Wolvesgrey Kapitel 15 und 16
von Terginum
XV
Da sie unverletzt, aber nicht ansprechbar war, hatte man sie in die Psychiatrie eingeliefert. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und lebte in ihrer kleinen Welt. Keiner der Ärzte konnte sagen. wie lange dieser Schockzustand bei ihr dauern würde. Aus Tagen wurden Wochen, keine Besserung war abzusehen. Luisa stand immer am Fenster und sah den ganzen Tag hinaus. Doch an einem der folgenden Tage brachte ihr jemand das Frühstück, und sie bedankte sich dafür erstmalig gut hörbar. Der Pfleger hätte fast vor Schreck das Tablett fallen lassen. Sofort fragte er noch einmal nach und auch diesmal bekam er eine Antwort. Er eilte hinaus und gab sogleich einem der Ärzte Bescheid. Luisa hatte noch nicht ganz ihr Frühstück beendet, als sie von ihrem behandelnden Arzt aufgesucht wurde. Er stellte ihr viele Fragen, viele, die für sie unwichtig erschienen. Sie unterbrach die Fragen und stellte selber eine.
„Wie geht es meinem Freund, Mr. Kingston, und meinem Bruder? Was für ein Tag ist heute?’’
Sie sah hilflos in sein Gesicht, sie konnte sich noch nicht einmal an seinen Namen erinnern.
„Ihrem Freund geht es soweit gut, er ist noch im Krankenhaus. Ihr Bruder war leider schon tot, als wir ankamen. Sie sind jetzt fast sechs Wochen bei uns, Sie waren bis jetzt nicht ansprechbar. Schön, dass Sie nun wieder bei uns sind.’’
„Ich möchte ihn sehen, geht das?’’
„Warten Sie noch einen Tag. Dann sind Sie gefestigter und ich kann noch ein paar Tests machen. Bitte, das wäre wirklich besser für Sie.’’
Luisa musste schwer mit sich kämpfen und gab dann doch schließlich dem Arzt nach. Sie hatte einen Teil ihres Gedächtnisses verloren, aber der Arzt versicherte ihr, dass es schon bald wieder da sein und sie sich an alles erinnern würde. Ihr Unterbewusstsein blockierte es momentan, um sie zu schützen. Ein Teil von ihr hatte Angst, sich zu erinnern.
Trotz der Tests wollte der Tag für Luisa nicht zu Ende gehen. Er zog sich ins Unendliche, und ihre innerliche Unruhe nahm zu. Sie war nervös und wusste nicht warum. - Die Nacht war für sie unruhig, wilde Träume verfolgten sie. Sie spürte jeden Knochen am nächsten Morgen, und ihre Unruhe hatte noch mehr zugenommen. Das Frühstück hielt sie nur unnötig auf, aber sie zwang sich dazu etwas zu essen. Immer wieder schaute sie zur Uhr, und als es endlich Zeit wurde, hatte sie alle ihre Sachen schon gepackt. Sie wollte hinaus, an die frische Luft, den Wind auf der Haut spüren.
Das Taxi wartete schon auf sie, als sie hinauskam. Zum Glück hatte der Arzt ihr das Krankenhaus und die Zimmernummer aufgeschrieben, sonst hätte sie nicht gewusst, wohin man Steve gebracht hatte. Der Weg zum Krankenhaus war nicht sonderlich weit. Die Klinik, in der sie behandelt worden war, lag ziemlich außerhalb der Stadt, aber das Krankenhaus, in den Steve war, war in der Innenstadt.
Auf dem Weg zum Zimmer wurde es ihr etwas mulmig. Sie hatte Angst davor, was sie erwartete. Es war sehr ruhig in dem Zimmer, als sie hineintrat. Steve lag alleine in dem Zimmer. Leise ging sie zu dem Stuhl an seinem Bett, er schien zu schlafen. Ein Fernseher dicht unter der Decke lief ohne Ton. Vogelgezwitscher drang durch das offene Fenster nach innen. Während sie sich setzte, drehte er den Kopf und sah sie mit wütendem Blick an. Als er sie erkannte, hellte sich sein Blick wieder auf. Luisa atmete erleichtert auf und nahm seine Hand in die ihre.
