aber er sah mich nicht an. Valgard sah meinen Blick. „Mach dir darüber keine Sorgen. Dass du uns gewarnt hast, wird allen zeigen, dass Thorfast recht daran tat, dich zu unterrichten.“ Er wandte sich direkt an Thorfast: „Aber du hättest zumindest mich einweihen können! Ich dachte, du vertraust mir!“ Thorfast konnte Valgard nur sehr kurz in die Augen schauen, dann sah er ziemlich betreten zu Boden.


Die beiden hatten sich wahrscheinlich noch einiges zu sagen, aber mir wurde mit jedem Moment, den wir länger blieben, unheimlicher. „Können wir jetzt wieder aus dem Wald raus?“ Meine Stimme musste sich sehr jämmerlich angehört haben, denn Thorfast sah mich mit einem entschuldigenden Lächeln an und sagte: „Ja, natürlich!“

Später am Abend saß ich auf meinem Bett und lauschte den Männern. Mindestens fünfzehn Wikinger waren um den Tisch herum versammelt und beratschlagten sich, wie sie in der Nacht vorgehen sollten. Die Sache mit meinem Unterricht war ziemlich schnell abgehandelt worden, dafür hatten sie mich auch kurz befragt, aber ich hatte mich als vertrauenswürdig erwiesen, also war’s das. Das konnte mir und auch Thorfast nur recht sein.


Jetzt ging es nur noch um Strategie. Ich verstand kaum die Hälfte von dem, was sie sagten, aber es klang fürchterlich. Sie sprachen davon, die Gegner abzuschlachten, ihnen die Eingeweide rauszureißen und schlimmeres. Ich fühlte mich einen Augenblick lang nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft versetzt, mitten unter die Klingonen aus ‚Raumschiff Enterprise’. Wie bei denen sprachen auch die Wikinger von dieser idiotischen Ehre, falls sie im Kampf getötet werden sollten. Typisch Männer!


Schließlich gingen die meisten wieder, sie wollten sich, sobald der Nebel ins Dorf kroch, um die Häuser herum verteilen und die Fremden so in die Zange nehmen. Thorfast und Valgard blieben. Thorfast gab Valgard noch einen Krug Met, dann kam er zu mir.


„Wenn es losgeht, versteck dich in der dunkelsten Ecke. Komm nicht wieder raus, bevor es vorbei ist. Hast du das verstanden?“ Ich nickte.


„Gut. Denk daran, dein Messer mitzunehmen. Falls sie dich finden, versuch nicht, dich damit zu verteidigen, sie würden es dir sofort abnehmen können.“ Er atmete tief durch. „Wenn sie dich finden – du weißt, dass sich dich nicht so behandeln würden, wie ich es getan habe, oder?“


Wieder konnte ich nur nicken. Ich wusste, was er gleich sagen würde, und ich fühlte mich, als hätte ich einen Kloß im Hals.


„Wenn sie dich also finden … wenn dir kein anderer Ausweg mehr bleibt, stoß dir das Messer links unter den Rippen ins Herz. Das sollte ziemlich schnell- “ Hier brach er ab, es schien auch in nicht kalt zu lassen.


Ich schluckte. „Komm wieder!“ Es kam nur flüsternd heraus.


Thorfast sah mich lange an. Dann legte er seine Hand auf meine Schulter, drückte sie kurz und ging dann wieder zu Valgard.


Etwa eine halbe Stunde später verließen sie das Haus.

Es wurde so still, dass ich zwischendurch schon Dinge hörte, die es gar nicht gab. Immer wieder zuckte ich zusammen und sah zur Tür. Das Schlimme war ja, dass es so dunkel war. Kerzen und Fackeln hatte ich gelöscht und die Glut im Kamin unter der Asche begraben. So konnte ich trotz größter Anstrengungen kaum mehr als Umrisse erkennen.


Ich erschrak fürchterlich, als es schließlich doch losging.


Rund um das Haus hörte ich das markerschütternde Brüllen unserer Männer, als sie die Fremden aus dem Verborgenen heraus angriffen. Waffen trafen laut klirrend aufeinander, und die Schreie der Verwundeten gellten in meinen Ohren. Ab und zu schien jemand an die Hauswand gedrängt zu werden. Ich verkroch mich noch mehr in meiner Ecke und hoffte, es würde bald vorbei sein.


Nach einiger Zeit wurde es auch wirklich ruhiger draußen, und schließlich schallten Rufe durch das Dorf: „Sie flüchten!“ – „Ja, verschwindet! Verkriecht euch wieder in eure Löcher!“ – „Den haben wir’s gezeigt!“ – „Wir haben gesiegt!“ Der Rest ging in unartikuliertem Siegesbrüllen unter. Endlich ging auch die Tür auf, und Thorfast kam herein. Allerdings stützte er sich auf Valgard, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Ich sprang auf und eilte auf sie zu.


„Er muss ins Bett.“ sagte Valgard.


Ich lief zum Bett und schlug die Decke zurück, damit Thorfast sich auf das Betttuch legen konnte.


„Was ist passiert?“ Ich sah Valgard fragend an.