„Wie geht es dir?’’
„Frag mich besser nicht, aber es ist schön, dass es dir endlich wieder besser geht. Geht es doch auch, oder?’’
„Ja. Nur erinnere ich mich noch nicht an alles. Was sagt der Arzt, wann du rauskommst?’’
„Tja, ich denke bald. Es ist ja nichts mehr zu tun an mir.’’
Steve lachte bitter, und Luisa sah ihn beklommen an. Sie wechselte schnell das Thema und erzählte ihm, dass sie noch zur Bank müsse, um ihre Geldgeschäfte zu regeln. Wenn es sein müsste, würde sie sich ein Hotelzimmer nehmen, damit sie nah bei ihm war. Seine Reaktion erstaunte sie. Es war, als wenn ihn das alles nichts anging. Sie blieb noch eine Zeitlang bei ihm sitzen und versuchte ein normales Gespräch mit ihm zu führen. Es scheiterte kläglich, also stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Bank.
Das Gespräch dort dauerte nicht sehr lange, die Bank legte ihr ihre finanziellen Möglichkeiten offen und eröffnete ihr, dass sie Zutritt zu ihrem Geld habe. Gut gelaunt kehrte sie zu Steve zurück und erzählte ihm, wie einfach alles war. Steve reagierte nicht auf ihr Geplapper und war abweisend. Luisa wurde langsam wütend und fauchte ihn böse an. Aber auch das reizte ihn nicht. Sie drängte ihn, sich zu erklären und wollte wissen, was ihn belastete. Er reagierte wütend und unbeherrscht.
„Lass mich in Ruhe und geh. Ich kann dich nicht mehr sehen. Du bist Schuld, dass ich mein Bein verloren habe.’’
„Wie kommst du denn darauf? Ich konnte doch nichts dafür.’’
Sie war geschockt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Steve half ihr dabei, denn er war noch nicht fertig.
„Geh, Luisa, geh aus meinem Leben. Ich kann und will dich nicht mehr sehen. Ich gebe dich frei, geh, wohin du willst, nur weg von mir. Du hast mir nur Unglück gebracht, und nun bin ich ein Krüppel. Das ist mehr als genug. Ich will dich nicht mehr in meiner Nähe haben, ich hasse dich.’’
Luisa sah ihn ungläubig an und verstand nichts mehr. Sie wagte einen Versuch, noch einmal mit ihm zu reden, aber er blockte ab, reagierte nicht, sondern ignorierte sie mit steinernem Gesicht. Erst versuchte sie es mit sanften Worten, doch dann schrie sie ihn voller Wut an. Es war zwecklos, und deshalb stand sie auf und ging zur Türe. Als sie sich zum letzten Mal umdrehte, liefen ihr dicke Tränen über die Wangen. Er hielt sie nicht auf und sah ihr auch nicht nach.
Sie sah nicht, wie Steve in sich zusammensank und still vor sich hin weinte. Sie hatte das Zimmer mit ihren Sachen schon verlassen. Draußen an der frischen Luft blieb sie abrupt stehen und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie redete sich ein, dass er sich melden würde, sobald es ihm besser ging. Nach etwa zehn Minuten glaubte sie es schon selbst.