Er deutete auf Thorfasts rechtes Bein. „Er hat einen Speer ins Bein bekommen.“


Sofort wollte ich mir die Wunde ansehen, sie musste ja gereinigt werden, aber Thorfast wehrte ab. „Nicht. Ich brauche nur etwas Ruhe. Morgen geht’s mir wieder besser:“


Ich schüttelte den Kopf: „Die Wunde muss-“ „-in Ruhe gelassen werden, sonst nichts!“ schnitt mir Thorfast das Wort ab. Und dabei blieb er. Er aß noch etwas Brot und betrank sich ziemlich mit Met – damit er gut schlafen könne -, drehte sich dann zur Wand und schlief ein.

Am nächsten Morgen sah ich als erstes nach ihm. Wie erwartet hatte er Fieber, und seine rechte Wade, die er während des Schlafs von der Decke befreit hatte, sah ziemlich übel aus. Der dunkle Schmutz und die hochroten Wundränder ergaben ein gefährlich aussehendes Bild. Außerdem hatte er Fieber. Er ließ sich nicht wecken, und ich lief panisch durch das Haus. Was sollte ich tun? Mein Atem ging stoßweise, mein Herz schien gleichzeitig in meinem Bauch und meinem Hals zu schlagen, und ich suchte den gesamten Raum verzweifelt nach etwas ab, das mir helfen würde.


Aber dann erinnerte ich mich daran, dass es viele Pflanzen gab, die man gegen Fieber, Schmerzen und zur Wundheilung verwenden konnte, und dass ich einige davon ja auch schon gesammelt hatte. Und so stellte ich aus Kamillenblüten, Weidenrinde, Holunderblüten, Lavendelblüten, Pfefferminzblättern und Schafgarbe einen desinfizierenden, schmerz- und entzündungshemmenden Aufguss her, mit dem ich Thorfasts Wunde auswusch. Jetzt konnte er mir dabei wenigstens nicht widersprechen. Allerdings war mir das nur ein kleiner Trost. Mir wäre ein wacher, wenn auch verstimmter Thorfast lieber gewesen.


Als die Wunde sauber war, holte ich von draußen frische Spitzwegerichblätter, die ich in einer Art Mörser zu einem Mus verarbeitete und auf die Wunde auftrug, um die Wundheilung zu beschleunigen. Mit ein paar intakten Blättern bedeckte ich das Ganze. Dann umwickelte ich das Bein mit einer Lage Leinen.


Ich wollte ihn so eigentlich nicht allein lassen, aber jetzt musste ich erst einmal neues Wasser holen. Also ging ich runter zum Bach. Bevor ich aber den Eimer füllte, machte ich noch einen kurzen Umweg und beschaffte mir frische Weidenrinde.


Zurück im Haus gab ich ein wenig Wasser in den Kessel, den ich dann über das Feuer hängte. Den Rest ließ ich im Eimer, in den ich mehrere Leinentücher tauchte. Damit machte ich Thorfast kalte Wadenwickel, die ihm hoffentlich das Fieber aus dem Körper ziehen würden.


Inzwischen kochte auch das Wasser im Kessel. Ich nahm einen Krug vom Regal und gab dort die Weidenrinde und eine Handvoll getrocknete Holunderblüten hinein. Das Ganze übergoss ich mit dem kochenden Wasser und süßte es zum Schluss noch mit Honig. Das Ergebnis ließ ich abkühlen und flößte es dann Thorfast ein, um das Fieber und die Schmerzen zu bekämpfen.


Nach einiger Zeit schlief er dann auch ruhiger, so dass ich mir um ein nahrhaftes und gesundes Essen Gedanken machen konnte. Im Zwanzigsten Jahrhundert sagte man ja immer, ‚schon Großmutter habe in solchen Momenten Hühnersuppe gekocht’, und auch meinem mittelalterlichen Ich war dieses Universalrezept schon bekannt, also musste es ja wohl stimmen. Also ging ich ein Huhn schlachten.


Als ich gerade mit dem Rupfen fertig war, was ich wegen des Abfalls draußen erledigt hatte, und wieder ins Haus wollte, kam Valgard mir entgegen. „Wie geht es Thorfast?“


„Er schläft, aber er lässt sich nicht wecken. Er hat Fieber, und die Wunde ist sehr heiß und rot, - “, mir fiel einfach nicht das richtige Wort ein.


„Entzündet?“, half mir Valgard aus.


„Ja, genau. Ich hab die Wunde gesäubert und ihm was gegen das Fieber gegeben, aber ob es hilft, weiß ich nicht. Jetzt mache ich ihm Hühnersuppe.“ Ich seufzte. „Ich hoffe, er isst nachher auch was davon. Er kann jedes bisschen Energie brauchen.“


„Du scheinst alles richtig gemacht zu haben. Ich geh mal zu ihm rein.“ Er klopfte mir auf die Schulter, dann verschwand er im Haus.


Nachdem ich das Huhn abgesengt, ausgenommen und gewaschen hatte, ging ich auch hinein. Valgard sah auf, als ich die Tür öffnete. Er saß bei Thorfast auf dem Bettrand. „Er war grade wach und hat etwas von dem Wasser getrunken. Jetzt schläft er wieder.“


„Er war wach? Thor sei dank!“ platzte es aus mir heraus. Ich fühlte mich so erleichtert, dass mir die Knie weich wurden und ich mich auf einen der Sitzklötze niederließ. Im nächsten Moment schreckte ich wie von der Tarantel gestochen wieder hoch. Das Essen! Hektisch begann ich die Suppe vorzubereiten. Als sie endlich über dem Feuer köchelte, war Valgard wieder gegangen.


Langsam verbreitete sich ein appetitlicher Duft im Haus, von dem mir das Wasser im Mund zusammenlief. Ich probierte von der Suppe, würzte sie noch einmal nach und schwenkte den Kessel etwas beiseite, damit er nicht mehr über der größten Hitze hing. Mit den zartesten Fleischstücken und einer großzügigen Portion Suppe füllte ich eine Schüssel und ging damit hinüber zu Thorfast.


Ich setzte mich auf den Bettrand und wedelte Thorfast den Duft der Suppe zu, in der Hoffnung, er würde dadurch aufwachen. Schließlich rief ich ihn auch leise. „Thorfast, das Essen ist fertig, wach auf! Thorfast!“


Endlich sah ich seine Augenlider flattern. Damit er auch wirklich aufwachte, rüttelte ich ihn sanft an der Schulter. Er öffnete die Augen und sah in meine Richtung, aber er schien mich nicht wirklich wahrzunehmen. Aber das war jetzt erst mal egal, Hauptsache, er bekam etwas in den Magen! Also stellte ich die Schüssel in seinem Schoß ab, füllte einen Löffel mit Suppe und hob mit der anderen Hand seinen Kopf an. So konnte ich ihm die Suppe einflößen. Der Geschmack schien ihn erst richtig zu wecken, denn im nächsten Moment blickte er mich mit schon viel klareren Augen an. „Mehr“ sagte er, und mehr bekam er. Überglücklich, dass er wieder bei Verstand war, fütterte ich ihn immer weiter mit der Suppe, bis der Löffel plötzlich leer aus der Schüssel wieder auftauchte. Sein Mund, der sich schon reflexartig geöffnet hatte, schloss sich wieder, und ich erhob mich lachend vom Bett. „Warte, ich hol noch mehr!“


Als ich vom Kessel zurückkam, saß er schon, nahm mir den Löffel und die Schüssel ab und aß allein. Nach ein paar Minuten wurde sein Gesichtsausdruck immer ruhiger, zufriedener und verträumter, seine Bewegungen immer langsamer, und plötzlich musste ich schnell zugreifen, damit ihm die Schüssel nicht aus der Hand rutschte. Er war doch tatsächlich beim Essen eingeschlafen! Ungläubig mit dem Kopf schüttelnd (aber grinsend) nahm ich ihm auch den Löffel ab, stellte beides auf dem Boden ab und ‚überredete’ Thorfast mit etwas Schieben und Drücken dazu, sich wieder richtig hinzulegen. Nachdem ich ihn zugedeckt hatte, sah ich ihn lange an. Schließlich streichelte ich ihm über die Wange, und ein warmes Gefühl der Zuneigung durchströmte mich. „Schlaf dich gesund, Großer!“ flüsterte ich.


Am Abend stand er auf, um Wasser zu lassen, und legte sich danach sehr erschöpft wieder hin. Die Wunde hatte sich geöffnet und blutete sehr stark.


Ich schimpfte mit Thorfast und verband sein Bein neu. Er reagierte kaum auf meine Worte, was mir Sorgen machte, denn normalerweise ließ er sich nicht so mit sich reden. Als ich ihm meine Hand auf die Stirn legte, merkte ich, dass er schon wieder Fieber hatte, aber er schlief so schnell ein, dass ich ihm kaum etwas von meiner Medizin vom Morgen einflößen konnte. Das meiste floss ihm an den Mundwinkeln wieder heraus.


In der Nacht wachte ich bei ihm. Obwohl ich ihn zusätzlich auch schon mit meiner Decke zugedeckt hatte, fror er entsetzlich, so dass sich mich schließlich mit zu ihm legte und mich dicht an ihn schmiegte. Ich streichelte ihm über den Kopf und die Wange und redete ihm beruhigend zu, und endlich wurde dann auch sein Atmen tiefer und gleichmäßiger, und seine Körpertemperatur schien sich zu normalisieren. Seine rhythmischen Atemgeräusche hatten etwas Hypnotisierendes, Einlullendes. Ich dachte mir noch, ich müsste gleich rüber in mein Bett gehen, damit ich ihn am nächsten Morgen nicht wecken würde, wenn ich aufstehe. Aber es war gerade so angenehm, nur noch eine Minute liegen bleiben … ein wenig den Rücken strecken … warum war Thorfasts Bett eigentlich so viel bequemer als meins … gleich … gleich stehe ich wieder auf … gleich …