Sie stieg in ein Taxi und fuhr nach Wolvesgrey. Sie wusste nicht warum, aber etwas zog sie förmlich dahin. Als das Taxi den bekannten Kiesweg hochfuhr, konnte Luisa das ganze Ausmaß sehen. Der Anblick von verkohlten Resten, die ehemals dieses großartige Haus waren, schockten sie auf ein Neues. Sie hielt den Taxifahrer an, einen Augenblick auf sie zu warten, und stieg aus. Sprachlos und entsetzt ging sie durch die Ruine. Es roch immer noch sehr stark nach verbrannten Dingen; sie atmete, so flach sie konnte. Mit dem Fuß schob sie verkokeltes Holz auf Seite, in der Hoffnung, dass sie etwas fand, das verschont worden war. Aber da war nichts, nur verbranntes Holz und verbrannte Erde. Langsam konnte sie sich wieder an den Tag erinnern, nur Bruchstücke, aber ihr Gedächtnis wollte zurückkommen. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie plötzlich die Augen zusammenkniff. Sie schaute ganz angestrengt auf einen Punkt. Im nächsten Augenblick ging sie eilig darauf zu. Mit den Händen räumte sie verbranntes, schwarzes Holz weg. Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Vorsichtig reinigte sie eine gelbrote Knospe vom Russ. Der Rosenbusch war angekokelt, und die Hitze hatte ihm zu schaffen gemacht, aber er war immer noch überlebensfähig. Sie richtete ihn, so gut es ging, wieder her und eilte dann nach vorne, Richtung Taxi. Sie fand auch dort den Rosenbusch. Er war umgeknickt, scheinbar war die Feuerwehr darüber gefahren. Sie richtete ihn wieder auf, er hatte noch genügend junge, gesunde Triebe und würde nächstes Jahr wieder blühen. Sie seufzte tief bei seinem Anblick und wollte zum Taxi gehen. In der Drehung wäre sie fast über den Stock gestolpert. Vorsichtig hob sie ihn auf und betrachtete ihn, er war unbeschadet. Sie erkannte getrocknetes Blut am Knauf, Ernestos Blut. Sie bekam ein seltsames Gefühl im Magen und wickelte den Stock schnell in ihren Mantel. Der Taxifahrer hupte nervös.
Sie ließ sich zum Flughafen fahren, sie wollte zum Haus ihres Bruders und ihr Erbe antreten. Sie führte ein Telefonat, und der Hubschrauber nahm sie kurze Zeit später dort auf.
Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge, und Luisa hatte sich in der Villa eingelebt. Sie hatte vieles mit der Hilfe von Dominik und dem Butler erledigen können. Die Sklavin ihres Bruders bekam einen größeren Betrag, wie auch Dominik, und ihre Freiheit wieder. Was Luisa als sehr sonderbar empfand, war die Tatsache, dass ihr Bruder kurz nach der Party sein Testament geändert hatte, so dass sie den Hauptteil erbte. Dominik beruhigte sie, er erklärte, dass Leonard immer alles geregelt haben wollte. Es war genau richtig, was er getan hatte.
Je mehr Wochen vergingen, desto mehr war Luisa in sich gekehrt. Sie vergrub sich in Arbeit und steckte alle Energie in die Organisation. Sie wollte den Traum ihres Bruders recht schnell umsetzen. Dominik und Stef unterstützten sie, aber sie konnten nicht mithalten. Sie sprühte vor Energie. Wenn sie allerdings abends nichts mehr zu tun hatte, fiel sie förmlich in sich zusammen. Sie wirkte um Jahre gealtert. Roy, dem Butler, fiel es besonders stark auf. Er war es ja, der die meiste Zeit abends mit ihr verbrachte. Er teilte Dominik seine Sorge um Luisa mit, aber beiden fiel keine Lösung ein. Luisa zog sich innerlich immer mehr zurück, ihre Blicke gegenüber Fremden waren kalt. Sie zeigte kaum eine Gefühlsregung. Oft stand sie stundenlang auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Roy hatte mehr als einmal die Befürchtung, dass sie jeden Moment springen würde.
XVI
An einem Nachmittag besorgte Roy etwas für Luisa in der Apotheke. Als er wieder auf die Straße trat, hielt ihn jemand am Arm fest. Er war so in Gedanken, dass er erschrocken zusammenfuhr. Als er aufschaute, sah er in Steves bekanntes Gesicht.
„Mr. Kingston! Sie hier? Wie geht es Ihnen?“
„Guten Tag, Roy. Ich hatte hier etwas Geschäftliches zu erledigen. Seit ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen kann und nicht mehr im Rollstuhl sitze, geht es wieder aufwärts. Es war eine schwere Zeit, bis ich die Prothese bekam, und ich habe sehr viel verloren durch meine damalige Dummheit. Aber wie geht es Ihnen, arbeiten Sie noch in der Villa?“
Roy sah ihn sehr nachdenklich an. Steve war sehr dünn geworden und sein Gesicht härter.
„Ja, Mr. Kingston. Ich arbeite für Miss Baker in der Villa. Sie hatte mich gebeten zu bleiben und ich habe es bis jetzt nicht bereut.“
„Luisa hat die Villa übernommen? Ich dachte, dass sie ihr zu groß sei und sie lieber auf Wolvesgrey bleiben würde. Ist jemand krank? ’’
Steve zeigte auf die Medikamente in Roys Hand.
„Nein, nur ein paar Migräne- und Schlaftabletten für Miss Baker. Sie hat nicht nur die Villa übernommen, sondern auch die Firma im Sinne ihres Bruders umgekrempelt. Sie ist eine sehr intelligente Frau.“
„Wissen Sie, was aus Wolvesgrey geworden ist? Wie geht es Miss Baker sonst? Verzeihen Sie, dass ich Sie so ausfrage, aber es interessiert mich sehr.“
Roy nickte verständnisvoll und sah ihm direkt in die Augen.
„Sir, wenn ich ehrlich bin: Ich mache mir Sorgen. Sie vergräbt sich in ihre Arbeit, lässt ansonsten niemanden an sich heran und ist in sich selbst versunken. Sie redet nur das Nötigste und empfängt keinen Besuch. Sie ist zu hart zu sich selbst und vereinsamt immer mehr. Sie fliegt einmal in der Woche nach Wolvesgrey, aber nur, um nach den Rosen zu sehen. Die Reste des Hauses hat sie entfernen lassen, aber neu aufgebaut wurde nichts. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie das überhaupt möchte.“
„Wie schätzen Sie denn die Lage ein, würde es gut sein, wenn ich sie besuche?“
„Fragen Sie mich das nicht, Mr. Kingston. Diese Frau ist unberechenbar, momentan. Aber wenn man es nicht versucht, wird man es nie erfahren.“
Die zwei Männer trennten sich mit einem festen Händedruck. Steve setzte sich in ein Café und dachte angestrengt nach. Dann griff er mit entschlossener Miene zum Handy und wählte eine Nummer. Er gab ein paar knappe Anweisungen. Als das er Telefonat beendete, war kurz dieses Lausbubenlächeln zu sehen, das früher immer zu ihm gehört hatte. Es würde ihn Mut und Kraft kosten, Luisa gegenüberzustehen. Aber er hatte es lange genug verdrängt und vor sich hergeschoben. Er winkte die Bedienung zu sich und zahlte seinen Kaffee.
Während der Fahrt zur Villa musste er sich immer wieder Mut zusprechen. Er erkannte, wie jämmerlich er sich doch verhielt. Er war über sich selbst entsetzt und ermahnte sich nun lautstark in einem Selbstgespräch. Der Weg zur Villa zog sich endlos in die Länge. Als er sie schließlich vor sich auftauchen sah, zitterte er vor Nervosität. Vor der Türe holte Steve noch einmal tief Luft, dann betätigte er den Türklopfer. Nach kurzer Zeit öffnete Roy die Türe, er nickte Steve lächelnd zu, brachte ihn in die Halle und bat ihn um etwas Geduld. Roy verschwand lautlos im Arbeitszimmer. Nach einigen Sekunden kam er zurück. Er schüttelnde traurig den Kopf.
„Sagen Sie ihr, dass ich nicht gehen werde, bis sie mit mir geredet hat. Ich lasse mich nicht fortschicken.“
Seine Worte hallten durch die Halle und er wusste, dass Luisa sie hören musste. Er hatte Recht, denn als Roy die Türe erneut öffnete, hörte er schon ihre Stimme.
„Geht er nicht sofort freiwillig, lasse ich ihn rauswerfen!“
Ihre Stimme war so überheblich, dass Steve wütend wurde. Er ging an Roy vorbei und trat ins Arbeitszimmer. Luisa stand am Fenster, mit dem Rücken zur Türe, so wie ihr Bruder es auch immer zu tun pflegte. Roy zog sich sofort zurück und verließ den Raum.