Ich wachte auf, als ich eine raue Hand spürte, die sanft über mein Gesicht strich. Im Haus herrschte dieses schummrige, blasse Licht, das darauf hindeutete, dass draußen schon heller Tag sein musste. Trotzdem konnte ich Thorfasts Gesicht ohne Schwierigkeiten erkennen, denn es war keine zwei Handbreit von meinem entfernt. Er hatte sich zu mir gedreht und lag auf der Seite, und er sah mich sehr liebevoll an. „Guten Morgen, Langschläfer!“ sagte er und grinste mich an. Sein gesamter Körper war dicht an meinem, und so spürte ich, dass mir da wohl noch jemand einen guten Morgen wünschen wollte. Das ging mir dann aber doch zu schnell. Ich rückte von Thorfast ab und setzte mich hin. Um meine Unsicherheit zu überspielen, lächelte ich zurück und sagte: „Also wenn hier jemand ein Langschläfer ist, dann ja wohl du. Wie geht es dir heute Morgen?“


„Danke, ganz gut.“ Schwang da etwa ein wenig Enttäuschung in seiner Stimme mit? Lange würde er in mir wohl nicht mehr nur die Köchin und Putzfrau sehen. Allerdings war mir nicht ganz klar, ob mich das noch stören würde. Aber egal. Erst mal musste Thorfast wieder gesund werden.


„Das nächste Mal wirst du also auf mich hören, wenn du verletzt bist?“ neckte ich ihn. „Wieso? Du siehst doch, dass es mir wieder besser geht. Einfach nur gut schlafen hat doch gereicht.“ – „Du erinnerst dich nicht an gestern?“ fragte ich ihn verblüfft.


„Natürlich erinnere ich mich. Gestern war der Kampf – oder nicht?“ Langsam schien es ihm wieder einzufallen. „Nein, stimmt, gestern ging es mir gar nicht gut. Und du hast gestern Hühnerbrühe gekocht und …“ Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Wie konnte ich das nur vergessen?“


„Du hattest sehr starkes Fieber.“ erinnerte ich ihn. „Die meiste Zeit warst du gar nicht ansprechbar. Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht!“ Dass es wirklich so war, dass ich sogar richtiggehend Angst um ihn gehabt hatte, wurde mir erst jetzt bewusst. Das machte mich unsicher, meine Unsicherheit machte mich wütend, und meine Wut übertrug ich auf Thorfast. Fast schon herrisch fauchte ich ihn an: „Bleib jetzt ja liegen. Ich hole Wasser und Tücher, und dann sehe ich mir dein Bein an!“


Thorfast blickte mir vollkommen verblüfft hinterher, als ich aus dem Bett stieg und mir meine Schuhe wieder anzog.

Seine Wunde sah schon etwas besser aus. Damit Thorfast würde aufstehen können – eine Bettpfanne würde er wahrscheinlich nur verwenden, um sie mir über den Schädel zu ziehen – legte ich ihm nach der Säuberung einen Verband an, den ich nach einigem Probieren an einer Art Strumpfband befestigte, welches ich ihm direkt unterhalb des Knies um das Bein gebunden hatte. So würde der Verband zwar vielleicht nicht fest, aber doch zumindest auf der Wunde bleiben und somit eine Verschmutzung verhindern.


Anschließend holte ich ihm einen stabilen Stock, der sich am oberen Ende gabelte, damit er sich aufstützen konnte. Inzwischen war es mir ziemlich unangenehm, wie ich ihn gerade angefahren hatte. Das war normalerweise gar nicht meine Art, und außerdem war er ja eigentlich der „Herr im Hause“. Was, wenn er mir das krumm genommen hatte? Dementsprechend heftig zuckte ich zusammen, als er mich plötzlich ansprach.


“Ann-Marie?“


Mein Hals war wie ausgetrocknet, und nur mit großer Willensanstrengung schaffte ich es, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. „Ja?“ brachte ich ziemlich erstickt hervor.


„Danke.“ Damit stand er auf und ging, auf den Stock gestützt, Richtung Plumpsklo. Erleichterung durchflutete mich wie eine riesige Welle. Ich sammelte den benutzten Verband zusammen, als er stehen blieb und sich halb zu mir umdrehte. „Ach, und Ann-Marie?“


Ich schluckte. „Ja?“


„Pass auf, wie du mit mir redest.“ Damit drehte er sich wieder um und ging weiter.

Nach einer Mahlzeit ging er nach draußen, und bis zum späten Nachmittag hatte ich das Haus für mich. Ich öffnete alle Fenster und die Tür, damit der Mief der Krankheit sich verzog, und lüftete auch Thorfasts Bettzeug ordentlich durch. Nachdem ich auch die restliche Hausarbeit verrichtet hatte, überlegte ich, was ich heute wohl auf den Tisch bringen könnte, als Thorfast wieder herein kam. In der Hand hielt er eine Schüssel mit einem Stück Fleisch, die er mir auf den Tisch stellte.


„Hier, das ist für dich. Wir Krieger feiern heute zusammen in der großen Halle. Du musst also für mich nichts machen.“ Er setzte sich an den Tisch. Da er noch ziemlich geschwächt schien, stellte ich ihm einen Becher mit dem schmerz- und fiebersenkenden Tee hin.