„Ich werde gehen, aber erst habe ich dir etwas zu sagen.“
„Ich will es nicht hören. Es gibt nichts zu sagen, also geh und komm nie wieder.“
„Erst wenn ich gesagt habe, was ich sagen möchte. Ich weiß, ich habe dich verletzt, sehr sogar. Aber ich konnte nicht anders in diesem Moment. Ich hasse mich selbst dafür.“
„War es das? Du weißt, wo die Türe ist!“
Steve zog hörbar zischend die Luft ein, schnell verließ er das Zimmer, eilte durch die Halle zur Türe hinaus. An seinem Auto blieb er stehen, laut schimpfte er vor sich hin und schlug wütend mit der Faust auf das Autodach. Man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Er drehte sich wieder herum und eilte ins Haus zurück.
Luisa stand noch immer am Fenster.
„So schnell wirst du mich nicht los. Ich möchte es dir erklären, es wird nicht lange dauernd.“
„Es interessiert mich nicht, wie lang deine Erklärung ist. Ich will dich nicht sehen, also geh.“
Steve kämpfte um seine Beherrschung, mit drei Schritten war er bei ihr und ergriff die Haare im Nacken. Er zog ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste.
„Schau mir in die Augen und sag, dass ich gehen soll.“
Sie sah ihm kalt in die Augen, keine Gefühlsregung war zu erkennen.
„Geh, jetzt…sofort.“
Steve ließ sie sofort los, als hätte er sich grade die Hände verbrannt.
„Okay, ich sehe, du meinst es ernst. Trotzdem will ich dir sagen, dass ich dich immer geliebt habe, jeden Augenblick. Auch, als ich dich fortgeschickt habe. Und ich werde dich immer lieben. Tausendmal habe ich mir gewünscht, dass es mich damals erwischt hätte und nicht deinen Bruder. Pass auf dich auf.“
Steve verließ zügig das Haus und stützte sich aufs Autodach. Er starrte auf die Beule, die seine Hand hinterlassen hatte. Die Anspannung fiel von ihm ab, er zitterte.
„Bitte bleib’, ich werde dir zuhören.“
Sie war ihm gefolgt, leise drang der Satz an sein Ohr. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es nicht nur Wunschdenken war. Als er sich zur Türe umwandte, sah er, wie sie durch die Halle Richtung Saloon ging. Er folgte ihr und sah das erleichterte Gesicht von Roy, als er an ihm vorbeikam.
Luisa hatte sich in einen Ledersessel gesetzt, schickte Roy, um ihnen einen Kaffee zu bringen, und sah Steve ernst an. Es fiel ihm immer noch schwer, sie einzuschätzen, denn sie war kalt und unnahbar. Aber er ließ sich nicht beirren und begann zu erzählen, was in ihm vorgegangen war. Er redete bis tief in die Nacht, Luisa saß nur da und hörte zu. Kein Wort sagte sie. Erst als die Müdigkeit bei Steve überhand nahm, stand sie auf.
„Es ist spät. Zeit ins Bett zu gehen. Wenn du bleiben möchtest, wird dir Roy ein Zimmer herrichten. Gute Nacht.“
Sie drehte sich um und verschwand über die Treppe nach oben. Steve sah ihr sprachlos nach. Ihr Verhalten ärgerte ihn, aber ihm war klar, dass sie das wusste. Das ärgerte ihn direkt noch mehr. Grummelnd folgte er Roy. Er hatte Steve das Zimmer direkt neben dem Zimmer von Luisa gegeben. Roy wünschte eine gute Nacht und ließ Steve mit seinen Gedanken alleine.
Steve fragte sich, was er überhaupt da tat, ob es wirklich einen Sinn hatte. Er war plötzlich voller Zweifel. Nachdenklich sah er in das Glas mit dem weizenfarbenen Whiskey, das es sich eingeschenkt hatte. Er nippte genüsslich dran. Unsanft stellt er das halbvolle Glas plötzlich auf den Tisch. Entschlossen verließ er das Zimmer und klopfte an die Türe nebenan.