„Trink das bitte, auch wenn es nicht besonders gut schmeckt. Sonst kippst du nachher auf der Feier noch um.“


Er hob die Öffnung des Bechers an die Nase und roch daran. Sofort verzog er das Gesicht. „Bäh, was ist das denn! Das kannst du alleine trinken!“


„Das ist genau das, was dir letzte Nacht das Leben gerettet hat!“ fauchte ich ihn an. Im nächsten Moment zuckte ich innerlich zusammen und milderte meinen Ton ab. „Es schmeckt nicht, aber es hilft. Ich möchte doch nur nicht, dass du wieder krank wirst.“


Thorfast sah mich abschätzend an, holte tief Luft – und trank den Becher in einem Zug aus. Sofort verzog er sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, und schüttelte sich. Dabei gab er ein Geräusch von sich, das sich sehr nach ‚brrrrrr’ anhörte. Zum Glück konnte ich mir ein Grinsen verkneifen, das wäre jetzt bestimmt nicht so gut angekommen. Zur Versöhnung goss ich ihm sofort Met nach, den er auch dankbar annahm.


Während Thorfast noch am Tisch saß, nahm ich das Fleisch und schnitt es in kleine Stücke. Ich wollte daraus Gulasch machen, dann würde es auch noch für den nächsten Tag reichen. Ich war vollkommen in die Zubereitung vertieft, so dass ich seine weiteren Taten gar nichts mitbekam. Irgendwann sprach er mich dann an, dass ich nicht auf ihn warten sollte, und ging.


Bis das Essen fertig war, füllte ich unsere Vorräte, vor allem Wasser, Eier, Blätter für das Plumpsklo, sowie meine Heilkräutersammlung wieder auf, und besserte schließlich auch noch diverse Kleidungsstücke aus. Schließlich, als es draußen schon dunkel wurde, war auch das Gulasch fertig, und ich setzte mich zum Essen an den Tisch. Ohne darüber nachzudenken, hatte sich mich auf den Platz gesetzt, auf dem vorhin noch Thorfast gewesen war. Von dort aus konnte ich den größten Teil des Hauses überblicken, da ich jetzt nur die Tür im Rücken hatte. Und da fiel mir dann auch auf, was Thorfast vorhin gemacht hatte.


Mein Bett war weg!


Ich bekam den Bissen, den ich gerade schlucken wollte, kaum herunter. Meine Gedanken überschlugen sich, aber schließlich konnte ich mich wieder halbwegs beruhigen. Zumindest mein modernes Ich wusste, was ich in einer der nächsten Nächte zu erwarten hatte, und ich hatte auch eigentlich keine Angst. Aber es würde meine Beziehung zu Thorfast erheblich verändern, und ich wusste nicht, ob ich das wollte. Nur dass das nicht mehr meine Entscheidung war.


Da ich mein Schicksal sowieso nicht ändern konnte, wollte ich es mir zumindest so angenehm wie möglich machen. Also bereitete ich das Bett soweit vor, dass ich mich gleich nur noch hineinlegen brauchte, und stellte auch eine Kerze daneben, sodass ich es nicht im Dunkeln finden musste. Dann verschloss ich die Tür und die Fenster, zog mich aus und wusch mich gründlich, vor allem auch an meinen intimen Stellen. Wenn ich „dabei“ nur daran dachte, ob ich „da“ vielleicht schlecht roch, würde ich mich nicht entspannen und es genießen können. Dabei wollte ich mir genau das vornehmen. Zuletzt wusch ich meine Kleidung und hängte sie auf, so dass Thorfast nicht misstrauisch werden würde, wenn er mich mit einem frischen Nachthemd im Bett vorfand. Schließlich hielt er mich ja für eine unerfahrene Jungfrau (nun gut, mein mittelalterliches Ich war das ja auch), und da sollte ich ja eigentlich gar nicht wissen, worum es „dabei“ geht. Nachdem ich auch meine Blase geleert und die Tür wieder entriegelt hatte, legte ich mich ins Bett, rückte nach hinten an die Wand, und versuchte zu schlafen.


Anfangs hielt mich der Lärm der Feiernden davon ab, aber nach einiger Zeit, als mich meine Gedankengänge zu dem Schluss geführt hatten, Thorfast würde ja doch erst kommen, wenn es still wurde, beruhigte mich die Geräuschkulisse und half mir, endlich einzuschlafen.

Ich wachte auf, als die Tür ins Schloss fiel. Im ersten Moment war ich verwirrt, warum das wichtig zu sein schien, dann wurde ich vollends wach, als ich mir bewusst wurde, in wessen Bett ich lag. In dem wenigen Licht, das die fast verglühten Holzscheite noch hergaben, konnte ich nur Umrisse eines Mannes erkennen. Es war Thorfast, und er bemühte sich wohl, leise zu sein, was ihm mit seiner Krücke aber nicht besonders gut gelang. Trotzdem tat ich weiter so, als würde ich schlafen.


Er entfachte das Feuer, nahm von dem Regal über dem Kamin eine Kerze und zündete sie an. Mit dieser kam er herüber zum Bett. Im Feuerschein konnte ich erkennen, dass er bis auf den Verband nackt – und feucht war. Als hätte er grade im Bach gebadet. Die Kerze stellte er über dem Bett auf das Regal, dann schlüpfte er unter die Decke und schmiegte sich an mich. Erschrocken zog ich zischend Luft zwischen den Zähnen ein – eiskalt war er! Ich wollte von ihm wegrücken, aber er hielt mich fest, umklammerte mich richtig. Dann war sein Mund an meinem Ohr, und er flüsterte mir zu: „Bleib, du musst mich aufwärmen. Du willst doch nicht, dass ich wieder krank werde, oder?“ – „Wie kannst du nur so gemein sein?“ fragte ich zurück. Dass ich diese Situation im Gegensatz zu ihm nicht im Geringsten komisch fand, merkte er daran, dass ich inzwischen am ganzen Körper zitterte.


„Tut mir leid!“ Er hörte sich wirklich reuig an, und so langsam schien er ja auch warm zu werden. Dafür hatte ich das Gefühl, mein Körper würde immer mehr auskühlen, so dass ich mich nun plötzlich näher an ihn herandrängte. Er schien meine Absicht aber wohl misszudeuten, denn er fing an, mich zu streicheln. Er begann, an meinem linken Arm heraufzustreichen, von dort über meine Schulter und den Hals zu meiner Wange. Von dort strichen seine Finger über meine Lippen, welche sich unter dieser sinnlichen Berührung wie von selbst ein Stück öffneten. Meine Gänsehaut rührte inzwischen nicht mehr von der Kälte her, auch mir wurde langsam wieder warm.


Als sich Thorfasts Finger von meinem Mund lösten, wurden sie sofort von seinem Mund ersetzt. Zärtlich streiften seine Lippen über meine, dann folgte seine Zungenspitze, die erst über meine Lippen fuhr, bevor er sie meinen Mund erforschen ließ. Scheu begrüßte meine Zungenspitze die seine, woraufhin er überrascht einatmete. „Ah, meine Kleine, “ flüsterte er, „das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte.“ Während er mich weiter küsste, erforschte seine rechte Hand meinen Körper. Sanft streichelte er meine Brust, und als ich ihn nicht abwehrte, begann er, sie vorsichtig zu massieren. Dann wanderte seine Hand weiter nach unten, folgte meinem Bein an der Außenseite bis hinunter zum Knie, um dann auf die Innenseite zu wechseln und wieder heraufzukommen. Dabei schob er mein Nachthemd mit nach oben. An meinem Slip stockte er kurz, rieb dann aber gekonnt genau über meine empfindsamste Stelle. Unwillkürlich zog ich heftig die Luft ein, gleichzeitig verlor ich die bewusste Kontrolle über meinen Körper, denn mein Unterkörper drängte sich ohne mein Zutun Thorfasts Hand entgegen. Gleichzeitig spreizte ich meine Beine ein wenig. Als er daraufhin seine Hand auch über meine Spalte rieb, stöhnte ich leise in seinen Mund. Thorfasts Lippen verließen die meinen und wanderten über meine Wange zu meinem Ohr, an welchem er zärtlich zu knabbern begann. „Dich müssen mir die Götter geschickt haben!“ hauchte er mir zu. Oh Thorfast, wenn du wüsstest…


Thorfast erhob sich neben mir auf die Knie und versuchte nun, mir mit beiden Händen das Nachthemd auszuziehen. Um ihm zu helfen, setzte ich mich kurz hin, so dass er es mir sehr schnell über den Kopf gezogen hatte. Während ich mich wieder zurücklegte, betrachtete er mich und streichelte mir über die Brüste. Meine Brustwarzen erhoben sich leicht und schienen sich ihm entgegenzustrecken. Dieser Einladung konnte er nicht widerstehen, und so beugte er sich über mich und küsste mich auf den Mund, um sich dann küssend hinunter zu meinem Busen zu bewegen. Abwechselnd kümmerte er sich um beide Brüste, wobei mir das leichte Kratzen seines Bartes wohlige Schauer über die Haut jagte. Unwillkürlich streichelte ich ihn über den Kopf und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. Mein Brustkorb hob und senkte sich schnell im Rhythmus meines Atems. Seine linke Hand massierte und streichelte meine Brüste, seine rechte war wieder zu meinem Kitzler zurückgekehrt. Nach einiger Zeit ließ sein Mund von meinem Busen ab und wandte sich tieferen Regionen zu. Seine linke Hand folgte ihm, und während er mir spielerisch in den Bauch biss, zog er mir den Slip aus. Mit dem Gesicht direkt über meiner Scham holte er durch die Nase Luft. „Mmmh, frisch gebadet…“ Und dann hatte ich das Gefühl, ich wäre im Himmel gelandet. Er verwöhnte mich mit seiner Zunge und seinen Fingern, dass mir fast die Sinne schwanden. Er schaffte es, mich bis zum Orgasmus zu bringen. Im nächsten Moment war er über mir und drang in mich ein. Das kurze Stechen, als er mich entjungferte, hatte ich sofort wieder vergessen, denn seine Finger hatten die Arbeit seiner Zunge an meinem Kitzler übernommen und sorgten für genügend Ablenkung. Er hielt lange genug durch, dass ich noch mal kam. Im selben Moment kam es auch ihm.