„Ja, bitte?“
„Verzeih Luisa, aber ich möchte dich noch etwas fragen.“
„Hat das keine Zeit bis morgen?“
„Es ist mir wichtig. Bitte. Darf ich hineinkommen? Du weißt, ich hasse es, mich durch geschlossenen Türen zu unterhalten.“
„Gut, komm herein.“
Luisa saß auf einem Stuhl vor einem Spiegel und kämmte ihr langes Haar. Er konnte das leichte Schmunzeln in ihren Mundwinkeln sehen.
„Ich kann sehen, dass du grinsen musst. Ich mache mich wohl gerade zum Trottel hier.“
Luisa beobachtete ihn im Spiegel.
„Wie kommst du denn darauf? Nur weil ich grinsen muss, oder weil ich du dich nicht gerne durch geschlossene Türen unterhältst?“
„Wahrscheinlich beides.“
Er suchte ihre Augen im Spiegel.
„Weißt du, dass du jeden Tag schöner wirst?“
Luisa zog eine Augenbraue hoch.
„Bist du gekommen, um mir das zu sagen?“
„Nein. Warum hast du mich aufgehalten?“
„Ich wollte wissen, was du mir zu sagen hast, wollte versuchen, dich zu verstehen.“
„Und? Verstehst du, warum ich nicht anders konnte?“
„Ja, zum Teil verstehe ich es. Aber warum erst jetzt? Warum kommst du erst jetzt und erzählst mir das alles?“
Steve war hinter sie getreten und streichelte ihr Haar.
„Weil ich zu feige war. Zu feige dich aufzusuchen und meine Schwäche einzugestehen. - War das der einzige Grund, um mich aufzuhalten?“
„Nein, es war nicht der einzige.“
Steve packte sanft in ihrem Nacken zu und zog ihren Kopf zurück. Sie schaute nun hoch, genau in seine Augen.
„Du musst ihn nicht nennen, ich weiß es auch so. Ich möchte dich wieder an meiner Seite haben. Nicht jetzt und nicht morgen, aber irgendwann, wenn du wieder bereit dazu bist. Ich möchte, dass du dir bis morgen früh überlegst, ob das überhaupt noch einmal für dich möglich wäre und ob ich bleiben soll. Kannst du mir dann noch keine Antwort geben, werde ich wieder fahren und aus deinem Leben verschwinden.“
Steve küsste ganz sanft ihre Stirn und ging ohne ein weiteres Wort auf sein Zimmer. Er hatte ein Lächeln im Gesicht und fühlte sich besser. Sie hatte mit ihm geredet, und das war sehr viel wert.
Die Nacht war unruhig, er wollte einfach keinen Schlaf finden. Er warf sich von einer Seite auf die andere. Letztendlich gab er auf und ging auf den Balkon. Er sah, dass bei Luisa auch noch Licht brannte, scheinbar fand auch sie keine Ruhe. Einen kurzen Augenblick war er der Versuchung sehr nah, an die Glastüre zu klopfen. In Gedanken ermahnte er sich aber und ließ davon ab. Er genoss noch einmal den weiten Ausblick über die dunkle Landschaft und ging dann erneut in sein Bett.
Er war schon sehr früh wieder wach, er duschte ausgiebig und zog sich an. Es ärgerte ihn, dass er nichts zum Wechseln dabei hatte. Er und seine spontane Ideen….
Als er die Treppe herunterkam, wurde er von Roy begrüßt.
„Guten Morgen, Mr. Kingston. Ich hoffe, Sie hatten einen ruhigen Schlaf? - Miss Baker ist noch nicht heruntergekommen, möchten Sie trotzdem schon einen Kaffee haben?“
„Guten Morgen, Roy. Ehrlich gesagt, habe ich lausig geschlafen, darum bin ich auch schon so früh schon auf den Beinen. Ein Kaffee wäre prima, danke. Denken Sie, dass Luisa etwas dagegen hat, wenn ich ihr Arbeitszimmer etwas in Beschlag nehme, für ein paar Anrufe?“
„Ich denke, das geht sicher in Ordnung. Ich werde den Kaffee dort servieren.“
Steve machte sich im Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch breit. Schnell hatte er an die zwanzig Skizzen angefertigt und eine Art Erklärung dazu geschrieben. Er hatte sogar den Kaffee vergessen, den Roy ihm gebracht hatte, so sehr nahm ihn die Arbeit in Anspruch. Er telefonierte gerade sehr angeregt, als Luisa in den Raum stürmte und ihn wütend anfuhr.