Noch lange danach lag Thorfast neben mir, den Kopf aufgestützt, und sah mich an. Dabei streichelte er mir übers Gesicht und sagte ab und zu leise: „Meine Kleine…“. Mein Blick verlor sich in seinen tiefblauen Augen, und schließlich schlief ich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ein.

Kommentare


Wildeyes
dabei seit: Dez '01
Kommentare: 9
schrieb am 26.05.2006:
»sehr schööön :) mehr von solchen Geschichten bitte «

username
dabei seit: Feb '01
Kommentare: 20
schrieb am 26.05.2006:
»Tolle Geschichte, da wünsch ich mir direkt eine Fortsetzung ;)«

locker2
dabei seit: Aug '03
Kommentare: 26
schrieb am 27.05.2006:
»Einfach wundervoll, so sollten Geschichten sein, weiter so!!
MFG«

picea
dabei seit: Jan '03
Kommentare: 16
schrieb am 28.05.2006:
»sehr schoene Geschichte die sehr gut beginnt, sich aber irgendwie im Wikinger-Wald verirrt. Spaetestens bei der Haelfte verlierst Du dann durch die atemlose Langatmigkeit leider die Leselust. Hat mir zu wenig Erotik von Beginn an, es muss aber deshalb nicht immer gleich zum Eingemachten kommen :-)), aber prickeln soll es doch schon?«

geno
dabei seit: Dez '00
Kommentare: 194
schrieb am 28.05.2006:
»Wenn es zu dieser Geschichte keine Fortsetzung geben sollte, würde ich es als Verbrechen gegen die Leser bewerten.

Es ist eine innere Freude für mich, bei Sevac eine neue Generation kleiner Engel heranwachsen zu sehen, einmal Evi und jetzt noch den rothaarigen Engel. Beide sind hier mit ihrer ersten Geschichte gleich zur Creme der Autoren aufgestiegen. Für beide meinen herzlichen Glückwunsch.
geno«

schnullobullo
dabei seit: Jun '04
Kommentare: 4
schrieb am 28.05.2006:
»Eine tolle Geschichte. Ein bisschen wenig SEX, aber das wird schon noch werden denke ich.

Ach ja: in den Zeiten gab es noch keine Unterhosen, geschweige denn Slips ! ! ! :-)))

«

Gongo
dabei seit: Dez '00
Kommentare: 34
schrieb am 29.05.2006:
»Danke für diese wunderbare Geschichte, ich habe sie sehr genossen.«

B0B
dabei seit: Aug '03
Kommentare: 20
schrieb am 29.05.2006:
»Extrem gut! :D Bitte mehr.«

magicdworf
dabei seit: Dez '04
Kommentare: 4
schrieb am 29.05.2006:
»Was für eine geniale Geschichte ! Ein Genuss sie zu lesen. Ich hab mir noch nie etwas so gutes gelesen. Perfekt bis ins letzte Detail. Bitte, bitte mehr davon !



Gruss Magicdworf....der immer noch ganz begeistert ist :-)«

landmann
dabei seit: Jan '01
Kommentare: 7
schrieb am 30.05.2006:
»Hallo Redhairedangel,

nicht das ich etwas gegen mehr Sex haben würde, aber hier hat sich eine spannende und interessante Geschichte mit einem kleinen Schuß Erotik zu einem wirklich lesenswerten Oeuvre zusammen gefunden. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung - ich würde dies jedenfalls sehr schätzen.

Viel Spaß beim Schreiben und dem ganzen Rest wünscht
der Landmann«

mondstern70
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 441
Mondstern
schrieb am 30.05.2006:
»Hallo,
mal was anderes :-) Da mich das Genre interessierte ließ ich einfach mal von deiner Geschichte fesseln.

Toller Schreibstil und gut umgesetztes Thema. Hat mir echt gut gefallen :-)

Nur eins! Gehörnte Helme trugen die Wikinger nie!!! ;-)

Ich hoffe du hast noch genug Ideen für weitere Teile
LG Anja«

playtom
dabei seit: Sep '04
Kommentare: 10
schrieb am 31.05.2006:
»Schöne, sensibel aufgebaute Story. Mehr Liebesgeschichte als Sex, aber es gibt ja hoffentlich eine Fortsetzung ;)«

u577503
dabei seit: Aug '03
Kommentare: 45
Gumbold
schrieb am 31.05.2006:
»Volle Punktzahl!

Wenn sich die Geschichte so weiterentwickelt solltest Du Dir überlegen, einen Verlag zu suchen.

Gratulation«

Zimbo72
dabei seit: Jun '04
Kommentare: 22
schrieb am 31.05.2006:
»Ich war von der Ersten bis zur letzen Minute von der Geschichte gefesselt. Kleine historische Unkorrektheiten haben mich nicht wirklich gestört - warum auch? Es geht schliesslich nicht um eine geschichtlich Wahrheinsgetreue Arbeit sonder um Lesespass.
Die Tatsache, dass etwas wenig Sex im Spiel war stört mich auch nicht, da ich ganz einfach davon ausgehe, dass diese Story der Anfang einer wunderbaren Reihe ist, in dem es sicherlich beizeiten auch noch richtig zur Sache gehen wird.

Vielen Dank also und weiter so!

Zimbo«

astweg
dabei seit: Jun '01
Kommentare: 152
TetraPack
schrieb am 31.05.2006:
»Es hat mir Spaß gemacht, dieses Erstlingswerk zu lesen. Wohltuend hebt sich der fast fehlerfrei geschriebene Text von den Sprachverstümmelungen anderer AutorInnen ab. Gut, manche Passage hätte noch etwas flüssiger Formuliert werden können, aber solche Stellen finde ich in meinen Texten auch.
Wenn eine Geschichte gut ist, sucht man nach dem Haar in der Suppe, aber nur um zu zeigen, dass es doch noch ein wenig besser geht. Hier will ich die Unterhose, den Slip erwähnen, die einfach nicht in die Zeit passen.
Fazit: Gute Geschichte, die auf die Fortsetzung neugierig macht.«

marten212
dabei seit: Okt '01
Kommentare: 7
schrieb am 31.05.2006:
»Einfach nur gut, ich habe die Geschichte mit Begeisterung gelesen. Wen interessieren historische Ungenauigkeiten, das ist die Freiheit der Dichter.
Danke für die Einleitung, jetzt muss aber auch der (lange) Rest der Geschichte folgen...«

Ebaer
dabei seit: Nov '00
Kommentare: 4
schrieb am 01.06.2006:
»Respekt! Mach mal weiter so, kommt gut.«

chrispf
dabei seit: Apr '02
Kommentare: 1
schrieb am 03.06.2006:
»Hallo rothariger Engel,

eine tolle Story und ein schönes Setting hast Du eingestellt.

Ich fand die Story toll, Ich hoffe auch auf eine Fortsetzung vieleicht mit mehr Erotik und Sex. Mach weiter so!«

blubb
dabei seit: Jan '01
Kommentare: 7
schrieb am 03.06.2006:
»hach... eine wunderschöne geschichte... danke schön... oder vielleicht ganz unbescheiden der wunsch: mehr davon
*bb*
blubb«

salubri
dabei seit: Nov '00
Kommentare: 17
schrieb am 24.06.2006:
»eine der besten Geschichten, die ich je gelesen habe. Bei sevac unter meinen TOP 5. Die Geschichte braucht gar nicht mehr Sex. Der hätte künstlich hineingeschrieben werden müssen. So war es wundervoll natürlich. Der Slip hat mich auch ein wenig verwundert. Würde mich sehr über eine Fortsetzung freuen. Übrigens mein Glückwusch zum Vergleich von Klingonen und Wikingern, hätte mir bis heute keine Geschichte vorstellen können, die zur Zeit der Wikinger spielt und einen solchen Vergleich plausibel bringen kann.«

Nino
dabei seit: Jan '01
Kommentare: 1
schrieb am 11.09.2006:
»wunderbar geschrieben! wo bleibt die "mögliche" fortsetzung? ;-)«

Stellaluna
dabei seit: Sep '06
Kommentare: 1
schrieb am 05.10.2006:
»Schön das es Perlen gibt! Und diese Geschichte ist eine! Bitte mehr davon!!!«

goreaner
dabei seit: Nov '06
Kommentare: 67
goreaner
schrieb am 01.04.2007:
»Super Geschichte

Die Stimmung kommt sehr gut rüber. Glaubwürdig. Fast schon etwas zuwenig Sex. Andererseits hebt sich Thorfast dadurch von seinen Freunden ab. Schade finde ich es, dass Ann-Marie keinen Kontakt zur Dorfgemeinaschaft hat, von dem bibbenden Kerl und Anska mal abgesehen. Bitte weiterschreiben.«

hg1
dabei seit: Dez '04
Kommentare: 66
HG1
schrieb am 01.04.2007:
»Starke Geschichte, alles ist detailliert beschrieben. Nur den Kampf hätte etwas spannender sein können. Dass der Sex erst ganz am Schluss und selbst dann noch eher kurz ist, stört mich gar nicht, besser so, als mit der Brechstange einfügen. Besonders, wenn dies der Auftakt zu einer längeren Geschichte ist.

Kleine historische Ungereimtheiten stören mich auch nicht. Auf Sevac möchte ich unterhalten werden, nicht de Geschichtsunterricht besuchen«

Major-Tom
dabei seit: Mai '05
Kommentare: 21
schrieb am 24.11.2007:
»Fortsetzung, Bitte Bitte«

tralalo
dabei seit: Jan '01
Kommentare: 96
schrieb am 24.10.2010:
»Köstlich! Selten eine so schön ausgedachte und gestaltete Geschichte gelesen.«

kater52
dabei seit: Jun '04
Kommentare: 5
schrieb am 26.10.2010:
»Freu' mich auf die Fortsetzung«

luna99
dabei seit: Okt '12
Kommentare: 2
schrieb am 28.10.2012:
»ist wirklich gut weiter so!«

lina92
dabei seit: Nov '12
Kommentare: 2
schrieb am 18.11.2012:
»eine super geschichte weiter so!«

Nobel2112
dabei seit: Mär '14
Kommentare: 56
schrieb am 14.03.2014:
»Einfach nur : WOW!!!!«


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