„Was machst du hier drin?“
Steve sah sie ruhig an und beendete den Anruf.
„Ich arbeite! Entschuldige, dass ich dich nicht vorher gefragt habe. Es war sehr wichtig für mich. Warum bist du so wütend, hast du einen Grund für dein Misstrauen?“
Luisa stutzte und Steve konnte erkennen, wie die Wut von ihr abfiel.
„Entschuldige, du hast natürlich Recht. Ich habe absolut keinen Grund dafür. Seit ich die Organisation mitleite, bin ich sehr gereizt. Sei mir bitte nicht allzu böse. Brauchst du denn noch lange, oder kommst du zum Frühstück?“
„Ich bin nicht böse, nur verwundert. Das ist normalerweise nicht deine Art. Ich bin fertig hier und komme mit, mein Magen knurrt auch schon.“
Steve legte seine Skizzen zusammen und schob sie in den Aktenvernichter.
„Ein neues Projekt von dir?“
„Ja, ich baue etwas. Es wird eine Überraschung. Ich erzähle dir später davon.“
Das Frühstück lief sehr locker ab, sie lachten viel zusammen und redeten über Gott und die Welt. Ihr Verhältnis zueinander hatte sich seit dem vorherigen Tag verändert. Sie waren sich wieder näher gekommen. Steve wartete darauf, dass sie sich äußerte, aber entweder wollte sie es nicht, oder sie hatte es vergessen. Als sie gegen elf Uhr das Thema immer noch nicht angeschnitten hatte, legte er seine Serviette beiseite und stand zügig auf. Der Stuhl rutschte knarrend nach hinten, und Luisa sah ihn erstaunt an.
„Ich werde jetzt fahren. Gestern Abend habe ich dich um etwas gebeten, und da bis jetzt kein Wort darüber gefallen ist, werden sich nun leider unsere Wege trennen. Man sollte wissen, wenn man endgültig verloren hat.“
„Nein, bitte bleib. Ich möchte meine Zeit gerne mit dir verbringen, aber ich weiß nicht, ob es je wieder so sein wird wie früher.“
„Es wird nie wieder so werden wie früher, aber anders und genauso intensiv, wenn wir es wollen.“
In den nächsten Tagen verbrachten sie sehr viel Zeit zusammen. Sie gingen zusammen shoppen, Eis essen, spazieren, sie lachten und weinten beide im Kino. Sie wuchsen immer mehr zusammen. Ihre Berührungen waren sehr zärtlich, und trotzdem schliefen sie getrennt. Steve ließ ihr Zeit und drängte sie nicht. Er wusste, dass sie kommen würde, wenn der Zeitpunkt für sie richtig war. Und wenn es Monate dauern würde.
Eines Morgen weckte ihn ein Geräusch, er konnte es nicht einordnen und reckte sich erst einmal. Verkniffen blinzelte er durch den Raum und bemerkte erstaunt, dass Luisa nackt neben seinem Bett kniete.
„Was machst du da?“
Schon als die Frage über seine Lippen kam, merkte er, wie dumm sie klang. Luisa antwortete nicht und hielt den Kopf gesenkt.
„Wie lange kniest du da schon?“
Diesmal klang seine Stimme härter und hatte ihre Selbstsicherheit zurückgewonnen.
„Seit einer Stunde.“
Steve schloss für einen Moment die Augen, so sehr genoss er diesen Augenblick. Er hob die Bettdecke an.
„Komm zu mir, ich möchte dich ganz nah bei mir.“
„Nein.“
Steve nahm ihr Kinn in seine Hand und hob ihren Kopf an. Er sah ihr ernst in die Augen.
„Du widersprichst mir?“
„Ja… Nein. Verzeiht, Herr. Aber ich möchte nicht, dass es Euch unangenehm ist.“
„Das lass mal meine Sorge sein. Ja, es fehlt ein Stück von mir, aber ich bin noch derselbe Mensch. Ich habe lange gebraucht, um damit klarzukommen. Wirst du das auch schaffen?“
„Ja, Herr. Ich habe damit kein Problem.“
„Dann komm endlich und diskutiere nicht mit mir.“
Luisa kuschelte sich in seinen Arm, ganz dicht an ihn. Steve zuckte automatisch zusammen, als ihr kalter Körper ihn berührte. Gänsehaut überzog seinen Körper. Sie wollte direkt wieder ein Stück von ihm wegrücken, aber sein Arm hielt sie dicht bei ihm, an ihrem Platz. Er sah sie nur an, und jeder Widerstand war gebrochen. Er küsste und liebte sie an diesem Morgen, mit jeder Faser seines Seins.
Es war schon recht spät, als sie nach unten kamen. Luisa verschwand direkt an den Frühstückstisch, und Steve erfand einen Grund, um kurz mit Roy alleine zu reden. Er gab ihm die Anweisung, dass er den Hubschrauber und den Piloten bestellen sollte. Er sollte kurz nach dem Frühstück ankommen und sie dann an ein bestimmtes Ziel fliegen.
Steve gab sich sehr lustig während des Frühstücks. Er flirtete unerlässlich mit Luisa und sie genoss es. Sie lachte kokett über seine Späße, und ihre Augen sprühten Funken. Die Luft zwischen ihnen war sichtlich geladen. Als der Hubschrauber vor der Villa landete, sah Luisa erstaunt hinaus. Steve lächelte und erklärte ihr, dass sie einen Ausflug machen würden. Luisa sah ihn etwas verwirrt an, aber sie gab ihm ihre Hand und ging vertrauensvoll mit. Im Hubschrauber bedeckte er Luisas Augen mit einer Augenbinde und verwickelte sie in ein Gespräch, damit sie abgelenkt war. Der Flug dauerte nicht besonders lange, und Luisa bemerkte sofort, dass der Hubschrauber zur Landung ansetzte. Steve wartete mit ihr, bis der Rotor ausgelaufen war und sie den Hubschrauber ohne Probleme verlassen konnten. Luisa bemerkte sofort, dass sie auf einem Kiesweg entlanggingen, und sie war immer verwirrter. Plötzlich blieb Steve stehen, er packte sie an der Schulter und drehte sie ein Stück nach links. Er trat hinter sie.
„Ich habe eine kleine Überraschung für dich. Ich hoffe, dass ich deinen Geschmack getroffen habe.“
Vorsichtig nahm er ihr die Augenbinde ab. Luisa blinzelte, und es dauerte einen kurzen Augenblick, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatte. Sie stand wirklich auf einem Kiesweg, auf der Auffahrt von Wolvesgrey.
Ungläubig schaute sie sich um und ihre Augen wurden immer größer. Dort stand ein großer Bungalow, in einem leichten Rotton, und mit vielen Rundbögen, ganz im südamerikanischen Stil. Sie gingen um das Haus, nach hinten. Eine große Terrasse, eingefasst mit einer Hecke, zog Luisas Blick zuerst in den Bann. Keine zehn Schritte davon entfernt war ein kleiner Brunnen. In ihm standen zwei Statuen, zwei Kinder, die sich mit Wasser bespritzten. Es waren eindeutig Zwillinge. Der Brunnen war mit einem kleinen Weg umrandet, dieser führte auch tiefer in den Garten hinein. Der Weg war gesäumt von Rosensträuchern, immer im Wechsel mit roten und rot-gelben. Luisa stand dort und konnte diesen Anblick nicht fassen. Sie war vollkommen sprachlos. Nichts erinnerte mehr an das, was dort passiert war. Sie drehte sich zu Steve um, dicke Tränen liefen über ihr Gesicht. Steve nahm sie wortlos in den Arm und küsste sanft die Tränen fort, ein leises „Danke“ drang an seine Ohren.
Sie standen dort, bis die Sonne untergegangen war.
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